Hoffnung ist mehr als ein Wort

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Oh nein, die kleine Libby weint - was jetzt? Elterliche Gefühle sind dem Millionär Travis Callahan ein Rätsel, und als er sich plötzlich um seine kleine Nichte kümmern muss, ist er komplett hilflos! Aber Travis hat Glück, denn seine alte Flamme Kit Wells springt ein. Sie kümmert sich um Libby und zeigt dem Daddy über Nacht, was ein Baby braucht: Fläschchen, Windeln, sehr viel Kuscheln. So lieb und zärtlich macht sie das, dass Travis sie am liebsten auf der Stelle heiraten würde - was nicht geht. Denn Kit ist leider schon mit einem anderen verlobt …


  • Erscheinungstag 30.04.2013
  • Bandnummer 1883
  • ISBN / Artikelnummer 9783954465781
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Aua!“, rief Kit Wells und rieb sich den pochenden Hinterkopf.

Ihr war zwar gelungen, einen ihrer teuersten Ohrringe aus Gold unter Travis Callahans Schreibtisch hervorzufischen. Aber sie hatte sich zu früh aufgerichtet und war dabei an die Tischkante gestoßen.

Sie kniete noch immer auf dem Fußboden, als sich die Bürotür öffnete. Zwischen den Sternen, die vor ihren Augen flimmerten, sah sie auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe und lange Beine in einer schwarzen Anzughose. Sie hob den Blick zum schwarzen Jackett, dem gestärkten weißen Hemd und zur rot gestreiften Krawatte.

Kit schluckte schwer, bevor sie den Mut aufbrachte, das Objekt zu Ende zu mustern. Kurz geschnittenes dunkles Haar, markante Gesichtszüge und Augen in der Farbe von frisch gemahlenem Kaffee machten es amtlich: Der Mann sah umwerfend aus. Sogar noch attraktiver als beim letzten Besuch in ihrer Heimatstadt IdaBelle Falls – dreizehn Jahre war das her.

„Oh, hi!“, murmelte sie mit einem vorsichtigen Lächeln. „Erinnerst du dich an mich? Ich bin Kit. Das Mädchen, das du … na ja, du weißt schon, im Garten deiner Großmutter, unter dem Maulbeerbaum …“

Am liebsten hätte sie sich gegen den bereits schmerzenden Kopf gehauen zur Strafe, weil sie ausgerechnet diese dumme Geschichte zur Sprache brachte. Travis hatte ihr zwar das Herz gebrochen, als er nach Chicago zurückgegangen war. Aber seine technisch ausgereiften Liebkosungen zählten noch immer zu ihren schönsten Erinnerungen auf diesem Gebiet.

Er hatte sogar Brad Foley übertroffen – den zweitklassigen Schauspieler, der ihrem angeknacksten Herzen schließlich den Rest gegeben hatte. Aber das war eine ganz andere Geschichte, die sie besser schnell wieder vergessen wollte.

Inzwischen war Kit mit Levi Petty verlobt, dem Besitzer der Eisenwarenhandlung vor Ort. Was ihm an erotischem Magnetismus fehlte, machte er durch gute alte Familientradition, Wertvorstellungen und Beständigkeit hinreichend wett.

„Brauchst du Hilfe?“

„Ja bitte.“ Sie nahm Travis’ Hand, nur um dies sofort zu bereuen. Es darf nicht wahr sein, dass die Funken immer noch so intensiv überspringen wie damals!? Damals war ich noch ein schlaksiger Teenager und er schon genauso attraktiv wie heute …

Beide Feststellungen schienen vollkommen unangebracht angesichts der Tatsache, wegen welcher wichtigen Sache sie den ganzen Weg von IdaBelle Falls nach Chicago gekommen war. Sie ließ sich von Travis vom Boden hochziehen und riss die Hand zurück, sobald sie wieder auf ihren Flipflops stand.

Nie zuvor hatte sie sich so sehr gewünscht, ebenso vornehm und elegant auszusehen wie jene Frauen, die ihr in dem Bürogebäude begegneten. Sie war jedoch nur als Überbringerin einer Nachricht gekommen und wollte schon am Nachmittag nach Hause zurückfliegen. Also war es ihr sinnlos erschienen, anderweitig benötigtes Geld für ein Outfit auszugeben, um es dann nur ein einziges Mal zu tragen.

