Entscheidung am Traualtar

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Ob die Hochzeitstorte so süß ist wie die Konditorin, die sie gebacken hat? Ad Walker beschließt, es herauszufinden. Obwohl er weiß, dass Kit ihn nach ihrem romantischen Rendezvous gleich wieder verlassen wird. Es sei denn, er fände einen Weg, sie für immer an sich zu binden …


  • Erscheinungstag 08.02.2016
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773243
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war beinahe halb zehn Uhr abends, als Kit MacIntyres Bus nach Northbridge, Montana, einfuhr. Sie war der letzte Passagier, und der Fahrer entlud ihr Gepäck und trug es persönlich in die Bahnhofshalle.

„Ich übernachte hier und fahre morgen früh die Tour wieder zurück“, erzählte er auf dem Weg dorthin.

Die kleine Bahnhofshalle war leer, und die einzige Angestellte, deren Schalter Informations- und Kartenverkaufsschalter zugleich war, wollte gerade die große Eingangstür abschließen. Sie begrüßte den Fahrer mit seinem Namen und nickte Kit zu. „Werden Sie abgeholt, meine Liebe?“, fragte sie, nachdem der Busfahrer wieder gegangen war.

„Meine Freundin wollte eigentlich hier sein“, sagte Kit und sah sich suchend um.

„Und wer ist Ihre Freundin?“

Überall anderswo hätte diese Frage seltsam geklungen. Doch Kira hatte Kit gewarnt, dass in dieser kleinen Stadt jeder den anderen kannte.

„Kira Wentworth“, antwortete sie.

„Ah, dann sind Sie wegen der Hochzeit am Samstag hier“, stellte die ältere Frau ehrfürchtig fest, als wäre es das gesellschaftliche Ereignis des Jahres.

„Ja, ich bin die Brautjungfer“, bestätigte Kit. „Außerdem backe ich die Hochzeitstorte.“

Langsam schien der Frau ein Licht aufzugehen. „Dann müssen Sie Kit sein. Ich habe von Ihnen gehört. Meine Nichte hat in Colorado geheiratet und wollte unbedingt eine Torte von Kit’s Cakes. Als Kira erzählte, wer ihre Torte backt, fiel mir der Name gleich wieder ein.“

„Ja, ich bin Kit MacIntyre.“

„Ich habe Kira heute noch nicht gesehen. Weiß sie, wann Ihr Bus ankommen sollte?“

Kit versicherte der Frau, dass sie ihrer Freundin die Ankunftszeit mitgeteilt hätte.

Die Frau warf einen Blick auf die große runde Wanduhr hinter dem Schalter. „Ich muss jetzt leider abschließen und nach Hause gehen. Aber es ist ja ein schöner milder Abend. Vielleicht können Sie draußen auf der Bank warten?“

Kit war sicher, dass Kira jeden Augenblick eintreffen würde. Die Freundin war immer zuverlässig. „Darf ich vorher noch zur Toilette gehen?“, fragte sie. „Ich werde mich beeilen.“

„Natürlich. Ich rufe meinen Mann schnell an und sage ihm, dass ich praktisch auf dem Weg bin.“

Kit folgte dem Pfeil auf dem alten Hinweisschild zu den Toiletten und trat ein. Sie war froh, dass sie noch etwas Zeit hatte, um ihr Make-up aufzufrischen und ihre Frisur wieder herzurichten. Sie würde Kiras Verlobten heute zum erst en Mal treffen und wollte nicht zu zerzaust aussehen.

Der Tag heute war wirklich lang gewesen! Erst hatte sie in ihrer Bäckerei noch letzte Hand an vier Hochzeitstorten legen müssen, bevor sie nach Hause eilte, packte und zum Flughafen fuhr. Nach der Landung dann noch die Überlandfahrt mit dem alten Bus, na ja, aber ein Blick in den Spiegel über dem Waschbecken zeigte ihr, dass sie längst nicht so erschöpft aussah, wie sie sich fühlte.

Ihre blasse Haut brauchte ein bisschen Rouge. Die Wimpertusche, die sie heute Morgen aufgetragen hatte, hielt zum Glück noch. Vorsichtig wischte sie eine winzige Spur mit dem kleinen Finger unter ihren violettblauen Augen fort. Sie frischte ihren hellrosa Lippenstift auf und löste das Gummiband, das ihr Haar zu einem Pferdeschwanz hielt.

