Der Mann, der sie berührte

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Ein wichtiger Auftrag steht Journalistin Trudy bevor, da will sie der machohafte Polizist Truman Steele davon abbringen, ihn zu begleiten. Zu gefährlich wäre der Einsatz für eine zarte Frau wie sie, behauptet er. Doch Trudy setzt sich durch und beweist, dass sie unabkömmlich ist: Auch als Truman verletzt wird, bleibt sie bei ihm. Insgeheim muss sie sich aber eingestehen, dass sie all das nicht nur tut, um eine gute Story zu bekommen. Truman hat es ihr irgendwie doch angetan …


  • Erscheinungstag 01.02.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776015
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ma hat in der Lotterie gewonnen?“ Truman Steele konnte es noch immer nicht fassen. Der Jackpot war über Wochen angewachsen, und die Leute an den Straßenecken, in den U-Bahn-Stationen und an den Wasserspendern in den Büros hatten sich mit Spekulationen über den glücklichen Gewinner amüsiert. Jeden Tag zeigten die TV-Nachrichten Menschenschlangen vor Kiosken, wo die Leute Lose kaufen konnten, und die „New York News“ befragte die Menschen auf den Straßen, was sie mit einem solchen Riesengewinn machen würden.

Truman hatte sich ausgemalt, dass er sich ein Boot zum Fischen, einen Urlaub in Las Vegas und ein paar gute Aktien gönnen würde. Aber jetzt, wo er möglicherweise tatsächlich ein Drittel des Geldes bekommen würde, war er sich nicht mehr so sicher. Die Hand auf dem Holster, marschierte er in seiner marineblauen Polizistenuniform im ehemaligen Zimmer seines ältesten Bruders auf und ab. Schon immer hatten sich die drei Brüder in Sullivans Zimmer zurückgezogen, um über Familienkrisen zu grübeln.

Nicht, dass der Gewinn von fünfzehn Millionen Dollar an sich eine Krise bedeutete. Jedenfalls noch nicht, dachte Truman und stieß einen Pfiff aus. „Ich habe bestimmt dreißig Lose gekauft.“

„Ich auch“, gestand Rex, der seine dreckigen Turnschuhe ausgezogen hatte, damit er auf dem ordentlich gemachten Bett liegen konnte. Rex war der Einzige der Brüder, der als verdeckter Ermittler arbeitete, und daher ein Meister der Verkleidung. Er kam gerade von einer Observierung und sah wie ein Obdachloser aus, mit seinem ungepflegten schwarzen Bart, der sackartigen, ölfleckigen Jeans und dem bedenklich riechenden Trenchcoat, den er zum Glück draußen gelassen hatte.

„Hast du dir Lose gekauft, Sully?“, wollte Rex wissen.

Sullivan schüttelte den Kopf. „Geldverschwendung“, erwiderte der Älteste und schob die Hände in die Taschen seiner grauen Anzughose. „Das habe ich zumindest bisher gedacht.“

„Was wolltest du machen, wenn du gewinnst, Rex?“, fragte Truman.

Verschwinden und ein ganz neues Leben beginnen, dachte Rex und sah sich in einer weißen, hochgekrempelten Hose am Strand Muscheln suchen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, als er den Blick abwandte. Im Gegensatz zu seinen Brüdern hatte er nie Polizist werden wollen. Ihn verfolgte noch immer die Angst aus seiner Kindheit, als ihr Vater sich seine Pistole umschnallte und zur Arbeit ging. Ständig hatte er auf den Abend gewartet, an dem Augustus Steele nicht zum Abendessen nach Hause kommen würde. Und weil er einem Kind solche Ängste ersparen wollte, hatte er vor langer Zeit entschieden, dass eine Familie und die Arbeit für das NYPD, das New York Police Department, nicht zusammenpassten. Schließlich zuckte er die Schultern. „Ich weiß nicht. Fünfzehn Millionen sind ein Haufen Geld, Bruderherz.“

„Allerdings“, stimmte Truman ihm zu und sah aus dem Fenster in den Garten, der ein beeindruckender Dschungel aus Laubbäumen, Büschen und Farnen war.

