Unser Rendezvous mit der Liebe

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Was fällt Mike Marlowe ein, schlecht über ihren Vater zu schreiben? Aufgebracht verabredet Miranda sich mit dem Journalisten - natürlich nur, um den Ruf ihres Vaters wiederherzustellen. Dabei entpuppt Mike sich als überraschend attraktiv und charmant. Kann sie es wagen, seiner Anziehungskraft nachzugeben? Zu oft wurde Miranda schon von der Liebe enttäuscht. Nur unter einer Bedingung lässt sie sich auf Mike ein: Ihr romantisches Rendezvous soll unverbindlich bleiben! Doch bald muss sie feststellen, dass ausgerechnet sie sich gegen ihren Willen immer mehr verliebt …


  • Erscheinungstag 11.07.2009
  • Bandnummer 1688
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952571
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Dieser scheinheilige, aufgeblasene, elende Mistkerl …“

Halb vor Überraschung, halb vor Empörung entfuhr Miranda Shaw diese wenig schmeichelhafte Beschreibung, bevor sie sich beherrschen konnte. Die wütende Beschimpfung passte so gar nicht zu der klassischen Musik, mit der ihr Arbeitsplatz im pharmazeutischen Labor dezent beschallt wurde.

Ihre Wangen röteten sich hektisch, und ihr Atem ging schneller. Erst vor wenigen Minuten, wenn auch anderthalb Stunden später als gewöhnlich, hatte sie ihre Pause begonnen und die Los Angeles Times aufgeschlagen. Den Sportteil der Zeitung las sie, seit sie vier Jahre alt war. Weil es ihr immer zu lange dauerte, bis ihre Mutter ihr die sehnlichst erwarteten Baseball-Ergebnisse vorlas, hatte Miranda sich selbst das Lesen beigebracht – indem sie die Namen der gegnerischen Mannschaften laut buchstabierte.

Für Baseball interessierte sie sich, weil sie ihren Vater vergötterte. Steven Orin Shaw, den seine unzähligen Fans nur „SOS“ nannten, galt als einer der besten Werfer, die es im Baseball jemals gegeben hatte. Leider hatte ein Skandal seine Karriere abrupt beendet.

Aber nicht Mirandas Treue zu ihm. Sie war jetzt vierundzwanzig, und nur der Tod – und zwar ihr eigener – konnte ihr die tiefe, unerschütterliche Loyalität nehmen.

Genau die flackerte jetzt zusammen mit dem Zorn in ihr auf, als sie las, was Mike Marlowe in seiner Kolumne geschrieben hatte. Von allen Sportreportern war er ihr immer der liebste gewesen. Sicher, hin und wieder war sie anderer Meinung, trotzdem hatte sie nicht nur sein breites Wissen, sondern auch seinen lebendigen Stil bewundert. Wenn er ein Spiel schilderte, sah man es vor sich ablaufen.

Aber in diesem Moment hätte sie den Mann umbringen können. Ganz langsam und genüsslich.

Es war mal wieder die Jahreszeit, in der die Leute den Weihnachtsschmuck wegräumten und über ihre guten Vorsätze für das neue Jahr die Stirn runzelten, weil sie schon jetzt gegen die meisten davon verstoßen hatten. Es war auch der Monat, in dem die Vereinigung der Baseball-Reporter sich mit der wichtigen Frage beschäftigte, welcher Spieler in die Ruhmeshalle des Baseballs in Cooperstown aufgenommen werden sollte.

Lange vor der eigentlichen Abstimmung wurden die Kandidaten für diese höchste Ehrung des Baseballs bekannt geben. Miranda hatte sich längst damit abgefunden, dass ihr Vater es niemals auf eine der Vorschlagslisten schaffen würde.

