Ein Leben lang von dir geträumt

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Olivia steht auf Draufgänger, obwohl die ihr nur Ärger bereiten. Ganz anders als ihr attraktiver Nachbar. Daniel kümmert sich liebevoll um sie, ist ihr aber viel zu zahm. Bis er sie auf dem Motorrad entführt ? in eine finstere Bar, wo man ihn unter dem Namen "Cobra" kennt ?...


  • Erscheinungstag 28.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774486
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Er sieht genauso aus wie du, Livy.“

„Ach, Sylvie, er ist erst zehn Stunden alt. Wie kannst du behaupten, er sähe jemandem ähnlich?“

Olivia Venner, die in Nachthemd und Bademantel zwischen ihrer Schwester Sylvie und ihrer Freundin Zoey stand und durch die Scheibe in die Säuglingsstation blickte, fragte sich, auf was um alles in der Welt sie sich da eingelassen hatte. Natürlich, sie würde nicht die erste alleinerziehende Mutter sein und bestimmt nicht die letzte. Doch während der vergangenen neun Monate hatte sie sich ganz auf Simons Geburt vorbereitet und darüber vollkommen vergessen, wie es danach weitergehen sollte. Jetzt, wo sie das winzige Baby sah, eingewickelt in eine blau-rosa gestreifte Decke und mit einer blauen, wärmenden Wollmütze auf dem kleinen kahlen Kopf, kamen ihr zum ersten Mal Bedenken.

Es war ganz allein ihr Kind, und nur sie war für seine Erziehung, seine Wünsche und Bedürfnisse, seine Ausbildung, seine Moral- und Wertvorstellungen verantwortlich. Die ihr bevorstehende Aufgabe war entmutigend, um es noch milde auszudrücken. Allmählich erst begriff sie die Tragweite dessen, was auf sie zukommen würde.

„Er sieht dir wirklich ähnlich, Livy“, bestätigte Zoey und spreizte ihre Finger mit den dunkelrot lackierten Nägeln auf der Glasscheibe. „Sieh doch nur die kleine Stupsnase und die Grübchen. Noch sind seine Augen blau, aber sie werden bestimmt braun wie deine. Und wahrscheinlich bekommt er auch dunkle Haare, das heißt, falls ihm überhaupt irgendwann Haare wachsen sollten.“

„Zoey, wir beide haben bei unserer Arbeit schon Hunderte von Babys gesehen. Du weißt genau, wie schnell sie sich verändern. Bei ihrer Geburt sind sie alle ein brüllendes, runzliges Bündel. Es könnte ebenso gut sein, dass Simon später ganz seinem Vater ähnlich sieht.“

„Um Himmels willen“, rutschte es Sylvie heraus.

„Na schön, ich weiß, dass Steve sich als Mistkerl entpuppt hat“, räumte Olivia ein.

„Genau wie alle deine Männer“, ergänzte ihre Schwester unnötigerweise.

Olivia ignorierte die Bemerkung. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass er Simons Vater ist.“

Zoey schnaubte verächtlich. „Oh ja, er hat auch deutlich gezeigt, wie viel ihm das bedeutet, Vater zu sein. Was hat er noch getan, als du ihm mitgeteilt hast, du seist schwanger?“

Olivia seufzte resigniert und wünschte, sie könnte jenen Abend vergessen. „Er weigerte sich zu glauben, dass das Baby von ihm ist. Dann sprang er auf sein Motorrad und fuhr davon.“

„Ohne dir mitzuteilen, wohin“, mischte Sylvie sich ein.

„Und ohne sich zu verabschieden“, ergänzte Zoey.

Olivia betrachtete die beiden Frauen nachdenklich. Ihre kleine Schwester ähnelte ihr nicht im geringsten mit ihrem braven, unschuldigen Gesicht, den kurzen blonden Haaren und den großen blauen Augen. Gewöhnlich erstaunte Sylvie die Leute, denn sie machte den Eindruck eines braven Schulmädchens. Tatsächlich jedoch arbeitete sie als Barfrau in einem der vornehmsten Restaurants Philadelphias, und sie konnte es mit jedem Seemann, Fernfahrer oder Bauarbeiter aufnehmen, der ihr dumm kam.

