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Seit Olivia den attraktiven Ben bewusstlos auf ihrer Ranch gefunden hat, ist nichts mehr, wie es vorher war. Ihre Gedanken kreisen nur noch um diesen Mann, der teilweise sein Gedächtnis verloren hat. Ihre Herzen brennen lichterloh, doch es gelingt ihnen nicht, ihre Liebe zu genießen. Was soll werden, wenn Ben bereits gebunden ist?


  • Erscheinungstag 14.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755508
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Olivia Lockhart strich sich die feuchten blonden Strähnen aus dem Gesicht und lüftete ihre rot-beige karierte Bluse, um sich ein wenig Abkühlung zu verschaffen. Sie saß auf einem Holm im Fütterungsunterstand – einer nach allen Seiten hin offenen Dachkonstruktion, an deren Wellblechbelag bereits der Zahn der Zeit genagt hatte. Vier Kinder standen um sie herum und hörten ihr aufmerksam zu. „Und deshalb“, sagte sie jetzt, „müssen wir ganz besonders vorsichtig …“

Sie verstummte unvermittelt und hob den Blick, da in diesem Augenblick noch zwei andere Kinder keuchend auf sie zugerannt kamen: ein Junge und ein Mädchen mit den gleichen roten Locken, dem gleichen sommersprossigen Gesicht und dem gleichen Zahnlückenlachen. Die beiden hatten außerdem den Ruf, Unheil magisch anzuziehen. Dieser Meinung waren zumindest die Bewohner der großen Rinderzuchtfarm im östlichen Australien. „Was habt ihr denn schon wieder ausgefressen?“, fragte Olivia seufzend.

„Nichts! Zumindest nichts Schlimmes“, antwortete Ryan Whyte und verzog beleidigt das Gesicht, um sich dann Zustimmung heischend seiner Schwester Sonia zuzuwenden.

Das Mädchen nickte energisch. „Livvie …“

„Nicht jetzt, Sonia. Lass mich erst mal ausreden! Wir dürfen kein Wasser verschwen…“

„Livvie …“

„Sonia, tu einmal, was man dir sagt! Wo seid ihr überhaupt gewesen?“

„Unten auf der Pferdekoppel, und …“

„Ihr wisst doch, dass ihr da nicht allein hingehen sollt. Euer Vater wird sehr böse sein. Wo war ich stehen geblieben?“ Olivia blickte nachdenklich in die Gesichter der Kinder, denen sie gerade erklärte, warum es so wichtig war, sparsam mit dem Wasser umzugehen. Bei der munteren Schar handelte es sich ausnahmslos um Sprösslinge, deren Eltern auf der Farm lebten und arbeiteten. „Ach ja, bis es das nächste Mal regnet, müssen wir wirklich …“

„Livvie, wir haben einen Mann gefunden“, beharrte Sonia stur.

„Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir kein Wasser verschwen…“

„Er ist tot!“, sagte Ryan.

Es dauerte einen Augenblick, bis sich Olivia der ganzen Tragweite dieser Worte bewusst wurde. Dann sprang sie vom Zaun und sagte warnend: „Wenn ihr das wieder erfunden habt!“

„Nein, Livvie, er liegt auf dem Boden und blutet. Außerdem bewegt er sich nicht mehr. Wir haben ihn mit einem Stock gepikst, aber es ist nichts passiert.“

„Er ist nicht tot“, stellte Olivia beruhigt fest, als sie neben dem Mann auf der staubigen Koppel kniete, während die Sonne erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel auf sie herniederbrannte. „Aber er ist ohnmächtig. Er hat wohl einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen.“ Sie nahm eine Mullbinde aus dem Erste-Hilfe-Kasten, den sie mitgebracht hatte. „Wer, um alles in der Welt, ist das, Jack, und wie kommt er hierher?“

Jack Bentley, der Aufseher der Farm, schob den breitkrempigen Hut zurück und kratzte sich am Kopf. „Hab den Kerl noch nie im Leben gesehen. Aber wir bringen ihn besser zum Wohnhaus und verständigen die Ambulanz. Wie er hierher kommt, ist mir auch ein Rätsel. Ein herrenloses Pferd scheint hier jedenfalls nirgends zu sein.“ Er beschattete mit der Hand die Augen und ließ den Blick suchend über die weitläufige Koppel schweifen.

