ich werde Dich heiraten, Chérie

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Ein Sturm widersprüchlicher Gefühle tobt durch Sarah, als sie den vermögenden Alex Terzakis hitzig auffordert, sie zu heiraten. Nicht im Traum denkt sie daran, dass er darauf eingeht! Aber Irrtum: Mit einem verheißungsvollen Lächeln erklärt Alex sich bereit...


  • Erscheinungstag 29.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778811
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sarah stand wie erstarrt vor der Glasscheibe. Ihr brannten die smaragdgrünen Augen, ihr ganzer Körper schmerzte von der Anstrengung, sich aufrecht zu halten. Jede schreckliche Stunde, jede Minute dieser endlosen Nacht hatte sich ihr ins Gedächtnis gebrannt. Das fein gezeichnete, bleiche Gesicht zur Maske erstarrt, beobachtete sie, wie die Säuglingsschwester auf der anderen Seite der Scheibe ihr lächelnd das Baby zeigte.

Sie weiß es wahrscheinlich nicht, dachte Sarah benommen und bemerkte nicht einmal, dass die Frau jetzt nicht mehr lächelte. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf ihren Neffen gerichtet.

Nichts an ihm erinnerte an Callie. Man sah ihm seine südländische Herkunft deutlich an, von den schwarzen Haaren und der dunklen Haut bis zu den wütend blickenden braunen Augen. Er schrie aus Leibeskräften. Spürte er etwa, dass seine Mutter tot war? Tot. Sarah wandte sich ab und ging auf unsicheren Beinen den Korridor entlang.

Heutzutage starben Frauen doch nicht mehr im Kindbett! Für sie war Callie noch gar keine Frau gewesen, sondern ein Teenager an der Schwelle zur Erwachsenen. Eine Achtzehnjährige, schön, intelligent, lebensfroh … Bis Damon Terzakis aufgetaucht war und dieses Leben zerstört hatte. Sarah fühlte eine so abgrundtiefe Bitterkeit in sich aufsteigen, dass es sie ängstigte.

„Miss Hartwell …“

Sie kannte diese Stimme, und der harte, kalte Ton ging ihr durch Mark und Bein. Langsam schaute sie hoch und sah ihn auf sich zukommen, einen Mann, den nur wenige Frauen übersehen würden. Er musste mindestens einen Meter neunzig groß sein. Unter dem maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug ahnte man breite Schultern und lange, kräftige Beine. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers und strahlte die natürliche Autorität eines Mannes aus, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte.

Sarah betrachtete ungläubig die schmale, feingliedrige Hand, die er ihr entgegenstreckte. „Ich möchte Ihnen mein tiefes Beileid zum Tod Ihrer Schwester aussprechen“, sagte er rau.

Sarah trat einen Schritt zurück, um jeglichen körperlichen Kontakt zu vermeiden. „Was wollen Sie hier?“, fragte sie mit bebender Stimme.

„Sie haben eine Nachricht bei meiner Sekretärin hinterlassen“, erinnerte er sie.

„Callie wollte es so“, erwiderte Sarah. „Aber ich habe nicht Sie hergebeten, Mr. Terzakis, sondern Ihren Bruder.“

„Damon ist in Griechenland.“ Alexis Terzakis sah sie mit eisigem Blick an. „Ich habe ihn bereits über den Tod Ihrer Schwester informiert. Er war tief betroffen.“

Sarah lachte ironisch auf. „Tatsächlich?“

„Ich würde gern meinen Neffen sehen“, erwiderte Alexis kühl, ohne auf ihre Frage einzugehen.

„Nein!“, stieß Sarah hervor, und sie erschauerte vor Abneigung. Sie hasste und verabscheute Alex Terzakis mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. In den vergangenen Monaten war dieser Hass in ihr immer größer geworden, hatte an ihr genagt, bis er alle anderen Gefühle auslöschte.

„Ihr Recht ist nicht größer als meines …“

„Recht?“, wiederholte Sarah, beinahe hysterisch. „Nach allem, was Sie Callie angetan haben, wagen Sie es, von Recht zu sprechen? Sie machen mich krank!“

„Beruhigen Sie sich“, erklärte Alex Terzakis scheinbar kühl. Doch seine gebräunten Wangen hatten sich gerötet, und er presste die vollen Lippen zusammen.

