Aufregende Tage in Bel Air

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Was hat sich seine Mutter bloß dabei gedacht? Der Milliardär Jonas kann es nicht fassen: Nur wenn er die flippige Emma heiratet, bekommt er das Sorgerecht für seine kleine Schwester. Erst als Jonas fast alles verkehrt gemacht hat, erkennt er, dass seine Mutter genau wusste, was sie tat …


  • Erscheinungstag 03.01.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754907
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jonas Bravo wartete nicht gern.

Natürlich tat er es ab und zu, geduldig sogar – wenn es sich lohnte. Wenn eine Investition Profit abwarf oder ein gewinnbringender Abschluss winkte.

Menschen, die ihn unnötig warten ließen, taten das nur ein einziges Mal. Denn der berühmte Milliardär ließ sie seinen Unmut spüren. Meistens reichte ein einziger Blick. Jeder wusste, was er und seine Familie durchgemacht hatten, als er ein Kind war.

Niemand ließ ihn deshalb ein zweites Mal warten.

Die Sekretärin am Empfang der Anwaltskanzlei McAllister, Quinn & Partner sprang auf, als er aus dem Fahrstuhl stieg.

„Mr. Bravo. Hier entlang. Mr. McAllister erwartet sie bereits.“ Hastig führte sie ihn zu der mit aufwendigen Schnitzereien versehenen Doppeltür und öffnete sie.

Ohne sie zu beachten, ging Jonas Bravo den Korridor entlang.

Sie eilte ihm nach. „Mr. Bravo, Mr. McAllister hat mich gebeten, Sie in den …“

Ein kurzer Blick über die Schulter brachte sie zum Schweigen. „Ich kenne den Weg.“

„Natürlich. Wenn Sie …“

„Danke.“ Er brauchte sich nicht nach ihr umzusehen, um zu wissen, dass sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte.

Ambrose McAllisters Tür öffnete sich, noch bevor er sie erreichte. Der Anwalt, der sich seit über drei Jahrzehnten um die juristischen Angelegenheiten der Bravos kümmerte, sah ihm lächelnd entgegen.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte er.

„Gut.“

Betroffen schüttelte Ambrose den Kopf. „Blythe fehlt uns. Sehr.“

Jonas nickte nur. Seit seine Mutter, Blythe Hamilton Bravo, vor sieben Tagen gestorben war, hatte er viele Beileidsbekundungen gehört.

„Und wie geht es ihrer kleinen Schwester?“

„Mandy geht es ebenfalls gut.“

Jonas’ Schwester Mandy war vor zwei Jahren von seiner Mutter adoptiert worden. Jonas war wütend gewesen und hatte nicht verstanden, warum Blythe, die alt genug war, um eine Großmutter zu sein, sich ein Kleinkind ins Haus holte.

Inzwischen hatte er sich nicht nur mit der Adoption abgefunden, sondern er liebte seine kleine Schwester von ganzem Herzen.

„Es tut mir leid.“ Der Anwalt senkte die Stimme. „Blythe war noch so jung. Erst sechzig … Es muss schwer für Sie und das Kind sein.“

„Um was geht es?“

Ambrose hatte ihn am Freitag angerufen und gebeten, am Montag um vierzehn Uhr in die Kanzlei zu kommen. Jonas war kein Mann, der sich in irgendein Büro zitieren ließ, aber der Anwalt hatte ihm erklärt, dass Blythe es so bestimmt hatte.

Ambrose führte ihn zu einem Konferenzraum und öffnete die Tür. „Da sind wir.“

Jonas sah die Frau erst, als er eintrat.

Sie saß in einem der zwölf Drehsessel an dem langen Tisch.

Ihr Name war Emma Lynn Hewitt. Hellblonde Locken umspielten ungebändigt ihr hübsches Gesicht. Das Haar war nur kinnlang, aber wie immer wirkte es ein wenig zerzaust, ein wenig wild. Der enge, kurze Rock war orangefarben, genau wie die Jacke, die sie über dem T-Shirt trug. Und die Schuhe waren hochhackig.

