In deinen Armen will ich träumen

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Der heißblütige Italiener Luca Montese wünscht sich nur eines: ein Kind, das später sein Erbe antritt. Und wer käme als Mutter anderes infrage als seine große Liebe Rebecca, die er nie vergessen konnte? Das Wiedersehen mit ihr weckt jedoch noch ganz andere Wünsche in ihm...


  • Erscheinungstag 08.02.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787943
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sie war siebzehn und sehr hübsch. Wie erstarrt saß sie da und blickte aus dem Fenster, ohne die wunderschöne toskanische Landschaft wahrzunehmen.

Sie drehte sich nicht um, als die Tür geöffnet wurde und eine Krankenschwester in Begleitung eines Mannes mittleren Alters hereinkam. Er gab sich fröhlich, doch der Ausdruck in seinen Augen war kalt.

„Wie geht es meinem lieben Mädchen?“

Sie antwortete nicht und würdigte ihn keines Blickes.

„Ich habe jemanden mitgebracht, mein Schatz.“ Er wandte sich an einen jungen Mann, der hinter ihm stand. „Machen Sie schnell.“

Der junge Mann war zwanzig und sehr jungenhaft. Sein Haar war zerzaust, er hatte sich offenbar seit Tagen nicht mehr rasiert, und sein Blick verriet Wut und Verzweiflung. Schnell ging er zu dem Mädchen und kniete sich vor sie.

„Becky, mia piccina“, begann er flehend, „ich bins, Luca. Bitte sieh mich an. Du musst mir verzeihen. Sie sagen, unser Kind sei tot und es sei meine Schuld … Ich wollte dir nie wehtun … Hörst du mich?“

Sie drehte sich zu ihm um, schien ihn allerdings nicht zu erkennen. Ihre Augen wirkten leblos.

„Hör mir zu“, fuhr er fort. „Es tut mir so leid, piccina. Verdammt, Becky, sag mir, dass du mich verstehst!“

Sie schwieg immer noch. Er streckte die Hand aus und strich ihr das hellbraune Haar aus dem Gesicht. Sie rührte sich nicht.

„Ich habe unsere Tochter nicht gesehen“, sagte er rau. „War sie genauso hübsch wie du? Hast du sie in den Armen gehalten? Rede mit mir! Sag mir, dass du mich erkennst und mich immer noch liebst. Ich werde dich bis an mein Lebensende lieben. Sag mir nur, dass du mir verzeihst. Ich habe dir so viel Kummer bereitet, und dabei wollte ich dich nur glücklich machen. Rede endlich mit mir, verdammt!“

Doch sie schwieg weiter und sah nur aus dem Fenster. Er barg das Gesicht in ihrem Schoß und begann zu schluchzen.

1. KAPITEL

Die Worte hoben sich in scharfem Kontrast zu dem weißen Papier ab.

Ein Junge. Gestern geboren. 3.799 Gramm.

Eigentlich hätte es eine frohe Botschaft sein sollen. Für Luca Montese bedeuteten diese Worte jedoch, dass seine Frau einem anderen Mann ein Kind geschenkt hatte und nicht ihm. Dass alle erfahren würden, wie sehr sie ihn gedemütigt hatte. Er verfluchte sich, weil er so blind gewesen war. Ohne sich dessen bewusst zu sein, wirkte er in dem Moment richtig furchteinflößend.

Aus Angst vor dieser Seite an ihm hatte Denise ihn vor sechs Monaten verlassen, gleich nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Als er nach Hause kam, war sie weg. In einer Notiz teilte sie ihm mit, es gebe einen anderen Mann und sie sei schwanger. Er brauche sie nicht zu suchen. Das war alles.

Sie hatte alles mitgenommen, was er ihr je geschenkt hatte, ihren ganzen Schmuck und all ihre Designersachen. Rasend vor Wut, hatte er sich die besten Anwälte genommen, bis sie sich schließlich mit dem begnügt hatte, was sie bereits mitgenommen hatte.

Zu seinem großen Ärger war der Mann so arm und unbedeutend, dass er sich nicht an ihm rächen konnte. Wenn er so wie er ein reicher Unternehmer gewesen wäre, hätte er ihn mit Vergnügen ruiniert. Aber er war Friseur! Das war die größte Schmach überhaupt.