Zoey dagegen sah in ihrem gestärkten Schwesternkittel und den streng zu einem französischen Zopf zusammengebundenen roten Locken exakt danach aus, was sie war: eine gewissenhafte und tüchtige Säuglingsschwester. Sie und Olivia hatten sich auf der Schwesternschule kennengelernt und arbeiteten seit ihrem Abschluss vor neun Jahren gemeinsam auf der Entbindungsstation des Seton General Hospitals, eines der ältesten und angesehensten Krankenhäuser im Süden Jerseys. Obwohl Olivia wusste, dass sie Zoey genauso vertrauen konnte wie ihrer Schwester Sylvie und beide ihr während der Schwangerschaft beigestanden hatten, gingen sie ihr in diesem Moment ein wenig auf die Nerven.

„Schön, ich gebe ja zu, dass Steve sich nicht als der Richtige entpuppt hat“, räumte sie schließlich ein. „Aber eine Zeit lang hatten wir etwas wirklich Besonderes zusammen.“

Sylvie verzog verächtlich den Mund. „Für dich war es vielleicht etwas Besonderes, aber Steve hatte keinen blassen Schimmer davon.“

„Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass Simon ohne Vater aufwächst“, meinte Olivia leise. „Und ehrlich gesagt weiß ich selbst nicht, wie ich jetzt ohne einen Mann zurechtkommen soll.“

„Du bist ohne Mann viel besser dran“, erwiderte Zoey ohne Zögern. „Du wirst eine großartige Mutter abgeben. Aber Steve als Vater, das ist völlig unvorstellbar.“

„Ein Kind sollte aber einen Vater haben“, beharrte Olivia. „Besonders ein kleiner Junge. Simon braucht eine männliche Bezugsperson, zu der er aufschauen kann. Er braucht einfach jemanden, der verlässlich, anständig und liebevoll ist.“

„Tja, das schließt wohl alle Kerle aus, mit denen du dich für gewöhnlich abgibst“, bemerkte Sylvie.

Keine der drei Frauen bestritt den Wahrheitsgehalt dieser Aussage. Stattdessen blickten sie versonnen durch die Trennscheibe auf das winzige Wesen, das Olivias Sohn war.

„He, wie wäre es mit Daniel?“, schlug Sylvie plötzlich vor.

„Daniel?“, wiederholte Olivia.

„Daniel McGuane, dein Nachbar“, erläuterte Sylvie mit einem verschmitzten Lächeln.

Olivia verzog das Gesicht. „Ich weiß, von welchem Daniel du sprichst. Nur habe ich keine Ahnung, wie du auf ihn kommst.“

„Er wäre die ideale Vaterfigur“, erläuterte Sylvie. „Er ist klug, nett, sanftmütig, sehr stattlich und ein feiner Kerl. Außerdem hat er einen festen Job. Er wäre genau richtig. Und er wohnt praktischerweise gleich nebenan.“

Ehe Olivia darauf etwas erwidern konnte, gab Zoey ihre Meinung dazu. „Er wäre nicht nur eine großartige Vaterfigur, sondern er ist auch noch ein toller Typ.“

Olivia sah die beiden ungläubig an. „Reden wir von demselben Daniel? Meinem Nachbarn? Das soll ein toller Typ sein?“ Beinahe hätte sie sich an den letzten Worten verschluckt. Das war wirklich zu verrückt.

Sylvie nickte ernst. „Er ist sexy.“

„Er ist absolut sexy“, bestätigte Zoey. „Einfach umwerfend.“

Einen Moment lang dachte Olivia darüber nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein, doch nicht Daniel. Er ist viel zu nett, um ein umwerfender Kerl zu sein. Er ist viel zu gut.“

„Ich jedenfalls finde ihn sexy“, beharrte Sylvie.

„Ich auch“, meinte Zoey.