Eigentlich wirkte sie billig, aber irgendwie gelang es ihr, niedlich auszusehen. Niedlich und … sexy. Viel zu sexy.

Jonas ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Was hatte sie hier zu suchen? Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte seine Mutter an der Texanerin Gefallen gefunden und Geld in ihren Haustiersalon investiert. Er dagegen hatte die Frau noch nie gemocht.

Vor ihr lag ein blauer Hefter, so auch vor den beiden Sesseln links und rechts von ihrem. Sie sah blass aus.

„Jonas, Sie kennen Ms. Hewitt?“, erkundigte Ambrose sich.

„Ja.“

Die Frau nickte Jonas zu.

Er nickte zurück.

„Setzen Sie sich.“ Der Anwalt zeigte auf den Sessel rechts von Emma Hewitt.

Widerwillig folgte Jonas der Aufforderung. Ambrose nahm den Sessel links von ihr, schlug den Hefter vor ihm auf und zog eine Lesebrille aus der Brusttasche. „Nun, Jonas.“ Er setzte die Brille auf. „Vor ihrem Tod hat Ihre Mutter ein paar Änderungen an ihrem Testament vorgenommen. Sie hat mich gebeten, sie Ihnen und Ms. Hewitt zu erläutern.“

Regungslos saß Jonas da.

Ambrose zeigte auf den dritten Hefter. „Wenn Sie einfach nur die Abschnitte lesen, die ich gekennzeichnet habe, dann dürfte klar sein, was Blythe von Ihnen erwartet. Wenn Sie noch Fragen haben, stehe ich gern zur Verfügung.“

„Ich verstehe“, erwiderte Jonas.

Emma Hewitt sagte nichts.

„Bitte“, drängte Ambrose.

Jonas schlug den Hefter auf.

Er überflog den Inhalt und erstarrte. Seine Mutter musste den Verstand verloren haben.

Der Anwalt räusperte sich nervös. „Nun ja“, begann er. „Wie Sie sehen, geht es um das Sorgerecht für das Kind Amanda Eloise Bravo. Das Testament Ihrer Mutter verlangt von Ihnen, Jonas, dass Sie die hier anwesende Ms. Hewitt heiraten und ein Jahr lang mit ihr an einem Ort zusammenleben, den Ms. Hewitt bestimmt. In dieser Zeit haben Sie und Ms. Hewitt das gemeinsame Sorgerecht für Ihre Adoptivschwester. Sollten Sie oder Ms. Hewitt sich nach Ablauf dieses Jahres scheiden lassen, fällt das Sorgerecht für Amanda an Sie, Jonas. Sollten Sie allerdings Ms. Hewitt nicht innerhalb von drei Wochen nach dem Tod Ihrer Mutter heiraten und ein Jahr mit ihr verheiratet bleiben, geht das alleinige Sorgerecht an Ms. Hewitt über.“

Ambrose nahm die Brille ab und zog ein blütenweißes Taschentuch hervor, um sie gründlich zu putzen. Dabei sah er Jonas an. „Sollten Sie das Testament anfechten, werden sämtliche Kosten, die Ms. Hewitt daraus entstehen, aus dem Vermächtnis Ihrer Mutter bestritten.“

Der Anwalt steckte das Taschentuch wieder ein, klappte die Brille zusammen und legte sie auf den Hefter. „Das ist alles.“

Jonas sah ihn an. Er konnte sich nur mühsam beherrschen.

Blythes Tod hatte ihn härter getroffen, als er jemals zugeben würde. Insgeheim vermisste er seine exzentrische Mutter sehr.

Und genau das machte dieses Testament noch absurder. Sie hatte alles arrangiert und war gestorben, ohne auch nur anzudeuten, was ihn erwartete.

„Ich habe eine Frage“, begann er.

Ambrose zog die silbergrauen Brauen hoch.

