Eine Insel, geschaffen für die Liebe

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Aufgewühlt von dem Wiedersehen mit ihrem Jugendschwarm Jason ergreift Georgia die Flucht. Doch statt Ruhe und Abstand erwarten sie Konflikte und Verwirrung. Denn Jason ist ihr auf die einsame Insel in der Karibik gefolgt. Überwältigt vom Zauber des Augenblicks lieben sie sich - bis das alte Misstrauen neu erwacht …


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756598
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jason Harcourt griff nach dem Telefon, hielt dann aber inne und ließ den Arm sinken. Entschlossen schob er beide Hände in die Taschen seiner abgetragenen dunklen Cordhose und straffte die breiten Schultern.

Der Raum engte ihn ein. Die überladenen französischen Antiquitäten, die Gemälde in den barocken Rahmen, die schweren Teppiche drohten ihn zu ersticken. Er ging zu den hohen, kunstvoll dekorierten Terrassentüren. Die dunklen Brauen über den grauen Augen zusammengezogen, blickte er finster in den winterlich-kahlen Park von Lytham Court hinaus.

Er hasste diesen Ort!

Es war sieben Jahre her, dass er zuletzt den Fuß über die Schwelle gesetzt hatte – abgesehen von der knappen Stunde, die er nach der Beerdigung von Harolds zweiter Frau Vivienne hier verbracht hatte –, und auch jetzt war er nur gekommen, weil ihm keine andere Wahl geblieben war. Lytham barg zu viele schlechte Erinnerungen.

Nach Viviennes Tod vor vier Jahren hatte er in gewisser Weise Frieden mit Harold geschlossen, dem Mann, der ihn vor fast dreißig Jahren nach der Hochzeit mit Jasons verwitweter Mutter adoptiert hatte. Als Dreijähriger hatte Jason ihn problemlos akzeptiert, zumal sein leiblicher Vater vor der Geburt des Sohnes bei einem Absturz in den Bergen umgekommen war.

Seine Mutter war an Leukämie gestorben, als er siebzehn gewesen war, und erst danach hatte er begonnen, seinen Adoptivvater mit anderen Augen zu betrachten.

Aber das war jetzt Vergangenheit, und der brüchige Frieden zwischen ihnen hatte nur überdauert, weil Jason darauf bestanden hatte, dass ihre seltenen Treffen im Londoner Club des alten Mannes stattfanden. Auf neutralem Boden. Inzwischen war er froh, dass er – wenn auch skeptisch – eingelenkt und Harolds Beteuerungen, er habe sich geändert, Glauben geschenkt hatte. Zumindest so viel war er seinem Adoptivvater schuldig gewesen.

Seine Zweifel waren jedoch in pure Ungläubigkeit umgeschlagen, als Harold ihm bei ihrer letzten Zusammenkunft vor zwei Monaten rundheraus verkündet hatte: „Georgia ist seit sechs Monaten wieder in England. Wir treffen uns ziemlich regelmäßig.“

Jason hatte bemerkt, wie die bloße Erwähnung ihres Namens Harolds müde, blasse Augen leuchten ließ und das hagere Gesicht des älteren Mannes belebte. Harold hatte seit Viviennes Tod langsam, aber sicher abgebaut, und allein dieser körperliche Verfall hatte Jason daran gehindert, den gemeinsamen Lunch abrupt zu beenden und aus der bedrückenden Atmosphäre des Clubs hinauszustürmen in die vermeintliche Normalität des Londoner Verkehrschaos.

„Du hast also immer noch Kontakt mit Georgia.“ In Jasons Worten schwang die alte Bitterkeit mit, die sich seiner stets bemächtigte, sobald er so unvorsichtig war, an Georgia zu denken.

„Seit Vivvie tot ist, ja. Möge sie in Frieden ruhen, aber sie war das einzige Hindernis dabei. Sie wollte nicht, dass man auch nur den Namen ihrer Tochter erwähnte.“ Harold schob seinen Teller beiseite.

Jason folgte seinem Beispiel. „Ich erinnere mich, dass du das Schweigen brechen und sie in New York anrufen wolltest, um sie über Viviennes Tod zu informieren“, begann er vorsichtig. Er hatte sich erboten, seine persönliche Abneigung außer Acht zu lassen und die Nachricht von dem tödlichen Autounfall zu überbringen, damit Harold diese Pflicht erspart blieb, doch der alte Mann hatte beharrt, es sei einzig und allein seine Aufgabe. Wie sich herausgestellt hatte, war alle Sorge überflüssig gewesen, sie hatte nicht einmal so viel Anstand gehabt, am Begräbnis ihrer eigenen Mutter teilzunehmen.

