Die Nacht der kleinen Wunder

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Es begann mit einer tröstenden Umarmung - und endete in einer leidenschaftlichen Nacht! Wie ein unwirklicher Traum kommt Fay die Begegnung mit Adam vor gut zwei Monaten vor, als sie zusammen um Fays Mann, Adams besten Freund, getrauert haben. Noch immer ist sie sprachlos, wenn sie an seine überwältigende Zärtlichkeit zurückdenkt. Aber Fay weiß, dass sie ihr Schweigen brechen muss. Denn die Nacht mit Adam ist nicht ohne Folgen geblieben: Sie erwartet ein Baby. Wie wird er reagieren, wenn er von seinem Einsatz im Ausland zurückkehrt - und sie ihm ihr Geheimnis verrät?


  • Erscheinungstag 28.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779535
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Fay Coggen hatte die ständige Übelkeit und Müdigkeit gründlich satt.

Vielleicht sollte sie sich gesünder ernähren. Mehr Salate mit Tofu, weniger chinesisches Fast Food. Ihr fünfunddreißigjähriger Körper würde es ihr später danken. Und das schwere Heben in ihrem Blumenladen trainierte zwar Arme und Schultern, aber ihr Rücken brauchte dringend mehr Bewegung. Fays Hobbys waren Lesen und Kreuzworträtsel lösen. Leider saß man dabei nur mit dem Hintern auf dem Sofa.

Einmal richtig auszuschlafen, würde wahrscheinlich auch Wunder wirken. Doch Fay hatte sich sogar nach anderthalb Jahren noch nicht daran gewöhnt, allein zu schlafen. Auch wenn sie schon vorher auf so viele Arten allein gewesen war, dass sie sie nicht zählen konnte.

Trotzdem, etwas mehr Ruhe konnte nicht schaden, wenn sie diesen lästigen Virus abschütteln wollte, der sie schon seit zwei Monaten plagte. Am Unabhängigkeitstag am vierten Juli und am ersten Jahrestag von Scotts Tod würde sie ihre Energie nämlich dringend brauchen.

Alles Gründe, warum sie an diesem sonnigen Juninachmittag im Behandlungszimmer ihrer Ärztin saß, die zugleich eine gute Freundin war. Trotzdem hasste Fay jede Sekunde, die sie hier verbringen musste.

„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest“, sagte Liz, als sie ins Zimmer eilte und die Tür hinter sich schloss. „Ich habe das Testergebnis noch ein zweites Mal überprüft. Nur um ganz sicherzugehen.“ Sie nahm Fay gegenüber auf einem Stuhl Platz, anstatt sich hinter den Schreibtisch zu setzen.

Fay lächelte. „Wegen einer einfachen Grippe? Ihr habt hier anscheinend nicht genug zu tun. Und? Wie lautet die ärztliche Anordnung? Viel Ruhe und Orangensaft?“

Liz kreuzte mit natürlicher Anmut die Knöchel. „Wir haben uns länger nicht gesehen. Wie geht es dir, Fay?“

„Gut, abgesehen von dem Verlangen, eine Woche lang nur zu schlafen. Wie ich deiner Arzthelferin schon gesagt habe, ist mir auch ab und zu schlecht. Es wäre schön, mal wieder etwas Kräftigeres essen zu können als Suppe und Cracker.

„Ich meine, wie geht es dir emotional?“ Liz zeigte auf Fays im Schoß verschränkte Hände. „Mir ist aufgefallen, dass du deine Eheringe abgenommen hast.“

Fay ließ Daumen und Zeigefinger über den fast verschwundenen Abdruck an ihrer linken Hand gleiten. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich sie um Weihnachten herum abgenommen habe.“

„Verständlich. Da war Scott schon sechs Monate tot.“

Zu dem Zeitpunkt hatte Fay gerade von Scotts Lügen und Geheimnissen erfahren. Nach fünfzehn Jahren Ehe hatte sie nicht damit gerechnet, noch von ihm überrascht werden zu können. Leider hatte sie sich geirrt … und sich bis heute nicht von dem Schock erholt.

„Hast du nicht gesagt, dass du sie stattdessen an einer Kette um den Hals trägst?“ Liz ließ den Blick über den offenen Kragen von Fays Bluse gleiten. „Ich kann aber keine sehen.“

Weil die Kette und die Ringe in Fays Schmuckschatulle lagen, zusammen mit den Erkennungsmarken ihres Mannes.

