Bittersüßes Wiedersehen

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Ein Wiedersehen, so schmerzhaft und schön! Neun Monate ist es her, dass Nick seine Frau Adele im Streit verließ. Erinnerungen an leidenschaftliche Stunden ihrer Ehe werden wach, als er plötzlich wieder in ihrem gemeinsamen Londoner Haus steht. Er ist gekommen, um sie zum Geburtstagsfest seiner Mutter einzuladen, die noch immer nichts von ihrer Trennung weiß. Adele willigt ein - unter einer Bedingung: Er soll die Scheidungspapiere unterschreiben. Aber inzwischen ist aus dem unkonventionellen Lebenskünstler Nick ein Mann geworden, der genau weiß, was er will: nämlich sie …


  • Erscheinungstag 17.11.2008
  • Bandnummer 1655
  • ISBN / Artikelnummer 9783863498870
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Adele widerstand dem dringenden Wunsch, schreiend aus dem Badezimmer zu laufen. Stattdessen schloss sie die Augen, atmete tief durch und zwang sich, die Hände ruhig zu halten. Als sie spürte, dass ihr Puls sich langsam beruhigte, riskierte sie wieder einen vorsichtigen Blick.

Nichts hatte sich verändert. Ihre Badewanne war immer noch von dem dicken, pelzigen Monster mit den acht spindeldürren Beinen besetzt. Sie tat ein paar Schritte rückwärts, ohne dabei das Ungeheuer aus den Augen zu lassen. Denn das winzigste Zucken konnte einen unmittelbar bevorstehenden Angriff ankündigen.

Blind tastete sie auf dem Regal über dem Waschbecken nach ihrem Zahnputzglas. Zahnpasta und Zahnbürste flogen durch die Luft, als sie danach griff. Jetzt brauchte sie nur noch etwas Flaches, nicht allzu Biegsames, ein Stück Pappe vielleicht. Sie sah sich hektisch um.

Auf dem Wäschekorb lag noch die Zeitschrift, die sie letztes Mal beim Baden gelesen hatte. Lesen gehörte zu ihrem Baderitual, und so hatte sie es auch diesmal vorgehabt – säße da nur nicht dieser Eindringling und blockierte ihre Wanne. Sie stieß eine leise Verwünschung aus. Wie konnte dieser hässliche kleine Hausbesetzer es wagen, ihre Pläne für den Abend zu durchkreuzen?

Adele nahm die Zeitschrift und marschierte entschlossen zur Badewanne zurück. Jetzt oder nie! Ihr wurde zunehmend mulmig, aber auf keinen Fall würde sie sich von diesem widerwärtigen Wesen unterkriegen lassen! Wie einfach war ihr Leben doch gewesen, als sie noch jemanden hatte, der für sie auf Spinnenjagd gegangen war. Aber diese Zeiten waren vorbei. Jetzt gab es nur sie und diesen achtbeinigen Kameraden dort drüben.

Ihre Finger waren so feucht, dass sie fürchtete, das Glas würde ihr jeden Moment entgleiten. Ihr Atem kam keuchend, und sie hielt bei jedem Atemzug einen winzigen Moment die Luft an, bevor sie wieder ausatmete. Noch zwei Schritte, dann war sie dicht genug am Feind.

Es fehlten nur noch Zentimeter. Um sie herum wurde es mit einem Mal sehr still. Selbst die Spinne schien die bevorstehende Attacke zu ahnen. Und dann schoss sie ohne Vorwarnung vorwärts, in Richtung Badewannenrand und direkt auf Adele zu.

Adele warf, ohne nachzudenken, dem Angreifer Glas und Zeitschrift entgegen und rannte aus dem Badezimmer. Und während das Glas mit lautem Klirren zerschellte, lehnte sie sich von außen gegen die Tür – nur für den Fall, dass der ungebetene Gast versuchen würde, die Türklinke hinunterzudrücken.