Alex Terzakis war einen solchen Ton nicht gewohnt. Er war unglaublich reich und mächtig. Seine Untergebenen fürchteten ihn, seine Familie sah in Ehrfurcht zu ihm auf. Doch Sarah hatte keine Angst vor ihm. Sie hätte zwanzig Jahre ihres Lebens gegeben, um es Alex Terzakis heimzuzahlen.

„Sie haben sie getötet – durch Ihre Gemeinheit! Hoffentlich sind Sie jetzt zufrieden!“ Sarah wollte an ihm vorbeigehen.

„Miss Hartwell.“ Er packte sie am Handgelenk.

„Lassen Sie mich los, Sie Schuft!“, zischte sie wütend.

„Wenn ich nicht Verständnis für Ihre begründete Trauer hätte, würde ich jetzt eine Entschuldigung von Ihnen verlangen“, erwiderte Alex aufgebracht und sah aus glitzernden Augen auf sie hinunter. „Aber dies ist nicht der Ort dafür. Nehmen Sie sich zusammen, bevor ich die Beherrschung verliere!“

Sarah schwankte, als würde sie im Sturm stehen, und Alex’ schmerzhafter Griff um ihr Handgelenk machte sie blind vor Wut. Mit der freien Hand holte sie aus und schlug ihm mit voller Kraft in das dunkle, arrogante Gesicht. Er stieß einen ungläubigen Laut aus, gab sie frei und presste sich eine Hand gegen die Wange.

Sarah taumelte leicht. „Kommen Sie nie wieder in meine Nähe!“, fuhr sie ihn an, selbst entsetzt über ihren ungewohnten Gewaltausbruch.

Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sie den Blick seiner ungläubig geweiteten goldbraunen Augen auf sich gerichtet. Dann wandte sie sich unvermittelt um, ging hocherhobenen Kopfes den Korridor entlang und verließ das Krankenhaus.

Sie stand so sehr unter Schock, dass ihr nicht einmal bewusst war, wohin sie ging. Immer noch konnte sie nicht begreifen, dass Callie tot war. Ihre Eltern waren bei einem Autounfall gestorben, als Sarah siebzehn und Callie elf gewesen waren. Sie hatten kein Geld hinterlassen.

„Kümmere dich um Callie“, waren Mary Hartwells letzte Worte gewesen, die sie an ihre älteste Tochter gerichtet hatte, bevor sie auf der Intensivstation starb.

Sarah verließ die Schule und gab jede Hoffnung auf eine eigene Ausbildung auf, um für ihre Schwester zu sorgen. Sie überredete Gina, eine Cousine ihres Vaters, sie beide aufzunehmen. Mit Gina als Vormund erlaubte das Jugendamt, dass die beiden Schwestern zusammenblieben. Tagsüber arbeitete Sarah als Kellnerin, um dann abends auch noch hinter Gina herzuräumen, die sie als unbezahlte Haushaltshilfe betrachtete und ihr zudem einen großen Teil ihres kärglichen Lohns abnahm.

Sobald sie achtzehn war, suchte Sarah eine eigene Wohnung und tat ihr Bestes, um Callie ein liebevolles und sicheres Zuhause zu geben. Ihre Schwester kam für sie immer an erster Stelle. Und Callie blühte auf. Sie wuchs zu einer langbeinigen blonden Schönheit voller Anmut und Charme heran. Es gelang Sarah sogar, ihre lebenshungrige Schwester zu überzeugen, wie wichtig eine gute Ausbildung war.

Callie machte das Abitur und ging nach Oxford, um Sprachen zu studieren. Sarah war stolz wie eine Mutter auf ihr Kind. Um Callie ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, arbeitete sie zusätzlich stundenweise an den Abenden. Alles lief gut, bis Damon Terzakis in das Leben ihrer Schwester trat.

