Wenn sich das Herz nach Liebe sehnt

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Träge wacht Jordyn auf, dreht den Kopf - und sieht ihren alten Freund Will neben sich. Was ist passiert? Hat sie etwa mit ihm …? Eines ist klar: Die Heiratsurkunde auf dem Nachttisch kann nicht echt sein. Sie liebt Will nicht! Oder sieht ihr Herz das anders und hat sie ausgetrickst?


  • Erscheinungstag 11.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778262
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Irgendwie erinnerst du mich an ein Mädchen aus meiner Kindheit“, raunte eine wohlbekannte tiefe Stimme in Jordyn Leigh Cates Ohr. „Ein niedliches kleines Ding war das, ist mir ständig hinterhergelaufen …“

Jordyn fuhr herum. Ihr gegenüber stand ein umwerfend gut aussehender Cowboy. Einer, den sie schon ihr ganzes Leben lang kannte. „Will Clifton!“, rief sie aus. „Du spinnst ja wohl. Ich bin dir bestimmt nicht hinterhergelaufen. Nie im Leben.“

„Bist du wohl.“

„Bin ich nicht.“

„Doch!“

Sie lachte. „Wir klingen wie zwei Kindergartenkinder!“

„Du vielleicht!“, erwiderte er und schenkte ihr sein berühmtes schiefes Lächeln, mit dem er schon zahlreiche Mädchenherzen gebrochen hatte. Damals, in ihrem Heimatort Thunder Canyon. „Hat immer Spaß gemacht, dich ein bisschen zu ärgern.“

Jordyn trank einen Schluck Hochzeitsbowle aus ihrem Pappbecher. „Ich habe schon gehört, dass ihr auch hier auf der Hochzeit seid, du und deine Brüder.“

„Ja, wir sind draußen im Maverick Manor untergekommen.“ Das imposante Holzhaus im Südosten der Stadt hatte lange leer gestanden, bis es im letzten Jahr zu einem Hotel mit rustikalem Charme umgebaut worden war.

Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Außerdem habe ich so ein Gerücht gehört. Du sollst dir eine Ranch hier in Rust Creek Falls gekauft haben, stimmt das?“

„Ja, allerdings.“ Stolz schwang in seiner Stimme mit, und seine strahlend blauen Augen leuchteten. „Ein wundervolles Stück Land in der Talebene, ein paar Meilen östlich von der Stadt. Am Dienstag ist Schlüsselübergabe.“

Jordyn freute sich für ihn. Sie konnte sich gut daran erinnern, dass er schon immer von einer eigenen Ranch geträumt hatte. „Herzlichen Glückwunsch!“

„Danke.“

Schweigend lächelten sie sich an. Will trug ein weißes Hemd, darüber eine schokobraune Weste und eine typische Westernkrawatte: Sie bestand aus einem schmalen Stück Schnur, das von einer Spange zusammengehalten wurde. Ein schwarzer Cowboyhut, schwarze Jeans und schicke schwarze Stiefel vervollständigten das Outfit.

Er zupfte an einer blonden Locke, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatte. „Gut siehst du aus.“

Ihr wurde angenehm warm. Will war fünf Jahre älter als sie und hatte sie früher immer wie ein kleines Kind behandelt. Aber wenn er sie jetzt so ansah, fühlte sie sich ganz anders wahrgenommen. Sie klimperte kurz mit den Wimpern. „Danke, Will.“

Er tippte sich an den schwarzen Cowboyhut. „Ich sage doch nur die Wahrheit. Du siehst wirklich toll aus und passt auch farblich sehr gut ins Bild.“

„Tja, heute ist alles rot-weiß-blau“, erwiderte sie und blickte an ihrem knielangen, trägerlosen Brautjungfernkleid aus Chiffon hinunter. Es war so blau wie das blaue Rechteck der US-amerikanischen Nationalflagge. Da die Hochzeit am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, stattfand, war die ganze Feier farblich darauf abgestimmt.

Vor etwa zwei Stunden hatte Braden Traub, der zweitälteste Sohn einer alteingesessenen Rancherfamilie, der blonden, elfengleichen Jennifer MacCallum das Jawort gegeben. Die beiden jungen Leute hatten beschlossen, ihre Hochzeit mit einem großen Picknick im Park der Kleinstadt Rust Creek Falls zu feiern. Auf allen Picknicktischen lagen rot-weiß-karierte Decken aus Wachstuch. Rote, weiße und blaue Sonnensegel spendeten Schatten.