„Eigenartig, sehr eigenartig“, murmelte Olivia mehr zu sich selbst. Laut sagte sie: „Dann wollen wir mal. Ich nehme ihn bei den Füßen.“

Aber das war leichter gesagt als getan. Der Fremde war wenigstens einen Meter achtzig groß und entsprechend schwer. Obwohl sie so vorsichtig wie möglich mit ihm umgingen, gestaltete es sich schwierig, ihn auf die Ladefläche des Landrovers zu hieven. Aber auch bei dieser Prozedur kam der Mann nicht zu Bewusstsein.

Olivia kletterte hinten zu ihm auf den Wagen, und Jack setzte sich ans Steuer, um sie zum Wohnhaus zu fahren. Unterwegs sah sich Olivia den Mann genauer an. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig und hätte schwören können, dass er blaue Augen hatte. Auf jeden Fall hatte er dichtes schwarzes Haar und einen hellen Teint. Daher auch der extreme Sonnenbrand. Sein Gesicht war außerdem schmutzig und blutverschmiert, aber es war nicht zu übersehen, wie gut er aussah. Seine Gesichtszüge wirkten jetzt entspannt, ließen aber darauf schließen, dass sie einen ganz schön in Bann ziehen konnten.

Der Rest von ihm war nicht minder beeindruckend. Der Unbekannte hatte einen muskulösen Körper und bestimmt kein Gramm zu viel. Bekleidet war er mit einem zerrissenen khakifarbenen Overall.

Olivia runzelte die Stirn und durchsuchte vorsichtig die Taschen des Fremden. Sie enthielten nur ein bisschen Geld und ein Taschentuch, aber nichts, was auf die Identität des Mannes schließen ließ. „Wer immer du auch bist“, flüsterte sie danach kopfschüttelnd, „ich will nicht hoffen, dass du unter Gedächtnisverlust leidest. Es sieht mir nämlich fast so aus, als würdest du von einem anderen Stern kommen!“

Zwei Stunden später richtete sich der Arzt, der mit dem Ambulanzhubschrauber gekommen war, auf und blickte stirnrunzelnd auf den Fremden hinunter. Der Verletzte war zuvor in eines der Gästezimmer gebracht worden. Jack und der Arzt hatten ihm den Overall ausgezogen und den Mann dann mit Olivias Hilfe gewaschen, bevor die Platzwunde an seiner Schläfe genäht worden war. Aber egal, was sie auch taten, der Fremde rührte sich nicht.

„Ist er im Koma?“, fragte Olivia besorgt, während sie den Mann betrachtete, der da auf dem blütenweißen Laken lag.

„Sieht ganz so aus. Außerdem hat er eine überdimensionale Beule an der Stirn. Aber Herz- und Pulsschlag sind normal, und er atmet gleichmäßig. Nun, ich würde sagen, er hat zu viel Flüssigkeit verloren, deshalb werde ich ihn wohl an den Tropf hän… Moment mal!“

Der Mann hatte sich bewegt, und die Umstehenden traten näher ans Bett heran. Da murmelte er etwas und schlug die Augen auf, die tatsächlich blau waren. Tiefblau, aber auch komplett ausdruckslos.

„Wo … Wo bin ich?“, brachte er nur mühsam hervor.

Der Doktor beantwortete ihm die Frage und fügte dann bedauernd hinzu: „Die Sache ist nur die, wir wissen nicht, wie Sie hierhergekommen sind.“

„Welch… Welcher Bundesstaat ist das?“

„Queensland. Klingelt’s da bei Ihnen?“

Aber der Mann blinzelte nur benommen mit seinen wunderbar blauen Augen und sagte: „Ich kann mich nicht mal an meinen Namen erinnern! Können Sie sich das vorstellen?“ Dann versuchte er unvermittelt, sich aufzusetzen, und Olivia hatte plötzlich ein ganz schlechtes Gewissen, als wären ihre Gedanken schuld an seinem Gedächtnisverlust.

Draußen auf der Veranda besprachen Olivia, Jack und der Arzt rasch, was nun zu tun sei.