Das war wieder einmal typisch. Genau das war der Grund, weshalb sie solche Aktionen lassen sollte. Ihre Phobie verwandelte sie in ein völlig kopfloses Wesen. Als sie jetzt ein Geräusch aus dem Badezimmer hörte, umklammerte sie den Türgriff noch fester.

Wenn doch nur …

Nein, sie würde ihn nicht herbeiwünschen! Sie brauchte keinen Mann, um eine Spinne zu fangen. Schon gar nicht diesen Mann.

Endlich ließ sie die Türklinke los und strich sich mit einem tiefen Seufzer durch das lange dunkle Haar. Ich kann es, dachte sie. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Sonst ist ja niemand da.

Mit zitternden Händen strich sie die Falten ihres makellos weißen Bademantels glatt und zog den Gürtel enger zu, auch wenn das eine eher sinnlose Geste war. Ihr pelziger Freund dort drinnen interessierte sich nicht für ihr Aussehen. Trotzdem. Irgendwie, fand sie, war sie es sich schuldig, dass sie ihm äußerlich ruhig und gelassen begegnete. Er sollte die Adele erleben, die sich durch nichts und niemanden einschüchtern ließ.

Sie drehte sich zur Badezimmertür um und stellte sich vor, wie sie im Geschäftskostüm, die blonden Haare im Nacken verschlungen, auftrat. Es war alles nur eine Frage der mentalen Stärke und der entsprechenden Konzentration.

Ihre Firma, Frenton and Barrett, hatte sie einmal zu einem Managerseminar geschickt. Und während sie scheinbar aufmerksam zugehört hatte, war sie in Wirklichkeit dabei gewesen, Pläne für ihre eigene Unternehmensberatung zu schmieden. Inzwischen hatte sie ihren Traum verwirklicht und sollte auch in der Lage sein, die gelernten Tricks von damals anzuwenden.

Was war noch der Grundgedanke gewesen? Ach ja. Positives Denken. Adele konzentrierte sich, und vor ihrem inneren Auge verwandelte sich das Ungeheuer in ihrem Bad in einen leuchtend bunten und zerbrechlichen und ganz und gar harmlosen Schmetterling.

Es war ja wohl nicht schwierig, einen Schmetterling anzufassen! Das konnte wirklich jeder.

Sie öffnete die Tür. Glasscherben lagen auf dem Boden der Badewanne, während die Spinne sich unter die Armatur geflüchtet hatte. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie fast den Eindruck gehabt, das Tier schaute sie frech an.

„Schmetterling“, murmelte sie beschwörend. Mit angehaltenem Atem streckte sie den Arm aus und schloss die bloße Hand um die Spinne. Plötzlich schien das Fenster unendlich weit entfernt zu sein, und sie hatte das Gefühl, als müsste sie ein ganzes Fußballfeld überqueren, um dorthin zu gelangen. Sie versuchte, langsam zu gehen, doch nach anderthalb Schritten rannte sie. „Schmetterling!“, schrie sie, als die Spinnenbeine sich in ihrer Hand bewegten. Übelkeit stieg in ihr hoch.

Mit der freien Hand riss sie das Fenster auf und warf das ekelhafte Vieh hinaus. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie rieb sich heftig die Hände an ihrem Bademantel ab, bis sie befürchtete, den Stoff durchzuscheuern.

Jetzt brauchte sie wirklich ein Bad. Aber vorher musste sie die Glasscherben aus der Wanne entfernen. Sie hatte niemanden, der Spinnen für sie fing, und genauso wenig gab es jemanden, der ihr im Notfall Splitter aus dem Po ziehen würde. Also machte sie besser gründlich sauber.

Ihr Kopf steckte im Küchenschrank unter der Spüle, als es an der Tür läutete. Die Sonne war gerade erst untergegangen, sodass es noch hell genug war, um ohne künstliches Licht auszukommen, aber es war schon so dunkel, dass sie hier drinnen nichts mehr erkennen konnte. Und so tastete sie suchend im hinteren Teil des Schranks herum.