„Nun ja …“ Harold mied seinen Blick. „Es gab einige Dinge, die gesagt werden mussten, und ich habe sie gesagt“, erwiderte er geheimnisvoll. „Und ich denke, wir sind einander wieder recht nahe gekommen, seit die Angelegenheit bereinigt ist. Es ist nicht gut, alten Groll zu pflegen. Jedenfalls ist sie nun wieder nach England zurückgekehrt. Sie leitet in Birmingham ein Marketingteam der dortigen Niederlassung dieser Werbeagentur – du erinnerst dich sicher, dass sie ihre Freundin Sue begleitet hat, als deren Vater eine Filiale in New York eröffnete.“

Jason sah verzweifelt auf die Uhr. Er hatte genug. Natürlich erinnerte er sich!

„Wir könnten vielleicht mal ein Wochenende zu dritt auf Lytham verbringen“, schlug Harold vor. „Alte Streitigkeiten beilegen … Du und die kleine Georgia seid die einzigen Angehörigen, die ich noch habe.“

„Verschon mich mit diesen Sentimentalitäten.“ Jason warf seine Serviette auf den Tisch. „Das zieht bei mir nicht.“ Er stand auf.

„Es war zumindest einen Versuch wert.“ In den blassen Augen glomm plötzlich ein spöttischer Funken. „Du kommst doch, oder? Ich mache mit Georgia einen Termin aus. Es wird wie in alten Zeiten sein.“

Auf diese „alten Zeiten“ konnte Jason gut verzichten. „Vergiss es“, erklärte er und eilte hinaus.

Er hatte Harold nicht mehr wieder gesehen. Es war nicht seine Absicht gewesen, aber es hatte sich so ergeben. Nun, da Harold tot ist, tut es mir leid, dachte er, den Blick unverwandt auf die triste Landschaft gerichtet.

Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Eisige Tropfen prasselten gegen die Fensterscheibe, und der kurze Wintertag neigte sich dem Ende zu. Mrs. Moody, die Haushälterin, hatte ihm erzählt, dass für die Nacht ein schwerer Frosteinbruch vorhergesagt worden sei.

Die Straßenverhältnisse würden daher am nächsten Morgen ziemlich schlecht sein. Georgia würde es wahrscheinlich nicht riskieren, auf vereister Strecke zu fahren. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Flug zu buchen, um dem Begräbnis ihrer Mutter beizuwohnen, also warum sollte sie bei Harolds dabei sein wollen?

Es sei denn, sie ist sich nicht völlig sicher, dass ihr Stiefvater ihr sein gesamtes Vermögen vererbt hat, und sie will sich darüber Klarheit verschaffen, überlegte Jason zynisch.

Ein entschlossener Zug umspielte seine Lippen, als er zum Telefon ging und den Hörer abnahm.

Georgia kramte gerade im untersten Regal des Küchenschranks nach einer Dose Instantkaffee, als das Telefon im Wohnzimmer klingelte.

„Ich gehe ran.“ Ben löste seinen großen, gertenschlanken Körper vom Türrahmen, an dem er bislang gelehnt und Georgias Suche beobachtet hatte. Das Lächeln, mit dem er sie bedachte, war ebenso sinnlich wie seine Stimme.

Während sie sich erneut dem Kaffeeproblem zuwandte, fragte sie sich unwillkürlich, warum sie sich so hartnäckig weigerte, sich mit ihm zu verabreden. Im Grund ihres Herzens kannte sie die Antwort. Es hatte nichts mit ihm und alles mit ihr zu tun.

Seit acht Monaten wohnten sie auf der gleichen Etage eines eleganten Herrenhauses aus der Jahrhundertwende, das in einzelne Apartments aufgeteilt worden war. Als sie nach sechsjährigem Aufenthalt in New York nach Birmingham zurückgekehrt war, hatte sie niemanden in der Stadt gekannt und war für Bens Freundschaft dankbar gewesen.