„Ich schätze mal, dass es sich nur um eine zeitlich begrenzte Amnesie handelt“, erklärte der Arzt. „Er wird sich allmählich wieder an alles erinnern, und unser Problem ist gelöst. Wir müssen nur dafür sorgen, dass er genug trinkt und sich ruhig verhält. Wahrscheinlich hat er auch eine Gehirnerschütterung. Meinst du, dass du damit klarkommst, Livvie?“

„Natürlich, aber …“ Olivia machte eine hilflose Geste. „… was, wenn der Gedächtnisverlust nicht vorübergehend ist? Sollten wir den Mann nicht besser ins Krankenhaus fliegen?“

„Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass das in diesem Stadium notwendig ist, und außerdem stehen wir im Augenblick wirklich ziemlich unter Druck. Ich war gerade auf dem Weg zu einem Patienten mit einem komplizierten Beinbruch, als ich deinen Notruf erhielt, Livvie. Und der andere Hubschrauber ist zu einem möglichen Meningitisfall unterwegs. Aber wenn sich der Mann hier in den nächsten ein, zwei Tagen immer noch nicht erinnert, müssen wir ihn wohl ins Krankenhaus bringen. Sollte sich sein Zustand verschlechtern, kannst du mich aber jederzeit anrufen. Irgendwie finden wir dann schon eine Lösung. Ist dein Onkel zu Hause?“

„Nein“, Olivia schüttelte den Kopf, „er ist in Japan mit einer Marketingdelegation von Rinderzüchtern. Aber Jack ist ja da, falls ich Hilfe brauche. Wir müssen auf jeden Fall die Polizei verständigen.“ Sie verstummte und runzelte nachdenklich die Stirn, bevor sie fortfuhr: „Er ist bestimmt von einem angrenzenden Besitz herübergeritten. Womöglich hat ihn sein Pferd abgeworfen und ist dann allein nach Hause galoppiert.“

„Hört sich plausibel an“, stimmte Jack ihr zu. „Ich werd das mal überprüfen.“

„Sind Sie Krankenschwester?“

Olivia richtete sich auf, sah zu ihrem Patienten hinunter und sagte: „Nein, aber ich habe einen ausführlichen Erste-Hilfe-Kurs gemacht.“ Sie strich noch die Laken glatt und setzte sich dann auf einen Stuhl neben das Bett. „Wie fühlen Sie sich?“

„Furchtbar“, antwortete der Mann mit einem gequälten Lächeln. „Ich hab höllische Kopfschmerzen, mir ist ganz heiß, und alles tut mir weh. Außerdem scheint mir meine Zunge doppelt so dick zu sein wie sonst.“

„Das liegt daran, dass Sie zu wenig Flüssigkeit im Körper haben, und an Ihrem Sonnenbrand. Hier in der Gegend sollte man draußen aber auch nicht ohne Kopfbedeckung rumlaufen. Und die Schmerzen kommen von der riesigen Beule an Ihrem Kopf und davon, dass Sie an der Schläfe mit drei Stichen genäht wurden. Sonst scheint mit Ihnen alles in Ordnung zu sein.“

Er verzog das Gesicht. „Und was ist mit dem Nebel, der mich umgibt?“

„Vorübergehende Amnesie“, sagte Olivia sofort, und es hörte sich an, als wäre sie davon überzeugt. „Der Arzt schätzt, dass Ihnen nach und nach alles wieder einfällt.“

„Hoffentlich hat er damit recht!“

Der Fremde rutschte unruhig auf seinem Lager hin und her, und Olivia stand auf, um ihm die Kissen zurechtzuschütteln, damit er es ein wenig bequemer hatte.

Die Verandatür stand offen, und man hörte das Gackern eines Perlhuhnpaars, das draußen unter den Holzbohlen scharrte. Ein Duft nach warmer Erde erfüllte das Zimmer, dessen hohe Decke das schmiedeeiserne Bett und die hübschen alten Möbel erst richtig zur Geltung brachte. Es war schon spät am Nachmittag, und die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten alles in ein goldenes Licht. Auch Olivia erstrahlte im Glanz der Abendsonne, und der Mann auf dem Bett betrachtete sie interessiert.

Wohlwollend registrierte er die großen grauen Augen, den hellen Teint und den grazil geschwungenen Hals. Die Strähnchen, die sich aus ihrem blonden Knoten gelöst hatten, umspielten sanft das schöne Gesicht. Aber die derbe Bluse und die lange khakifarbene Arbeitshose wollten nicht so recht zu ihr passen.