Nun hatten die beiden einen gesunden, kräftigen Sohn. Und er, Luca Montese, war allein. Alle würden erfahren, dass seine Ehe seinetwegen kinderlos geblieben war. Die Vorstellung brachte ihn fast um den Verstand.

Der Sitz seiner Firma war mitten im Bankenviertel von Rom. Es war eine Welt, in der er sich mittels Cleverness und Muskelkraft behauptete. Seine Angestellten begegneten ihm mit Respekt, seine Feinde fürchteten ihn. So sollte es auch sein. Nun würden sie sich jedoch über ihn lustig machen.

Luca drehte das Blatt hin und her. Seine Hände waren groß und kräftig, die Hände eines Handwerkers, nicht die eines internationalen Finanziers. Auch seine Züge waren eher schroff, sodass sein Gesicht vielmehr durch die Intensität seiner Augen bestach. Da er außerdem groß und breitschultrig war, gab es viele Frauen, die sich für ihn interessierten. Seit dem Scheitern seiner Ehe war er nie allein gewesen.

Er behandelte sie gut, machte großzügige Geschenke, war allerdings nicht verschwenderisch mit Worten oder Gefühlen und trennte sich sofort von ihnen, wenn sie nicht das hatten, was er suchte. Er konnte nicht einmal sagen, was das war. Er wusste nur, dass er es vor langer Zeit schon einmal gefunden hatte, bei einem Mädchen mit leuchtendem Augen und viel Herz.

Nur noch undeutlich erinnerte er sich an den jungen Mann, der er damals gewesen war. Er war weder zynisch noch habgierig gewesen und hatte an die Liebe und das Leben geglaubt. Auf grausame Weise war er allerdings eines Besseren belehrt worden.

Energisch rief Luca sich in die Gegenwart zurück. Über verlorenes Glück nachzudenken war eine Schwäche, und er konnte sich keine Schwäche leisten. Er verließ das Büro und fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage, wo sein Rolls-Royce, das neuste Modell, stand.

Er hatte zwar einen Chauffeur, aber er fuhr gern selbst. Der Wagen war sein ganz persönliches Statussymbol, der Beweis dafür, wie weit er es gebracht hatte. Damals hatte er eine alte Klapperkiste gefahren, die zusammengebrochen wäre, wenn er sie nicht immer selbst repariert hätte. Trotzdem war er einige Male damit liegen geblieben, und während er darunter gelegen hatte, reichte sie ihm fröhlich plaudernd das Werkzeug, und sie hatten zusammen gelacht und sich wie verrückt geküsst.

Vielleicht war es auch verrückt, dachte Luca, als er durch Rom fuhr, denn dieses überschwängliche Glück hatte einfach nicht von Dauer sein können. Und genauso war es auch gewesen.

Er hatte versucht, nicht an sie zu denken, aber nun, da er durch die Dunkelheit fuhr, stürmten die Erinnerungen auf ihn ein und quälten ihn. Sie war so bezaubernd gewesen, so zärtlich und großmütig. Er war zwanzig gewesen und sie siebzehn, und er hatte geglaubt, ihre Liebe würde ewig dauern.

Vielleicht hätte sie es auch, wenn …

Luca verdrängte auch diesen Gedanken. Die Vorstellung, was gewesen wäre, wenn, war unerträglich, obwohl er sehr stark war.

Die Erinnerung ließ sich allerdings nicht vertreiben. Eine innere Stimme sagte ihm, dass ihre kurze Liebe perfekt gewesen sei, auch wenn sie unglücklich geendet hatte. Und sie erinnerte ihn daran, wie sie in seinen Armen gelegen und ihm Worte der Liebe und Leidenschaft ins Ohr geflüstert hatte.

„Ich gehöre dir, für immer … Ich werde nie einen anderen Mann lieben …“

„Ich kann dir nichts bieten …“

„Mehr als deine Liebe will ich gar nicht.“

„Aber ich bin ein armer Mann.“

Daraufhin hatte sie nur gelacht. „Wir sind nicht arm, solange wir uns haben …“

Und dann war es vorbei gewesen.

Plötzlich quietschten Reifen, und Luca verriss das Lenkrad. Er wusste nicht, was passiert war, nur dass der Wagen gestoppt hatte und er zitterte. Luca stieg aus und blickte die Landstraße entlang. Sie war in beiden Richtungen leer.