„Ich habe da einen tollen Griechen kennengelernt“, schwärmte Callie am Telefon. „Er sieht einfach umwerfend aus, ist reich und ganz verrückt nach mir …“

„Das klingt zu schön, um wahr zu sein“, sagte Sarah beunruhigt. Callie war von Jugend auf gewöhnt, die Aufmerksamkeit von Männern auf sich zu ziehen, aber noch keiner hatte so großen Eindruck auf sie gemacht wie dieser.

Erst einige Wochen später lernte Sarah ihn kennen. Damon war fünfundzwanzig, sah sehr gut aus, wirkte unbekümmert und strahlte einen jungenhaften Charme aus. Er verschlang Callie geradezu mit Blicken, während er so höflich und ehrerbietig mit Sarah redete, als wäre sie Callies Mutter und nicht ihre Schwester. Schließlich kam Sarah sich vor wie eine fünfzigjährige Matrone.

Damon betonte immer wieder seine ehrlichen Absichten. Er griff nach Callies Hand und sagte: „Ich liebe Ihre Schwester sehr und möchte sie heiraten.“

Sarah lächelte höflich, war aber insgeheim entsetzt. In ihren Augen war Callie noch viel zu jung für eine Heirat. Sie befürchtete, dass ihre Schwester möglicherweise ihr Studium aufgeben oder es zumindest vernachlässigen würde. Doch Sarah war klar, dass sie hier nur mit Geschick weiterkommen würde. Callie konnte sehr dickköpfig sein. Ein Wort in dieser Richtung, und sie würde sich schon aus Trotz auflehnen.

„Natürlich werden wir mit der Heirat noch ein wenig warten“, erklärte Damon glatt.

Sarah quittierte es mit einem strahlenden Lächeln. „Das ist sehr vernünftig. Ihr beide habt ja noch viel Zeit.“

„Red doch keinen Unsinn, Damon“, fauchte Callie und entzog ihm unvermittelt die Hand.

„Aber wir waren uns doch einig, Callie“, protestierte Damon und wandte sich wieder an Sarah: „Unsere Liebe muss sich im Lauf der Zeit erst beweisen, bevor ich darauf hoffen kann, die Zustimmung meines Bruders zu bekommen.“

„Die Zustimmung Ihres Bruders?“, wiederholte Sarah verwirrt.

„In griechischen Familien herrscht eine strenge Hierarchie“, erklärte Callie abschätzig. „An der Spitze steht immer ein Mann, und da Damons Vater tot ist, ist sein Bruder Alexis die Nummer eins in der Terzakis-Sippe.“

Damons Wangen hatten sich leicht gerötet, und er warf Callie einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Du solltest dich nicht über Damons Bruder lustig machen“, warf Sarah ihrer Schwester vor, während sie später in der winzigen Küche das Abendessen zubereitete. „Er war beleidigt …“

„Unsinn!“, sagte Callie störrisch. „Er ist ein erwachsener Mann und hat einen verantwortungsvollen Posten. Aber er redet ständig von Alex wie von einer Art Halbgott – Alex hier, Alex da. Wie ein kleiner Junge!“

„Damon ist Grieche“, erinnerte Sarah sie sanft. „Seine Kultur, Herkunft und Erziehung unterscheiden sich sehr von deiner. Wenn du ihn wirklich liebst, musst du das akzeptieren.“

Sarah erwachte aus ihren Erinnerungen und fand sich auf einer Parkbank gegenüber dem Krankenhaus wieder. Wenn sie daran dachte, wie erleichtert sie damals gewesen war, weil Damon unbedingt die Zustimmung seines Bruders zur Heirat hatte abwarten wollen!

Ernstlich beunruhigt war sie erst gewesen, als sie in den Fernsehnachrichten den Namen Terzakis hörte und einen unglaublich gut aussehenden Mann erblickte, der von Journalisten umringt war und sich weigerte, einen Kommentar zum Erwerb einer New Yorker Firma abzugeben. Am nächsten Tag kaufte sie sich eine seriöse Tageszeitung und las mit wachsender Bestürzung alles über Alexis Terzakis. Abends rief sie Callie an und bat sie, sofort nach Hause zu kommen. Callie gehorchte nur widerwillig und verlangte eine Erklärung für all die Aufregung.

