Dieser Mann verspricht ein Abenteuer

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Die hübsche Masseurin Kate Perry weiß genau, was sie will: Heiraten, sesshaft werden, eine Familie gründen. Deshalb sucht sie einen Mann, der zuverlässig und grundsolide ist. Jemanden, der zu ihr passt. Und sicher niemand wie der gefährlich attraktive Draufgänger Ry Grayson! Denn dass aufregende Männer wie er eine Frau nicht zum Altar führen, sondern letztlich doch nur ein Abenteuer wollen, hat sie schmerzlich erfahren müssen. Aber als Ry vor ihr auf der Massagebank liegt und sie seinen muskulösen Körper unter ihren Händen spürt, schlägt ihr Herz wider jede Vernunft höher …


  • Erscheinungstag 18.04.2016
  • Bandnummer 12
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774011
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Da kommt er!“, rief die aufgeregte Braut begeistert und riss die Balkontür auf.

Ihre zukünftige Schwägerin Kate duckte sich reflexartig, weil ein Flugzeug so tief über das Haus flog, dass sie fürchtete, es würde abstürzen.

Draußen winkte Marti Grayson wie wild. Zwei der Brautjungfern folgten ihr, aber Kate war sich nicht sicher, ob sie auf dem Balkon des alten Hauses sein wollte, falls das Flugzeug ein zweites Mal vorbeikäme.

Wenig später tat es das auch. Auf dem Spruchband, das es zog, stand: Herzlichen Glückwunsch, Marti und Noah!

„Typisch Ry“, sagte Marti lachend und schaute dem Flugzeug fasziniert hinterher.

Marti Grayson würde gleich Kates Bruder Noah heiraten, und Kate und ihre Schwester Meg waren zwei der Brautjungfern.

Kate schien die Einzige zu sein, die das Flugzeug erschreckt hatte. „Noah sagte zwar, dass dein Bruder herfliegt, aber heißt das, dass er selbst Pilot ist?“, fragte sie und wunderte sich, dass sie diese Information wohl irgendwann überhört haben musste.

„Ja“, bestätigte Marti. „Ry fliegt selbst mit dem Flugzeug, fährt Auto- und Motorradrennen, macht Extremsportarten, ist Klippenspringer – er macht wirklich alles. Er hat einfach keine Angst, unser Ry. Im Herzen ist er ein großes Kind geblieben. Ich glaube nicht, dass er jemals erwachsen wird“, meinte die Braut liebevoll.

Für ihre zukünftige Schwägerin rang Kate sich ein Lächeln ab. Aber in ihren Ohren klang er einfach nur leichtsinnig und unreif, nach allem, was Marti und andere Menschen über ihn sagten. Das behielt sie jedoch für sich, während sich alle zurück ins Schlafzimmer und an die letzten Hochzeitsvorbereitungen begaben. Ihre Vorurteile über Ry Grayson waren ihre Sache.

„Ich kann es kaum erwarten, dass ihr euch kennenlernt, Kate“, sagte Marti, „nachdem du ja nicht zur Hochzeit von Wyatt und Neily kommen konntest. Du wirst ihn mögen – wie wir alle.“

Kate setzte wieder ihr Lächeln auf und nickte dieses Mal bekräftigend.

Sie wusste, dass alle Leute in ihrer kleinen Heimatstadt Northbridge in Montana den dritten Grayson-Drilling mochten und ständig von ihm sprachen. So voller Leben. Ist sich zu nichts zu schade für ein bisschen Spaß. Total verrückter Typ. Super Typ, echt super …

Das waren nur einige Statements, die Kate über ihn gehört hatte. Und mit einem Flugzeug ein Glückwunschbanner durch die Gegend zu fliegen – das würde ihm noch mehr Sympathien einbringen.

Die Grayson-Drillinge waren die Enkel von Theresa Grayson, die aus Northbridge stammte und die Stadt vor mehr als fünfzig Jahren verlassen hatte. Theresa war erst vor Kurzem während eines schlimmen Schubs ihrer Demenz zurückgekehrt. In ihrem verlassenen Elternhaus war sie auf der Suche nach etwas, das ihr angeblich genommen worden war.

