Falsche Küsse - wahre Liebe?

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Darf Firmenchef Justin Caldwell die bezaubernde Kate wirklich nur bei der jährlichen Theateraufführung küssen? Seine Leidenschaft ist nämlich nicht nur gespielt - was seinen eigentlichen Plan vollkommen durcheinander bringt …


  • Erscheinungstag 29.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743819
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Braut auf Bestellung“, murmelte Katie Fenton vor sich hin. „Was ist denen da bloß eingefallen?“

Am ersten Samstag nach Neujahr wurde in Thunder Canyon traditionell ein Fest gefeiert. Im Festsaal des Rathauses waren hübsch geschmückte Stände aufgebaut, die Speisen sowie Kunsthandwerk und Waren verkauften, die hier in der Gegend produziert wurden. Dazu gab’s ein üppiges Kuchenbüfett, einen Wettbewerb um den schönsten Quilt und am Abend Tanz bis in die Nacht hinein.

Auch in diesem Jahr ließ die Gesellschaft für Traditionspflege einige historische Szenen nachstellen. Am Vormittag hatten sie die Legende vom großen Thunder Bird gespielt, dem mythischen Donnervogel, der jeden Frühling Menschengestalt annahm und sich auf geheiligtem Boden mit seiner sterblichen Gefährtin paarte. Die Indianer von Montana glaubten, dass durch diese Vereinigung der Frühlingsregen entstand, der die Natur zum Erblühen brachte.

Um vierzehn Uhr war es um den Goldrausch von 1862 am Grasshopper Creek gegangen. Golden angestrichene Steine in der Größe eines Baseballs hatten die Nuggets dargestellt.

Jetzt war es halb fünf, Zeit für die „Braut auf Bestellung“, dargestellt von Katie. Sie kam mit dem Zug an und sollte einen Mann heiraten, den sie nie zuvor gesehen hatte.

Katie stand gebückt hinter der Kulisse auf der kleinen Bühne. Aufrichten durfte sie sich nicht, sonst hätte man sie über die dünne Sperrholzwand, auf der eine Dampflokomotive und ein roter Wagen aufgemalt waren, gesehen.

Sie fühlte sich elend. Nichts hasste sie so sehr, wie Aufmerksamkeit zu erregen. Sie warf einen Blick durch ein Loch in der Kulissenwand. Auf ein Stichwort hin sollte sie die Zugtür öffnen und ihren Bräutigam kennenlernen.

Draußen heulte der Wind. Laut Wetterbericht sollten zwar nur einige Schneeflocken fallen, doch die meisten Besucher des Festes waren auf Nummer sicher gegangen und hatten das Rathaus während der letzten halben Stunde verlassen, um rechtzeitig vor dem Schnee zu Hause zu sein.

Wie gerne hätte Katie sich ihnen angeschlossen! Doch leider warteten immer noch genug Leute auf die „Braut auf Bestellung“, die meisten davon bereits ordentlich angetrunken, denn an einem der Stände wurde Freibier ausgeschenkt.

Jemand stieß einen schrillen Pfiff aus, einige Männer trampelten ungeduldig mit den Füßen.

„Los, wo bleibt die Braut?“

„Macht weiter! Wir wollen die Braut!“

„Die Braut! Die Braut! Wir wollen die Braut!“

Katie warf einen verzweifelten Blick zu der reizenden Emelda Ross, einem Mitglied der Gesellschaft für Traditionspflege. Die alte Dame stand seitlich der Bühne neben einem alten Tonbandgerät.

„Die Braut, die Braut!“

Katie nickte Emelda zaghaft zu, die daraufhin das Tonband einschaltete. Zwei laute Pfiffe einer Dampflok ertönten – das Stichwort. Katie holte tief Atem, raffte den Wollrock, der im Stil des neunzehnten Jahrhunderts geschneidert war, rückte das Häubchen zurecht und öffnete die Tür der Kulisse.

Die Biertrinker jubelten, johlten und trampelten.

„Die Bibliothekarin!“, schrie einer. „Hey, die Bibliothekarin ist die Braut auf Bestellung!“

Ein anderer pfiff auf zwei Fingern. „Hey, Katie! Willkommen in Thunder Canyon!“

„Wir lieben dich, Katie!“

„Wenn dich dein Bräutigam versetzt, nehme ich dich, Katie!“

Wie schön!