Das Haar fiel in unzähligen wilden Locken über ihre Schultern. Kits Locken ließen sich einfach nicht bändigen. Doch wenn sie das Haar kurz schneiden ließ, fehlte das Gewicht, um es niederzudrücken, und es stand ihr von allen Seiten am Kopf ab. Wie eine Clownsfrisur.

Wenigstens ist nichts gegen die Farbe einzuwenden, dachte Kit, bürstete die dunkle haselnussbraune Mähne und ließ sie locker um das Gesicht fallen.

Anschließend legte sie ihr Kosmetiktäschchen wieder in die Handtasche und kehrte in die Halle zurück.

„Kira ist immer noch nicht da“, verkündete die Frau.

„Das macht nichts. Ich warte draußen“, antwortete Kit freundlich und folgte der Frau mit ihrem Koffer und ihrer riesigen Einkaufstasche, die ihre Backformen und Küchengeräte enthielt, durch die Vordertür.

„Wenn Kira und Cutty noch in ihrem alten Haus wohnen würden, könnten Sie zu Fuß gehen“, sagte die Bahnhofsangestellte. „Aber das neue Haus ist ziemlich weit weg von hier. Mit dem Koffer und der Tasche … Nun, ich bin sicher, dass Kira gleich hier sein wird.“

„Ich komme zurecht, machen Sie sich keine Sorgen“, versicherte Kit.

„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht“, erklärte die Frau und eilte davon.

Es war ein schöner Augustabend. Warm, aber nicht zu heiß. Kein Lüftchen regte sich.

Trotzdem wünschte Kit, ihre Freundin würde kommen. Es war beinahe unheimlich still. Kein Mensch war weit und breit zu sehen.

Von der Bank aus, auf der sie saß, bot Northbridge einen hübschen Anblick. Der Busbahnhof lag gegenüber einer Tankstelle, mit der zusammen er am einen Ende der Main Street eine Art Eingangstor zur eigentlichen Stadt bildete.

Kit konnte nicht die ganze Hauptstraße einsehen. Doch sie sah, dass sich zwei- und dreigeschossige Backsteingebäude zu beiden Seiten reihten. Die Häuser wirkten so altmodisch, dass sie sich nicht gewundert hätte, wenn plötzlich eine Pferdekutsche auf sie zugekommen wäre.

Große schmiedeeiserne Laternen beleuchteten die Gehsteige zu beiden Seiten der Main Street. Sie waren von Blumenkübeln umgeben, in denen unzählige gelbe, orangerote und rotbraune Blumen blühten.

Doch so hübsch der Anblick war, Kit hätte ihn lieber an einem gemütlichen Nachmittag genossen, während Kira und sie zum Shoppen durch die Geschäfte bummelten. Sie überlegte, ob sie zur Tankstelle gehen und ihre Freundin anrufen sollte. Da bemerkte sie plötzlich eine Bewegung weiter unten an der Main Street.

Ein Mann hatte eines der Gebäude verlassen und kam direkt auf sie zu. Kira hatte erzählt, dass Northbridge eine sehr sichere Stadt sei. Trotzdem wurde es Kit ein bisschen flau im Magen.

Es war schon dunkel, und sie war völlig allein. Weit und breit war kein Mensch, der sie hören würde, wenn sie um Hilfe rief. Und der Mann kam nicht nur auf sie zu. Als er ungefähr einen Block entfernt war, begann er zu lächeln und winkte freundlich.

Kiras Verlobter war es nicht. Die Freundin hatte ihr ein Foto von sich und Cutty sowie seinen neunzehn Monate alten Zwillingstöchtern geschickt.

Bedrohlich wirkte der Mann nicht. Im Gegenteil, er sah eher fantastisch aus. Richtig toll. Geradezu unwahrscheinlich toll.

Doch das war noch längst keine Garantie dafür, dass er ungefährlich war.

Mit seinen langen muskulösen Beinen kam er rasch näher. Er hatte eine schmale Taille und breite kräftige Schultern. Sein schwarzes Haar war an den Seiten kurz und oben etwas länger geschnitten und leicht zerzaust. Und erst sein Gesicht! Mit diesen gemeißelten Zügen hätte er Werbung für Rasierapparate machen können: hohe Wangenknochen, eine breite eckige Stirn, eine schmale, sehr gerade Nase, etwas zu dünne Lippen, die aber zu ihm passten … Wenn er lächelte, bildeten sich zwei Grübchen in seinen Wangen und gaben ihm etwas sehr Schelmisches.