Ihre Enkel Marti, Wyatt und Ry, die auch ihre Vormunde waren, ließen Theresa in Northbridge bleiben, während sie sich durch die Lebensgeschichte ihrer Großmutter wühlten und das vermeintliche Unrecht wiedergutmachen wollten.

Marti und Wyatt hatten beide in Northbridge ihre große Liebe gefunden: Wyatt in Neily Pratt und nun Marti in Kates Bruder Noah. Doch während Kate die anderen beiden mochte, freute sie sich gar nicht auf den prahlerischeren Ry.

Es klopfte, und Kates Schwester Meg kam mit einer Schachtel Gänseblümchen herein.

„Die Floristin sagte, die seien für unsere Haare“, erklärte Meg und stellte die Schachtel aufs Bett.

„Eine Überraschung!“, strahlte Marti. „Ich habe sie mir gewünscht, und dabei dachte ich an dich, Kate. Sie sind einfach perfekt für deine lockigen roten Haare, wie du sie heute hochgesteckt trägst. Jeder bekommt welche statt eines Hutes.“

Kate war von dieser Aufmerksamkeit angetan und nahm sich ihren Teil der Blumen mit zu einem der Spiegel, die für diesen Anlass im Schlafzimmer aufgestellt worden waren.

Lockige rote Haare – die hatte sie wirklich. Keine drahtigen, widerspenstigen Locken, sondern dichtes, geschwungenes, rotbraunes Haar.

Ihre Haare konnten sich sehen lassen. In der Highschool wurde sie sogar zur Schülerin mit den schönsten Haaren gewählt. Aber Kate fragte sich manchmal, ob es ihre Haare waren, die sie in Schwierigkeiten brachten. Ob vielleicht das Ungewöhnliche daran die Sorte Männer anzog, mit denen sie sich auf keinen Fall wieder einlassen wollte.

Sie könnte sie färben.

Und damit vielleicht ihr Glück bei Männern ändern?

Einen Gedanken war es wert …

Kate musste ganz vorsichtig und aufmerksam vorgehen, um die Gänseblümchen in ihren Locken zu verteilen, aber trotzdem war sie als Erste fertig, während sich Meg und die anderen beiden Brautjungfern noch immer kunstvoll Blümchen in die Haare steckten.

Kate fragte, ob jemand Hilfe bräuchte, und als alle verneinten, wandte sie sich zum Spiegel, um einen letzten Blick auf sich zu werfen.

Ihre blaugrünen Augen strahlten ihr entgegen, etwas Rouge betonte die Wangenknochen in ihrem eher blassen Gesicht.

Passend zu ihrem wadenlangen unauffälligen Kleid trug Kate blasslila Lipgloss und die Ohrringe, die Marti ihr geschenkt hatte – kleine tränenförmige Diamanten. Traditionell und konservativ. Wie Kate selbst. Sie war einfach durch und durch ein altmodisches Kleinstadtmädchen.

Die anderen waren noch mit den Blumen beschäftigt, als plötzlich der Juniwind durch die noch offenen Glastüren blies. Kate wollte sie schließen, und dabei erregte das laute Brummen eines Motorrades ihre Aufmerksamkeit.

„Das wird wieder Ry sein“, kommentierte Marti den Lärm. „Wyatt hat ihm auf dem Feld, wo Ry landen wollte, ein Motorrad hingestellt, sodass er so schnell wie möglich herkommen konnte. Jetzt können wir jeden Augenblick beginnen.“

Aber ihr Bruder war doch erst vor zwanzig Minuten über das Haus geflogen. Jetzt hatte er es schon geschafft, das Flugzeug zu landen und mit dem Motorrad hierherzurasen?

Kate schloss die Türen, aber aus Neugier blieb sie stehen, um die Ankunft dieses Mannes zu beobachten.

