1. KAPITEL
Savannah Williams drehte sich auf die Seite und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Helles Sonnenlicht drang durch die leichten Vorhänge in den Raum, aber ihr war nicht nach Aufstehen zumute. Nicht nach dem langen und anstrengenden Flug gestern. Nach mehreren Umleitungen und Verspätungen war sie erst weit nach Mitternacht endlich in New York gelandet – und das, wo sie schon im Morgengrauen aufgestanden war, um an der Westküste einen frühen Flug zu erwischen.
In der Wohnung war alles still, also kuschelte sie sich ins Kopfkissen und versuchte wieder einzuschlafen. Bei Gelegenheit musste sie unbedingt mal ein Verdunklungsrollo am Schlafzimmerfenster anbringen, damit sie in solchen Fällen unabhängig von der Tageszeit ausschlafen konnte.
Das Klingeln des Telefons verhinderte das endgültig.
„Verflixt noch mal!“ Sie warf die Decke zurück und tastete sich geblendet ins Wohnzimmer, wo das Festnetztelefon auf der Ladestation stand. Ihr Handy hatte sie wohlweislich ausgeschaltet.
„Wehe, es ist nicht wichtig“, meldete sie sich ungnädig.
„Guten Morgen, Savannah, hier ist Stephanie. Hattest du eine gute Reise?“
Die fröhliche Stimme ging ihr auf die Nerven. „Die Kreuzfahrt war ganz okay, aber leider hat es zwei Tage geschneit. Gemütlich in der Sonne zu liegen, während die Kinder schlafen, war also nicht drin. Außerdem waren die beiden Süßen von Dr. und Mrs Lightower leider nicht die Engelchen, als die ihre Eltern sie dargestellt hatten. Meine Güte, was für verzogene Kinder! Ich war richtig froh, als die Zeit endlich rum war. Der Heimflug war grauenvoll! Man hat mich von Alaska über Los Angeles nach Dallas und dann nach Chicago geschickt, und einen Moment lang sah es so aus, als ginge es auch noch über Atlanta, aber der Flughafen wurde wegen einer Wetterfront geschlossen, also musste ich nur noch einmal in Boston umsteigen. Um zwei Uhr früh war ich endlich zu Hause. Und eigentlich wollte ich heute Morgen ausschlafen!“
Den letzten Satz hatte sie ziemlich laut gesagt, doch Stephanie kicherte nur, statt Mitgefühl zu zeigen.
„Ach, du Arme“, sagte sie belustigt. „Gleich kannst du weiterschlafen. Aber vorher muss ich dir sagen, dass du einen neuen Auftrag hast. Der Kunde hat sogar seine Reise verschoben, damit er dich dafür buchen kann. Das müsste dir Spaß machen – nur ein Mädchen im Teenageralter. Die Eltern sind geschieden, die Mutter hat das Sorgerecht. Den Sommer verbringt die Tochter beim Vater. Er möchte seine Bindung zu ihr stärken.“
„Wo?“, fragte Savannah ungeduldig. Je länger Stephanie auf sie einredete, desto wacher wurde sie. Und dabei hatte sie frei, wollte einfach nur ausschlafen und sich danach entspannen, bevor sie den nächsten Auftrag von Vacation Nannies annahm.
„Sie wollen zum Wandern in die Sierras.“
Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster, aus dem man Hochhäuser, etwas Himmel und in der Ferne ein Stückchen vom Hudson River sah. Das gegen eine wildromantische Bergwelt einzutauschen, klang nicht so schlecht. Aber Wandern?
„Wieso bekommt Stacey immer die Aufträge, bei denen sie am Mittelmeer am Strand liegen kann, und ich muss zum Campen in die Berge und einen schweren Rucksack schleppen?“
„Weil du ein Glückspilz bist“, erwiderte Stephanie ungerührt. „Außerdem bist du nun mal unsere Expertin für rebellische Teenager.“
„Ach herrje, auch das noch. Wann ist das Treffen?“
Bei Vacation Nannies lernten sich Kunden und Kindermädchen vorher kennen, dann mussten beide dem Auftrag zustimmen. Normalerweise kamen daher während der Reisen immer alle gut miteinander aus. Bei den Lightower-Kindern hatte sie mit ihrer ersten Einschätzung leider völlig danebengelegen. Wer hätte gedacht, dass sich Kinder beim ersten Treffen so verstellen und sich dann auf der Reise in kleine Monster verwandeln konnten?