„Du hast gesagt, Damon sei Geschäftsführer eines Hotels in Oxford“, erinnerte Sarah sie. „Mir unterschlagen hast du aber, dass die Terzakis Milliardäre sind!“

„Alex ist der Milliardär“, erwiderte Callie trocken. „Damon bekommt nur ein Taschengeld.“

„Ich dachte, die Terzakis seien Hoteliers …“

Callie lachte laut auf. „Sarah, liest du denn keine Zeitung? Damons Familie besitzt eine Reederei, eine internationale Hotelkette, Finanzierungsgesellschaften … alles, was du dir vorstellen kannst!“

Sarah war entsetzt. Damon hatte es sich bei seinem Besuch so natürlich und ohne eine Spur Unbehagen in ihrem schäbigen Wohnzimmer bequem gemacht, dass sie gar nicht auf den Gedanken gekommen war, er könne aus so reichen Verhältnissen stammen. Sie erinnerte sich, dass Callie ihm erzählt hatte, ihre Schwester sei Sekretärin, um dann schnell das Thema zu wechseln.

Tatsächlich war Sarah nur eine kleine Angestellte in der Registratur einer großen Firma, ohne Hoffnung auf Beförderung, denn zur Weiterbildung fehlte ihr die Zeit. Seit Jahren besserte sie ihr Gehalt als Kellnerin oder Putzfrau auf.

Insgeheim hatte es sie verletzt, als Callie sie vor Damons erstem Besuch bat, diese Nebenjobs besser nicht zu erwähnen. Ihre Schwester fand es nicht passend, dass sie sich zu solch niederen Tätigkeiten herabließ, und Sarah verstand sie sogar. Callie wollte immer etwas Besonderes sein, und ihre unsichere Existenz war ihr im Umgang mit den Kommilitonen aus wohlhabenden Elternhäusern erst richtig bewusst geworden. Sie wollte niemanden wissen lassen, dass sie ihr Geld von einer Schwester bekam, die nach Feierabend als Putzfrau arbeitete.

Und nun war Callie tot. Sarah fuhr sich mit bebenden Händen über die Stirn, als könnte sie den Schmerz verscheuchen, der sie zu ersticken drohte. Sie konnte sich ein Leben ohne Callie nicht vorstellen. Callie, mit ihrer Energie, der ewigen Unordnung und ihren Launen. Sarah war sechs gewesen, als Callie geboren wurde, und zur Erleichterung ihrer Eltern hatte sie nicht das leiseste Anzeichen von Eifersucht gezeigt, sondern war ganz vernarrt in ihre kleine Schwester. Sie las Callie vor, tröstete sie, wenn sie hinfiel, lehrte sie Kinderlieder und half ihr später bei den Schularbeiten. Da beide Eltern berufstätig waren, war ihr schon früh die Aufgabe zugefallen, sich um Callie zu kümmern, wenn ihre Mutter zu müde oder zu beschäftigt gewesen war.

„Miss Hartwell.“

Langsam hob Sarah den schmerzenden Kopf und sah ungläubig Alex Terzakis vor sich stehen. In diesem verwahrlosten Park wirkte er seltsam deplatziert.

„Erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu bringen“, sagte er.

Sarah lachte laut auf, eine Spur von Hysterie in der Stimme. Dann barg sie das Gesicht in den Händen. Gleich würde sie zusammenbrechen, und ausgerechnet in seiner Gegenwart. Was, um alles in der Welt, wollte dieser miese Typ von ihr? Konnte er sie nicht einmal in ihrer Trauer allein lassen?

Vor wenigen Stunden erst hatte man sie vom Bett ihrer Schwester weggerissen, während Ärzte und Krankenschwestern Callie ins Leben zurückzurufen versuchten. Doch trotz aller Bemühungen starb Callie, einst die Spitzensportlerin des Leichtathletikteams ihrer Schule, kurz vor ihrem neunzehnten Geburtstag an Herzversagen. Sarah war am Boden zerstört, aber erst das Gespräch mit dem Arzt versetzte ihr den letzten, vernichtenden Schlag.