Außerdem hatten die Veranstalter eine mobile Holz-Tanzfläche aufgebaut. Die sechsköpfige Band, die gerade spielte, war gar nicht mal schlecht. Jordyn wippte im Takt zur Musik. In diesem Augenblick tanzte ein großer Mann mit weißem Cowboyhut an ihnen vorbei. Er hatte eine kurvenreiche Brünette im Arm. Plötzlich blinzelte er Jordyn zu.

Und Jordyn blinzelte zurück. „Hey, Cowboy!“, rief sie und winkte mit ihrem Brautjungfernstrauß aus roten Rosen.

„Wer ist das denn?“, wollte Will sofort wissen.

Ruhig erwiderte sie seinen Blick. „Ach, ich habe vorhin mal mit ihm getanzt …“ Und sie hatte vor, das sehr bald zu wiederholen. Allmählich spielte sich Will ihr gegenüber wieder viel zu sehr als großer Bruder auf. Gerade wollte sie noch einen Schluck Bowle trinken, da nahm er ihr den Pappbecher aus der Hand. „Hey, was soll das?“, protestierte sie.

Grinsend schnüffelte er an dem Getränk. „Was ist da eigentlich drin? Etwas Härteres?“

Sie atmete hörbar aus. „Nein, das ist nur Bowle. Ein bisschen Saft, ein bisschen Limo und noch viel weniger Sekt. Aber wenn dir das auch schon zu viel ist, kannst du dich ja da drüben am Kindertisch anstellen.“ Schwungvoll wies sie mit ihrem Rosenstrauß auf den Tisch, an dem gerade die jüngeren Partygäste bedient wurden.

Will betrachtete sie aufmerksam und ziemlich argwöhnisch. „Ich frage ja nur, weil du so ausgesprochen gute Laune hast, Jordyn Leigh. Viel zu gute Laune, könnte man fast sagen.“

„Viel zu gute Laune gibt es nicht.“ Verärgert funkelte sie ihn an. „Und sag bitte nicht noch mal Jordyn Leigh zu mir.“

„Warum denn nicht? So heißt du doch.“

„Schon, aber du sagst das so, als wäre ich immer noch eine achtjährige Göre mit Zahnlücke und Rattenschwänzen, die die alten Jeans und Hemden ihrer älteren Geschwister auftragen muss.“

„Dabei bist du inzwischen eindeutig erwachsen“, sagte Will und prostete ihr mit dem Pappbecher zu, den er ihr eben weggenommen hatte, und trank ihn in einem Zug aus.

Sollte sie sich darüber etwa ärgern? Ach, was. Ärger und Frust brachten einfach nichts. Das hatte sie sich auch schon in der Kirche gesagt, als sie ein kleines bisschen wehmütig geworden war. Weil sie auch auf dieser Hochzeit wieder nur Brautjungfer war und keine Braut.

Aber das war kein Grund, sich hängenzulassen. Da freute sie sich lieber über den schönen Sommertag hier in Montana und den blauen, wolkenlosen Himmel. Außerdem hatte sie heute schon mit einem sehr attraktiven Cowboy getanzt. Wer weiß, was noch alles passieren würde? Will hatte recht: Sie hatte wirklich ausgesprochen gute Laune, und die wollte sie sich von ihm auf keinen Fall verderben lassen.

Daher nahm sie sich einen neuen Pappbecher mit Stars-and-Stripes-Aufdruck und füllte ihn randvoll. Als Will ihr den Becher hinhielt, den er ihr eben abgenommen hatte, schenkte sie ihm ebenfalls großzügig ein.

Dann prosteten sie sich zu und tranken ihre Bowle.

Der Rest dieses Nachmittags zog wie ein verblichener, schlecht zusammengeschnittener Farbfilm an Jordyn vorbei. Sie und Will waren die ganze Zeit zusammen, und das genoss sie. Sehr sogar. Bisher hatte er sie immer wie ein unreifes kleines Mädchen behandelt. Aber seit sie sich mit der Hochzeitsbowle zugeprostet hatten, war plötzlich alles anders gewesen.

Auf einmal begegneten sie sich auf Augenhöhe und verstanden sich dabei ganz wunderbar. Gemeinsam bedienten sie sich am Grillbüfett und bei der Hochzeitstorte. Dann schauten sie bei seinen Brüdern vorbei, beim Brautpaar und bei Jordyns Freundinnen, den anderen Brautjungfern.