Während der Mann sie ansah, huschte ein Schatten über sein Gesicht, aber Olivia vermochte nicht zu sagen, warum. Schließlich fragte er: „Könnten Sie mir ein bisschen mehr über sich erzählen und wo ich hier bin?“

„Nur wenn Sie das austrinken.“ Sie stand auf, nahm ein Glas vom Nachttisch und reichte es ihm.

Er rümpfte die Nase. „Das riecht ja furchtbar!“

„Es ist eine isotonische Lösung, die Ihrem Körper all die notwendigen Mineralien und Nährstoffe wieder zuführt, die Sie verloren haben. Sehen Sie es doch mal so: Wenn Sie das hier trinken, bleibt Ihnen der Tropf erspart.“

„Na, Sie hätten mit Sicherheit eine ausgezeichnete Krankenschwester abgegeben“, antwortete der Mann mit einem schalkhaften Augenzwinkern.

„Es ist Ihre Gesundheit! Trinken Sie’s, oder lassen Sie’s bleiben!“, erwiderte Olivia, allerdings mit einem Lächeln.

Er trank das Glas in einem Zug leer und verzog das Gesicht.

Zufrieden setzte sich Olivia wieder hin und begann zu erzählen: „Ich bin Olivia Lockhart, und Sie befinden sich hier auf der Wattle-Creek-Farm. Sie gehört meinem Onkel. Zurzeit ist er in Übersee. Ich lebe schon immer hier und helfe ihm, die Farm zu füh…“

„Wie alt sind Sie?“

„Fünfundzwanzig – und wir züch…“

Wieder unterbrach er sie. „Haben Sie denn nie etwas anderes getan? Ich finde, dass Sie gar nicht wie ein Cowgirl aussehen.“

„Und doch bin ich genau das.“

Da Olivia nicht weitersprach, sondern ihn stattdessen prüfend ansah, fragte er: „Was ist denn?“ Dabei klang seine Stimme irgendwie besorgt, obwohl er lächelte.

„Ich überlege mir gerade, ob Sie mich auch weiterhin ständig unterbrechen wollen, Mr. … nun, wie immer Ihr Name auch sein mag.“

„Wir können ja erst mal einen erfinden“, sagte er mit einem merkwürdigen Sinn für Humor. „Ich lege nämlich keinen Wert darauf, hier als der Mann ohne Namen eingeführt zu werden.“

Olivia dachte einen Moment nach. „Was halten Sie von … Max oder Hasso?“

Beleidigt sah er sie an. „Ihnen fällt doch bestimmt noch was Besseres ein – mit so einem Namen würde ich mir doch wie ein streunender Straßenköter vorkommen!“

Sie lachte, wurde aber gleich wieder ernst. „Können Sie sich denn an überhaupt nichts …? Nein, vergessen Sie’s, ich …“

„An überhaupt nichts erinnern, wollten Sie sagen? Nein, kann ich nicht, ganz bestimmt nicht“, sagte er nachdenklich, „und das ist ein ziemlich blödes Gefühl, wenn Sie’s genau wissen wollen.“

„Quälen Sie sich nicht“, entgegnete Olivia, der es leid tat, auf seine missliche Situation angespielt zu haben. „Ich bin sicher, dass es besser ist, abzuwarten, bis die Erinnerung von allein zurückkommt. Außerdem hatten Sie recht: Mir fällt was Besseres ein. Diesmal beginne ich mit dem ersten Buchstaben des Alphabets“, fügte sie aufgeräumt hinzu. „Da hätten wir noch Adam, Adrian, Alexander … Mit so einem Namen würden Sie sich doch bestimmt nicht mehr wie eine Promenadenmischung vorkommen, nicht wahr? Oder wie wär’s mit Alfred, Arnold …?“

„Warten Sie mal!“, rief er plötzlich aus. „Arnold? Arnold? Nein, wissen Sie was, ich glaube, ich heiße Benedict … Ben … Ben …“ Aber der Nachname wollte ihm partout nicht einfallen, und er ließ sich fluchend zurück in die Kissen sinken.