„Kit?“, fragte er, als er nur noch wenige Meter entfernt war.

„Ja“, antwortete sie zögernd und hätte nicht sagen können, was sie mehr beunruhigte: dass sie auf einer verlassenen Straße von einem Fremden angesprochen wurde oder dass dieser Fremde geradezu umwerfend gut aussah.

Er legte seine große Hand auf seine breite Brust, die von einem roten Polohemd bedeckt wurde, und erklärte: „Ich bin Ad, Ad Walker. Ein Freund von Cutty.“

Erwartungsvoll hielt er inne, um festzustellen, ob sie diesen Namen schon gehört hatte. Was der Fall war.

Sie selbst hatte auch den Zeitungsartikel gelesen, der Kira bewogen hatte, nach Northbridge zu reisen. Der Artikel berichtete, wie Cutty Grant und Addison Walker in ein brennendes Haus gelaufen waren und eine Familie vor dem sicheren Tod gerettet hatten. Dabei waren sie selbst verletzt worden. Cutty hatte seinen Fußknöchel gebrochen, und Addison Walker war bewusstlos geworden. Kira hatte in Cutty Grant den Mann ihrer Schwester Marla erkannt und war hierher gereist in der Hoffnung, Marla endlich, nach dreizehn Jahren, wiederzufinden. Doch sie war zu spät gekommen – Cuttys Frau war vor mehr als einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

„Kira hat mir von Ihnen erzählt“, sagte Kit reichlich spät. „Ich bin Kit Maclntyre“, fügte sie überflüssigerweise hinzu und streckte ihm die Hand hin.

Ad legte seine warmen kräftigen Finger lächelnd um ihre Hand und schüttelte sie. Glühende Hitze schoss Kit den Arm hinauf und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Wie konnte ein einfaches Händeschütteln so sinnlich sein?

„Freut mich, Sie kennen zu lernen“, sagte er.

Der Händedruck war viel zu schnell vorüber. Kit war fast enttäuscht, als Ad sie losließ. So enttäuscht, dass es ihr schwer fiel, sich auf seine Worte zu konzentrieren.

„Mel – eines der Zwillingsmädchen – ist gestürzt und hat sich am Kopf verletzt“, erklärte Ad Walker. „Die Wunde musste genäht werden. Deshalb baten Cutty und Kira mich, ob ich Sie abholen könnte.“

„Geht es dem kleinen Mädchen gut?“

„Ja. Es war nur eine Platzwunde“, versicherte Ad. „Ich weiß nicht, ob Kira es Ihnen schon erzählt hat: Sie schlafen bei mir.“ Rasch hob er die Hand. „Keine Sorge, es war anders gemeint, als es klang. Ich habe zwei Apartments über meinem Restaurant.“ Er deutete mit dem Daumen über die Schulter in die Richtung, aus der er gekommen war. „Ich wohne in dem einen und vermiete das zweite an College-Studenten. Während der Ferien steht es leer. Da Kiras und Cuttys neues Haus noch eine halbe Baustelle ist und Sie sowieso den Backofen des Restaurants für Ihre Hochzeitstorte benötigen, dacht en wir, Sie hätten nichts dagegen, in das leere Apartment zu ziehen.“

Kira hatte ihr das zwar längst erzählt. Aber Kit gefiel der Klang von Ad Walkers Stimme so sehr, dass sie es gern ein zweites Mal hörte.

„Es sind zwei völlig getrennte Wohnungen“, fuhr er fort. „Ich werde nicht einmal merken, ob Sie da sind oder nicht. Und umgekehrt.“

Kit bezweifelte, dass zwei getrennte Wohnungen genügen würden, um den Gedanken zu vertreiben, dass dieser Mann irgendwo in der Nähe war.

Andererseits nahm sie ja gerade eine Auszeit von den Männern. Nach zwei gewaltigen Katastrophen, für die sie selbst verantwortlich war, ging sie allen romantischen Beziehungen vorläufig aus dem Weg.