Wo hatten sich nur dieser dämliche Handfeger und die Kehrschaufel versteckt?

Wieder klingelte es. Adele stieß sich vor Schreck den Kopf an der Spüle. Ihre Türglocke war nicht leicht zu ignorieren. Es war kein sanftes, melodisches Läuten, das einen geduldigen Gast mit Blumen in der Hand vermuten ließ. Oh, nein. Es war ein aufdringliches Geräusch, das an eine schrille Fahrradklingel erinnerte.

Alles, was sie sich nach einem anstrengenden Tag im Büro an diesem Samstagabend wünschte, war ein Schaumbad, bei dem sie die nächsten vier Kapitel ihres Buches lesen wollte. War das wirklich zu viel verlangt?

Sie rieb sich den Hinterkopf und lief zur Haustür. Dass sie nur einen Bademantel trug, kümmerte sie nicht. Mit einem Ruck riss sie die Tür auf, bereit, den ungebetenen Besucher abzuwimmeln.

Die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Vor ihr stand der entnervendste Mann, den zu kennen sie je das Missvergnügen gehabt hatte. Er lehnte lässig an der Wand, ein Lächeln in den Augen und Grübchen in beiden Wangen.

Der Mund blieb ihr offen stehen, aber sie konnte nichts dagegen tun. Als der Mann lächelte, vertieften sich seine Grübchen.

„Hallo, Adele.“

„N-Nick?“

Die Sonne war hinter den Schieferdächern der Vorstadt versunken, und die Lampe auf der Veranda hatte sich automatisch eingeschaltet. Ihr Licht ließ seine Haut warm und golden schimmern.

Er sah so … echt aus, so wirklich. Ganz und gar nicht wie der Nick, den sie im Geiste seit neun Monaten anschrie und beschimpfte. In ihrer Erinnerung hatte sie ihn kleiner gemacht, jungenhafter und viel unattraktiver. Sie spürte, wie die vertraute Chemie zwischen ihnen bereits wieder ihren Verstand zu vernebeln begann.

Er sah ihr tief in die Augen, und sie spürte förmlich, wie sich weitere Zellen ihres Gehirns in nichts aufzulösen schienen.

Jetzt zog er eine Augenbraue hoch. „Genau der.“

Wenn sie nur wüsste, was sie sagen sollte. Sie schüttelte den Kopf. Was wollte er? Seit wann war er hier? Und vor allem: Warum stand er vor ihrer Haustür und tat, als wäre nichts geschehen?

„Möchtest du mich nicht hereinbitten?“

Am liebsten hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeworfen. Wenn er etwas von ihr wollte, sollte er doch zum Anwalt gehen! Zu spät ertappte sie sich dabei, dass sie nickte. Irgendwie hatte er es schon immer geschafft, dass sie zu allem Ja und Amen sagte. Er meinte es sicher nicht böse, aber am Ende war immer sie diejenige gewesen, die die Scherben aufsammeln musste.

Es war keine gute Idee gewesen, Nick Hughes jemals in ihr Leben zu lassen.

Und es war eine noch schlechtere Idee gewesen, ihn zu heiraten.

Adele setzte sich den Flur hinunter in Bewegung. Nick folgte ihr. Erst in der Küche wandte sie sich zu ihm um. „Was willst du?“

Auf diesen Moment hatte er gewartet. Für diesen Augenblick hatte er sich seinen Text zurechtgelegt und so oft geübt, dass er am Ende nicht mehr mitgezählt hatte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so nervös gewesen zu sein.

Als er nun Adeles Gesicht sah, verließ ihn der Mut. Er hatte gehofft, dass sie nach all den Monaten für ein Gespräch offen sein würde. Anscheinend erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die Zeit hatte die Wunden nicht geheilt.

Mit der Tür ins Haus zu fallen und ihr geradeheraus zu sagen, weshalb er gekommen war, würde ihn sicher nicht weiterbringen. Er musste behutsam vorgehen. Und so setzte er sein charmantestes Lächeln auf.