Katie trat hinaus, achtete darauf, die Sperrholzwand nicht umzuwerfen, und strich mit zitternden Händen über den Rock. Warum hatte sie sich bloß darauf eingelassen? Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab und winkte den Biertrinkern zu, die prompt noch lauter klatschten, johlten und stampften. Der Anblick der etwa siebzig grinsenden und eindeutig nicht mehr nüchternen Männer verstärkte in ihr den Wunsch, möglichst weit weg zu sein.

Das alles war die Schuld von Ben Saunders. Der Geschichtslehrer der Highschool hatte die Szene mit der Braut auf Bestellung vorgeschlagen, und alle hatten sich dafür begeistert. Alle, bis auf Katie.

Dennoch hatte sie wohl oder übel den Part der Braut übernehmen müssen. Die anderen Mitglieder der Gesellschaft für Traditionspflege waren weit über vierzig Jahre alt, und die beiden anderen jungen Mitglieder mussten Thunder Bird und seine Gefährtin darstellen.

Ben Saunders sollte den Bräutigam geben, doch er war heute Morgen mit schlimmen Bauchschmerzen erwacht und wegen Verdachts auf Blinddarmentzündung ins General Hospital gebracht worden. Erst vor einer halben Stunde hatten sie Ersatz gefunden, einen gewissen Justin Caldwell, der nun den Bräutigam spielte.

Caldwell stammte nicht aus Thunder Canyon. Er war ein Geschäftspartner von Caleb Douglas. Caleb war ein wichtiger Mann in der Gegend, weil ihm in weitem Umkreis etwa die Hälfte aller Immobilien gehörte. Außerdem war er für Katie wie ein zweiter Vater. Es war Calebs Idee gewesen, in letzter Minute noch Justin Caldwell als Bräutigam zu engagieren.

Aber wo blieb der nun? Katie sah sich verstört um. Jeden Moment konnte einer der Angetrunkenen auf die Bühne kommen, um die Braut für sich zu beanspruchen.

Sie atmete auf, als sie Caldwell entdeckte. Er stand seitlich an der Wand in schlecht sitzender altmodischer Kleidung mit albernen roten Hosenträgern und klobigen Stiefeln. Die Sachen sollten dem bierbäuchigen Ben Saunders passen, nicht diesem Mann mit den strahlend blauen Augen.

Katie lief ein leichter Schauer über den Rücken. Sogar in den unmöglichen Sachen sah er absolut sagenhaft aus. Ein dankbares Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wenn sie sich schon zum Narren machte, dann wenigstens mit dem am besten aussehenden Mann im Saal, der noch dazu nüchtern war.

„Bräutigam!“, schrie jemand. „Wo bleibt der verdammte Bräutigam?“

„Hier bin ich“, erwiderte Justin Caldwell mit tiefer fester Stimme, nahm den Schlapphut aus Filz ab und winkte.

„Hol dir deine Braut!“

„Lass sie nicht warten, Mann!“

Justin Caldwell kam die Stufen zur Bühne hoch, ging selbstbewusst auf Katie zu und zog höflich den Hut. Ihr ohnehin rasanter Herzschlag beschleunigte sich, und zu allem Überfluss griff der Bräutigam auch noch nach ihrer Hand und zog sie an die sinnlich vollen Lippen.

Katie stand wie gebannt da, blickte in die schimmernden blauen Augen und erschauerte, als er ihr die Hand küsste.

Die Zuschauer tobten.

„Gut so!“

„Ja, klasse!“

Seine Lippen fühlten sich warm an. Seine Hand war fest und trocken. Ihre Hand dagegen war feucht und bebte. Katie schluckte heftig und zog sich zurück.

Calebs Geschäftspartner setzte gelassen den lächerlichen Hut wieder auf und beugte sich zu ihr. „Was jetzt?“, raunte er.

Der Duft von teurem Aftershave stieg ihr in die Nase. Garantiert war sie dunkelrot angelaufen. „Ich … also … tja …“

„Küss sie!“, schrie jemand. „Gib ihr einen ordentlichen Kuss!“

Alle klatschten, und Katie schwor sich, dass dieses Fest nächstes Jahr mit ihr nur stattfinden würde, wenn es kein Freibier gab.

