Erster Preis: ein Mann!

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Danny weiß genau, wie sein neuer Daddy sein soll! Leider zieht seine Mutter Rosemary nicht mit; die junge Witwe verabredet sich nie. Heimlich macht Danny also für sie bei einem Preisausschreiben mit und hofft auf den Hauptgewinn: ein Date mit Chris, ihrem netten Nachbarn …


  • Erscheinungstag 20.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754679
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lieber Radiosender, ich möchte für meine Mom zum Muttertag eine Verabredung gewinnen, weil sie schon lang keine mehr gehabt hat. Aber das hat nichts damit zu tun, dass sie nicht hübsch ist, weil sie nämlich hübsch ist. Echt hübsch. Aber sie arbeitet sehr viel, damit ich alles kriege, was ich will. Ich will aber jetzt was für sie. Sie soll wen haben, mit dem sie reden kann, wenn ich nicht da bin. Ich bleibe nämlich nicht immer klein, und Mom braucht wen, der sich um sie kümmert. Verrate ihr aber nicht, dass ich das gesagt habe.

Sie ist dreißig, sieht aber viel jünger aus. Und sie hat ein echt nettes Lachen. Sie mag alte Songs und alte Filme, und sie geht gern im Regen spazieren. Der Typ soll attraktiv und groß sein, und wenn er Baseball spielt, wäre das echt gut. Aber er muss zu meiner Mom nett sein, weil sie die Beste ist.

Dein Freund Tommy Smith

P.S.: Schick bitte den Brief an mich und nicht an meine Mom, weil es eine Überraschung ist. Danke.

Lächelnd betrachtete Rosemary Gallagher die kindliche Handschrift. Gerührt legte sie den Brief auf den Schreibtisch zu dem kleinen Stapel Zuschriften für das Preisausschreiben.

Was für ein netter Junge, dachte sie. Wollte da noch jemand behaupten, es würde sich nicht lohnen, Kinder zu haben? Dieser Tommy Smith wirkte genauso reizend und wunderbar wie ihr Danny.

Rosemary strich das hellbraune Haar aus dem Gesicht. Sie durfte nicht vergessen, die Haare zu schneiden. Im Moment hatte sie jedoch Wichtigeres zu erledigen. Wenn nicht noch ganz außergewöhnliche Briefe eintrafen, gehörte Tommys Mutter zu den zehn Gewinnerinnen des Preisausschreibens, das sie veranstaltete.

Sie hatte die zahlreichen Briefe, die ihr die Rundfunkstation zugestellt hatte, durchgesehen und sie auf ungefähr fünfundzwanzig reduziert. Aus diesen wollte sie zehn alleinstehende Mütter aussuchen. Zehn Frauen sollten zum Muttertag eine Verabredung gewinnen.

Diese Frauen wollte Rosemary anschreiben, damit sie den Fragebogen ausfüllten, den sie bei der Eröffnung ihrer Firma entworfen hatte. Durch die darin gestellten Fragen konnte der passende Seelenverwandte ermittelt werden.

Soulmates Inc. – so hieß ihre Agentur für Partnerschaftsvermittlung. Sie hatte die Firma eröffnet, nachdem sie wegen Einsparungen an der Universität von einer Vollzeit-Lehrkraft zur Teilzeit-Dozentin zurückgestuft worden war. Sie hatte unbedingt ihr Einkommen aufbessern müssen.

Soulmates Inc. war teils aus einem genialen Einfall und teils aus Verzweiflung heraus an ihrem Küchentisch geboren worden. Nach vier Jahren harter Arbeit lief das Geschäft mittlerweile gut und sorgte für ausreichend Beschäftigung. Es gab sogar so viel zu tun, dass sie vor zwei Monaten ihrer Cousine Teri angeboten hatte, in Teilzeit für sie zu arbeiten.

Rosemary lehnte sich auf dem Stuhl zurück und reckte sich, doch es half nicht gegen die Verspannung im Rücken. Sie wusste genau, wieso sie so verkrampft war. Ihr saß der Termin im Nacken. Um die eingeleitete Werbekampagne erfolgreich durchzuziehen, musste sie in weniger als zwei Wochen die Gewinnerinnen aussuchen, sie anschreiben, ihre Formulare auswerten und geeignete Partner finden.