Bevor Sheila Steele mit einem der größten Lotteriegewinne in der Geschichte New Yorks gesegnet wurde, war sie die Besitzerin eines grünen Daumens und eines Sandsteinhauses gewesen. Sheila hatte das Haus in der Bank Street, in dem die Steeles wohnten, von ihrer Familie geerbt, aber wegen der hohen Unterhaltungskosten in Manhattan waren die oberen zwei Stockwerke vermietet. Von vorn wirkte das Haus trotz der freundlichen grünen Fensterläden ein wenig düster, ein massives Gebäude aus braunem Sandstein in einer grauen Straße, umgeben von grauen Gehsteigen und ebenso grauen Parkuhren. Touristen würden nie das helle, gemütliche Innere vermuten oder die wuchernden Pflanzen und Blumen, die Sheila im Garten zum Gedeihen brachte.

„Fünfzehn Millionen“, wiederholte Truman. „Macht fünf für jeden.“

Sully schüttelte den Kopf mit jener misstrauischen Wachsamkeit im Blick, die ihn mit sechsunddreißig zum jüngsten Captain bei der New Yorker Polizei gemacht hatte. „Wenn Ma uns den Brief nicht gezeigt hätte, hätte ich ihr nicht geglaubt.“

Rex lachte. „Sei nicht so misstrauisch, Sully. Wir reden hier über Ma, nicht über einen Kriminellen.“

„Da bin ich anderer Ansicht“, konterte Truman. „Korrigiert mich, falls ich mich irre, aber sagte Ma nicht gerade, sie erwartet von uns, dass wir Ehefrauen finden? Und dass, falls wir das nicht tun, sie das ganze Geld einer Stiftung zur Rettung von Riesenschildkröten zukommen lässt?“

„Die Stiftung kümmert sich außerdem um die Rettung des Meeresleguans“, erinnerte Rex ihn.

„Und vergiss nicht den flugunfähigen Kormoran“, fügte Sully trocken hinzu.

„Ach ja“, flüsterte Truman. „Der flugunfähige Kormoran.“

Die drei Brüder starrten einander entsetzt an. Rex Schultern begannen vor unterdrücktem Lachen zu beben. Sullivan grinste, und Truman sagte: „Was, zum Teufel, ist ein flugunfähiger Kormoran?“

„Ein Vogel, glaube ich“, sagte Sully.

Aber das wurde nicht bestätigt, da plötzlich keiner mehr den Atem zum Reden hatte. Sully schnappte nach Luft und klopfte Rex freundschaftlich auf die Schulter, und Truman krümmte sich und schlug sich auf die Knie. Jeder von ihnen dachte über die lebensverändernde letzte halbe Stunde nach.

Als ihre Mutter sie zum Mittagessen nach Hause eingeladen hatte, hatten sie sich natürlich nichts dabei gedacht. Sullivan und Truman lebten in Mietwohnungen in der Nähe und kamen regelmäßig zum Essen, und obwohl Rex in Brooklyn wohnte, schaute auch er oft vorbei. Nein, die Einladung war nichts Besonderes gewesen. Aber nach dem Essen hatte Sheila ihnen einen Beleg der Lotteriegesellschaft gezeigt. Sheila hatte das Geld, das sie gewonnen hatte, bereits auf ein spezielles Konto überwiesen, aber da Sullivan, Rex und Truman die wahrscheinlichen Nutznießer sein würden, brauchte die Lotteriegesellschaft einige Unterschriften von ihnen.

„Das Geld gehört euch, Jungs“, hatte Sheila strahlend verkündet. Truman hatte sie in benommenem Schweigen angeschaut, als sie hinzufügte: „Aber nur, wenn ihr innerhalb der nächsten drei Monate heiratet.“

Sie hatte weiter strahlend gelächelt, als hätte sie gerade das Vernünftigste in der Welt von sich gegeben, und Truman hatte den Kopf geschüttelt. Seine Brüder und er liebten seine Mutter, doch sie war ziemlich unkonventionell. Es schien kaum vorstellbar, dass sie einen biederen Polizisten geheiratet hatte und dass ihre drei Söhne alle Polizisten geworden waren. Sheila war das, was manche Leute humorvoll als „Erdmutter“ bezeichneten. Sie war meistens so beschäftigt, dass sie ihr langes graues Haar nur zu einem schlichten Knoten frisierte. Sie bevorzugte knöchellange Röcke, Westen und Sandalen, die sie mit Socken trug. Sie hatte ein freundliches Lächeln und ein Herz aus Gold, das es ihr erlaubte, nicht nur die eigenen Söhne zu bemuttern, sondern oft auch die Männer in den Polizeirevieren, in denen sie arbeiteten. Ihre selbst gemachten Donuts mit blau-goldenem Zuckerguss waren legendär.