Olivia verzog spöttisch die Mundwinkel, vergaß ihren Nachbarn und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Sohn zu. Vor zehn Stunden wurde er brüllend und gegen seinen Willen auf diese Welt gezerrt, nackt und verletzlich und völlig unvorbereitet auf das, was das Leben für ihn bereithielt. Er ist nur ein Baby, dachte sie mit Tränen in den Augen. Und sie war nur eine Frau. Wie sollte sie ihm ganz allein beibringen, wie man das Leben meistert? Wie sollte sie die Aufgabe bewältigen, für die normalerweise zwei Elternteile vorgesehen waren, wo sie doch bisher nicht einmal Verantwortung für ein Haustier getragen hatte? Wie um alles in der Welt hatte sie nur annehmen können, einer solchen Aufgabe ganz allein gewachsen zu sein?

Der Wind heulte um Daniel McGuanes Haus, rüttelte an den Fensterläden, riss die Hintertür auf und schlug sie wieder zu. Das Licht flackerte einmal, zweimal, dreimal, ehe es ganz erlosch. Daniel tastete sich in der Dunkelheit bis zum Küchenschrank vor und suchte in einer Schublade nach der Taschenlampe. Doch als er sie schließlich gefunden hatte und einschalten wollte, geschah nichts. Wütend schüttelte er sie und versuchte es erneut. Wieder vergebens.

„Verdammt“, fluchte er leise und stolperte in Richtung des Gasherdes, wobei er sich das Knie an einem der Küchenstühle stieß. Nach einigem Herumtasten ergriff er eine Schachtel Streichhölzer, und nachdem er ein Streichholz angezündet hatte, begann er rasch im Schein der Flamme zwei weitere Schubladen nach Ersatzbatterien zu durchsuchen. Gerade als er auf ein paar Batterien stieß, erreichte die Flamme seine Fingerspitzen. Instinktiv ließ er das Streichholz fallen und trat es aus. Nachdem er dann im Dunkeln die Batterien ausgewechselt hatte, erhielt er zumindest einen schwachen Lichtschein.

Draußen trommelte der Regen heftiger, und der Donner nahm an Gewalt zu. Daniel fragte sich, ob nebenan mit Olivia alles in Ordnung war. Sie war erst vor wenigen Wochen mit ihrem Baby aus dem Krankenhaus gekommen. Wenn sein Strom ausgefallen war, dann war ihrer es zweifellos auch. Benötigten Babys nicht alle möglichen neumodischen elektrischen Geräte? Und mussten sie nicht gelegentlich aufgeladen werden? Er schmunzelte. Die elektrischen Geräte, nicht die Babys natürlich.

Daniel seufzte und fuhr sich nervös durch das blonde Haar. Von Babys verstand er so viel wie von biochemischer Forschung, und da er seinen Lebensunterhalt als Zimmermann verdiente, war das nicht gerade viel. Das Unwetter wurde immer heftiger. Olivia brauchte vielleicht Hilfe.

„Wem will ich denn etwas vormachen?“, tadelte er sich laut. Olivia Venner mochte vielleicht Hilfe brauchen, aber von Daniel McGuane mit Sicherheit nicht. Das hatte sie ihm bei einigen Gelegenheiten schon mehr als deutlich zu verstehen gegeben.

Als Daniel vor zwei Jahren ein Haus suchte, hatte ein Makler ihm dieses in Collingswood gezeigt, das er auf der Stelle gekauft hatte und nun bewohnte. Der Kauf war nicht etwa zustande gekommen, weil das Haus genau seinen Vorstellungen entsprach – das Gegenteil war der Fall –, sondern weil Olivia Venner mit zwei Freundinnen auf Liegestühlen im Garten des Nachbarhauses gelegen hatte. Sie hörten mexikanische Musik, nippten an ihren Margaritas und trugen die knappsten Bikinis, die man sich vorstellen konnte. Die eine der Frauen war blond, die andere brünett und die dritte rothaarig. Einen kurzen Moment lang glaubte er zu halluzinieren. Doch dann bemerkte Olivia, dass er sie und ihre Freundinnen anstarrte, und prostete ihm freundlich mit ihrem Drink zu. „Hallo, ich bin Olivia. Willkommen in der Nachbarschaft!“, rief sie ihm zu, und Daniel hatte gewusst, dass das, was er sah, die wunderbare Realität war.