Häufig kam er abends vorbei, um mit ihr zu plaudern oder – wie jetzt – sich etwas zu borgen, manchmal brachte er eine Flasche Wein mit oder eine neue CD, von der er meinte, sie würde sie gern hören. Durchschnittlich einmal pro Woche schlug er ein gemeinsames Dinner vor, und anscheinend brach ihm nicht das Herz, wenn sie seine Einladung mit der gleichen Regelmäßigkeit ablehnte.

Sie wollte ihre zwanglose Freundschaft nicht durch Sex zerstören.

Als Georgia sich mit der Kaffeedose in der Hand aufrichtete, klingelte das Telefon noch immer. Es hatte einen beinahe bedrohlichen Klang. Sie eilte aus der Küche. Ben hatte den Apparat offenbar nicht gefunden – vermutlich lag irgendetwas darauf.

Deshalb hatte sie auch drei Wochen Urlaub genommen. Sie wollte endlich ihr Apartment in Ordnung bringen. Nachdem sie sich acht Monate lang in der Firma abgerackert hatte, war es an der Zeit, sich ein behagliches Heim zu schaffen.

Ben hatte mittlerweile das Telefon unter einem Stapel Vorhängen aufgestöbert. Sie hörte, wie seine sinnliche Stimme einen frostigen Tonfall annahm, als er mit dem Anrufer sprach. „Ja, das ist sie. Warten Sie einen Moment.“ Er reichte ihr den Hörer. „Es ist ein Mann“, erklärte er Georgia vorwurfsvoll. „Hat mir seinen Namen nicht verraten.“

Als ob kein anderes männliches Wesen außer ihm das Recht hätte, mit mir zu reden, dachte sie verärgert. Ohne auf Bens Stirnrunzeln zu achten, meldete sie sich am Apparat.

Falls es sich bei dem Anrufer um einen ihrer Mitarbeiter handelte, wollte sie nichts hören. Da sie soeben eine neue Werbekampagne für einen internationalen Eiskremkonzern präsentiert hatte, die von den Auftraggebern in den höchsten Tönen gelobt worden war, hatte sie sich den Urlaub redlich verdient.

Es war niemand aus ihrem Team. Es war Jason.

Sieben Jahre, sieben aufreibende Jahre, Jahre, die geprägt gewesen waren von Veränderung und dem inneren Kampf ums Vergessen, waren vergangen, seit sie das letzte Mal von ihm gehört oder ihn gesehen hatte. Und trotzdem besaß seine tiefe, ruhige Stimme noch immer die Macht, Georgia erstarren zu lassen: Herzschlag, Atmung, Hirnfunktion – all das schien ins Stocken zu geraten.

Warum rief er sie an?

„Bist du noch da?“

Der plötzliche Wechsel im Tonfall, die unterschwellige Härte, brachten sie jäh ins Reich der Lebenden zurück. Ihr Atem beschleunigte sich, ihr Herz raste, ihre Stimme bebte. „Ja, natürlich“, erwiderte sie. „Was willst du?“

Ihre Reaktion war zwar nicht sonderlich freundlich, aber es war auch nichts Freundliches an der Bitterkeit, die der bloße Klang seiner Stimme in ihr wachrief.

„Harold ist vor drei Tagen gestorben“, erklärte er kühl. „Es ging alles ganz schnell – eine Hirnblutung. Die Beisetzung findet morgen um elf statt. Ich finde, du solltest nach Lytham kommen und dich auf einen Aufenthalt von mindestens vierundzwanzig Stunden einrichten.“

Ein eiskalter Schauder lief Georgia über den Rücken. Trotz der Jeans und des warmen Pullovers fröstelte sie. Harold? Tot? Sie konnte es kaum glauben.

„Du kannst dich offenbar nicht entscheiden, ob du die Zeit erübrigen kannst“, fuhr Jason fort, als sie nicht antwortete. „Da Harold es mir erzählt hätte, wenn du verheiratet wärst, nehme ich an, du bist anderweitig mit dem Burschen liiert, der sich am Telefon gemeldet hat. Bring ihn mit, wenn du es nicht eine Nacht ohne ihn aushältst.“

„Ich würde dich und dein Benehmen niemandem zumuten, an dem mir etwas liegt.“ Sie war entsetzt, wie tief sie seine Unterstellung verletzte, sie könne nicht mal für eine Nacht auf einen Mann in ihrem Bett verzichten.