„Ma kann manchmal wirklich verrückt sein“, räumte Rex ein, nachdem er sich vom Lachen beruhigt hatte. „Aber es ist eine nette Art von Verrücktheit.“

Truman hatte da seine Zweifel. Während des Essens war das Erste, was er sagte: „Wie kommst du bloß auf so etwas, Ma?“

„Oh, ich lese ständig von solchen Sachen“, hatte sie ihm versichert und auf den Roman gedeutet, der aufgeschlagen auf dem Sofa lag.

„In Büchern“, hatte Truman mit Nachdruck erwidert. „In Romanen.“ Da er halbwegs befürchtete, seine Mutter hätte nicht verstanden, fügte er hinzu: „Da wird einem doch was vorgemacht, was es gar nicht gibt.“

„Nicht mehr, mein Sohn.“ Lachend hatte Sheila zur Warnung den Finger erhoben. „Und damit wir uns richtig verstehen: Ich akzeptiere keine Scheinehen. Ihr müsst verliebt sein. Ihr könnt nicht so tun, als ob und euch später wieder scheiden lassen. Ebenso wenig dürft ihr euren zukünftigen Ehefrauen verraten, dass ihr bei Heirat Millionär werdet.“

„Damit ist ein überzeugendes Argument schon weg“, murrte Truman, der absolut nicht die Absicht hatte zu heiraten. Zumindest nicht aus Liebe. Für Geld, sicher. Einmal hätte er beinah aus Liebe geheiratet – nie wieder!

Mit ernster Miene hatte Sheila hinzugefügt: „Und bevor ihr nicht alle eine Frau gefunden und innerhalb von drei Monaten geheiratet habt, bekommt niemand Geld.“

„Wir müssen alle drei heiraten?“, fragte Truman.

Sie nickte. „Ja. Und damit eure zukünftigen Ehefrauen nichts von dem Geld erfahren, müssen wir es geheim halten. Falls irgendjemand herausfindet, dass ich gewonnen habe, spende ich das Geld umgehend der Forschungsstiftung der Galapagosinseln.“

„Die Galapagosinseln?“, hatte Sully ungläubig wiederholt.

Ihr Vater war genau wie Sully ein absoluter Vernunftmensch. Er würde diesem albernen Plan ein Ende bereiten. „Wo ist Dad?“, wollte Truman wissen.

Einen Moment lang wirkte ihre Mutter distanziert. „Zur Arbeit“, antwortete sie leise. „Er macht viele Überstunden in letzter Zeit. Ich glaube, die Auflösung eines großen Falles steht bevor, und ich hatte vor, mit euch darüber zu reden. Ich bin mir nicht sicher, aber ich halte es für möglich, dass euer Vater in Schwierigkeiten steckt …“

„Hast du mit ihm darüber gesprochen?“, unterbrach Rex sie, denn es war nicht das erste Mal, dass Augustus Steele in Schwierigkeiten steckte oder zu hart arbeitete.

„Nein“, hatte Sheila entgegnet, „ich habe nicht mit ihm gesprochen, und jetzt, wo du es erwähnst, stelle ich besser noch eine Bedingung. Wenn ihr eurem Vater davon erzählt, könnt ihr die Sache vergessen, und das Geld geht auf die Galapagosinseln.“

Gewöhnlich war Sullys Miene nicht zu deuten, doch diesmal stand ihm das Erstaunen ins Gesicht geschrieben. „Du erzählst Pop nicht, dass du in der Lotterie gewonnen hast?“

„Nein“, bestätigte Sheila und drehte das Lederarmband, um auf ihre Uhr zu schauen, die mehr technische Spielereien besaß als ein Ferrari. „Und ihr auch nicht. So, Jungs, und jetzt habe ich nur noch ein paar Minuten bis zu meinem Treffen mit C.L.A.S.P.“

Truman starrte sie an. Wie konnte sie denn jetzt gehen? „C.L.A.S.P.?“

„City and Local Activists for Street People – eine Bürgerinitiative für Obdachlose“, erklärte sie und schürzte missbilligend die Lippen. „Der Bürgermeister hat schon wieder den Etat gekürzt. Heute Morgen haben drei weitere psychiatrische Einrichtungen zugemacht. Hunderte von Menschen wurden entlassen, die nicht wissen, wohin. Wir eröffnen ein neues Frauenhaus im Fleischgroßhandelsdistrikt. Diese Woche werde ich Flugblätter in euren Revieren verteilen und um Kleiderspenden bitten. Ich verteile die Flugblätter schon seit Monaten in der ganzen Stadt. Alle müssen ihren Beitrag leisten.“

