Für eine Nacht im Paradies

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Ein heimlicher Wunsch geht für die aparte Sophie in Erfüllung, als Robert sie zum ersten Mal zärtlich umarmt. Schon so lange hat sie für ihn geschwärmt, von seiner Liebe geträumt, war unglücklich, wenn er mit einer anderen geflirtet hat! Doch der aufregenden Nacht unter dem Sternenhimmel der Karibik folgt ein böses Erwachen…


  • Erscheinungstag 03.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776411
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sophie wusste sofort, wer da an die Tür ihres Hotelzimmers klopfte. Denn erstens hatte der Polizeichef ihr mitgeteilt, Robert Winter sei auf dem Weg nach St. Julien. Und zweitens klang das Klopfen nicht diskret und höflich wie das der Inselbewohner, sondern gebieterisch und ungeduldig. Genauso gut hätte er laut „Lassen Sie mich gefälligst rein!“ rufen können.

Obwohl sie Robert Winter erwartet hatte, zuckte Sophie erschrocken zusammen und sprang auf. Das laute Klopfen war, so fand sie, der tragischen Situation überhaupt nicht angepasst. Auf dem Weg zur Tür blieb sie kurz vor dem Spiegel stehen, obwohl sie genau wusste, dass ihr Haar perfekt frisiert und ihre Kleidung so dezent wie möglich war. Vielleicht wollte sie sich auch nur vergewissern, dass ihre Miene nicht verriet, was in ihr vorging.

Natürlich war sie traurig und aufgewühlt, was angesichts der Umstände nur natürlich war. Doch was sie empfand, wenn sie mit Robert Winter zusammen war, durfte er niemals erfahren.

Kaum hatte sie die Tür geöffnet, stürmte er schon ins Zimmer und sagte kalt: „Herzlichen Glückwunsch, Miss Casson. Meine Verlobte ist tot, und ihre Eltern sind am Boden zerstört. Ich hoffe, Sie sind mit Ihrem Werk zufrieden.“

„Es war ein Unfall.“ Sophie fragte sich, warum sie ihm nicht einfach erzählte, was wirklich passiert war, anstatt sich zu verteidigen. Denn sie trug keine Schuld an Barbaras Tod. Doch sich über die Fehler und Charakterschwäche einer Frau zu äußern, die gerade ums Leben gekommen war, schien ihr in diesem Moment völlig unangebracht – vor allem gegenüber dem Mann, der die Verstorbene wenige Monate später hatte heiraten wollen. Wenn er sich ein wenig vom Schock und von der anstrengenden Reise erholt hatte, könnte sie ihm immer noch genau berichten, wie der Unfall sich ereignet hatte.

Robert Winter zeigte jedoch wesentlich weniger Sensibilität als sie. „Sie mögen es als Unfall bezeichnen“, fuhr er kühl fort, „dass man Ihnen aber keine Fahrlässigkeit vorwerfen kann, müssen Sie mir erst noch beweisen. Vielleicht wäre ‚Totschlag‘ oder ‚Mord‘ sogar die treffendere Bezeichnung.“

Sophie war eine unabhängige, selbstbewusste Frau, die sich nicht leicht einschüchtern ließ. Doch angesichts dieser Vorwürfe wurde sie aschfahl.

„Mr. Winter“, begann sie unsicher und wich einen Schritt zurück, „ich war zum Zeitpunkt von Barbaras Tod nicht einmal in ihrer Nähe. Und von ihren Plänen bezüglich letzten Mittwoch wusste ich auch nichts. Wenn Sie mir nicht glauben, sollten Sie sich mit Inspektor Montand, dem Polizeichef, in Verbindung setzen. Er leitet die Untersuchungen und wird Ihnen bestätigen, dass ich ein Alibi habe und keinerlei Schuld an dem Unfall trage.“

„Da bin ich ganz anderer Meinung. Meiner Ansicht nach sind Sie sehr wohl für Barbaras Tod verantwortlich, Miss Casson. Sie haben meine Verlobte schließlich ermutigt, mit Ihnen hierher zu kommen. Und hätten Sie das nicht getan, wäre sie jetzt noch am Leben.“