„Sei nicht kindisch“, entgegnete er gelangweilt. „Ich bitte dich nicht her, um das Vergnügen deiner Gesellschaft zu genießen, sondern weil du deinem Stiefvater Respekt schuldest – und noch einiges mehr.“

„Was soll das heißen?“ Worauf, zum Teufel, wollte er hinaus?

Er ignorierte ihren Einwurf. „Es gibt eine Menge zu regeln. Du weißt bestimmt längst, dass sein gesamter Besitz an dich geht. Das bedeutet, es müssen Entscheidungen getroffen, und es muss Verantwortung übernommen werden. Ich will sicherstellen, dass du deine Pflichten ernst nimmst – beispielsweise, was das Personal hier betrifft.“

Die Nachricht von Harolds Tod war ein Schock für sie gewesen, doch die Eröffnung, dass er – aus irgendeinem sonderbaren Grund – ihr sein Vermögen vermacht hatte, kam für sie noch überraschender. Sekundenlang war sie wie betäubt und achtete nicht auf Jasons weitere Worte.

Allmählich begann ihr Verstand wieder zu arbeiten. Ob Erbschaft oder nicht, es war ausgeschlossen, dass sie der Beerdigung fernblieb. Aber es war dunkel und regnete bereits seit vier Uhr nachmittags, der Wetterbericht hatte für die Nacht starken Frost vorausgesagt. Sie hatte keine Lust, ihr Leben – oder ihren neuen Sportwagen – zu riskieren, indem sie morgen früh über vereiste Straßen fuhr.

„Ich bin in ein paar Stunden bei dir“, versprach sie kurz angebunden und beendete das Gespräch.

Sollte Jason ruhig denken, sie könne es nicht abwarten, ihr Erbe anzutreten. Er hatte in den vergangenen sieben Jahren eine so schlechte Meinung über sie gehabt, dass sie in seinen Augen kaum noch tiefer sinken konnte.

Außerdem war ihr das jetzt völlig gleichgültig. Sie hatte sich sowohl innerlich als auch äußerlich von Grund auf verändert und ähnelte nicht im Entferntesten mehr dem naiven Teenager von einst. Sie hatte hart an sich gearbeitet, damit nichts sie mehr verletzen konnte – und schon gar nicht Jasons unverminderte Verachtung.

Nichtsdestotrotz stiegen ihr plötzlich Tränen in die Augen. Tränen, die ihrem jüngeren Selbst, lang vergessenen, aussichtslosen Träumen und einem verlorenen Kind galten.

Sie blinzelte sie fort und straffte die Schultern. Sie dachte nie an die Vergangenheit.

„Schlechte Nachrichten?“ Ben legte ihr den Arm um die Schultern.

„Mein Stiefvater ist gestorben“, erklärte sie angespannt. „Ich werde noch heute Abend nach Gloucester fahren, bevor die Straßen sich in eine Rutschbahn verwandeln.“

„Das tut mir leid.“ Er verstärkte seinen Griff und zog sie an sich. „Und wer war der Mann am Telefon?“

„Ist das so wichtig?“, fragte sie gereizt. Er benahm sich ja gerade so, als hätte er irgendwelche Rechte in ihrem Leben. Gleich darauf lenkte sie jedoch seufzend ein. „Mein Stiefbruder Jason. Ich kenne ihn kaum.“

Das war die reine Wahrheit. Jener Mann, von dem ihr anderes, längst vergessenes Selbst geglaubt hatte, es würde ihn mit ganzem Herzen und aus tiefster Seele lieben, hatte nie existiert. Aus Einsamkeit und mangelnder Liebe hatte sie sich einen Fantasieliebhaber erschaffen, einen perfekten Menschen – und für diese Jugendtorheit hatte sie bitter büßen müssen. Und trotzdem … Ein paar Sekunden lang hatte der Klang seiner Stimme sie berührt, als wäre der plumpe Teenager, der ihn so lange und so unerschütterlich geliebt hatte, zu neuem Leben erwacht und würde in ihrem erwachsenen Körper um Anerkennung kämpfen.

Das war natürlich Unsinn.

„Möchtest du, dass ich dich fahre?“, erkundigte Ben sich fürsorglich. „Wenn du zu aufgewühlt bist … Also, für mich wäre das kein Problem.“

Georgia presste die Lippen zusammen, um eine scharfe Erwiderung zu unterdrücken. Dann atmete sie tief durch. „Nein, danke. Ich bin nicht aufgewühlt – ehrlich.“

Ben vertrat die Auffassung, dass keine Frau im Stande wäre, ein Auto zu lenken, und das gesamte weibliche Geschlecht per Gesetz von den Straßen fern gehalten werden sollte. Als sie sich ihren lang gehegten Traum erfüllt und einen schnittigen Sportwagen gekauft hatte, war er beinahe in Panik geraten.