Schließlich lernten sie Elbert und Carmen Lutello kennen, ein ziemlich ungleiches Paar. Der kleine, schmächtige Elbert mit der Hornbrille war Verwaltungsbeamter. Seine Frau Carmen arbeitete als Amtsrichterin. Sie war breitschultrig und einen Kopf größer als ihr Mann. In der Ehe hatte offenbar sie die Hosen an. Erstaunlicherweise passten Elbert und Carmen wunderbar zusammen. Sie liebten sich sehr und waren berührt von der romantischen Hochzeit.

Jordyn fand die beiden einfach nur toll. Sie und Will tranken noch ein paar Becher von der leckeren Bowle und tanzten mehrmals miteinander. Mit dem Cowboy mit dem weißen Hut tanzte sie nicht noch einmal. Tatsächlich hatte sie ihn längst vergessen. Für sie gab es jetzt nur noch Will. Der Park, das Hochzeitspicknick und die anderen Gäste wurden immer mehr zur wohlig-nebligen Hintergrundkulisse ihrer magischen Begegnung.

Plötzlich küsste Will sie. Mitten auf der Tanzfläche. Vorsichtig hob er ihr Kinn mit einem Finger an, und dann drückte er seine sinnlichen Lippen sanft auf ihre. Und während sie sich im Takt der Musik bewegten, küsste er sie immer weiter.

Er konnte hervorragend küssen. Jordyn kam sich dabei vor wie eine Märchenprinzessin, die gerade aus ihrem hundertjährigen Schlaf erwachte und jetzt eine ganz neue Welt für sich entdeckte – endlich! Von so einem Kuss hatte sie inzwischen nicht mehr zu träumen gewagt.

Außerdem hatte er ihr gesagt, wie wunderschön er sie fand.

Oder hatte sie sich das nur eingebildet?

Inzwischen war sie sich nicht mehr so sicher. Je mehr es in Richtung Abend ging, desto diffuser wurde ihre Wahrnehmung. Als es schließlich dunkel wurde, passierten einige wirklich seltsame Dinge. Zum einen wurde eine junge Frau aus der Dalton-Familie abgeführt, weil sie sich nicht davon abbringen ließ, im Springbrunnen zu baden.

Und zum anderen fanden sich Jordyn und Will plötzlich Hand in Hand auf dem Parkplatz wieder, der zwischen dem Park und der Tiermedizinischen Klinik lag. Vor ihnen stand Elbert Lutello, der gerade einen Aktenkoffer aus seinem pinkfarbenen Cadillac holte. „Als Staatsdiener bin ich immer gut vorbereitet und habe lieber ein paar Dokumente zu viel dabei“, verkündete er feierlich. „Man weiß ja nie, ob man sie nicht mal dringend gebrauchen kann …“

Im nächsten Moment waren Jordyn und Will schon wieder im Park, immer noch Hand in Hand. Um sie herum funkelte die Partybeleuchtung, während sich immer mehr Gäste um sie versammelten. Vor ihnen stand Carmen Lutello und lächelte sie warmherzig an.

Ja, und dann?

An den Rest konnte Jordyn sich nicht mehr erinnern. Sie wusste nur noch, dass die Party irgendwie weitergegangen war und dass Will sie immer wieder geküsst hatte – lange, intensiv und sehr, sehr gefühlvoll. Und dass ihr jeder Kuss einen wohligen Schauer durch den Körper gesandt hatte.

Sie waren nicht die Einzigen, die sich küssten. Wo auch immer sie entlanggingen, überall kamen sie an eng umschlungenen Paaren vorbei. Kein Wunder, in einer so wunderschönen Nacht nach einer so romantischen Hochzeitszeremonie …

Als Jordyn am nächsten Morgen in der Pension Strickland’s Boarding House aufwachte, fühlte sie sich nicht mehr so wunderbar leicht wie am Abend davor. Stattdessen lag sie bleischwer in ihrem Bett, während eine Horde winziger Bauarbeiter ihr Gehirn mit Presslufthämmern traktierte. So kam es ihr jedenfalls vor. Außerdem war ihr speiübel.

Eine Weile lang blieb sie einfach still liegen und hielt die Augen geschlossen – in der Hoffnung, dass die Bauarbeiter irgendwann von ihrem Projekt abließen und ihr Magen sich wieder beruhigte. Irgendwann zwang sie sich, tief durchzuatmen und die Augen zu öffnen. Ihr Blick fiel auf die Zimmerdecke.