Sophie wollte etwas entgegnen. Doch alles, was ihr einfiel, würde nur nach Ausreden klingen. Sie biss sich auf die Lippe und blickte durch die geöffneten großen Glastüren des Balkons nach draußen. Dort schien das Leben in voller Blüte zu stehen. Die Calypso-Rhythmen einer Steelband und das Rauschen der Wellen, die an den goldgelben Sandstrand schlugen, waren zu hören. Sophie ließ den Blick über das Hotelgelände gleiten, auf dem Kokospalmen und Hibiskus wuchsen, dessen leuchtend rote Blüten im Sonnenlicht zu glühen schienen. Der betörend süße Duft von Jasmin erfüllte die Luft. Aras hockten auf unbesetzten Liegestühlen und zeigten ihr glänzendes Gefieder. Es war kaum zu glauben, dass sich in dieser friedlichen, paradiesisch schönen Umgebung ein so furchtbares Unglück ereignet haben sollte.

Einen Moment lang schloss Sophie die Augen und dachte nach. Was konnte sie nur tun, um Roberts Schmerz über den Tod seiner Verlobten wenigstens ein wenig zu lindern? Sicher war auch er ebenso wie Barbaras Eltern am Boden zerstört. Wäre es dir lieber gewesen, ihm würde ihr Tod nichts ausmachen? fragte Sophie sich beschämt und verdrängte sofort den Gedanken – wie so viele andere, die ihr im Zusammenhang mit diesem Mann schon durch den Kopf gegangen waren.

„Ich habe Barbara keinesfalls gezwungen, mich zu begleiten, Mr. Winter“, erwiderte sie schließlich. „Es war schließlich ihre Idee. Sie war fest davon überzeugt, einen Tapetenwechsel zu brauchen, um den Winter zu überstehen. Wenn sie sich nicht entschlossen hätte, mit mir hierher zu kommen, wäre sie garantiert woandershin gefahren.“

„Haben Sie nicht daran gedacht, einmal zu hinterfragen, warum sie das wollte?“

„Warum hätte ich das tun sollen?“, rief Sophie, empört über seinen unausgesprochenen Vorwurf. „Barbara war schließlich eine erwachsene Frau, und außerdem kannte ich sie kaum. Wenn es jemandem hätte auffallen müssen, dass sie sehr impulsiv war und oft unüberlegt handelte, dann doch wohl Ihnen! Sie waren doch mit ihr verlobt.“

Nachdem Sophie das gesagt hatte, wirkte Robert plötzlich weniger feindselig. Ihr fiel auch plötzlich auf, wie wenig Robert bisher gelächelt hatte. Selbst zu Beginn ihrer Bekanntschaft mit Barbara hatte er nie wirklich glücklich gewirkt, obwohl er eigentlich allen Grund dazu gehabt hätte.

Sophie hatte Mitte September begonnen, auf dem Anwesen der Wexlers zu arbeiten, die einen der schönsten und größten Gärten von ganz Kanada besaßen. Dort hatte sie auch Robert kennen gelernt. „Kennen gelernt“ war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn er nickte ihr nur kurz zu, als sie ihm vorgestellt wurde. Zuerst hielt Sophie ihn für einen Snob, der Angestellte nicht wie seinesgleichen behandelte, obwohl Sophies Referenzen bewiesen, dass sie ein Profi mit Erfahrung war.

Sie hatte das Gefühl, dass er absichtlich auf Distanz zu ihr blieb. Robert nahm kaum Notiz von ihr und schien nicht zu registrieren, wann sie kam oder ging.

Robert war groß und strahlte Autorität aus. Die Farbe seiner wunderschönen Augen wechselte je nach seiner Stimmung zwischen tiefem Jade- und kühlem Smaragdgrün. Sophie fand ihn äußerst attraktiv und beunruhigend zugleich, denn sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was in ihm vorging. Er war ihr ein Rätsel bis zu diesem furchtbaren Unglück.