Schon im Anfangsstadium ihrer Schwangerschaft war bei den Routineuntersuchungen festgestellt worden, dass Callie ein schwaches Herz hatte. Man riet ihr zu einem Abbruch, doch sie weigerte sich und vertraute sich nicht einmal ihrer Schwester an. Sarah war zwar erstaunt über Callies häufige Arztbesuche, hatte aber keine Ahnung, dass etwas nicht stimmen könnte.

„Callie war fest entschlossen, das Baby zu bekommen“, hatte der Arzt gesagt. „Vielleicht hat sie Ihnen nichts davon erzählt, weil sie Angst hatte, Sie würden sie davon abzubringen versuchen.“

„Miss Hartwell?“, wiederholte Alex Terzakis ungeduldig.

Bitte, lieber Gott, lass ihn sich in Luft auflösen, betete Sarah fieberhaft. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wiegte sich unwillkürlich vor und zurück.

„Ich kann Sie in diesem Zustand nicht allein lassen“, fuhr er fort. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie sicher nach Hause kommen. Und selbstverständlich kümmere ich mich auch um die Beerdigung …“

„Sie verdammter Mistkerl!“ Sarah fluchte zum ersten Mal in ihrem Leben. Bei seinen Worten hatte sie ein unwirkliches Gefühl des Grauens erfasst. „Nachdem Sie sie in Ihrer Familie nicht haben wollten, können Sie es gar nicht abwarten, sie zu begraben!“

„Ich werde mich nicht weiter in aller Öffentlichkeit von Ihnen beleidigen lassen“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Eine Aura wilden, kaum verhüllten Zorns umgab ihn, den sie fast körperlich zu spüren meinte, ein sehr befriedigendes Erlebnis für sie.

„Warum tun Sie dann nicht etwas dagegen?“ Sarah sah ihm direkt in die wütend blickenden goldbraunen Augen, die von dichten dunklen Wimpern umgeben waren. Seltsamerweise wurde ihr für den Bruchteil einer Sekunde schwindlig. Sie hob das Kinn. „Verschwinden Sie.“

„Wenn Sie ein Mann wären …“, begann er, außer sich vor unterdrücktem Zorn. Sein gebräuntes Gesicht war bleich geworden, und die Wangenknochen traten scharf hervor.

„Dann wären Sie tot“, flüsterte Sarah mit bebender Stimme. „Ich hätte Sie längst getötet für das, was Sie Callie vor fünf Monaten in Ihrem Büro angetan haben!“

Alex betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen: ihre zerbrechliche Gestalt, die grünen Augen, die fast zu groß für ihr schmales Gesicht wirkten. „Ich wollte Ihnen nur meine Hilfe anbieten, denn diese Situation belastet uns alle sehr.“

Noch während er das sagte, drehte er sich um und ging davon, und unwillkürlich musste sie seine Haltung bewundern. Doch dann wurde ihr wieder bewusst, dass Callie fort war – für immer. Die ganze Zeit hatte Sarah nicht weinen können, obwohl sie sich danach gesehnt hatte. Doch nun stürzten die Tränen nur so hervor und strömten ihr die Wangen hinab. Lautlos schluchzte sie vor sich hin und war nur froh, dass Alexis Terzakis es nicht mehr sah.

„Du wirst nicht glauben, wer gerade gekommen ist.“ Die Begräbnisfeier hatte gerade begonnen, da stieß Gina Sarah den Ellbogen in die Seite, das zu stark geschminkte Gesicht verzerrt vor Neugier. „Das müssen sie sein – natürlich, wer sonst?“

„Still“, flüsterte Sarah und senkte den Kopf, während der Pfarrer ein Gebet sprach.

Alex und Damon Terzakis. Der Anblick der beiden neben dem Grab war für sie wie ein Schlag ins Gesicht, und ohnmächtiger Zorn stieg in ihr auf. Die Gegenwart der Brüder bedeutete eine Entweihung von Callies Andenken. Wie konnten sie es wagen, hierherzukommen, nachdem sie ihrer Schwester in den letzten Monaten das Leben zur Hölle gemacht hatten? Damon hielt den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet. Er wirkte schlanker und älter, als sie ihn in Erinnerung hatte.