Ad Walker hob ihren Koffer auf. „Ich wohne nicht weit von hier die Straße hinab. Was halten Sie davon, wenn wir nun erst einmal in Ihr Apartment gehen, damit Sie sich frisch machen und auspacken können. Anschließend würden wir etwas essen und trinken, während wir auf Kira und Cutty warten. Ist Ihnen das recht?“

„Natürlich.“ Kira nahm ihre Einkaufstasche von der Bank. „Ich habe meine eigenen Formen für die Torte mitgebracht, weil ich nicht wusste, wie weit Sie in Ihrem Restaurant zum Backen eingerichtet sind.“

„Abgesehen von den Öfen habe ich überhaupt nichts zum Kuchenbacken“, gab er zu, während sie sich auf den Weg machten. „Bei mir gibt es nur die üblichen Snacks – Fisch und Chips, Hamburger, Sandwichs, Suppen und so weiter. Außerdem Käse- und Schokoladenkuchen. Aber die bekomme ich gefroren geliefert.“

„Oh je.“

Ad Walker lachte tief in der Kehle. „Ja, es ist mir ziemlich peinlich, so etwas gegenüber jemandem zuzugeben, der seinen Lebensunterhalt mit feinsten Kuchen verdient.“

„Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen ein paar meiner Grundrezepte bei. Es ist wirklich nicht schwierig zu backen. Es würde erheblich besser schmecken als die vorgefertigten Massenprodukte.“

Er sah sie lächelnd an. „Sie würden mir einige Ihrer weltberühmten Rezepte verraten?“

„Nun, vielleicht nicht die berühmtesten“, ging Kit auf seinen Scherz ein. „Aber ich könnte Ihnen einige weniger bekannte im Tausch gegen Bett und Frühstück beibringen.“ Die Neckerei mit diesem Mann gefiel ihr besser, als gut für sie war.

Sie hatten das Restaurant inzwischen erreicht. Ein großes Neonschild verkündete den Namen: „Adz“. Die Vorderfront bestand fast ganz aus Fenstern mit dunkelgrünen Cafehausgardinen, die den Blick auf die Gäste vollkommen versperrten. Der Eingang lag etwas zurück, und Ad Walker öffnete die Tür.

Das Lokal mit seiner dunklen Holzverkleidung, der gedämpften Beleuchtung und den Nischen an den Wänden rings um die frei stehenden Tische sah aus, als stammte es direkt aus England oder Irland. Eine lange geschnitzte Theke mit einer Fußleiste aus Messing und einer Spiegelwand dahinter verstärkte die freundliche einladende Atmosphäre.

„Hübsch“, stellte Kit fest.

„Danke. Mir gefällt es auch.“

Ad Walker leitete Kit zu einer Pendeltür neben der Theke, die in die Küche führte – ein hell erleuchteter Raum mit Spülbecken, Herden und Öfen an den Wänden und Arbeitstischen aus rostfreiem Stahl in der Mitte.

Das Personal beachtete die beiden kaum, während Ad Kit durch die Hintertür in eine sehr hübsche Gasse führte.

Die Straße war mit Backsteinen gepflastert, die wie Kopfsteine wirkten. Die Häuser waren gelb und weiß gestrichen und hatten hölzerne Fensterläden. Kutschlaternen auf beiden Seiten sorgten für die Beleuchtung.

„Wir wohnen da oben“, sagte Ad und deutete zu einer Holztreppe, die auf der Rückseite des Restaurants zu einer breiten Galerie mit zwei Türen führte.

Er öffnete die erste Tür und reichte Kit den Schlüssel. Dann schaltete er das Licht ein und ließ ihr den Vortritt.

Ein Doppelbett und ein Kosmetiktisch standen auf der einen Seite. Ihnen gegenüber befand sich eine winzige Küche. Ein Sofa mit passendem Sessel, ein Schreibtisch und ein Fernseher ergänzten die Einrichtung.

„Na ja, das Apartment ist recht unpersönlich“, gab Ad zu und zeigte mit seinem langen Arm auf zwei Türen. „Links ist der Kleiderschrank, rechts das Bad. Ich habe das Bett heute Früh schon bezogen. Frische Handtücher sind im Schrank im Bad. Im Kühlschrank ist nur das Wesentlichste. Eine Kaffeemaschine gibt es leider nicht. Wenn Sie etwas essen oder trinken möchten, können Sie jederzeit ins Restaurant kommen.“

„Ich erwarte nicht, dass Sie mich durchfüttern, während ich hier bin. Das Apartment ist völlig in Ordnung. Es gefällt mir“, versicherte Kit und meinte es ernst.