Wäre Teri doch nur schon hier! Auch wenn ihre Cousine bloß stundenweise arbeitete, vermisste Rosemary die Hilfe und das pausenlose Plaudern. Da Rosemary ungefähr vier Stunden geschlafen hatte, brauchte sie jemanden, der sie am Einnicken am Schreibtisch hinderte.

Rosemary griff nach der Akte, die sie normalerweise neben dem Stuhl in Reichweite hatte, fasste jedoch ins Leere. Sie hatte völlig vergessen, dass alles vom Fußboden entfernt werden musste, was zerkaut werden konnte. Hundezähne hätten es sonst unweigerlich zerpflückt.

Tief seufzend stand sie auf und trat an den nächststehenden Aktenschrank. In der Küche gab es zwei davon, links und rechts vom Vorratsschrank. Die Stapel obenauf wuchsen immer weiter an und drohten zu kippen. Auch darum musste sie sich bei Gelegenheit kümmern und alles in den neuen Computer eingeben, um ihre Arbeitsmethoden zu straffen. Wieso war eigentlich alles, das die Arbeit erleichtern sollte, so kompliziert?

Schrilles Kläffen im Garten erinnerte sie daran, wieso sie nur vier Stunden geschlafen hatte. Als ob sie nicht schon genug zu tun gehabt hätte!

Lieber Himmel, sie war verrückt gewesen, einen Hund im Haus zu erlauben! Einen nicht erzogenen und nicht stubenreinen Hund! Es war schwer genug, allein erziehende Mutter eines kleinen Jungen zu sein. Noch schwerer war es, allein erziehende Mutter eines kleinen Jungen mit Hund zu sein.

Rosemary seufzte erneut und blickte aus dem Küchenfenster in den Garten. Ihr Sohn bemühte sich tapfer, den Welpen zu erziehen, der überhaupt nicht auf ihn hörte. Vor einer Woche hatte Danny den zotteligen Mischling nach Hause gebracht. Er hatte den Welpen auf den Armen hereingeschleppt und den geradezu in solchen Situationen typischen Satz gesagt: Sieh mal, Mom, der ist mir nachgelaufen. Darf ich ihn behalten?

Rosemary wollte sofort entschieden ablehnen. Als Kind hatte sie lediglich einen Stoffhund besessen, der auf ihrem Bett saß, keinen Schmutz machte, nicht spuckte und nie die Bettdecke anknabberte.

Dannys Findling tat das alles innerhalb der ersten Stunden, doch mit seinen großen blauen Augen hatte Danny ihre Abwehr dahinschmelzen lassen.

Der Behälter auf der Theke mit dem Spezialreinigungsmittel für Hundeflecken war schon halb leer. Wäre es nach Rosemary gegangen, wäre der Welpe aus dem Haus verschwunden. Sie konnte ihrem Sohn jedoch nichts abschlagen. Für einen Jungen war es nicht leicht, ohne Vater aufzuwachsen.

Für eine Frau ohne Ehemann ist es auch kein Zuckerschlecken, dachte sie. Doch bisher hatten sie und Danny es geschafft, genau wie die Frauen, die diese Briefe geschickt hatten.

Lächelnd betrachtete Rosemary den Stapel auf dem Schreibtisch. Danny war ihr größter Trost, auch wenn er von der Straße einen streunenden Welpen ins Haus schleppte und das Chaos in ihrem Leben noch steigerte. Danny hätte sie gegen nichts auf der Welt eingetauscht.

Er erhellte ihr Leben. Er hatte sogar den Anstoß zu dem Preisausschreiben geliefert. Verabredung zum Muttertag war zwar ihre Idee, die jedoch auf Danny zurückging. Er hatte gesagt, er wollte ihr in diesem Jahr zum Muttertag etwas echt Tolles schenken, weil sie ihm den Hund erlaubte.