„Sie kennen Ihren Vornamen! Das ist doch großartig“, rief Olivia begeistert. „Das beweist, dass Ihre Erinnerung allmählich zurückkehrt. Aber Sie ruhen sich jetzt besser aus.“

„Jawohl, Ma’am“, murmelte er trocken, „aber nur, wenn Sie mir noch mehr von sich erzählen.“

„Da gibt’s nicht mehr viel zu sagen …“

„Da muss es doch noch was geben! Wieso haben Sie zum Beispiel keine sonnengegerbte, faltige Haut?“

„Ich …“ Olivia war sprachlos. Es war ihr unangenehm, dass er sie nun schon wieder von Kopf bis Fuß musterte. Als er ihr schließlich erneut ins Gesicht sah, erklärte sie: „Ich habe immer gut auf mich aufgepasst, Sunblocker benutzt und einen Hut aufgesetzt, lange Ärmel getragen und so weiter. Meine Mutter hat das auch so gemacht. Aber …“ Sie zuckte die Schultern. „… darunter bin ich genauso hart im Nehmen wie jedes andere Cowgirl.“

„Und Sie haben in Ihrem Leben wirklich noch nie was anderes getan als Kühe gehütet?“ Er ließ nicht locker.

„Doch, und das tu ich immer noch.“ Olivia faltete die Hände, führte aber nicht weiter aus, was sie neben dem Kühe hüten sonst noch machte.

„Wenn Sie’s mir nicht erzählen“, sagte der Mann leise, „wird mir wieder ganz heiß und schlecht.“

Olivia sah ihn durchdringend an und entgegnete: „Ich hab so das Gefühl, dass Sie immer Ihren Kopf durchsetzen müssen. Wie das geht, scheinen Sie jedenfalls nicht vergessen zu haben, Benedict.“

Aber er sah sie nur mit einem ganz unschuldigen Blick an.

Olivia seufzte. „Der Himmel weiß, warum Sie derart an meinem Privatleben interessiert sind!“

„Man wird schließlich nicht jeden Tag von einer so attraktiven Krankenschwester umsorgt.“

Olivia merkte, wie sie rot wurde. „Na gut“, sagte sie schließlich, „ich war drei Jahre auf der Uni und hab dort Kunstvorlesungen besucht. Ich male und entwerfe Glückwunschkarten und hab auch das Wohnhaus hier renoviert“, sie ließ den Blick durch den Raum schweifen, „und es zu seinem alten Glanz zurückgeführt. Ich habe ein Faible für alte Häuser und Trödel. Mehr gibt’s über mich nicht zu sagen. Sind Sie nun zufrieden, Ben?“

„Nein, nun ist mein Interesse erst richtig geweckt. Was sind das für Grußkarten, die Sie da malen?“

„Szenen von der Landschaft hier draußen oder Zeichnungen der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt. Solche Sachen eben.“

„Ich bin beeindruckt. Sie scheinen ja ein sehr erfülltes und produktives Leben zu führen. Gibt es auch einen Mr. Olivia Lockhart?“ Er ließ den Blick zu ihrer rechten Hand gleiten. „Ah, wie ich sehe, sind Sie nicht verheiratet, oder Sie tragen Ihren Ring nicht immer.“

„Es gibt keinen Mr. Olivia Lockhart“, erwiderte sie ungerührt und verstummte, als von der Veranda her Fußtritte und Flüstern zu hören waren. Sie lauschte einen Augenblick und lächelte ihrem Patienten dann vielsagend zu. „Ich bin sicher, es macht Ihnen nichts aus, Ihren beiden Rettern zu beweisen, dass Sie tatsächlich noch leben. Die zwei haben mir erzählt, dass sie Sie mit einem Stock angestoßen haben. Als Sie nicht reagierten, dachten sie, Sie wären tot.“

Der Fremde warf ihr einen empörten Blick zu, und Olivia musste sich ein Lachen verbeißen. Dann rief sie: „Kommt rein, Ryan und Sonia!“

Auf Zehenspitzen tippelten die Zwillinge ins Zimmer und stellten sich neben das Bett.

„Das ist Ben“, erklärte Olivia, und Ben stieß hervor: „Ja, was haben wir denn da? Einen Fall von Chaos im Doppelpack, wenn ich mich nicht irre.“

„Da haben Sie nicht ganz Unrecht“, murmelte Olivia.

