Wenn ich in deine Augen seh

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"Der Kuss war ein Fehler." Die Worte des unwiderstehlichen Ranchers Ashford McKee treffen Rachel tief. Was will dieser Mann bloß, der sie erst mit ungestümer Leidenschaft küsst, dann wieder tagelang meidet und jetzt überraschend zu einem romantischen Ausritt zu zweit einlädt? In Ashfords Augen entdeckt Rachel glühendes Verlangen, das seine harten Worte Lügen straft. Doch er kann die Vergangenheit nicht hinter sich lassen, um unbeschwert neu zu beginnen. Rachel hingegen ist längst dabei, sich in den wilden Cowboy zu verlieben - wirklich hoffnungslos?


  • Erscheinungstag 02.04.2013
  • Bandnummer 1878
  • ISBN / Artikelnummer 9783954465736
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sie konnte die Story förmlich riechen. Es ging um eine heiße Sache, die ihr zu dem Karrieresprung verhelfen sollte, an dem sie seit zehn Jahren bastelte.

Wirst du dann endlich stolz auf mich sein, Daddy? Siehst du dann ein, dass ich als Journalistin ebenso fähig bin wie Mom?

Sie wünschte es sich sehnlichst.

Rachel Brant hielt in ihrem klapprigen Sunburst an der Kreuzung, die der Bäcker Old Joe ihr beschrieben hatte. Drei verlassene Landstraßen, allesamt endlos, grau und von Bergen aus schmuddeligem Schnee gesäumt, führten aus der Ortschaft Sweet Creek in die Hügel von Montana.

Ihr Ziel, die Ranch Flying Bar T, lag westlich in Richtung der Rocky Mountains.

Behutsam nahm Rachel das zerknitterte vergilbte Foto vom Beifahrersitz. Tom McKee war ein großer kräftiger Mann, wenn auch seit 1970 an den Rollstuhl gefesselt. Ihm war das Purple Heart verliehen worden, eine Auszeichnung für Verwundete, weil er bei einem Rettungsmanöver im Vietnamkrieg beide Beine und den linken Arm verloren hatte.

Der Einsatz namens Hells Field war mehr als drei Jahrzehnte lang unter den Teppich der Militärgeschichte gekehrt worden. Nun wollte Rachel sozusagen den Staub herausklopfen und ihren Vater damit stolz auf sich machen.

Doch nach Auskunft der Einwohner von Sweet Creek kam Tom selten in die Stadt. Sein Sohn Ashford McKee, Mitte dreißig und verwitwet, war ihnen eher bekannt. Er leitete die Flying Bar T und verteidigte die Privatsphäre seiner Familie wie ein Löwe.

Zu Ashford McKee musste sie also zu allererst durchdringen. Man sagte ihm nach, dass er seinem Vater ähnelte. Mächtig wie eine Pinie und schweigsam wie der Wald ‒ so lautete die blumige Umschreibung der Einheimischen.

Und er verteidigte das Tor zur Ranch unerbittlich.

Na, wir werden sehen. Rachel legte das Foto auf den Sitz zurück und fuhr weiter in Richtung der schneebedeckten Berggipfel, die im Sonnenschein glitzerten. Dann mal los zum Einsiedler! Sie war fest entschlossen, ihre Story zu kriegen – auf Biegen und Brechen.

Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich hügelige Felder und umzäunte Weiden unter eisigen weißen Decken.

„Ich hoffe, Sergeant Tom“, murmelte Rachel vor sich hin, „dass Sie jede Sekunde wert sind, die Charlie und ich in diesem elenden Provinznest vor uns hin frieren müssen!“

Seit zehn Tagen hielt sie sich mit ihrem siebenjährigen Sohn in Sweet Creek auf. Zehn lange Tage in einer gottverlassenen Gegend, in der Schnee und eisige Temperaturen das Zepter in der Hand hatten. Die Wärme in Arizona, ihrem vorherigen Aufenthaltsort, war nichts weiter als eine schöne Erinnerung. Es war erst Ende Januar und der Frühling ließ noch lange auf sich warten.