„Hat meine Mutter wirklich geglaubt, dass ich in dieser Sache nicht vor Gericht gehen würde, nur weil sie Ms. Hewitts Anwaltskosten übernimmt?“

„Ich weiß nicht, was Ihre Mutter geglaubt hat“, erwiderte der Anwalt ernst. „Aber dieses Testament ist gültig. Wenn Sie Ms. Hewitt nicht binnen zweier Wochen heiraten, könnten Sie das Sorgerecht für Ihre Schwester verlieren.“

„Ich könnte. Aber das werde ich nicht.“

Plötzlich wirkte Ambrose erschöpft. „Jonas, ich sage nur, dass ein Gericht Mandy Ms. Hewitt zusprechen könnte, wenn Sie sich nicht an dieses Testament halten.“

Ungeduldig wedelte Jonas mit der Hand. „Hören Sie, Ambrose. Wir wissen beide, dass meine Mutter einige Jahre in der Psychiatrie verbracht hat. Ich könnte das Testament wegen Unzurechnungsfähigkeit anfechten lassen.“

Die Miene des Anwalts wurde tadelnd. „Sie könnten es versuchen, aber ich bezweifle, dass Sie damit vor Gericht durchkommen. Die schwere Depression Ihrer Mutter liegt drei Jahrzehnte zurück. Zwei der Ärzte, die sie damals behandelt haben, sind noch am Leben. Auf Wunsch Ihrer Mutter habe ich beide angerufen. Jeder von ihnen hat mir versichert, dass sie vollständig geheilt wurde und seitdem auch keine Rückfälle erlitten hat. Sie war im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, als sie das Testament geändert hat.“

Jonas warf dem Anwalt einen kühlen Blick zu. „Und ich nehme an, das würden Sie bezeugen.“

„Ganz gewiss. Jonas, ich verspreche Ihnen, ich habe diese Angelegenheit äußerst gründlich mit Blythe besprochen.“

„Haben Sie versucht, ihr die Sache auszureden?“

„Ja. Aber sie hat darauf bestanden. Sie meinte, die Änderungen seien das Beste für Mandy. Und für Sie.“

Jonas zählte stumm bis zehn. Als er weitersprach, registrierte er zufrieden, dass der Zorn ihm nicht anzuhören war. „Sie glauben also, dass das Testament einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird?“

„Ja.“ Der Anwalt räusperte sich. „Es tut mir leid, Jonas. Aber wenn Sie Ms. Hewitt nicht heiraten, könnte sie das Sorgerecht für Ihre Schwester bekommen“, wiederholte er.

„Vorausgesetzt, Ms. Hewitt ist bereit, es zu übernehmen.“

„Ja.“ Ambrose wirkte plötzlich verlegen. „Genau das habe ich Blythe auch gesagt. Wenn Ms. Hewitt Mandy nicht will, sind die Änderungen nämlich gegenstandslos.“

Natürlich will sie, dachte Jonas. Seine Mutter hätte das Testament nicht geändert, ohne Ms. Hewitt vorher zu fragen.

Nur ihn, ihren Sohn, hatte sie nicht gefragt.

Nein, die Chance, sich einen reichen Mann zu angeln, würde Ms. Hewitt sich nicht entgehen lassen.

Jonas drehte den Kopf gerade weit genug, um die Frau verächtlich anzusehen. Sie hielt seinem Blick stand, trotzig, aber ein wenig zu blass – als wäre sie ebenso überrascht wie er.

Von wegen. Vermutlich hatte die gerissene Person sich die ganze Sache selbst ausgedacht.

Blythe hatte immer gehofft, dass er heiraten und ihr Enkelkinder schenken würde. Aber Jonas hatte ihr immer klar gemacht, dass er das nie tun würde. Ein Mann mit eigener Familie, das hatte Jonas schon in jungen Jahren gelernt, hatte einfach zu viel zu verlieren.

Nein, danke. Er führte sein eigenes Leben, war niemandem Rechenschaft schuldig und konnte nicht verlieren, was er nicht hatte. Und er war zufrieden. Sein Leben gefiel ihm so, wie es war. Er sah keinen Grund, es zu ändern.

Doch jetzt hatte seine Mutter ihm einen gegeben.

Sie hatte seine einzige Schwäche erkannt, den wunden Punkt, den sie ihm selbst zugefügt hatte. Sie hatte Mandy adoptiert – und das kleine Mädchen benutzt. Genau wie diese Besitzerin eines Haustiersalons aus Texas Blythe benutzt hatte.