Er erinnerte sich nicht mehr genau an alles, was danach passierte, nur noch daran, dass er unbeholfen seinen Namen erwiderte und versucht hatte, seine sexuellen Fantasien zu zügeln. Dann war er ins Haus zurückgestolpert und hatte den Makler gefragt, wo er unterschreiben solle.

Erst am Tag des Einzuges war ihm klar geworden, auf was er sich eingelassen hatte. Er hatte nicht nur feststellen müssen, dass Olivia Venner bereits mit jemand anderem zusammen war, sondern auch, dass sein neues Haus eine Bruchbude war. Glücklicherweise war er Zimmermann, unglücklicherweise aber konnte er es sich nicht leisten, die ganze Zeit an dem Haus zu arbeiten. Daher gab es auch nach zwei Jahren immer noch etwas zu tun, ohne dass ein Ende abzusehen war.

Das Wohnviertel selbst lag in einem alten, ruhigeren Teil im Süden von New Jersey, und zumindest das kam ihm entgegen. Nach den Jahren wilder Partys in dem Apartmentkomplex, in dem er sechzehn Jahre gewohnt hatte, brauchte er etwas Ruhe. Nachdem er sein Elternhaus verlassen hatte, war das Junggesellenleben für ihn gleichbedeutend gewesen mit heftiger Trinkerei, Schlägereien und nächtelangen Streifzügen mit möglichst wahllos vielen Frauen.

Doch im Lauf der Jahre hatte sich seine Vorstellung vom Leben allmählich gewandelt, bis er vor zwei Jahren beschloss, Abschied von den wilden Zeiten zu nehmen. Mit einer Erbschaft seines Vaters hatte er sich auf die Suche nach einem Haus gemacht. Es sollte nichts Großes, Luxuriöses werden, aber ein Haus, in dem eine Familie Platz hätte. Zwar hatte er noch keine Familie, doch während der Arbeit an seinem Haus stellte er fest, dass es dafür viele Möglichkeiten barg. Langsam, aber sicher kam er voran. Trotzdem liegt noch ein sehr langer Weg vor mir, dachte er, als er den Strahl der Taschenlampe über die zwei Stützböcke und die Plane in seinem Esszimmer streifen ließ.

Über ihm krachte der Donner mit einem solchen Getöse, dass Daniel zusammenzuckte und mit dem Einstürzen des Daches rechnete. Der Wind blies kräftig und peitschte die Äste der riesigen Eiche gegen die Hauswand. Das Geräusch erinnerte ihn an ein Monster, das draußen am Haus kratzte, und er erschauerte. Offenbar wurde man selbst als Erwachsener die Ängste der Kindheit nicht los.

Olivia und das Baby müssen sich ja zu Tode fürchten, überlegte er. Vielleicht sollte er rasch nach drüben laufen und nachsehen, ob alles in Ordnung war.

Er zog sich lediglich seine zerschlissene Regenjacke über die Jeans und das T-Shirt. Schließlich musste er nur nach nebenan. Dann steckte er die Taschenlampe in die Jackentasche und verließ das Haus durch die Hintertür. Die Bäume, die rings um die beiden Häuser standen, trugen dichtes Laub, sodass er wahrscheinlich nicht einmal nass würde. Er schlug den Jackenkragen hoch und sprintete zum Nachbarhaus hinüber.

Simon ballte die winzigen Finger zu einer Faust und schmatzte zufrieden, während er an Olivias Brust saugte. Offenbar bemerkte er nichts von dem Unwetter, das draußen tobte. Gerade, als Olivia ihn aus seiner Wiege gehoben hatte, war das Licht ausgegangen, daher hatte sie vier Kerzen aus dem Schrank im Esszimmer geholt und sie auf den Tisch neben der Couch gestellt und angezündet. Sie saß im Schneidersitz mit aufgeknöpftem Flanellhemd, Simon fest an ihrer Brust, und der Kerzenschein tauchte den feinen Haarflaum auf seinem Kopf in bernsteinfarbenes Licht. Olivia lächelte. Er würde tatsächlich dunkles Haar bekommen. Falls er überhaupt jemals Haare bekam.