Sie machte eine Pause und schüttelte angewidert den Kopf. „Selbst Ed Koch und David Dinkins waren besser“, sagte sie in Anspielung auf die früheren Bürgermeister der Stadt. „Wie dem auch sei, bevor ich gehe, solltet ihr euch in Sullivans Zimmer zurückziehen und über meinen Vorschlag nachdenken. Anschließend könnt ihr mich wissen lassen, ob ihr die Herausforderung annehmt.“

Sie hatte nicht im Mindesten fassungslos über den erstaunlichen Gewinn gewirkt, und Truman vermutete, dass es hauptsächlich daran lag, dass sie die Mutter dreier Polizisten war. So leicht brachte sie nichts aus der Ruhe. „Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wer es als Erster über die Ziellinie schafft – ihr Jungs mit euren Bräuten oder meine armen Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln.“

„Riesenschildkröten“, flüsterte Truman jetzt.

„Was sonst?“, meinte Sullivan.

„Versteht mich nicht falsch“, wandte sich Truman an seine Brüder. „Ich habe nichts gegen Riesenschildkröten.“

Sully lachte. „Ich auch nicht.“ Er ließ einen Moment verstreichen und fügte ironisch hinzu: „Es sind die Meeresleguane, die mir auf die Nerven gehen.“

„Ach, ich weiß nicht“, scherzte Rex. „Pinguine können auch ganz schöne Nervensägen sein.“ Seufzend fügte er hinzu: „Was auf den Inseln geschieht, ist ziemlich übel. Ma hat recht. Man versucht dort noch immer die Folgen der letzten Ölpest zu beseitigen. Vor ein paar Tagen ist ein Schiff, ich glaube es hieß …“

„Eliza“, half Sullivan ihm.

„Die Eliza“, bestätigte Rex. „Genau. Sie lief nahe eines Brutgebietes für Seelöwen auf Grund.“

„Ma ist es jedenfalls ernst damit“, meinte Truman. „Machen wir es oder nicht?“

„Wir können in drei Monaten keine Seelenverwandte finden“, protestierte Rex.

„Sie sprach von Ehefrauen, nicht von Seelenverwandten“, stellte Truman klar.

„Für mich müsste eine Ehefrau aber eine Seelenverwandte sein“, konterte Rex.

„Oh, bitte“, murmelte Truman. Als Einziger der Brüder, der es je mit der wahren Liebe ausprobiert hatte, wusste er es besser.

„Ma sagt, wir müssen verliebt sein“, meldete sich Sully zu Wort.

„Für fünf Millionen Dollar kann ich, glaube ich, lügen“, erklärte Truman.

Sully versuchte schockiert auszusehen. „Du könntest deine eigene Mutter belügen?“

„Als wenn ich nicht schon genug um die Ohren hätte …“ Truman fuhr sich durch das hellbraune Haar, dessen längste Strähnen seine markanten Wangenknochen berührten.

Rex hob eine Braue. „Wieso? Was ist denn passiert?“

„Coombs will, dass mich in den nächsten zwei Wochen ein Reporter von der ‚New York News auf Streife begleitet.“ Coombs war Trumans oberster Boss im Polizeirevier Manhattan South.

„Schlauer Zug. Du bist der attraktivste Cop in der Stadt“, stellte Sully ohne jeden Neid fest. „Du hast eine gute Verhaftungsquote und weckst das Interesse der Öffentlichkeit, kleiner Bruder.“

Truman bezähmte seine Wut. Es war Touristensaison, was bedeutete, dass der Bürgermeister, die „New York News“ und die Polizei nach Möglichkeiten suchten, die Kriminalitätshysterie zu dämpfen, die in jedem Sommer so unausweichlich kam wie die Hitzewellen. Sie wollten den Leuten klarmachen, dass New York City der perfekte Ort war, um dort mit seinen Kindern die Ferien zu verbringen.