Genauer gesagt, seit jener Nacht vor zwei Monaten.

Als sie mit Adam Murphy geschlafen hatte.

„Hast du jemand Neues?“, fragte Liz und riss Fay damit aus ihren Erinnerungen.

„Was? Nein, natürlich nicht. Nur weil ich … Das heißt noch lange nicht, dass ich …“ Als Fay bewusst wurde, dass sie wirres Zeug stammelte, zwang sie sich, tief durchzuatmen. „Ich denke augenblicklich nicht mal an andere Männer.“

„Ich weiß, dass du schwere Zeiten hinter dir hast, aber es ist in Ordnung, ein neues Leben anzufangen. Zeit mit jemand anders zu verbringen, dich vielleicht sogar wieder zu verlie…“

„Mein neues Leben ist gerade komplett damit ausgefüllt, den Laden am Laufen zu halten und das finanzielle Chaos zu beseitigen, das Scott mir hinterlassen hat. Mehr schaffe ich beim besten Willen nicht.“

„Ich meinte einen neuen Mann.“

Fay lachte humorlos auf. „Ich weiß, was du gemeint hast, aber nein.“

„Dann muss ich dir jetzt einen Schock versetzen.“ Liz legte Fays Krankenakte weg und legte eine Hand auf den rechten Arm ihrer Freundin. „Du hast keine Grippe. Du bist schwanger.“

Liz’ Worte hallten nur undeutlich und verzerrt in Fays Kopf wider. Sie musste sich verhört haben.

„Das kann nicht sein. Du irrst dich.“ Fay schüttelte den Kopf. „Ich habe nur noch einen Eierstock, schon vergessen? Und auch der arbeitet nur eingeschränkt, sodass ich unmöglich schwang…“ Sie brachte das Wort nicht über die Lippen. „Das hast du doch selbst gesagt.“

„Nur, dass eine Schwangerschaft unwahrscheinlich ist, zumal Scott sich geweigert hat, sich testen zu lassen. Dass du nicht schwanger wurdest, kann genauso gut an ihm wie an dir gelegen haben.“ Sanft drückte Liz Fays Arm. „Das Testergebnis ist eindeutig positiv. Du bist schwanger.“

Ein Baby. Nach all den Jahren, in denen Fay sich verzweifelt nach einem Kind gesehnt hatte.

„Lass uns die Möglichkeiten besprechen. Aber am besten nicht hier in der Praxis.“

Fay legte sich eine Hand auf den Bauch. „Möglichkeiten?“

„Du hast doch gerade gesagt, dass du mit niemandem zusammen bist. Ist etwas … passiert?“

„Passiert?“

Liz sah sie eindringlich an. „Hat man dir wehgetan … hat man dich gezwungen …?“

„Nein, nein, natürlich nicht“, fiel Fay ihr hastig ins Wort, als die Erinnerungen an jene leidenschaftlichen und mit Schuldgefühlen bezahlten Stunden in Adams Armen in ihr aufstiegen. „Es war … ungeplant und spontan, aber ich wusste genau, was ich tat.“

Oh ja, das hatte sie.

Mit dem besten Freund ihres verstorbenen Mannes zu schlafen, mit jemandem, der auch mal ihr guter Freund gewesen war, war der wahre Grund dafür, dass Fay ihre Ringe nicht mehr trug.

Sie konnte das einfach nicht mehr. Nicht, nachdem sie sich auf Adams Schoß gesetzt und ihm dabei geholfen hatte, sich den Pullover über den Kopf zu streifen. Ihre Kette mit den Ringen hatte sein Kinn berührt, als sie sich wieder vorgebeugt hatte, um ihn weiter zu küssen.

Adam hatte die Ringe genommen und Fay mit seiner tiefen Stimme gefragt, ob sie wüsste, was sie gerade tat. Und mit wem.

Ja, Adam. Mit dir. Ich will dich.

Bei der Erinnerung schoss Fay das Blut ins Gesicht. Sie sah das alles noch genauso frisch und lebhaft vor sich, als sei es erst gestern passiert.

Was vielleicht nur daran lag, dass sie erst gestern davon geträumt hatte.