„In vieler Hinsicht war Barbara wie ein Kind“, stellte er jetzt fest und ging unruhig auf dem gefliesten Boden hin und her. „Sie hatte keine Angst vor dem Tod, weil sie sich nicht vorstellen konnte, jemals zu sterben. Wenn mir ihre Reisepläne vorher bekannt gewesen wären, hätte ich natürlich versucht, sie davon abzubringen. Oder ich hätte Sie dringend gebeten, ein Auge auf Barbara zu haben. Allerdings verstehe ich eins nicht: Wenn Sie Barbara wirklich kaum kannten, warum sind Sie dann zusammen mit ihr in den Urlaub gefahren?“

„Es hat sich sehr kurzfristig ergeben“, erklärte Sophie. „Normalerweise verreise ich mit meiner Freundin Elaine. Doch sie hat drei Tage vor der Abreise Windpocken bekommen. Das habe ich zufälligerweise Barbara gegenüber erwähnt. Und als sie mir anbot, Elaine das Flugticket abzukaufen, habe ich natürlich zugegriffen. Elaine hatte nämlich keine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen und hätte sonst viel Geld verloren. Allerdings habe ich Barbara von Anfang an klar gemacht, dass sich nach der Ankunft unsere Wege für die meiste Zeit trennen würden.“

Plötzlich wirkte Robert wieder feindselig. „Mit anderen Worten, Barbara wurde Ihnen lästig, nachdem sie den finanziellen Verlust von Ihrer Freundin abgewendet hatte“, erwiderte er ironisch. „Ich bin wirklich zutiefst gerührt von Ihrer Großherzigkeit, Miss Casson!“

„Für mich ist das hier keine Erholungsreise, Mr. Winter. Ich bin zum Arbeiten hergekommen und nicht zu meinem Vergnügen, so wie Barbara. Dafür hatte sie auch volles Verständnis. Offenbar möchten Sie mir bei allem, was ich tue, nur schlechte Absichten unterstellen. Davon kann ich Sie leider nicht abhalten.“

„Und vermutlich ist es Ihnen auch egal.“

Das war es natürlich nicht, was Robert jedoch auf keinen Fall merken durfte.

„Ganz richtig“, erwiderte sie kühl. „Was Sie von mir denken, interessiert mich nicht im Geringsten, Mr. Winter. Denn Sie sind mir ebenso unsympathisch wie offenbar ich Ihnen. Vielleicht war Barbara am Mittwoch ja deshalb so unvorsichtig, weil ihr bewusst wurde, dass sie den Rest ihres Lebens mit Ihnen verbringen würde.“

Roberts Haut war immer leicht sonnengebräunt, sogar jetzt im Winter. Doch nun wirkte sein Gesicht aschfahl. Ganz offensichtlich litt er furchtbar unter dem Tod seiner Verlobten. Warum, um alles in der Welt, sage ich ihm nur solche Dinge? fragte Sophie sich erschrocken. Doch eigentlich war es ihr klar: Sie hatte Angst vor ihren Gefühlen.

Schon als sie Robert vorgestellt worden war, hatte sie eine heftige Sehnsucht verspürt und gleichzeitig gewusst, dass er ihr niemals gehören würde. Um sich selbst zu schützen, versuchte sie seitdem mit aller Macht, ihn unsympathisch zu finden. Und es funktionierte – zumindest bisher.

Plötzlich klingelte das Telefon. Erleichtert über die Unterbrechung, nahm Sophie den Hörer ab und legte ihn nach einem kurzen Gespräch wieder auf.

„Das war Inspektor Montand“, berichtete sie. „Er ist unten im Foyer und möchte mit uns beiden sprechen.“

„Warum mit uns beiden? Ich dachte, Sie seien bereits von jeglichem Verdacht freigesprochen!“

Sophie zuckte die Schultern und erwiderte betont gelassen: „Das müssen Sie ihn fragen.“ Unwillkürlich dachte sie an den vergangenen Mittwoch, als man das Wrack des kleinen Bootes gefunden hatte und klar geworden war, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Sophie war keineswegs kühl und gelassen gewesen, als sie es erfahren hatte. Sie hatte ein Beruhigungsmittel einnehmen müssen. Nicht einmal Robert hätte zu diesem Zeitpunkt daran gezweifelt, dass Barbaras Tod sie zutiefst verstörte.

Doch er war nicht dabei gewesen. Und so lächelte er nur verächtlich, öffnete die Tür und ließ Sophie mit einer übertrieben höflichen Geste den Vortritt. „Wir sollten den Inspektor nicht warten lassen, Miss Casson. Und sicher haben Sie heute Nachmittag Besseres zu tun, als sich mit den lästigen Einzelheiten von Barbaras Tod zu beschäftigen.“

Er steht unter Schock, rief Sophie sich in Erinnerung. Du darfst dich auf keinen Fall von ihm provozieren lassen und Dinge sagen, die du später bereust.