Zum Glück hörte Justin Caldwell nicht auf das Gejohle der Leute. „Die Eingeborenen werden ungeduldig“, sagte er amüsiert. „Wir sollten irgendwas machen.“

„Also … die Trauung …“

Er lächelte amüsiert. „Natürlich, und dafür brauchen wir noch …?“

Katie musste sich räuspern. „Einen Geistlichen.“

Die Fenster des Rathauses klapperten unter einer besonders heftigen Sturmböe, doch das störte die Zuschauer nicht. Sie lachten und klatschten.

„Und wo ist der Geistliche?“, fragte der Bräutigam.

„Ja … also …“ Katie sah sich hektisch um. Verdammt, wo steckte Andy Rickenbautum? Eigentlich war es nun an dem grauhaarigen Buchhalter, auf der Bühne zu erscheinen, sich als Wanderprediger auszugeben und die Trauung durchzuführen – doch Katie entdeckte ihn nirgendwo. Offenbar war auch er schon heimgegangen.

Vielleicht konnte Caleb einspringen. Aber nein, der war auch fort. Und seine Frau Adele, die sich seit Katies Jugend um sie gekümmert hatte, war nirgendwo zu sehen.

Sie brauchten dringend jemand, der sie traute. Denn danach sollte im historischen Museum ganz in der Nähe die historische Hochzeitsfeier stattfinden. Die Besucher wären Gäste eines Festes, wie es vor hundertfünfzig Jahren stattgefunden hätte. Die Gesellschaft für Traditionspflege hoffte auf zahlreiche Spenden zur Deckung der Unkosten. Doch bevor die Leute auf ein Hochzeitsfest gingen, musste ja wohl erst einmal eine Trauung stattfinden.

„Wo bleibt der Geistliche?“

„Wir brauchen einen Prediger!“

Was für eine Katastrophe! Katie wandte sich an die Leute. „Tut mir leid, aber wir haben keinen Geistlichen, und darum …“

Eine klangvolle Männerstimme unterbrach sie. „Gestattet mir die Ehre!“ Alle drehten sich zu dem streng wirkenden bärtigen Mann um, der unbemerkt eingetreten war. „Ich würde dieses hübsche Paar sehr gerne in den geheiligten Stand der Ehe führen.“

„Wer sind Sie denn?“, fragte jemand lachend.

Der hochgewachsene, ganz in Schwarz gekleidete Mann ging nach vorne und betrat die Bühne. „Reverend Josiah Green, zu Euren Diensten, Miss, Sir.“

Ein Zuschauer lachte. „Von wegen Reverend! Das ist gut!“

Der angebliche Reverend Green verbeugte sich vor dem Publikum, heimste Zurufe und Pfiffe ein und warf einen Blick auf den antiken Tisch neben dem Zug. „Wie ich sehe, ist alles vorbereitet.“ Auf dem Tisch lagen eine Bibel, eine wertvolle alte Schreibfeder und die Kopie einer Heiratsurkunde aus dem neunzehnten Jahrhundert.

Emelda betrat lächelnd die Bühne, bekam etwas Beifall und reichte dem Reverend die Bibel.

„Stellt euch auf“, verlangte der Reverend, und es wurde still, als er die alte Bibel öffnete. „Braut und Bräutigam mögen einander an den Händen halten.“

Caldwell ließ den Hut zu Boden fallen und nahm Katie an der Hand. Er lächelte ihr aufmunternd zu, und sie lächelte zurück. Seine Berührung erzeugte ein seltsames Prickeln, das sie verlegen und ein wenig ängstlich machte.

„Wir haben uns hier versammelt, um …“

Es war irgendwie bizarr, auf der Bühne mit dem gemalten Zug zu stehen und die Worte einer Trauung zu hören, während der Wind heulte. Sogar die Angetrunkenen schwiegen.

Green fragte, ob jemand einen Grund wisse, warum Justin und Katie nicht vereinigt werden sollten. Niemand sagte einen Ton.

Katie und der Fremde an ihrer Seite sprachen das Ehegelöbnis, und als der angebliche Reverend sie zu Mann und Frau erklärte, musste Katie die Tränen zurückhalten, so gerührt war sie.

„Du darfst jetzt die Braut küssen.“

Du lieber Himmel! Der Kuss!

Mit dem guten alten Ben wäre das harmlos gewesen, nicht aber mit Justin Caldwell. Dafür sah er einfach zu gut aus. Er war der Typ Mann, nach dessen Kuss sich jede Frau sehnte. Auch Katie wollte sich gern von ihm küssen lassen, aber nicht hier, vor allen Leuten. Vielleicht lernten sie einander besser kennen und …

Sie seufzte, presste die Augen fest zu, spitzte die Lippen und wartete auf einen flüchtigen Kuss.