Natürlich war sie auch damit fertig geworden, doch die Kreuzfahrt war deshalb nicht so entspannt gewesen, wie sie gehofft hatte.
„Das Vorgespräch ist am Freitag. Wenn alles klappt, fahrt ihr nächste Woche und seid drei Wochen unterwegs“, erklärte Stephanie.
„Wie alt ist das Mädchen?“ Savannah hatte bei ihrer Ausbildung zur Erzieherin die Teenagerpädagogik als Spezialgebiet gewählt. Zu jungen Menschen, die in diesem Alter sich selbst und die ganze Welt nicht leiden konnten, hatte sie einen besonderen Draht.
„Vierzehn“, erwiderte Stephanie. „Sie wohnt hier in New York.“
Savannah hörte Papierrascheln. Offenbar ging Stephanie die Gesprächsnotizen durch. Seufzend ließ sie sich aufs Sofa sinken. Das mit dem Ausschlafen konnte sie wohl vergessen.
„Die Details können wir später besprechen“, sagte sie. „Noch irgendwas Wichtiges, was ich wissen muss?“
„Hast du Wanderschuhe?“
„Klar. Letzten Herbst war ich doch in den Adirondacks, zum Indian Summer. Es war herrlich, und die Schuhe, die ich mir dafür gekauft hatte, sind jetzt prima eingelaufen.“
„Sehr gut, dann werde ich also den Termin für Freitag um elf bestätigen. Da ist nur noch eine Kleinigkeit, die du wissen solltest …“
Alarmiert setzte Savannah sich auf. „Nämlich?“
„Der Vater ist Declan Murdock.“
Savannah wusste, dass Stephanie den Atem anhielt und auf ihre Reaktion wartete.
„Tja, dann wird es wohl nichts“, erklärte sie rundheraus.
Ausgerechnet Declan Murdock? Sie hatte ihn seit sieben Jahren nicht gesehen. Sieben lange, einsame Jahre, in denen sie versucht hatte, den Mann zu vergessen, der ihre erste und einzige große Liebe gewesen war und der ihr nach allen Regeln der Kunst das Herz gebrochen hatte.
„Er hat ausdrücklich nach dir gefragt.“
„Das wundert mich.“ Und traf sie tief. Sie sollte auf die Tochter aufpassen, wegen der er sie verlassen hatte?
„Wieso will er ausgerechnet zum Wandern? Warum bleibt er nicht mit Jacey in New York? Hier können sie ins Theater gehen, zum Shoppen, an den Strand. Hier kann er seine Bindung zu ihr auch vertiefen.“
„Ich frage doch nicht danach, warum unsere Kunden tun, was sie tun. Freitagvormittag bei ihm im Büro. Du weißt wohl noch, wo es ist.“
Damit legte Stephanie auf, bevor Savannah noch etwas sagen konnte.
Genervt stellte sie das Telefon zurück auf die Ladestation. „Und dafür musste ich jetzt aufstehen?“
Declan Murdock. Sie hatte so lange nicht an ihn gedacht – na ja, mindestens seit einem Jahr. Leider hatte sie ihn nicht so schnell vergessen können, wie er offenbar sie. Ihre Trennung hatte sie unglaublich verletzt. Während sie mit einem Heiratsantrag von ihm gerechnet hatte, war er zu seiner Exfrau zurückgekehrt, als er erfuhr, dass er eine Tochter mit ihr hatte.
Jahrelang hatte sie immer wieder über dieses letzte Treffen nachgedacht, hatte jedes Wort analysiert, sich den Kopf darüber zerbrochen, ob sie etwas hätte tun können, um seine Entscheidung zu ändern.