Aber jetzt besaß dieser Idiot, dieser Supertrottel, der sie so kolossal enttäuscht hatte, die unglaubliche Frechheit zu erwähnen, dass ihr Vater seit einer Ewigkeit aus dem Baseball verbannt war. Über mehrere Absätze seiner Kolumne hinweg beklagte er sich darüber, dass die einst so saubere Sportart von immer mehr Skandalen heimgesucht wurde. Und dann zählte er auch noch all die Gründe auf, warum SOS niemals für die Ruhmeshalle infrage kommen würde.

Das zu wissen war schlimm genug. Aber musste der Mann auch noch lang und breit und mit spitzer Feder erläutern, wie SOS seine Fans enttäuscht und Schande über ihr geliebtes Spiel gebracht hatte?

Na gut, ihr Vater hatte einen schwachen Moment gehabt und gewettet. Na und? Das taten viele Menschen, und SOS hatte nie Geld auf eine gegnerische Mannschaft gesetzt. War das etwa unverzeihlich? Wohl kaum. Auf jeden Fall war es kein Vergehen, für das man so an den Pranger gestellt werden durfte.

Aber genau dort stand er jetzt.

Ob er es schon gelesen hatte? Das wäre das Letzte, was er brauchte. Erst der Skandal und dann der schreckliche Unfall sechs Monate später. Seitdem lebte er praktisch wie ein Einsiedler. Miranda hatte Jahre gebraucht, um ihn aus dem Schneckenhaus zu holen, in das er sich damals zurückgezogen hatte. Inzwischen wagte er sich sogar wieder unter Menschen.

Dieser unverschämte Artikel konnte alles zunichte machen, wofür sie so hart gearbeitet hatte!

Als nun Mirandas wütender Ausruf durch das fast leere Labor hallte und die gedämpfte Musik übertönte, nahm Tilda Levy den Blick von ihrem Computerbildschirm. Sie rieb sich die Stirn, bevor sie sich zu Miranda umdrehte. „Hast du deinen Gehaltsscheck vorzeitig bekommen?“, fragte sie trocken.

Dass die Chemiker im Forschungslabor von Promise Pharmaceuticals unterbezahlt waren, stand für alle Kollegen fest. Für den Dauerstress und die vielen Überstunden verdienten sie entschieden zu wenig.

„Wie?“ Miranda brauchte einen Moment, um sich von der Zeitung loszureißen und Tildas Frage zu verarbeiten. „Nein. Es ist dieser verdammte Artikel.“

Sie stand auf und pfefferte das Blatt so heftig in den Papierkorb neben ihrem Schreibtisch, dass er umkippte. Miranda murmelte etwas nicht Druckreifes, während sie ihn wieder aufstellte.

Tilda beugte sich vor und reckte den Hals. Sie beide waren befreundet, seit sie auf der Highschool im Chemielabor ein Team gebildet hatten. Auch wenn Tilda sich kein bisschen für Baseball interessierte, wusste sie, welchen Teil der Zeitung Miranda als Erstes überflog.

Sie speicherte ihre Arbeit ab und zeigte auf den Papierkorb. „Was ist denn? Glaubt dein Lieblingsreporter etwa nicht daran, dass die Angels in diesem Jahr Meister werden?“ Die Angels waren Mirandas Lieblingsmannschaft – für die hatte ihr Vater in den letzten sieben Jahren seiner Karriere gespielt.

Miranda antwortete nicht, sondern starrte mit finsterer Miene auf die zerknüllte Zeitung.

„Es geht also um deinen Dad, stimmt’s?“, fragte Tilda besorgt.

Miranda schob die Hände in die Taschen ihres Kittels. Sie wäre gern auf und ab gegangen, aber das Labor war nicht dazu ausgelegt, aufgestauten menschlichen Unmut herauszulassen. Es diente allein dazu, chemische Experimente zu beschleunigen.