„Und was?“, hatte sie geantwortet, während sie auf Knien vom Wohnzimmerteppich einen frischen Fleck entfernte.

Der Stolz ihres Lebens hatte angestrengt nachgedacht und dabei den Welpen an sich gedrückt, der ihm das Gesicht mit jener Begeisterung leckte, die nur kleine Hunde entwickeln. „Wie wäre es mit einer Verabredung?“, fragte Danny strahlend.

Rosemary lachte über den Vorschlag, der einfach komisch wirkte, weil sie selbst eine Agentur für Partnerschaftsvermittlung betrieb.

Dann fiel ihr allerdings ein, dass vielleicht auch andere kleine Jungen ähnlich wie Danny dachten. Sie wollten ihren Müttern eine besondere Freude bereiten, hatten jedoch kein Geld, um etwas zu kaufen. Eine Verabredung war doch ein ganz besonderes Geschenk, noch dazu, wenn alles gratis war. Je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee.

Die Reklame durch die Werbeeinschaltung im Radio hatte das Geschäft von Soulmates Inc. angekurbelt. Das entschädigte sie sogar dafür, dass ihre dunkelbraunen Wildlederschuhe nunmehr gründlich angeknabbert waren.

Die Glastür quietschte, als Danny sie mit dem Ellbogen aufschob und den Welpen hereintrug. „Na, wie läuft es?“, fragte er.

„Gut.“ Danny hatte das Tier Rocky genannt, obwohl es eine Hündin war. Rocky strampelte, um sich aus dem Klammergriff zu befreien. Ich muss die Krallen schneiden, dachte Rosemary. „Ich könnte dich das Gleiche fragen. Hört sie schon besser?“

Rosemary kannte natürlich die Antwort, aber Danny fühlte sich vielleicht besser, wenn sie so tat, als würde sie ihm einen Erfolg zutrauen. Danny liebte Tiere. Es bestand jedoch ein großer Unterschied, ob man sie auf der Straße streichelte und Tiersendungen im Fernsehen verfolgte, oder ob man selbst ein Tier hatte, das aus Schuhschachteln samt Inhalt Konfetti machte.

„Ja“, versicherte er viel zu begeistert, als dass es wahr sein konnte. So schnell und atemlos antwortete er stets, wenn er schwindelte.

Armer Danny! Rosemary winkte ihn näher zu sich heran und streichelte Rocky. Dabei lächelte sie Danny an, in dessen blauen Augen sich Frust und Hoffnung mischten. „Es dauert eben seine Zeit, Schatz.“

Rocky wedelte so heftig, dass der ganze Hund wackelte. Im nächsten Moment plätscherte der sichtbare Beweis für die Freude auf den Küchenboden, der wenigstens nicht frisch gewischt war.

„Bring sie wieder nach draußen, Danny.“

Er nickte und trug den Welpen zur Schiebetür. Rosemary stand auf und griff nach dem Mopp, den sie mittlerweile gar nicht mehr wegstellte. Wenn sie Glück hatte, roch das Haus nicht wie ein Stall, bis Rocky endlich stubenrein war.

Danny hielt sich mit einer Hand an der Tür fest und drückte mit der anderen den strampelnden Hund an sich. „Du hast mir nicht gesagt, wie es läuft.“

Rosemary wusste nicht, was er meinte.

„Der Wettbewerb.“

Der Fleck war weg. Rosemary spülte den Mopp aus und lehnte ihn an die Theke, weil sie ihn garantiert bald wieder brauchte. Während sie die Hände trocknete, wandte sie sich an ihren Sohn. „Du interessierst dich ja plötzlich sehr für meine Arbeit.“

Danny tat beleidigt, als würde das nicht stimmen. „Na ja, du benutzt schließlich meine Idee.“

Lächelnd setzte sie sich wieder an den Schreibtisch. „Und das war eine sehr gute Idee.“

Die Post lag auf der Theke viel zu nahe an der Kochplatte. Rosemary legte sie an eine ungefährlichere Stelle, aber allmählich wuchs ihr die Unordnung über den Kopf. Gleich nach dem Muttertag musste sie sich einen Tag frei nehmen und gründlich aufräumen.

