Insel der Sehnsucht, Insel des Glücks

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Neben heftigem Zorn über ihre dreiste Entführung regt sich in Chloe auch so etwas wie Hoffnung, als sie ihrem Mann Leon auf der griechischen Insel Eos gegenübersteht. Denn bei allem Schmerz darüber, dass ihm seine Halbschwester damals offenbar wichtiger war als ihre Ehe, spürt Chloe, dass das Verlangen in Leons Blick Sehnsucht in ihr weckt …


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756635
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Chloe wusste, dass sie früher oder später ins Hotel zurückkehren und Derek gegenübertreten musste.

So früh am Morgen hatte sie den Strand ganz für sich, aber schon bald würde er sich mit anderen Urlaubern füllen. Sie und Derek hatten bewusst diese Insel ausgesucht, weil sie so klein war. Dort würden sie die Zeit und Ruhe finden, um ihre Beziehung zu vertiefen, hatte Derek ihr gesagt, doch Chloe war nicht bewusst gewesen, dass er dabei über ihre rein freundschaftliche Beziehung hinaus im Sinn hatte, mit ihr ins Bett zu gehen. Sie hatte ihm in ihrem Verhalten keinen Anlass gegeben zu glauben, dass dieser gemeinsame Urlaub ihrem Einverständnis zu einer Liebesbeziehung gleichkam.

Wie wenig man die Menschen doch kannte, mit denen man tagtäglich zusammen war! Sie und Derek arbeiteten jetzt seit achtzehn Monaten zusammen. Langsam und stetig hatte sich eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, wobei Chloe vor allem Dereks Verlässlichkeit und das Fehlen jeglicher sexueller Anspielungen schätzen gelernt hatte. Deshalb hatte sie auch nicht gezögert, als er ihr vorgeschlagen hatte, den Urlaub gemeinsam zu verbringen. Ein Fehler, wie ihr inzwischen klar war. Etwas besorgt hatte sie nur sein Vorschlag, Griechenland als Urlaubsziel zu wählen – doch sie hatte diese Ängste weggeschoben. Schließlich war es dumm, für immer eine der schönsten Gegenden auf der Erde zu meiden wegen etwas, das längst vorbei und vergessen war.

Chloe blickte auf, wobei ihr nicht bewusst war, was für einen bezaubernden Anblick sie in den kurzen weißen Shorts und dem leichten Baumwolltop bot. Ihr Teint war bereits sanft gebräunt und bildete einen reizvollen Kontrast zu ihrem weißblonden Haar, das ihr in seidigen Kaskaden bis weit über die Schultern fiel. Anmutig strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Im Büro trug sie ihr Haar normalerweise hochgesteckt. Vielleicht bin ich ja selber schuld an Dereks verändertem Verhalten, dachte sie ironisch. Stand nicht schon in der Bibel etwas über die gefährliche Verlockung offenen Haares?

Als sie langsam zur Hotelanlage zurückschlenderte, wurde sie von verschiedenen Seiten gegrüßt. Obwohl sie und Derek erst gestern angekommen waren, hatte Chloe mit ihrer Anmut und ihrer auffälligen Schönheit bereits Aufmerksamkeit erregt – ein Phänomen, das sie aus jenen Tagen kannte, als sie als Model für ein Pariser Modehaus gearbeitet hatte. Heute hätte Monsieur René sie allerdings nicht mehr unter Vertrag genommen. Zwar waren ihre langen Beine noch genauso wohlgeformt, und ihre Taille war noch genauso schmal, doch aus der mädchenhaften Achtzehnjährigen von damals war in den vergangenen fünf Jahren eine erwachsene Frau mit verführerisch gerundeten Brüsten und Hüften geworden.

Große Deckenventilatoren sorgten im Hotelfoyer für angenehm kühle Luft und rundeten das malerische Jahrhundertwende-Ambiente ab. Es war eines der luxuriösesten Hotels, das Chloe je gesehen hatte. Derek hatte es ausgewählt, und sie hatte nicht widersprochen, weil auch ihr klar war, dass Ungestörtheit ihren Preis hatte – und die war auf Thos ganz sicher garantiert.