Miranda seufzte. „Das kann man wohl sagen.“

Achselzuckend wandte Tilda sich wieder ihrem Computer zu. „Vergiss es einfach. Spätestens morgen liegt der Artikel in irgendeinem Vogelkäfig – oder er wartet im Mülleimer auf die Abfuhr.“

Aber heute wurde er von vielen Leuten gelesen. Und höchstwahrscheinlich auch von ihrem Vater. Darauf kam es an.

Miranda straffte die Schultern. Es herunterzuschlucken half nicht. Sie musste sich Luft machen.

„Er hat geschrieben …“ Sie zog die Zeitung aus dem Papierkorb und schlug sie mit spitzen Fingern auf. Es dauerte einen Moment, bis sie die richtige Seite fand. „Steve Orin Shaw, von seinen Fans und gegnerischen Spielern nur SOS genannt, verkörpert leider alles, was an diesem Sport schlecht und käuflich ist …“ Sie schluckte mühsam und wehrte sich gegen die Tränen. „Und das ist noch nicht alles“, brachte sie nur noch heraus und räusperte sich.

„Das habe ich mir gedacht.“ Tilda stand auf, ging zu ihrer Freundin und legte den Arm um ihre Schultern. „Jetzt hör mir mal zu. Die Leute reden immer, auch wenn gar nichts dran ist. Und wenn doch, wird umso mehr gelästert. Dagegen kann man nichts machen.“

Miranda schüttelte den Arm ab und kniff trotzig die Augen zusammen. „Doch, das kann man.“

Tilda seufzte nur. „Dir ist hoffentlich klar, dass Mord in allen fünfzig Bundesstaaten strengstens verboten ist.“

„Es gibt mildernde Umstände“, entgegnete Miranda. Sie wollte Marlowe nicht mehr umbringen, aber er sollte seine gehässigen Worte zurücknehmen – öffentlich, damit ihr Vater wenigstens etwas von seinem Stolz bewahren konnte.

Ihre Kollegin schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle, dass ein Gericht Marlowes Artikel als mildernden Umstand ansehen würde.“ Sie wurde ernst. „Lass es gut sein, Miranda.“

Das konnte Miranda nicht. Ihr Vater brauchte jemanden, der sich für ihn einsetzte und das tat, wozu er selbst nicht mehr fähig war. SOS war wehrlos. Der Ausschluss aus seinem geliebten Baseball hatte ihm den Kampfgeist genommen. Als Kind hatte sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen, weil er dauernd unterwegs war. Und nach Ariels Tod war alles kaputtgegangen. Erst die Ehe ihrer Eltern, dann ihre Mutter. Aber an einem hatte Miranda immer festgehalten: an der Loyalität zu ihrem Vater.

Jetzt brauchte er sie mehr denn je.

„Ich kann es nicht einfach hinnehmen“, sagte sie, bevor sie sich zu ihrem Computer drehte und zu schreiben begann. Fieberhaft. Statt Zahlen und Formeln tanzten Buchstaben über den Bildschirm. Zum Glück konnte die Tastatur keine Laute von sich geben, sonst hätte sie gestöhnt und gewimmert, so heftig hämmerte Miranda auf ihr herum.

Neugierig schaute Tilda über die Schulter. „Was machst du da?“

Miranda tippte weiter. „Ich schreibe Mike Marlowe, was ich von ihm und seinem arroganten Artikel halte“, erwiderte sie trotzig.

„Sagst du ihm, wessen Tochter du bist?“, fragte ihre Freundin.

Das würde ihrer E-Mail zwar mehr Gewicht verleihen, aber sie musste sachlich bleiben, auch wenn der Trottel es gar nicht verdiente.

Miranda strich sich den blonden Pony aus den blauen Augen, die dunkler wurden, wenn sie zornig war. „Nein. Nur dass er ein Idiot ist.“

Lachend kehrte Tilda ihrer Freundin wieder den Rücken zu. Sie wollte nicht indiskret sein. „Für den Hinweis ist er dir bestimmt dankbar.“

Mike Marlowe hatte mit Reaktionen der Leser gerechnet. Die kamen immer, wenn er etwas für die Times schrieb. Bei diesem Artikel war er allerdings sicher gewesen, dass jeder echte Baseball-Fan ihm nur zustimmen konnte.