Doch wenn sie diese Story bekam, war es ihr all die Strapazen wert. Tom war der letzte von sieben Vietnamveteranen, den es für eine Artikelserie zu interviewen galt. Sweet Creek sollte die letzte der namenlosen Ortschaften sein, in denen sie und ihr Junge vergeblich versuchten, sich eine Zeitlang wie zu Hause zu fühlen.

War es zu viel erwartet, dass Tom McKee ihr sein Gästehaus vermietete, von dem Old Joe ihr erzählt hatte? Vielleicht. Doch sie gab die Hoffnung nie auf, warum also heute?

Auf einer Weide drängten sich Rinder um Heuballen herum, die auf dem gefrorenen Boden verstreut lagen, während zottelige Pferde in einem Unterstand aus dem Futtertrog mampften.

Eine Viertelmeile voraus bewegte sich eine dunkle wabernde Masse. Bald entpuppte sie sich als Rinderherde der Rasse Black Angus. Begleitet von zwei Reitern, einem Mann in wattierter Militärjacke mit dunkelbraunem Stetson und einer jungen Frau in rotem Parka mit Wollmütze. Zwei schwarz-weiße Border Collies fegten immer wieder über die Straße und trieben jeden Ausreißer zur Herde zurück.

Ungeduldig drückte Rachel auf die Hupe. Vor Schreck verfielen die Nachzügler unter den Rindern in einen schwerfälligen Trott.

Finster starrte der Mann zum Auto. Die Frau – nein, ein Teenager – lächelte.

Rachel kannte das Mädchen von einer Begegnung in der Redaktion der Wochenzeitung Rocky Times, ihrem derzeitigen Arbeitgeber. Es war Daisy McKee, die sich am vergangenen Montag beim Herausgeber vorgestellt hatte, weil sie eine Kolumne über ihre Highschool schreiben wollte.

Ein nettes Mädchen und die Tochter von Ashford McKee, der auf einem riesigen Pferd ritt, das die Farbe von dichten Nebelschwaden hatte. Er wirkte so groß und eindrucksvoll wie die weite unberührte Landschaft um ihn herum.

Vier Tage nach ihrer Ankunft hatte Rachel zum ersten Mal Ashford McKee vor dem Lagerhaus gesehen. Darby vom Coffeeshop hatte auf ihn aufmerksam gemacht und ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert.

Ein Glücksfall für Rachel, die als Lokalreporterin möglichst viele Details über Sweet Creek in Erfahrung bringen musste. Vor allem aber über die McKees, denn sie waren der Grund, weshalb sie sich die Anstellung bei der Rocky Times überhaupt verschafft hatte.

Die Rinderherde trottete gemächlich zu dem breiten schmiedeeisernen Tor. Weder McKee noch seine Tochter machten Anstalten, die Zufahrt zu räumen.

„Entschuldigung? Mr McKee? Dürfte ich bitte vorbei?“

Dunkle Augen blickten kalt in ihre Richtung. „Können Sie nicht warten? Wir sind etwa hundert Yards von der Weide entfernt.“

Ja, ich kann warten. Wenn Sie mich nur nett darum bitten. Rachel beugte sich aus dem Seitenfenster, denn der breite Hintern des Mammutpferdes mit dem bodenlangen schwarzen Schweif füllte ihr Blickfeld komplett aus. „Ich möchte zu Tom McKee. Wissen Sie zufällig, ob er zu Hause ist?“

Ashford McKee veranlasste das Tier, sich auf den Hinterbeinen umzudrehen. Nervös tänzelte es ganz dicht neben dem Auto. „Wer will das wissen?“

Er war durch und durch Cowboy, vom Stetson auf dem Kopf bis zu den abgewetzten braunen Stiefeln.

Oh, ein moderner Clint Eastwood. Sie erschauerte unwillkürlich. „Rachel Brant. Ich möchte gern mit ihm sprechen.“

Das Pferd war beeindruckend maskulin und kraftvoll gebaut. Das Gefühl, im Auto sicher zu sein, schmolz dahin angesichts der muskulösen Beine und der mächtigen Brust. Und das galt nicht nur für das Pferd.

„Worüber?“, wollte er ungehalten wissen.

„Das ist eine Sache zwischen mir und Mr Tom McKee, Sir“, entgegnete sie freundlich, aber entschieden.