„Mir ist bewusst, was für ein Schock das für dich sein muss.“ Liz lächelte liebevoll. „Lass dir also Zeit mit deiner Entscheidung.“

„Ich werde dieses Baby bekommen“, sagte Fay leise, aber mit fester Stimme. Sie war sich dieser Entscheidung absolut sicher – sicherer, als sie sich seit einer Ewigkeit gefühlt hatte. Kein Zögern, kein Schwanken. Sie straffte die Schultern und setzte sich auf. „Ich will dieses … mein Baby. Ich behalte es.“

„Und der Vater?“

Fay schluckte. Ihr wurde wieder übel.

Adam Murphy würde in zwei Wochen aus Afghanistan nach Destiny zurückkehren. Wie sollte sie dem Mann, den sie für den Tod ihres Mannes verantwortlich machte, erklären, dass er der Vater ihres Kindes war?

„Hey, Soldat, kenne ich dich nicht irgendwoher?“

Master Sergeant Adam Murphy erstarrte. Diese Stimme kannte er doch. Es gab nur sechs Menschen, die sich so anhörten. Wenn man seiner Mutter Glauben schenken konnte, war man mit dieser Stimme perfekt geeignet, um ein nervöses Pferd zu beruhigen oder einem Mädchen ihren gesunden Menschenverstand zu rauben.

Es konnte sich also nur um einen seiner fünf jüngeren Brüder oder seinen Vater handeln. Hoffentlich war es Devlin, der Adam trotz ihres Altersunterschiedes am nächsten stand. Oder Ric, der Jüngste, den Adam als vierzehn Jahre älterer Bruder immer herumkommandiert hatte.

Er kam sich richtig alt vor.

Als er sich umdrehte, stand Dev grinsend vor ihm. „Hey, Bro.“

„Was zum Teufel machst du denn hier?“

„Dasselbe könnte ich dich fragen.“

Als sein Bruder ihn umarmte, schossen Adam die Tränen in die Augen. Verlegen klopfte er seinem Bruder auf den Rücken.

„Mann, tut das gut, dich zu sehen“, sagte Dev, nachdem er ihn wieder losgelassen hatte. „Aber was treibst du in Cheyenne? Solltest du nicht erst in zehn Tagen aus Afghanistan zurückkommen?“

„Die Rückkehr meiner Einheit wurde vorverlegt. Die anderen kommen in einer knappen Woche. Ich hatte das Glück, einen früheren Flug zu erwischen.“

Dev hob eine Augenbraue. „Warum hast du uns nicht Bescheid gesagt?“

„Das Ganze entschied sich erst in letzter Sekunde. Außerdem hätte ich jederzeit wieder abkommandiert werden können.“

Adam hatte eigentlich gehofft, unbemerkt zu Hause anzukommen. „Das Flugzeug ist vor zwei Stunden in Camp Guernsey gelandet. Ein pensionierter Tierarzt hat mich in Richtung Destiny mitgenommen.“

Devs Blick wanderte an Adams Schulter vorbei zu den vielen Biersorten im Kühlregal hinter ihm. „Und dann habt ihr spontan beschlossen, hier anzuhalten und ein paar Bierchen zu zischen?“

„Nein, das hat er allein entschieden“, antwortete Adam. „Ich genieße nur den Anblick.“

Dev grinste. Sekunden später hatte er einen Kasten Bier unterm Arm. „Den hast du dir redlich verdient.“

„Bist du sicher, dass du das kaufen willst?“ Dev war seit ein paar Jahren abstinent – nachdem er endlich eingesehen hatte, dass wilde Partys nur bei der Polizei und den Anonymen Alkoholikern endeten. Adam wollte ihn daher nicht in Versuchung führen.

„Die sind für dich, Bro. Komm schon, lass uns deinem barmherzigen Samariter Bescheid sagen, dass du ein neues Taxi hast.“

Adam nickte. Es hatte sowieso keinen Zweck, mit einem Murphy zu streiten.

Als er sich von dem alten Mann verabschiedet hatte, nahm er seine Reisetasche von dessen Ladefläche und warf sie in den Jeep seines Bruders.

Auf der fast einstündigen Heimfahrt war Adam seinem Bruder dankbar, dass er das tat, was er am besten konnte: reden. Devlin sprang von einem Thema zum nächsten, um Adam über alles auf dem Laufenden zu halten, was sich während seiner Abwesenheit in Destiny ereignet hatte.