„Das ist wirklich eine nette Art, seinen Ehemann zu begrüßen.“

Adele kniff die Augen zusammen.

Nick holte tief Luft. Wenn er jetzt nichts unternahm, würde sie ihn hinauswerfen, ehe er sich versah. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen, um Zeit zu gewinnen. Dann konnte er sie vielleicht dazu bringen, ihm wenigstens zuzuhören.

„Wie wäre es mit einer Tasse Tee?“

Ihre Augen verengten sich weiter, während sie ihn stumm anstarrte. Okay, es war sicher ein plumper Versuch, aber zu höheren Leistungen war sein Verstand im Moment nach schier endlosen Stunden im Flugzeug nicht fähig. Eine Tasse Tee würde ihm immerhin mindestens eine Viertelstunde in Adeles Gesellschaft verschaffen.

„Ich habe einen ziemlich langen Flug hinter mir“, fügte er hinzu.

Sie blieb so ungerührt und kühl wie die Küchenarbeitsplatte aus Granit. Gerade als er glaubte, sie wäre für immer erstarrt, schüttelte sie den Kopf und ging zum Wasserkocher. Nick behielt sie vorsichtshalber im Auge. In dieser Stimmung war Adele unberechenbar. Man konnte sich nicht sicher sein, ob sie den Wasserkocher wirklich einschalten oder ihn quer durch die Küche in seine Richtung schleudern würde.

Mit dem Rücken zu ihm gewandt, ließ sie Wasser in den Kocher laufen, während sie ihre Frage wiederholte.

„Was willst du?“

Er wartete, bis sie sich umdrehte und ihn ansah.

„Wir müssen miteinander reden.“

Es schien sich auszuzahlen, dass er seinen Stress nicht mit einer witzigen Bemerkung überspielte. Das hatte er sonst oft getan, und es hatte Adele auf die Palme gebracht.

Sie schüttelte den Kopf. „Wozu? Das hätten wir schon vor Monaten tun müssen. Jetzt ist es zu spät.“

„Aber es ist wichtig.“

„Ha!“

Er zuckte unwillkürlich zusammen. „Was soll das heißen?“

„Seit wann ist dir etwas wichtig? Verantwortung oder Zuverlässigkeit sind Fremdwörter für sich. Warum sollte ich also irgendetwas ernst nehmen, was von dir kommt?“

Adele war auf Angriffskurs. Jetzt half nur noch bestmögliche Verteidigung. Langsam zog er seine Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben. „Das macht einen Teil meines Charmes aus.“

„Das ist der Grund, weshalb unsere Ehe gescheitert ist.“

Bisher hatte er ihr nicht einmal den Anflug eines Lächelns entlocken können. Dieses Treffen verlief ganz anders, als er es geplant hatte. Aber er war so müde, dass er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Nun konnte er nur noch auf eine einzige Taktik zurückgreifen, die garantiert eine Reaktion hervorrief.

Verzweifelte Situationen verlangten verzweifelte Maßnahmen. Es war an der Zeit, die Grübchen einzusetzen.

Er dehnte sein Lächeln um das erforderliche Maß aus und beobachtete Adeles Augen. In der Tat. Diesen Grübchen konnte sie nicht widerstehen. Tauwetter kündigte sich an.

„Hör auf damit, Nick.“

Sein unschuldiges Achselzucken war eindeutig oscarreif.

„Gib dir keine Mühe. Ich kenne dich viel zu gut. Es wird nicht funktionieren.“

Es wäre das erste Mal. Adeles Panzer mochte während seiner Abwesenheit noch dicker geworden sein, aber selbst der dickste Panzer hatte irgendwo Schwachstellen. Man musste sie nur aufspüren. Gerade dieses kühle Äußere, hinter dem sie ihre Wärme und Leidenschaft verbarg, hatte ihn besonders fasziniert, als sie sich kennenlernten. Feuer und Eis, das war Adele.