„Das sind doch nicht etwa Ihre?“

„Nein. Die Eltern der beiden arbeiten hier auf der Farm.“

„Er kann sprechen!“, sagte Ryan zu Sonia und in vorwurfsvollem Ton zu Ben: „Als wir Sie gefunden haben, konnten Sie das nicht.“

„Wir haben gedacht, Sie wären tot!“, fügte Sonia hinzu, „und haben einen Riesenschreck gekriegt.“

„Hiermit entschuldige ich mich dafür. Ich muss mich irgendwie selbst k. o. geschlagen haben. Aber ich bin euch sehr dankbar, dass ihr mich gefunden habt. Wirklich sehr dankbar.“

Die Zwillinge waren zufrieden, und Ryan stellte fest: „Das heißt also, dass wir keine Tracht Prügel bekommen, obwohl wir auf der Pferdekoppel gewesen sind. Meinst du nicht auch, Livvie?“, vergewisserte er sich dann vorsichtshalber noch einmal bei Olivia.

„Ryan, du weißt ganz genau, dass du nie Prügel bekommst. Dein Vater macht sich nur Sorgen um euch. Auf der Koppel können Schlangen oder sonst was sein.“

„Wenn er einen nur anguckt, hat man den Eindruck, als würd’s was mit dem Gürtel setzen, Livvie“, erklärte Sonia ernst. „Er kann einem das Gefühl geben, als ob man so klein ist.“ Dabei deutete sie mit Daumen und Zeigefinger eine Spanne von wenigen Zentimetern an.

„Und deshalb gehorcht ihr ihm auch so gut“, erwiderte Olivia, bemüht, streng zu klingen, wobei sie sich sehr zusammenreißen musste, um nicht laut zu lachen. „Aber unter diesen Umständen wollen wir mal ein Auge zudrücken. Und jetzt raus mit euch!“

„Wiedersehen, Mr. Ben!“, flöteten die beiden im Chor und rannten hinaus.

„Was glauben Sie, Olivia, wie ich auf diese Koppel mit den Schlangen – und was immer es da sonst noch gibt – gekommen bin?“, fragte Ben, der sich nach wie vor keinen Reim darauf machen konnte.

„Ich kann mir nur vorstellen, dass Sie von einem angrenzenden Besitz herübergeritten sind, und Ihr Pferd …“ Olivia zuckte die Schultern. „… hat sich womöglich erschreckt und Sie abgeworfen.“

„Ich bin in meinem ganzen Leben noch von keinem Pferd gefallen. Nun ja, zumindest seit meinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr.“

„Woher wollen Sie das denn so genau wissen?“ Olivia war erstaunt.

„Ich … ich weiß es eben“, sagte er frustriert.

„Aber es kann doch jeder mal vom Pferd fallen“, gab Olivia zu bedenken. „Ich meine, Ihr Pferd könnte doch vor einer Schlange gescheut haben. Wie auch immer. Jack, unser Aufseher, zieht gerade Erkundigungen ein. Er wird auch die Polizei verständigen. Aber ich glaube, Sie sollten sich jetzt ausruhen. Sie sehen mir schon wieder sehr angegriffen aus.“

„Es geht mir auch nicht gut!“ Der Mann bewegte sich unruhig hin und her und verzog vor Schmerz das Gesicht.

„Dann sollten Sie eine von diesen Tabletten hier nehmen. Und liegen Sie ruhig“, riet sie ihm freundlich. „Ich weiß, dass Männer an sich furchtbare Patienten sind, aber Sie doch nicht!“

Der Fremde sah ein wenig verärgert aus und erwiderte: „Zum Teufel, was glauben Sie eigentlich, wie alt ich bin, Olivia Lockhart?“

„Um die dreißig? Ein Grund mehr, sich zu benehmen“, entgegnete sie ungerührt und gab ihm die Tablette. Dann goss sie aus einem bereitstehenden Krug Wasser in das Glas auf dem Nachttisch und reichte es dem Fremden. Sie sagte kein Wort, sondern sah ihn nur gelassen an.

Er zögerte einen Augenblick, schluckte die Tablette dann aber brav hinunter.

„So ist es gut.“ Olivia nahm ihm das Glas wieder ab und deutete auf ein silbernes Glöckchen auf dem Nachttisch. „Ich fang jetzt mit den Vorbereitungen fürs Abendessen an. Wenn Sie noch was brauchen, klingeln Sie einfach. Und dass Sie mir ja im Bett bleiben! Verstanden?“

„Ich hab mich geirrt“, sagte Ben zerknirscht, „Sie hätten eher das Zeug zu einem Feldwebel.“

Olivia lächelte schwach und fühlte ihm die fiebrige Stirn. „Schlafen Sie jetzt. Ich bin sicher, dass alles schon viel besser aussieht, wenn Sie sich ausgeruht haben.“

Als das Abendessen fertig war, schlief der Mann immer noch, und Olivia störte ihn nicht.