„Ambrose“, begann er, „danke, dass Sie meine Fragen beantwortet haben. Jetzt möchte ich Ms. Hewitt ein paar Dinge sagen. Lassen Sie uns bitte allein.“

Der Anwalt zögerte. Jonas wusste, warum. Der Anwalt hatte Angst, die kleine Texanerin mit ihm allein zu lassen. Schließlich konnte man nie sicher sein, wozu der Milliardär fähig war, wenn man ihn provozierte.

Früher, als er noch jünger und unbeherrschter gewesen war, hatte er manchmal mit Gegenständen um sich geworfen, wenn man seine Anweisungen missachtete. Meistens mit sehr teuren, äußerst zerbrechlichen Gegenständen. Einmal hatte er eine Ming-Vase durch ein Fenster mit aufwendiger Glasmalerei geschleudert. Oder eine Tiffany-Schüssel gegen einen Marmorkamin. Man munkelte, dass er in seiner wilden Phase mit Alligatoren gerungen und gewonnen hatte. Und dass er – nur mit einem Jagdmesser bewaffnet – einen Grizzly abgewehrt hatte.

„Ambrose“, wiederholte er mit warnendem Unterton.

Nervös rutschte der Anwalt in seinem Sessel herum und sah die Tierpflegerin besorgt an. „Nun, Ms. Hewitt … Vielleicht haben Sie ja auch noch einige Fragen.“

Zum ersten Mal, seit Jonas den Raum betreten hatte, machte sie den Mund auf.

„Schon gut, Mr. McAllister.“ Sie sprach honigsüßes Texanisch. Ihre Stimme ging Jonas unter die Haut, obwohl er sich mit aller Kraft dagegen wehrte. Und dann ertappte er sich dabei, wie er auf den winzigen Leberfleck starrte, der an ihrer rechten Wange saß, genau zwischen der kecken Nase und den weichen Lippen.

„Gehen Sie ruhig“, fuhr sie fort.

Emma Lynn Hewitt sah dem Anwalt an, dass er sich um sie sorgte. Und vielleicht hatte er allen Grund dazu. Vermutlich war es verrückt, allein mit Blythes arrogantem Sohn reden zu wollen. Der Mann machte ihr Angst.

Aber was konnte er ihr antun? Wenn Blicke töten könnten, wäre sie ohnehin schon tot umgefallen, als er den Raum betreten und sie bemerkt hatte.

Vermutlich würde er ihr ein paar hässliche Dinge sagen. Vielleicht würde er sogar mit dem großen Wasserkrug aus Kristallglas werfen, der auf der Anrichte stand. Sie hatte gehört, dass er so etwas manchmal tat. Aber soweit sie wusste, warf er nie nach Menschen.

Ambrose hüstelte. „Ms. Hewitt. Sind Sie ganz sicher?“

Sie tätschelte seinen Arm. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“

„Nun, wenn Sie meinen …“

Emma strahlte ihn an. „Ja, das meine ich.“

Mr. McAllister nahm seine Brille und erhob sich. Sie sah ihm nach, als er zur Tür ging. Das war wesentlich einfacher, als dem Blick des Mannes zu begegnen, der neben ihr saß und eine ungeheure Anspannung ausstrahlte.

Als der Anwalt draußen war, begann Jonas Bravo zu sprechen. Seine Stimme war sanft und dunkel und ein ganz bisschen rau.

„Das hier ist Ihr Werk, nicht wahr?“

Emma atmete tief durch und zwang sich, Jonas anzusehen. Er war kein unangenehmer Anblick, ganz im Gegenteil. Er war ein großer, muskulöser Mann in einem teuren Anzug, mit Feuer in den Augen, die manchmal blau, manchmal schwarz wie die Nacht aussahen.

Er war nicht attraktiv. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Dazu war sein Gesicht zu markant, zu natürlich. Nein, nicht attraktiv, aber männlich.