Momentan war sie allerdings nicht in der Stimmung, seine altmodischen Ansichten von der komischen Seite zu betrachten. Sie reichte ihm die Kaffeedose. „Deshalb bist du doch hier, oder?“

„Oh, nun ja … Pass auf dich auf. Rase nicht wie eine Verrückte.“

„Hör auf, mich zu bemuttern.“

„Du weißt – oder solltest es zumindest inzwischen wissen –, dass ich für dich keineswegs eine Mutter sein will.“ Er drückte erneut ihre Schultern, und diesmal bot er ihr nicht nur seinen Trost. „Warum erlaubst du mir nicht, dir zu zeigen, was ich gern sein möchte? Vielleicht bist du ja angenehm überrascht, und es gefällt dir.“

Georgia zuckte zusammen. Hatte sie ihm nicht mindestens ein Dutzend Mal gesagt, dass sie weder mit ihm noch mit irgendeinem anderen Mann eine sexuelle Beziehung eingehen wolle? Und zwar niemals.

Sex ruinierte Beziehungen. Er hatte Jason veranlasst, sie eine Nacht lang wie eine Geliebte zu behandeln und dann zu verachten. Er hatte ihre Mutter veranlasst, sie praktisch von dem Moment der Empfängnis abzulehnen, weil ihr Verlobter sich aus dem Staub gemacht hatte, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Für Vivienne war sie stets nur eine ungewollte Belastung gewesen, ein Schandfleck in ihrem Leben.

Und Sex hatte an jenem schicksalhaften Tag auf Lytham auch Harolds Gedanken beherrscht und für sie alles zerstört. Ja, Georgia hatte schon vor langer Zeit entschieden, dass sie ohne Sex leben konnte.

Sie riss sich von Ben los. Wenn er die Botschaft bis jetzt nicht verstanden hatte, würde er es nie begreifen. Sie hatte keine Lust, noch mehr Zeit auf dieses Thema zu verschwenden.

„Ich muss packen. Mach die Tür hinter dir zu.“

Georgia fuhr schnell, aber sicher. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie ein Teil des lang gestreckten, flachen Sportcoupés. Sobald sie hinter dem Lenkrad saß, ließ die innere Spannung nach, das leise Brummen der kraftvollen Maschine, während sie Meile um Meile zurücklegte, verhieß grenzenlose Freiheit.

Bei Brockworth verließ sie die Autobahn und bog auf die Landstraße ab. In Richtung Lytham Court. Zu Jason.

Jason. Schäumte er vor Wut, weil er in Harolds letztem Willen nicht berücksichtigt worden war – im Gegensatz zu ihr, der zutiefst Verachteten?

Was erwartete er eigentlich von ihr? Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie über diese Frage nachdachte.

Ein in Tränen aufgelöstes Geschöpf, das er nach Belieben herumschubsen konnte? Jemand, dem er selbstherrlich die Klauseln des Testaments darlegen konnte, um dann überheblich in der Gewissheit zu verschwinden, dass sie seine Worte genauestens befolgen würde?

Und körperlich? Falls er überhaupt einen Gedanken an diesen Aspekt verschwendet hatte. Würde er eine ältere Ausgabe der vernarrten Achtzehnjährigen erwarten? Dass die üppigen Formen – der Fluch ihrer jungen Jahre – sich zu reifer Rundlichkeit entwickelt hatten? Dass sie das mausbraune Haar noch immer kurz trug, weil sie damit nichts Besseres anzufangen wusste? Dass sie ihn mit geradezu kindischer Bewunderung anhimmelte und wie früher ihre Garderobe im Kaufhaus erstand?

Nun, dann stand ihm eine echte Überraschung bevor!

Das gedämpfte, aber sonore Brummen eines fremden Automotors durchbrach die Stille auf Lytham Court. Jason schob die Papiere zusammen und deponierte sie wieder im Wandsafe, verschloss den Tresor und steckte den Schlüssel in die Tasche, dann ging er in die Halle hinaus.