„Sehr anständig von ihnen herzukommen“, flüsterte Gina ihr zu. Sie war eine korpulente, redselige Frau Ende vierzig.

Die Trauergäste, überwiegend Callies Schulfreunde, kondolierten Sarah und gingen. Von Callies Kommilitonen war keiner erschienen, denn sie hatte schon vor Monaten die Universität verlassen und jeden Kontakt zu ihnen abgebrochen.

Ohne ein weiteres Wort drehte Gina sich plötzlich um und ging entschlossen auf Alex und Damon zu. Wütend über diesen Verrat, ging Sarah mit dem Pfarrer weiter und verabschiedete sich neben Ginas Auto von ihm.

Beim Anblick der ein Stück entfernt geparkten schwarzen Limousine mit den getönten Scheiben und dem Chauffeur drehte sich ihr der Magen um. Und sie hatte sich nicht einmal einen teuren Leichenwagen leisten können. Dann sagte sie sich, dass solche Dinge nicht wichtig waren. Wichtig war jetzt nur ihr kleiner Neffe.

„Ich werde ihn Dimitrios nennen, nach Damons Vater“, hatte Callie vor einigen Monaten verkündet. Sie wollte unbedingt wissen, ob sie einen Sohn oder eine Tochter bekommen würde, und nach der Ultraschalluntersuchung war sie überglücklich, dass ihr ungeborenes Kind ein Junge war.

„Damon wird bestimmt sofort kommen, um seinen Sohn zu sehen“, prophezeite sie und klopfte sich fast selbstgefällig auf den dicken Bauch.

Sarah war verblüfft über Callies naiven Glauben an den Mann, der sie mit einem Kind sitzen gelassen hatte. Doch sie hütete sich, ihrer Schwester das zu sagen, um Callie während ihrer Schwangerschaft nicht unnötig aufzuregen. Insgeheim fürchtete Sarah sich vor der Zeit nach der Geburt, wenn Callie mit der grausamen Wahrheit konfrontiert werden würde. Sie würde vergeblich auf den stolzen Vater ihres Kindes warten. Damon war ein Feigling, der unter der Fuchtel seines großen Bruders stand. Nach dessen Drohung, ihn zu enterben und aus der Familie auszustoßen, hatte sich Damons angebliche Liebe zu Callie sehr schnell in Luft aufgelöst!

Gina erschien wieder, einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht, und schloss den Wagen auf.

„Warum hast du mit ihnen gesprochen?“, fragte Sarah zornig.

„Weil du dich so dumm benommen hast!“, sagte Gina freimütig. „Wenn du das Baby behalten willst, dann schluck deine Wut hinunter und lass sie bezahlen!“

„Lieber sterbe ich!“, stieß Sarah hervor.

„Er ist schließlich Dimis Vater, oder?“, erinnerte Gina sie. „Und ich wette, die Terzakis lassen es sich etwas kosten, die Geschichte nicht in die Zeitungen kommen zu lassen.“

„Gina …“ Doch Sarah war nicht einmal erstaunt über die berechnende Art der älteren Frau.

„Sei doch mal realistisch, Liebes“, fuhr Gina sanfter fort. „Ich finde es zwar verrückt, dass du Dimi behalten willst, aber du warst ja schon immer ein mütterlicher Typ. Also zieh ihn auf, und lass sie ordentlich dafür bluten!“

„Ich will aber nichts von denen!“

„Dann wirst du von Sozialhilfe leben müssen“, erklärte Gina trocken. „Und das Sozialamt wird sich an Damon wenden.“

„In Griechenland?“ Sarah lachte, doch es klang eher wie ein Schluchzen.

„Nun, es wäre nicht sehr schwierig, ihn zu finden, oder? Callie hätte das Beste für ihren Sohn gewollt. Und du solltest dich endlich mit der Tatsache abfinden, dass Callie sehr wohl wusste, was sie tat, als sie schwanger wurde.“

„Wie bitte?“ Sarah betrachtete Gina schockiert.