„Durch dich bekommen wir eine Menge Reklame für die Agentur.“ Das stimmte. In den drei Tagen, in denen Chris Maverick die Werbung beim Sender K-LAS brachte, hatte sich die Post fast verdreifacht.

Wie ein kleiner Manager, der sich um seine Firma kümmerte, betrachtete Danny die Post. „Hast du sie schon ausgesucht? Die Gewinnerinnen?“, fügte er hinzu, bevor seine Mutter fragen konnte.

Sie griff nach dem Brieföffner, den Patrick ihr zum letzten gemeinsamen Valentinstag geschenkt hatte. „Ich arbeite noch daran.“

Danny kam näher. Rocky winselte und wollte vom Arm herunter. Die Hinterbeine hingen fast bis zu Dannys Füßen. „Kann ich mal sehen, welche du schon ausgesucht hast?“

Danny hatte ihre Tätigkeit stets als Schmusekram abgetan. Konnte es sein, dass der kleine Kerl so schnell reifer geworden war? Rosemary legte den Brieföffner auf den Schreibtisch und betrachtete das angespannte Gesicht, das dem ihren so ähnlich war. Nur das blonde Haar hatte Danny von Patrick geerbt. „Du interessierst dich tatsächlich dafür.“

Er zuckte die Schultern unter dem gestreiften T-Shirt und drückte den Welpen noch fester an sich. „Klar. Vielleicht kann ich dir beim Aussuchen helfen.“

Das klang richtig eifrig. Ja, er wuchs rasch heran. „Ich lese dir die Briefe später vor“, versprach sie und deutete ernst auf Rocky. „Erst musst du dieses Mädchen in den Garten schaffen, damit es sich entleeren kann. Raus!“ Rosemary zeigte auf die Tür ins Freie.

Danny schob die Tür ganz auf und schloss sie wieder hinter sich. Rosemary sah zu, wie der Welpe ihm endlich vom Arm sprang und weglief. Wie gut, dass sie nie Zeit für Blumenbeete gefunden hatte. Die wären mittlerweile mit Sicherheit schon alle umgegraben worden.

Rosemary versuchte, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem dachte sie daran, wie sehr Danny sich für den Wettbewerb interessierte. Vielleicht sollte sie ihn mit einbeziehen, damit er sich bedeutend fühlte. Sein Selbstwertgefühl war zwar in Ordnung, doch es schadete nicht, wenn sie es gelegentlich weiter aufbaute. Mit seinen elf Jahren war Danny seit neun Jahren das einzige männliche Wesen in der Familie.

Mein kleiner Mann, dachte sie. Allerdings war er gar nicht mehr so klein. Im Moment machte er gerade einen Wachstumsschub durch. Bestimmt dauerte es nicht lange, bis er größer als sie war, auf eigenen Beinen stand, eine Freundin fand und …

Rosemary musste lachen. Sie plante schon seine Hochzeit, und er hatte noch nicht einmal die Grundschule hinter sich. Es war nur so, dass ihr die Zeit davonlief.

Ihr Blick fiel auf den Fußboden neben der Theke.

Apropos laufen, dachte sie und stand seufzend auf. Sie hatte einen Fleck übersehen. Also griff sie erneut nach dem Mopp.

Als sie ihn ausgewaschen hatte, klingelte es an der Tür. Wenn das so weiterging, konnte sie die Gewinnerinnen erst zum Muttertag im nächsten Jahr aussuchen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es wahrscheinlich Teri war, die wie üblich zu spät kam. Teri, acht Monate jünger als sie, hatte sich schon bei der Geburt um drei Tage verspätet. Im Verlauf von dreißig Jahren hatte sie diese Gewohnheit nicht abgelegt.

Abgehetzt kam Teri mit einem halb gefüllten Postsack herein.