„Danke.“ Sie zupfte sich den engen braunen Rock zurecht, bevor sie ihr lockiges dunkles Haar richtete, das sich aus der Spange gelöst hatte.

„Keine Ursache. Und ja, ich erinnere mich an dich und den Maulbeerbaum. Meine Schwester spricht oft von dir – zumindest dann, wenn sie mir nicht von den Meisterleistungen vorschwärmt, die meine kleine Nichte gerade vollbringt.“

Das Lächeln, das er ihr beim Erzählen schenkte, hätte umwerfend wirken können. Doch es schloss seine Augen nicht mit ein. Laut seiner Schwester konnte sich Travis nicht mehr so richtig freuen, seit er den Posten als Direktor von Rose Industries übernommen hatte.

Eine tiefe Trauer befiel Kit bei dem Gedanken an seine Schwester – ihre eigene beste Freundin seit vielen Jahren. Ihm die Hiobsbotschaft persönlich zu überbringen, war zwar sicherlich die richtige Entscheidung, aber es fiel ihr dennoch ungeheuer schwer.

„Würdest du mir bitte erklären, welche Spaßaktion meiner Schwester dich veranlasst hat, in meinem Büro zu campieren?“

Tapfer blinzelte sie die Tränen fort, die ihr in den Augen brannten. Sie musste stark sein. Für Travis und für Libby, seine entzückende Nichte. „Ganz einfach.“ Sie atmete tief durch. „Wir müssen reden.“ Sie rang die Hände. „Und es ist eines von diesen Gesprächen, die man am besten persönlich führt.“

„Das erscheint sinnvoll“, murmelte er sarkastisch und sah sich um, wie wenn er erwartete, dass jede Sekunde jemand auftauchte und rief: Überraschung! „Also? Wo steckt sie?“

„Marlene?“ Ihr Herz begann zu rasen. Ihr Mund war wie ausgedörrt. Sie konnte ihm nicht einfach so im Stehen und im Plauderton die Wahrheit sagen. „Sie ist nicht hier. Ich schlage vor, dass wir uns erst mal setzen, bevor ich dir alles erzähle.“

„Sicher.“ Er musterte sie, als wäre sie ein dreiköpfiges Alien und vor wenigen Sekunden einem Raumschiff vom Mars entstiegen. „Aber vorher muss ich ein Geschäft erledigen.“ Er deutete zum angrenzenden Badezimmer.

„Okay.“ Sie errötete vom Kopf bis zu den korallenrot lackierten Zehennägeln und stolperte zum nächsten Stuhl. „Dann warte ich hier.“

„Danke. Das ist großartig.“

Sobald Travis die Tür zum Waschraum hinter sich geschlossen hatte, atmete er tief durch.

Nach außen hin mochte er wirken, als hätte er stets alles im Leben fest im Griff. Im Innern sah es allerdings ganz anders aus. Nicht, dass er sein Metier, die internationale Welt der Elektronik, nicht hundertprozentig beherrschte. Sein Aufgabengebiet gefiel ihm nur nicht sonderlich – die Beaufsichtigung von Design und Fertigung elektronischer Geräte wie Flachbildfernseher und MP3-Player.

Er übte diese Tätigkeit allein aus Respekt gegenüber seinen Großeltern väterlicherseits aus, die ihn aufgezogen hatten. Mitchell Callahan hatte die Firma zu einer Zeit gegründet, in der ein Grammofon als letzter Schrei gegolten hatte, und sie auf seinem Sterbebett an seinen Enkel übergeben. Travis, damals kurz vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, war nichts anderes übrig geblieben, als zu akzeptieren und die Familientradition fortzusetzen.

Bis vor fünf Minuten hatte er seine Pflicht relativ leidenschaftslos ausgeübt. Deshalb warf ihn die Begegnung mit dem frischen hübschen Mädchen aus seiner Vergangenheit ziemlich aus der Bahn, denn sie weckte geheime Hoffnungen und Träume, die besser verschüttet blieben.

Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, stand er lange am Becken und starrte sich im Spiegel an. Mit etwas Glück fand er sein Büro leer vor, wenn er das Badezimmer verließ. Vielleicht hat ja mein Sicherheitsteam inzwischen mitbekommen, dass die Frau wie für einen entspannten Tag auf dem Jahrmarkt gekleidet ist und ganz bestimmt nichts in den Räumlichkeiten von Rose Industries zu suchen hat.