Angeblich zog er die Frauen an. Das hatte sie über ihn gelesen. Laut Blythe dagegen hatte er seine „Playboy-Phase“ mit dreißig abgeschlossen. Aber davor war er mit den schönsten und charmantesten Frauen der Welt befreundet gewesen. Mit der jüngsten Tochter einer der reichsten Familien des Landes. Mit einer langen Reihe von Filmsternchen und Popstars.

Seine Mutter hatte beiläufig erwähnt, dass er seit einigen Jahren fast gar nicht mehr ausging. Das hatte Blythe für ein gutes Zeichen gehalten. Sie war überzeugt gewesen, dass er endlich bereit für die Liebe seines Lebens war.

„Sehen Sie mich nicht so unschuldig an“, knurrte der Milliardär. „Geben Sie es zu. Sie haben das hier eingefädelt.“

Emma schaute ihm in die Augen. Lass dich nicht einschüchtern, befahl sie sich.

„Das haben Sie doch, oder?“

„Nein, das habe ich nicht. Ich habe erst hier und jetzt davon erfahren.“

Er zog spöttisch einen Mundwinkel hoch. „Schön. Weigern Sie sich, mich zu heiraten, und lehnen Sie das Sorgerecht für meine Schwester ab. Dann gibt es kein Problem mehr.“

Der Mann hatte recht. Niemand konnte sie zwingen, bei Blythes verrücktem Plan mitzumachen.

Der Anwalt hatte bestätigt, dass die Änderungen gegenstandslos wären, sollte sie Mandy nicht wollen.

Emma konnte tun, was Jonas Bravo von ihr verlangte.

Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass sie keinen Anspruch auf Mandy erheben würde. Doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.

Vor etwas über fünf Jahren, gleich nach dem Tod ihrer Tante Cass, war Emma nach Los Angeles gekommen. Mit nicht mehr als einigen billigen Kleidungsstücken, einem alten Ford, einem College-Abschluss als Kauffrau und dem unabänderlichen Entschluss, es in der Fremde zu etwas zu bringen.

Sie suchte sich einen Job in einem Restaurant, und dort lernte sie gleich am zweiten Morgen Blythe kennen, die regelmäßig dort frühstückte. Obwohl die beiden Frauen kaum etwas gemeinsam hatten, spürte Emma sofort, dass sie eine Freundin gefunden hatte.

Bald trafen sie sich mehrmals in der Woche – zum Essen, zum Kino, manchmal nur auf einen Kaffee und um ausgiebig von Frau zu Frau zu reden. Nach einem Monat erzählte Emma Blythe von ihrer Idee, einen ganz besonderen Salon für Haustiere zu eröffnen. Und Blythe bot ihr an, in das Projekt zu investieren …

Inzwischen gab es so viel, für das Emma Jonas Bravos Mutter Dank schuldete. Nicht nur für die Chance, in Los Angeles ein neues Leben zu beginnen, sondern auch für Vertrauen und Freundschaft.

Manche Menschen wie der, der sie gerade herumzukommandieren versuchte, hätten gesagt, dass Emma aus dem Nichts stammte. Ihr Vater und ihre Mutter waren gestorben, bevor sie fünf wurde. Sie war bei einer gutherzigen Tante aufgewachsen, in einer staubigen Kleinstadt im Westen von Texas.

Ja. Für manche war Emma Lynn Hewitt ein Nichts aus dem Nirgendwo.

Doch in Texas hatte sie ein paar wichtige Lektionen gelernt. Eine davon war, dass man für einen guten Freund alles tun musste, was man konnte.

Und genau das wollte Emma jetzt machen. Ihrer toten Freundin den letzten Wunsch erfüllen.

Oh, Blythe, dachte sie niedergeschlagen. Warum das hier? Ich würde alles für dich tun, aber eine Ehe mit diesem schrecklichem Kerl?

Emma war nicht sicher, ob sie sich dazu zwingen konnte – nicht einmal für die beste Freundin, die sie je gehabt hatte.

Der schreckliche Kerl sah sie noch immer an. Seine schwarzblauen Augen glitzerten, während er darauf wartete, dass sie nachgab und tat, was er von ihr verlangte. Nun ja, sie würde nicht tun, was er wollte.

Jedenfalls noch nicht.