„Schnee von gestern“, murmelte sie und ging um den Frühstückstresen herum in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Glaubte Stephanie wirklich, sie würde den Job annehmen und drei Wochen mit Declan und seiner Tochter verbringen?
„Da kann sie mich auch gleich fragen, ob ich mir ein Messer ins Herz ramme“, schimpfte sie vor sich hin, während die Kaffeemaschine blubberte.
Niemand konnte ihr einen Vorwurf machen, wenn sie sich weigerte, für den Mann zu arbeiten, der ihr das Herz gebrochen hatte.
Geschieden war er also. Zum zweiten Mal von derselben Frau. Wie war das passiert? Declan war so entschlossen gewesen, seiner neu entdeckten Tochter zuliebe der Ehe noch eine Chance zu geben.
Und sie hatte seitdem alle Männer mit ihm verglichen – meist zu deren Nachteil.
Vielleicht sollte sie die Lightowers fragen, ob sie sie nicht noch länger brauchten – selbst eine weitere Woche mit den verzogenen Monstern kam ihr verlockender vor als ein Treffen mit Declan.
Mit der Kaffeetasse in der Hand ging sie zurück zum Sofa und schaute aus dem Fenster. Ob er sich wohl sehr verändert hatte? Sie hatte gehört, wie erfolgreich seine Sportartikelfirma geworden war.
Aber wieso war er geschieden? Das interessierte sie schon. Sollte sie das Risiko eingehen, ihn wiederzusehen? Ihre Gefühle für ihn waren längst erloschen. Was Männer anging, war sie insgesamt viel vorsichtiger und abgeklärter geworden.
Sie war so verliebt in ihn gewesen – und hatte gedacht, er hätte dasselbe empfunden. Doch dann hatte er sich für seine Exfrau entschieden, die Jahre nach der Scheidung wieder in seinem Leben aufgetaucht war – mit einer siebenjährigen Tochter, deren Vater er angeblich war.
Er hatte einen Vaterschaftstest machen lassen. Als sich herausstellte, dass Jacey wirklich seine leibliche Tochter war, hatte er beschlossen, zu seiner Exfrau Margo zurückzukehren. Kein Wort mehr von seiner großen Liebe zu Savannah. Von jetzt auf gleich hatte er beschlossen, dass Jacey eine glückliche Familie mit Mutter und Vater brauchte, und hatte Margo noch einmal geheiratet.
Die College-Studentin, die ihn anbetete, hatte er einfach hinter sich gelassen. Genau wie ihre gemeinsamen Pläne und Träume.
Er hatte sich mit ihr in einem Coffeeshop getroffen, um ihr seine Entscheidung mitzuteilen. Danach war Savannah aufgestanden, hatte ihm alles Gute gewünscht und war gegangen. Sie hatte es tatsächlich geschafft, erst zu weinen, als sie wieder alleine zu Hause war.
Was war also aus seiner schönen Idee einer heilen Familienwelt geworden? Wieso versuchte er jetzt wieder, Kontakt zu ihr aufzunehmen?
Ihre Neugier gewann die Oberhand. Sie würde zu dem Treffen gehen. Es würde kein Spaß werden, davon war sie überzeugt, aber immerhin stand der Ruf von Vacation Nannies auf dem Spiel. Sie wollte nicht, dass er schlecht über die Firma redete, weil sie den Termin nicht einhielt. Und was konnte schon passieren? Sie war seit Langem über ihn hinweg.
„Du wirst mich nicht aus der Ruhe bringen, Declan Murdock“, murmelte sie. „Du bist mir wirklich völlig egal.“
Am Freitag wählte Savannah ihr Outfit besonders sorgfältig. Sie war nicht mehr die unerfahrene College-Studentin, die mit einem aufstrebenden Geschäftsmann ausging. Sie war jetzt selbst eine erfolgreiche Geschäftsfrau und erfahrene Nanny. Sie entschied sich für das schickste Business-Ensemble, das sie im Schrank hatte, und stylte ihr kurzes Haar mit Gel zu der flotten Frisur, die sie am liebsten trug. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Mit der dunkelblauen Tuchhose, der weißen, taillierten Bluse und dem teuren, bunten Seidenschal wirkte sie erwachsen, selbstbewusst und trotzdem feminin.