Eigentlich war es traurig. Shaw hatte mal als bester Pitcher aller Zeiten gegolten. Bei ihm machte der Ball alles, was er sollte – seine Anhänger wären nicht verwundert gewesen, wenn die Lederkugel im Flug die Nationalhymne gesungen hätte. Mike hatte den Mann selbst erlebt und jedes Mal über die Präzision seiner Würfe gestaunt.

In einer Sportart, in der 3000 Strikeouts als phänomenal angesehen wurden, hatte SOS im Laufe seiner Karriere 4002 geschafft. Und von 300 Siegen träumte jeder Anfänger. SOS hatte 377 hinter sich, als er gesperrt wurde und die Handschuhe an den Nagel hängen musste.

Der Mann war in fast jeder Hinsicht ein Baseball-Gott gewesen.

Aber eben nur fast.

Es gab im Baseball nur ein einziges unverzeihliches Vergehen, und das war nicht, ein entscheidendes Spiel zu verlieren oder seine Mannschaft mit einem Fehlwurf um den Sieg in der World Series zu bringen. Es war Doping oder Wetten.

Man musste nicht einmal gegen sein eigenes Team wetten, was stets den Verdacht nahelegte, dass man absichtlich verlor. Es reichte schon aus, Geld auf das Ergebnis eines Spiels zu setzen. Genau das hatte SOS getan. Ein einziges Mal. Es war herausgekommen und hatte Schande über ihn gebracht.

Dass Shaw es nicht leugnete oder nach einer billigen Ausrede suchte, hatte Mike imponiert. SOS hatte nicht auf zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit plädiert oder behauptet, vor lauter Begeisterung für seinen geliebten Sport den Verstand verloren zu haben. Nein, der Mann stand zu dem, was er getan hatte, und fand sich widerspruchslos mit der lebenslangen Sperre ab.

Mike konnte sich noch immer gut an den Tag erinnern. Kurz vor dem Abendessen hatte er den Nachrichtensprecher gehört. Für immer gesperrt, das waren die schrecklichen Worte, die ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen waren. Als sein Vater den Fernseher ausschaltete, rannte Mike ins Wohnzimmer und stellte ihn – mit einem mulmigen Gefühl im Bauch – wieder an. Er war doch erst zwölf. Viel zu jung, um einen Helden an die hässliche Realität zu verlieren.

Sein Vater öffnete den Mund, um ihn zu tadeln, doch Kate, die wunderbare Frau, die Mikes Stiefmutter geworden war, schüttelte den Kopf und bat ihren Ehemann, ihr in der Küche zu helfen. Kate wusste, wie sehr Mike Baseball und gerade diesen Spieler liebte.

Natürlich liebte er auch seinen Vater, obwohl Bryan Marlowe oft fort gewesen war, bevor Kate in ihr Leben trat. Aber Helden … davon gab es für ihn nur einen. Nämlich Steven Orin Shaw. SOS.

An jenem siebten August hatte Mike sein Idol verloren. Und seine Unschuld. SOS war von dem himmelhohen Sockel gestürzt, auf den Mike und zahllose andere Jungen und Männer ihn gestellt hatten. Geblieben war eine Mixtur aus den unterschiedlichsten Gefühlen: Fassungslosigkeit, Verleugnung, Bestürzung, Enttäuschung.

Die Enttäuschung hatte alle anderen Emotionen überlagert, und der Schmerz war so gewaltig gewesen, dass er ihn kaum noch ausgehalten hatte. Seine Brüder hatten ihn zu trösten versucht, genau wie sein Vater. Aber es war Kate gewesen, die ihn schließlich aus dem schwarzen Loch geholt hatte.