Er würde sich noch eine Weile gedulden müssen, denn sie brauchte Zeit zum Nachdenken.

Emma hängte sich ihre Tasche um, klappte den Hefter mit Blythes Testament zu und klemmte ihn sich unter den Arm.

„Wohin wollen Sie?“, fragte Jonas scharf.

„Ich gehe.“

„Nein, das werden Sie nicht. Noch nicht.“

Sie stand auf. „Ich muss nachdenken. Ich treffe keine spontanen Entscheidungen, Mr. Bravo. Ich brauche etwas Zeit.“

Er sah sie an, als würde er sie am liebsten packen und durch das große Fenster werfen. Und vermutlich würde er zufrieden lächeln, wenn sie zehn Stockwerke tiefer auf dem Asphalt aufschlug. „Zeit, Ms. Hewitt, ist genau das, was wir nicht haben. Entweder Sie heiraten mich innerhalb der nächsten zwei Wochen – oder Sie verzichten definitiv auf das Sorgerecht für meine Schwester.“

„Ich muss gar nichts. Ich muss Sie nicht heiraten, und ich muss auf nichts verzichten. Ich muss mich entscheiden, ob ich den letzten Wunsch meiner verstorbenen Freundin erfülle. Und wenn ich zu dem Ergebnis gelange, dass ich Sie nicht heiraten kann, muss ich überlegen, ob ich um die süße kleine Mandy kämpfe. Das ist momentan alles, was ich tun muss, Mr. Bravo. Und dazu brauche ich etwas Zeit“, wiederholte sie mit Nachdruck.

Sie ging zur Tür.

„Eher sehe ich Sie in der Hölle, als dass Sie Mandy bekommen“, sagte er.

Emma drehte sich zu ihm um und setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf. „Ich bin sicher, Sie wissen, wohin Sie wollen, Mr. Bravo. Aber ob ich mich dort mit Ihnen treffe, werden wir abwarten müssen.“

„Wir sind noch nicht fertig.“

„Oh, doch, das sind wir. Wie gesagt, ich brauche ein wenig Zeit.“

„Wie viel?“

„Ein paar Tage. Ich rufe Sie an.“

Er stand auf.

Sie machte die Tür auf, schloss sie hinter sich und verließ die Kanzlei so schnell, wie ihre hohen Absätze es zuließen.

Da Jonas wenig Lust hatte, noch mit Ambrose McAllister zu reden, und es kaum Sinn machte, Emma Hewitt zu folgen, ging er in sein Büro in der Zentrale des Bravo-Konzerns, einem vierzig Stockwerke hohen Gebäude aus Glas und hellem Granit in der Innenstadt von Los Angeles.

Er hatte eine Besprechung mit dem Projektmanager eines Shoppingcenters, das in sechs Wochen eröffnet werden sollte. Jonas hatte beträchtliche Gelder darin investiert, und das Gespräch dauerte zwei Stunden, doch danach wusste er kaum, was er gesagt hatte.

Immerzu musste er an die kleine Texanerin denken. Daran, wie lange sie ihn wohl warten lassen würde.

Nach der Besprechung gab es Anrufe zu erledigen und Papiere zu unterschreiben. Um sieben hatte er genug.

Er war mit einem wichtigen Geschäftspartner zum Abendessen verabredet, aber er wusste, dass es zwecklos wäre. Also wies er seine Sekretärin an, die Verabredung auf Donnerstag zu verlegen.

Das war in drei Tagen, und bis dahin hätte er doch wohl eine Antwort von dieser Haustiersalon-Betreiberin, oder nicht? Er starrte auf seine Finger und malte sich aus, wie er sie um Emma Lynn Hewitts Hals legte.

Als sie vor fünf Jahren aus dem Nichts im Leben seiner Mutter aufgetaucht war, hatte er Nachforschungen anstellen lassen. Nach der Lektüre des umfangreichen Berichts, den die Privatdetektive ihm vorlegten, hatte er sie jedoch für harmlos gehalten.

Jetzt runzelte er die Stirn.