Er trug einen Overall! Nun mussten sie doch zumindest warten, bis er sich umgezogen hatte, oder?

Ry Grayson fuhr direkt auf den Rasen des alten Hauses zu und brachte die Maschine dort abrupt zum Stehen. Er stellte den Motor ab und blieb im Sattel sitzen, während er den Helm abnahm.

Goldblonde, von der Sonne gebleichte Haare glänzten in der späten Sonntagnachmittagssonne. An den Seiten und am Hinterkopf waren sie kurz, oben etwas länger, und dann verstrubbelte er sie gekonnt.

Aus der Ferne konnte Kate sein Gesicht nicht genau sehen, aber er wirkte genauso attraktiv, wie sie gehört hatte. Kraftvoll und maskulin, das Kinn markant. Kate zweifelte nun nicht mehr daran, dass es Ry Grayson war, denn er ähnelte seinen Geschwistern. Aber sogar aus dieser Entfernung erkannte Kate, dass Ry der auffälligste Drilling war. Wyatt und Marti waren äußerst attraktiv, aber Ry sah einfach umwerfend aus.

Er hängte seinen Helm auf den Lenker und schwang ein Bein über den Sitz. Nun stand er groß, schlank und breitschultrig da. Dann riss er den Overall auf, der anscheinend nur mit Druckknöpfen geschlossen war, und darunter kam ein eleganter Anzug zum Vorschein.

Erst das Flugzeug, dann das Motorrad und nun der Strip, um sich in einen charmanten Trauzeugen zu verwandeln – der Typ hielt sich offenbar für James Bond!

In diesem Augenblick klopfte es, und der Fotograf fragte, ob er die Braut und ihre Brautjungfern während der Vorbereitungen fotografieren könne.

„Lässt du ihn bitte herein, Kate?“, fragte Marti.

Kate warf einen letzten Blick auf Ry Grayson, als er auf das Haus zuging, und riss sich dann los, um der Braut die Bitte zu erfüllen.

Währenddessen fühlte sie den Wunsch in sich wachsen, mit der Zeremonie endlich zu beginnen, damit sie Ry näher betrachten konnte.

Aber sie erstickte den Wunsch bereits im Keim, sobald sie sich seiner bewusst wurde.

Keinen unreifen Kerl mehr!

Und das meinte sie auch so.

Aber warum kommen unreife Kerle immer in solchen erstklassigen Verpackungen daher?

„Kate! Da bist du ja! Endlich! Immer, wenn ich dich Ry vorstellen will, entwischst du mir.“

Kate lächelte ihre Schwägerin unschuldig an, als ob sie nicht wüsste, wovon diese sprach, dabei hatte sie sich alle Mühe gegeben, diesen Moment zu vermeiden – seit der Sekunde, als die Zeremonie vorbei war.

Nun hatte Marti sie jedoch buchstäblich in eine Ecke gedrängt.

„Ry, das ist Kate, Noahs andere Schwester – die, die nicht zu Wyatts Hochzeit kommen konnte. Kate, das ist Ry.“

„Kate“, wiederholte er mit einer tiefen Stimme, die unglaublich sexy war.

„Ich freue mich, dich kennenzulernen“, log sie und fühlte, wie ihr das Lächeln gefror, während sie Ry Grayson zum ersten Mal direkt und offen ansah – auch das hatte sie bisher vermieden.

War er weniger reizvoll, wenn sie ihn eingehend musterte? Ach, nein, es wäre zu viel des Guten gewesen, wenn er einfach nur gewöhnlich gewesen wäre. Stattdessen war er noch so viel attraktiver als aus der Ferne.

Auf seinem markanten Kinn hatte er ein Grübchen. Seine Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen, was ihn faszinierend geheimnisvoll wirken ließ. Wenn er lächelte, bildeten sich zwei Fältchen um seinen Mund. Seine Nase hatte genau die richtige Form – nicht zu lang und nicht zu breit. Und seine Augen waren nicht nur silberblau, nein, sie waren atemberaubend, glitzernd, metallisch silberblau.

