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Vier Tage und fünf Nächte sind die Tierärztin Melissa Porter und der Pilot Nick Magruder im Dschungel aufeinander angewiesen. Vier Tage voller Gefahren, fünf Nächte voller Leidenschaft! Denn längst ist Melissas Herz für Nick entbrannt. Doch der lehnt jede Bindung ab...


  • Erscheinungstag 09.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753054
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war Zeit, wieder nach Hause zu fahren. Höchste Zeit. Er hatte seine Abreise lange genug vor sich hergeschoben.

Nick Magruder ignorierte das unangenehme Gefühl, das den Gedanken in seiner Magengrube auslöste, während er das Rollfeld des winzigen Flughafens von Harbor Island entlang zu einer der Cessnas marschierte. Der milde Oktoberwind zerzauste ihm das dunkle Haar. Die relativ abgeschiedenen San-Juan-Inseln im Nordwesten des Staates Washington waren genau der richtige Ort gewesen, um für eine Weile vor dem Alltag zu flüchten. Nick hatte jedoch nie vorgehabt, dort zu bleiben. Jedenfalls nicht für die sechs Monate, die es letztendlich geworden waren. Am hinteren Teil der Maschine angekommen, ließ Nick seine Tasche neben eine der Kisten fallen, die er vorhin dort abgestellt hatte, und öffnete die Ladeluke des Flugzeuges.

Er würde Harbor vermissen. Die Menschen ebenso wie das vergleichsweise unbeschwerte Leben, das er hier geführt hatte. Aber er wusste, dass man vor seinen Sorgen nicht für immer davonlaufen konnte. Der Besuch bei seinem alten Freund Sam Edwards, den er noch von der Flugschule her kannte, hatte ihm eine sehr willkommene Verschnaufpause verschafft. Sam und sein Partner Zach McKendrick unterhielten zusammen eine Charterfluggesellschaft und erstickten regelrecht in Arbeit. So ergab es sich, dass Nick, der ohnehin keine anderen Pläne gehabt hatte, als Aushilfspilot eingesprungen war – eine perfekte Übergangslösung für alle Beteiligten. Jedenfalls bis zu dem Moment, als Sam ihn gefragt hatte, ob er nicht als dritter Teilhaber bei E&M Flights einsteigen wolle.

Nick liebte das Fliegen, aber er hatte zu Hause ein eigenes Geschäft, und dort wartete zudem ein riesiger Berg unerledigter Dinge auf ihn. Allein schon deshalb stand es für ihn völlig außer Frage, auf Harbor Island zu bleiben. Sam wusste das und war entsprechend zurückhaltend mit seinem Vorschlag an Nick herangetreten. Er hatte ihn nicht gedrängt. Noch nicht. Und um Sam von vornherein keine Gelegenheit dazu zu geben, hatte Nick es für das Beste gehalten, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Saison war vorbei, Sam und Zach konnten die anfallenden Aufträge ab jetzt wieder problemlos allein bewältigen, und somit sah Nick nicht den geringsten Anlass, seinen Aufenthalt noch weiter auszudehnen. Insbesondere, weil Sam nicht der Einzige war, der versuchte, ihn durch diskrete, aber wohl dosierte Bemerkungen zu überreden, genau das zu tun.

Gerade gestern hatte Maddy, die ortsansässige Inhaberin des Road End Cafés Nick darauf hingewiesen, dass es nicht schaden konnte, wenn er der neuen Tierärztin, Dr. Melissa Porter, einen Besuch abstatten würde, um sie auf Harbor willkommen zu heißen. Die besagte Dame war vor drei Tagen aus Los Angeles eingetroffen, wo sie, wie Nick annahm, wahrscheinlich ihren Lebensunterhalt damit bestritten hatte, den pummeligen Schoßhündchen reicher Hollywoodgrößen eine Diät zu verordnen.