Ad Walker hob ihren Koffer über den Fußteil des Bettes, der ebenso wie der Kopfteil aus Messing bestand. Und Kit stellte ihre Einkaufstasche auf den winzigen Küchentisch.

Sie drehten sich fast gleichzeitig zueinander, und Kit sah Ads Augen nun zum ersten Mal ganz aus der Nähe. Der Mann hatte erstaunlich lebhafte aquamarinblaue Augen. Einen Moment verlor sie sich ganz in deren Tiefe.

Dann brachte Ads Stimme sie in die Wirklichkeit zurück. „Möchten Sie einen Moment allein sein, oder wolt en wir gleich nach unten gehen?“

„Ehrlich gesagt, ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen und bin halb verhungert. Ich würde jetzt gerne in Ihr Restaurant gehen.“

Er lächelte, als hätte er auf diese Antwort gehofft. „Sehr gut. Ich empfehle Fish and Chips. Die sind heute besonders gut“, schlug er vor. „Aber Sie können natürlich auch etwas anderes essen.“

„Fish and Chips sind mir völlig recht. Und Eistee dazu, falls Sie welchen haben.“

Sie durchquerten die Küche erneut, und Ad gab die Bestellung auf. Dann schenkte er zwei Gläser mit Eistee aus einem Krug hinter der Theke voll und deutete zu einem kleinen freien Ecktisch. „Setzen wir uns da drüben hin.“

„Sie brauchen mir keine Gesellschaft zu leisten, falls Sie etwas anderes zu tun haben – oder tun möchten“, sagte Kit höflicherweise.

„Ich habe weder etwas anderes zu tun, noch möchte ich es“, antwortete er: „Es sei denn, Sie wollen lieber allein sein.“

„Nein“, antwortete Kit ein bisschen zu schnell. „Ich möchte Ihnen nur keine Ungelegenheiten bereiten.“

„Das tun Sie nicht. Es macht mir Freude, Ihnen Gesellschaft zu leisten.“

Diese Antwort gefiel ihr besser, als sie sollte. Doch sie verdrängte den Gedanken rasch. Sie setzten sich einander gegenüber, und Kit suchte nach einem unverfänglichen Thema, um sich mit dem Mann zu unterhalten, den sie gerade erst kennengelernt hatte und von dem sie den Blick nicht lassen konnte.

Aber wahrscheinlich fiel es jeder Frau schwer, nicht in dieses hübsche Gesicht und auf diesen muskulösen Körper zu schauen.

Plötzlich fiel ihr der Zeitungsartikel wieder ein.

„In dem Zeitungsartikel stand, dass Cutty und Sie eine Familie aus einem brennenden Haus gerettet haben und dabei selber verl etzt worden sind. Cuttys Gips kam letzte Woche herunter. Ich hoffe, bei Ihnen ist auch wieder all es in Ordnung?“

„Ja, ich bin so gut wie neu.“ Ad klopfte an seinen Kopf. „Ein Schädel hart wie Stahl. Auch das Haus ist inzwischen repariert, und die Familie konnte wieder einziehen. Selbst der versengte Schwanz des Hundes sieht wieder normal aus. Alles ist wie früher.“

„Außer, dass meine beste Freundin nicht mehr bei mir gegenüber wohnt“, stellte Kit fest, während die Kellnerin ihr Essen brachte. „Und das ist Ihre Schuld.“

Ad lachte leise. „Meine Schuld? Was habe ich damit zu tun?“

„Sie haben Kira von Cutty und seiner schweren Vergangenheit erzählt. Das gab den Ausschlag für ihre Entscheidung, die Beziehung mit Cutty zu vertiefen.“

„Aha.“ Sein Lächeln bewies Kit, dass er sie durchschaut hatte und wusste, dass sie ihn nur neckte. Doch anstatt eine Bemerkung über die Rolle zu machen, die er in der Romanze seines Freundes gespielt hatte, deutete er mit dem Kinn auf ihren Teller. „Wie schmeckt es?“, fragte er.