Truman war an einem werbewirksamen Artikel nicht interessiert. Er war entschlossen, den jüngsten spektakulären Fall in der Stadt zu lösen, der von der „New York News“ der Glasschuh-Fall genannt wurde. Der Fall war ihm übertragen worden, aber wenn ihn in den nächsten zwei Wochen ein Reporter auf Streife begleitete, würde ihm keine Zeit mehr bleiben, daran zu arbeiten. Dazu lagen noch zu viele andere ungelöste Fälle auf seinem Schreibtisch. Doch der Glasschuh-Fall war etwas Besonderes, da Film- und Rockstars darin verwickelt waren. Ihn zu lösen würde Truman endlich die Beförderung zum Detective bescheren. Er liebte seine Arbeit, hasste langweilige Fälle und hatte es satt, viel langsamer als seine Brüder die Karriereleiter hinaufzuklettern.

„Und jetzt soll ich mir auch noch eine Frau suchen?“, murmelte er.

„Da wir gerade von Frauen und deinem Streifenwagen sprechen“, meinte Rex und zog ein Stück Papier aus der Hosentasche. „Irgendeine Frau hat das unter deinen Scheibenwischer geklemmt. Ich habe es mitgenommen. Vielleicht kannst du sie heiraten.“

Truman betrachtete die mit Lippenstift geschriebene Nachricht.

Officer Steele, ich habe Ihren Wagen gesehen. Es hat mich gefreut, Sie gestern kennenzulernen. Ich würde mich gern zum Essen mit Ihnen treffen. Rufen Sie mich an. Candy.

Truman hatte es auch gefreut, sie kennenzulernen. Unglücklicherweise hatte er sie wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaften müssen. Vorsichtig steckte er die Nachricht ein, für den Fall, dass er bei seiner Suche nach einer Braut darauf zurückgreifen musste. Dann lehnte er sich in den Türrahmen und wandte sich ab von Sullys Zimmer und den Modellflugzeugen und Schiffen. Stattdessen schaute er in Rex Zimmer, das voller Bücher war, und dann in seines, das mit Sporttrophäen und Schulwimpeln geschmückt war.

„Candy ist süß, wie?“, erkundigte sich Rex.

„Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses“, korrigierte Truman ihn und ging in Sullys Zimmer.

„Es wird noch andere geben“, tröstete Sully ihn, was Truman zum Lächeln brachte. Er schlug seine älteren Brüder in fast nichts, aber Sully hatte recht. Truman zog die meisten Frauen an. Und er war gern mit ihnen zusammen. Er wollte bloß keine eigene Familie gründen. Bisher jedenfalls nicht. Woher wollte seine Mutter wissen, ob er seine Braut wirklich liebte oder nicht? Das kann sie nicht, dachte er, während er sich ein neues Ziel steckte. Er würde nicht nur den Glasschuh-Fall aufklären, sondern er würde auch der Erste der Steele-Brüder sein, der heiratete – wenn auch selbstverständlich nicht aus Liebe.

„Sobald ich meinen letzten Fall gelöst habe, wollte ich eigentlich Urlaub machen“, erklärte Rex. „Ich habe vier Wochen Überstunden angesammelt.“

Sully runzelte die Stirn. „Wohin willst du?“

„Wohin der Wind mich trägt“, antwortete Rex auf seine typische Art.

„Dann sollte es besser ein Ort mit Frauen sein“, ermahnte Truman ihn. „Schließlich bleiben uns zum Heiraten nur drei Monate.“

„Ist das zu fassen?“, meinte Sully, aber es war eine rein rhetorische Frage. So wie er es sah, konnten sie getrost das Geld gleich für die Schildkröten spenden. Seiner letzten Beziehung hatte die Leidenschaft gefehlt, ohne die er nicht leben konnte. Und wenn er Leidenschaft gefunden hatte, war die gleiche geistige Wellenlänge nicht vorhanden gewesen.

Gedankenverloren griff Sully ins Regal und nahm eines der Modelle heraus, die er als Kind gebastelt hatte – ein Flaschenschiff. Obwohl er nicht zu sonderbarem Verhalten neigte – das war Rex’ Domäne –, stellte er sich vor, eine Flaschenpost in den Hudson River zu werfen, in der er auflistete, was er von einer Frau erwartete. Sein ganzes Leben lang hatte er das Bewährte und Erwartete getan –Essenseinladungen, Pralinen, Blumensträuße. Und trotzdem war er noch immer Single. Seit Jahren wollte er eine Beziehung, wie seine Eltern sie hatten. Wieso es also nicht mit einer Flaschenpost versuchen?