Genauso wie mein Leben, dachte er. Ich komme aus der Dunkelheit, und vor mir liegt nichts als Dunkelheit.

So war es schon seit fünfzehn Jahren.

Das „Allingham“ war das neuste und luxuriöseste Hotel in Londons Nobelviertel Mayfair. Es hatte den besten Service und die höchsten Preise. Man hatte sie, Rebecca Hanley, dort unter anderem deswegen zur ersten PR-Beraterin ernannt, weil der Vorstandsvorsitzende gesagt hatte: „Sie sieht aus, als hätte ihre Familie Geld wie Heu und als wäre es ihr egal. Und das ist sehr nützlich, wenn man Gäste, die Geld wie Heu haben und es mit vollen Händen ausgeben, anlocken und an sich binden will.“

Es war eine scharfsinnige Bemerkung gewesen, denn ihr Vater war tatsächlich reich gewesen. Und mittlerweile war ihr alles egal.

Sie wohnte im Allingham, weil es für sie praktischer war, als sich eine eigene Wohnung zu nehmen. Und da sie regelmäßig im hoteleigenen Fitnessraum trainierte und in den Schönheitssalon ging, war sie schlank und durchtrainiert und sah immer perfekt aus.

An diesem Abend hatte sie sich gerade zurechtgemacht, als das Telefon klingelte. Danvers Jordan, ihr derzeitiger Partner und leitender Bankangestellter, war am Apparat. Sie wollten zur Verlobungsparty seines jüngeren Bruders gehen, die im Hotel stattfand. Als seine Begleiterin und in ihrer Funktion als Mitarbeiterin musste sie besonders gut aussehen.

Nachdem Rebecca das Gespräch beendet hatte, betrachtete sie sich in dem dreiteiligen Spiegel und stellte dabei fest, dass ihr Äußeres perfekt war. Sie hatte genau die richtige Figur für das enge, kurze schwarze Kleid, denn sie war schlank und zierlich und hatte lange Beine. Der Ausschnitt war gemäßigt, und sie trug eine Kette mit einem Diamantanhänger. Ihr Haar war früher hellbraun gewesen, aber nun war es honigblond und bildete einen reizvollen Kontrast zu ihren grünen Augen. Und die kleinen Diamantohrstecker verliehen ihrem Outfit den letzten Schliff.

Um Punkt acht klopfte es an ihrer Tür, und Rebecca ging, um Danvers hereinzulassen.

„Du siehst umwerfend aus“, erklärte er wie immer. „Ich werde der stolzeste Mann sein.“

Der stolzeste Mann. Nicht der glücklichste.

Die Party fand in einem der Bankettsäle statt. Die unzähligen weißen Rosen, die farblich zu den Vorhängen passten, sorgten für eine festliche Atmosphäre. Die beiden Verlobten waren noch sehr jung. Rory war vierundzwanzig, Elspeth achtzehn. Ihr Vater war der Aufsichtsratsvorsitzende der Handelsbank, in der Danvers arbeitete und die zu dem Konsortium gehörte, das das Allingham finanziert hatte.

Sie ist wie ein Kätzchen, dachte Rebecca: jung, süß, unschuldig und ernsthaft, besonders in der Liebe.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es noch Menschen gibt, die an die ewige Liebe glauben“, sagte sie im Lauf des Abends zu Danvers.

„Wenn man jung und dumm genug ist, wohl schon“, erwiderte er trocken.

„Muss man dafür wirklich jung und dumm sein?“

„Ach komm schon, Schatz! Erwachsene wissen doch, dass im Leben nicht immer alles glatt läuft.“

„Das stimmt“, bestätigte sie leise.

Elspeth kam auf sie zugeschwebt und umarmte Rebecca.

„Oh, ich bin so glücklich! Und was ist mit euch beiden? Ihr solltet eure Beziehung auch endlich legalisieren. Warum geben wir es nicht jetzt bekannt?“

„Nein“, entgegnete Rebecca prompt. Da sie fürchtete, zu nachdrücklich gewesen zu sein, fügte sie schnell hinzu: „Das ist euer Abend. Wenn ich euch die Show stehle, bekomme ich Ärger mit meinem Boss.“

„Na gut, Becky. Aber an meinem Hochzeitstag werfe ich dir den Brautstrauß zu.“

Elspeth schwebte wieder davon, und Rebecca atmete erleichtert auf.