Kit hatte den in Bierteig gebackenen Kabeljau und die Pommes schon probiert und antwortete aufrichtig: „Der beste Fisch, den ich jemals gegessen habe. Allerdings glaube ich kaum, dass er mich für den Verlust meiner besten Freundin entschädigen kann.“

„Nicht einmal ein bisschen?“

Flirtete er mit ihr? Und sie mit ihm? Kit war sich nicht sicher. Aber ihr gefiel die kleine Plänkelei. Sehr sogar.

„Höchstens ganz, ganz wenig.“

„Hm. Wenn ich mich nicht irre, haben Sie ebenfalls keinen geringen Anteil daran, dass Kira und Cutty am Samstag heiraten. Kira erzählte mir, dass Sie ihr die Augen geöffnet und sie dazu gebracht hätten, zu Cutty zurückzukehren.“

„Es war längst zu spät, als ich das Spielfeld betrat. Ich konnte nur noch das Beste aus allem machen“, erklärte Kit lachend. „Der eigentliche Schuldige sind Sie.“

Also das hatte wirklich nach Flirten geklungen.

Hör sofort auf, befahl Kit sich im Stillen. Was soll das denn? Du wolltest doch keinen Mann mehr an dich heranlassen!

„Dann muss ich wohl überlegen, wie ich es wieder gut machen kann“, gab Ad viel sagend zu.

Kit ging auf seinen Tonfall ein. „Das ist eine schwierige Aufgabe.“

„Ich liebe Herausforderungen.“ Seine aquamarinblauen Augen funkelten schelmisch und hielten sie derart in ihren Bann, dass Kit alles um sich herum vergaß. Sie bemerkte ihre Freundin erst, als Kira direkt neben ihr stand und fragte: „Stören wir etwa?“

Ad schien ebenso überrascht zu sein, dass Kira Wentworth und Cutty Grant eingetroffen waren.

„Kira!“, rief Kit und sprang rasch auf, damit die beiden nicht merkten, wie sehr dieser Mann sie gefesselt hatte.

Kira umarmte die Freundin herzlich. „Es tut mir unendlich leid, dass ich dich nicht vom Bus abholen konnte. Du kommst extra aus Montana, und ich bin nicht einmal da, wenn du eintriffst. Mel war mit dem Kopf an die Kaminecke geschlagen. Die Wunde musste genäht werden.“

„Ich weiß. Ad hat es mir erzählt. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich freue mich, dass du jetzt da bist“, versicherte Kit.

Ad war ebenfalls aufgestanden und hatte zwei Stühle von einem anderen Tisch herbeigezogen. „Was kann ich euch bringen?“, fragte er. „Etwas zu essen oder zu trinken?“

„Ein Bier, bitte“, sagte Cutty.

„Für mich auch“, erklärte Kira. „Ich wollte unbedingt, dass Kit Cutty heute noch kennenlernt.“

Während Ad das Bier holte, stellte sie die beiden einander vor. Dann setzten sie sich an den kleinen Tisch, und was immer zwischen Kit und Ad Walker vorgegangen war, war nun zu Ende.

2. KAPITEL

Nach einer unruhigen Nacht stand Ad am Sonntag früh auf. Er ging in die Küche seines Apartments, bereitete ein großes Frühstück zu und warf dabei immer wieder einen wachsamen Blick durch das Fenster auf die Gasse – und die Galerie, die er mit Kit teilte. Und verwünschte sich selbst dafür.

Er war nicht seit Anbruch der Dämmerung auf den Beinen, weil er ein Frühaufsteher war. Und er bereitete auch kein doppeltes Frühstück vor, weil er ungewöhnlich hungrig war. Und er blickte nicht aus dem Fenster, weil das Wetter sich ständig änderte.

Kit Maclntyre war der Grund.

Er hatte schlecht geschlafen, weil die Frau ihm nicht aus dem Kopf ging. Und er bereitete eine doppelte Portion vor, damit er sie zum Frühstück einladen konnte.

Er beeilte sich und sah ständig aus dem Fenster, damit sie ihm nicht entwischte und zum Essen ins Restaurant ging.

Das waren absolut schlechte Gründe. Allesamt.

