Liebe zartbitter

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Süß, schmelzend, verführerisch - diese Pralinés sind jede Sünde wert! Noch nie hat Tom etwas so Delikates gekostet. Aber die zarteste Versuchung ist für ihn die hinreißende Herstellerin, die ihn geradewegs zum Vernaschen einlädt ...


  • Erscheinungstag 13.07.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788087
  • Seitenanzahl 122
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dieses eine Mal im Leben bin ich auf einen Mann mit Fantasie gestoßen, dachte Panama Prill, als Marco sein funkelnagelneues BMW-Cabrio durch den Vorsprühbogen von „Superwash“ steuerte. Ein Blick auf die leuchtend rote LCD-Anzeige des Armaturenbretts verriet ihr, es war genau ein Uhr dreiundzwanzig – nachts.

Kein anderes Date der letzten neun Monate, seit ihrer Trennung von Rick, hatte sich so prickelnd angefühlt. Marco war unterhaltsam, hatte einen karategestählten Körper und seine herausfordernd blitzenden blauen Augen sprühten vor Selbstbewusstsein. Für Panamas Geschmack redete er allerdings eine Spur zu gern über sich – und seinen neuen Wagen. Aber diese Nebensächlichkeiten zählten nicht. Sie war nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Sie wollte Spaß. Den Traum von der großen Liebe hatte sie fürs Erste begraben. Schönen Dank auch, Rick.

Unaufhörlich prasselte der Sprühregen aus der Sprinkleranlage über die Windschutzscheibe. Marco schaltete den Scheibenwischer ein und streichelte mit der rechten Hand sanft über Panamas Schenkel. Er ließ den Wagen langsam vorrollen, bis der grüne Pfeil erlosch und ein grellrotes „Stopp“ aufleuchtete.

„Ab jetzt geht alles automatisch“, flüsterte Marco ihr zu und kontrollierte dann, ob er auch die Handbremse gelöst hatte. Mit einem Ruck setzte sich der Wagen wieder in Bewegung und schaukelte langsam auf eine riesige rotierende Bürste zu. Als sie über die Windschutzscheibe wirbelte und das Wageninnere in ein bläuliches Dämmerlicht tauchte, ließ Marco die Rückenlehne nach hinten sinken. Der Hauch seines Atems streifte Panamas Ohr. Marco legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Seine Lippen bahnten sich den Weg von ihrem Mund über ihren Hals zu ihrem Dekolleté.

Marco war Besitzer und Geschäftsführer der Waschstraße „Superwash“ am Klettenberggürtel. Bei Pasta und Wein im „Alfredos“ hatte Panama ihm erzählt, wie erregend sie die Fahrten mit ihrem alten Kombi durch den Dschungel der rotierenden Bürsten und spritzenden Wasserfontänen fand. Sie hatte kaum ihren Espresso ausgetrunken, da ließ Marco schon die Rechnung kommen und lud sie zu einer nächtlichen Waschtour ein. Er hatte nur zehn Minuten gebraucht, um die Anlage hochzufahren und – dank modernster Steuerungssoftware – die Durchfahrtsgeschwindigkeit auf „superlangsam“ einzustellen.

Marco schob seine Hände unter ihren Rock. Gleichzeitig versuchte Panama, sich ein wenig zur Seite zu drehen, da sich der Schaltknüppel in ihre Hüfte bohrte. Ein Cabrio war eine verdammt kleine Spielwiese. Marcos Küsse wurden heftiger. Seine Zunge bewegte sich in ihrem Mund nur leicht außer Takt mit den kreisenden Textillappen, die über die Scheiben klatschten.

Was dann passierte, konnte sich Panama erst im Nachhinein zusammenreimen. Sie musste sich mit ihren roten Stiletto-pumps gegen das Armaturenbrett gestemmt haben, jedenfalls war Marcos Zunge plötzlich nicht mehr der einzige feuchte Lappen, der im Innenraum umherkreiste. Das Dröhnen der Rotoren und Pumpen schwoll mit einem Schlag auf die zehnfache Lautstärke an. Ein Schwall warmer Seifenlauge ergoss sich über beide, und Marcos Zunge erstarrte im Gefecht mit ihrer Zungenspitze. Im nächsten Moment stieß er Panama grob zur Seite.

„Bist du wahnsinnig?“, brüllte er.