„Wo stehst du in der Geschwisterfolge?“, fragte er. „Älteste, Jüngste, zwischendrin?“

Kate zwang sich, nicht mehr zu zählen, aus wie vielen Gründen sie schwach werden könnte, wenn er ein anderer Typ Mann wäre, und konzentrierte sich auf seine Frage. „Ich bin die Jüngste, aber um diese Jahreszeit sind Meg und ich gleich alt, weil wir nur zehn Monate auseinander sind. Jared ist der Älteste, Noah der Zweite, dann Meg und ich.“

Er hat sich wahrscheinlich gar nicht für die Details interessiert, schalt sie sich, er macht ja nur Small Talk. Aber in seiner Gegenwart fiel es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ich bin auch das Baby der Familie“, witzelte er. „Wyatt kam zuerst zur Welt, Marti sieben Minuten danach und ich zum Schluss noch einmal zehn Minuten später.“

„Erklärt das, warum du der ewige Kindskopf in der Familie bist?“, fragte Kate, hauptsächlich, um sich selbst daran zu erinnern.

Er zog die Augenbrauen zusammen und wirkte amüsiert. „Ewiger Kindskopf?“

„Der Draufgänger“, erklärte sie.

„Ich bin bekannt dafür, manches Risiko einzugehen, das stimmt“, bestätigte er.

„Du hast die arme Kate beinahe zu Tode erschreckt, als du vorhin über das Haus geflogen bist“, warf Marti ihm augenzwinkernd vor. „Sie glaubte schon, das Flugzeug würde auf uns stürzen.“

Er hatte seinen Blick nicht von Kate abgewendet, während seine Schwester gesprochen hatte. „Du erschrickst wohl leicht“, neckte er sie.

„Es hat wirklich so geklungen, als ob du im Schlafzimmer landen würdest“, sagte Marti.

Er grinste herausfordernd. „Ich musste euch doch wissen lassen, dass ich komme. Und ich wollte, dass ihr das Transparent seht.“

Marti rollte mit den Augen – offensichtlich wollte sie nicht zeigen, wie sehr sie sein Theater gemocht hatte.

Sie wandte sich an Kate. „Ich vergebe ihm heute alles, weil er Gram aus ihrem Versteck in der Küche geholt hat. Während Wyatts Hochzeit verkroch sie sich dort, weil sie solch eine Scheu vor Menschenmengen hat. Ich weiß nicht, ob du sie und Mary Pat heute gesehen hast – sie kamen die Treppe herunter und schauten von ganz hinten zu. So spürte ich zumindest ein bisschen, dass sie mitfeiert.“

„Ja, ich habe sie und ihre Pflegerin gesehen“, antwortete Kate. Aus den Augenwinkeln hatte sie während der Feierlichkeit auch bemerkt, dass Ry Grayson oft in diese Richtung geblickt und aufmunternd gelächelt hatte.

Sie tut Ry zuliebe so vieles, wozu wir anderen sie nicht bringen können. Er ist ein Meister“, sagte Marti bewundernd.

„Aber nach der Trauung wollte deine Großmutter nicht hier unten bleiben?“, fragte Kate, denn sie hatte Theresa zuletzt bei der Hochzeitszeremonie gesehen.

„Das hat nicht einmal Ry geschafft.“ Marti schüttelte traurig den Kopf. „Sie ist so ängstlich. Und es ist ihr besonders unangenehm, Leuten aus Northbridge zu begegnen – Noah hat dir sicher erzählt, dass wir den Grund dafür herauszufinden versuchen und sie überzeugen wollen, dass sie keine Angst haben muss.“

Aber als ob das Thema für den festlichen Anlass unpassend wäre, sagte sie schnell etwas anderes: „Ry, ich wollte dich Kate auch vorstellen, weil sie Masseurin ist.“

Ry Grayson grinste lasziv. „Masseuse? Wirklich? Dabei denke ich zuerst an …“

„… eine medizinische Massagetherapeutin?“, fragte Kate herausfordernd, wusste aber ganz genau, worauf er anspielte.