Andererseits lernte er nicht jeden Tag eine Frau kennen, mit der er sich so gut verstand. Bei der er sich wohl fühlte und die – wenn er sich nicht irrte – in seiner Gegenwart ebenfalls völlig entspannt war. Sie hatten herumgealbert und sich gegenseitig geneckt. Die Zeit mit ihr hatte – nun, Spaß gemacht. So etwas hatte er lange nicht mehr erlebt.

Natürlich fiel es ihm nicht schwer, sich mit anderen Frauen zu unterhalten. Sie aufzuziehen und mit ihnen zu scherzen.

Aber bei Kit war gestern noch etwas hinzugekommen.

Anziehungskraft.

Okay, gab Ad zu. Er fühlte sich zu Kit hingezogen, ob er es wollte oder nicht. Und er wollte es nicht.

Was hatte er nach dem Debakel mit Lynda geschworen?

Nie wieder eine Frau von außerhalb. Schon gar nicht eine Beziehung mit einer, die einen eigenen Betrieb in einer anderen Stadt besaß.

Er verstand sich selbst nicht. Dabei war Kit gar nicht sein Typ. Normalerweise bevorzugte er Frauen mit von der Sonne gebleichtem Haar und gebräunter Haut. So Sportskanonen. Und solche mit endlos langen Beinen.

Kit war völlig anders.

Sie hatte kaffeebraunes Haar, das sie ein bisschen wild und ungezähmt aussehen ließ. Es umrahmte ihre blasse Porzellanhaut, die nicht aussah, als wäre sie jemals länger der Sonne ausgesetzt worden. Außerdem hatte sie keine sonderlich langen Beine. Wie sollte sie auch bei höchstens einssechzig?

Und trotzdem.

Nie zuvor war ihm eine Frau mit so feinen Zügen und so hohen Wangenknochen begegnet. Mit solch einer schmalen makellos geformten Nase. Mit so perfekten vollen rosa Lippen. Mit so dunklen purpurblauen Augen von der Farbe der Blüten des Busches, den seine Mutter besonders liebte.

Große funkelnde violette runde Augen mit den längsten, dichtesten schwarzen Wimpern der Welt …

Ad stieß einen langen Seufzer aus.

Kit besaß auch einen fantastischen Körper. Ihre Brüste hatten seine Aufmerksamkeit und seine Gedanken mehr als einmal auf sich gezogen, und ihr Hintern würde genau in seine Hände passen …

Ja, ihr Aussehen gefiel ihm ganz entschieden.

Aber die Frau lebt in Denver, ermahnte er sich. Sie hat einen eigenen Betrieb in Denver. Sie ist nur wegen der Hochzeit hier. Und dann fährt sie wieder zurück in ihr eigenes Leben.

Diese Tatsache sollte ihn eigentlich abschrecken. Doch Ad musste ständig daran denken, dass Kit die ganze Woche seine Nachbarin sein würde.

„Du rennst in dein eigenes Elend“, murmelte er. Die Art von Elend, die er schon einmal erlebt hatte. Und die er nie wieder heraufbeschwören wollte.

Plötzlich hörte er, wie die Tür zu Kits Apartment sich öffnete und wieder schloss. Im nächsten Moment war er an der eigenen Tür und riss sie auf.

„Meine Güte, haben Sie mich erschreckt“, sagte Kit und drückte eine Hand auf ihre Brust.

„Tut mir leid“, entschuldigte Ad sich.

Kit trug weiße Shorts, die ihn zweifeln ließen, ob sie wirklich keine langen Beine hatte, und ein rotes T-Shirt mit winzigen Ärmeln. Es saß so eng, dass ihm der Atem stockte. Ihr Haar fiel in weichen Locken hinab. Und ihre Haut strahlte frisch gewaschen und …

Wow!

Ad brauchte einen Moment, bevor ihm klar wurde, was er tat. Energisch rief er sich zur Ordnung.

„Ich wollte Sie abfangen, bevor Sie nach unten gehen“, erklärte er. „Haben Sie Lust, mir beim Frühstück Gesellschaft zu leisten?“

„Das ist sehr nett“, antwortete Kit, und er merkte, dass ihm auch ihre leise sinnliche Stimme gefiel. „Aber Kira hat angerufen und gesagt, dass sie mich früher abholen kommt. Ich treffe mich gleich mit ihr. Trotzdem vielen Dank.“

Autor

Victoria Pade

Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...

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