Travis holte tief Luft und straffte die Schultern. Er wusste, dass seine Erscheinung viele Leute einschüchterte, und hoffte, dass Kit dazugehörte. Sie brachte ihn nämlich aus dem Konzept.

Früher einmal hatte er sich bei ihr und auch in Gegenwart anderer Frauen wohlgefühlt. Bis er seine ehemalige Kommilitonin und Verlobte Natalie mit seinem vermeintlich besten Freund im Bett erwischt hatte. Seitdem hatte er den Frauen zugunsten seiner Karriere abgeschworen. Nun, hin und wieder gönnte er sich langbeinige Gesellschaft – sofern sie sein Penthouse am Lakeshore Drive lange vor Sonnenaufgang wieder verließ.

„Jetzt besser?“, fragte Kit, als er aus dem Badezimmer kam.

Er grinste sie an und verschanzte sich hinter seinem antiken Mahagonischreibtisch. Seltsamerweise führte dieser kleine Schritt tatsächlich dazu, dass er die Kontrolle wiedergewann, die ihm für kurze Zeit entglitten war.

Travis räusperte sich. „Es ist großartig, dich mal wieder zu treffen, aber wie du siehst, habe ich furchtbar viel zu tun.“ Er deutete auf einen hohen Aktenstapel, der schon fast umzukippen drohte. „Also, wo liegt das Problem? Braucht meine Schwester Bares zum Shoppen, weil sie ihre Kreditkarte verloren hat? Wo steckt Marlene überhaupt?“

Obwohl ihre letzte Begegnung über zehn Jahre zurücklag, wirkte der Blick aus ihren grasgrünen Augen immer noch durchdringend und ihr Lächeln nach wie vor bezaubernd. Allerdings verschwand die Fröhlichkeit plötzlich wie die Sonne hinter einer Wolkenbank.

Kit kramte in ihrer Tasche, die wie ein kleiner Picknickkorb aussah, bis sie ein Taschentuch fand. Sie hickste und brach im nächsten Moment in Tränen aus.

„He, ganz ruhig!“ Er ging zu ihr und legte einen Arm um sie – nicht im Entferntesten wie damals, sondern auf strikt brüderliche Weise. Unbeholfen tätschelte er ihr den Rücken. „Bestimmt wird alles wieder gut.“

„Nein. Nie wieder. Ach, Travis, Marlene ist …“

Die Gegensprechanlage summte. „Mr Callahan, Steve Ford von Kline und Foster ist auf Leitung drei.“

Verdammt. Hin- und hergerissen zwischen der schluchzenden Schönheit neben sich und dem bedeutsamen Anruf, wägte Travis ab. Sollte er sich anständig verhalten und der Freundin seiner Schwester helfen? Zweifellos ging es um Geldsorgen oder Beziehungsprobleme. Vorübergehend frustrierend, aber letztendlich lösbar. Oder sollte er die Fusion zum Abschluss bringen, an der er seit über einem Jahr arbeitete und die Rose Industries schlappe fünfzig Millionen netto einbringen sollte?

„Entschuldige“, sagte er zu der Frau, die aus einem anderen Leben zu stammen schien, einem Leben, in dem er noch nicht so abgestumpft und der Welt überdrüssig gewesen war wie heute. „Ich muss diesen Anruf entgegennehmen.“

Sie nickte und schniefte.

Er klopfte ihr noch einmal auf den Rücken und setzte sich an den Schreibtisch.

Fünf Minuten später beendete er das Telefonat. „Geht’s dir wieder besser?“

„Nein“, sagte sie, obwohl sie nickte.

„Nun, falls es sich um Liebesdinge handelt – zweifellos weißt du von Marlene und ihrem losen Mundwerk, dass ich damit nichts anfangen kann. Also werde ich dir gar nicht gut helfen können. Wenn dir allerdings Gläubiger im Nacken sitzen, schaue ich gern nach, was ich für dich tun kann.“

„D…Danke. Keins von beidem trifft zu. Ich wünschte, es wäre anders, aber …“

Erneut meldete sich seine Sekretärin. „Mr Callahan, Helena Liatos ist auf Leitung zwei. Angeblich ist es äußerst dringend.“

„Nur zu“, murmelte Kit, „was ich dir zu sagen habe, kann warten. Deine Schwester ist ja schon gestorben.“

Er telefonierte gut zwei Minuten mit jener Helena, bevor er sie mit seinem Disponenten verband.