„Entweder wir oder die Schildkröten“, drängte Truman.

„Na ja“, meinte Sully und drehte nachdenklich die Flasche in den Händen. „Vielleicht ist der Reporter von den ‚New York News‘ eine Frau, und du kannst sie heiraten.“

„Na klar.“ Truman grinste schief. „Die ‚New York News‘ schickt immer einen Mann mit uns auf Streife.“

„Sie schicken mich auf Streife? Zwei volle Wochen?“ Trudy Busey versuchte gar nicht erst, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie sagte sich, dass sie ein erfahrener Profi war und beweisen musste, dass sie sich nicht provozieren ließ. Doch als sie ihre Kollegen am Tisch betrachtete, unter ihnen Scott Smith-Sanker, der wie immer alle interessanten Aufträge bekam, entschied sie, dass es nur einen Weg gab, sich in einer Redaktion zu behaupten – sie musste kämpfen.

Der übergewichtige Chefredakteur der „New York News“ Dimitri Slovinsky, kurz Dimi genannt, hob eine buschige Braue. Er war über fünfzig, und der wachsame Ausdruck in seinen Augen verriet eine hohe Intelligenz. „Haben Sie ein Problem, Busey?“

Sie wünschte, Dimi würde ihr wichtigere Storys zutrauen. Scott wollte, dass sie bei der „New York News“ aufhörte. Und ihr Vater, dem der „Milton Herald“ in West Virginia gehörte, nahm ihre Träume nicht ernst. Gestern hatte Terrence Busey doch tatsächlich den Nerv besessen, die „New York News“ als Klatschblatt zu bezeichnen.

Ausgerechnet der Mann, der den „Milton Herald“ vor seinem Rückzug in den Teilruhestand an ihre Brüder Bob und Ed übergeben hatte. Die Auflage war um fünfzig Abonnenten gesunken und erreichte mittlerweile nur noch dreihundert Haushalte. Nichts von alldem wäre passiert, wenn ihr Vater sie zu seiner Nachfolgerin bestimmt hätte. Sein mangelnder Glaube an sie schmerzte sie zutiefst. Wieso sah er nicht, dass sie eine gute Reporterin war? Wieso sah Dimi es nicht?

Trotz ihrer Loyalität zum „Milton Herald“ liebte Trudy alles an der „New York News“, die 1803 als „New York Evening News“ angefangen hatte. Inzwischen war sie die am längsten kontinuierlich bestehende Tageszeitung der USA. Sie liebte es, dass ihr jeden Morgen der Geruch von Druckerschwärze in die Nase stieg, wenn sie mit einem Kaffee von „Starbucks“ zur Tür hereinkam. Sie liebte es, von Kollegen begrüßt zu werden, die die ganze Nacht an Schreibtischen mit überquellenden Aschenbechern, Aktenbergen und Pappbechern verbracht hatten.

Ohne hinzuschauen konnte Trudy sagen, welche Vergrößerungen früherer Schlagzeilen an den Wänden hingen: das Kennedy-Attentat, die Entführung des Lindbergh-Babys, der Börsenkrach von 1929, der Mord am Mafiaboss Paul Castellano …

Die „New York News“ hatte einen erstklassigen Ruf. Ihre Reporter hatten beinah vierzig Pulitzerpreise gewonnen, und jedes Mal, wenn Trudy die Redaktion betrat, fühlte sie den Puls Amerikas.

„Dimi“, begann Trudy, gegen ihre Frustration ankämpfend und entschlossen, ihre Position zu verteidigen. „Es gibt so viele großartige Storys, die danach schreien, geschrieben zu werden. Mit der Streifenbegleitung ist meine Zeit nicht am sinnvollsten genutzt.“

Das war eine Untertreibung. Die Streifenbegleitung war purer Unsinn. Kostenlose Werbung für die Stadt, die die „New York News“ jedes Jahr vor Beginn der Touristensaison machte, um dem Bürgermeister einen Gefallen zu tun.

Dimi musterte sie. „Was schwebt Ihnen denn vor?“

„Die Glasschuh-Story.“

„Damit befasst Scott sich.“

Natürlich. Die bloße Erwähnung von Scott Smith-Sankers Namen brachte sie auf die Palme. Wenn er sie noch ein einziges Mal um eine Story brachte, die ihr zustand, würde sie durchdrehen. „Und was ist mit der Lotterie?“, schlug sie vor. „Der Gewinner des 15-Millionen-Dollar-Jackpots will anonym bleiben. Wir müssen herausfinden, wer es war. Nach all dem Wirbel, den wir um den Jackpot veranstaltet haben, brennt die Öffentlichkeit darauf, den Namen des Gewinners zu erfahren.“ Die Geschichte war mindestens so bedeutsam wie der Glasschuh-Fall.