Vor zwei Monaten war Adam das letzte Mal zu Hause gewesen, als er den Leichnam eines toten Soldaten aus seiner Einheit nach Destiny überführt hatte. Es war ihm gelungen, zwei Tage Urlaub an die Beerdigung dranzuhängen, genug Zeit, um mit seiner Familie zusammen zu sein – und eine unglaubliche Nacht mit der Frau zu verbringen, die er schon immer gewollt hatte.

Und die immer unerreichbar für ihn gewesen war.

Aber jetzt hatte er sie gehabt. Und sie ihn. Für ein paar völlig verrückte Stunden auf einem improvisierten Lager vor seinem Kamin.

Adam wandte das Gesicht zum Fenster, schloss die Augen und atmete tief durch. Für einen Moment glaubte er den frischen blumigen Duft wahrzunehmen, der Fay immer umgab.

Als sie an jenem regnerischen Abend an seine Tür geklopft hatte, hatte er nichts weiter als eine hastig zugeknöpfte Jeans angehabt. Völlig durchnässt war sie in sein Wohnzimmer gestürmt und hatte ihm ihre ganze Wut und ihren Schmerz wegen des Todes ihres Mannes im letzten Sommer an den Kopf geworden.

Adam hatte dessen Leichnam ebenfalls überführt, während der Beerdigung jedoch kaum ein Wort mit Fay gewechselt. Er hatte sie sich austoben lassen. Letztlich warf sie ihm nichts anderes vor als er sich selbst. Doch irgendwann hatte sie sich so in ihre Wut hineingesteigert, dass sie nicht mehr darauf geachtet hatte, wo sie hinlief, und war über seine Reisetasche gestolpert. Er hatte sie aufgefangen, dabei jedoch das Gleichgewicht verloren und war zusammen mit ihr auf dem Sofa gelandet … und dann hatte er sie geküsst. Er hatte sich einfach nicht beherrschen können.

„Hey, Bro. Alles in Ordnung mit dir?“

Adam wandte seinem Bruder blinzelnd das Gesicht zu. „Was? Ja, alles okay.“

„Du bist ein bisschen blass.“ Dev sah ihn besorgt an. „Woran denkst du gerade?“

Adam schüttelte den Kopf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie das Zentrum von Destiny bereits durchquert hatten. Dann waren sie also schon an Fays Laden vorbei. „An nichts. Sprich weiter.“

Dev erzählte, wie gut das Architekturbüro seiner Familie trotz der wirtschaftlich unsicheren Zeiten lief. Adam war wie seine Eltern und seine fünf Brüder Teilhaber, hatte sich jedoch sehr zum Missfallen seines Vaters schon vor Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen und die Leitung seinen jüngeren Brüdern überlassen.

„Ist es zu früh, um dich nach deinen Plänen zu fragen?“

„Erst mal will ich nur schlafen.“

„Ich meinte beruflich, jetzt, wo du für immer zu Hause bleibst. Deine Militärzeit ist doch vorbei, oder?“

Adam nickte. Offiziell waren seine zwanzig Jahre bei der Armee zwar erst in zwei Wochen beendet, aber er hatte so viel Urlaub angesammelt, dass er sich schon jetzt zur Ruhe setzen und endlich das in Angriff nehmen konnte, wovon er schon immer geträumt hatte: eine Ranch zu bewirtschaften.

Bereits nach dem College hatte er seinem Vater einen Teil des Pachtlands der Familie abgekauft und Pferde und Rinder züchten wollen. Doch kaum hatte er sein Blockhaus fertiggestellt, war ihm der Krieg dazwischengekommen.

Devlin bremste an der nächsten Kreuzung. Rechts ging es zum Sitz ihrer Familie und der Firma. Er sah Adam mit erhobenen Augenbrauen an.

Adam zeigte nach links. „Ich bin seit fast vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und brauchte jetzt erst mal Schlaf.“

Je näher Adam seinem Haus kam, desto ungeduldiger wurde er. Er kurbelte das Fenster herunter und genoss die kühle Sommerbrise, die den Duft nach feuchter Erde und frischem Grün hereinbrachte. In Afghanistan war es unglaublich heiß gewesen, doch hier in Destiny am Fuß der Laramie Mountains herrschte perfektes Sommerwetter.