Nichts. Er küsste sie nicht. Vorsichtig öffnete sie das rechte Auge ein wenig. Caldwell wartete offenbar darauf, dass sie ihn ansah. Als er merkte, dass sie blinzelte, lächelte er ihr zu.

Beinahe hätte sie gelacht. Sie beherrschte sich jedoch und öffnete die Augen.

Ihr Scheinbräutigam fasste behutsam nach ihrer Hand, löste die Schleife des Bandes unter ihrem Kinn und streifte ihr das Häubchen ab. Die braunen Locken, die sie bloß hastig unter das Häubchen gestopft hatte, fielen offen auf die Schultern. Justin strich sachte mit den Fingern durch ihr Haar.

Diese kleine Geste schnürte ihr die Kehle zu, und erneut war sie den Tränen nahe. Diese Scheinhochzeit zerrte allmählich an ihren Nerven. Oder besaß sie von Natur aus etwa das schauspielerische Talent, ganz in einer Rolle aufzugehen?

Als Justin ihr Kinn mit einem Finger anhob und sie ihm entgegenkam, war es totenstill im Saal. Langsam und zart senkten sich seine Lippen auf ihre.

Nun brachen die Zuschauer in stürmischen Beifall, Pfiffe und Zurufe aus und stampften und trampelten. Die Menge tobte.

Katie hörte es kaum, so sehr gab sie sich dem Kuss hin, der zärtlich begann und allmählich leidenschaftlicher wurde. Himmel, der Mann verstand es zu küssen! Sie klammerte sich an seinen breiten kräftigen Schultern fest und erwiderte den Kuss.

Als er sich schließlich zurückzog, sah sie ihn benommen an. Die blauen Augen faszinierten sie. In ihnen hätte sie sich verlieren können und …

Der Reverend räusperte sich und blickte streng ins Publikum, bis wieder Ruhe herrschte. „Wir schreiten nun zur Unterzeichnung der Heiratsurkunde.“ Josiah Green setzte sich an den Tisch, griff nach der alten Feder und tauchte sie in das Tintenfass. „Ihr Name ist Katie …?“

„Fenton.“

„Laut und deutlich, junge Dame!“

„Katherine Adele Fenton.“

„Und Justin …?“

„Caldwell.“

Der Reverend füllte die Urkunde aus und ließ Emelda und einen Zuschauer als Zeugen unterzeichnen. Schließlich benützte er die silberne Löschwiege und hielt die Urkunde hoch. „Und somit ist dieses junge und hoffnungsvolle Paar glücklich im heiligen Ehestand vereinigt.“

Beifall, Rufe, Trampeln. Emelda wartete geduldig, die faltigen Hände ineinander verschränkt, bis das Publikum sich wieder beruhigt hatte. Dann verkündete sie, dass im historischen Museum in der Elk Avenue nun die Hochzeitsfeier stattfand.

„Alle sind willkommen. Häppchen stehen bereit. Und vergessen Sie bitte nicht zu spenden, damit unser Museum auch in Zukunft so erfolgreich arbeiten kann. Und nun: Folgen Sie dem Brautpaar, um es in der historischen Kutsche zu verabschieden.“

Die Zuschauer kannten kein Halten mehr, drängten auf die Bühne und warfen den Zug um. Lachend geleiteten sie Katie und Justin die Treppe hinunter, durch den Saal und hinaus in den Vorraum.

Katie ließ alles mit sich geschehen, irgendwie hatte die rauschhafte Stimmung sie angesteckt. Die anfängliche Peinlichkeit war geschwunden, ihre Lippen prickelten noch von dem Kuss, und sie freute sich aufrichtig über den Erfolg ihres kleinen Schauspieldebüts.

Die Leute stießen die Doppeltüren zum überdachten hölzernen Bürgersteig der Main Street auf und lachten noch lauter, als eisiger Wind Schnee in den Vorraum trieb.

„Ist das kalt!“

„Ja, da kommt was runter!“

„Das wird bestimmt eine wilde Nacht!“

Die gegenüberliegende Straßenseite war im dichten Schneetreiben kaum noch zu erkennen. Pferd und Kutsche standen bereit. Katie hatte das Pferd ausgesucht, es war die Stute Buttercup. Sie gehörte Caleb, der auf der Lazy-D-Ranch einen sehr guten Stall führte. Buttercup war nicht mehr die Jüngste. Eiszapfen hingen an ihrem Maul, und sie sah Katie an und schnaubte, als wollte sie sagen, dass sie sich endlich bewegen wollte.