Im Haus war es trotz des Unwetters seltsam still, deshalb summte Olivia eine leise, improvisierte Melodie. Für kurze Zeit vergaß sie ihre Angst davor, Simon allein großziehen zu müssen. Wenigstens in diesem kurzen Augenblick konnte sie ihm alles geben, was er brauchte, nämlich Nahrung, Liebe und Fürsorge.

„Olivia!“

Sie erschrak beim Klang von Daniels Stimme vor der Tür. Das plötzliche Auftauchen ihres Nachbarn traf sie in diesem intimen Moment völlig unvorbereitet, doch erstaunte es sie, dass ihr diese Störung nicht besonders viel ausmachte. Als sie ihm zurief, die Tür sei offen, löste sich Simons Mund von ihrer Brust, und er verzog weinerlich das Gesicht. Rasch nahm Olivia ihn an die andere Brust, wobei sie ihn sanft in ein Kissen auf ihrem Arm bettete und seinen Kopf mit der Hand abstützte.

Hinter sich hörte sie, wie mit einem Windstoß die Tür aufflog, gefolgt vom Stampfen schwerer Stiefel, ehe die Tür wieder geschlossen wurde.

„Olivia!“, rief Daniel noch lauter. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ich bin hier“, erwiderte sie leise und streichelte Simons Wange, um ihn zu beruhigen. Ihm schien der Krach, mit dem ihr Nachbar in die noch vor Kurzem friedliche Szene eindrang, gar nicht zu gefallen. „Schsch“, flüsterte sie dem Baby zu. „Schsch, es ist alles gut.“ Erneut begann sie zu summen, diesmal ein altes Kinderlied, das ihn stets beruhigte.

Daniels schwere Schritte kamen näher, und Olivia bedeckte ihre nackte Brust mit dem Hemd, ohne allerdings das Stillen zu unterbrechen.

„Hallo, Daniel“, begrüßte sie ihn, als sie spürte, dass er hinter ihr stand. „Was treibt dich bei diesem Unwetter nach draußen?“ Da er nicht gleich antwortete, blickte sie über die Schulter und sah, wie er auf das Baby starrte, das hungrig an ihrer Brust saugte. Zwischen ihrem und seinem Haus lagen kaum zehn Meter, doch Daniel war völlig durchnässt. Wasser tropfte ihm aus den Haaren auf die Stirn und in die Wimpern, die dadurch sehr lang wirkten. Im Kerzenlicht erschienen seine hellblauen Augen noch heller als sonst, und seine markanten Wangenknochen traten noch stärker hervor.

Nein, man kann Daniel McGuane wirklich nicht als umwerfend bezeichnen, dachte sie bei der Erinnerung an Sylvies und Zoeys Worte. Dazu war er viel zu vital, zu anständig, zu perfekt gebaut. Er hatte nichts von dieser reizvollen Unvollkommenheit oder der gefährlichen Ausstrahlung, die sie an einem Mann bevorzugte. Natürlich, er war nicht schlecht, sogar wirklich gut aussehend, auf eine jungenhafte, natürliche Art, wenn man darauf stand. Was sie allerdings nicht tat.

„Ich, äh, es tut mir leid“, stammelte er, den Blick immer noch auf das Baby an ihrer Brust geheftet. „Ich hatte keine Ahnung, dass du … ich dachte, du wärst vielleicht …“ Er errötete, ehe er sich umdrehte und erklärte: „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht stören. Ich dachte, du könntest Hilfe brauchen, und wollte sichergehen, dass mit dir und dem Baby alles in Ordnung ist.“

Olivia musste über seine Rücksicht und seine offenkundige Unbehaglichkeit angesichts der Situation grinsen. „Schon gut“, versicherte sie ihm. „Ich stille Simon nur. Du störst nicht. Setz dich doch.“

Er zögerte, ihre Einladung anzunehmen, schien sie jedoch bei dem Unwetter auch nicht allein lassen zu wollen.