Endlich begann sein neues Leben. Er würde allein sein, von nichts abgelenkt. Nur er und sein Land. Sein Vater würde ihn zwar bestimmt wieder in die Firma integrieren wollen und seine Mutter Andeutungen fallen lassen, dass er sich ein nettes Mädchen suchen sollte, aber das hatte Adam schon hinter sich. Mit katastrophalem Ausgang. Nein danke, Ehe, Kinder und ein Job mit normalen Bürozeiten waren nichts für ihn.

Irgendwann musste er zwar die Situation zwischen ihm und Fay klären, aber das hatte Zeit. Bis dahin ging er ihr am besten aus dem Weg. Sie hatte es bestimmt ohnehin nicht eilig, Zeit mit ihm zu verbringen.

Nein, Fay Coggen hatte ihm vor zwei Monaten mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte. Er würde damit leben müssen, auch wenn es ihm nicht passte.

Devlin bog in seine Einfahrt ein und stellte den Motor aus.

Als Adam bewusst wurde, dass sein Bruder ihn ins Haus begleiten wollte, seufzte er resigniert auf und tippte den Sicherheitscode für seine Alarmanlage in sein Handy ein. „Ich muss dich warnen, hier herrscht wahrscheinlich das reinste Chaos.“

Devlin nahm das Bier und begleitete Adam auf die sich um das ganze Haus erstreckende Veranda. „Na klar, der reinste Saustall hier“, sagte er und verdrehte die Augen.

Adam wusste noch nicht mal, ob er das letzte Mal überhaupt das schmutzige Geschirr abgewaschen oder den Müll rausgebracht hatte. Ganz bestimmt lagen noch die Decken und Kissen vor dem Kamin, auf denen er und Fay miteinander geschlafen hatten.

Sein Blick fiel auf seinen Vorgarten. Der Rasen war frisch gemäht und die Hecken geschnitten. Das Beet mit dem Rindenmulch und den bunten Blumen war allerdings neu. Vermutlich das Werk seiner Familie.

„Ich rede vom Inneren des Hauses, du Idiot.“ Adam ließ seine Reisetasche fallen. „Die Luft muss da drinnen zum Schneiden sein. Meine letzte Abreise war ziemlich überstürzt.“

Dev bückte sich und hob die Tasche auf. „Gut, dass unsere Eltern noch unterwegs sind. Sie würden ausflippen, wenn sie wüssten, dass du zu Hause bist und dich vor ihnen versteckst.“

„Ich brauche erst mal etwas Zeit für mich allein.“ Adam schloss die Tür auf und betrat das Haus. „Zumindest einen oder zwei Tage, bevor …“ Er stockte. „Was zum Teufel ist denn hier passiert?“

Dev folgte ihm. „Wow!“

Verblüfft sah Adam sich um.

Die Fenster waren blitzblank geputzt, sämtliche Oberflächen glänzten, und ein zarter Zitrusduft hing in der Luft. Vor dem Kamin lag nur ein Teppich mit Navajo-Muster. Keine Spur von seinem und Fays improvisierten Bett.

Verwirrt ging Adam in die unbenutzt aussehende Küche. Auf dem Esszimmertisch – normalerweise immer voller Wäsche – befanden sich ein Farn und ein ordentlicher Stapel Post.

Das Haus war makellos in Ordnung.

„Sieht so aus, als wäre in deiner Abwesenheit eine gute Fee hier gewesen.“ Dev ging in die Küche und stellte das Bier in den Kühlschrank. „Mensch, du hast sogar Orangensaft und Butter hier drin.“

Adam schüttelte ratlos den Kopf. „Wer kann das bloß gewesen sein?“

„Machst du Witze?“ Dev warf ihm ein Bier zu und machte sich ein Wasser auf. „Das ist eindeutig Moms Handschrift.“

Adam fing die Flasche lässig mit einer Hand auf und stellte sie auf den Tisch hinter dem Sofa. „Ich habe vor ein paar Tagen mit ihr telefoniert, aber sie hat nichts dergleichen erwähnt. Könnte es nicht einer der Jungs oder Laurie gewesen sein?“

„Laurie macht gerade die Kalkulation für einen neuen Großauftrag.“ Dev ging zum Sofa. „Außerdem hat Mom uns Jungs nur beigebracht, Würstchen heiß zu machen und abzuwaschen, aber so etwas hier? Niemals!“

Adam ging in den Flur und ließ seinen Bruder weiterreden. Kurz darauf betrat er sein Schlafzimmer. Sein Bett war so ordentlich gemacht wie in einem Viersternehotel. Ratlos nahm er seine Kappe ab, zog sein Camouflagehemd aus und warf beides auf einen Stuhl. Dann atmete er ein paarmal tief durch. Herrlich, diese Stille.