Und die gehörte bestimmt nicht zur Pension Strickland’s Boarding House.

Schmerzlich verzog Jordyn das Gesicht. Sie drehte den Kopf zum Nachttisch: ein wunderschönes Stück, das offenbar aus recyceltem altem Holz gefertigt war. Ihr Nachttisch in der Pension war dagegen ein billiges Spanplattenmodell gewesen. Auch die Uhr auf dem Nachttisch kam ihr vollkommen unbekannt vor.

Und – Moment mal! – war es wirklich schon nach zwölf Uhr mittags? Sie schluckte die Magensäure hinunter, die ihr gerade die Speiseröhre hochstieg. Dann drehte sie den Kopf quälend langsam zur anderen Seite.

Du liebe Güte, das konnte doch wohl nicht wahr sein! Das war ja … Will!

Sie blinzelte und schaute schnell weg. Und dann wieder hin.

Doch, da lag er neben ihr auf dem Bauch und schlief tief und fest. Das Gesicht hatte er abgewandt, und sein Haar hob sich pechschwarz vom weißen Kissen ab. Die kräftigen Arme und die breiten, muskulösen Schultern waren nackt, sein durchtrainierter Rücken auch, und zwar bis zur schmalen Taille. Die Bettdecke verbarg seinen restlichen Körper.

Wie bitte? Sie lag in einem fremden Bett neben Will Clifton, der dazu noch möglicherweise vollkommen nackt war? Das war zu viel! Das hielt ihr Magen nicht mehr aus!

Mit einem entsetzten Aufschrei schlug sie die Bettdecke zurück und stürmte ins angrenzende Badezimmer.

Will fuhr hoch, als die Badezimmertür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel.

„Huch?“ Er drehte sich auf den Rücken und setzte sich abrupt auf. „Was ist denn hier …?“ Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Kopf, und er presste beide Hände vors Gesicht.

Dann erst hörte er die Geräusche.

Offenbar war er nicht allein. Irgendjemand war im Bad, und diesem Jemand ging es gerade gar nicht gut.

Will stöhnte und strich sich das zerzauste Haar aus der Stirn. Dann ließ er den Blick durchs Zimmer gleiten. Am Stuhl neben dem Bett blieb er hängen. Dort lagen zusammengeknüllt seine Sachen von gestern. Darüber war ein hübsches blaues Kleid drapiert, zusammen mit einer glitzernden Damenhandtasche und einem verwelkten Strauß roter Rosen.

Erneut hörte er ein Röcheln und Würgen aus dem Badezimmer. Er ließ den Blick am Stuhl entlang nach unten schweifen und entdeckte auf dem Boden ein Paar blau funkelnde Brautjungfernschuhe mit roten Sohlen.

Das Kleid, die Schuhe, der Strauß … das alles kam ihm verdammt bekannt vor.

Und dann durchfuhr es ihn: Jordyn?

War das Jordyn Leigh Cates, die sich gerade im Bad übergab? Hatte das kleine Mädchen etwa … die Nacht in seinem Bett verbracht?

Er rieb sich die Augen und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was gestern Nacht passiert war.

Immerhin konnte er sich daran erinnern, dass sie den ganzen Nachmittag und auch den ganzen Abend zusammen gewesen waren und sich dabei bestens verstanden hatten. Aber was war danach geschehen? Und wie waren sie beide zusammen in seinem Hotelzimmer gelandet?

Er schlug die Bettdecke zurück und stellte fest, dass er nur noch seine Boxershorts trug – sonst nichts. Sollte das heißen …?

Und die arme Jordyn! Nach den Geräuschen aus dem Bad zu urteilen, ging es ihr gar nicht gut. Will stand schnell auf und zog seine schwarze Jeans unter ihrem zarten blauen Kleid hervor. Auf dem Weg zum Badezimmer streifte er sie sich über. Dann klopfte er leise an die Tür. „Jordyn? Ist alles …?“

Sie stöhnte. Offenbar war überhaupt nichts in Ordnung. „Lass mich in Ruhe, Will. Komm bloß nicht hier rein!“

„Aber ich …“

„Nein, bleib draußen. Ich bin sofort fertig.“

Er ließ den Kopf nach vorn sinken, bis seine Stirn die Tür berührte. Hatte er heute Nacht etwa wirklich mit der kleinen Jordyn Leigh geschlafen? Was hatte er da bloß angerichtet! Wenn ihre Eltern oder ihr jüngerer Bruder Wind davon bekamen, dann war er dran. Aber richtig. „Jordyn, es tut mir so leid …“

„Lass mich einfach in Ruhe!“

„Sag Bescheid, wenn ich irgendetwas für dich tun kann …“

Darauf antwortete sie gar nicht erst. Stattdessen hörte er wieder Würgen und Röcheln.