„Na komm“, ermutigte sie ihn. „Zieh die nasse Jacke aus und häng sie über einen der Küchenstühle. Simon wird gleich fertig sein, dann bringe ich ihn nach oben und mache dir eine Tasse Tee.“

Daniel entfernte sich stolpernd vom Sofa, und Olivia hörte, wie er in der Küche sich die Jacke auszog. Dann kam er zurück und nahm in einem Sessel gegenüber dem Sofa Platz. Er ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen, wobei er es vermied, sie anzusehen.

„Als der Strom ausfiel, habe ich mir Sorgen euretwegen gemacht“, begann er leise. „Ich fürchtete, irgendetwas könnte passiert sein. Ich wusste nicht, ob das Baby ohne Elektrizität auskommt.“

Olivia konnte nicht anders, als Daniel zu necken: „Keine Angst, Simon geht es gut. Er ist eines von diesen modernen Babys, die auch mit Batterien funktionieren.“

„Sehr witzig“, entgegnete er trocken.

Sie kicherte. „Babys gibt es schon viel länger als künstlich erzeugten Strom.“

„Das stimmt.“

Es folgte ein langes Schweigen, ehe Olivia sagte: „Trotzdem danke für deine Sorge.“

Ihr leises Dankeschön war Balsam für Daniels angespannte Nerven. Er war darauf gefasst gewesen, das Baby schreiend vor Angst vorzufinden und Olivia außer sich vor Besorgnis. Stattdessen war er in die friedlichste Szene hereingeplatzt, die er vermutlich je erlebt hatte. Er hätte es besser wissen müssen. Olivia Venner war immer in der Lage gewesen, auf sich selbst aufzupassen, so ungern er es auch zugab.

Er betrachtete ein Ölgemälde über dem Kamin, ohne es richtig wahrzunehmen, denn seine Gedanken kreisten um Olivias Anblick mit dem Baby an ihrer vollen, gerundeten Brust. In einem entfernten Winkel seines Bewusstseins nahm er wahr, dass sie wieder begonnen hatte, ein Schlaflied zu summen. Er erinnerte sich an das erste Mal, als er sie in ihrem winzigen Bikini gesehen hatte, und rief sich die vielen Male ins Gedächtnis, in denen er sie beobachtet hatte, wie sie in ihrer sauberen weißen Schwesterntracht zur Arbeit ging. Er erinnerte sich an sie in Shorts und knappem schwarzem T-Shirt auf dem Sozius einer Harley-Davidson, an diesen Idioten Steve geklammert.

Schließlich gab er sich einen Ruck und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Olivia, die vom Schein der Kerzen umgeben ihm gegenübersaß. Ihre weichen, braunen Locken umrahmten ihr Gesicht, das durch das im Laufe der Schwangerschaft zugelegte Gewicht voller wirkte. Sie kam ihm jetzt irgendwie weiblicher vor. Seltsam, dass mir das nicht schon eher aufgefallen ist, dachte er. Simon stieß sich von ihrer Brust ab, worauf sie ihn behutsam an die Schulter hob und ihm sanft auf den Rücken klopfte. Sie lächelte Daniel zu.

In diesem Augenblick begriff er etwas, was er immer geahnt, sich aber nie einzugestehen gewagt hatte. Er liebte Olivia Venner. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, was er dagegen unternehmen sollte.

Das Baby stieß leise auf, worauf Olivia lachte und ihm den Mund mit dem Zipfel der Baumwollwindel abwischte, die sie sich über die Schulter gelegt hatte. Mit kreisenden Bewegungen rieb sie seinen Rücken, worauf er erneut aufstieß. Diesmal stimmte Daniel in ihr Lachen ein.

„Es scheint, als hätte er sein Abendbrot beendet“, bemerkte er.

Sie nickte. „In ungefähr fünf Minuten wird er fest schlafen.“

Er betrachtete Mutter und Sohn einen Moment schweigend, ehe er fragte: „Wie ist es dir ergangen, Livy?“

Olivias Herz machte einen kleinen Sprung, als sie ihren Kosenamen aus seinem Mund hörte. Gewöhnlich nannte er sie nicht so. „Gut“, versicherte sie ihm. Obwohl sie eigentlich mehr hatte sagen wollen, brachte sie aus irgendeinem Grund kein Wort mehr heraus.