Endlich zu Hause!

Vorbei das ständige Dröhnen der Motoren, vorbei die Zwölfstundentage und der Staub, der in Afghanistan alles zu bedecken schien. Adam hätte in diesem Augenblick nichts lieber getan, als die Vorhänge zuzuziehen und sich aufs Bett zu werfen. Leider keine Chance.

Er drehte sich um und ging ins Wohnzimmer zurück, um sich zu seinem Bruder aufs Sofa zu setzen.

„Junge, du siehst aus, als seiest du einmal in der Hölle und zurück gewesen“, bemerkte Dev. „Aber so abwegig ist der Vergleich vermutlich gar nicht.“

Adam ließ sich in die Polster sinken, lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Da hast du wohl recht.“

Er hatte halb und halb damit gerechnet, von Erinnerungen an seine Zeit in der Wüste eingeholt zu werden, kaum dass er wieder zu Hause war – genau wie er dort die Nacht mit Fay nicht vergessen konnte. Bisher war nichts dergleichen passiert.

Nur die Nacht mit Fay bekam er einfach nicht aus dem Kopf.

Seine Gedanken wanderten zu seiner Highschoolzeit zurück. Er hatte sich auf den ersten Blick in die zierliche Brünette mit den langen Locken verliebt. An ihrem ersten Tag – sie war damals neu in der Stadt gewesen – war er aus Versehen in sie hineingerannt und gestürzt. Sie hatte gelacht. Anschließend hatte er sie in der Schule herumgeführt. In der Turnhalle waren sie dann auf Scott gestoßen.

Und schlagartig war Adam uninteressant für sie geworden.

Sein bester Freund und Star-Quarterback Scott Coggen hatte Fay sofort in Beschlag genommen, und der Rest war Geschichte. Als Adam und Scott an die University von Wyoming gingen, hatte die zwei Jahre jüngere Fay bereits einen Diamantring an der linken Hand gehabt.

Adam spürte, wie ihm jemand die Bierflasche wegnahm. Instinktiv hielt er sie fest und fuhr hoch. „Hey!“

„Immer mit der Ruhe, Bro.“ Dev ließ die Flasche los und hob einlenkend die Hände. „Ich wollte nur verhindern, dass alles auskippt. Es sah so aus, als wärst du eingeschlafen.“

„Sorry. Vielleicht war ich das sogar.“

„Hör mal, ich fahre jetzt los, und du legst dich erst mal hin.“ Devlin ging zur Haustür. „Unsere Eltern kommen übermorgen von ihrer Reise zurück. Leistest du uns Gesellschaft, wenn wir sie empfangen?“

Adam stand nickend auf. Seine Beine fühlten sich plötzlich bleischwer an. „Ja, ich werde da sein. Und danke, dass du meine Rückkehr vorerst für dich behältst. Mehr als einen Bruder kann ich nämlich gerade nicht ertragen.“

Dev grinste. „Kein Problem. Ruf mich an, wenn du etwas brauchst.“

„Mach ich. Danke.“

Als Dev gegangen war, goss Adam sein nicht angerührtes Bier in den Ausguss und stellte seine Alarmanlage ein. Dann zog er sich aus, kroch unter die frischen kühlen Decken und vergrub das Gesicht in den nach Lavendel duftenden Kissen. Es riecht wie Fay, war sein letzter bewusster Gedanke, bevor er in einen tiefen traumlosen Schlaf versank.

Als er das erste Mal aufwachte, war es draußen dunkel. Das zweite Mal schien die Sonne durch die Jalousien vor den Fenstern. Adam warf einen Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch. Wow, fast zehn Uhr vormittags! Er hatte über achtzehn Stunden geschlafen.

Er setzte sich auf und reckte sich. Jetzt unter die Dusche. Er konnte es kaum erwarten, sich das heiße Wasser auf Schultern und Nacken prasseln zu lassen.