Schließlich schleppte er sich zurück zu dem zerwühlten Bett und setzte sich auf die Kante. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf hängen. In diesem Moment fiel sein Blick auf das Dokument, das vor ihm auf dem Boden lag.

„Wie bitte?“ Er hob es auf. Mehrere Minuten lang starrte er fassungslos darauf. Aber da konnte er so lange starren, wie er wollte: Das Papier war und blieb eine Heiratsurkunde, samt Stempel und Unterschrift der Stadtverwaltung.

Hatten sie nicht gestern einen Verwaltungsbeamten kennengelernt?

Einen kleinen, schmächtigen Typen mit Hornbrille? Elton oder Eldred oder so. Und war der nicht mit so einer großen Frau verheiratet gewesen, einer Richterin?

Will blinzelte, aber dadurch lichtete sich der Nebel in seinem Kopf nicht. Er konnte sich beim besten Willen an keine Trauungszeremonie erinnern.

Trotzdem war er sich ziemlich sicher, dass sie gestern wirklich mit einem Verwaltungsbeamten und seiner Frau gesprochen hatten, die Richterin war. Es war also nicht ausgeschlossen, dass seine schlimmsten Befürchtungen zutrafen. Immerhin hielt er den amtlichen Beweis dafür in den Händen.

In diesem Moment blieb sein Blick an seinem Ringfinger hängen und an dem schmalen goldenen Reif, den er trug. Oder war er bloß aus Messing?

Letztlich spielte die Materialfrage keine Rolle, es lief doch auf dasselbe hinaus: Er trug einen Ehering. Außerdem stammte die Unterschrift auf der Heiratsurkunde eindeutig von ihm. Und Jordyn hatte ebenfalls unterzeichnet.

So unwahrscheinlich es sich auch anfühlte: Allem Anschein nach hatten er und Jordyn Leigh gestern geheiratet.

2. KAPITEL

Will hörte ein Klicken von der Badezimmertür; offenbar kam Jordyn gerade zurück ins Zimmer. Er legte die Heiratsurkunde auf seinen Nachttisch und stand langsam auf, um sich der Frau zuzuwenden, mit der er offenbar seit gestern Abend verheiratet war.

Jordyn Leigh stand noch im Türrahmen. Unter ihren großen blauen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Ihr sonst so rosiger Teint wirkte leicht grünlich, und ihre vollen Lippen zitterten.

Sie trug einen Frotteebademantel des Hotels. Die Hände hatte sie in die Taschen geschoben und den Kopf so weit eingezogen, dass sie ein bisschen wie eine Schildkröte aussah, die in ihrem Panzer Schutz suchte. Das goldblonde Haar fiel ihr in glänzenden Wellen über die Schultern.

Bei ihrem Anblick fühlte Will sich noch viel schlechter. Unwillkürlich musste er an ihre gemeinsame Kindheit denken: daran, wie sie als Kleinkind mit ihren hellen Löckchen unter dem Rasensprenger im Vorgarten durchgelaufen war. Er sah sie als Neun- oder Zehnjährige vor sich, wie sie mit Rattenschwänzen und in alten Jeans auf den Pferden der Nachbarranch geritten war.

Und dann kam ihr Abschlussball …

Will wusste nicht mehr, warum er ausgerechnet an diesem Abend bei den Cates vorbeigeschaut hatte. An ihren Anblick konnte er sich aber nur zu gut erinnern. Sie hatte eine Hand auf das Treppengeländer gelegt und war ganz langsam die Stufen zum Eingangsbereich heruntergekommen. Sie trug ein rosafarbenes Satinkleid, das Haar hatte sie mit Clips hochgesteckt, die mit funkelnden Strasssteinen besetzt gewesen waren.

Eine so wunderhübsche junge Frau hatte etwas viel Besseres verdient als den Schlamassel, in den sie gerade hineingeraten war.