Dann wandte er sich wieder an Kit. „Was hast du vorhin gesagt?“

„Tut mir leid, Travis. Ich wollte es dir schonend beibringen, aber …“

„Hör mal, ich weiß, dass ich Marlie nicht oft genug besuche. Und was dich angeht – nun, die Sache zwischen uns war schon bemerkenswert. Aber ich sehe wirklich nicht ein, wieso ihr beide euch das Recht herausnehmt, mir den Tag mit kranken Späßen zu vermiesen.“

„Glaub mir, das ist kein Scherz.“ Sie schluckte schwer. „Es tut mir leid, echt leid. Deine Schwester ist wirklich tot.“

„Wie bitte?“ Fassungslos sprang er vom Stuhl auf. „Red keinen Unsinn!“

Stumm holte sie einen Zeitungsausschnitt aus ihrer Korbtasche und reichte ihn Travis. Unter der Schlagzeile Unfall zerstört junge Familie befanden sich zwei Fotos. Auf einem war ein zerknautschtes Auto zu sehen.

Das andere Foto zeigte seine Nichte Libby und war vor vier Wochen im Einkaufszentrum von Hartsville entstanden. Das wusste er genau, weil Marlene ihm einen Abzug geschickt hatte. Damit er ein schlechtes Gewissen bekam, weil er die Entwicklung seines Patenkindes verpasste.

In seine Gedanken hinein erklärte Kit: „Ich habe auf Libby aufgepasst, damit Marlene und Gary einen Abend für sich haben. Sie sind zu Joe’s Tavern gefahren. Du weißt schon, der Tanzschuppen am Highway 14. Weil Marlene so gern tanzt – getanzt hat.“

Sie schluchzte auf. „Jedenfalls hat Gary den ganzen Abend keinen Tropfen getrunken, aber da draußen wird es oft sehr neblig. Ein Lkw hat die Kurve bei der verlassenen Tankstelle geschnitten. Gary war sofort tot. Marlene hat lange genug durchgehalten, um …“

„Nein!“ Fassungslos schüttelte er den Kopf und stürmte zu der Fensterwand, die einen atemberaubenden Blick auf Lake Michigan bot.

Draußen war es windig und auf dem See wimmelte es von Segelbooten. Travis wollte schon immer segeln lernen, nur fehlte ihm die Zeit dazu. Wenn Marlie endlich nach Chicago zurückkommt, können wir uns ja gemeinsam ein Boot anschaffen mit einem geschützten Deck für Libby und für Gary, der zwar eine Landratte ist, aber trotzdem ein großartiger Kerl …

Travis presste sich die Handballen auf die brennenden Augen und kniff die Lippen zusammen. Einen Moment später sagte er: „Ich habe gerade erst letzte Woche mit Marlie gesprochen. Also kann das da nicht stimmen.“ Er tippte auf den Zeitungsausschnitt. „Ich erinnere mich genau, weil sie mich gedrängt hat, zum 4. Juli nach Arkansas zu kommen. Aber wegen der bevorstehenden Fusion …“

„Die Polizei wollte dich telefonisch informieren. Ich hielt es für besser, es dir persönlich zu sagen.“

„Unsere Großeltern wollten immer, dass sie zurückkommt. Ihr Platz war hier.“

„Ach, sie hat so oft gesagt, dass sie keinen Geschäftssinn hat. Du musst doch wissen, wie sehr sie Gary und ihr Leben in IdaBelle Falls geliebt hat. Sie war glücklich. Mit dir zusammen bei Rose Industries zu arbeiten, war einfach nicht ihr Ding.“

„Wie schön, dass wenigstens sie eine Wahl hatte.“ Während er aus Pflichtgefühl die Firma übernommen hatte, war seine Schwester nach Arkansas gegangen, um sich auf der Farm zu vergnügen, die sie von ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbt hatte.

Zwar hatte er ihr versichert, dass es ihn nicht störte, doch insgeheim hatte er Marlene an seine Seite in der Firma gewünscht. Er vermisste ihre rebellische Ader. Ihren Freigeist, der ihn in ein weniger strukturiertes Leben blicken ließ. „Was glaubt sie eigentlich, woher das Geld kommt, das ihr das relaxte Landleben ermöglicht?“

„Ich weiß, dass du aufgewühlt bist. Trotzdem gibt es dir nicht das Recht, sie schlecht zu machen“, warf Kit ein. „Und nebenbei bemerkt hat sie keinen einzigen Penny von dem Geld ausgegeben, das du ihr geschickt hast – jedenfalls nicht nach der Erstinvestition, die wir für die Gründung der Kindergärten aufbringen mussten.“

„Sie ist nicht tot.“

Sie stand auf und versuchte, ihn in die Arme zu schließen.