Das Hotel war das einzige auf der kleinen Insel in der Ägäis, kein seelenloser Betonklotz, sondern eine architektonisch geschmackvolle Anlage, die ihren Gästen allen erdenklichen Komfort bot. Was sich offensichtlich herumgesprochen hatte, denn es war ausgebucht.

Ein lukratives Geschäft für wen auch immer, überlegte Chloe zerstreut, während sie am Empfang auf ihren Schlüssel wartete. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie Derek von ihrem Zimmer aus anrufen oder direkt bei ihm anklopfen und nachsehen sollte, ob er schon auf war. Eigentlich war es ihre Art, die Dinge ohne Umschweife beim Namen zu nennen, und sie neigte dazu, dies auch von anderen Menschen zu erwarten – ein Fehler, wie sie oft hatte feststellen müssen. Offensichtlich hätte sie Derek von Anfang an noch deutlicher klarmachen müssen, dass sie einen gemeinsamen Urlaub zwar als Mittel zur Vertiefung ihrer Freundschaft, nicht jedoch als Einladung, mit Derek das Bett zu teilen, betrachtete.

Der gestrige Abend hatte ihr die Augen geöffnet. Derek hatte wie ein schmollendes Kind reagiert, als sie ihm klipp und klar gesagt hatte, aus ihnen würde kein Liebespaar werden. Ärgerlich rief sie sich seine Reaktion ins Gedächtnis.

„Es ist doch nicht so, als wärst du noch Jungfrau!“ hatte Derek sie wütend angefahren. Als würde allein diese Tatsache jedem Mann das Recht geben, mit ihr zu schlafen, wann es ihm gerade einfiel!

Der junge Grieche an der Rezeption beobachtete Chloe mit unverhohlener Bewunderung. Ihr Haar hatte die Farbe des feinen Sandes an den Stränden der Insel, und ihre Augen schimmerten so dunkel violettblau wie das Meer kurz vor Sonnenuntergang. Chloe sah auf und bemerkte, wie sein Blick kurz auf ihren vollen Brüsten verweilte, bevor sich der junge Mann abwandte. Sie presste die Lippen zusammen. Zum Teufel mit Derek! Zum Teufel mit allen Männern, vor allem mit … Augenblicklich verbot sie sich, den Gedanken zu Ende zu führen. Auch die Zeit hatte die Wunden in ihrer Seele nicht heilen können, deshalb hatte Chloe eine undurchdringliche Mauer darum errichtet.

Sie entschied sich, Derek von der Rezeption aus anzurufen, um es kurz und schmerzlos zu machen. Warum hatte sie nicht auf ihre Wohnungsgenossin Hilary gehört? Hilary hatte sie gewarnt, dass Derek mit seinem Vorschlag bestimmt Hintergedanken verfolgen würde. Aber sie, Chloe, hatte Hilarys Warnungen in den Wind geschlagen – weil sie es einfach nicht hatte glauben wollen, wie ihr jetzt klar war. Ihre Arbeit in der Werbeagentur, in der Derek Buchhalter war, forderte sie sehr, sodass sie diesen Urlaub herbeigesehnt hatte. Andererseits hatte sie sich gescheut, allein wegzufahren, weil die Erfahrung sie gelehrt hatte, dass eine Frau allein oft von gewissen Männern als Freiwild betrachtet wurde. Kurz gesagt, sie hatte vor allem deshalb in Dereks Vorschlag eingewilligt, weil seine Begleitung ihr Schutz bot. Sie seien nur gute Freunde, hatte sie Hilary trotzig erklärt und das ungläubige Lachen der Freundin standhaft überhört.