Maddy, ein rothaariger untersetzter Wirbelwind mit dem Herzen am rechten Fleck, war fest davon überzeugt gewesen, Nick und Melissa würden sich bestimmt gut verstehen, dafür hätte sie ein untrügliches Gespür.

Doch bevor Maddy ihre Überzeugungsarbeit weiter vorantreiben konnte, hatte Mrs. Sykes, die Frau des Bürgermeisters ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie Nick kurzerhand darüber informierte, dass die bloße Anwesenheit einer allein stehenden Person bei Maddy eben dieses untrügliche Gespür hervorrief. Und das sei nur einer der Gründe, warum es pure Zeitverschwendung wäre, sein Glück bei Dr. Porter zu versuchen. Sie würde ohnehin spätestens im Winter aufgeben und ihre Sachen packen, da sie wegen ihres jugendlichen Alters und der dadurch bedingten Unerfahrenheit den Anforderungen, die die Behandlung wild lebender Tiere an sie stellte, einfach nicht gewachsen sein würde. Des Weiteren fand Mrs. Sykes es für eine Frau reichlich ungewöhnlich, eine Arbeitsstelle so weit entfernt von ihrem Zuhause anzunehmen, und sie vertrat die Ansicht, es gäbe nur zwei plausible Erklärungen dafür: Entweder rannte Dr. Porter vor einem Mann davon, oder sie war auf der Suche nach einem.

Nick sah das zwar etwas anders. Seiner Meinung nach konnten vielerlei Umstände einen Menschen dazu veranlassen, Abstand von seinem gewohnten Umfeld zu suchen. Aber das behielt er für sich. Melissa Porter ging ihn schließlich nichts an, und so sollte es auch bleiben. Nicht genug damit, dass Maddy alle Register zog, um ihn mit just dieser Melissa Porter zu verkuppeln, auch Mrs. Sykes hatte ihre eigenen Vorstellungen davon, mit wem er sich verabreden sollte, und zeigte große Beharrlichkeit bei dem Vorhaben, Nick und ihre Nichte miteinander bekannt zu machen. Es war wirklich Zeit zu gehen.

Zuvor aber musste das Flugzeug, das er gerade belud, in die Spezialwerkstatt nach Seattle gebracht werden, bei der Sam die jährliche Generalüberholung durchführen ließ.

Er griff nach der Kiste mit den Abschiedsgeschenken, die seine Freunde ihm am Abend zuvor gegeben hatten, und wollte sie gerade in den Frachtraum hieven, als er aus dem Augenwinkel so etwas wie einen farbigen Blitz an sich vorbeisausen sah. Nick fuhr herum. Der Blitz entpuppte sich als knallroter Truck, der just in diesem Moment mit quietschenden Reifen vor dem Hangar hielt. Kaum war der Wagen zum Stehen gekommen, sprang auch schon eine zierliche blonde Frau in Jeans und Steppweste heraus und verschwand schnurstracks im Büro von E&M Flights.

Sie hätte sich die Eile sparen können, dachte Nick. Sam war schon bei Morgengrauen zur Postrunde aufgebrochen, eine Route, die ihn quer durch den Staat Washington führte, da eine beachtliche Anzahl abgelegener Inseln mit Briefen und Paketen beliefert werden mussten. Zach hatte nur wenig später einen Charterflug übernommen, und die Sekretärin, die sich nach einigem Hin und Her schließlich bereit erklärt hatte, den beiden Männern den „Schreibkram“ abzunehmen, machte eine ausgedehnte Mittagspause, worüber ein an der Pinnwand angebrachter Zettel Auskunft gab. Da sie wusste, dass Nick heute abreiste, vermutete er hinter ihrem außerplanmäßigen Verschwinden den Versuch, dem ansonsten unvermeidlichen, endgültigen Abschied zu entgehen. Und irgendwie war Nick ihr sogar dankbar dafür, denn auch ihm fiel es schwer, sich zu verabschieden.