„Warum hat sie Becky zu dir gesagt?“, fragte Danvers.

„Es ist die Abkürzung für ‚Rebecca‘.“

„Ich habe noch nie gehört, dass dich jemand so genannt hat – zum Glück! ‚Rebecca‘ passt viel besser zu dir, weil man es mit Anmut und Kultiviertheit verbindet. Du bist kein Becky-Typ.“

„Und was genau ist ein Becky-Typ, Danvers?“

„Na ja, jemand, der noch sehr kindlich und weltfremd ist.“

Da ihre Hand plötzlich zitterte, stellte Rebecca schnell ihr Glas ab. Ihr war allerdings bewusst, dass Danvers es gar nicht merken würde.

„Ich war auch nicht immer so kultiviert und gewandt“, erwiderte sie.

„So möchte ich dich aber sehen.“

Ja, er hatte sich ein bestimmtes Bild von ihr gemacht, und ob sie früher anders gewesen war, interessierte ihn natürlich nicht. Wahrscheinlich würde sie ihn irgendwann sogar heiraten, nicht aus Liebe, sondern weil es sich so ergab. Sie war zweiunddreißig und konnte sich nicht ewig so treiben lassen.

Als er sie kurz darauf zu ihrer Suite brachte, zog er sie vor der Tür an sich.

Rebecca verspannte sich. „Ich bin sehr müde. Gute Nacht, Danvers.“

„Na gut. Nimm deinen Schönheitsschlaf, damit du morgen wieder perfekt bist.“

„Morgen?“

„Wir essen morgen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bank zu Abend. Das kannst du doch unmöglich vergessen haben.“

„Natürlich nicht. Gute Nacht.“

Wenn er nicht bald ging, würde sie schreien.

Dann war sie endlich allein. Ohne das Licht einzuschalten, ging Rebecca zum Fenster und blickte auf das nächtliche London. Unzählige Lichter funkelten im Dunkeln, und in ihrer trüben Stimmung schien es ihr, als würde sie ihr zukünftiges Leben vor sich sehen – unzählige glanzvolle Ereignisse wie Abendessen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bank, Abende in der Oper, Mittagessen in trendigen Restaurants, Gesellschaften in einem luxuriösen Haus, sie als die perfekte Ehefrau und Gastgeberin.

Vorher hätte sie sich auf ein solches Leben gefreut, doch etwas an diesem Abend hatte sie beunruhigt. Das junge Paar und sein leidenschaftlicher Glaube an die Liebe hatte sie an zu viele Dinge erinnert, an die sie nicht mehr glaubte.

Becky hatte an diese Dinge geglaubt, aber Becky existierte nicht mehr. Sie war gestorben, vor Kummer und all ihrer Illusionen beraubt. Und doch war ihr Geist auf der Feier aufgetaucht und hatte sie daran erinnert, dass sie früher einmal ein Herz gehabt und dieses einem jungen Mann mit glutvollen Augen geschenkt hatte, der sie über alles liebte.

Danvers zufolge war eine Frau, die Becky genannt wurde, kindlich und weltfremd. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er damit ins Schwarze getroffen. Sie und der zwanzigjährige Luca waren beide noch Kinder gewesen und hatten gedacht, alle Probleme mit ihrer Liebe überwinden zu können.

Als Becky Solway zum ersten Mal in die Toskana kam, wo ihr Vater das Anwesen „Belleto“ von seiner italienischen Mutter geerbt hatte, war es Liebe auf den ersten Blick.

„Ist das himmlisch, Dad!“, rief sie begeistert. „Hier möchte ich für immer bleiben!“

Er lachte. „Na gut, Kleines, wie du meinst.“

So war er nun mal. Er ließ ihr immer ihren Willen, ohne richtig darüber nachzudenken, was sie eigentlich sagte, geschweige denn dachte oder empfand.

Und mit vierzehn war nur das wichtig für sie. Seit dem Tod ihrer Mutter zwei Jahre zuvor gab es nur noch sie beide. Frank Solway, den erfolgreichen Hersteller von Elektronikartikeln, und seine hübsche, kluge Tochter.