Vielleicht sollten sie das Spektakel besser abbrechen, denn es schneite wirklich heftig mittlerweile. „Ich finde, wir …“ Katie verstummte. Sie hatte schon immer eine viel zu leise Stimme gehabt, und jetzt hörte ohnedies niemand auf sie.

Die Leute drängten sie und Justin in die alte Kutsche.

„Unter dem Sitz liegen Mäntel und Decken!“, rief Emelda ihnen noch vom Ausgang her zu, machte ein besorgtes Gesicht und winkte.

Der Wind legte sich ein wenig. Die Fahrt zum historischen Museum würde höchstens zehn Minuten dauern. Da konnte trotz des Wetters nichts passieren.

Justin klopfte den Schnee von einem schweren knöchellangen Wollmantel, half Katie hinein und zog ebenfalls einen Mantel an. Für Katie fanden sie eine Wollmütze, aber keinen Hut für Justin, und er hatte den albernen Schlapphut nicht mitgenommen. Für dicke Handschuhe war ebenfalls gesorgt.

Nachdem sie sich in die Decken gewickelt hatten, zog Justin die Handschuhe an, und Josiah Green reichte ihm die Zügel.

„Das Glück sei mit euch, meine Kinder!“, erklärte Green.

„Danke“, erwiderte Justin trocken. „Sieht so aus, als könnten wir es brauchen. Wohin?“, fragte er Katie.

„Ich kann gern die Zügel übernehmen.“

„Nein, nein, das war zumindest früher noch die Sache des Mannes. Wohin?“

Katie beschloss, nicht zu widersprechen. „Geradeaus, dann an der dritten Kreuzung nach rechts in die Elk Avenue.“

Justin ruckelte an den Zügeln und schnalzte mit der Zunge, und Buttercup setzte sich in Bewegung. Schellen klingelten am Zaumzeug, und die Zuschauer jubelten ein letztes Mal.

Kaum waren sie ein paar Meter weit, schwoll der Wind an, und es schneite wieder heftiger. Schon nach wenigen Metern konnten sie das Rathaus nicht mehr sehen und die Leute nicht mehr hören. Katie und der Fremde waren allein in dieser weißen Schneelandschaft.

Katie wickelte sich fester in die Decken. Buttercup trottete dahin, verschwand jedoch fast hinter den Flocken. Der Mann neben Katie hatte schon eine rote Nase und gerötete Wangen und Ohren, aber er lächelte ihr aufmunternd zu und blickte wieder angestrengt nach vorne.

Für einen Moment erspähte sie etwas Rotes neben sich, es war der Feuerhydrant an der Ecke der Elk Avenue und der Main Street. „Hier rechts!“, rief sie schnell, und Justin lenkte die Kutsche um die Ecke.

Eigentlich müssten sie jetzt direkt auf das rot gestrichene Museum zufahren, das an einer Biegung der Straße stand, doch sie sahen nur das breite Hinterteil des Pferdes.

„Wir sind doch noch auf der Elk Avenue, oder?“, schrie sie gegen das Heulen des Sturms an.

„Ich bin nicht von hier!“, schrie Justin zurück. „Ich habe nicht die geringste Ahnung!“

2. KAPITEL

Gerade als Katie schon fürchtete, sie hätten sich verfahren, tauchte links von ihnen das rote Gebäude mit der breiten Veranda auf. „Da ist es!“, rief sie erleichtert.

Justin lenkte das Pferd auf den Parkplatz vor der Veranda des kleinen Museums. Doch beiden war klar, dass sie Buttercup bei diesem Unwetter nicht draußen lassen konnten.

„Fahren Sie seitlich herum! Hinter dem Museum gibt es einen großen Schuppen. Links herum!“ Katie zeigte Justin den Weg zu dem stallähnlichen Schuppen. „Ich mache das Tor auf!“, rief sie, als sie eine kleine Koppel erreichten, und öffnete das Tor.

Justin lenkte die Kutsche durch das Tor, und Katie schloss wieder ab. Der Schnee lag nun schon zwanzig Zentimeter hoch und klebte an ihrem schweren Rock und den zierlichen Schnürschuhen. Wie hatten die Frauen das früher bloß geschafft? Bei solchem Wetter brauchte eine Frau nun wirklich eine feste Hose und schneefeste Stiefel.