„Nicht, wenn es um die Presse geht.“

Überrascht setzte sie an: „Woher wissen Sie …“

„Das weiß die ganze Stadt.“

Natürlich. Sie hatte genügend Erfahrung im amerikanischen Kleinstadtleben gesammelt, um zu wissen, wie die Gerüchteküche in einer Gemeinde von sechshundertzweiundneunzig Seelen arbeitet. Ein neues Gesicht taucht auf, die Telefonleitungen laufen heiß, beim Kaffeeklatsch zerreißt man sich die Mäuler …

Mit distanzierter Miene blickte er sie an, buchstäblich vom hohen Ross herunter.

Vielleicht sollte ich aussteigen? Zögernd beäugte sie das Kraftpaket von Pferd, das nervös mit den Hufen scharrte. Auf geht’s, ich habe mein ganzes Leben lang schwierige Situationen gemeistert, oder!?

Rachel öffnete die Autotür und stieg aus. Der Wind blies ihr die kurzen Haare in die Augen und peitschte den Mantelsaum um ihre hohen Stiefel. Der Geruch von Pferd, Rind und Leder stieg ihr in die Nase.

Bartstoppeln verdunkelten seine markante Kieferpartie. Zusätzlich verfinsterte sich seine Miene. „Gehen Sie irgendwo anders berichten, Ms Brant. Sie sind hier nicht willkommen.“

Der riesige Hengst tänzelte unter seinem Reiter. Der Sattel knarrte unter dem Gewicht des Mannes und der Dynamik des Tieres. Weiße Atemwolken wehten aus roten Nüstern, lange Zähne kauten auf dem Gebiss. Das Zaumzeug klirrte metallisch.

Das Pferd eines Ritters – eines gefährlichen Ritters. Der versponnene Gedanke sandte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich möchte Tom diese Entscheidung treffen lassen.“

„Er wird ganz genau wie ich entscheiden.“

Sie raffte die Aufschläge ihres Mantels zusammen. „Ihrer Ansicht nach vielleicht. Aber ich möchte es von ihm direkt hören.“

„Tom kann Reporter nicht ausstehen.“

Oh nein, mein Lieber, Sie selbst sind es, der auf Kriegsfuß mit der Presse steht. Das hatte sie in der Stadt gehört. Und konnte sie es ihm verdenken? Sie wusste, dass seine Frau vor fünf Jahren bei einem Autounfall, den ein Reporter verursacht hatte, ums Leben gekommen war – ein Mitarbeiter der Rocky Times auf der Jagd nach einer Titelstory über Rinderwahn. Ein leichtsinniger Twen, der zu schnell in eine Kurve gerast war. Er hatte Fahrerflucht begangen und die Frau war auf der Stelle gestorben.

Rachel schlang sich die Arme um die Taille, um sich gegen die Kälte zu schützen, und blickte zu McKee hoch. Dessen Gesichtsausdruck war hart und unbezwingbar. McKee wirkte wie ein tyrannischer Machthaber vor einem tiefblauen Himmel im Hintergrund. Doch irgendwie musste sie diesen Wächter der Flying Bar T für sich gewinnen.

„Bitte! Ich suche vorübergehend nach einer Unterkunft, bis ich etwas Dauerhaftes in der Stadt finde. Ich habe gehört, dass auf Ihrer Ranch ein Cottage vermietet wird. Ich bin bereit, den Saisonpreis zu zahlen.“ Sie war zu allem bereit, um Charlie aus dem schäbigen Motel zu schaffen.

McKee beugte sich vor, einen Arm auf den Sattelknauf gestützt, und musterte sie streng. „Das Gästehaus ist geschlossen.“ Langsam richtete er sich auf.

Unter ihm tänzelte das massige Pferd mit wehender Mähne wie ein Lipizzaner.

Sie schluckte schwer, bewahrte aber Haltung. Instinktiv wusste sie, dass er das Tier unter Kontrolle hielt, damit ihr nichts zustieß. „Okay, ich zahle Hochsaisonzuschlag.“ Um das Interview zu bekommen, aber hauptsächlich für Charlie. Zwei Fliegen mit einer Klappe.