Er schüttelte ihre Hände ab und wanderte aufgeregt durch den großen Raum. „Das ist alles nicht wahr!“

„Ich weiß. Ich meine, ich weiß, wie du dich fühlen musst. Ich war auch eine ganze Weile ziemlich verstört. Aber ich musste an Libby denken und …“

„Wo ist sie? Wie geht es dir?“

„Es geht ihr gut. Sie ist bei Garys Eltern.“

Travis stürmte durch das Büro, riss die Tür auf und wies seine Sekretärin an: „Mrs Holmes, lassen Sie unverzüglich den Firmenjet startklar machen.“

Drückende Julihitze flimmerte über der Landebahn, die kaum lang genug war, um das Flugzeug ausrollen zu lassen. Das Terminal bestand nur aus einer besseren Scheune mit der Aufschrift IdaBelle Falls, USA. Ringsumher erhoben sich sanfte grüne Hügel, die von Wäldern gesäumt wurden und in Täler mit saftigem Weideland übergingen.

Travis hatte diesen Ort ein einziges Mal besucht, seit seine Schwester dorthin gezogen war.

Aufgrund der guten Manieren, die ihm in seiner Kindheit eingetrichtert worden waren, half er Kit über die kurze steile Treppe aus dem Flugzeug. Doch seine Gedanken beschäftigten sich mit etwas ganz anderem als ihrer kleinen zerbrechlichen Hand in seiner. Als Marlenes beste Freundin litt Kit sicherlich sehr. Aber wie sollte er sie trösten, wenn er selbst noch nicht einmal wahrhaben konnte, dass seine Schwester wirklich tot war?

Marlene hatte ihn ständig gedrängt, sie zu besuchen. Er sollte einsehen, dass ihr natürliches beschauliches Leben seiner hektischen Betriebsamkeit bei Weitem überlegen war. Sie wollte, dass er ebenso unverfälscht lebte wie sie.

Er hatte ihr nie beibringen können, dass sein Pflichtgefühl ebenso unverfälscht war und ihn dazu zwang, die Firma im Familienbesitz zu halten. Wie oft hatte sie ihn gedrängt, das Unternehmen zu verkaufen und den Rest seines Lebens einfach zu genießen. Seine eigenen Träume zu verfolgen, wie immer diese auch aussehen mochten, anstatt seinem Großvater nachzueifern. Das klang in der Theorie zwar sehr gut, aber sein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl ließ nicht zu, dass er sich in eine Art Gammler verwandelte. Oder dass er auch nur ein geruhsameres Leben in ihrer geliebten Kleinstadt führte.

Sie kann nicht tot sein! dachte er verzweifelt und es kostete ihn seine gesamte Willenskraft, Haltung zu bewahren.

Seit ihrer Kindheit hatte er auf Marlene aufgepasst. Ihre Eltern waren jung gestorben, ihr abenteuerlustiger Vater hatte sich beim Drachenfliegen den Hals gebrochen. Travis war damals dreizehn gewesen, Marlene zehn. Drei Jahre später war ihre Mutter bei einem Gothic-Konzert, das sie mit ihrem zwanzig Jahre jüngeren Freund besucht hatte, an einer Überdosis gestorben.

Der frühe Tod der Eltern war tragisch. Trotzdem, so gefühllos es auch wirken mochte, hatte es Travis und Marlene kaum an etwas gemangelt. Sie waren von ihren Großeltern und zahlreichem Hauspersonal großgezogen worden.

Sie hatten einander Halt geben. Obwohl Marlene ihn oft genervt hatte, war sie von ihm und seinen Freunden zumeist wie ein niedliches Maskottchen geduldet worden.

„Da ist Levi!“ Kit lief voraus zu einem großen schlanken Mann, der mit verschränkten Armen neben einem schlammverschmierten roten Pick-up stand.

Während des einstündigen Fluges hatte Travis erfahren, dass dieser Levi der Verlobte von Kit, der Besitzer der einzigen Eisenwarenhandlung in der Stadt und offensichtlich ein perfekter Mann war. Er hatte Marlene und Kit geholfen, die große rote Scheune zu renovieren und darin den neuesten von insgesamt sechs Kindergärten in umliegenden Kleinstädten einzurichten. Kit pendelte als Springerin und Geschäftsführerin zwischen den Kindertagesstätten hin und her. Marlene war neben ihrer Tätigkeit als Erzieherin für die Buchhaltung zuständig gewesen.