„Ry …“, ermahnte Marti ihn übertrieben streng. „Du wirst doch nicht ernsthaft auf meiner Hochzeit der Enkelin des Reverends gegenüber anzüglich werden – die du eben erst kennengelernt hast und die ich dir für medizinische Hilfe vermitteln will. Oder?“

„Wer – ich?“, fragte er, die Unschuld in Person, hätten seine bemerkenswerten Augen nicht so schelmisch aufgeblitzt.

Marti schüttelte den Kopf und meinte zu Kate gewandt: „Er ist unverbesserlich.“

„Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen“, antwortete Kate halblaut.

Doch anstatt beleidigt zu sein, lachte Ry Grayson wieder und blickte Kate an. Offensichtlich genoss er das höfliche Geplänkel.

„Jedenfalls hat Ry sich gestern die Schulter verletzt – auf dem Skateboard des Sohnes seines Nachbarn. Klingt unglaublich, oder? Ich dachte, du kannst vielleicht etwas für ihn tun, weil er es nicht geschafft hat, sich in Missoula behandeln zu lassen.“

Kate konnte nicht mehr antworten, denn genau in diesem Augenblick gesellte sich ihr Bruder zu Marti und bestand darauf, seiner jungen Ehefrau jemanden vorzustellen.

„Kann ich dir trauen, wenn du allein mit Kate bist?“, fragte Marti zu Ry gewandt, anstatt einfach mit ihrem Mann zu gehen.

„Absolut. Ich benehme mich mustergültig“, erwiderte er und hob die rechte Hand wie zu einem Schwur.

Marti schien nicht ganz überzeugt, denn sie sagte trotzdem: „Ärgere Kate nicht! Denk dran, sie ist jetzt meine Schwägerin und außerdem die Enkelin des Reverends.“ Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, bevor sie Kate mit ihm allein ließ.

Kate, die noch immer mit dem Rücken zur Wand stand, fragte sich, ob Ry Wort halten würde, und machte sich mit herausfordernd erhobenem Kinn bereit zum Gegenangriff, falls nicht.

Er überraschte sie, indem er sich an sein Versprechen hielt.

„Du bist also Noahs kleine Schwester“, stellte er im Plauderton fest. „Wyatt und ich halten große Stücke auf ihn.“

„Das freut mich.“

„Wir waren nicht sicher, ob jemals jemand den Mann ersetzen könnte, mit dem Marti vorher zusammen war – Jack. Wir kannten Jack, seit wir Kinder waren, und er war mehr als nur ein Freund. Er war einer von uns. Als er bei dem Autounfall auf dem Weg zur eigenen Hochzeit starb, trauerten Wyatt und ich fast so sehr wie Marti.“

„Das muss furchtbar gewesen sein.“ Kate ließ ihren Schutzschild ein wenig herunter, weil Ry so aufrichtig klang.

„Jack war ein feiner Kerl“, fuhr Ry fort. „Und obwohl wir das Marti nie so gesagt haben, glaubten wir nicht, dass wir jemals jemanden genauso mögen würden. Aber wir haben darüber gesprochen – Wyatt und ich –, und Noah ist zwar anders als Jack, aber er ist toll.“

Hm, Ry gewann bei Kate mit jedem Wort über Noah an Ansehen. Sie konnte nicht anders: Sie stand ihren Geschwistern nahe, sie waren ihr wichtig. Und es war schön zu wissen, dass Noahs neue Verwandtschaft ihn so herzlich aufnahm. Nett von Ry, ihr das zu sagen …

„Noah ist ein wahrer Glücksfall für uns beim Renovieren und auch beim neuen Home-Max“, erklärte Ry.

Noah war als Bauunternehmer von den Graysons damit beauftragt worden, das lange vernachlässigte Haus zu sanieren, in dem Theresa Hobbs Grayson aufgewachsen war. So hatten Noah und Marti sich kennengelernt. Noah hatte dann auch den Auftrag für das Gebäude angenommen, in dem die Northbridge-Filiale der Baumarktkette der Familie entstehen sollte.