In ein paar Stunden, hatte sie gesagt. Er wartete und versuchte, die verkrampften Schultermuskeln zu lockern. Er wartete und überlegte.

Er fragte sich, ob es ihm gelingen würde, mit ihr die Arrangements der Beisetzung zu besprechen und ihr zu raten, wie sie am besten mit dem gewaltigen Vermögen verfahren solle, das bald ihr gehören würde, ohne die bittere Verachtung durchklingen zu lassen, die er für sie empfand.

Er fragte sich, ob sie noch immer die Dreistigkeit haben würde, ihn mit großen, treuherzigen Augen anzublicken. Fragte sich einmal mehr, wie er je auf ihre vermeintliche Unschuld hatte hereinfallen können.

Er wartete und überlegte, ob sie ungeniert hereinkommen würde – schließlich war es ihr Haus oder würde es zumindest bald sein. Oder würde sie an der Tür läuten, so schüchtern und zurückhaltend wie einst – jedenfalls nach außen hin, während sie insgeheim nur ihren Vorteil suchte und sich keinen Deut um die Konsequenzen scherte?

Sie kam ungeniert herein. Sie blieb an der offenen Haustür stehen und schaute ihn an.

Er erwiderte ihren Blick, unfähig, dem Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen auszuweichen, und unfähig zu glauben, was er sah.

2. KAPITEL

Als ihre Blicke sich trafen, stockte Georgia der Atem. Sieben Jahre hatten auf seinen attraktiv-markanten Zügen und an seiner breitschultrigen, schlanken Gestalt Spuren hinterlassen. Obwohl sie nie zurücksah, konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken in die Vergangenheit schweiften. Jasons Anblick genügte, um die Erinnerungen zu wecken …

Sie war achtzehn Jahre alt und bis über beide Ohren verliebt. Sie liebte ihn, seit sie ihn zum ersten Mal vor drei Jahren auf der Hochzeit ihrer Mutter mit seinem Adoptivvater Harold Harcourt gesehen hatte.

Er mochte sie, das wusste sie. Bei seinen gelegentlichen Besuchen auf Lytham Court, dem luxuriösen Familienbesitz, achtete er stets darauf, Zeit mit ihr zu verbringen, interessierte sich für sie und war immer nett. Ihre stille Hoffnung, seine Zuneigung könnte sich in etwas Ernsteres verwandeln, wurde zusätzlich durch eine Bemerkung von Mrs. Moody, der Haushälterin, genährt: Jason kam nie, wenn sie im Internat war, in das ihre Mutter sie unmittelbar nach der Geldheirat verfrachtet hatte.

Also saß sie, eine naive, pummelige Achtzehnjährige, noch lange, nachdem ihre Mutter und Harold sich zur Nacht zurückgezogen hatten, aufrecht im Bett und nahm all ihren Mut zusammen, um in Jasons Zimmer zu gehen und mit ihm zu reden. Sie wollte ihm von dem Job in New York erzählen, den man ihr angeboten hatte, und ihn fragen, ob er sie vermissen würde – falls es nämlich so sein sollte, würde sie nicht abreisen.

Seit sie nach den Abschlussprüfungen im Frühsommer nach Lytham Court zurückgekehrt war, hatte Harold ihr schreckliches Unbehagen eingeflößt. Er erkundigte sich ständig nach ihren Freunden und schien sie mit lüsternen Blicken förmlich auszuziehen – besonders wenn Vivienne, ihre Mutter, nicht in der Nähe war. Und ihre Mutter legte keinen Wert auf ihre Gesellschaft, das hatte sie noch nie getan. Wären nicht Jasons Besuche gewesen, hätte Georgia in diesem Sommer keinen Tag auf Lytham Court verbracht, sondern wäre der Einladung ihrer Freundin Sue gefolgt. Sie hätte mit Sue und deren Familie Pläne für die im November anstehende Übersiedlung nach New York geschmiedet und das Stellenangebot in der neuen Werbeagentur akzeptiert, die Sues Vater in den Staaten aufbauen sollte.

Aber wie hätte sie Jason verlassen können? Wie hätte sie abreisen können, solange auch nur ein Funken Hoffnung bestand, dass er sie irgendwann genauso lieben würde wie sie ihn?

Sues Anrufe, mit denen sie sie anflehte, sich endlich zu entscheiden, wurden immer drängender. Ja, sie, Georgia, musste eine Wahl treffen, und der einzige Mensch, der ihr dabei helfen konnte, war Jason.