Sie hob das Kinn und verließ vor ihm das Hotelzimmer. Der dunkelblau-weiß gestreifte Rock reichte ihr bis zu den Waden, doch in dem weißen Top mit dem tiefen Rückenausschnitt kam Sophie sich fast unbekleidet vor, und sie meinte, Roberts missbilligenden Blick spüren.

Als sie bereits am Treppenabsatz angelangt war, holte Robert sie ein. Mit ihren ein Meter siebzig kam sich Sophie neben ihm wie ein Kind vor, das von seinem strengen Onkel zurechtgewiesen wurde. Aber sie war fest entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Es würde also keine verletzenden Bemerkungen mehr geben – zumindest nicht von ihrer Seite und nicht während der nächsten Tage.

Danach würde sie nichts mehr mit Robert zu tun haben und könnte ihn endlich vergessen. Wenn ich dazu überhaupt in der Lage sein werde, fügte Sophie insgeheim hinzu.

Im Foyer wartete der Polizeichef von St. Julien auf sie. Er trug weiße Bermudas, ein kurzärmeliges weißes Hemd und einen Tropenhelm unter dem Arm. „Ich bin Inspektor Montand“, stellte er sich vor und stand auf. „Monsieur“, fuhr er an Robert gewandt fort, „ich bedauere sehr, dass Sie unsere Insel unter so traurigen Umständen besuchen.“

Robert nickte nur kurz und kam dann gleich auf den Punkt. „Haben Sie meine Verlobte inzwischen gefunden, Monsieur Montand?“, fragte er unumwunden.

„Leider nein. Die starken Strömungen jenseits des Riffs – und die Haie … Sie verstehen …“ Er zuckte die Schultern. „Wir rechnen eigentlich nicht damit, sie zu finden, Monsieur.“

„Ich glaube nicht, dass ihre Eltern sich damit abfinden werden.“

„Das verstehe ich natürlich, aber …“ Er wies auf eine Sitzgruppe aus Rattan unterhalb eines Ventilators. „Setzen wir uns doch. Dort ist es kühler, und wir können uns in Ruhe unterhalten.“

Sobald sie Platz genommen hatten, fragte Robert: „Warum hat man meiner Verlobten ein hoteleigenes Segelboot überlassen, ohne sicherzustellen, dass sie überhaupt damit umgehen konnte? Meiner Meinung nach sind die Hotelangestellten mitschuldig an Barbaras Tod.“

Inspektor Montand sah Sophie Hilfe suchend an. Doch statt ihn zu unterstützen, wandte sie den Blick ab und betrachtete ein Arrangement aus tropischen Früchten auf einem Beistelltisch.

Es würde nicht einfach sein, Robert die Wahrheit beizubringen. Denn Barbara war seit ihrer Ankunft auf der Insel von verschiedenen Seiten gewarnt worden: Dieser lockere Umgang mit den Angestellten ist für eine Dame ohne Begleitung hier eher unüblich, Mademoiselle … Barbara, du kannst den Bikini nicht in der Öffentlichkeit tragen – für die Einheimischen ist das ein regelrechter Affront … Mademoiselle, es ist sehr unklug, abends ohne Begleitung in der Altstadt unterwegs zu sein …

Doch Barbara hatte sämtliche Warnungen lächelnd in den Wind geschlagen. Sie feierte ausgiebig und flirtete praktisch mit jedem Mann, der ihr über den Weg lief. Zuletzt war sie fast immer die ganze Nacht weg und kam erst zurück, wenn die Sonne bereits aufgegangen war. Ihr Verhalten war Sophie sehr unangenehm gewesen – und äußerst merkwürdig angesichts der Tatsache, dass Barbara doch angeblich so verliebt in ihren Verlobten war und ihn bald heiraten wollte.

Doch auch schon vor dem Urlaub hatte Sophie bezweifelt, dass Barbara ihren Verlobten wirklich liebte. „Robert ist wirklich ein guter Fang“, hatte Barbara ihr einmal anvertraut. „Mein Vater meint, dass er einer der wenigen Männer ist, die sich eine Frau wie mich wirklich leisten können. Robert liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Aber das bin ich ja schließlich auch gewohnt – und ich habe nicht vor, mich irgendwann umzustellen, nur weil ich verheiratet bin.“

Dann hatte sie strahlend gelächelt – jenes bezaubernde Lächeln, das auszudrücken schien: Ich weiß, ich benehme mich wie ein verwöhntes Kind, aber in Wirklichkeit bin ich eine erwachsene und äußerst charmante junge Frau.