Ihr Vater besaß Fabriken in ganz Europa und verlagerte die Standorte ständig dorthin, wo die Lohnkosten am niedrigsten waren. In den Schulferien reisten sie zusammen. Entweder besuchten sie die Fabriken oder hielten sich in Belleto auf. Mit sechzehn verkündete Becky, sie würde von der Schule abgehen.

„Ich möchte von jetzt an in Belleto leben, Dad“, erklärte sie.

Und wie immer erwiderte er: „Na gut, Kleines, wie du meinst.“

Er kaufte ihr ein Pferd, und sie verbrachte viele glückliche Tage damit, durch die Weinberge und Olivenhaine zu reiten, die zum Anwesen gehörten. Von ihrer Großmutter hatte sie nicht nur Italienisch, sondern auch den toskanischen Dialekt gelernt. Ihr Vater sprach kaum Fremdsprachen, und die Angestellten in Belleto verstanden ihn so gut wie nicht. Daher überließ er die Führung des Haushalts nach kurzer Zeit ihr. Nach einer Weile kümmerte sie sich auch um die Leitung des Anwesens.

Von ihrem Vater wusste sie nur, dass er ein erfolgreicher Geschäftsmann war. Dass er auch eine andere Seite hatte, ahnte sie nicht einmal, bis sie es eines Tages auf eine sehr unerfreuliche Weise erfuhr.

Er hatte seine letzte Fabrik in England geschlossen und eine neue in Italien eröffnet und war anschließend nach Spanien geflogen, um sich Grundstücke anzusehen. Während seiner Abwesenheit machte sie einen Ausritt und begegnete dabei drei sehr verärgert wirkenden Männern.

„Sie sind Solways Tochter“, sagte einer von ihnen auf Englisch. „Frank Solway ist Ihr Vater. Geben Sie es zu.“

„Warum sollte ich es abstreiten? Ich schäme mich meines Vaters nicht.“

„Das sollten Sie aber“, rief einer der anderen beiden. „Wir sind über Nacht arbeitslos geworden, weil die Lohnkosten hier niedriger sind und er die Fabrik in England deswegen geschlossen hat. Wir haben nicht einmal eine Abfindung bekommen. Wo ist er?“

„Mein Vater befindet sich gerade im Ausland“, erwiderte Becky. „Lassen Sie mich bitte vorbei.“

Daraufhin ergriff einer von ihnen den Zaum. „Sagen Sie uns, wo er ist“, fuhr er sie an. „Wir haben die weite Reise nicht gemacht, um uns abwimmeln zu lassen.“

Allmählich wurde sie nervös, denn sie spürte, dass die Männer im Begriff waren, die Beherrschung zu verlieren.

„Er kommt nächste Woche zurück“, antwortete sie verzweifelt. „Ich sage ihm, dass Sie hier waren. Sicher will er mit Ihnen reden …“

Die Männer lachten nur abfällig.

„Wir sind die Letzten, mit denen er reden will. Er entzieht sich uns und beantwortet nicht einmal unsere Briefe …“

„Was kann ich denn machen?“, rief Becky.

„Sie können bei uns bleiben, bis er Sie holt“, erklärte derjenige, der den Zaum hielt und am unfreundlichsten wirkte.

„Das glaube ich nicht“, ließ sich in dem Moment eine Männerstimme vernehmen.

Sie gehörte einem jungen Mann, den niemand von ihnen bemerkt hatte. Er war zwischen den Bäumen hervorgetreten und stand einen Augenblick regungslos da, um seinem Erscheinen Nachdruck zu verleihen. Er wirkte sehr beeindruckend, was allerdings nicht an seiner Größe oder seinen breiten Schultern lag, sondern an seinem wütenden Gesichtsausdruck.

„Treten Sie zurück“, befahl er, als er schließlich auf sie zukam.

„Verschwinden Sie“, sagte der Mann, der den Zaum hielt.

Der Fremde machte kurzen Prozess, und im nächsten Moment lag der Mann am Boden. Als einer seiner beiden Begleiter etwas sagen wollte, funkelte der Unbekannte ihn wütend an.