Er räusperte sich. „Jordyn, ich …“

„Ich ziehe mich jetzt an“, unterbrach sie ihn. „Dann fahre ich sofort in meine Pension. Und wenn du weißt, was gut für dich ist, dann erzählst du niemandem, was heute Nacht passiert ist.“

Was dachte sie eigentlich von ihm? Gut, gestern Abend hatte er sich ihr gegenüber wohl nicht besonders zuvorkommend verhalten, aber sie glaubte doch wohl nicht im Ernst, dass er damit auch noch angeben würde? „Jordyn, ich würde nie …“

„Hör auf, mir reicht’s jetzt.“ Mit der linken Hand zog sie den Ausschnitt des Bademantels ein Stück zusammen. Sofort erkannte er, dass sie keinen Ehering trug.

Gerade wollte sie zu dem Stuhl gehen, über dem immer noch ihr blaues Kleid lag, da stellte er sich ihr in den Weg. „Hey, warte doch mal! Ich möchte gern noch mit dir sprechen, bevor du wieder gehst.“

„Das ist jetzt wirklich das Letzte, wonach mir ist.“ Sie versuchte sich an ihm vorbeizudrücken, aber er hielt sie an den Schultern fest.

„Lass mich bitte los!“

Ihre schlanken Arme fühlten sich zart und verletzlich an. „Du zitterst ja am ganzen Körper!“

„Mir geht’s bestens.“

„Das stimmt nicht.“

„Doch.“ Jetzt hörte sie gar nicht mehr auf zu zittern. Will hätte sie am liebsten an sich gezogen, befürchtete jedoch, sie damit nur noch mehr zu verschrecken. Sie mussten unbedingt in Ruhe über das reden, was zwischen ihnen geschehen war. Im Moment wirkte Jordyn aber so verwirrt und nervös, dass er ihr lieber erst mal nichts von der Heiratsurkunde erzählen wollte.

Oder wusste sie etwa längst, dass sie jetzt verheiratet waren? Vielleicht konnte sie sich ja noch an den letzten Abend erinnern? Aber darüber konnten sie sich später immer noch unterhalten. Jetzt musste er erst mal dafür sorgen, dass sie sich entspannte und vielleicht einen Happen aß.

Jordyn versuchte sich aus seinem Griff zu lösen. „Lass mich gefälligst los!“

Stattdessen schob er sie sanft zum Bett. „Nein, du setzt dich jetzt bitte hin, bevor du mir noch umkippst.“

Als er ihr einen vorsichtigen Schubs gab, gaben auch schon ihre Knie nach, und sie sank auf die Matratze. „Oje!“, seufzte sie. Jetzt war es endgültig vorbei mit ihrer gespielten Tapferkeit. Sie ließ die Schultern sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ach, Will, was ist hier eigentlich los? Ich kann mich an gar nichts erinnern!“

„Entspann dich erst mal ein bisschen“, beruhigte er sie. „Leg die Füße aufs Bett und den Kopf aufs Kissen und mach dir keine Sorgen, okay?“

Auf einmal befolgte sie doch seine Anweisungen.

„Sehr gut“, sagte er und deckte sie behutsam zu. „Möchtest du ein Glas Wasser?“

Mit ihren großen blauen Augen blickte sie ihn besorgt an. Dann biss sie sich auf die Lippen und nickte. Will holte eine Wasserflasche aus der Minibar und schob Jordyn ein paar Kissen in den Rücken, während sie sich aufsetzte. „Ich hole dir gleich noch eine Kopfschmerztablette und bestelle beim Zimmerservice Frühstück“, schlug er vor. „Danach können wir uns in Ruhe unterhalten.“

Sie trank einige Schlucke Wasser. „In Ordnung“, brachte sie leise hervor. „Eine Kopfschmerztablette wäre jetzt wirklich nicht schlecht. Und du hast schon recht. Wir sollten dringend über diese Sache reden.“

Will brachte Jordyn das Essen ans Bett, das der Zimmerservice gebracht hatte. Sie aß ein Stück trockenen Toast und trank etwas Tee – mehr bekam sie nicht herunter. Will setzte sich mit seinem Tablett neben das Bett und ließ sich sein Frühstück aus Eiern, Speck, Bratkartoffeln und einem Muffin schmecken. Dazu trank er mehrere Tassen Kaffee.

Schließlich stellte er die beiden Tabletts draußen auf den Gang vor ihre Zimmertür ab.

Als er wieder ins Zimmer kam, zupfte Jordyn nervös an der Bettdecke. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, Will. An die Hochzeit kann ich mich ja noch erinnern …“

Er zuckte zusammen. „Wie bitte, die Hochzeit hast du mitbekommen?“

Autor

Christine Rimmer
Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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