Wenn Hilary nicht gerade mit der Vorbereitung ihrer Hochzeit beschäftigt gewesen wäre, wären die beiden Freundinnen vermutlich zusammen in Urlaub gefahren und das Problem gar nicht entstanden. Mit dreiundzwanzig stellte Chloe allmählich fest, dass die Mehrheit ihrer Freundinnen inzwischen feste Beziehungen hatte, wohingegen sie …

Ihre Hand zitterte, als sie Dereks Nummer wählte. Sie durfte diese Gedanken nicht zulassen! Das alles lag lange hinter ihr und durfte nicht wieder aufgewühlt werden.

Das Telefon läutete endlos, ohne dass jemand abnahm. Schließlich legte Chloe verwundert auf. Ob Derek vielleicht trotz der frühen Stunde schon im Frühstücksraum war?

„Die Kyria ist besorgt? Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich der junge Grieche freundlich.

Er war ein gut aussehender junger Mann, schlank und sonnengebräunt und hatte samtene dunkle Augen. Chloe lächelte ihn zögernd an. „Mr. Simpson scheint nicht in seinem Zimmer zu sein. Vermutlich ist er schon ohne mich zum Frühstück gegangen. Ich werde einmal nachsehen.“

Doch zu ihrer Überraschung schüttelte der junge Mann energisch den Kopf. „Der Kyrios ist abgereist“, informierte er Chloe. „Heute früh. Hier ist sein Schlüssel.“ Zum Beweis nahm er einen Schlüssel aus einem der Fächer hinter ihm und zeigte ihn Chloe.

Der Schlüssel trug tatsächlich Dereks Zimmernummer. Trotzdem war Chloe sich sicher, dass der junge Mann sich geirrt haben musste. Derek war sicher nur spazieren gegangen. „Er kann unmöglich abgereist sein“, beharrte sie. „Wir sind doch erst gestern angekommen. Vielleicht haben Sie ihn missverstanden.“

„Auf keinen Fall.“ Der junge Grieche blieb standhaft. „Er kam ganz früh herunter und bat um die Dokumente, die er im Hotelsafe deponiert hatte. Ich gab sie ihm, und er fragte mich, wann das Schiff nach Piräus ablegt. Als ich es ihm sagte, bat er mich, sein Gepäck aus seinem Zimmer holen zu lassen.“

Kalte Panik befiel Chloe. Würde Derek ihr das wegen dieses dummen Streits wirklich antun? Unmöglich! Das passte nicht zu ihm. Oder? Wie gut kannte sie ihn überhaupt? Obwohl sie, Chloe, für ihren Teil des Urlaubs selbst bezahlt hatte, hatte er schließlich auch erwartet, dass sie mit ihm ins Bett ging, nur weil sie den Urlaub gemeinsam verbrachten – und hatte dann den ganzen ersten Abend geschmollt, nur weil sie sich geweigert hatte. Aber würde er deswegen auf seinen Urlaub verzichten?

Mach dich nicht verrückt! ermahnte sich Chloe. Sicher gab es eine ganz einfache Erklärung für alles. Derek durfte nicht abgereist sein – schon allein, weil sich in dem Umschlag, den er in dem Hotelsafe deponiert hatte, auch ihr Pass und ihre Reiseschecks befunden hatten. Chloe wagte sich gar nicht vorzustellen, was Dereks Abreise für sie bedeuten würde.

Der junge Mann an der Rezeption hatte besorgt Chloes bleiches Gesicht bemerkt und war kurz in einem Büro verschwunden, um mit einem untersetzten Herrn mittleren Alters zurückzukehren.

„Ich bin der Hotelmanager, Kyria“, wandte der Mann sich freundlich an Chloe. „Wie Stephanos mir sagt, sind Sie besorgt wegen der vorzeitigen Abreise Ihres Freundes?“

„Er ist also wirklich abgereist?“, fragte Chloe heiser und ließ sich von dem Manager durch das von Hotelgästen bevölkerte Foyer in ein kleines, luxuriös eingerichtetes Privatbüro führen.