Und charmant konnte Barbara wirklich sein. Wie sonst hätte sie Sophie überreden können, mit ihr Urlaub auf St. Julien zu machen, einer winzigen Insel einige hundert Meilen vor der Küste Venezuelas?

Robert trommelte mit den Fingern ungeduldig auf der Glasplatte des Tisches und riss Sophie so aus ihren Gedanken. „Also, Inspektor, stimmen Sie mir nicht zu? Meine Verlobte war völlig unerfahren im Umgang mit Booten. Sie konnte nicht einmal ein Segel hissen. Man hätte ihr niemals erlauben dürfen …“

„Mademoiselle Wexler war nicht allein auf dem Boot, Monsieur Winter. Nach Aussage der Hotelangestellten wurde sie von einem jungen Mann begleitet, der ebenfalls zum Personal gehörte und sich mit Booten sehr gut auskannte.“

„Warum, zum Teufel, ist er dann nicht hier, um mir Rede und Antwort zu stehen?“

„Er wird leider ebenfalls vermisst.“

„Dann scheint es mit seinen Kenntnissen ja auch nicht sehr weit her gewesen zu sein“, stellte Robert kühl fest.

Der Inspektor zuckte entschuldigend die Schultern. „Aus unerfindlichen Gründen sind die beiden mit dem Boot hinter das Riff gefahren, auf die Luvseite der Insel. Mit einem so kleinen Boot sollte man sich jedoch auf gar keinen Fall in die starken Strömungen wagen, die vom Atlantik kommen. Außerdem ist es vom Strand aus nicht zu sehen, wenn das Boot in Seenot gerät. Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber sowohl Ihre Verlobte als auch der junge Hotelangestellte haben sich äußerst unvorsichtig verhalten, indem sie sämtliche Warnschilder entlang der Küste ignorierten.“

Zuerst schien es, als wollte Robert widersprechen. Doch dann wandte er den Blick ab. Sophie seufzte erleichtert. Sie hätte nur ungern bestätigt, was der Inspektor Robert durch die Blume mitteilen wollte: dass Barbara ihr Schicksal geradezu herausgefordert hatte und vielleicht sogar für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich war.

Nach einer Weile blickte Robert Sophie an und fragte: „Und wo waren Sie, als es passierte?“

„Im Stadtzentrum. Ich habe die Wassergärten bei der alten Gouverneursresidenz fotografiert.“ Sophie versuchte mit aller Macht, sich nicht von Robert provozieren zu lassen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte mitfühlend: „Mr. Winter – Robert. Ich verstehe, dass Sie einen Schuldigen finden wollen. Aber Barbaras Tod war wirklich ein Unfall. Und je eher Sie das einsehen, umso schneller werden Sie über diesen furchtbaren Verlust hinwegkommen.“

Robert schüttelte ihre Hand ab, als wäre sie ein lästiges Insekt. „Der Unfall hätte vermieden werden können und müssen. Was, um alles in der Welt, hat sich der Hotelangestellte dabei gedacht, als er um das Riff gesegelt ist?“

Sophie vergaß ihre Zurückhaltung und erwiderte ein wenig heftig: „Vermutlich hat Barbara darauf bestanden. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie sehr eigensinnig sein. Das wissen Sie doch genauso gut wie ich.“

Robert zuckte nur ungeduldig die Schultern und wandte sich wieder an Inspektor Montand. „Haben Sie die Suche inzwischen eingestellt?“

Oui, monsieur. Es hat keinen Sinn, weiter nach den Vermissten zu forschen. Die Strömung an der Küste ist einfach zu tückisch.“

„Darüber werde ich mir selbst ein Urteil bilden, wenn ich es mir heute Nachmittag ansehe.“

Der Inspektor nickte ehrerbietig. „Ich werde veranlassen, dass man Sie dorthin bringt und …“

„Das ist nicht nötig“, schnitt ihm Robert das Wort ab und blickte Sophie feindselig an. „Ich nehme an, Sie kennen sich hier auf der Insel aus?“