„Hi! Ich war noch auf dem Postamt und habe unsere Post geholt.“ Teri ging in die Küche und warf den Sack auf den Fußboden. „Der Wettbewerb schlägt bombig ein. Ich hätte nie gedacht, wie viele Alleinstehende einen Partner suchen.“

Rosemary hob den Sack vorsichtig auf und legte ihn auf einen leeren Hocker. „Dadurch läuft unser Geschäft, Teri“, meinte sie lächelnd.

Teri, im Gegensatz zu Rosemary blond, erinnerte sich an den Grund, aus dem der Sack hoch gelagert werden musste. „Ist der Allesfresser noch immer auf Raubzug?“

Rosemary winkte ab. „Bring mich bloß nicht in Rage. Ich weiß nicht, wieso ich das erlaubt habe!“

Lachend ging Teri an den Kühlschrank und nahm sich eine Dose Limonade. „Ich schon. Du hast eben ein weiches Herz. Aber dagegen ist nichts einzuwenden. Es macht dich liebenswert.“ Sie nahm einen Schluck und deutete auf die säuberlich aufgereihten Stapel auf Rosemarys Schreibtisch. Diese Frau könnte sogar in einen Tornado Ordnung bringen, dachte sie dabei. „Was ist bei Dannys Geniestreich herausgekommen?“

Rosemary überflog den Brief, den sie soeben geöffnet hatte. Zu gut formuliert. Den hatte kein Kind verfasst, sondern ein Erwachsener, der sich nur wie ein Kind ausdrückte. Einfache Wörter waren falsch, schwierige, die kein Kind benutzte, richtig geschrieben.

Sie legte den Brief auf den hintersten Stapel zu denen, die sie ablehnte und mit einem höflichen Schreiben zurückschickte. Allerdings würde sie auch jeweils ein Formular beifügen in der Hoffnung, dass die Absender ihre Dienste in Anspruch nahmen.

„Die Auswahl fällt mir schwer, aber ich komme voran.“ Sie warf einen Blick auf den Sack. „Die Post aus unserem Brieffach hat vermutlich nichts mit dem Wettbewerb zu tun.“

Teri schüttelte den Kopf und ging an den Tisch. „Diese Briefe haben wahrscheinlich Leute geschrieben, die im Radio von der Agentur gehört haben.“ Sie seufzte und lächelte verträumt. „Weißt du, der Moderator hat die erregendste Stimme, die ich jemals gehört habe. Wie warme Regentropfen, die einem im Herbst über das Gesicht fließen.“

Das würde ihm gefallen, dachte Rosemary und amüsierte sich über diese Beschreibung. Doch wenn sie darüber nachdachte, stimmte es sogar. Chris Maverick besaß tatsächlich eine erregende Stimme. Sie war sein Markenzeichen.

„Seine restlichen Teile sind auch nicht so schäbig“, bemerkte sie und öffnete den nächsten Brief.

Teris blaue Augen leuchteten sofort interessiert auf. Sie stellte die Dose energisch auf die Theke.

„Ach ja?“, fragte sie und betrachtete forschend Rosemarys Gesicht. Ihre Cousine verschwieg ihr etwas. Großartig! „Und welche seiner nicht so schäbigen Teile hast du schon gesehen?“

Rosemary wusste genau, dass die Fantasie mit Teri durchging. „Er ist mein Nachbar, Teri. Ich habe ihn im Garten arbeiten gesehen.“

Teri blieb der Mund offen stehen, während sie auf einen Stuhl sank. Bisher hatte Rosemary ihre Nachbarn nur flüchtig erwähnt. Chris war also Chris Maverick! Das hatte sie nicht einmal geahnt.

„Chris Maverick ist dein Nachbar?“

Teri sagte es, als hätte sie soeben erfahren, dass Rosemary eine Affäre mit Mel Gibson hatte.