Travis unterdrückte ein Stöhnen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund störte er sich gewaltig daran, dass Levi besitzergreifend die Arme um Kit legte und ihre Lippen küsste.

In seinem Büro hatte Travis abgewehrt, von Kit umarmt zu werden. Doch nun, allein auf der heißen Landebahn, die nach Treibstoff stank, hätte er ein wenig Zuwendung gut gebrauchen können. So weit entfernt von seinem Schreibtisch fühlte er sich nicht mehr wie ein mächtiger Direktor. Er kam sich stattdessen wieder wie der sechzehnjährige Junge vor, der vor über einem Jahrzehnt auf diesem Flughafen angekommen war, um seine Großmutter mütterlicherseits zum zweiten Mal in seinem Leben zu sehen.

Er erinnerte sich an sie als eine schlichte warmherzige Frau, die in einem baufälligen zweistöckigen Haus mit mehreren Nebengebäuden lebte. Am Tag nach seiner Ankunft hatte sie ihm das Nachbarskind vorgestellt – eine langbeinige Brünette namens Kit, deren Reize ihn vom ersten Moment an fasziniert hatten.

Einen wunderschönen Sommer lang hatte er sich der kleinen Stadtgemeinde zugehörig gefühlt. Kit war seine erste große Liebe. Verdammt, vielleicht seine einzige wahre Liebe. Und diese Gefühle beschränkten sich nicht auf das rein Körperliche. Alles an ihr, von ihrem niedlichen Dialekt über die lässige Kleidung hin zu dem ungehemmten Lachen, stand in krassem Gegensatz zu seiner eigenen steifen und strengen Erziehung. Ihr unbekümmerter Geist begeisterte ihn schon seit der ersten Begrüßung.

Kit und ihrer schlichten Lebensart Adieu zu sagen, an einem sengend heißen Sonntag im August, zählte zu den schwersten Dingen, die er je getan hatte. Sie hatten einander fest versprochen, sich zu schreiben. Aber er war von den Jungs in seiner Privatschule gnadenlos gehänselt worden wegen seiner Sommerliebe. Nach einigen wenigen Briefen hatte er sich dem Druck gebeugt, was ihn immer noch zutiefst beschämte. Er musste Kit, den magischen gemeinsamen Sommer und seine ungestillte Sehnsucht verdrängen, mit ihr zu einer Familie gehören zu wollen.

Und nun stellte ausgerechnet Kit das einzige greifbare Bindeglied zu allem dar, was ihm vertraut war. Sicher, da war Libby, aber sie kannte ihren Onkel Travis doch kaum. Trotzdem sollte er durch den tragischen Schicksalsschlag von diesem Moment an die Vaterrolle übernehmen. Doch wie konnte er gut für das kleine Mädchen sorgen, wenn er nicht einmal mit sich selbst im Reinen war?

„Hallo“, sagte Levi und streckte eine schwielige Hand aus. Er trug verblichene Jeans, ein rotes T-Shirt und eine Baseballkappe. „Du musst die Geschäftskanone sein, von der Marlene ständig geredet hat.“

Hat sie mich wirklich so gesehen? fragte Travis sich. Er zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte Levi die Hand.

„Tut mir leid um Marlene und Gary. Sie waren ein großartiges Paar. Alle mochten sie.“

Travis’ Kehle schnürte sich zu.

Zum Glück drängte Kit: „Wir sollten jetzt aufbrechen.“

„Stimmt.“ Levi nahm die schwarze Reisetasche, stellte sie auf die Ladefläche und stieg ein. „Ich habe den alten Ben im Laden gelassen und du weißt ja, wie er sich immer in seine Fernsehserien vertieft und darüber glatt vergisst, dass wir Kundschaft haben.“

Auf dem Weg zur Beifahrerseite fragte Travis: „Warum wirfst du den Fernseher nicht raus? Oder den alten Ben?“

„Ganz einfach, während die Männer bei mir einkaufen, sehen deren Frauen bei mir fern. Ich gebe ihnen Popcorn mit Kokosnussöl zu kosten, das ich auch verkaufe. Seit es den Fernseher und die Snacks gibt, sind die Umsätze um dreißig Prozent gestiegen!“

„Nicht schlecht.“ Travis zog sich das Jackett aus und rollte die Hemdsärmel hoch, bevor er sich neben Kit in die kleine Fahrerkabine zwängte.