„Mehr oder weniger. Ich …“

„Gut. Dann werden Sie mich begleiten.“

Offenbar hielt Robert es nicht für nötig, sie um diesen Gefallen zu bitten. Stattdessen erteilte er Anweisungen und erwartete, dass diese befolgt wurden. Die Vorstellung, allein mit ihm zum Riff zu fahren, behagte Sophie aus einem ganz bestimmten Grund gar nicht. Doch zum Glück konnte er ihre Gedanken nicht lesen. Um das unangenehme Gespräch möglichst schnell zu beenden, erwiderte sie deshalb nur: „Natürlich.“

„Wo können wir einen Mietwagen mit Klimaanlage bekommen?“

„Wahrscheinlich nirgends, denn auf der Insel sind Autos grundsätzlich verboten, mit Ausnahme der wenigen Fahrzeuge, die der Regierung gehören.“

„Sie meinen diese merkwürdigen blumengeschmückten Gefährte? Mit einem bin ich vom Flughafen hierher gefahren worden.“

„Man nennt diese Kleinbusse ‚Jitneys‘. Davon gibt es leider nur zwei auf der gesamten Insel.“

„Du meine Güte!“, sagte Robert resigniert. „Und was sollen wir nun tun? Auf Eseln reiten und dabei mit einem Strohhut winken?“

Inspektor Montand zuckte bei dieser bissigen Frage merklich zusammen. Sophie warf ihm einen mitfühlenden Blick zu und erwiderte ruhig: „Sie brauchen nicht beleidigend zu werden, Mr. Winter. St. Julien ist in manchen Bereichen sicher nicht so weit entwickelt, wie Sie es von Ihrer Heimat gewohnt sind. Aber dafür wird man durch die Schönheit der Insel doch mehr als entschädigt. Ich schlage vor, wir fahren mit einem der hoteleigenen Mini-Mokes. Sie sind völlig ausreichend, denn die Insel ist ja nicht sehr groß.“

Abgesehen vom Stadtzentrum und der Strecke zum Flughafen gab es nur eine befestigte Straße auf St. Julien. Sie führte an der Küste entlang – manchmal hinunter zu kleinen versteckten Buchten, manchmal weit hinauf, so dass man über das türkisfarbene Meer und grün bewaldete Berge blicken konnte. Weil die Straße so schmal war, bewegte sich der Verkehr grundsätzlich im Uhrzeigersinn – so dass eine fünf Meilen weite Fahrt eine Rückfahrt von fünfundzwanzig Meilen nach sich ziehen konnte.

Die Fransen am gestreiften Verdeck des Mini-Mokes, den Robert wenig später mit finsterer Miene steuerte, flatterten im Fahrtwind. „Da hätten wir ja gleich einen Golfbuggy nehmen können“, meinte er, während das kleine Fahrzeug über die unebene Straße rumpelte.

„Möchten Sie lieber zu Fuß gehen?“, fragte Sophie ironisch.

„Ich wäre am liebsten gar nicht hier“, erwiderte er sofort. „Dass ich es bin, habe ich allein Ihnen zu verdanken – und Ihren merkwürdigen Vorstellungen von einem Urlaubsparadies.“

„Niemand hat behauptet, dass St. Julien Rio de Janeiro oder Monte Carlo ist, Mr. Winter. Und wäre es so, würde ich niemals hergekommen sein. Menschen, die solche mondänen Reiseziele aufsuchen, sind mir nämlich nicht sonderlich sympathisch.“

Ein leichtes Lächeln umspielte plötzlich seine Lippen. „Menschen wie ich, wollen Sie damit sagen, oder?“

Sophie nahm die Sonnenbrille ab und sah ihn aufmerksam an. Würde es ihr angesichts der besonderen Situation gelingen, diesen faszinierenden Mann, dessen Äußeres atemberaubend war, näher kennen zu lernen? Sie betrachtete seine markanten Gesichtszüge, die grünen Augen mit den dichten Wimpern und seinen muskulösen, aber schlanken Körper. Sicher hatte Roberts männliche Ausstrahlung schon während seiner Jugend Frauen in seinen Bann gezogen. Doch sosehr Sophie es auch versuchte, sie konnte nicht ergründen, was in ihm vorging.

„Warum starren Sie mich so an?“, fragte Robert ungeduldig und warf ihr einen flüchtigen Blick zu.