Er musterte die Herde, die voraustrottete. Mehrere Kühe muhten. Die Hutkrempe beschattete seine Augen. „Gehen Sie dorthin zurück, woher Sie gekommen sind, Ms Brant.“ Seine Stimme klang leise und doch unerbittlich. Er trieb sein Pferd an und ließ sie stehen.

Sie starrte auf das Vieh, das mittlerweile auf die Weide strömte. Ein Tier brach aus, sodass die schwarz-weißen Hunde ihm nachsetzten und es innerhalb von Sekunden zur Herde zurückbugsierten.

Daisy sprang von ihrem schokoladenbraunen Pferd, das halb so groß wie der Apfelschimmel war, und schloss das Tor. Sie winkte Rachel verstohlen zu, stieg wieder in den Sattel und folgte McKee in den Hof der Ranch.

Gehen Sie dorthin zurück, woher Sie gekommen sind!

Und damit war nicht Sweet Creek gemeint.

Ashford führte Northwind, seinen preisgekrönten andalusischen Hengst, in die große Box am Ende des Pferdestalls.

Die Frau hat Nerven!

Fünf Jahre waren vergangen, seit zum letzten Mal Schnüffler über die Ranch ausgeschwärmt waren. Auf der Jagd nach einer gottverdammten Sensationsmeldung über Rinderwahn, die Susie das Leben gekostet hatte.

Aber diese Frau will gar keine Story? Sie braucht nur ein Dach über ihrem hübschen Kopf?

Hübsch? Auf keinen Fall wollte er einen Schmierfink hübsch nennen.

Doch die Reporterin war bildhübsch mit den Haaren in der Farbe der antiken Kirschholzkommode seiner Mutter und den schräg stehenden Augen. Katzenaugen in Siamblau.

Sie schicken wohl immer die Hübschen auf die Jagd nach Schlagzeilen.

Dass sie nur eine Unterkunft suchte, glaubte er nicht. Mit einem Ruck riss er den Sattel von Northwind, der vor Schreck einen Satz zur Seite machte. „Entschuldige, mein Junge.“

Ashford brachte die Ausrüstung in die Sattelkammer gegenüber. Dass ein Sprachtalent mit jeder Menge Kontakten zu den Medien auf seiner Ranch Einzug hielt, fehlte ihm gerade noch! Ihre spitze Feder konnte tausendmal verletzender sein als der Spott, unter dem er schon in der Schule hatte leiden müssen.

Diese Ranch war sein Lebensinhalt. Zwar musste ihn seine Familie in solchen Dingen unterstützen wie Rechnungen und Bestellungen, E-Mails und Internet. Aber zustande kamen die Geschäfte nur, weil er die Ranch fachgerecht leitete und sich mit Land und Vieh auskannte. Trotzdem belastete es ihn sehr, dass er keine Collegeausbildung besaß.

Natürlich konnte er diese Tatsache eigentlich nicht der Reporterin anlasten. Vertrauen durfte er ihr trotzdem auf keinen Fall.

Seine Familie war häufig genug mit der Rocky Times zusammengerauscht. In dem Jahr, in dem Ashford sechzehn geworden war, hatte der damalige Herausgeber Shaw Hanson senior sein Team auf die Flying Bar T angesetzt. Weil Tom bezichtigt worden war, als Behinderter das Vieh nicht angemessen versorgen zu können.

Ashford schnaubte verächtlich. Blanker Unsinn! Doch die Reporter hatten sich wie ein Rudel Wölfe auf die Untersuchung des Tierschutzvereins gestürzt. Und bis zum heutigen Tag war die Person unbekannt, die Tom angeschwärzt hatte.

Und dann war da Susies Tod. Bei dem Gedanken daran drehte sich Ashford der Magen um. Ausgerechnet eine Mitarbeiterin der Rocky Times wollte das kleine Cottage mieten, das Susie entworfen und er mit eigenen Händen gebaut hatte!? Niemals!