Die Bürotür wurde geöffnet, und die junge Frau, die so hektisch in das kleine, an den Hangar grenzende Nebengebäude gestürmt war, kam ebenso überstürzt wieder herausgehastet, blickte sich suchend um, entdeckte Nick und – steuerte direkt auf ihn zu.

„Entschuldigen Sie?“, hörte er sie von weitem rufen, was ihn allerdings nicht davon abhielt, die Kiste in den Frachtraum seines Flugzeugs zu befördern und anschließend nach oben zu klettern.

„Hallo“, versuchte die Blondine erneut, die Aufmerksamkeit des einzigen potenziellen Ansprechpartners zu erregen, der weit und breit in Sicht war, woraufhin dieser ihr aus dem Inneren des Laderaums einen fragenden Blick zuwarf. „Ich bin Melissa Porter“, erklärte sie lächelnd, „aber die meisten nennen mich Mel.“

Sie hätte sich nicht vorzustellen brauchen. Der lange, golden schimmernde Pferdeschwanz, der aus ihrer Baseballmütze hervorlugte, sah so typisch kalifornisch aus, dass Nick sofort gewusst hatte, wer sie war. Abwesend betrachtete er ihre zarten Gesichtszüge, die durch den porzellanartigen Teint ihrer Haut besonders gut zur Geltung kamen. Ihre Augen verbarg sie hinter einer Sonnenbrille, weswegen man nicht sagen konnte, welche Farbe sie hatten, doch so viel war sicher: Die Gerüchte stimmten. Sie war hübsch. Sehr hübsch.

„Ich habe einen Charterflug nach San Juan gebucht. Ist das meine Maschine?“, riss der Klang ihrer Stimme Nick aus seinen Gedanken.

„Nein, tut mir leid“, entgegnete er und machte sich daran, die Ledergurte festzuziehen, die dazu dienten, das spärliche Frachtgut am Verrutschen zu hindern. „Ich fliege nach Seattle. Sam ist Ihr Pilot. Er wird sicher bald hier sein.“

„Wie bald?“

Woher sollte Nick das wissen?

„Innerhalb der nächsten Stunde, schätze ich. Sie können im Büro auf ihn warten.“

In der Annahme, diese Auskunft würde Miss Porter zufrieden stellen, betrachtete Nick das Gespräch als beendet und schwang sich unvermittelt über die Ladeluke, so dass er nun direkt vor der jungen Frau stand, die trotz der abrupten Bewegung nicht mal zusammengezuckt war. Der Größenunterschied zwischen ihnen stellte sich als beachtlich heraus: Ihr Kopf reichte ihm kaum bis zu den Schultern.

„Glauben Sie, es dauert wirklich so lange?“

Sie war hartnäckig, das musste man ihr lassen.

„Keine Sorge, er wird schon kommen.“

Als hoffte sie, Nicks Worte könnten Sams Eintreffen beschleunigt haben, suchte Melissa den Himmel nach Anzeichen eines sich nähernden Flugzeuges ab. Alles, was sie sah, waren jedoch ein paar Möwen, die ihre Kreise zogen.

„Der …“, begann Melissa, als sie bemerkte, dass der dunkelhaarige Pilot, den sie ansprechen wollte, inzwischen neben einem der Reifen der Maschine kniete. Sie ging zu ihm.

„… der Flug, den ich gebucht habe, soll in zehn Minuten gehen“, beharrte sie.

„Das hier ist ein Charterservice“, entgegnete Nick unbeeindruckt. „Die Abflugtermine können manchmal ein wenig vom Zeitplan abweichen.“

„Nun, mein Zeitplan ist im Moment leider ziemlich eng“, bemerkte Melissa knapp, wobei ihr Lächeln verhinderte, dass sie allzu ärgerlich wirkte. „Sehr eng, um genau zu sein.“

Sie schob ihre Sonnenbrille hoch, um den Mann im Schatten der Cessna besser erkennen zu können. Ihre Augen waren wunderschön, von einem strahlenden Blau. Es war jedoch die Offenheit in ihrem Blick, die Nick am meisten überraschte. Und die Besorgnis. Beides ließ sie älter erscheinen, als er sie anfangs geschätzt hatte.