Als er einen Schritt auf sie zuging, wich sie zurück. „Ich habe im Moment keine Zeit zum Reden.“

„Das sehe ich.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Beim Anblick ihres wohlgeformten Beines, das durch einen Spalt im Bademantel sichtbar wurde, verspürte er ein vertrautes Flattern in der Magengrube.

Adele zog den Gürtel fester zu. „Ruf mich nächste Woche im Büro an. Ich stecke zwar mitten in einem Projekt, aber vielleicht kann ich am Donnerstag ein paar Minuten erübrigen. Wo wohnst du?“

Nick zog die Augenbrauen hoch und sah sich vielsagend um.

„Das kommt überhaupt nicht infrage! Hier kannst du nicht bleiben.“

Er blinzelte. „Es ist auch mein Zuhause.“

„Irrtum. Es mag dein Haus sein, aber es hat in dem Moment aufgehört, dein Zuhause zu sein, als du den Atlantik überquert hast. Immerhin hast du es neun Monate lang nicht für nötig gehalten zurückzukommen.“

Adele verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn böse an. Dies war nicht der richtige Augenblick, um sie daran zu erinnern, dass er sehr wohl zurückgekommen war. Und zwar, sobald es ihm möglich gewesen war. Nur zwei Wochen nach ihrem großen Streit war er fünftausend Meilen gereist, um zwischen ihnen alles in Ordnung zu bringen. Doch er hatte ein leeres Haus vorgefunden. Adele war inzwischen ausgezogen und hatte Unterschlupf bei ihrer besten Freundin gesucht.

Nein, es hatte keinen Sinn, ihr jetzt damit zu kommen. Bei ihrer momentanen Verfassung war es wenig ratsam, sie mit ihren eigenen Fehlern zu konfrontieren. Und wenn er ehrlich war, verspürte er selbst auch wenig Lust, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Also verstaute er die Erinnerung daran in einer Schublade seines Gehirns und ignorierte das unangenehme Gefühl in seiner Magengegend.

Er zog sein Jackett aus, hängte es über einen Stuhl und ließ sich dann in das weiche Sofa sinken, das eine Ecke der gemütlichen Küche einnahm.

„Was ist mit dem Tee?“, erkundigte er sich versuchsweise.

Adele schloss für einen Moment die Augen und ließ die Schultern sinken. Die erste Runde war an ihn gegangen, aber glücklich machte es ihn nicht, sie so niedergeschlagen zu sehen.

„Mach dir deinen Tee selbst. Ich gehe nach oben. Und wenn du dir einbildest, du könntest mitsamt deiner Tasche, die du im Flur abgestellt hast, später in meinem Schlafzimmer auftauchen, dann hast du dich getäuscht. Du weißt, wo das Gästezimmer ist.“

Autsch. Nick verzog das Gesicht, als sie herumwirbelte und die Treppe hinaufstürmte. In solchen Situationen war erfahrungsgemäß jeder Widerspruch zwecklos und hätte nur ihren Dickkopf herausgefordert. Er hatte längst gelernt, dass er bei Adele am weitesten kam, wenn er sie zum Lachen brachte.

Sie hatte einen feinen Sinn für Humor, auch wenn man das nicht immer gleich merkte. Und es gehörte unbestritten zu seinen Stärken, dass er ein Lächeln auf das Gesicht seiner Frau zaubern konnte.

Zu erleben, wie Adele auftaute, war einfach wundervoll. Am Anfang gab sie sich immer beherrscht und kühl. Aber dann begannen ihre Augen zu funkeln, und man konnte zuschauen, wie es in ihr arbeitete, wenn sie versuchte, ernst zu bleiben. Wenn er den richtigen Zeitpunkt erwischte, genügte ein einziges Lächeln, ein Blick, um das Eis zum Schmelzen zu bringen. Dann seufzte sie einmal tief und verwandelte sich in die warmherzige, leidenschaftliche Frau, die er so sehr liebte.