Sie und Stacey hatten lange gebraucht, bis sie ihre Geschäftsidee Vacation Nannies endlich umsetzen konnten. In ihrem letzten Collegejahr hatte sie deshalb vor allem der Kurs „Firmengründung mit kleinem Budget“ interessiert, gehalten vom dem Gastdozenten Declan Murdock, der selbst gerade eine Sportartikelfirma gegründet hatte.
Sie hatte an seinen Lippen gehangen. Zuerst, um alles über Firmengründungen zu lernen, dann, weil der Mann selbst sie so interessierte. Als er sie zum Essen einlud, hatte sie nicht gezögert. Natürlich verstieß es gegen die College-Regeln, dass Studenten und Dozenten miteinander ausgingen, aber als Gastdozent gehörte er ja nicht wirklich zur Fakultät.
Er war nur ein paar Jahre älter als sie, und sie hatte sich von seinem Enthusiasmus für Firmengründungen anstecken lassen und seine vielen Tipps dankbar angenommen. Nach einer Weile waren ihre Gespräche immer persönlicher geworden, und um Weihnachten herum hatte Savannah sich ernsthaft in ihn verliebt. Sie hatten davon gesprochen, gemeinsam zum Windsurfen zu gehen, sie hatten im Central Park Badminton gespielt und waren Rollerblades gefahren. Wenn es regnete, hatten sie Museen und Galerien besucht, hatten jede Minute miteinander genossen.
Ungeduldig schüttelte sie den Kopf, um die ungebetenen Erinnerungen zu vertreiben. Das alles spielte bei dem Termin heute keine Rolle. Sie würde Declan treffen, den Job ablehnen und wieder nach Hause fahren.
Sie verließ die Wohnung, winkte ein Taxi heran und gab dem Fahrer die Adresse, die sie noch auswendig wusste. Damals hatte sie ihn oft abends in der Firma abgeholt. Es ärgerte sie, dass ihr diese Dinge alle wieder einfielen, seit Stephanie sie angerufen hatte.
Aber wenigstens war sie jetzt endlich über ihn hinweg. Viel zu lange hatte sie einem Mann nachgetrauert, der bereit gewesen war, eine Frau zu heiraten, die er nicht mehr liebte, um eine Tochter glücklich zu machen, die diese Frau ihm die ersten sieben Jahre ihres Lebens vorenthalten hatte.
Vielleicht benahm er sich ja so unmöglich, dass sie den Auftrag rundheraus ablehnen konnte. Das war nicht sehr wahrscheinlich, aber hoffen konnte sie ja darauf. Sie musste sich irgendwie möglichst elegant aus der Affäre ziehen. Vacation Nannies lebte von Empfehlungen, und er bewegte sich jetzt in so hohen Kreisen, dass es der Firma schaden würde, wenn er schlecht von ihr sprach. Und wenn er sie weiterempfahl, würde ihnen das sicher einige neue Kunden bringen.
Ihr Geschäftssinn schaltete sich ein: Drei Wochen, das war doch gar nicht so lange. Gerade mal einundzwanzig Tage. So lange konnte sie es in jedem Job aushalten.
Als Savannah das Firmengebäude betrat, fielen ihr sofort die Veränderungen auf. Sie nannte der Empfangsdame ihren Namen und wurde gebeten zu warten. Interessiert blickte sie sich um. Der Empfangsbereich war größer als damals und topmodern gestaltet. Wie es sich für eine erfolgreiche Firma gehörte.
Lass die Leute glauben, dass du erfolgreich bist, und du wirst erfolgreich sein, das war einer seiner Wahlsprüche gewesen.