„Sam wird bestimmt bald auftauchen.“

„Innerhalb der nächsten zehn Minuten?“

Verdammt, dachte Nick. Der Bremsklotz saß fest. „Wahrscheinlich nicht.“

Es musste doch einen Weg geben, das vermaledeite Ding zu lockern.

„Und wenn er hier ist, wie lange wird es dann dauern, bis wir starten können?“

Mit einem heftigen Ruck löste Nick den widerspenstigen Hartgummikeil – und schürfte sich dabei die Hand auf. Er fluchte leise. Konnte diese Frau ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Ihre Anwesenheit lenkte ihn unnötig ab.

„Das kommt darauf an, ob die Maschine betankt werden muss“, erwiderte er missmutig, ohne aufzusehen.

Normalerweise hätte Melissa prompt gefragt, wie viel Zeit dieser Vorgang denn genau in Anspruch nehmen würde, doch irgendetwas hielt sie davon ab. Ob es nun die einsilbigen Antworten des Piloten waren oder die beinahe körperlich spürbare Anspannung, die von ihm auszugehen schien, konnte sie nicht sagen. Er war attraktiv, das ließ sich nicht leugnen.

Das Zusammenspiel von dunklem kurzem Haar, markanten Wangenknochen und einer leicht eckigen Kinnpartie gab ihm dieses gewisse Etwas, bei dessen Anblick der gesamten weiblichen Bevölkerung von Beverly Hills buchstäblich das Wasser im Mund zusammengelaufen wäre. Dem perfekten Sitz seiner Khakihosen nach zu urteilen und der Art, wie sein Jeanshemd über den breiten Schultern spannte, hätte Melissa ohne Zögern ihre nagelneuen Stiefel darauf verwettet, dass er entweder Stammgast in einem Fitnessstudio war oder seine Freizeit damit verbrachte, Unmengen von Holz zu hacken. Oder was auch immer die Männer in dieser Einöde taten, um in solch guter Form zu bleiben.

Trotzdem machte sein abweisendes Verhalten Melissa nervös, noch nervöser, als sie es ohnehin schon war.

Sie schaute ängstlich auf ihre Uhr. Wenn Sam doch nur endlich käme.

Es war inzwischen 13.37 Uhr.

Das geplante Treffen mit Wildhüter Wyckowski auf San Juan sollte um 14.15 Uhr stattfinden. Das würde knapp werden.

Doch damit nicht genug. Vor weniger als einer Stunde hatte Melissas neunzehnjährige Halbschwester angerufen. Es sei unglaublich wichtig, sie müsse unbedingt mit Melissa reden. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn für Cameron war jedes kleine Problem gleich ein Weltuntergang. Trotzdem hatte sie darauf bestanden, dass diese spezielle Krise auf keinen Fall bis morgen warten könne. Sie würde noch heute mit der 17-Uhr-Fähre nach Harbor kommen.

Der gut aussehende, aber ungehobelte Klotz von Mann ging um den hinteren Teil des Flugzeuges herum und kniete sich vor den Reifen auf der anderen Seite. Melissa folgte ihm abermals, völlig ungeachtet der Tatsache, dass er sie überhaupt nicht zu beachten schien.

„Könnten Sie mich nicht vielleicht hinbringen?“

Als ihr die Ironie der Situation bewusst wurde, versuchte sie, den Gedanken zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht. Sie setzte hier alles daran, etwas zu erreichen, das sie normalerweise fürchtete wie der Teufel das Weihwasser. Sie hasste es nämlich zu fliegen.

„Soweit ich weiß, sind es nur zwanzig Minuten bis dorthin. Ich zahle auch den doppelten Preis“, bot sie an. Dann würde sie den neuen Anstrich von Doc Jacksons alter Praxis, die jetzt ihr gehörte, eben ein bisschen verschieben müssen.