„Verschwinden Sie!“, befahl er. „Und lassen Sie sich hier nie wieder blicken.“

Schnell halfen die beiden anderen ihrem Begleiter auf die Füße. Dieser versuchte, das Blut zu stillen, das ihm aus der Nase rann, und begnügte sich damit, seinem Angreifer einen bösen Blick zuzuwerfen. Dann ließ er sich von den anderen beiden fortführen, doch im letzten Moment drehte er sich noch einmal um und funkelte Becky auf eine Weise an, die den jungen Mann veranlasste, einige Schritte auf ihn zuzugehen. Schließlich verschwanden sie.

„Danke“, sagte Becky überschwänglich.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte der junge Mann.

„Ja, und das habe ich Ihnen zu verdanken.“

Nachdem sie vom Pferd geglitten war, wurde ihr bewusst, wie groß er war. Er betrachtete sie aus seinen dunklen Augen und wirkte immer noch sehr aufgebracht. Die ehemaligen Arbeiter ihres Vaters hatten ihr Angst gemacht, weil sie zu dritt gewesen waren, aber dieser junge Mann wirkte auch allein gefährlich. Becky fragte sich, ob sie jetzt wirklich in Sicherheit sei.

„Sie sind weg“, erklärte er. „Und sie werden nicht wiederkommen.“

Es war eine Feststellung. Er wusste, dass niemand ihn ein zweites Mal herausfordern würde.

„Danke“, bekräftigte Becky auf Englisch, weil er auch Englisch mit ihr sprach. „Ich bin so froh, dass Sie aufgetaucht sind, denn ich dachte schon, niemand würde mir helfen.“

„Sie brauchen nicht so langsam zu reden“, erklärte er stolz. „Ich spreche fließend Englisch.“

„Tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein. Woher sind Sie gekommen?“

„Ich wohne dahinten. Kommen Sie mit, ich mache Ihnen einen Tee.“

„Gern.“

Während sie nebeneinander hergingen, sagte der junge Mann: „Ich kenne hier jeden in der Gegend, aber die drei hatte ich noch nie gesehen.“

„Sie kommen aus England und sind auf der Suche nach meinem Vater. Als ich ihnen gesagt habe, dass er nicht da sei, sind sie wütend geworden.“

„Vielleicht hätten Sie nicht allein ausreiten sollen.“

„Ich wusste ja nicht, dass sie hier sind. Und außerdem gehört dieses Land hier meinem Vater.“

„Ach, dann ist Ihr Vater der Engländer, von dem hier alle reden. Das Land hier gehört allerdings nicht ihm, sondern mir. Es ist nur ein schmaler Streifen, auf dem mein Haus steht und den ich nicht verkaufen will.“

„Aber mein Vater hat mir gesagt …“ Becky verstummte.

„Er hat Ihnen erzählt, dass er das Land hier gekauft hat? Wahrscheinlich hat er mein Grundstück übersehen. Das passiert leicht.“

„Oh, ist das schön!“, platzte sie heraus.

Hinter einer Biegung war ein kleines Steinhaus aufgetaucht. Es lag im Schatten von Pinienbäumen an einem Hügel und wirkte sehr gemütlich und einladend.

„Das ist mein Haus“, sagte der junge Mann. „Aber ich warne Sie, drinnen ist es nicht so malerisch.“

Wie sich herausstellte, hatte er recht. Das Haus war sehr einfach, um nicht zu sagen, schäbig. Der Boden war gefliest, und in der Küche stand ein großer, altmodischer Herd. Offenbar renovierte der Mann es gerade, denn überall lagen Werkzeug und Holzdielen herum.

„Setzen Sie sich.“ Er deutete auf einen Holzstuhl, der ziemlich hart aussah, sich aber als überraschend bequem erwies.

„Wie heißen Sie?“, fragte Becky.

„Luca Montese.“

„Und ich bin Rebecca Solway. Becky.“

Der Mann blickte auf ihre Hand, als sie ihm diese entgegenhielt. Zum ersten Mal wirkte er unsicher. Dann streckte er auch die Hand aus. Sie war kräftig und schwielig.

Er wirkte überhaupt sehr wild, und sein dunkles Haar war zerzaust. Er trug ein schwarzes Unterhemd und schwarze Jeans und war über eins achtzig groß und sehr muskulös.

Herkules, dachte sie.