„Wir werden nie wissen, was wirklich passiert ist“, sagte sie, als sie später am Abend auf seiner Bettkante saß. „Mr. Shaw hat niemandem verraten, warum er es getan hat. Und bis jetzt war er immer ein guter, anständiger Mensch, der mit Leib und Seele Baseball gespielt und alles dafür gegeben hat.“

„Woher willst du wissen, dass er ein guter, anständiger Mensch war?“, fragte Mike und versuchte, nicht zu weinen. Das taten nur Babys. „Vielleicht hat er ja etwas anderes getan, von dem wir nichts wissen.“

„Das kann natürlich sein.“ Kate strich ihm über das hellblonde Haar, und die Berührung tat Mike gut. „Aber ich glaube es nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich den Schmerz in seinen Augen gesehen habe“, erwiderte sie leise. „Einen tiefen Schmerz. Er hat etwas sehr Tragisches durchgemacht und es überlebt. Solche Menschen sind ehrenwert.“

Verwirrt schaute er sie nun an. „Etwas Tragisches? Was denn?“

„Seine ältere Tochter Ariel ist an Krebs gestorben. So etwas kann einen Menschen zerstören, aber er hat es verkraftet und weiter Baseball gespielt. Weil eine Menge kleiner Jungen wie du sich auf ihn verlassen haben.“

„Warum hat er dann das hier getan?“, rief er ziemlich verzweifelt.

„Ich weiß es nicht, Mike. Aber ich bin sicher, dass er es zutiefst bereut. Es tut ihm leid, dass er euch Jungen enttäuscht hat. Und die Mädchen auch.“ Ihr Lächeln versprach ihm, das alles gut werden würde.

Und das wurde es.

Irgendwann.

Dass sein Held vom Sockel gestürzt war, änderte nichts an Mikes Liebe zu seinem Sport – auch das hatte er mit seiner Stiefmutter gemeinsam. Er besuchte andere Spiele, und nach einer Weile ertrug er es sogar wieder, den Angels zuzusehen. Ohne dass Shaw auf dem Platz stand.

Wie alle Jungen hatte er mal davon geträumt, Baseball-Profi zu werden. Aber er war nicht gut genug, um es in eins der Nachwuchsteams zu schaffen. Also ging er aufs College, machte einen Abschluss in Journalistik und begnügte sich mit dem, was für ihn gleich nach dem Baseball kam – er schrieb über den Sport und die Spieler, die ihn mit Leben erfüllten.

Mike hatte wirklich geglaubt, er hätte die Enttäuschung über Shaw hinter sich gelassen – bis er diesen Artikel begann. Es war, als wäre tief in ihm jemand freigelassen worden. Der kleine, fassungslose Junge steckte noch immer in ihm und wollte endlich wissen, warum Shaw ihm das angetan hatte.

Erst wenn er die Antwort kannte, würde er dem Mann verzeihen können. In den letzten Jahren hatte er oft versucht, Shaw zu interviewen, aber der hatte seine Anrufe nicht mal erwidert.

In jedem Januar setzten sich die Mitglieder der Vereinigung der Baseball-Reporter zusammen, um die Liste ehemaliger Spieler durchzugehen und zu entscheiden, ob darunter Kandidaten für die Ruhmeshalle waren. In diesem Jahr kursierte das Gerücht, dass einige Journalisten die Vergangenheit ruhen lassen und einen Mann vorschlagen wollten, der längst darin aufgenommen worden wäre – hätte er nicht etwas Unverzeihliches getan.

Für Mike war es ein gewaltiger Unterschied, ob jemand freiwillig den Handschuh an den Nagel hängte oder in Schimpf und Schande davongejagt wurde.

Als ihm das Gerücht, dass SOS rehabilitiert werden sollte, zum dritten Mal zu Ohren kam, konnte er nicht mehr schweigen. Er musste sich dazu äußern. Öffentlich. In seiner Kolumne. Aber jetzt fragte er sich, ob es vielleicht der kleine, enttäuschte Junge und nicht der gestandene Journalist gewesen war, der den Artikel geschrieben hatte. Aber selbst wenn, er hatte es zu Papier bringen müssen und fand es nach wie vor richtig.