Immerhin hatte sie in seinem Kurs wertvolle Geschäftspraktiken gelernt, von denen Vacation Nannies von Anfang an profitiert hatte. Zum Beispiel die Sache mit der Adresse. Zwar zahlten sie für das winzige Firmenbüro in der besten Lage eine horrende Miete, doch sie zogen dadurch auch gutsituierte Kunden an, die sich von solchen Details beeindrucken ließen.
Das Konzept, gut ausgebildete Nannies speziell für die Urlaubszeit und Ferienreisen anzubieten, hatte sofort überraschenden Erfolg gehabt. Sie und ihre Schwester Stacey waren auf die Idee gekommen, weil sie selbst gern reisten und möglichst viel von der Welt sehen wollten. Da ihnen dafür das nötige Kleingeld fehlte, hatten sie Vacation Nannies gegründet.
Nach Savannahs College-Abschluss als Erzieherin und einigen Business-Kursen hatten sie sich ins kalte Wasser gestürzt. Schon bald hatten sie die zahlreichen Anfragen nicht mehr allein bewältigen können und Stephanie für die Organisation eingestellt. Inzwischen beschäftigten sie zwölf weitere ausgebildete Nannies, die während der Sommermonate alle ständig ausgebucht waren.
Um zu vermeiden, dass Kinder, Eltern und eine Nanny aufeinandertrafen, die sich unsympathisch waren, hatten sie die Kennenlerntreffen eingeführt. Bis jetzt war es nur ein paar Mal dazu gekommen, dass entweder die Nanny oder die Eltern danach abgesagt hatten. Savannah verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dass es nun ihretwegen wieder passierte.
Je länger sie warten musste, desto nervöser wurde sie. Was wollte sie hier überhaupt? Sie würde auf keinen Fall drei Wochen mit Declan verbringen. Oder mit seiner Tochter.
„Mr Murdock lässt bitten“, verkündete die Empfangsdame, kam hinter ihrem Tresen hervor und bedeutete Savannah, ihr zu folgen.
Ihre geschmeidigen Bewegungen und durchtrainierte Figur waren beeindruckend. Eine gute Werbung für die Qualität von Murdock Sportartikeln.
Im Gehen zupfte Savannah ihre Bluse zurecht. Sie wollte so perfekt wie möglich aussehen. Hoffentlich erinnerte sich Declan nicht mehr an die lässigen Klamotten, die sie zu Collegezeiten getragen hatte. Aber ihre Familie war nun mal nicht reich gewesen, und sie und Stacey hatten sich keine großen Shoppingtouren leisten können. Das hatte sich allerdings nach der Eröffnung von Vacation Nannies schnell geändert. Jetzt genossen sie es, Markenkleidung einzukaufen und regelmäßig zur Kosmetikerin und zum Friseur zu gehen. Seitdem trug sie ihr Haar auch nicht mehr lang wie Stacey. Sie liebte ihren kurzen, kessen Look, der meist auch bei den Kindern gut ankam. Ein weiterer Vorteil war das schnelle Styling. Wenn sie viel in der Sonne war, bleichte ihr natürliches Blond zu einem Silberblond, was ihr zusammen mit ihrem gebräunten Teint ein exotisches Aussehen gab. Ja, sie war zufrieden mit sich und ihrer Welt. Und sie würde es Declan Murdock zeigen.
Die Empfangsdame übergab sie an Declans Sekretärin, die sie weiter zu seinem Büro führte. Es lag noch immer im hinteren Bereich des Komplexes, doch die Inneneinrichtung aus Chrom, Leder und Edelholz war eine große Verbesserung gegenüber der, die Savannah von früher kannte. Offensichtlich hatte er von seinen Businesstipps selbst am allermeisten profitiert.
„Savannah“, sagte er, als die Sekretärin sie hereinführte. Er stand hinter seinem Schreibtisch und betrachtete sie unverhohlen.