„Wohin?“, fragte Levi.

Kit sagte: „Travis will Libby sehen.“

Levi fuhr los und murmelte: „Du bist anscheinend ganz schön tapfer oder ziemlich dumm.“

„Wieso?“ Travis lockerte seine Krawatte und wünschte, er hätte Mrs Holmes beauftragt, einen Leihwagen zu reservieren. Kit so nahe zu sein, war nicht gut. Selbst bei dieser Hitze duftete sie nämlich sehr reizvoll. Wie die Wiese, auf der sie am Tag nach ihrem allerersten Kuss ein Überraschungspicknick für ihn veranstaltet hatte.

Ohne sein Unbehagen zu bemerken, lachten Kit und Levi lauthals.

Sie tätschelte Travis’ Oberschenkel und erhöhte dadurch nur noch sein Unwohlsein. „Die Begegnung mit Garys Eltern – vor allem seiner Mutter – dürfte ein wahres Erlebnis für dich werden!“

2. KAPITEL

„Den Teufel wirst du tun! Du bringst meine einzige Enkeltochter keinen einzigen Meter aus dieser Stadt!“

Beulah Redding, Marlenes Schwiegermutter, erwies sich als Original. Sie war gut eins siebzig groß und fast hundertfünfzig Kilo schwer, besaß eine üppige hellblonde Lockenpracht und eine schier endlose Sammlung an Windmühlen jeglicher Form und Größe. Darunter befanden sich sogar drei echte Exemplare im vorderen und fünf im rückwärtigen Garten.

Das Haus war makellos gepflegt, ebenso wie die sechs Monate alte Libby. Sie trug einen niedlichen rosa Strampelanzug, die dunklen Locken glänzten, die zarte Haut duftete nach Babypuder.

Travis setzte sich auf ein blaues Samtsofa in dem pfirsichfarben gestrichenen Wohnraum. „Laut Testament deines Sohnes und meiner Schwester, die mir eine Kopie zur Verwahrung geschickt hat, soll im Falle …“ Er konnte sich nicht dazu durchringen, es auszusprechen. „… für den Fall, in dem wir uns jetzt befinden, hat Marlene ausdrücklich mich zu Libbys Vormund ernannt.“

Kit, die auf einer geblümten Couch neben einem gurgelnden Springbrunnen mit Windmühle hockte, wirkte genauso beklommen, wie er sich fühlte. Zum Glück hatte Levi sich in seinem Laden absetzen lassen, um den alten Ben zu beaufsichtigen.

Beulah beförderte Libby in eine Babyschale mit lauter quietschenden Gegenständen und Knöpfen zum Drücken, bevor sie auf den Sessel gegenüber dem Sofa sank. „Es ist mir egal, was in diesem Testament steht. Ich weiß tief in meinem Herzen, was mein Sohn wollte, nämlich dass ich und sein Vater Libbys Vormund werden. Damit sie mit unseren Wertvorstellungen aufwächst – und nicht mit deinem Großstadtgehabe!“

Im Stillen zählte Travis bis zehn wie in einer schwierigen geschäftlichen Verhandlung. Dann setzte er dieses selbstbewusste Lächeln auf, das sich kürzlich bei einem Fotoshooting für die Titelseite einer Zeitschrift äußerst bewährt hatte. „Auch wenn ich deine Interpretation des Testaments ebenso respektiere wie den ordentlichen Zustand dieses Hauses, muss ich betonen: Ich kann Libby Dinge bieten und beibringen, die hier in IdaBelle Falls niemals möglich wären, den Eiffelturm, die Cheopspyramide, den Broadway.“

Beulah reckte das Kinn vor. „Ich kann ihr zeigen, wie man mein preisgekröntes Gemüse einlegt. Wie man sich nicht übers Ohr hauen lässt, wenn man Windmühlen im Internet kauft.“

Er räusperte sich. „Das ist ja alles gut und schön, aber bei mir bekommt sie eine Ausbildung, mit der sie sich auf der ganzen Welt sehen lassen kann.“

Sie richtete sich auf. „Willst du damit andeuten, dass unsere Lehrer hier vor Ort schlecht sind? Dann frag doch mal in deiner ach so tollen Großstadt nach, wie viele dort nach der Highschool weiter aufs College gehen. Bei uns sind es fünfunddreißig von fünfzig und die meisten haben ein Stipendium!“