„Dad?“

Er drehte sich zu seiner fünfzehnjährigen Tochter um, die in der Tür stand. Eine Elfe wie ihre Mutter mit großen grünen Augen und langen roten Locken. Aber stark genug, um den Sattel, den sie hereintrug, allein auf die Halterung zu heben. „Hallo, Daiz. Brauchst du frische Einstreu für Areo?“

„Nein, die hab ich ihm heute Morgen schon gegeben.“ Sie warf die Satteldecke über ein hölzernes Trockengestell. „Was wollte diese Frau?“

„Nichts Wichtiges.“

„Du hast sie regelrecht verjagt.“

„Sie arbeitet bei der Times.“ Er schnappte sich einen Striegel und ging in Northwinds Box. „Du weißt, wie ich zu Shaw Hanson junior und seinen schmierigen Schreiberlingen stehe.“

„Ja, das weiß ich.“

Er blickte über die Schulter. Daisys Gesichtsausdruck versetzte ihm einen Stich. Sie vermisste ihre Mutter immer noch – das Geplauder, das Lachen, die Umarmungen. Verdammt, auch er vermisste das alles. „Ich lasse nicht zu, dass sie dir wehtut, Schätzchen. Und ich lasse sie nicht in die Nähe deines Großvaters kommen.“ Keinen Fußbreit auf diese Ranch.

„Ach, Dad“, seufzte sie und verschwand in der Boxengasse.

Einen Moment lang fragte er sich, ob er wirklich statt Kummer um ihre verstorbene Mutter Verzweiflung in ihrer Stimme gehört hatte. Enttäuschte es sie etwa, dass er die Frau vertrieben hatte? Er schüttelte den Kopf. Nein, Daisy wusste, wie die Familie zu den Hansons und deren raffinierter Berichterstattung stand. Es musste etwas anderes sein. Nun, sie wird es mir beizeiten sagen.

Er striegelte den großen Grauen, füllte den Wassereimer und den Futtertrog auf. Dann ging er zu Areos Box. „Bist du auch fertig, Schätzchen?“

„Ja“, antwortete Daisy.

„Gut. Dann sehen wir mal, was Grandpa zum Lunch für uns hat, okay!?“

Sie traten aus dem warmen Stall in die klare kalte Luft. Abdrücke von Hufen und Stiefeln übersäten den Schnee der vergangenen Nacht. Schweigend gingen sie zu dem zweistöckigen gelben Haus, das Toms Urgroßvater, ein Emigrant aus Irland, 1912 erbaut hatte.

Ashford legte Daisy eine Hand auf die Schulter. „Wie gut, dass du heute schulfrei hast. Ohne dich hätte ich es bestimmt nicht geschafft, die Herde auf die Weide zu treiben.“

„Ach, Dad, du und Ethan macht das doch ständig, wenn ich Schule habe.“

Ethan Red Wolf war sein Vorarbeiter. Ein guter Mann. „Du weißt doch, dass er mittwochs und sonntags frei hat. Jedenfalls geht alles zehnmal schneller, wenn du hilfst.“

„Das sagst du immer.“

„Weil es stimmt!“

„Ja, ja. Was wollte die Reporterin?“

Das Thema schon wieder. Seine kleine Elfe konnte sehr beharrlich sein, wenn sie sich auf eine bestimmte Angelegenheit eingeschossen hatte. Ihre Hartnäckigkeit ging ihm zwar oft auf die Nerven, führte aber zu guten Schulnoten, auf die er wiederum verdammt stolz war. „Das Gästehaus von Grandpa mieten.“

„Lässt du sie?“

„Nein.“

„Warum nicht? Wir können das Geld gut gebrauchen.“

Er strich ihr über die Schulter. „So schlecht steht es nicht um uns, dass wir an eine Reporterin vermieten müssen.“ Ganz zu schweigen davon, dass die Person ihn an Dinge denken ließ, die er lange schon vergessen hatte. Wie reizvoll eine Frau sein kann und wie melodisch ihre Stimme in der kalten Morgenluft klingt. Er schlug sich Rachel Brant und ihre Vorzüge aus dem Kopf und fragte: „Hast du Hausaufgaben zu machen?“

„Sozialkunde und Englisch.“

Der Gedanke an Shakespeare und Schulaufsätze brachte ihn zum Schwitzen. „Klemm dich am besten gleich nach dem Lunch dahinter!“