Nick ließ seinen Kopf auf das Sofakissen sinken und schloss die Augen.

Er wusste, was sie dachte: dass sie ihm nicht wichtig genug war. Und das nur, weil er sich entschlossen hatte, einen Auftrag anzunehmen, wie er einem nur einmal im Leben angeboten wurde! Er sah das ganz anders. In ihrer Selbstgerechtigkeit hatte Adele übersehen, dass sie diejenige war, die sich nicht einen Fingerbreit hatte bewegen wollen. Es war ihre Entscheidung gewesen, ihre Ehe auf Eis zu legen.

Eine Geschichte hatte wahrscheinlich immer zwei Seiten, aber Adele war grundsätzlich davon überzeugt, dass ihre Sichtweise die richtige war. Und so ärgerlich das auch war, es traf meistens auch zu. Aber eben nicht immer. Ab und zu kam es vor, dass sie eine Situation verblüffend falsch beurteilte. Und dann ging es normalerweise um die großen, wichtigen Dinge im Leben.

Seufzend streckte Nick sich auf dem bequemen Sofa aus. Die Zeitverschiebung forderte allmählich ihren Tribut. Über der Rückenlehne hing Adeles Kostümjacke. Sie roch nach ihrem Parfum. Wenn er die Augen schloss, konnte er sich einbilden, Adele säße neben ihm.

Wie viele Abende hatte sie zusammen entspannt auf diesem Sofa verbracht, wenn sie nach dem Essen noch ein Glas Wein getrunken hatten. Und es hatte andere Momente gegeben, in denen ihnen das Sofa weniger entspannten Zwecken gedient hatte …

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er langsam ein und träumte von diesen aufregenden, unvergesslichen Abenden.

Die Küchentür knarzte leise, als Adele sie einen Spalt öffnete. Alles war still. Zu still für ihren Geschmack. In dieser Hinsicht ähnelte Nick einem Kleinkind. Wenn man ihn nicht hörte, führte er normalerweise etwas im Schilde. Aber als sie die Tür vorsichtig weiter aufschob, sah sie ihn auf dem Sofa liegen, tief und selig wie ein Baby schlummernd.

Sogar damit machte er sie wütend. Das durfte einfach nicht wahr sein! Wie konnte er die ganze aufgeladene Atmosphäre zwischen ihnen vergessen und einfach schlafen? Sie selbst stand unter Höchstspannung, als hätte sie zehn doppelte Espresso getrunken. Ein Seufzer entfuhr ihr, als sie ihren Mann betrachtete.

Wenn er schlief, sah er so unschuldig und friedlich wie ein Engel aus. Sein Haar war ein bisschen zu lang, und ständig fiel ihm eine freche Strähne in die Stirn. Wie oft war sie morgens aufgewacht und hatte ihm mit einem Lächeln diese Strähne aus dem Gesicht gestrichen. Fast war sie versucht, zu ihm zu gehen, um es jetzt auch zu tun.

Sie musste hier weg, bevor sie all die Gründe vergaß, weshalb sie Nick Hughes tunlichst auf fünf Meilen Abstand hielt.

Adele nahm ihre Handtasche vom Tresen und schloss leise die Küchentür hinter sich. Minuten später marschierte sie in Mantel, Schal und Handschuhen die Straße entlang. Mitte Februar war es in London üblicherweise kalt und feucht, und dieser Abend bildete keine Ausnahme.

Sie schlug den Weg zu Monas Haus ein. Wie immer, wenn ihr Leben aus dem Gleichgewicht geraten war, brauchte sie ihre beste Freundin. Mona öffnete die Tür, ein Baby auf dem Arm.