„Tut mir leid“, antwortete Nick knapp, während er den zweiten Bremskeil unter dem Reifen hervorzog.

Melissa überlegte fieberhaft.

„Hören Sie. Ich habe zwei junge Kojoten auf der Ladefläche meines Wagens, die ausgewildert werden sollen.“ Es konnte nicht schaden, ihm den Ernst der Lage klar zu machen „Wenn ich den Termin mit dem Wildhüter nicht einhalten kann, verfällt meine Genehmigung, und es dauert womöglich Wochen, bis ich eine neue bekomme.“

Sie bückte sich, um ihm direkt in die Augen zu sehen. „Die Frau, die sie bis jetzt aufgezogen hat, hat großartige Arbeit geleistet, aber wenn sie noch länger in menschlicher Obhut bleiben, verlieren sie den letzten Rest ihrer natürlichen Scheu. Und ich will nicht, dass sie von irgendeinem Wilderer erschossen werden, weil sie ihn für einen Freund gehalten haben. Sie etwa?“

So war das also. Die Lady versuchte, an sein Mitgefühl zu appellieren. Ihr vermeintlich geschickter Schachzug brachte ihr jedoch nichts weiter als einen stechenden Blick ein, der sie unwillkürlich einen Schritt zurückweichen ließ.

Nick richtete sich zu seiner vollen Größe auf, was ihn sehr bedrohlich wirken lassen konnte, wenn er es darauf anlegte. Dann stemmte er eine Hand in die Hüfte und sah herausfordernd zu Melissa hinunter. Seine Augen waren silbrig grau, von derselben Farbe, die Wolken annehmen, kurz bevor ein verheerendes Unwetter über das Land hinwegfegt. Der Vergleich erschien Melissa passend.

Er hatte eine extreme Abneigung gegen Manipulation jeglicher Art. Seine Exfrau war ein Meister auf diesem Gebiet gewesen. Und Nick war sich nicht sicher, was ihn mehr verärgerte: Von dieser penetranten Tierärztin an das Satansweib erinnert zu werden, von dem er vor sechs Monaten geschieden worden war, oder dass die junge Dame versuchte, ihn schamlos auszunutzen.

Als er jedoch die aufrichtige Sorge bemerkte, die sich in Melissas Gesicht widerspiegelte, musste er sich eingestehen, vielleicht vorschnell geurteilt zu haben. Nein, sie war nicht wie Ellen. Es ging ihr nicht um ihren eigenen Vorteil, sondern um das Wohl ein paar kleiner Wildhunde, die Gefahr liefen, handzahm zu werden.

Das heiligte jedoch keineswegs die Mittel, die sie einsetzte. Sie hatte soeben das Schicksal der Tiere in seine Hände gelegt, und nun fühlte er sich verantwortlich, ob er wollte oder nicht.

„Sie sagten, die Kojoten waren bis jetzt bei einer Frau aus der Gegend untergebracht“, erinnerte er Melissa scheinbar beiläufig. „Dabei handelt es sich nicht zufällig um Mrs. Edwards?“

„T.J.“ Die Erwähnung der Frau, die Sam letztes Jahr geheiratet hatte, ließ die Anspannung aus Melissas Körperhaltung weichen. „Ja, genau. Sie betreibt so eine Art private Auffangstation. Die Leute bringen ihr verwaiste und manchmal sogar verletzte Tiere.“ In Melissas Stimme lag tiefe Bewunderung, aber auch ein wenig Unsicherheit. Wahrscheinlich war es ziemlich überflüssig, ihm zu erklären, was T.J. tat. Immerhin arbeitete er für deren Mann. „Sie war es, die mich gebeten hat, die Auswilderung in die Wege zu leiten.“

Melissa machte eine Pause. Sie fühlte sich unwohl dabei, jemanden derartig aufdringlich um seine Hilfe zu bitten, doch sie hatte keine Wahl. „Diese Sache könnte wirklich über Leben und Tod entscheiden“, erklärte sie betrübt.