„Meiner Meinung nach war es kein Unfall. So leichtsinnig war Callie nicht. Sie wollte Damon, und als es mit ihm nicht nach ihren Wünschen lief, wurde sie eben schwanger“, erklärte Gina. „Seit Jahrhunderten benutzen Frauen diese Methode, um Männer an sich zu binden, Liebes. Nur hat sich deine Schwester leider verrechnet.“

„Das glaube ich nicht.“ Es fiel Sarah schwer, ihren Ärger zu unterdrücken. „Callie hat nicht versucht, Damon einzufangen. Er wollte sie doch heiraten – er hatte ihr sogar schon einen Verlobungsring gekauft …“

„Und wo war er dann, als sie ihn brauchte? In Griechenland!“, stieß Gina zynisch hervor. „Sie hat ihn nie wieder gesehen. Nicht einmal auf ihre Briefe hat er geantwortet. Diese kleine Ratte! Wenn Dimi nicht wäre, würde ich die beiden mit Vergnügen im Garten verscharren! Obwohl es bei seinem Bruder eine wirkliche Verschwendung wäre“, fügte sie nachdenklich hinzu. „Er ist einfach fabelhaft! Eine Figur wie Apollo …“

Eine Nachbarin hatte während der Beerdigung auf Dimi aufgepasst. Erst gestern hatte Sarah ihn aus dem Krankenhaus geholt, und als sie ihn jetzt ruhig in seiner Wiege schlafen sah, wurden ihr die Augen feucht. Inmitten all ihrer verzweifelten Trauer erschien ihr Callies Kind wie ein Geschenk Gottes. Sie fühlte, dass sie gebraucht wurde, und das gab ihr Kraft.

Gina wartete, die Miene verschlossen, im winzigen Flur. „Wenn du das Kind bei dir behältst, wirst du nie ein eigenes Leben haben. Hast du für Callie nicht schon genug geopfert?“

„Wovon, in aller Welt, redest du?“

„Davon, dass du erst vierundzwanzig bist, aber schon wie eine alte Jungfer aussiehst!“ Gina betrachtete Sarah resigniert: die silberblonden, zu einem strengen Zopf geflochtenen Haare, das ungeschminkte Gesicht, das konservative Kostüm, das bessere Tage gesehen hatte, und die flachen, bequemen Schuhe. „Hast du denn noch nie in deinem Leben einen Mann wirklich begehrt?“

Sarah lachte verlegen. Sie mochte es nicht, wenn Gina über Männer redete, als wären sie das Nonplusultra. Männer hatten ihr, Sarah, nie viel Beachtung geschenkt. Als Teenager war sie in der Schule wegen ihrer Schüchternheit und ihres Fleißes als Streberin verschrien gewesen. Und später hatte sie weder Zeit noch Gelegenheit, sich mit Männern zu treffen, obwohl sie einige Male mit Arbeitskollegen ausging. Doch schon bald entdeckte sie, dass sie nicht an ihr selbst interessiert waren, sondern einfach Sex wollten. Sarah war schüchtern und nicht gerade eine Schönheit, und diese Männer nahmen offensichtlich an, sie würde für ihre Aufmerksamkeit so dankbar sein, dass sie schon beim ersten Treffen mit ihnen ins Bett ginge.

Sie erinnerte sich an das demütigende Erlebnis mit dem Jungen, für den sie als Sechzehnjährige geschwärmt hatte. Er lud sie in die Disco ein, und sie schwebte wie auf Wolken – bis sie auf der Toilette unbemerkt mithörte, wie sich einige ihrer Klassenkameradinnen darüber lustig machten. Ashley hatte es wegen einer Wette getan. Jedes Kichern, jedes grausame Wort brannte sich ihr unauslöschlich ins Gedächtnis ein.

„Sie hat überhaupt keinen Busen.“

„Bei ihrer Intelligenz braucht sie auch keinen.“

„Aber von Ashleys Wette ahnt sie trotzdem nichts. Sie ist zu beschäftigt, ihn mit ihren großen Augen anzuhimmeln und sich lächerlich zu machen … Ich frage mich, wie weit sie ihn gehen lässt, wenn er mit ihr allein ist?“

„Schon der Gedanke, dass Ashley etwas an ihr liegt, ist …“ Der Rest des Satzes war in hemmungslosem Gelächter untergegangen.