Er nahm sich ein sauberes T-Shirt, Jeans und eine Boxershorts aus der Kommode und ging ins Bad, wo sein Blick auf den großen Whirlpool fiel. In all den Jahren hatte er ihn noch nie benutzt. Die Vorstellung, sich hineinzusetzen, war verlockend, aber er befürchtete, wieder einzuschlafen und womöglich zu ertrinken.

Kurz darauf stand er unter der Dusche und atmete tief die feuchte Luft ein.

Als das Wasser abkühlte, drehte er es ab und stieg aus der Duschwanne. Er griff nach einem Handtuch und trocknete sich ab. Plötzlich hörte er ein leises Quietschen und erstarrte. Er lauschte angestrengt, aber alles blieb still. Nackt ging er ins Schlafzimmer und zog sich die Boxershorts über.

Da, schon wieder!

Das waren eindeutig Schritte! Vermutlich war das Devlin. Er war der Einzige, der den Sicherheitscode der Alarmanlage kannte.

Adam spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. Hatte er seinem Bruder nicht unmissverständlich gesagt, dass er in Ruhe gelassen werden wollte?

„Ach, verdammt! Zier dich nicht so!“

Das kam aus dem Wohnzimmer. Jemand war in seinem Haus. Ein weiblicher Jemand.

Ein klirrendes Geräusch und ein spitzer Schrei, und Adam raste durch den Flur. Als er das Wohnzimmer betrat, sah er eine Frau, die sich bückte, um die Überreste des Farns aufzusammeln.

Besorgnis verdrängte seine Wut. „Hey, alles in Ordnung mit Ihnen?“

Die Frau richtete sich erschrocken auf und wirbelte zu ihm herum.

Adam starrte sie schockiert an. War sie ein Trugbild seiner Fantasie?

Er blinzelte. Nein, die Frau stand noch immer vor ihm.

Ihre goldbraunen Locken waren zu einem unordentlichen Pferdeschwanz hochgebunden. Anscheinend hatte sie nicht gut geschlafen, denn unter ihren großen haselnussbraunen Augen lagen dunkle Schatten. Sie trug ein blassgrünes T-Shirt mit dem Logo von Fays Blumenladen über der Brust und kurze Jeans, unter denen endlos lange Beine hervorragten.

Sie presste eine Hand gegen den Bauch und starrte ihn aus aufgerissenen Augen an.

Sie war genauso schön wie in seiner Erinnerung.

„Fay!“

Beim Klang ihres Namens wurde sie ganz blass.

„Was …“ Er räusperte sich. „Was machst du hier?“

2. KAPITEL

Der Schock verschlug Fay den Atem. Mit offenem Mund stand sie da, unfähig, sich zu rühren oder etwas zu sagen.

Adam.

Angestrahlt von der Sonne, schien er nur aus Muskeln und brauner Haut zu bestehen – bis auf die dunkelblaue Boxershorts, die genau das betonte, was zu betonen völlig unnötig war.

Der Mann war praktisch nackt!

Was hatte er sie gerade gefragt? Es war eine ganz simple Frage gewesen, eine, die sie lässig beantworten sollte, aber ein Anfall von Übelkeit hinderte Fay daran. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und rannte an Adam vorbei zur Toilette im Flur.

Kurz darauf gab sie das Frühstück von sich – genauso wie jeden Morgen seit ihrem Besuch in Liz’ Praxis. Dabei war das Frühstück immer ihre Lieblingsmahlzeit gewesen. Vorbei. Ganz egal, was sie inzwischen zu sich nahm – Obst, Müsli oder Eier – nichts blieb drin. Die frische Wassermelone von heute Morgen offensichtlich auch nicht.

„Alles in Ordnung?“

Beim Klang von Adams zögernder Stimme zuckte sie zusammen. Er war ihr offensichtlich gefolgt, denn er stand direkt hinter ihr. Dicht hinter ihr. Unwillkürlich verkrampften sich ihre Hände um den Toilettensitz. Wie demütigend.

„Nein.“ Zu ihrer Verlegenheit klang ihre Stimme total heiser.

„Brauchst du irgendetwas?“

Als Fay die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf einen männlichen Unterschenkel, und die mit feinen Härchen bedeckte braune Haut weckte in ihr sofort wieder Erinnerungen.

Wie schaffte ihr Körper es nur, innerhalb von Sekunden von Übelkeit auf Hunger umzuschalten?

Hormone, Hormone, Hormone.

Autor

Christyne Butler
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Willkommen in Destiny