So viel hatte Nick schon verstanden. Die pelzigen Halbwüchsigen mussten also in die Freiheit entlassen werden und zwar sobald wie möglich. Worum er sich allerdings mehr Gedanken machte, war der Umstand, dass Sams Frau offenbar eine persönliche Bindung zu Ms. Porters Frachtgut hatte.

Nach all den Katastrophen, die in den vergangenen zwölf Monaten über ihn hereingebrochen waren, wusste Nick, wer seine echten Freunde waren. Und er wollte sie nicht enttäuschen. Er drehte sich wortlos um und ging auf das Cockpit zu. Er setzte sich ein Paar Kopfhörer auf und drehte an den Reglern des Funkgerätes herum, bis er die richtige Frequenz gefunden hatte.

„Ich bin’s“, sagte er, sobald er zwischen den knisternden Hintergrundgeräuschen hörte, wie Sam sich meldete. „Wie lange brauchst du noch? Dein Viertel-vor-zwei-Flug wird langsam ungeduldig.“

„He, Kumpel.“ Sam klang freudig überrascht. „Ich dachte, du wärst schon weg. Ich versuche seit einer Stunde, Ruth zu erreichen. Wo ist sie?“

„Da, wo ich nicht bin“, erwiderte Nick nüchtern. Er brauchte nicht weiter zu erklären, warum die Sekretärin beschlossen hatte, durch Abwesenheit zu glänzen, bis er fort war. Sam wusste, wie sentimental Ruth hinter ihrer rauen Fassade war.

„Was ist jetzt mit deinem Fluggast? Was soll ich ihr sagen?“

Nur mit Anstrengung konnte Nick Sams immer wieder durch Rauschen und Knacken unterbrochener Antwort entnehmen, dass es noch mindestens eine Stunde dauern würde, bis Sam zurück auf Harbor sein würde. Er hatte vor, die Postrunde zu unterbrechen, Melissa abzusetzen und danach die restlichen Pakete auszuliefern.

„Außer, du könntest Dr. Porter vielleicht mitnehmen“, meinte Sam. Die Verbindung wurde wieder besser. „Sie muss zum North Fork River Wildpark. Ich weiß, es wäre ein kleiner Umweg, und es ist mir unangenehm, dich darum zu bitten, aber du tätest mir wirklich einen großen Gefallen damit. Heute ist Andys Geburtstag, und …“

Richtig. Heute Nachmittag sollte eine kleine Party für Sams Stiefsohn stattfinden. Daran hatte Nick gar nicht mehr gedacht. Obwohl T.J. ihn sogar eingeladen hatte. Als gehörte er zur Familie. Ebenso wie Zach und seine Frau Lauren.

Ein weiterer Grund, von Harbor zu verschwinden, dachte Nick. Seine Freunde führten gute Ehen, hatten eine Familie, die ihnen Geborgenheit gab, und blühende Unternehmen, die ihnen nicht nur Geld, sondern auch persönliche Erfüllung brachten. Er dagegen …

Sams Bitte kam ihm mehr als ungelegen. Hätte er eine Wahl gehabt, wäre er eher die ganze Strecke bis nach Seattle geschwommen, als den Umweg über San Juan in Kauf zu nehmen, noch dazu in Gesellschaft der jungen, hübschen Miss Porter.

„Geht klar“, übernahm er dennoch den Flug.