„Grandpa muss mir dabei helfen.“ Sie seufzte leise. „Bei einem Projekt in Sozialkunde.“

„Worum geht’s?“ Sie stiegen die Rollstuhlrampe an der Seite des Hauses hinauf und betraten den Windfang. Tom war gut in Englisch wie in Lesen und Schreiben. Hätte ich sein Blut in den Adern, wäre ich vielleicht …

„Wir sollen so tun, als wären wir Journalisten …“, Daisy mied seinen Blick und zog sich den Mantel aus, „… und einen Veteranen interviewen. Deshalb will ich Grandpa befragen.“

Das wird ja immer schöner! Zuerst eine echte Reporterin und jetzt eine Möchtegernjournalistin in Gestalt seiner eigenen Tochter. Ashford schloss die Tür und klemmte seinen linken Absatz in einen Stiefelknecht. „Du weißt doch, dass Gramps nicht darüber reden will.“

Daisy zog sich ebenfalls die Stiefel aus. „Ach, verdammt, es wird aber endlich mal Zeit!“

Er starrte sie finster an. „Pass auf, was du sagst, Mädchen!“

Sie seufzte theatralisch. „Dad, es ist sechsunddreißig Jahre her. Warum will Grandpa nicht darüber reden? Es ist doch nicht erst gestern passiert. Er hat sogar das Purple Heart gekriegt.“ Frustriert kickte sie die Stiefel in die Ecke und stürmte in die Küche.

Niedergeschlagen blickte Ashford ihr nach. In den letzten drei Jahren, seit sie in die Pubertät gekommen war, hatten sie Dutzende Male über dieses Thema diskutiert. Sie wollte Begebenheiten aus ihrem Vorleben hören – über ihre Mutter, über ihn, über Tom.

Er wollte nicht über Susie und deren Tod sprechen. Es war zu schmerzvoll und zu riskant. Was, wenn er aus Versehen aufdeckte, dass sie ebenso für den Unfall verantwortlich war wie der zweitklassige Reporter?

Das durfte auf keinen Fall passieren. Allein der Gedanke daran wirkte niederschmetternd. Und was Tom anging – seine Erlebnisse waren ganz allein seine eigene Sache.

Ashford betrat die heimelige Küche im Stil eines Landhauses. „Hallo, Pops.“ Er ging zur Spüle, um sich die Hände zu waschen.

Sein Stiefvater, seit dreieinhalb Jahrzehnten an den Rollstuhl gefesselt, fuhr mit einem Laib Brot auf dem Schoß zur Kochinsel. „Hat Daisy mal wieder ihren Rappel? Sie ist gerade wie eine Furie hier durchgefegt.“

„Ja. Ihr sind gleich mehrere Läuse über die Leber gelaufen.“

„Worum geht’s?“

„Sie will, dass wir das Cottage an die Zeitung vermieten.“

Tom schnaubte. Ein Summen ertönte, als er per Knopfdruck die Sitzfläche seines Rollstuhls erhöhte, um die Arbeitsfläche zu erreichen. Dort standen Zutaten bereit für seine Spezialität – gegrillte Sandwiches. „Du machst wohl Witze, wie?“

„Nein. Ein Neuling bei der Times war heute Morgen hier, als wir die Jährlinge auf die Weide getrieben haben.“

„Hast du ihm gesagt, dass wir nicht interessiert sind?“

„Selbstverständlich, aber nicht ihm, sondern ihr.“ Einer Frau mit frechem Mundwerk und Kulleraugen. Ashford lehnte sich an die Spüle und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Frau wie sie – die Ehefrau von Hanson senior – hatte vor zwanzig Jahren die Sache mit dem Tierschutzverein auf die Titelseite der Rocky Times gebracht.