„Ich stelle zu meinem Bedauern fest, dass es so ist.“ Der Manager betrachtete sie forschend. „Nehmen Sie doch bitte Platz, Kyria. Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Die Hitze bei uns macht vielen zu schaffen, die sie nicht gewöhnt sind. Haben Sie schon gefrühstückt?“

„Hat er nichts für mich hinterlassen? Eine Nachricht? Einen Umschlag?“, fragte Chloe drängend, wobei sie jedoch keine große Hoffnung hegte. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Derek aus der gleichen Boshaftigkeit und gekränkten Eitelkeit heraus, die ihn veranlasst hatten abzureisen, auch ihren Pass und ihre Reiseschecks mitgenommen hatte.

„Wenn Sie mich kurz entschuldigen, werde ich mich erkundigen“, sagte der Manager höflich.

Als er fort war, sah Chloe sich ein wenig genauer in dem Büro um. Es war ebenso elegant wie exklusiv eingerichtet, und sie fragte sich verwirrt, warum es sie mit einer seltsamen Angst und Beklommenheit erfüllte, als würde etwas Bedrohliches davon ausgehen.

In dem Moment als der Manager in das Büro zurückkehrte, wusste Chloe, dass Derek nichts für sie hinterlassen hatte. Schlagartig wurde ihr ihre verzweifelte Situation bewusst. Bis auf etwas Wechselgeld im Portemonnaie stand sie ohne Geld und – was noch viel schlimmer war – ohne Pass da. Warum hatte sie auch so vertrauensselig Derek ihren Pass und ihre Reiseschecks anvertraut, damit er sie im Hotelsafe deponierte?

Chloe blickte auf ihre Hände im Schoß. Ganz automatisch tastete sie mit der rechten Hand nach ihrem linken Ringfinger. Eine unbewusste Geste, die ihr noch vertraut war aus den ersten Monaten nach dem Scheitern ihrer Ehe, als der Schmerz noch frisch war und ein heller Streifen am Ringfinger noch verraten hatte, dass sie einmal einen Ehering getragen hatte. Der goldene Ring, Zeichen eines unauflöslichen Bundes zwischen zwei Liebenden – so hatte sie jedenfalls an dem Tag, als er ihr angesteckt worden war, als naive Romantikerin geglaubt.

Sie hätte ihre Lektion eigentlich gelernt haben müssen. Man konnte keinem Mann trauen. Nun hatte sie die Quittung für ihre Dummheit erhalten – sie war allein auf einer winzigen griechischen Insel mit ungefähr zehn Pfund in der Tasche und ohne Pass. Was konnte sie unter diesen Umständen tun? Sich an das britische Konsulat wenden? Sie verwarf den Gedanken sofort. Thos konnte nicht einmal ein Touristenbüro vorweisen, geschweige denn einen britischen Konsul.

Chloe hielt es für das Vernünftigste, sich zunächst einmal dem Hotelmanager anzuvertrauen. Dabei versuchte sie, den Grund für Dereks plötzliche Abreise mit ihrem Pass und ihrem Geld, so gut es ging, zu verschleiern, doch ein Aufblitzen in den Augen den Managers verriet ihr, dass er sich seinen eigenen Reim darauf machte.

„Der Kyrios war nicht mit Ihnen verlobt?“, fragte er höflich. „Ich meine, zwischen Ihnen …“

„Er war nur ein Freund“, fiel Chloe ihm scharf ins Wort. „Ein ziemlich schlechter Freund, wie es sich herausgestellt hat!“

„Ein schlechter Freund ist gefährlicher als tausend Feinde“, bemerkte der Manager weise. „Nun, obwohl Sie Thos vermutlich auch ohne Pass verlassen könnten, würden die Behörden in Athen Sie wahrscheinlich nicht aus dem Land lassen. Ich werde mit unserer Zentrale in Athen telefonieren und nachhören, was zu tun ist. Inzwischen können Sie ja schon einmal ein Formular ausfüllen – für die Behörden, wie Sie sicher verstehen.“

Das Formular, das der Manager ihr vorlegte, bevor er sich zum Telefonieren zurückzog, war lang, und die Fragen waren unglaublich detailliert. Chloe schickte sich ins Unvermeidliche und zögerte nur bei der Rubrik „Ehestand“. Schließlich schrieb sie seufzend „getrennt lebend“ hin und faltete das Formular hastig zusammen.