Ganz offenbar ist „Miranda“ aus Bedford anderer Ansicht, dachte Mike lächelnd, als er ihre neueste E-Mail überflog. Es war die zehnte, und auch dieses Mal nahm sie kein Blatt vor den Mund. Verblüfft schüttelte er den Kopf. Wer hätte gedacht, dass es zehn verschiedene Arten gab, ihm ein und dasselbe an den Kopf zu werfen?

Vermutlich war die Frau ein altes Baseball-Groupie. Die gab es schon so lange, wie es den Sport gab. Sie folgten einem Team von Stadt zu Stadt, um einfach nur auf der Tribüne zu sitzen und einen bestimmten Spieler anzuhimmeln. Manchmal auch die ganze Mannschaft. Mike war sicher, dass diese Miranda SOS irgendwann mal nähergekommen war – der Mann war schließlich auch nur ein Mensch. Und jetzt fühlte sie sich ihm persönlich verbunden.

Mike ging der Gedanke nicht aus dem Kopf. Der Spieler hatte stets als vorbildlicher Familienvater gegolten – bis zum Tod seiner Tochter. Shaws Ehefrau hatte den Verlust nicht verkraftet und war gestorben, aber erst nachdem sie sich von ihm hatte scheiden lassen.

Das war eine harte Zeit für den Pitcher gewesen, aber er hatte weitergespielt. Manche behaupteten, er sei damals besser als je zuvor gewesen. Als hätte er nur in seinem Sport Trost gefunden. Abseits des Spielfelds war von Frauen und wilden Partys die Rede gewesen, aber dafür gab es keine Beweise.

Mike vermutete, dass diese Miranda SOS aus jener Zeit kannte.

Er straffte die Schultern und begann zu tippen.

Liebe Miranda, ich fürchte, Sie lassen sich zu sehr von Ihren Gefühlen leiten. Niemand behauptet, dass SOS zu seiner Zeit kein begnadeter Spieler war. Aber er war auch eine riesige Enttäuschung für die Jungen und Mädchen, die ihn vergötterten und als ihren Helden ansahen. Helden, die ein Skandal von ihrem Sockel geholt hat, sind keine Helden mehr. Egal, wie gut sie auf dem Spielfeld waren. Das ist meine Meinung, und dazu stehe ich. SOS hat es nicht verdient, dass man ihm seine Sünde vergibt. Er gehört nicht in die Ruhmeshalle des Baseballs, neben die Männer, die es wert sind, dort zu stehen.

Er überflog noch mal, was er geschrieben hatte, war damit zufrieden und schickte seine Antwort ab.

Als Miranda auf dem Bildschirm sah, dass sie tatsächlich eine E-Mail von Mike Marlowe bekommen hatte, öffnete sie sie sofort. Eigentlich hatte sie gar nicht mit einer Antwort gerechnet.

Mit zusammengebissenen Zähnen überflog sie den Text. Sekunden später hämmerte sie erneut in die Tasten.

Waren Sie schon immer so ein eingebildeter Mistkerl oder sind Sie das erst durch Ihren sogenannten Beruf geworden? Ich lese Ihre Kolumne seit einiger Zeit. Bis heute dachte ich, Sie hätten nicht nur ein Gehirn, sondern auch ein Herz. Aber offenbar ist Ihnen beides abhanden gekommen.

Ohne nochmals zu lesen, was sie Marlowe geantwortet hatte, schickte sie die E-Mail ab. So unüberlegt reagierte sie sonst nie, aber dieses Mal klickte sie Senden so heftig an, dass ein Fingernagel abbrach. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Tilda sie beobachtete. Miranda atmete tief durch und stieß die Luft langsam aus, um sich zu beruhigen. Aber kaum schlug ihr Herz etwas langsamer, erschienen auch schon neue Worte auf ihrem Monitor.