Mit seiner rechten Hand und der Prothese an der linken belegte Tom eine Scheibe Brot mit Käse, Schinken und Tomate. „Was hast du ihr geantwortet?“

„Dass sie hier nicht willkommen ist. Daisy sieht das übrigens anders. Sie meint, dass wir das Geld gebrauchen können.“

„Wie heißt denn die Frau?“

„Rachel Brant.“

Stille. „Brant, aha!“ Tom beschmierte das Brot mit Butter und schnitt Tomaten in Scheiben. „Ich denke, wir können die Extrakohle wirklich gut gebrauchen.“

„Bist du verrückt?“

„Wieso? Wenn wir das Cottage nicht verwenden, können wir es gleich abfackeln. Außerdem muss Inez in den nächsten Monaten wegen der Kalbungszeit etliche zusätzliche Helfer durchfüttern.“

Inez, Haushälterin und Toms Pflegerin, war nach Sweet Creek gefahren, um den Wochenvorrat an Lebensmitteln einzukaufen.

„Wir kommen schon zurecht.“ Ashford wollte diese Rachel Brant weder in Reichweite noch in Sichtweite haben. Er war überzeugt, dass sie eine viel zu neugierige Reporterin war, die stocherte und stöberte, bis sie genügend Material zusammenhatte, um mit ihren Texten hohe Wellen zu schlagen.

Ich weiß, warum die Schreiberlinge ihre Artikel Storys nennen, dachte er verächtlich. Weil sie mehr Dichtung als Wahrheit sind.

Da sie bei der Rocky Times arbeitete, war sie vermutlich auf die Flying Bar T angesetzt worden, um etwas gegen die McKees auszugraben. Aus Rache, weil Ashford zwei Tage nach dem fatalen Unfall in die Redaktion gestürmt war. Weil er damals Shaw Hanson junior für Susies Tod verantwortlich gemacht und tätlich angegriffen hatte. Und wohin hat mich das letztlich gebracht? Für drei Tage in den Bau.

Tom fuhr fort, Brote zu belegen. „Du hast gesagt, dass Daisy nicht nur wegen dieser einen Sache sauer ist. Worum geht es noch?“

„Ein Projekt für Sozialkunde.“

„Sie hätte es gestern schon erledigen sollen?“

„Nein, nein. Sie soll dich nur nicht damit belästigen.“

„Was habe ich damit zu tun?“

„Ach, Sie soll einen Veteranen nach seinen Kriegserlebnissen fragen.“

„Gibt es dafür keine Lehrbücher?“

„Doch. Aber diesmal sollen die Kids ihre Informationen aus erster Hand beziehen.“

„Tja, diese Quelle gibt nichts preis.“ Der Stuhl summte, als Tom zum Herd rollte. „Aus demselben Grund übrigens, aus dem du nicht über Susie sprichst.“

Es gab Dinge, die Ashford niemals mit seiner Familie bereden wollte. Dazu zählte der Tag, an dem er Susie begraben musste. Dass er in der Abenddämmerung an ihr Grab zurückgekehrt war und sich die Augen ausgeweint hatte. Dass er mit den Fäusten auf die verdorrte Erde gehämmert und Susie verflucht hatte, weil sie laut Auskunft der Rechtsmedizin zum Zeitpunkt des Unfalls betrunken gewesen war.

Alkohol um drei Uhr nachmittags, beeinträchtigte Fahrtüchtigkeit, kein Sicherheitsgurt.

Susies Fahrlässigkeit war seine Angelegenheit, nicht die von Tom und schon gar nicht Daisys. Sein Geheimnis, sein Schmerz.

Rachel saß an ihrem Computer in der Redaktion der Rocky Times, barg das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. Zur Flying Bar T hinauszufahren und zu versuchen, an Ashford McKee und seinem Ross vorbeizukommen, hatte sich als völlig falscher Ansatz erwiesen.

Wenn sie an den Rancher und dieses Tier dachte … Beide strahlten zusammen eine Schönheit und Macht aus, die sie selbst nach vierundzwanzig Stunden noch in Atem hielten. Der riesige Mann, der ihr mit seinen unglaublich breiten Schultern und dem Stetson den Blick auf den tiefblauen Himmel verwehrt hatte. Sein kerzengerader Rücken, seine muskulösen Schenkel, die das Pferd beherrschten, dessen lange dunkelgraue Mähne die Augen verdeckte.