„Ja“, bestätigte Rosemary geduldig, als hätte sie ein Kind vor sich, das schwer von Begriff war. „Dadurch bin ich ja auf die Idee mit dem Wettbewerb im Radio gekommen.“ Es war purer Zufall gewesen, doch darauf ging sie jetzt nicht näher ein. Chris hatte seine Hilfe angeboten. Er war wirklich nett, obwohl er für ihren Geschmack eine Spur zu gut aussah. „Er hat mir sogar einen Preisnachlass verschafft.“

Teri lächelte anzüglich. „Bevor oder nachdem du die nicht so schäbigen Teile gesehen hast?“

Teri gab bestimmt nicht auf, bevor Rosemary alles erklärt und die Fantasie ihrer Cousine eingedämmt hatte. „Die nicht so schäbigen Teile, von denen ich sprach, waren vollständig bekleidet, Teri. Zügle deine Gedanken!“ Rosemary runzelte die Stirn. Sie mussten sich an die Arbeit machen, um nicht in Rückstand zu geraten. „Das habe ich dir doch alles schon mindestens einmal erzählt.“

Falls das stimmte, erinnerte Teri sich nicht daran. Aber sicher hätte sie nicht vergessen, dass Chris Maverick gleich neben ihrer Cousine wohnte.

„Wahrscheinlich hat mir gerade einer der Zwillinge ins Ohr geschrien. Du weißt doch, dass man Müttern von Zwillingen alles mindestens zweimal sagen muss.“ Sie lehnte sich zurück und öffnete einen Brief, obwohl sie sich in Gedanken nicht mit der Arbeit beschäftigte. „Also, dann erzähl mehr über diesen nicht so schäbigen Menschen.“

Rosemary kannte dieses Funkeln in den Augen ihrer Cousine. Teri wollte kuppeln. Sie selbst brachte zwar ständig andere Leute zusammen, doch Teri war dauernd hinter ihr her und drängte sie, einen der zahlreichen männlichen Bewerber für sich zu reservieren.

Rosemary griff nach dem nächsten Brief. Für private Beziehungen hatte sie keine Zeit. „Teri, sieh mich nicht so an.“

Teri spielte mit einem Brief. Sie liebte Rosemary wie eine Schwester. Alles hatten sie geteilt, von der Schwärmerei für Shaun Cassidy in The Hardy Boys über durchgearbeitete Nächte am College, von Hochzeiten über Geburten bis hin zu Patricks Tod.

„Weißt du, Rosie, ich begreife nicht, wie du eine Partnervermittlung betreiben kannst, ohne selbst jemals mit einem Mann auszugehen. Hast du noch nie davon gehört, dass ein Arzt sich in erster Linie selbst helfen sollte?“

Rosemary nahm Teri den Brief aus der Hand. „Doch, aber ich habe noch nie gehört, dass ein Arzt sich selbst den Blinddarm herausoperiert hat.“ Im Umschlag steckte eines ihrer Formulare. Sie warf einen Blick auf den Namen und legte das Blatt auf den Stapel der Männer.

Teri schüttelte den Kopf. Rosemary würde es sich bald anders überlegen. „Du tust gerade so, als wären Verabredungen schmerzlich.“

Das trifft es, dachte Rosemary. Schmerzlich. Allein schon die Vorstellung, mit jemandem auszugehen und sich zu unterhalten, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sie zuckte lässig die Schultern. „Für manche sind Verabredungen schmerzlich.“

Teri verstand nicht, wieso Rosemary alles ablehnte, was sie beruflich anderen vermittelte. „Aber, Rosie, du warst verheiratet und …“

Das Thema hatte Rosemary mit ihrer Cousine schon unzählige Male besprochen. „Und es hat mir gefallen. Jede Frau sollte so glücklich sein, wie ich es mit Patrick war.“

Teri wusste sich keinen Rat. Wie sollte sie Rosemary begreifen? Wäre sie selbst wieder alleinstehend gewesen und hätte eine Partnervermittlung betrieben, wäre ihr das wie eine Goldmine erschienen.

„Und weiter?“

Rosemary dachte nicht daran, sich erneut auf eine sinnlose Diskussion einzulassen. „Und weiter – ich betreibe diese Agentur, bringe die richtigen Leute zusammen und ermögliche ihnen hoffentlich, glücklich zu werden.“ Es war eine Sache, andere Leute miteinander zu verabreden, als sich selbst in diese Lage zu begeben.