Hübsch formuliert. Aber offenbar wollen Sie mich nicht verstehen. Das ist in Ordnung. Meinungsverschiedenheiten sind das Salz in der Suppe des Lebens. Einigen wir uns einfach darauf, uns nicht einig zu sein.

Dieser arrogante Kerl! Wer war hier starrsinnig? Sie doch nicht!

Einig? Mit Ihnen? Niemals! Sie wollen nicht begreifen, wie falsch Sie liegen. Seien Sie froh, dass Sie jetzt nicht vor mir stehen, sonst würden Sie Ihre Frechheit bereuen.

Frechheit? Mike lehnte sich zurück und las dann ein zweites Mal, was Miranda ihm geantwortet hatte. Keine Frage, die Frau war wütend. Er musste einen wunden Punkt getroffen haben. Sollte er ihr das letzte Wort lassen? Wahrscheinlich war es sinnlos, mit ihr zu diskutieren. Aber sowohl sein Vater als auch seine Mutter hatten ihm beigebracht, für das einzustehen, woran er glaubte. Seitdem wich Mike keinem Streit aus – selbst wenn es ein so unbedeutender wie dieser war.

Egal, wo ich stehe, ich stehe immer zu dem, was ich denke.

Nach kurzem Zögern zog er die Samthandschuhe aus, die er bei seiner ersten Antwort noch getragen hatte. Wenn sie es nicht anders wollte …

Verzeihen kann man einen verworfenen Ball, verwerfliches Handeln ist unverzeihlich. Falls Sie diese Diskussion Auge in Auge fortsetzen möchten, nennen Sie mir Ort und Zeit.

So, das sitzt, dachte er zufrieden und schickte die E-Mail ab. Er erwartete keine richtige Antwort, höchstens ein paar ausgewählte Schimpfworte. Umso erstaunter war er, als Mirandas knapper Text auf dem Bildschirm erschien.

Bailey’s Sports Bar. Achtzehn Uhr. Heute.

2. KAPITEL

Mike starrte auf den Monitor und wartete darauf, dass mehr kam.

Einige Sekunden vergingen. Mirandas kurze Antwort blieb, wie sie war. Die schwarzen Buchstaben schienen vor dem weißen Hintergrund zu pulsieren. Wie eine Herausforderung. Sie erinnerte ihn an einen frechen Teenager. Mit kämpferisch erhobenem Kinn, bereit zu einer Prügelei.

Aber diese Worte stammten von einer erwachsenen Frau. Und zwar von einer, die Baseball über alles liebte und dafür lebte – oder rettungslos auf Steven Orin Shaw fixiert war.

Kein Zweifel, sie war nicht ganz normal.

Eine Sekunde lang überlegte Mike, ob es vernünftig wäre, sich mit ihr zu treffen. Offenbar hatte sie ein gestörtes Verhältnis zur Realität, und er hatte keine Lust, sich mit einer Verrückten einzulassen. Andererseits herrschte in Bailey’s Sports Bar immer viel Betrieb, selbst an einem Montag um achtzehn Uhr. Wenn die Frau SOS tatsächlich kannte, konnte sie ihm vielleicht etwas Wissenswertes über den Mann erzählen. Das wäre fast so gut wie ein Gespräch mit ihm selbst.

Und wenn er seine Karten richtig ausspielte und sie sogar noch Kontakt zu Shaw hatte, würde er möglicherweise doch noch sein Interview bekommen.

Als er die Hand auf die Tastatur legte, erschien auf Mikes Monitor ein einzelnes Wort. Angst?

Volltreffer, dachte er. Sie hatte einen Nerv getroffen. Das konnte er unmöglich auf sich sitzen lassen.

Abgemacht, gab er ein. Dann fiel ihm ein, dass er keine Ahnung hatte, wie Miranda aussah. Wie erkenne ich Sie?