Sie stand auf und trat an das Fenster neben ihrem Schreibtisch, zog die Gardine beiseite und genoss den Sonnenschein. Shaw hatte den Bürgersteig geräumt. An diesem letzten Tag im Januar hing eine graue Wolkenbank am Himmel. Was bedeutete, dass der Februar mit starken Niederschlägen ins Land ziehen würde.

Mehrere Fahrzeuge fuhren über die Cardinal Avenue und verwandelten den über Nacht gefallenen Schnee in eine schmierige bräunliche Masse. Vor dem Geschäft für Ranchzubehör auf der anderen Straßenseite blieb ein grüner Pick-up stehen.

Ashford McKee stieg aus der Fahrerkabine in den schmutzigen Schnee. Über die Straße hinweg traf sein Blick den von Rachel. Sie rang nach Atem. Im Geist sah sie Ashford wieder auf dem Pferd sitzen, roch die feuchtwarme Haut des Tieres, das Leder des Sattels …

Abrupt wandte er sich ab und verschwand in dem Geschäft.

Ashford McKee stellte ein schwerwiegendes Hindernis dar beim Verfolgen ihres Ziels. Nach hiesiger Überlieferung, gesammelt in Old Joes Bäckerei und Darbys Coffeeshop, war er ein Mann, den man nicht unterschätzen sollte.

Seit wann lässt du dich von so was abschrecken? Du hast es schon mit weit schlimmeren Männern aufgenommen. Denk doch bloß an deinen Vater und an Floyd Stephens!

Spontan griff sie zum Telefon auf ihrem Schreibtisch. Es war ihre große Chance, mit Tom zu reden, während sein Sohn zwanzig Meilen entfernt einkaufen ging. Krieg die Story auf Biegen und Brechen!, sie wiederholte das zweifelhafte Mantra ihres Vaters.

Nervosität und Schuldgefühle befielen sie. Grüble nicht, handle einfach. Ihre Finger zitterten ein wenig, aber sie gab die Telefonnummer ein, ohne sich zu vertippen. Am anderen Ende läutete es unaufhaltsam. „Komm schon, heb ab!“, murmelte sie ungeduldig vor sich hin.

Nach dem achten Klingeln war es so weit. „Hallo?“

„Mr McKee?“

„Ja?“

„Ich bin Rachel Brant. Ich war gestern draußen bei Ihrer Ranch, um mit Ihnen zu sprechen, aber Ihr Vieh war im Weg. Deshalb konnte ich nicht …“

„Sind Sie die Reporterin?“

„Ja. Ich arbeite für die Rocky Times.“

Stille.

„Ich möchte gern mit Ihnen sprechen, Sir, wenn Sie einen Moment Zeit für mich haben.“

„Sie wollen das Cottage mieten.“

„Wenn das möglich ist.“

„Das kann ich nicht entscheiden. Dafür ist Ash zuständig.“

„Ich dachte, die Ranch gehört Ihnen!?“

„Stimmt, aber die Vermietung ist seine Sache.“

„Eigentlich möchte ich mit Ihnen sprechen.“

„Wie gesagt, das Cottage ist …“

„Ich weiß. Aber ich möchte mit Ihnen über etwas anderes reden.“

„Geht es um einen verdammten Artikel?“

„In gewisser Weise, ja. Ich …“

Freizeichen. Er hatte aufgelegt. Mist! Was jetzt? Zurückrufen? Hinausfahren, solange Ashford nicht auf der Ranch ist? Lieber nicht. Weil nicht abzusehen war, wie lange er in der Stadt brauchte. Und sie wollte sich auf keinen Fall auf seinem Grundstück von ihm erwischen lassen.

Sie hätte sich vorläufig auf die Anmietung des Gästehauses beschränken und auf eine Gelegenheit warten sollen, von Angesicht zu Angesicht mit Tom McKee zu reden.

Niedergeschlagen saß sie an ihrem Schreibtisch. Zwei Wochen der Planung umsonst. Zwei Wochen, in denen sie sich mit falschem Lächeln auf den Lippen bei den Einheimischen eingeschmeichelt hatte, in denen ihr kleiner Junge eine neue Schule mit fremden Kids besuchen musste und in einem schmuddeligen Motel untergebracht war.

Und wofür das alles? Ruhm und Ehre?

Autor

Mary J Forbes
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