„Du meine Güte, Adele! Was ist passiert?“

„Nick!“

Erschrocken schlug Mona die Hand vor den Mund. „Ist er ….? Hatte er einen Unfall?“

„Nein. Schlimmer.“

„Schlimmer, als von irgendwelchen Felsen zu stürzen?“

„Ich habe keine Ahnung, ob er sich in letzter Zeit irgendwo im Gebirge rumgetrieben hat, aber ich weiß, wo er sich in diesem Moment aufhält. Mein Extremsport liebender Ehemann ist quicklebendig und bester Gesundheit in unserer … in meiner Küche eingeschlafen.“

Mona zog die Augenbrauen zusammen und setzte eine grimmige Miene auf. Dann legte sie Adele den Arm um die Schulter und drückte sie fest an sich. „Komm erst mal rein und erzähl mir alles der Reihe nach.“

Adele strich dem Baby über den Kopf und küsste es auf die Wange. Dann folgte sie Mona ins Wohnzimmer.

„Er ist aus heiterem Himmel einfach aufgetaucht.“

„Ohne Vorwarnung?“

Adele zog verächtlich eine Augenbraue hoch. „Was? Nick? Der Mann, der so wenig vorausplanen kann, dass er erst entscheiden kann, was er essen will, wenn ihm der Magen knurrt?“

Mona setzte ihr Töchterchen Bethany auf den Fußboden und gab ihr eine Rassel zum Spielen. „Und was will er von dir?“

Adele zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Ich habe versucht, ihn danach zu fragen, aber er … er war eben ganz der alte Nick. Angeblich will er mit mir reden.“

„Worüber?“

Adele seufzte tief. Ihr sank der Mut. „Ich könnte mir vorstellen, dass er … dass er die Scheidung will“, brachte sie leise heraus. „Das würde erklären, warum er nicht gleich damit herausgerückt ist. Selbst Nick würde nicht einfach nach neun Monaten …“

„Nach neuneinhalb Monaten.“

Adele schloss die Augen für einen Moment und schüttelte den Kopf. „Egal, wie viele Monate … Selbst Nick würde nicht einfach auftauchen und sagen: Hallo, Darling, ich bin wieder zu Hause. Ach, und übrigens, ich will mich von dir scheiden lassen.“

Mona nickte. „Du willst ihm natürlich zuvorkommen.“

Dass sie darüber noch gar nicht nachgedacht hatte, wollte Adele ihrer Freundin gegenüber lieber nicht zugeben. Aber sie hätte natürlich daran denken sollen. Wo blieb ihr alter Kampfgeist?

Mona lehnte sich zurück und musterte sie misstrauisch. „Bitte sag jetzt nicht, dass du ihn zurückhaben willst.“

Diese Frage hätte Adele reflexartig mit Nein beantworten müssen. Natürlich wollte sie ihn nicht zurück. Nicht in hundert Jahren! Sie rieb sich die Schläfen und schwieg.

„Adele?!“

„Ich dachte ja auch, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will, solange er Tausende von Meilen entfernt war. Aber jetzt, seit er wieder da ist … Ich weiß nicht … Scheidung klingt so endgültig.“

„Lass dich bloß nicht wieder von seinem Charme einwickeln, Adele!“

„Keine Angst.“

„Mach mir nichts vor! Ich sehe dir doch an, dass du schwach wirst. Hast du vergessen, wie er dich behandelt hat?“

Nein, sie hatte es nicht vergessen. Im Gegenteil. Sie erinnerte sich lückenlos an den Tag, an dem Nick die Bombe hatte platzen lassen.

Nick entwickelte Spezialeffekte für Film und Fernsehen, und endlich hatte sich seine Arbeit ausgezahlt, nachdem er sich jahrelang finanziell gerade über Wasser gehalten hatte. Wie es schien, war sein Herumbasteln im Gartenschuppen doch nicht so sinnlos gewesen, wie es ihr immer erschienen war.