Als der Manager zurückkehrte, schlug er ihr vor, doch erst einmal frühstücken zu gehen, aber Chloe war jeglicher Appetit vergangen. Sie zog es vor, wieder an den Strand zurückzugehen, wobei sie einen großen Bogen um die fröhlichen Hotelgäste machte, sie sich bereits an dem riesigen, luxuriösen Swimmingpool versammelt hatten.

Erst am entgegengesetzten Ende der idyllischen Bucht machte Chloe Halt, setzte sich in den Sand und blickte nachdenklich aufs Meer hinaus. Die schmerzlichen Erinnerungen, die sie zwei Jahre versucht hatte zu unterdrücken, brachen über sie herein. Sie hätte nie nach Griechenland zurückkehren dürfen, das war ihr jetzt klar. Sicher, Thos war nicht Rhodos und Derek nicht Leon. Aber als Derek gestern Abend gewaltsam versucht hatte, sie zu küssen, hatte dies die Erinnerungen an ihren letzten schrecklichen Streit mit Leon geweckt, als er sie beschuldigt hatte … Ihr fröstelte trotz der Hitze.

Chloe war zwanzig und sehr naiv und unerfahren gewesen, als sie Leon Stephanides kennen gelernt hatte. Obwohl sie damals schon drei Jahre als Model in Paris gearbeitet hatte, hatte sie privat ein fast klösterlich strenges Leben geführt. Sie hatte bei einer Familie gewohnt, die mit ihrem Arbeitgeber befreundet war und sie wie eine der eigenen Töchter behütete. Und nach einem erschöpfenden Zehn-Stunden-Arbeitstag als Model hatte Chloe sowieso nicht mehr der Sinn nach Vergnügungen gestanden.

Bis Leon in ihr Leben trat. In dem Moment veränderte sich alles für sie. Chloe war in seiner Gegenwart wie eine zarte Blume aufgeblüht. Wie furchtbar leicht sie es ihm doch gemacht hatte!

Sie war überglücklich, als er schon bald um ihre Hand anhielt. Ihre Eltern flogen zur Hochzeit nach Paris – eine Traumhochzeit, wie es Leons gesellschaftlicher Stellung als griechischer Großreeder angemessen war. Zwar meinte Chloes Mutter, dass sie die Sache vielleicht etwas überstürzen würde, aber Chloe schlug diese liebevolle Warnung in den Wind. Sie liebte Leon, und Leon liebte sie. Was war sie doch naiv gewesen! Warum hatte sie nicht einmal überlegt, warum Leon, ein reicher, gut aussehender Grieche, sich außerhalb seines eigenen Landes und Kulturkreises nach einer Frau umsehen sollte? Warum hatte sie sich nicht gefragt, weshalb nicht eine angemessene Heirat arrangiert worden war, wie es in seinem Land Tradition war?

Weil sie blind vor Liebe gewesen war. Ihr war es wie ein Wunder vorgekommen, dass Leon – dreißig, weltgewandt, erfahren und attraktiv – sie, die naive Zwanzigjährige, tatsächlich liebte. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, etwas davon infrage zu stellen – schon gar nicht diesen umwerfenden Mann, den sie vergötterte und der in ihr die Macht der Leidenschaft geweckt hatte.

Ihre Flitterwochen überstiegen Chloes kühnste Träume. Leon führte sie in die Kunst der Liebe ein, und sie entdeckte bei sich eine Sinnlichkeit, die sie nie für möglich gehalten hätte. Nicht ein einziges Mal in dem Monat, den sie gemeinsam an der Riviera verbrachten, zweifelte Chloe an Leons Liebe. Nicht ein einziges Mal kam ihr in den Sinn, dass sie als seine Frau nicht den wichtigsten Platz in seinem Leben einnehmen könnte. Wie bitter sie für diesen Irrtum bezahlt hatte!