„Wirklich?“, hakte er nach. „Ich habe dich in letzter Zeit selten gesehen. Eigentlich nur im Vorbeigehen. Ich habe viel an dich gedacht und mich gefragt, ob es dir und dem Baby gut geht. Und dann habe ich überlegt, was Steve …“

„Steve gehört nicht mehr dazu“, unterbrach sie ihn.

Daniels Augenbrauen hoben sich. Olivia war nicht sicher, ob es Überraschung, Skepsis oder Mitgefühl bedeutete, denn sein einziger Kommentar lautete geheimnisvoll: „Ach?“

Simons Kopf sank auf ihre Schulter. Er versuchte tapfer, nicht einzuschlafen, daher legte sie ihn in eine horizontale Position. Da er jetzt gestillt war, wurde sie sich plötzlich ihres offenen Hemdes bewusst und wünschte, sie hätte eine dritte Hand, um es sich zuzuknöpfen. Unweigerlich blickte sie an sich herunter und bemerkte, dass tatsächlich eine ihrer Brüste deutlich zu sehen war.

Als sie zu Daniel aufsah, erkannte sie, dass es ihm ebenfalls aufgefallen war. Ein eigenartiger Schauer durchlief sie bei dem Gedanken daran, dass er sich ihrer unmissverständlich auf sexuelle Art bewusst war. Sie erklärte sich dieses Gefühl damit, dass ihre Hormone nach der Geburt noch in Aufruhr waren. Das war der einzige Grund für ihre Reaktion. Dies und die Tatsache, dass sie bereits zu lange keinen intimen Kontakt mehr mit dem anderen Geschlecht gehabt hatte. Doch ein Liebesabenteuer war das Letzte, was sie momentan wollte. Allein der Gedanke daran verursachte ihr Schmerzen.

„Wo ist Steve jetzt?“, erkundigte sich Daniel.

„Ich habe keine Ahnung“, gab Olivia zu und bemühte sich, gleichgültig zu klingen.

„Weiß er nichts von dem Baby?“

„Doch.“

„Aha.“

Ihr war klar, dass Daniel näher auf das Thema eingehen wollte, deshalb erhob sie sich und dankte Simon im stillen dafür, dass er eingeschlafen war und sie auf diese Weise eine Entschuldigung hatte, das Zimmer zu verlassen. Auf dem einen Arm das Baby, in der anderen Hand eine flackernde Kerze, stieg sie die Treppe hinauf und legte Simon in seine Wiege. Dann schaltete sie das Baby-Phone ein, damit sie ihn für den Fall, dass er aufwachte, unten hören konnte. Er schlug die Augen auf, als sie gehen wollte, und gab ängstliche Töne von sich.

„Was meinst du?“, fragte Olivia ihn leise und beugte sich noch einmal über die Wiege. „Was hast du, Liebling? Es ist alles gut, deine Mommy ist ja da. Und Daniel ist unten. Es ist alles in Ordnung.“

Bei der Erwähnung von Daniels Namen weiteten sich Simons Augen. „Was?“, fuhr sie in jenem leisen Flüsterton fort, den Erwachsene annehmen, wenn sie mit einem Baby sprechen. „Du magst Daniel McGuane? Aber du hast ihn doch eben erst kennengelernt. Ja bestimmt, du hast ihn gerade erst kennengelernt. Du bist genau wie Tante Sylvie und Tante Zoey. Wahrscheinlich willst du mir auch noch weismachen, er wäre ein umwerfender Kerl.“ Simon gähnte herzhaft.