Savannah hielt unwillkürlich den Atem an. Er hatte sich nicht verändert. Sie hatte ganz vergessen, wie groß er war – jedenfalls im Vergleich zu ihren eins fünfundsechzig. Declan dagegen wirkte mit seinen durchtrainierten eins achtzig beeindruckend. Er schien in den letzten sieben Jahren nicht gealtert zu sein. Sein dunkles Haar war noch immer ohne graue Fäden, seine dunkelbraunen Augen strahlten wie früher, als er sie sah.
Einen Moment lang fühlte sie sich so schüchtern wie die verliebte College-Studentin von damals. Sie nickte ihm zu und versuchte, Haltung zu bewahren. Warum musste er auch noch immer so verflixt gut aussehen? Er hätte doch auch eine Glatze und einen Bierbauch bekommen können …
„Hallo, Declan“, sagte sie und war stolz auf ihre feste Stimme. Sie hatte nicht gestottert oder ihn mit einer Ohrfeige begrüßt. Mit dem wohligen Schauer, der sie bei seinem Anblick überlief, hatte sie allerdings auch nicht gerechnet.
Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. Er war ein potenzieller Klient wie jeder andere. Wenn sie doch nur die Vergangenheit einfach vergessen könnte! Warum mussten sich ausgerechnet jetzt ihre lang verdrängten Gefühle melden?
„Connie, bitte Kaffee für uns beide“, sagte er zu seiner Sekretärin, dann wandte er sich wieder Savannah zu, eine Augenbraue fragend hochgezogen.
„Ja, das wäre nett“, erwiderte sie.
Damals waren sie beide geradezu süchtig nach starkem Kaffee gewesen und oft in die guten Coffeeshops der Stadt gegangen. Auch ihr letztes Treffen hatte ja in einem stattgefunden. Ob er das wohl absichtlich so eingerichtet hatte, damit sie ihm keine Szene machte?
„Danke, dass du gekommen bist. Die Situation ist ein wenig ungewöhnlich.“
„Du brauchst eine Nanny für eine Reise, und unsere Firma bietet diesen Service, das ist alles. Die Vergangenheit ist vorbei, Declan.“
Er bot ihr einen Platz an und setzte sich ebenfalls, dann blickte er in die Ferne. Erinnerte er sich an ihre gemeinsame Zeit, an ihr letztes Treffen? Hoffentlich war ihm dieser Termin extrem peinlich. Sie würde gewiss nichts unternehmen, um die Situation zu entschärfen. Also ließ sie ihn eine ganze Weile schmoren, bevor sie fragte: „Gibst du noch College-Kurse?“
„Nein, dafür habe ich keine Zeit mehr“, erwiderte er. „Die Firma ist schneller gewachsen, als ich dachte. Der Kurs im Frühjahrsemester damals war mein letzter. Wir haben unser Geschäft auf verschiedene Märkte und das ganze Land ausgedehnt. Das ist auch der Grund für die Reise in die Sierras. Ich denke daran, in einigen Ferienorten Sportboutiquen zu eröffnen. Es ist also eine kombinierte Geschäfts- und Urlaubsreise. Ein oder zwei Tage will ich in unserem Megastore in San Francisco verbringen; er wurde erst vor Kurzem eröffnet. Dann geht’s zum Wandern in die Berge, um neue Ausrüstungsgegenstände zu testen. Danach will ich zu einer Luxushotelanlage, die Interesse daran hat, eine Sportboutique auf ihrem Gelände zu eröffnen. Dort soll nur Ausrüstung für die vor Ort angebotenen Sportarten erhältlich sein.“
Sie bemühte sich, mit ausdruckslosem Gesicht zuzuhören. Es lief also gut für ihn. Na und? Sie war nur hier, um über den Job zu sprechen.
Er wartete einen Moment und räusperte sich dann. War er genauso nervös wie sie? Geschah ihm recht. Und hoffentlich verfluchte er den Tag, an dem er sie wegen Margo verlassen hatte.
„Wie ich höre, habt ihr Erfolg mit eurer Firma?“, fragte er schließlich.
Sie nickte.