Sein beängstigender, wütender Gesichtsausdruck war verschwunden und nun sanft. Allerdings lächelte er nicht. „Rebecca“, wiederholte er.

„Nein, meine Freunde nennen mich Becky. Sie sind doch mein Freund, oder? Schließlich haben Sie mich gerettet.“

Bisher hatte sie andere immer mit ihrem Charme und ihrer Schönheit für sich eingenommen. Es war ungewöhnlich, dass jemand ihr gegenüber so distanziert war.

„Ja“, sagte er schließlich verlegen. „Ich bin Ihr Freund.“

„Dann nennen Sie mich Becky?“

„Becky.“

„Leben Sie allein hier oder mit Ihrer Familie?“

„Ich habe keine Familie. Das hier war mein Elternhaus, und jetzt gehört es mir.“

Sein energischer Tonfall veranlasste Becky, ihn zu beschwichtigen: „He, ich habe ja nichts anderes behauptet. Es gehört Ihnen.“

„Ich wünschte, Ihr Vater würde auch so denken. Wo ist er gerade?“

„In Spanien. Er kommt nächste Woche wieder.“

„Bis dahin sollten Sie lieber nicht mehr allein ausreiten.“

Eigentlich hatte sie es auch nicht vorgehabt. Sie ärgerte sich allerdings über seine autoritäre Art.

„Wie bitte?“

„Ich sagte, Sie sollten bis dahin lieber nicht allein ausreiten.“

„Ich habe Sie verstanden“, erwiderte Becky auf Italienisch. „Ich wollte damit nur sagen: Was bilden Sie sich eigentlich ein, mir Befehle zu erteilen?“

Luca Montese runzelte die Stirn. „Und was passiert, wenn ich das nächste Mal nicht in der Nähe bin und Ihnen helfen kann?“

„Die Männer sind längst weg.“

„Und wenn nicht?“

„Das … das hat nichts damit zu tun“, antwortete sie stockend, weil ihr nichts Besseres einfiel.

Er lächelte schwach. „Ich glaube schon.“

„Ach, seien Sie doch nicht so vernünftig!“, sagte Becky ärgerlich.

Nun lächelte er richtig. „Na gut, wie Sie wollen.“

Reumütig erwiderte sie sein Lächeln. „Vielleicht haben Sie recht.“

Luca Montese schenkte ihr Tee ein, und sie trank einen Schluck. „Der schmeckt wirklich sehr gut. Ich bin beeindruckt.“

„Und ich bin beeindruckt, dass Sie meinen Dialekt so gut sprechen.“

„Meine Großmutter hat ihn mir beigebracht. Sie kam von hier. Das Haus, in dem wir jetzt wohnen, hat ihr gehört.“

„Emilia Talese?“

„Das war ihr Mädchenname, ja.“

„Die Männer in meiner Familie sind seit Generationen Tischler. Sie haben immer für Ihre Familie gearbeitet.“

Das war ihre erste Begegnung gewesen. Luca hatte sie nach Hause begleitet und die Angestellten angewiesen, gut auf sie aufzupassen, als hätte er schon sein Leben lang andere befehligt.

„Kommen Sie klar?“, fragte sie ihn, als sie daran dachte, dass er allein in der Dämmerung zurückgehen würde. „Was ist, wenn die drei Männer Ihnen auflauern?“

Sein jungenhaftes Lächeln besagte, dass er keine Angst habe. Dann ging er, und sie blieb zurück, beeindruckt von seinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein.

2. KAPITEL

Am nächsten Tag brach Becky früh auf und ritt zu Lucas Haus. Am Vorabend hatte sie wach gelegen und an ihn gedacht. Als sie schließlich eingeschlafen war, hatte sie von ihm geträumt, und beim Aufwachen hatte ihr erster Gedanke ihm gegolten. Sie sah sein Gesicht vor sich mit dem Mund, der für einen Mann in seinem Alter viel zu streng wirkte, bis Luca lächelte.

Sie sehnte sich verzweifelt danach, ihn zu küssen und von ihm geküsst zu werden. Und sie war fest davon überzeugt, dass sie in seine Arme gehörte. Schließlich hatte sie bisher immer bekommen, was sie wollte.

Autor

Lucy Gordon

Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman “Das Kind des Bruders”, der in Rom spielt.

Mit dem Schreiben...

Mehr erfahren