Während sie allein beim Essen am Küchentisch saß, kam Jack Bentley von seinen Nachforschungen zurück, und Olivia bot ihm einen Kaffee an. „Gibt’s was Neues, Jack?“, fragte sie und nahm zwei Tassen aus dem altmodischen Küchenbüfett.

„Nein, nichts, gar nichts. Kein Mensch im ganzen Distrikt scheint ihn zu kennen oder jemanden als vermisst gemeldet zu haben. Die Polizei stellt nun auch Nachforschungen an. Ich habe den Beamten eine Beschreibung von ihm gegeben. Übrigens, Livvie, da ist etwas, das von Interesse sein könnte. Im angrenzenden Bezirk hat es schwere Regenfälle gegeben, mehrere Meter, und zwar in wenigen Stunden. Und ein paar Straßen sind gesperrt. Könnte sein, dass er stecken geblieben ist, beschloss, zu Fuß weiterzugehen, und sich dabei verlaufen hat. Aber …“

„Oh Jack“, stieß Olivia aufgeregt hervor, „meinst du, die Regenwolken ziehen zu uns?“

„Ganz sicher sogar!“ Er nickte begeistert. „Das Tiefdruckgebiet kommt direkt auf uns zu.“ Dann verstummte er und machte eine hilflose Geste. „Aber du weißt ja, wie unberechenbar das Wetter in dieser Gegend ist! Wenn es fünfzig Meilen von hier regnet, heißt das noch lange nicht, dass es auch bei uns Regen gibt. Aber auf jeden Fall zieht das Tiefdruckgebiet in unsere Richtung. Das ist ja immerhin schon was.“

„Wollen wir das Beste hoffen!“, sagte Olivia, nahm die gelbe Emaillekanne vom Herd und goss Jack eine Tasse wunderbar duftenden Kaffees ein. „Erst heute Nachmittag hab ich noch allen Kindern auf der Farm erklärt, wie wichtig es ist, sparsam mit dem Wasser umzugehen.“ Nach einer kleinen Pause fuhr sie seufzend fort: „Das Letzte, was wir … zu all dem jetzt noch gebrauchen können, ist eine weitere Dürreperiode.“

„Du sagst es“, pflichtete Jack ihr bei. „Mit den niedrigen Rindfleischpreisen und den Währungsschwankungen sind wir schon gestraft genug.“

„Aber Wattle Creek hat bisher noch alles überstanden, und das schon seit geraumer Zeit“, sagte Olivia und klang wieder ganz zuversichtlich.

„Mh“, murmelte Jack. „Leider bringt uns das, was diesen Kerl betrifft, auch nicht weiter. Wie geht’s ihm überhaupt?“

„Er ist total erledigt, aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Sein Puls ist stabil, und er kann sich an seinen Namen erinnern, zumindest an den Vornamen. Er heißt Benedict.“

„Ich hab mir schon gedacht, dass er einen ausgefallenen Namen hat.“

„Oh, tatsächlich?“ Olivia sah Jack über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg fragend an.

„Er klang irgendwie, als wäre er was Besseres.“ Jack zuckte die Schultern.

Olivia schnitt ihm ein Gesicht. „Er ist außerdem überzeugt davon, dass kein Pferd wild genug ist, um ihn abzuwerfen.“

Jack grinste. „Eingebildet auch noch, mh?“

„Eher ganz schön selbstsicher, würde ich sagen.“

Jack zog eine Augenbraue hoch. „Brauchst du Hilfe? Ich könnte heute Nacht hier bleiben.“

„Nein, das ist nicht nötig. Aber trotzdem vielen Dank, Jack“, antwortete sie und sah zur Küchentür, die plötzlich hin- und herschwang. Auch die Gardinen bewegten sich ein wenig. „Der Wind frischt auf“, stellte sie fest und stützte den Kopf in die Hände. „Wollen wir hoffen, dass das Tiefdruckgebiet auf diese Weise zu uns kommt.“

Jack stand auf. „Ich werd mal lieber nachsehen, ob alles gut angebunden und abgedeckt ist. Bis morgen früh dann, Livvie. Und vergiss nicht, mich anzurufen, wenn Mr. Benedict dir zu anstrengend wird.“

Nachdem Jack gegangen war, begann Olivia, das Geschirr zu spülen und die Küche aufzuräumen.