Nachdem Sam sich hörbar erleichtert bei ihm bedankt und die beiden sich verabschiedet hatten, schaltete Nick das Funkgerät aus und gab dem Kopfhörer einen kleinen Schubs nach hinten, so dass er auf seinen Schultern zu liegen kam. So blieb er sitzen. Es verging fast eine ganze Minute, bis er sich schließlich bewegte. Er atmete tief ein und fuhr sich genervt mit der Hand übers Gesicht. Sam gehörte zu den wenigen Menschen, denen Nick vertraute. Er und sein Partner Zach waren zwar der Ansicht, Nick habe ihnen durch sein plötzliches Auftauchen aus der Klemme geholfen, er selbst wusste jedoch, dass es genau umgekehrt war. Ohne die Beschäftigung, die die beiden ihm angeboten hatten und die ihn von seinen trüben Gedanken ablenkte, wäre er wahrscheinlich verrückt geworden.

Er stieg aus dem Cockpit und gestikulierte in die Richtung, wo Melissa ihren Truck abgestellt hatte. „Diese Kojoten sind hoffentlich in Käfigen?“

Nick war sich nicht sicher, wie viel Dr. Porter von seinem Gespräch mit Sam gehört hatte, aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen konnte es nicht viel gewesen sein.

„Ja, natürlich“, antwortete sie verwundert.

„Ich brauche das Gewicht der Tiere. Und der Transportkäfige.“

„Es ist eigentlich nur einer. Er wiegt ungefähr zehn Pfund, und meine Babys würde ich auf jeweils zwanzig Pfund schätzen.“

Nick kniff skeptisch die Augen zusammen. Ein zwanzig Pfund schwerer Kojote entsprach nicht unbedingt seiner Vorstellung von einem Tierbaby.

„Dann rein in den Laderaum mit ihnen.“

Melissas Verwirrung war mittlerweile perfekt. „Soll das heißen, Sie fliegen uns?“

Das hatte er wohl vergessen zu erwähnen. „Ja, tue ich.“

Melissas strahlendes Lächeln traf ihn völlig unvorbereitet. Es war warm und voll aufrichtiger Herzlichkeit.

„Ich danke Ihnen“, flüsterte sie, bevor sie sich umdrehte und zu ihrem Wagen lief.

„Kein Problem“, murmelte Nick.

Er kletterte zurück ins Cockpit und kramte die Karte hervor, um seine neue Flugroute zu planen.

Wenig später sprang Melissa auch schon vom Fahrersitz des – aus der Nähe betrachtet – ziemlich altersschwach aussehenden Trucks, den sie so dicht wie möglich an die Rollbahn herangefahren hatte. Der Truck gehörte zum Inventar der Tierarztpraxis vom alten Doc Jackson. Sie bedankte sich erneut bei Nick, der ebenso gleichgültig darauf reagierte wie beim ersten Mal. Noch immer strahlte er diese seltsame Anspannung aus, wirkte aber wenigstens nach außen hin ruhiger, kontrollierter.

Abschätzend besah er sich den robusten, aber schäbigen Transportkäfig aus Plastik. Durch das Gitter auf der Vorderseite konnte man einen der gelbbraunen, pelzigen Kameraden erkennen. Er saß auf seinen Hinterpfoten, den Kopf zurückgelegt und beschnüffelte aufgeregt die Decke des Käfigs. Der zweite Kojote war dunkler und ein bisschen kleiner, schien aber ebenso nervös zu sein wie sein Leidensgenosse, der jetzt ein markerschütterndes Heulen von sich gab.

„Sieht so aus, als seien sie nicht betäubt worden“, stellte Nick trocken fest.

Melissa wühlte gerade im Handschuhfach des Trucks herum, auf der Suche nach ihren Unterlagen. Sie blickte hoch.

„T.J.s Mann sagte, der Flug würde nicht sehr lange dauern. Außerdem musste ich ihnen gestern schon eine Narkose geben, damit ich die Peilsender einpflanzen konnte. So eine Betäubung ist eine große Belastung für ein Tier, wissen Sie?“ Sie wandte sich wieder dem Handschuhfach zu. „Nur eine Sekunde, dann helfe ich Ihnen, den Käfig zu verstauen“, bemerkte sie, doch als sie wieder aufsah, hatte Nick das schwere Behältnis bereits zum Heck des Flugzeuges getragen.