„Kyria!“ Einer der Hotelkellner kam atemlos über den Strand gelaufen, offenbar auf der Suche nach ihr. „Wären Sie so freundlich, ins Hotel zurückzukommen? Der Manager möchte Sie sprechen.“

Chloe stand anmutig auf. Mit ihren feinen Gesichtszügen, den violettblauen Augen und dem hellblonden seidigen Haar zog sie immer wieder bewundernde Blicke auf sich und natürlich ganz besonders hier in Griechenland, wo ihre zarte blonde Schönheit die Männer bezauberte.

„Meine Meeresnymphe“ hatte Leon sie genannt, und sie, naiv wie sie war, hatte sich von dieser bedeutungslosen Schmeichelei einwickeln lassen und nicht im Traum daran gedacht, dass es nur eine Fassade war, um die Wahrheit vor ihr zu verbergen. Eine Wahrheit, so hässlich, dass sie nicht einmal jetzt, nach zwei Jahren, daran denken wollte. Nicht einmal ihre Eltern kannten den wahren Grund, warum sie Leon verlassen hatte. Es war ein schmerzliches Geheimnis, das sie für immer in ihrem Herzen verschließen würde.

Der Manager empfing sie im Hotel mit einem freundlichen Lächeln, das ihre schlimmsten Befürchtungen zerstreute, und führte sie erneut in das luxuriöse Büro.

„Wie es das Glück wollte, war heute früh, als ich in unserem Athener Büro anrief, einer unserer einflussreichsten Direktoren dort anwesend“, berichtete er Chloe. „Ich konnte ihm Ihre unangenehme Lage erklären, und er hat versprochen, alles zu tun, um die Sache für Sie in Ordnung zu bringen.“

Chloe lächelte dankbar. Sie konnte nur hoffen, dass das Vertrauen des Managers in seinen Vorgesetzten begründet war.

„Jetzt genießen Sie erst einmal Ihren Urlaub hier“, sagte der Manager herzlich. „Ich werde Sie informieren, sobald ich Genaueres weiß.“

Ein wenig beruhigt, zog Chloe sich in ihr Zimmer zurück. Glücklicherweise hatte sie sämtliche Hotelausgaben noch vor ihrer Abreise aus England im Voraus bezahlt, und Thos war so winzig, dass man hier sowieso nicht viel Geld ausgeben konnte. Dennoch war es ein unangenehmes Gefühl, allein in einem fremden Land zu sein mit gerade zehn Pfund Kleingeld in der Tasche.

Als sie zum Abendessen in den eleganten Speisesaal hinunterging, waren die meisten Tische bereits besetzt. Ein freundlicher Ober suchte ihr einen Platz an einem Tisch bei einem älteren Ehepaar aus Surrey, das bereits zum zweiten Mal Urlaub auf Thos machte. Die Leute waren sympathisch und aufgeschlossen, und beim angeregten Gespräch verging der Abend wie im Flug.

Chloe hatte den Verlust ihres Passes und ihrer Reiseschecks fast vergessen, als plötzlich der Hotelmanager an ihrem Tisch auftauchte.

„Haben Sie Neuigkeiten für mich?“, fragte sie. Vielleicht war Derek ja noch zur Vernunft gekommen und hatte ihren Pass am Flughafen hinterlegt.

„Sie müssen nach Athen“, antwortete der Manager. „Alles ist bereits veranlasst. Ein Hubschrauber ist hier, um Sie dorthin zu fliegen, wo man Sie erwartet …“

„Athen?“, protestierte Chloe überrascht. „Aber …“

„Es ist wirklich nötig“, versicherte ihr der Manager rasch. „Den Verlust des Passes darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es gilt, die entsprechenden Behörden aufzusuchen und die erforderlichen Formulare auszufüllen.“

Er hatte natürlich recht, wie Chloe resigniert einsah. Zumal ihr Pass nicht bloß verloren, sondern gestohlen worden war.