„Ich frage mich, ob Sie immer so reizbar sind oder das nur an Ihrer Trauer liegt. Vermutlich Letzteres, denn Barbara schien mir keine Frau zu sein, die ihr Leben mit einem Griesgram verbracht hätte.“

Wieder blickte er sie wütend an und fragte: „Wie weit müssen wir noch fahren?“

„Etwa sieben Meilen. Wenn wir die Landzunge umrundet haben, kommen wir zur Wetterseite der Insel. Sie werden bemerken, dass die See dort sofort sehr wild ist.“

Je weiter sie fuhren, umso wortkarger wurde Robert. „Du meine Güte“, murmelte er einmal, als die Gischt vom aufgewühlten Meer bis zur Straße spritzte und sie nur noch einen Meter weit sehen konnten. „Ist das hier immer so?“

„Mehr oder weniger. Bei Wirbelstürmen ist es allerdings noch um einiges schlimmer.“

„Das glaube ich Ihnen aufs Wort“, erwiderte Robert. „Was hat Barbara sich nur dabei gedacht, unter solchen Bedingungen aufs offene Meer hinauszusegeln?“

Sie erreichten die windgepeitschte südöstliche Spitze von St. Julien, wo die Insel der wilden Atlantikbrandung am meisten Widerstand bot. Der Sand war übersät mit Strandgut: mit bizarr geformten Holzstücken und Tausenden von Muscheln in den unterschiedlichsten Farbtönen von kräftigem Lila bis Zartrosa.

„Wenn Sie da drüben an den Straßenrand fahren, können wir über die Dünen gehen. Dann sehen Sie das Riff, wo …“ Sophie unterbrach sich und blickte Robert an.

Er nickte und parkte den Mini-Moke. Dann gingen sie hinunter zum Strand und durch den feinen, weichen Sand.

Man konnte gut erkennen, wo sich das Riff befand. Zum Strand hin waren die Wellen kleiner und trugen Schaumkronen, doch jenseits des Riffs türmten sie sich drohend auf. Du meine Güte, dachte Sophie schaudernd. Barbara musste wahnsinnig gewesen sein, dort segeln zu gehen. Wie hatte sie nur annehmen können, das zu überleben? Sophie wandte den Blick ab. Es war nicht erstaunlich, dass man Barbara bisher nicht gefunden hatte. Dagegen grenzte es an ein Wunder, wie gut das kleine Segelboot erhalten gewesen war, als man es gefunden hatte.

Robert blickte so lange reglos aufs Meer, dass Sophie schon den Eindruck hatte, er hätte ihre Anwesenheit völlig vergessen. Doch plötzlich wandte er sich zu ihr um. Sein Gesicht drückte tiefen Schmerz aus, als er ihr leise drohte: „Verschwinden Sie schnell, bevor ich die Beherrschung verliere.“

Robert sah, wie Sophie zusammenzuckte, und mit aller Macht versuchte er, sich zu beruhigen. Doch am liebsten hätte er laut aufgeschrien vor Wut und Schmerz über Barbaras sinnlosen Tod, den er nicht hatte vereiteln können. Wie sehr würde Sophie wohl erschrecken, wenn er wirklich die Beherrschung verlieren und seinen Gefühlen freien Lauf lassen würde?

„Robert“, begann Sophie so leise, dass das Rauschen der Wellen sie fast übertönte, „kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Offenbar meinte sie zu wissen, was in ihm vorging. Das machte Robert so wütend, dass ihm plötzlich ein Gedanke kam. Sollte er es einfach sagen? Und würde Sophie seinem Wunsch nachkommen oder ihn entsetzt mit ihren grauen Augen ansehen und dann so schnell wie möglich wegrennen?

Er strich sich mit zittrigen Fingern durchs Haar. Mit aller Macht verdrängte er den Gedanken und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was in ihm vorging. „Ich würde jetzt gern zum Hotel zurückfahren und mich betrinken“, erwiderte er betont gelassen. „Möchten Sie mir dabei vielleicht Gesellschaft leisten?“

Wahrscheinlich wird sie jetzt missbilligend die Stirn runzeln und mich belehren, dass Alkohol meine Probleme nur noch verschlimmern würde, dachte er. Doch stattdessen umfasste Sophie seinen Arm und sagte mitfühlend: „Natürlich, wenn es Ihnen dann besser geht.“

Autor

Catherine Spencer

Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills & Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte...

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