„Darauf werde ich nicht hereinfallen“, erklärte sie ihrem Sohn und streichelte sein Kinn. „Nein, nein. Ihr könnt alle reden, bis ihr schwarz werdet, aber Daniel McGuane ist einfach nicht Mommys Typ.“ Sie beugte sich hinunter, um ihre Nase an Simons zu stupsen. „Nein, nein, das ist er nicht. Er mag vielleicht hübsche blaue Augen und ein süßes Lächeln haben, aber Mommy ist nicht an ihm interessiert. Oh nein.“

Simon schlief wieder ein, und Olivia stand noch einige Minuten über ihn gebeugt, bis sie sicher war, dass er fest schlief. Auf Zehenspitzen schlich sie aus dem Kinderzimmer hinüber in ihr Schlafzimmer, um sich einen BH anzuziehen und das Hemd zuzuknöpfen. Dann entschloss sie sich, noch rasch durch ihre unordentlichen Haare zu bürsten.

Ich sehe wirklich schlimm aus, dachte sie beim Blick in den Spiegel. Die Feuchtigkeit hatte ihre Haare in einen wilden Haufen Locken verwandelt. Außerdem war das einzige, was ihr außer der Schwangerschaftskleidung noch passte, eine Jogginghose und ein paar Hemden in Herrengröße, die Steve zurückgelassen hatte. Falls Daniel Interesse an ihr entwickelte, musste er schon der einsamste Mann der Welt sein.

Als sie wieder ins Wohnzimmer hinunterkam, stellte sie fest, dass Daniel es verlassen hatte. Sie fand ihn in der Küche am Gasherd, wo er darauf wartete, dass das Wasser im Teekessel kochte. Er hatte die Taschenlampe eingeschaltet und aufrecht gestellt, damit sie einen breiten Lichtkegel an die Decke warf. In diesem Moment entdeckte Olivia das andere batteriebetriebene Baby-Phone auf dem Küchentisch. Es war eingeschaltet. Sie betete, dass Daniel irgendwoanders gewesen war, als sie ihre kleine offenherzige Unterhaltung mit Simon geführt hatte. Gespannt wartete sie auf eine Reaktion von ihm.

Er drehte sich um und musterte sie eingehend. „Wo bewahrst du die Teebeutel auf?“, erkundigte er sich schließlich.

Sie atmete auf. „In der Blechbüchse über dem Küchenfenster. Ich fürchte aber, es ist Kräutertee. Mein Arzt hat mir jegliches Koffein während der Schwangerschaft verboten. Aber in irgendeinem der Schränke habe ich noch schwarzen Tee.“

Gerade als sie zu den Schränken gehen wollte, wandte Daniel sich um, wodurch ein Zusammenstoß unvermeidbar war. Für einen Moment verharrten beide reglos. Instinktiv hatte Olivia sich mit einer Hand an seiner Brust abgestützt und registrierte vage die festen Muskeln unter seinem feuchten T-Shirt. Ein Dutzend Mal schon hatte sie die Fitnessgeräte in seinem Keller gesehen, sich jedoch nie nähere Gedanken darüber gemacht. Doch da sie jetzt unmittelbar mit dem Ergebnis seines Krafttrainings konfrontiert war, stellte sie sich Daniel McGuane unweigerlich verschwitzt und mit nacktem Oberkörper Gewichte stemmend vor.

„Entschuldigung“, murmelte sie, wich zurück und versuchte ihre Fantasie zu unterdrücken. „Der Tee ist dort oben.“ Sie deutete über seine Schulter. „Hinter dir.“

„Schon gut“, erwiderte er rau. „Ich nehme das, was du auch trinkst. Ich selbst will mir ebenfalls das Koffein abgewöhnen.“

Das kannte sie bereits von ihm. Daniel McGuane trank nicht, rauchte nicht, aß strikt nach den Empfehlungen der Ernährungswissenschaftler, trainierte viel, gab auf sich acht und führte ein ruhiges, geordnetes Leben. Diese Eigenschaften an ihm hatte sie immer gehasst. Nicht, dass sie selbst zu ausschweifend gelebt hätte, aber das eine oder andere Mal war sie in der Vergangenheit schon vom Pfad der Tugend abgewichen. Außerdem erlag sie durchaus der Versuchung des Zuckers und des Koffeins und eines gelegentlichen Glases Bier oder Wein. Daniel hingegen schien selbstbeherrscht und tugendhaft, und das ärgerte sie.

Autor

Elizabeth Bevarly
Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam.

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