„Sie werden die Nacht in unserem Schwesterhotel in Athen verbringen“, fuhr der Manager fort, „und morgen früh wird man Sie dann zu den zuständigen Behörden begleiten.“

Chloe bedankte bei ihm für seine Bemühungen. Doch der Manager winkte lächelnd ab. Er bat sie, rasch eine Tasche für ihren kurzen Aufenthalt in Athen zu packen, dann würde er sie zu dem Hubschrauber begleiten.

Fünfzehn Minuten später folgte Chloe dem Hotelmanager hinaus zu dem Hubschrauberlandeplatz auf der Rückseite des Hotels. Wie der Manager ihr erklärte, war das Hotel im Besitz eines Konsortiums von Eigentümern, die auch andere Hotels besaßen und regelmäßig mit firmeneigenen Hubschraubern von Hotel zu Hotel flogen.

Chloe überlegte, dass sich mit etwas Glück das Problem mit ihrem fehlenden Pass schnell erledigen lassen würde, sodass sie hoffentlich innerhalb von vierundzwanzig Stunden wieder auf Thos sein würde. Vielleicht sollte sie ihren Aufenthalt in Athen gleich dazu benutzen, auch die britische Botschaft aufzusuchen. Allerdings musste sie mit ihren Angaben dort vorsichtig sein, denn sie war zwar stinkwütend auf Derek, wollte ihn aber doch nicht als Kriminellen abstempeln.

Der Hubschrauberpilot streifte sie nur mit einem flüchtigen Blick, als sie in die Maschine kletterte. Sekunden später waren sie bereits in der Luft, flogen über das Hotel und über die kleine Bucht, wo die Lichter an den Masten anzeigten, dass die Fischer ihre Bote zum Auslaufen bereitmachten.

Chloe hatte keine Ahnung, wie lange der Flug nach Athen dauern würde. Hin und wieder sah sie weit unter sich in der Dunkelheit einige Lichter blinken, wenn sie über andere kleine Inseln flogen, aber sosehr sie sich auch anstrengte, am Horizont war nichts zu erkennen, was die griechische Festlandsküste hätte sein können.

Als der Hubschrauber plötzlich zur Landung ansetzte, sah Chloe statt der erwarteten Lichter des Athener Flughafens nur einen einzelnen Suchscheinwerfer, dessen blendendes Licht die Dunkelheit der Nacht durchschnitt. Das ist nicht Athen! dachte sie, als der Hubschrauber Minuten später auf dem Boden aufsetzte. Instinktiv blickte sie sich suchend zu dem Piloten um. Doch der hatte seine Tür bereits geöffnet und wandte sich ab in die Dunkelheit. Eine sanfte Brise trug von draußen den Duft von Thymian herein. Chloe hörte Männerstimmen, die auf Griechisch miteinander sprachen. In plötzlicher Panik stieß sie die Tür auf ihrer Seite auf, kletterte blindlings hinaus und wäre gestolpert, wenn eine schwielige Männerhand sie nicht beim Arm gepackt hätte.

„Hier entlang, Kyria.“

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, wurde sie zu einem schmalen Pfad gezogen, der von der kleinen Landeplattform aufwärts führte. Als sie zur Besinnung kam und sich umdrehte, stieg der Hubschrauber bereits wieder hinter ihr auf und entfernte sich rasch.

„Was geht hier vor?“, fragte sie heiser, aber der Fremde, der sie immer noch am Arm gepackt hielt, ignorierte ihre Frage und drängte sie weiter den Pfad entlang.

Der Weg endete plötzlich an einer Terrasse. Licht schien durch große Panoramafenster auf den Garten und einen angrenzenden Swimmingpool. Doch obwohl das Haus hell erleuchtet war, wirkte es verlassen. Chloe wurde von namenloser Angst gepackt.