Sie schlug die leichte Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Bei seiner Ankunft zu dem lang ersehnten Wochenendbesuch hatte Jason das Abendessen abgelehnt und war direkt auf sein Zimmer gegangen.

„Ich habe mich wohl erkältet“, hatte er erklärt. „Die Beschwerden haben auf der Herfahrt begonnen. Am besten kuriere ich mich mit Aspirin und Whisky und halte mich von euch fern.“

„Tu das.“ Vivienne war in die entfernteste Ecke des Zimmers zurückgewichen und hatte mit den Händen herumgewedelt, als könnte sie so jeden Krankheitserreger abwehren. „Harold und ich wollen deine grässlichen Viren nicht!“

Harold hatte lediglich die Schultern gezuckt, und Georgia hätte die beiden am liebsten geohrfeigt. Merkten sie denn nicht, dass Jason schlecht aussah? War ihnen das egal?

„Ich koche dir Kakao und bringe ihn dir hinauf“, hatte Georgia sich erboten, um ihm zu zeigen, dass zumindest sie sich um seinen Gesundheitszustand sorgte. „Oder vielleicht eine Suppe?“

„Danke, Kleines.“ Jason hatte zum ersten Mal gelächelt, und seine Augen hatten aufgeleuchtet, als sein Blick auf ihr ruhte. „Ich habe wirklich keinen Appetit. Wir sehen uns morgen früh.“ Er hatte die Whiskyflasche von der Anrichte genommen und das Zimmer verlassen.

Georgia hatte also keine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden. Aber das konnte sie nun nachholen.

Sie wollte ihn nicht lange stören – gerade lange genug, um ihm von der versprochenen Stellung zu berichten und ihm zu erzählen, was sie für ihn fühlte. Solange auch nur die geringste Chance bestand, dass er eines Tages ihre Gefühle erwidern könnte, wollte sie nicht durch den Atlantik von ihm getrennt sein.

Falls er ihr jedoch nicht mehr als Freundschaft bieten konnte, würde sie ein neues Leben in Amerika anfangen. Der Gedanke, ihm ihr Herz zu offenbaren, erschreckte sie, dennoch musste sie es tun. Sues Eltern würden nicht ewig auf ihre Entscheidung warten.

Zitternd vor Nervosität huschte Georgia den Flur entlang und in Jasons Zimmer.

Er war eingeschlafen, die Lampe auf seinem Nachttisch brannte noch. Ihr war also eine Gnadenfrist vergönnt, und sie begann, sich ein wenig zu entspannen. Obwohl sie wusste, dass sie jederzeit hinausschlüpfen und ihn dem heilsamen Schlaf überlassen könnte, brachte sie es nicht über sich.

Stattdessen ging sie zum Bett. Ihre nackten Füße verursachten auf dem dicken Teppich keinerlei Geräusch. Erst jetzt dämmerte ihr, dass sie in Anbetracht der ernsten Aussprache, die sie im Sinn gehabt hatte, zumindest einen Morgenmantel über das dünne Baumwollnachthemd hätte anziehen sollen, das ihre üppigen Formen kaum verbarg.

Aber die Nacht war warm, und Georgia hatte an nichts anderes denken können als an das, was sie ihm sagen wollte. Das war allerdings jetzt nicht mehr wichtig. Er schlief, und sie würde ihn nicht aufwecken.

Vorsichtig setzte sie sich auf die Bettkante. Er wirkte noch immer fiebrig. Feine Schweißperlen schimmerten auf seiner gebräunten Haut, das Laken war ihm bis zu den Hüften herabgerutscht. Ein leichter Whiskydunst umgab ihn, und plötzlich war Georgia froh über den Virus, denn der Alkohol hatte Jason betäubt.

Er war so schön. Er konnte jede Frau haben, die er wollte. Wie hatte sie nur so dumm sein können, auch nur eine Sekunde zu glauben, er würde sie begehren?

Autor

Diana Hamilton

Diana Hamilton gehört zu den populären britischen Autorinnen für Liebesromane. Seit 1986 wurden über 50 Romane von ihr veröffentlicht.

Bereits als Kind trainierte Diana Hamilton ihre Fantasie. Gern wäre das Stadtkind auf dem Land geboren, deshalb verwandelte sie den Baum im Garten des Nachbarn in einen Wald, aus...

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