Ry fuhr mit seinem Lob fort. „An manchen Stellen im Haus hat Noah Teile des Treppengeländers ersetzt, und nicht einmal ich kann sagen, was alt ist und was neu.“

„Er ist ein Profi“, stimmte Kate zu. Dann, um zu testen, wie weit die Zuneigung der Graysons zu ihrem Bruder ging – und weil sie wusste, dass Noah sich Sorgen gemacht hatte, was Ry und Wyatt darüber denken würden, dass Marti nach einem One-Night-Stand mit ihm schwanger war – sagte sie: „Und das Baby? Ist das für Wyatt und dich in Ordnung?“

Die Frage schien Ry nicht aus der Fassung zu bringen. „Wir haben kein Problem damit. Eigentlich …“

Er kam etwas näher, als ob er ihr gleich etwas Geheimes anvertrauen wollte, und Kate konnte sein Aftershave riechen, dessen Zitronenduft sie an einen Obstgarten erinnerte. Sie kam ebenfalls unmerklich näher.

„Eigentlich fand ich es nicht gut, was Marti uns davor erzählt hatte“, sagte er leiser. „Sie behauptete, dass sie sich künstlich hatte befruchten lassen, und ich befürchtete, dass sie zu so extremen Mitteln gegriffen hatte, weil sie nach Jacks Tod einsam war. Ich dachte, Wyatt und ich hätten sie im Stich gelassen und ihr nicht genug Zeit und Aufmerksamkeit und Trost gegeben.“ Er machte eine kurze Pause.

„Aber der Gedanke, dass sie jemanden getroffen hatte und er sie daran erinnerte, dass sie nicht zusammen mit Jack gestorben war? Jemanden, mit dem sie die Nacht verbringen wollte? Das zeigte uns nur, dass sie ein Mensch ist und dabei war, über Jack hinwegzukommen. Ehrlich gesagt war ich erleichtert, dass es nicht an uns gelegen hatte.“

Kate musste lächeln. Sie wünschte sich nur, dass er ihr nicht gerade einen Grund gegeben hätte, ihn zu mögen.

„Und was ist mit deinen Leuten?“, fragte er. „Die Familie eines Reverends? Schämt ihr euch, weil sie vor der Hochzeit schwanger wurde? Oder denkt ihr schlecht von Marti?“

„Nein. Diejenigen von uns, die von ihrer Schwangerschaft wissen, schämen sich weder, noch denken sie schlecht von Marti.“

„Diejenigen, die es wissen?“

„Noah hat es dem Reverend noch nicht erzählt …“

„Du nennst deinen Großvater den Reverend?“

„Es gibt niemanden, der ihn anders nennt“, erwiderte Kate. Dann kam sie zu seiner Frage zurück. „Der Reverend wäre außer sich, wenn es in seiner Familie ein uneheliches Kind gäbe, das hat Noah abgeschreckt. In einem Monat oder so wird Noah ihm die Neuigkeit verkünden und so tun, als ob es gerade passiert wäre. Aber wir anderen wissen Bescheid, und weil es die erste Nichte oder der erste Neffe wird, können wir es kaum erwarten. Wir haben schon Babysachen gekauft. Und wir mögen Marti wirklich gern. Wir selbst hätten niemand Besseren für Noah aussuchen können.“

„Nein, das hättet ihr nicht“, stimmte Ry zu. Dann, nachdem dieses Thema erschöpft war, grinste er wieder ähnlich teuflisch wie zuvor und sagte: „Also, therapeutische Massagen …?“

Dieses Mal schien ihr nichts anstößig an seinem Necken. „Ja, das habe ich gelernt“, erwiderte sie. „Und du hast dich beim Fahren mit Nachbars Skateboard verletzt?“