„Wo bin ich? Warum haben Sie mich hergebracht?“, fragte sie verzweifelt.

Das Haus vor ihr gehörte ganz bestimmt keinem armen Mann. Was sie von dem flachen, eleganten Bau, der Terrasse und dem großen Swimmingpool erkennen konnte, verriet Reichtum und Luxus.

Eine Bewegung in dem strahlend hellen Licht, das von dem Raum jenseits der Terrasse nach draußen schien, erregte Chloes Aufmerksamkeit. Es war die schattenhafte Silhouette eines Mannes – groß, breitschultrig. Mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze kam er die Stufen von der Terrasse herab und ging auf Chloe zu.

Obwohl der Fremde an Chloes Seite ihren Arm losgelassen hatte, stand sie wie angewurzelt da. In dem Gegenlicht war das Gesicht des Mannes, der da auf sie zukam, nicht zu erkennen. Umso deutlicher aber war die Furcht in ihren Augen zu lesen, als dieser Mann jetzt ihre Frage beantwortete – mit einer Stimme, die Chloe nur allzu vertraut war.

„Du bist auf Eos“, hörte sie ihn gelassen sagen, „der Insel der Morgenröte. Und was das Warum betrifft – ich denke, du kennst die Antwort, Chloe.“

Auf eine kleine Geste von ihm verschwand der Mann, der Chloe hergeführt hatte, und ließ sie beide allein. Wie stets hält Leon sämtliche Trümpfe in der Hand, dachte Chloe verbittert. Nicht nur die Art, wie er sie auf diese Insel entführt hatte, nein, zweifellos stand er auch ganz bewusst mit dem Rücken zum Licht und etwas erhöht, sodass er sie noch mehr als sonst überragte, was seinen Worten zusätzlichen Eindruck verlieh. Aber sie war nicht mehr die naive, vertrauensselige kleine Närrin, die ihn geheiratet hatte.

Chloe bewegte sich zur Seite, sodass Leon gezwungen war, sich ebenfalls zu drehen. Das Licht aus dem Haus fiel nun auf seine markanten Züge, die sich nicht verändert hatten, allenfalls noch härter geworden waren. Leon war immer ein attraktiver Mann gewesen, aber nun, durch Erfahrung reifer geworden, bemerkte Chloe die geradezu aggressiv erotische Ausstrahlung seines scharf geschnittenen Gesichts mit dem unwiderstehlich sinnlichen Mund. Das dunkle Haar trug er länger als früher, und bei der Erinnerung, wie seidig es sich angefühlt hatte, kribbelte es ihr unwillkürlich in den Fingern. Nur die hellgrauen, von seidigen schwarzen Wimpern umrahmten Augen ließen etwas wie Verletzlichkeit vermuten – eine Täuschung, wie Chloe allzu bitter hatte erfahren müssen.

„Ich kenne die Antwort?“ Chloe zog die feinen Brauen spöttisch hoch. Seit sie Leon verlassen hatte, hatte sie gelernt, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Zwar hatte sie keine Ahnung, was Leon von ihr wollte, doch sie würde sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie sein unerwartetes Auftauchen bestürzt hatte. Er kann mich nicht mehr erschüttern, rief sie sich energisch ins Gedächtnis. Ihre Liebe war die Schwärmerei eines naiven jungen Mädchens für einen aufregenden, erfahrenen Mann gewesen. Und der Mann, für den sie ihn gehalten hatte, der Mann, den sie geliebt hatte, hatte nie existiert. Sie verdrängte die Erinnerung daran, wie er ihre Hemmungen überwunden und sie von einem scheuen Mädchen in eine leidenschaftliche Frau verwandelt hatte. Das alles war nur eine Farce gewesen, eine selbstsüchtige, kaltblütig geplante Täuschung.

„Willst du die Scheidung?“, fragte sie herablassend. „Mein lieber Leon, du kannst sie haben, und dazu brauchtest du nicht diese lächerliche Räuberposse aufzuziehen.“

Autor

Penny Jordan

Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...

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