Katie stampfte mit den Füßen und schüttelte den Schnee vom Rocksaum. Trotz der Handschuhe waren ihre Hände eiskalt, und es dauerte eine Weile, bis sie die Kombination des Vorhängeschlosses des Schuppens eingestellt hatte. Endlich schaffte sie es, zog beide Torflügel auf und befestigte sie.

Justin trieb die alte Stute an, band die Zügel fest und sprang aus der Kutsche. „Kalt hier“, stellte er fest, rieb sich die Arme, stampfte mit den Füßen und sah sich um. An den Wänden hingen alte Metallgegenstände und Werkzeug. „Gehört der Schuppen auch zum Museum?“

„Ja. Die Gesellschaft für Traditionspflege möchte hier eine Schmiedewerkstatt einrichten. Gehen Sie da durch.“ Katie zeigte zu einer Tür. Von dort gelangte man über einen überdachten Verbindungsgang ins Museum. „Drinnen ist es schön warm. Bestimmt warten ein paar der Damen der Gesellschaft schon, die Gäste mit Essen und Trinken zu verwöhnen.“

„Was ist mit Ihnen? Gehen Sie nicht mit?“

Katie kümmerte sich bereits um Buttercup. „Ich habe auf dieser Stute das Reiten gelernt. Ich möchte sie noch in Ruhe versorgen. Hoffentlich kommt bald jemand von der Ranch und holt sie wieder ab. Ein Pferd sollte bei diesem Wetter in seiner Box sein.“

„Von welcher Ranch kommt Buttercup?“

„Die Stute gehört Caleb. Sie stammt von der Lazy-D.“

„Kann sich denn niemand sonst um das Pferd kümmern?“, fragte Justin.

„Anna Jacks und Tildy Matheson sind für den Hochzeitsempfang eingeteilt. Außerdem sind beide fast achtzig.“

„Vielleicht kann einer der Gäste sich ja um Buttercup kümmern?“

Das bezweifelte sie, und selbst wenn, war das ja wohl schwerlich die Aufgabe eines Gastes. „Ich mach das lieber selbst.“

Er musterte sie eingehend. „Komisch. Anfangs wirkten Sie sehr scheu auf mich. Gar nicht so“, er lächelte kurz, „dickköpfig.“

Das stimmte für gewöhnlich, aber wenn etwas getan werden musste, zog Katie Fenton sich nicht zurück. „Sie können gern schon hineingehen“, erwiderte sie höflich. „Ich komme später nach.“

Aber er ließ sich nicht abbringen, ihr zu helfen. Während er nach einer Zange Ausschau hielt, um den Draht an den Heuballen durchzuschneiden, zäumte Katie Buttercup ab, entfernte die Eiszapfen an ihrem Maul und rieb die Stute mit einer Decke trocken.

„Fertig. Gehen wir hinein.“

Justin trat zum Tor, das zu der kleinen Koppel führte. „Ich mach es noch zu.“

„Nein, lassen Sie das Tor bitte offen. Die Mauern hier halten den Wind fast vollständig ab, es wird schon nicht zu kalt werden. Wenn wir das Tor schließen, kann Buttercup sich nicht gut bewegen und an den Schnee gehen, wenn sie durstig wird.“

Er zuckte mit den Schultern. Katie ging zu der Tür, die zu dem Durchgang zum Museum führte, nur um festzustellen, dass sie verschlossen war. Also mussten sie doch vorne raus. Sie kämpften gegen den Wind und gegen den tiefen Schnee, um zur Hintertür des Museums zu gelangen. Auch sie war verschlossen.

„Was jetzt?“, fragte Justin.

„Kein Problem.“ Katie zog den rechten Handschuh aus, strich über den oberen Teil des Türrahmens und fand den dort versteckten Schlüssel. Sie machte auf und endlich waren sie auf der verglasten Veranda. Justin schloss hinter ihnen die Tür.

Es war nun bereits nach sechs und ziemlich dunkel. Katie schaltete das Licht auf der Veranda ein und zeigte auf die Haken an der Wand.