Die Antwort fiel nicht so aus, wie er erhofft hatte. Ich erkenne Sie, schrieb sie zurück.

Miranda war gern im Vorteil. Das war vielleicht nicht sehr höflich, aber der Artikel lag noch auf ihrem Schreibtisch, und daher war ihr nicht nach Höflichkeit zumute. Außerdem wollte sie es diesem Besserwisser nicht unnötig leicht machen.

Es sei denn, das Foto über Ihrer Kolumne ist nicht mehr aktuell, fügte sie spontan hinzu.

Das war gut möglich. Viele Leute in den Medien verwendeten schmeichelhafte Aufnahmen von sich, die mit der Gegenwart nicht mehr viel zu tun hatten.

Er antwortete sofort. Es ist nur ein Jahr alt.

Also sieht er gut aus, dachte Miranda. Oder der Fotograf hatte ein ausgefeiltes Bildbearbeitungsprogramm auf seinem PC. Wie auch immer, wichtig war nur, dass sie dem Mann die Meinung sagen konnte. Ohne so nachtragende Menschen wie Mike Marlowe hätte ihr Vater längst die Auszeichnung bekommen, die ihm zustand. Er hatte ihr zwar versichert, dass er keinen Wert darauf legte, aber sie wusste es besser. Wie konnte ihm so etwas gleichgültig sein? Jeder Baseball-Profi träumte davon.

Gut, gab sie ein. Dann sehen wir uns um sechs.

Vielleicht wäre halb sieben besser, antwortete Mike nach kurzem Nachdenken.

Aber es war zu spät. Die Frau am anderen Ende des E-Mail-Duells war nicht mehr im Netz. Sie reagierte nicht, und sein letzter Satz stand einsam und unbemerkt am Ende der Seite. Der Dialog war vorbei.

Mike überflog ihre E-Mails, angefangen mit der ersten Reaktion auf seinen Artikel. Diese Miranda – oder wie immer sie in Wirklichkeit hieß – musste älter sein, denn sie verwendete keine der Abkürzungen, die bei der elektronischen Korrespondenz üblich waren. Obwohl er es nicht wollte, freute er sich darüber. Als Journalist ging er gern mit seiner Muttersprache um und fand es schrecklich, wenn jemand sie aus reiner Bequemlichkeit verstümmelte. Die meisten seiner Kollegen sahen das anders, aber die waren alle Ende zwanzig oder Anfang dreißig.

Vermutlich war die Frau, mit der er sich gerade verabredet hatte, irgendeine fanatische Spinnerin um die vierzig – oder noch älter. Bestimmt stand in ihrem Schlafzimmer eine Art Schrein für Steven Orin Shaw, vor einer Wand voller Fotos. Wahrscheinlich hatte sie auch noch Kerzen aufgestellt.

Mike lehnte sich in seinem Drehsessel zurück, verschränkte die Hände am Hinterkopf und überlegte, was er jetzt tun sollte.

Und wenn er einfach nicht hinging?

Er hätte eine gute Ausrede. Heute war erst Montag, aber am Wochenende musste er Ryan Wynters vertreten. Laut Howard Hilliard, seinem Redakteur, lag der Chefreporter mit einer schweren Grippe im Bett. Ryan war für den Super Bowl am Samstag eingeplant, und daher fiel Mike die ehrenvolle Aufgabe zu, über das Football-Endspiel zu berichten. Eigentlich müsste er längst zu Hause sein und die Reisetasche packen, anstatt seine Zeit am Tresen einer Sports Bar zu vergeuden – noch dazu mit einer Verrückten, die ihm unbedingt persönlich die Meinung sagen wollte.

Wer immer diese Miranda war, er würde sie nicht überzeugen. Und sie ihn nicht. Wozu sollte er sich also mit ihr treffen?

Mike runzelte die Stirn.

Autor

Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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