„Eine eindrucksvolle Statistik. Aber ich habe meinem Firmenanwalt das Testament vorgelegt und der hat mir versichert, dass ich einen Rechtsanspruch darauf habe, Libby mitzunehmen, wohin auch immer es mir gefällt.“

„Nichts gegen deinen superschlauen Anwalt, aber ich fechte das Testament trotzdem an“, konterte Beulah mit einem zuckersüßen Lächeln. „Mein Rechtsbeistand hat eine richterliche Verfügung erwirkt, die dir verbietet, meine Enkeltochter außerhalb der Bezirksgrenze zu bringen, solange ein Gericht nicht beide Parteien angehört hat. Was bedeutet, dass sie bei mir bleibt, bis eine formelle Entscheidung gefällt wird.“

Travis ballte die Fäuste und rang mühsam um Selbstbeherrschung. Er stand auf und ging die fünf Schritte zu Beulahs Sessel. „Ich habe nicht die Absicht, einen hässlichen Streit anzuzetteln, aber meine Schwester hat Kit auf dem Sterbebett gesagt, dass ich Libby aufziehen soll. Ich habe meine Schwester sehr geliebt und werde ihren Wunsch daher erfüllen.“

„Ach ja?“ Beulah stand ebenfalls auf. „Und weil du sie so sehr geliebt hast, hast du Libby seit ihrer Geburt erst ein einziges Mal gesehen? Und das nur, weil Marlene und mein Sohn sie zu dir gebracht haben! Sie kennt dich überhaupt nicht. Ich dagegen habe mich von Anfang an mehrmals in der Woche um sie gekümmert. Was meinst du also, wer am besten geeignet ist, für die Kleine zu sorgen?“

Sie holte tief Luft, bevor sie fortfuhr: „Ich, ihre liebevolle Großmutter, die bereits ein eigenes Kind aufgezogen hat? Oder du, ein Junggeselle, der so mit sich selbst beschäftigt ist, dass er nicht mal gelegentlich einen Besuch bei seiner angeblich so geliebten Schwester einlegen konnte? Und noch etwas – hast du in deinem ganzen Leben schon mal eine Windel gewechselt? Geschweige denn ein Fläschchen hergerichtet oder eine Ladung Wäsche gewaschen? Frank und ich sind Libbys Familie. Kennst du bei deiner Vorgeschichte überhaupt die Bedeutung von Familie? Ich wette …“

„Das reicht, Beulah.“ Ein älterer Mann betrat das Zimmer und reichte Travis die Hand. „Ich bin Frank Redding. Ich würde ja gern sagen, dass es mich freut, dich kennenzulernen, aber ehrlich gesagt wäre mir die Begegnung mit einer Grubenotter lieber.“

Ganz meinerseits. Travis biss die Zähne zusammen. Nicht, dass er jemals mit einer Schlange aneinandergeraten war, doch der Vergleich beleidigte ihn trotzdem. Noch mehr störte ihn, wie sehr ihm Beulahs verbale Angriffe an die Nieren gingen. Ich weiß verdammt gut, was Familie bedeutet! Es war keine Selbstsucht, die mich all die Jahre von IdaBelle Falls ferngehalten hat, sondern ein weit, weit tiefer gehendes Gefühl.

Libby begann zu weinen.

Kit, die ihr am nächsten war, hob sie aus dem Sitz. „Also wirklich, Beulah, da lässt du dich lang und breit darüber aus, dass du eine Expertin in Sachen Familie und Babys bist, und dann erschreckst du die arme Kleine mit deiner lauten Stimme!?“

„Tut mir leid. Aber ich kann es einfach nicht ertragen, dass dieser Fremde mit meinem kleinen Schatz nach Chicago verschwinden will, um sie von Kinderfrauen erziehen zu lassen.“

Frank legte ihr einen Arm um die zitternden Schultern und murmelte: „Es wird alles gut.“

Libby schrie inzwischen wie am Spieß.

Autor

Laura Marie Altom
Laura Marie Altom begann mit 12 Jahren Ihre Jugendfantasien, die sie im Kopf hatte, aufzuschreiben. Es wurde 1 Seite am Tag und sie hörte damit auf, als das, was bisher Fantasie war im realen Leben anfing tatsächlich abzulaufen. Ihre ersten Teenagerromanzen, die ihr real mehr...
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