Jedenfalls hatte er nach einigen erfolgreichen Werbespots das Angebot bekommen, die Effekte für eine kleine unabhängige Filmproduktion zu entwerfen. Der Film war entgegen allen Erwartungen ein Riesenerfolg geworden, und damit war Nicks Name plötzlich in aller Munde gewesen. Adele erinnerte sich nur noch zu gut daran, wie sehr sie sich darüber gefreut hatten. Sie hatte sich sogar mit Nicks seltsamen Arbeitszeiten ausgesöhnt und damit, dass er manchmal für mehrere Tage verschwand, um dann ohne Ankündigung morgens um vier Uhr wieder aufzutauchen. Wenn sie geahnt hätte, was auf sie zukam, wäre ihre Freude vielleicht nicht ganz so groß gewesen.

Eines Tages war Nick in ihr Büro gestürmt und hatte voller Begeisterung die große Neuigkeit verkündet: Er hatte ein Angebot aus Hollywood für einen Science-Fiction-Film bekommen und genau fünf Tage Zeit, um seine Sachen zu packen und sich mit den Produzenten in Kalifornien zu treffen. Danach sollte er praktisch sofort mit der Arbeit beginnen.

Von diesem Augenblick an lief alles schief. Nick hatte mehr oder weniger erwartet, dass ihre kleine Firma von heute auf morgen zumachte und mit ihm nach Amerika ging. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Wurzeln. Ein Zuhause. Ein Ziel. Das wollte sie nicht aus einer Laune heraus aufgeben. Auf keinen Fall!

Es war zu einem Riesenkrach gekommen, und irgendwann hatte sie wütend geschrien: „Wenn dir dein alberner Job so wichtig ist, dann setz dich doch ins nächste Flugzeug! Aber ohne mich!“ Keine Sekunde hatte sie damit gerechnet, dass er sie beim Wort nehmen und tatsächlich nach Hollywood abreisen würde.

Monas Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. „Du musst jetzt stark sein.“

„Ich bin stark“, erwiderte Adele wenig überzeugend. Monatelang hatte sie sich vorgemacht, dass es ihr ohne Nick prächtig ging. Das hatte sie viel Kraft gekostet.

Mona war von ihrem Mann vor zehn Monaten verlassen worden, kurz nachdem ihr zweites Kind auf die Welt gekommen war. Und so waren die Freundinnen praktisch in derselben Situation. Sie hatten sich allwöchentlich in Monas Wohnzimmer getroffen und gemeinsam ihrer Wut auf ihre Ehemänner Luft gemacht.

Es war die schlimmste Zeit in Adeles Leben gewesen, und sie war nicht bereit, Nick die Gelegenheit zu geben, ihr noch einmal so wehzutun.

Sie straffte die Schultern. „Du hast recht. Wozu braucht man Männer überhaupt? Man sollte sie ausstopfen und irgendwo in die Ecke stellen.“

„Richtig so. Was hast du jetzt mit dem Draufgänger vor, der in deiner Küche kampiert?“

Am besten ihn mit einer seiner selbstgebastelten Kanonen auf den Mond schießen!

Eine mehr als verlockende Idee. Darüber sollte sie genauer nachdenken, dann käme sie wenigstens nicht in Versuchung, ihre andere ebenso verlockende Idee in die Tat umzusetzen: nämlich nach Hause zu laufen, ihn wachzuküssen und ihm zu zeigen, wie sehr er ihr gefehlt hatte.

Aber solche Schwächen durfte sie sich nicht erlauben.

Denn er hatte genau das Gegenteil von dem getan, was er ihr einmal versprochen hatte: sie nie zu verlassen. Sie durfte ihm nie wieder eine Möglichkeit geben, sie noch einmal so zu verletzen. Das sagte ihr zumindest ihr Verstand. Ihr Herz sprach eine ganz andere Sprache.

Autor

Fiona Harper
Als Kind wurde Fiona dauernd dafür gehänselt, ihre Nase ständig in Bücher zu stecken und in einer Traumwelt zu leben. Dies hat sich seitdem kaum geändert, aber immerhin hat sie durch das Schreiben ein Ventil für ihre unbändige Vorstellungskraft gefunden.
Fiona lebt in London, doch sie ist auch gern im...
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