„Sarah …“

Sie blinzelte benommen und kehrte in die Gegenwart zurück. Gina hatte ihr eine Hand auf den Arm gelegt. „Ich habe Alexis und Damon Terzakis hierher gebeten …“

„Was?“

„Jemand musste es doch tun“, erklärte Gina. „Du hast sie ja völlig übersehen.“

„Wenn du sie hereinlässt, gehe ich“, stieß Sarah wild hervor.

Gina schüttelte langsam den Kopf und betrachtete bekümmert Sarahs blitzende Augen und deren verzerrte Gesichtszüge. „Sarah, was ist in den letzten Monaten nur in dich gefahren?“, fragte sie ratlos. „Du kommst mir vor wie eine Fremde.“

Sarah ging die Treppe hinunter. „Mit mir ist alles in Ordnung.“

„Du warst immer so sanft und freundlich – beinahe zu sanft“, sagte die ältere Frau unbehaglich. „Doch seitdem du von Callies Schwangerschaft erfahren hast, bist du verändert. Ich weiß, wie sehr du Callie geliebt hast und wie du dich jetzt fühlen musst, aber Damon will seinen Sohn sicher sehen …“

„Dann braucht er einen Gerichtsbeschluss“, erklärte Sarah entschlossen. „Und ich werde alles tun, um das zu verhindern.“

„Aber sie kommen gleich hierher!“

„Darum kümmere ich mich schon.“

Kurz darauf schellte es. Gina warf ihr einen flehenden Blick zu und verschwand in der Küche, während Sarah die Schultern straffte und die Haustür öffnete. Vor ihr stand Alex Terzakis – allein. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte Sarah sich, hochhackige Schuhe zu tragen, denn er überragte sie um mindestens zwanzig Zentimeter.

Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. „Ich habe Sie nicht eingeladen.“

Plötzlich drückte er gegen die Tür, sodass sie Sarahs Hand entglitt und gegen den Tisch in der Halle knallte. Seine Gewalttätigkeit erschreckte Sarah, und instinktiv wich sie zurück, als er eintrat und die Tür hinter sich schloss.

„Und jetzt unterhalten wir uns“, erklärte er.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und seltsamerweise empfand sie so etwas wie Erregung. Die Spannung im Raum war fast körperlich spürbar.

Da sie wohl kaum in der Lage sein würde, ihn hinauszuwerfen, ging sie vor ihm her ins Wohnzimmer. „Offen gestanden, Mr. Terzakis, weiß ich nicht, worüber wir uns unterhalten sollten. Wo ist die kleine Ratte?“

„Ratte?“ Er betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen.

„Ihr kleiner Bruder, der Feigling“, erklärte Sarah höhnisch.

„Sie sind eine wahre Giftschlange. Irgendwann werde ich Sie zwingen, Ihre Zunge im Zaum zu halten!“, stieß Alex hervor, die Hände zu Fäusten geballt.

Sarah lachte zum ersten Mal seit Langem aus vollem Hals. Callie hatte ihr viel über Alexis erzählt. Doch nun hatte sie immer mehr das Gefühl, dass Damons Ehrfurcht vor seinem großen Bruder auf einem Trugschluss beruhte. Laut Damon war Alex ein Eisberg, sowohl geschäftlich als auch im Privatleben – aber warum wirkte er dann in ihrer Gegenwart wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch?

„Himmel – und das am Tag der Beerdigung!“ Alex blieb einige Meter von ihr entfernt stehen. Anscheinend traute er sich nicht näher heran. „Haben Sie denn gar keinen Anstand?“

„Ebenso viel wie Sie, als Sie mir vor fünf Monaten ins Gesicht sagten, meine Schwester sei ein billiges Flittchen!“, erwiderte Sarah bissig.

„Solche drastischen Worte habe ich nicht benutzt …“

„Sie sagten, sie sei hinter seinem Geld her und schlafe mit jedem – wo ist der Unterschied?“, fragte Sarah aufgebracht.

„Damals glaubte ich nicht an ihre Schwangerschaft.“ Es war Alex anzusehen, wie schwer ihm dieses Geständnis fiel.

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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