Vielleicht bin ich dumm, dachte Teri. Jedenfalls begreife ich nichts. „Und keiner dieser männlichen Bewerber …“ Sie deutete auf den Aktenschrank mit den Unterlagen über Junggesellen. „Keiner hat dich jemals interessiert? Für keinen hättest du dir die Mühe gemacht, eine Strumpfhose und schicke Schuhe mit hohen Absätzen anzuziehen?“

Rosemary wackelte mit den nackten Zehen in den Sandalen, die Rocky höchst interessant fand.

„Schon möglich, aber das heißt nicht, dass ich mich mit einem treffen will. Ich finde auch Paragliding interessant, werde mir aber trotzdem keine Flügel umschnallen und von einem Felsen springen.“ Vielleicht war sie feige. Vielleicht stand ihr auch die Erinnerung an Patrick im Weg. Hätte Teri doch mehr Verständnis gezeigt und aufgehört, immer wieder auf dem Thema herumzureiten! „Bei einer Verabredung verspüre ich den Zwang, geistreich, witzig und unterhaltsam zu sein und …“

„Das bist du doch“, wandte Teri ein.

„Schon möglich, aber nicht auf Abruf.“ Seit Patricks Tod war Rosemary nur zweimal ausgegangen. Es waren zwei Fehlschläge gewesen. „Bei einer Verabredung bin ich nicht mehr ich selbst.“ Es schauderte sie allein schon bei der Erinnerung. „Ich erstarre wie eine Schauspielerin mit Lampenfieber.“ Genauso war es. So konnte sie es Teri am besten erklären. „Ich bekomme bei Verabredungen Lampenfieber. Und das ist es mir nicht wert. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, wie es ist.“ Rosemary zuckte zusammen, als sie ein Jaulen hörte. „Abgesehen natürlich von dem Hund, aber das wird sich hoffentlich auch bald ändern.“

Teri seufzte und gab vorerst auf. „Wie du willst.“ Sie blätterte den Stapel durch, der ihr am nächsten war, und überflog den Brief, den Rosemary unmittelbar vor ihrer Ankunft gelesen hatte. „Hey, der gefällt mir.“

Rosemary sah, welchen Teri meinte, und nickte. „Niedlich, nicht wahr? Er kommt in die Endausscheidung.“

Teri legte ihn ganz nach oben. „Also, ich stimme dafür.“

Rosemary hing aufrichtig an ihrer Cousine, aber manchmal nervte sie Teris Vorpreschen. „Du hast die anderen Briefe noch nicht gelesen.“

Teri griff nach der Limonadendose. „Das mache ich schon noch, aber der hier ist ganz reizend.“

„Ich weiß.“ Dagegen war nichts einzuwenden. „Danny könnte so schreiben, nur dass die Rechtschreibung viel besser ist.“

„Mom, sie ist durch den Zaun entwischt!“, schrie Danny.

Rosemary warf Teri einen Blick zu. „Manchmal gehen Wünsche ja doch in Erfüllung. Vielleicht will sie weglaufen.“

Danny stürmte in die Küche. „Rocky ist durch den Zaun zum Nachbarn entwischt. Du kennst doch das Loch!“

Rosemary schloss die Augen. Auf jeder Seite des Gartens gab es ein Loch im Zaun. „Na toll. Das heißt, dass sie entweder bei den O’Donnells im Teich mit den Schnappschildkröten ist oder dass ich Chris Maverick für seine Großzügigkeit damit belohne, dass die Hündin meines Sohnes seine Begonien begießt.“ Sie öffnete die Augen und sah ihren Sohn vorsichtig an. „Welcher Nachbar, Danny?“

„Der Typ“, erklärte Danny ungeduldig. „Mr. Maverick.“

„Großartig.“ Sie stand auf. „Das kann eine Weile dauern, Teri.“

„Lerne ich jetzt wenigstens Mr. Nicht-so-schäbig kennen?“, fragte Teri amüsiert.

Autor

Marie Ferrarella

Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

Mehr erfahren