Er las noch immer in dem Dossier, als der Chauffeur vor Angel’s Crest hielt, dem Anwesen im mediterranen Stil in den Bergen von Bel Air, wo die Bravos seit drei Generationen lebten. Jonas besaß eine ganze Reihe von Häusern und Wohnungen, darunter eine Jagdhütte in Idaho, eine kleine Villa im Süden Frankreichs und ein Penthouse an der Fifth Avenue. Aber für ihn war Angel’s Crest sein Zuhause.

Palmer begrüßte ihn an der Tür. „Guten Abend, Sir.“

„Palmer.“ Er reichte dem Butler die Aktentasche und den Laptop. „Bringen Sie das in mein Arbeitszimmer.“

„Sofort.“

Er bat den Mann, ihm in einer Stunde eine leichte Mahlzeit im kleinen Speisezimmer zu servieren, und ging nach oben.

Seine Schwester freute sich, ihn zu sehen. Es tat gut, in ihr lächelndes Gesicht zu schauen, in die großen braunen, von dunklen Locken umrahmten Augen. Und es tat gut zu wissen, dass sie in Sicherheit war. Angel’s Crest wurde rund um die Uhr bewacht. Was seinem Bruder zugestoßen war, würde dem kleinen Mädchen nicht passieren.

Wie immer sprach sie seinen Namen auf ihre eigene Art aus. „Jonah, ich will Mama“, rief sie. In ihrem Blick lag ehrliches Vertrauen und eine tiefe Traurigkeit, die ihm ans Herz ging.

Also nahm er sie auf den Schoß und erklärte ihr zum zehnten oder elften Mal, dass Mama sehr krank gewesen war, dass sie leider hatte fortgehen müssen und nicht wiederkommen würde.

Um halb neun erschien Claudia, das Kindermädchen, mit scheuem Lächeln und fragendem Blick.

„Badezeit“, sagte er zu Mandy. „Sei artig mit Claudia.“

In seiner privaten Suite duschte er und zog sich um, bevor er sich im kleineren der beiden Speisezimmer von Palmer das Abendessen servieren ließ. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie still und riesig ihm der Raum ohne Blythes Lachen erschien.

Kurz nach zehn zog Jonas sich in sein Arbeitszimmer zurück. Am Schreibtisch aus Mahagoni klappte er den Laptop auf und holte sich den Bericht über Emma Lynn Hewitt auf den Bildschirm.

Sie war eine Waise aus Texas, hatte zwei Jahre auf einem unbedeutenden College in der Provinz hinter sich und war bei Beginn der Beschattung einundzwanzig gewesen. Nach der Ankunft in Los Angeles arbeitete sie in einem Restaurant. Dort lernte sie Blythe kennen. In ihrer winzigen Wohnung hielt sie ohne Wissen des Vermieters eine zugelaufene Katze und einen Leguan. Einen Mann hatte es in ihrem Leben damals nicht gegeben. Ob es inzwischen einen gab?

Jonas starrte auf die Fotos, die seine Privatdetektive heimlich gemacht hatten. Eins davon zeigte sie in Venice Beach, in abgeschnittenen Jeans und einem winzigen Top. Sie ließ sich auf Inlineskates von afghanischen Jagdhunden über die Promenade ziehen. Wie von selbst wanderte seinen Blick von den langen Beinen zu den wohlgeformten Brüsten.

Er lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. Volle Brüste und schlanke Beine waren hier nicht das Thema.

Er sah wieder auf den Bildschirm und betrachtete ein Foto nach dem anderen. Jedes einzelne der Bilder verriet, wie sehr Emma Tiere liebte. Die Katze und der Leguan. Die Afghanen. Ein Schnappschuss in einer Tierhandlung, einen Papagei auf dem Kopf, einen exotischen Vogel auf der Schulter. Emma im Griffith Park, einen winzigen Chihuahua auf der ausgestreckten Hand balancierend.

Jonas starrte zum Kamin hinüber und dachte an Bob und Ted, die beiden Yorkshireterrier, die seine Mutter so sehr geliebt hatte. Die Hunde lebten jetzt bei Emma Hewitt. Blythe hatte darauf bestanden, und er hatte nicht widersprochen. Damals hatte er nicht ahnen können, dass die Yorkys längst nicht alles waren, was seine Mutter ihrer jungen Freundin hinterlassen wollte.