„Das freut mich. Ich hätte damals nicht gedacht, dass in einem Geschäftsmodell wie eurem Expansionspotenzial steckt. Wie man sich irren kann. Freunde von mir sind letztes Jahr mit einer eurer Nannies nach Südamerika gereist. Die Spencers?“
„Ja, ich glaube, das war Staceys Job. Sie haben Machu Picchu besucht.“
„Genau. Sie waren begeistert und haben euch wärmstens weiterempfohlen.“
Connie kam mit einem Tablett herein, auf dem Kaffeekanne, Zuckerdose, Milchkännchen und zwei Becher standen.
„Danke“, sagte Declan.
Sie nickte, lächelte Savannah zu, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Declan schenkte ihnen beiden ein und reichte ihr eine Tasse. „Also, wie funktioniert das nun?“
„Hat das Stephanie nicht schon erklärt?“, fragte Savannah überrascht. Normalerweise erhielt der Interessent alle Informationen von ihr – von den Arbeitszeiten bis hin zu den Kosten.
„Ich erinnere mich vor allem daran, wie wichtig es euch ist, dass man sich vorher trifft, um zu sehen, ob man harmoniert“, erklärte er. „Ich weiß, dass du die Richtige bist. Was willst du über Jacey wissen?“
„Ich möchte deine Tochter vorher kennenlernen“, erwiderte sie.
Außerdem interessierte es sie brennend, wieso er wieder geschieden war. Hatte er Margo einfach sitzenlassen, so wie sie damals?
„Ja, das hat eure Assistentin erwähnt. Jacey wird den Sommer bei mir verbringen. Wenn du also morgen bei uns vorbeikommst, wirst du sie sehen. Ich will am Montag nach San Francisco fliegen. Wenn es zwischen euch beiden nicht funkt, weiß ich nicht, was ich machen soll. Wie ich höre, bist du auf Teenager spezialisiert.“
„Richtig. Wieso, gibt’s Probleme?“
„Ich bekomme sie normalerweise kaum zu Gesicht. Jetzt habe ich sie den ganzen Sommer und weiß nicht so recht, was ich mit ihr anfangen soll.“
Seine Bemerkung ließ sie aufhorchen. Wieso sah er seine Tochter sonst nur selten? War es ihm nicht besonders wichtig gewesen, dass sie in einer Familie aufwuchs? Was war daraus geworden?
„Um welche Zeit?“, fragte sie. Vielleicht würde sie bei der Gelegenheit mehr erfahren.
„Gegen zehn?“ Seine Wohnadresse stand auf dem Fragebogen, den er im Büro ausgefüllt hatte. Sie kannte die Gegend – wohlhabend, aber nicht protzig. In der Nähe seiner Firma und der Innenstadt.
Aber sie dachte doch wohl nicht wirklich daran, diesen Job anzunehmen?
Unschlüssig nahm sie einen Schluck Kaffee. Es traf sie unvorbereitet, wie attraktiv sie ihn noch fand. Sie hatten sich geliebt, hatten selten die Hände voneinander lassen können, hatten jede Minute miteinander genossen. Jetzt saß sie ihm gegenüber und tat so, als wäre er nur ein Klient. Aber es kostete sie sehr viel Selbstbeherrschung.
Sie musste die Vergangenheit einfach komplett ausblenden. Auch wenn sie sich noch so sehr wünschte, von ihm zu hören, was für ein Trottel er gewesen war, sie gehen zu lassen. Dass sie das Beste gewesen war, was ihm je passiert war.
Lass das, ermahnte sie sich streng. Du bist schon lange über ihn hinweg!
„Erzähl mir mehr von der Reise“, bat sie, um Zeit zu gewinnen. Einerseits wollte sie so viel wie möglich über ihn wissen. Andererseits wollte sie nichts als weg.
„Wie gesagt, zwei Tage in San Francisco, dann in die Sierras. Wir werden auf dem Pacific Crest Trail wandern und dabei ein neues Zeltmodell und andere Campingausrüstung testen. Ich möchte, dass Jacey mal aus New York rauskommt. Ihre Mutter hat diesen Sommer andere Pläne, von denen Jacey gar nicht begeistert ist.
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