Die Laderampe reichte ihm bis zur Schulter, doch er wuchtete den Käfig samt Inhalt scheinbar mühelos darüber hinweg in den Frachtraum.

Inzwischen hatte auch der zweite Kojote in das Heulen des anderen eingestimmt.

„Werden die das die ganze Zeit machen?“, wollte Nick wissen.

„Sie haben Angst.“

Der Blick, mit dem Nick ihre Erklärung quittierte, verriet Melissa, dass es nicht genau das war, wonach er gefragt hatte.

„Könnte schon sein“, gab sie zu. „Sie sind eingesperrt, und das ist immer ein Schock für Tiere, die daran gewöhnt sind, im Freien umherzustreifen.“

Wieder verschwand ihr Kopf im Inneren des Trucks, denn ihr war gerade noch rechtzeitig die Schachtel mit den pflanzlichen Tabletten eingefallen, die sie extra mitgenommen hatte, falls sie reisekrank werden sollte. Reisekrank? Sie hielt inne.

„Der Flug dauert doch bloß eine halbe Stunde, oder?“

Nick schien die plötzliche Beunruhigung in Melissas Stimme bemerkt zu haben.

„Ungefähr fünfundzwanzig Minuten, nach meinen Berechnungen“, beruhigte er sie. „Wenn wir Rückenwind haben, wahrscheinlich sogar weniger.“

Metallene Druckklemmen der Sicherheitsriemen schnappten mit einem klickenden Geräusch ein, als Nick den Transportkäfig festzurrte. „Die gehört unter ihren Sitz“, verlangte Nick und deutete auf die Tasche, die Melissa sich unter den Arm geklemmt hatte. „Geben Sie her, ich mache das schon. Sie können inzwischen Ihr Auto wegfahren.“

Der Mann beabsichtigte offenbar, keine Zeit zu verlieren. Das war Melissa nur recht angesichts der Tatsache, dass sie selbst nicht gerade übermäßig viel davon hatte, wenn sie es schaffen wollte, wieder zurück zu sein, bevor ihre Schwester auf Harbor eintreffen würde.

Als Melissa vom Parkplatz am Rande der Rollbahn zurückkam, hatten die Kojoten entweder von selbst aufgehört zu heulen, oder sie wurden von dem ohrenbetäubenden Dröhnen des Flugzeugmotors übertönt. Wie auch immer, alles, was Melissa hörte, waren das vibrierende Motorengeräusch und ihr eigenes Herz, das ihr bis zum Hals klopfte.

Nick erschien in der offenen Einstiegsluke. Er trug jetzt eine dunkelbraune Lederjacke, die er vorhin noch nicht angehabt hatte. Die Jacke ließ seine ohnehin breiten Schultern noch breiter erscheinen.

„Benutzen Sie die Stufen“, rief er Melissa zu, kniete sich hin und streckte eine Hand aus, um der Tierärztin zu helfen. Sie nickte und … blieb wie angewurzelt stehen.

„Stimmt was nicht?“ Nick runzelte die Stirn.

„Nein, nein. Alles in Ordnung“, log Melissa, hauptsächlich, um sich selbst davon zu überzeugen. Sie musste sich zusammenreißen. „Ich hatte bloß überlegt, ob ich etwas vergessen habe.“ Meinen Verstand zum Beispiel, dachte sie sarkastisch. Entschlossen ergriff sie die Hand des Piloten und kletterte die schmale Trittleiter hoch.

Als sie oben angekommen war, ließ Nick sie los und trat einen Schritt zur Seite, um sie vorbeizulassen. Melissa duckte sich, damit sie sich nicht den Kopf an der Kante der niedrigen Eingangsluke stieß, und schlüpfte an Nick vorbei ins Flugzeuginnere, nicht ohne dabei unsanft mit seiner Schulter zu kollidieren.

„Entschuldigung“, murmelte sie.

Autor

Christine Flynn

Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...

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