„Sie können Ihren Mantel da aufhängen.“ Sie legte die Handschuhe auf einen kleinen Tisch und knöpfte den Mantel auf. Da die Veranda nicht beheizt war, fröstelte sie. „Ist das kalt!“

„Hoffentlich ist drinnen geheizt.“

„Sicher.“ Sie hängte ihren Mantel neben seinen, nahm die Mütze ab, schüttelte das Haar aus und warf die Mütze auf einen Stuhl. Danach öffnete sie die Tür zu der kleinen Museumsküche. Angenehme Wärme empfing sie.

„Schon viel besser“, stellte Justin fest.

Sie hängte den Schlüssel an den Haken neben der Tür auf und schaltete das Licht ein. Die lange Theke und der Tisch waren blitzblank. Einige Tassen standen neben der Spüle. Von Tildy und Anna war nichts zu sehen. Überhaupt – dafür, dass hier die historische Hochzeitsfeier stattfinden sollte, war es verdächtig still. Wo waren die Gäste? Hatte der Schneesturm nun auch noch den Rest der Leute verschreckt?

Der große Hauptraum war vor hundert Jahren das einzige Klassenzimmer gewesen. Jetzt diente er als Ausstellungssaal, doch auch hier war alles dunkel. Vor Jahren waren ringsherum weitere Zimmer angebaut worden. Katie tastete nach dem Dimmerschalter neben der Tür und drehte das Licht so weit auf, dass sie etwas erkannten.

Hinter dicken roten Kordeln waren ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Webraum und ein Saloon aufgebaut. Die Möbel waren noch roh gezimmert, wie man das zu Pionierszeiten gemacht hatte.

„Von Ihren Freundinnen ist nichts zu sehen“, stellte Justin fest.

„Wahrscheinlich sind sie wegen des Sturms nach Hause gegangen.“

Auch die Überprüfung der beiden anderen Ausstellungsräume bestätigte, dass sie allein waren.

„Ich habe vorhin keine Wagen draußen stehen sehen“, sagte Justin, als sie den Eingangsbereich betraten. Hier waren Tabletts mit Häppchen, Keksen, Kaffee, Tee und Fruchtsäften aufgebaut. „Der Parkplatz ist vor dem Haus, und er war leer. Was jetzt?“

Das war eine Frage, auf die sie leider keine Antwort hatte. „Wir warten.“

„Worauf?“

Das hätte sie auch gern gewusst. „Dass sich der Sturm legt und wir wie alle anderen von hier weg können?“

Er lächelte nüchtern. „War das eine Frage oder eine Antwort?“

„Ich weiß es einfach nicht“, gestand sie.

Justin musterte sie sekundenlang, setzte sich auf einen der bereitgestellten Stühle und zog die Stiefel aus. „Diese verdammten Stiefel sind mindestens eine Nummer zu klein.“

„Tut mir leid. Caleb hätte Sie nicht in die Sache verwickeln sollen, und ich hätte mich durchsetzen und die ganze Geschichte absagen müssen.“

„Können Sie denn so etwas?“

„Was?“

„Sich durchsetzen“, erklärte er amüsiert.

Katie pflückte einen Faden vom Rock. „Aber natürlich. Wenn ich vorhin schüchtern wirkte, dann lag das sicher daran, dass ich zum ersten Mal auf einer Bühne stand. Außerdem präsentiere ich mich nicht gerne vor Leuten, schon gar nicht, wenn sie zu viel Bier getrunken haben.“

„Ganz Ihrer Meinung.“ Er wackelte mit den Zehen in den dicken Wollsocken. „Ah, so ist es schon besser.“

Auch ihre Stiefel drückten. Katie raffte den feuchten Rock, der moderig roch, und widmete sich den Schnürsenkeln, zog die Schuhe aus und strich den Rock wieder glatt. Justin beobachtete sie, und in seinem Blick fand sie eine seltsame Mischung. Er schien sich zu amüsieren, aber er war auch sehr wachsam. Was dachte er?

Sei nicht gleich wieder misstrauisch, beruhigte sie sich. Was sollte er schon vorhaben? Bestimmt wünschte er sich, Caleb hätte ihn nicht überredet, mitzumachen.

„Ist das nicht besser?“, fragte er und lächelte plötzlich sehr nett.

„Was denn?“

„Ohne Schuhe.“

„Viel besser“, bestätigte sie lächelnd. Himmel, der Mann sah viel zu gut aus. Rasch griff sie nach einem Tablett mit Häppchen. „Bedienen Sie sich! Etwas anderes bekommen wir wahrscheinlich nicht zum Abendessen.“

Autor

Christine Rimmer
Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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