„Ben geht der Lotteriegeschichte nach.“

Es fiel ihr nicht leicht, ihre Wut im Zaum zu halten. „Vor zwanzig Minuten fand ein Mord auf der East Side statt. Was ist damit?“

„Keith ist bereits auf dem Weg dorthin.“

„Na schön“, sagte sie geduldig. „Es ist zwar keine Geschichte, die mit unserem Ressort zusammenhängt, aber wir müssen der Sache mit der ‚Eliza nachgehen.“ Sie sah zu einer Titelseite der „New York News“, die einen Öltanker zeigte, der nahe den Galapagosinseln auf Grund gelaufen war.

„Einer unserer Auslandskorrespondenten kümmert sich darum.“

Um die Lage durch eine Szene nicht noch schlimmer zu machen, wartete Trudy, bis die Konferenz vorbei war und die anderen gegangen waren, ehe sie sich an ihren Boss wandte. „Wenn das die Art von Arbeit ist, die Sie von mir erwarten, wieso haben Sie mich dann überhaupt erst eingestellt?“

„Ihr Auftrag ist gut, Trudy.“

„Er ist arbeitsintensiv“, konterte sie.

„Und anspruchsvoll. Sie werden den Kontakt mit dem Bürgermeister aufrechterhalten.“

Vielleicht. Aber es war nicht ihre Bestimmung, diese Art von Reporter zu sein. Sie hatte solche Unterhaltungen jahrelang mit ihrem Vater und ihren Brüdern geführt, wenn sie ihr langweilige Arbeit auftrugen, in der Hoffnung, sie dadurch von ihrer Tätigkeit für den „Milton Herald“ zu entmutigen. Und es hatte funktioniert. Sie hatte die Zeitung wütend verlassen. Aber die „New York News“ würde sie nicht verlassen, und sie hatte die Absicht, gute Storys zu bekommen.

„Der Glasschuh“, erinnerte sie ihren Boss. „So wollte ich es nennen. Der Name machte Auflage, Dimi. Die Anspielung auf Aschenbrödel weckte die Fantasie unserer Leser.“

Der Fall hatte vor zwei Monaten begonnen, als eine reiche New Yorkerin über den bizarren Diebstahl teurer maßgefertigter Schuhe berichtete. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits über hundert Paare aus über hundert Apartments verschwunden. Die Polizei, der das Motiv ebenso ein Rätsel war wie die Tatsache, wie der Dieb sich Zugang zu so vielen gut bewachten Wohnungen verschaffen konnte, wollte die Verbrechen dringend aufklären.

Trudy hatte die erste Schlagzeile über diesen Fall in der „New York News“ geschrieben: „Können diese Aschenbrödel ihre Glasschuhe wiederfinden?“ Ihre nächste Schlagzeile lautete: „Wer ist der Märchenprinz?“ Seither hatte diese Story die Fantasie der nachrichtenhungrigen New Yorker beflügelt. Die Zeitungsauflage war sprunghaft angestiegen. Mit der Lotteriegeschichte sah es ähnlich aus.

„Die Auflage ist nach oben gegangen“, fuhr Trudy fort. „Auch unsere Internetseite verzeichnet mehr Besucher.“

„Dein Beitrag wird zur Kenntnis genommen“, räumte Dimi ein. „Und schon bald werden wir einen heißen Tipp haben, der …“

„Genau richtig für mich ist?“ Eigentlich war es nicht ihre Gewohnheit, ihren Boss zu unterbrechen, aber allmählich war sie mit ihrem Latein am Ende. „Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier. Ich war geduldig. Ich habe den Laufburschen gespielt, Kaffee gekocht, Lunch geholt und im Eiltempo gearbeitet. Was muss ich noch alles machen, um endlich einen Fuß in die Tür zu Ihrem Kumpelklub zu bekommen?“

„Sie meinen, hier herrscht ein frauenfeindliches Klima?“, fragte Dimi. „Fühlen Sie sich diskriminiert?“

Autor

Jule Mc Bride
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