Er grinste, was die Lachfalten um seinen weichen Mund vertiefte. „Da kam wohl der Kindskopf in mir durch“, konterte er scherzhaft. „Aber ich habe mir die Schulter schon zwei Mal ausgekugelt, deshalb braucht es nicht viel, damit das wieder passiert, und als ich die Halfpipe ausprobierte, bin ich ein paar Mal gestürzt. Jetzt ist die Schulter ziemlich steif und tut weh. Normalerweise hilft aber eine therapeutische Massage.“

Das Grinsen, mit dem er das sagte, brachte sie auch zum Lächeln. Dennoch war es gefährlich, die Gesellschaft eines erwachsenen Mannes zu genießen, der sich auf dem Skateboard verletzt hatte. Das wusste Kate. Aber konnte sie anders? Offenbar nicht, denn sie genoss es wirklich.

„Ich werde morgen Nachmittag in meiner Praxis im Krankenhaus sein“, sagte sie und zwang sich, dabei so professionell wie möglich zu klingen. „Ich habe keinen Termin zwischendurch frei, aber wenn du um sechs kommst, bleibe ich eine Stunde länger als sonst, um Marti den Gefallen zu tun. Schließlich sind wir jetzt verwandt.“ Sie dachte, dass diese Sichtweise ihr vielleicht helfen könnte.

„Verwandt …“, wiederholte er. „Hm … Ich weiß nicht, ich denke eigentlich nicht gern an meine Masseurin als Verwandtschaft.“

„Aber das sind wir!“, sagte sie nachdrücklich. „Schlicht und einfach Verwandtschaft.“

Er lächelte erheitert und schüttelte den Kopf, dann sah er auf ihre Haare und bemerkte: „Ich sage es nur ungern, aber an dir ist überhaupt nichts Schlichtes.“

Meine Haare scheinen immer aufzufallen, dachte Kate und versuchte, diese Schmeichelei nicht ernst zu nehmen. Statt darauf einzugehen, antwortete sie: „Heute bin ich dran, den Reverend nach Hause zu bringen, und ich bin mir sicher, dass er gehen will, weil die Hochzeitstorte ja schon angeschnitten ist. Dann bis morgen um sechs – oder kümmerst du dich selbst um deine Schulter?“

Ry lachte. „Ach, ich will das nicht selbst erledigen. Ich bin um sechs da – irgendjemand wird mir sicher sagen können, wo das Krankenhaus liegt.“

„Es befindet sich auf der Westseite der Main Street, einen Block von der South Street entfernt. Man kann es von hier aus zu Fuß erreichen.“

„Ich werde pünktlich da sein“, versicherte er.

Während des Gesprächs mit Ry hatte Kate sich unbewusst gegen die Wand gelehnt, und jetzt musste sie sich aufrichten. Ry wich aber nicht zurück, und nun standen sie sich viel näher gegenüber, als ihr lieb war. Nahe genug für sie, um wieder sein Aftershave zu riechen. Dicht genug, um sich unwohl zu fühlen.

Er trat aber keinen Schritt zurück. Er blieb, wo er war, und schaute von seinen eins neunzig auf sie herab.

Dieses Mal lächelte er jungenhaft und sexy, sodass Kates Herz schneller schlug.

„Dann sehe ich dich morgen.“ Hastig suchte sie ihren Großvater, damit sie von hier wegkam, bevor sie Ry noch einmal sah.

Einerseits war es wahrscheinlich gut, sich mit dem neuen Schwager ihres Bruders relativ gut zu verstehen, andererseits sollte es aber dabei auch bleiben.

Er hatte eine Verletzung vom Skateboarden, verdammt noch mal!

Was konnte denn deutlicher Ich will nicht erwachsen werden sagen als das?

Kate hatte nicht nur einen Punkt in ihrem Leben erreicht, an dem sie genau wusste, was sie wollte. Sie hatte auch genug Erfahrung, um zu wissen, welche Sorte Mann ihr das niemals geben konnte. Und nichts, was sie heute über Ry erfahren hatte, konnte ihre vorgefasste Meinung über ihn ändern. Er gehörte zu diesen Männern.

Und dass er fantastisch aussah und genauso sympathisch und humorvoll war, wie alle sagten?