Das Dossier enthielt keine aktuellen Telefonnummern, nur die des Restaurants, in dem Emma seinerzeit gearbeitet hatte, und die ihrer alten Wohnung im Osten von Hollywood. Jonas ging nach oben ins Wohnzimmer seiner Mutter. Nach kurzer Suche fand er ein Adressbuch, in dem für Emma drei Nummern verzeichnet waren. Privat, geschäftlich und das Handy. Er notierte sie und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück.

Jonas sah auf die Kaminuhr. Fast elf.

Er rief sie zu Hause an.

„Hallo?“ Sie klang schläfrig, und sofort blitzte in seinem Kopf ein Bild auf: Emma Lynn Hewitt im Bett, in einem knappen, grellbunten Etwas, umgeben von den Yorkys.

Er blinzelte. „Wie lange sind ‚ein paar Tage‘?“

Offenbar reichte seine Stimme, um sie schlagartig hellwach werden zu lassen. „Jonas.“

„Wie lange?“

Sie seufzte.

„Ich habe gefragt …“

„Ich habe Sie verstanden“, unterbrach sie ihn. „Es tut mir leid. Ich weiß es noch nicht. Ich muss nachdenken. Sie werden es mir nicht glauben, aber das Testament war auch für mich ein ziemlicher Schock.“

Jonas verstand beim besten Willen nicht, warum, aber er glaubte ihr wirklich.

Wenn sie alles vorher gewusst hätte, warum ließ sie ihn dann jetzt warten? Es sei denn, sie hoffte, dass er ihr ein Angebot machen würde.

Na schön, dachte er. Also ein Angebot. „Wie viel wollen Sie?“

Sie antwortete nicht.

Nun gut, dann würde er es ihr eben erklären. „Sie verzichten schriftlich auf Mandy, und ich zahle Ihnen …“

„Hören Sie auf.“

„Warum?“

„Weil ich kein Geld von Ihnen nehmen kann.“

„Natürlich können Sie.“

„Nein, kann ich nicht“, beharrte sie.

„Wieso nicht?“

„Blythe war meine Freundin. Ich kann kein Geld dafür nehmen, dass ich meine Freundin verrate.“

„Es ist kein Verrat.“

„Für mich schon.“

„Mir scheint, Ms. Hewitt, wenn es hier einen Verrat gibt, so hat er bereits stattgefunden.“

„Wie bitte?“, fragte sie erstaunt.

„Wie ich es sehe, hat meine Mutter uns alle verraten. Sie. Mich. Und Mandy.“

„Ihre Mutter hat niemanden verraten“, protestierte sie entrüstet.

Jonas rieb sich die Nase. Ein leichtes Stechen zwischen den Augen kündigte den drohenden Kopfschmerz an. „Na gut. Vielleicht habe ich das falsche Wort gewählt. Wie wäre es mit ‚hereingelegt‘? Klingt das besser?“

„Blythe Bravo hat niemanden …“

„Sie hat uns hereingelegt, Ms. Hewitt. Mich jedenfalls. Und meine Schwester.“

„Das ist nicht wahr. Ihre Mutter wollte nur das Beste für Sie. Und für Ihre Schwester.“

„Das Beste?“, fragte er. „Das sind Sie, ja?“

„Offenbar hat Ihre Mutter das so gesehen, meinen Sie nicht auch?“

Jonas griff nach seinem Terminplaner und legte ihn wieder hin. Er musste sich beherrschen. Eine Frau, die in einem Wohnwagen in einer Kleinstadt in Texas aufgewachsen war, konnte unmöglich das Beste für ihn sein.

Er war allerdings klug genug, diesen Gedanken nicht auszusprechen.

„Was sollen wir jetzt also tun, Ms. Hewitt?“

„Ich weiß es noch nicht.“

„Ms. Hewitt, Sie stellen meine Geduld auf eine harte Probe.“

„Ich habe verstanden. Laut und deutlich.“

Autor

Christine Rimmer
Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
Mehr erfahren