Es war eine großzügige, altmodische Küche, beherrscht von dem wuchtigen alten Büfett mit den bunten Steinguttellern. In dem Raum stand außerdem ein großer Ess- und Arbeitstisch, und von der Decke hing ein hölzernes Abtropfregal, an dem Olivia Töpfe, Körbe und Blumensträuße sowie Kräuter und Blätter zum Trocknen aufhängte. Die Wände waren zartgelb gestrichen, und an den Fenstern hingen dazu passende Vorhänge mit Margeritendruck.

Dem Büfett gegenüber an der anderen Wand stand ein langer, schmaler Tisch mit alten Küchenutensilien: ein Fleischwolf, eine hölzerne Kaffeemühle, eine Messingwaage, verbeulte Zinnförmchen für kleine Kuchen und andere Leckereien einer längst vergangenen Zeit sowie Olivias wertvolle alte Porzellantellersammlung mit blauweißem Muster. Der Küchenboden war grün gefliest, und die Stühle am Tisch hatten lederbespannte Rückenlehnen und Sitzflächen aus Binsengeflecht.

Zwar verfügte das Wohnhaus der Wattle-Creek-Farm über wesentlich repräsentativere Räume, aber die Küche war das Herz des Hauses.

Als Olivia fertig war, ging sie auf die Veranda und atmete tief die Abendluft ein. Fast konnte man den Regen schon riechen. Zufrieden stellte sie fest, dass sich bereits dunkle Wolken vor den Mond schoben. Das würde sicher eine unruhige Nacht werden. Sie ging wieder hinein und machte vorsichtshalber einen Rundgang durchs Haus, um alle Türen und Fenster zu schließen.

Dann sah sie noch einmal nach ihrem Patienten.

Sie hatte in seinem Zimmer Licht brennen lassen und die Lampe auf der dem Bett zugewandten Seite mit einem Tuch abgedeckt. Er schlief noch, bewegte sich aber unruhig hin und her. Olivia beobachtete ihn eine Weile nachdenklich. Er trug eine Pyjamahose ihres Onkels, die ihm viel zu kurz und zu weit war. Ihr Onkel hatte einen beträchtlichen Taillenumfang, der Fremde allerdings nicht, entsprechend saß die Hose. Aber daran war im Augenblick nichts zu ändern. Olivia wandte ihre Aufmerksamkeit nun seinem Gesicht zu mit den klaren Zügen, der vom Sonnenbrand geröteten Haut und dem Schatten auf dem Kinn.

Im Schlaf wirkte der Mann irgendwie verletzlich. Aber wenn er ihr die Wahrheit erzählt hatte, gehörte Verletzlichkeit wohl nicht zu seinen Eigenschaften. Trotzdem fühlte sich Olivia irgendwie zu ihm hingezogen. Deshalb streckte sie schließlich einen Arm aus und legte dem Mann vorsichtig die Hand auf die Stirn.

Er murmelte etwas Unverständliches, tastete nach Olivias Hand, zog sie an die Lippen und drückte ihr einen Kuss auf die Handfläche. Gleichzeitig schlug er die Augen auf und sagte: „Schatz, ich …“ Dann verstummte er unvermittelt.

Olivia erstarrte und versuchte, sich ihm zu entziehen, aber er verstärkte den Griff, atmete tief durch und erklärte: „Wenn das nicht Feldwebel Lockhart ist.“

„Genau der“, erwiderte Olivia scharf. „Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.“

„Ich bin nicht enttäuscht. Ich wüsste nicht, von wem ich mir jetzt lieber die Stirn kühlen ließe.“

Autor

Lindsay Armstrong

Lindsay Armstrong wurde in Südafrika geboren, und bis heute fasziniert sie der Kontinent sehr. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später machen wollte: Sie war entschlossen, Schriftstellerin zu werden, viel zu reisen und als Wildhüterin zu arbeiten.

Letzteres ist ihr zwar nicht gelungen, aber noch immer ist sie...

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