Das machte ihn nur zu einer größeren Gefahr.

Und definitiv nicht zu dem, wonach sie suchte.

2. KAPITEL

„Bleibst du jetzt eine Weile bei mir, Ry?“

„Ja, Gram“, bestätigte Ry seiner Großmutter. Aber er wies sie nicht darauf hin, dass sie das heute bereits dreimal gefragt hatte – und sie hatten gerade mal gefrühstückt. „Marti ist in den Flitterwochen, und Wyatt ist zurück nach Missoula gefahren. Er wird diese Woche für einen Tag vorbeikommen, aber sonst sind wir beide allein, meine Liebe“, scherzte er. Sie lächelte. „Na ja, du und ich und Mary Pat“, verbesserte er sich.

Mary Pat, Theresas Pflegerin, wollte Theresa nun beim Anziehen helfen. Während die beiden Frauen aufstanden, sagte Theresa zu Ry: „Ich glaube nicht, dass es dir hier gefallen wird.“

Das war neu.

Ry zog die Augenbrauen hoch. „Und warum nicht, Gram?“

„Es ist ruhig, hier ist alles langsamer. Ich glaube nicht, dass dir das genug sein wird.“

„Ich kann doch meistens ein bisschen Leben in die Bude bringen.“ Er zwinkerte ihr zu, weil er wusste, dass sie das mochte.

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, kicherte aber trotzdem, bevor Mary Pat sie aus der Küche führte.

Ry trank einen Schluck von seiner zweiten Tasse Kaffee.

Seine Großmutter war zwar nicht immer bei klarem Verstand, aber sie erkannte manche Dinge nach wie vor messerscharf. Und obwohl er es heruntergespielt hatte, hatte er den Verdacht, dass sie mit ihrer Einschätzung richtig lag.

Natürlich war er bisher nur zu den Hochzeiten hier gewesen und hatte daher noch nicht viel von Northbridge gesehen. Er wusste zwar, dass sein Bruder und seine Schwester die kleine Stadt ganz entzückend fanden. Aber obwohl er viele nette Menschen getroffen hatte, wirkte die Stadt selbst tatsächlich ein bisschen verschlafen auf ihn – zu langsam und zu ruhig, genau wie seine Großmutter es ausgedrückt hatte.

Doch ob er Northbridge mochte oder nicht, Wyatt, Marti und er hatten sich die Verantwortung für ihre Großmutter immer geteilt. Als sie aus Mary Pats Obhut weggelaufen war, um hierherzukommen, waren sich die drei einig gewesen, dass sie in Northbridge bleiben sollte, wenn sie es so wollte – selbst wenn das bedeutete, dass immer einer von ihnen bei ihr sein musste.

Natürlich überlegten Wyatt und Marti hierherzuziehen, nachdem sie ja mit Einheimischen verheiratet waren. Dann würde Ry die Stellung in Missoula halten, wo sich die Zentrale von Home-Max befand, und müsste nicht oft nach Northbridge kommen. Aber jetzt war er hier.

Und er war nicht gerade begeistert davon, im Hinterland von Montana – so empfand er die Kleinstadt – vom Trubel abgeschnitten zu sein.

Northbridge war ja nicht hässlich – nach allem, was er bisher gesehen hatte, hatte es sogar reichlich Charme. Aber es war eine Kleinstadt und jede Kleinstadt hatte eine gewisse Enge. Und Ry mochte keine Grenzen.

Er war gern aktiv – er blühte dabei auf – und hatte immer gern mehr Pläne als Zeit. Langsam und ruhig? Das war für ihn eine schreckliche Vorstellung.

Als Marti und Wyatt heute Morgen abgereist waren, hatte er ihnen sogar versichert, dass er gern alle möglichen Aufgaben übernehmen wollte. Denn obwohl es eine Menge war, hatte er lieber zu viel als zu wenig zu tun.

Dieses Mal hatte er definitiv zu viel zu erledigen.

Autor

Victoria Pade

Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...

Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Nächte In Northbridge