Schaumflocken wirbelten um ihre Köpfe.

„Was ist passiert?“, rief Panama und versuchte sich den Seifenschaum aus den Augen zu reiben.

Sie konnte Marcos Gesicht nur verschwommen erkennen. Wild fuchtelte er zwischen ihren Knien. Die langen Textillappen der Waschanlage peitschten über seine sorgfältig gegelte Frisur.

„Ich fass es nicht!“ Brutal riss er ihr linkes Bein nach oben.

Doch es war schon zu spät. Das Verdeck seines vierzigtausend Euro teuren Wagens hatte sich bereits vollständig geöffnet. Noch auf der Herfahrt hatte Marco ihr stolz erklärt, dass die vollautomatische Verdecköffnung nur zehn Sekunden benötigte. Offensichtlich hatte sie bei der heißen Knutscherei ihren Stilettoabsatz auf den entsprechenden Knopf am Armaturenbrett geparkt.

„Verdammte Scheiße! Bist du blöd? Die ganze Lederausstattung ist ruiniert!“ Hektisch drückte er auf dem Knopf der Schließautomatik herum. „Was den Grips angeht, sind anscheinend selbst dunkelhaarige Frauen blond!“

„Schrei mich nicht an! Tut mir leid, aber was kann ich dafür, dass es in deinem Wagen so eng ist?“ Wütend strich sich Panama eine klatschnasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Wenigstens waren die wirbelnden Textillappen keine Gefahr mehr, sie wuschen gerade die Hintersitze.

„Und mir tut es leid, dass du mir jemals über den Weg gelaufen bist!“ Marco schmetterte die Faust auf das schaumbedeckte Lenkrad.

„Na dann, tschüss! Schöne Fahrt noch durch den Trockner und pass auf, dass dir das Gebläse nicht deine kümmerliche Macho-Gehirnzelle aus dem Schädel fegt!“ Panama stieß die Wagentür auf und sprang hinaus.

Sie musste mit den Armen rudern, um nicht auf dem glitschigen Fliesenboden auszurutschen. Zehn Zentimeter hohe Slingpumps waren definitiv keine geeignete Fußbekleidung für eine Tour durch die Waschstraße. Und noch viel weniger, wenn diese gerade das Waschprogramm Nummer drei „Firstclass“ abspulte – inklusive Superpflegeschaum, Heißwachsbehandlung, Perlglanzpolitur, Unterbodenspülung und Felgenspezialreinigung.

Panama versuchte abzuschätzen, in welche Richtung sie am schnellsten nach draußen gelangte. Sollte sie sich durch den Trockner wagen? Lieber nicht! Sie hatte wenig Lust, Marco am Steuer seines Wagens im Rücken zu haben. Wütend wie er war, würde er vielleicht in Versuchung kommen, aufs Gaspedal zu treten. Besser, sie kämpfte sich durch das Bürstenlabyrinth zur Einfahrt zurück. Sie presste ihre Samthandtasche vor die Brust, versuchte mit einer Hand ihre Augen vor den Seifenlaugeflocken zu schützen und rannte, so schnell es ihre Schuhe zuließen, Richtung Tor.

Bei der schlechten Sicht konnte sie den Zusammenprall mit einem der Bürstenmonster nicht verhindern. Dem Schmerz nach zu urteilen, würde ein blau geschwollener Oberarm sie mindestens sechs Wochen lang an dieses Abenteuer erinnern. Je weiter sie sich durch die angeblich lackschonenden Textillappen – ihr Outfit jedenfalls war komplett ruiniert –, Seitenrotoren und Radkappenbürsten nach draußen kämpfte, umso leiser drangen Marcos Flüche an ihr Ohr.

Ihre Augen brannten, als sie endlich in die Nacht hinaustrat. Das korallenfarbene Top und ihr smaragdgrüner Bleistiftrock klebten wie eine zu eng gewordenen Haut an ihrem Körper. Panama atmete tief durch und ließ den Blick über den Himmel schweifen, an dem ein unverschämt orange schimmernder Mond prangte. Seufzend streifte sie ihre Schuhe ab und überquerte barfuß den Vorplatz mit den Staubsaugerstationen. Der Asphalt war noch warm von der Hitze des Tages.

„Wieso schaffe ich es jedes Mal, mir zielsicher die größten Idioten an Land zu ziehen?“, murmelte sie kopfschüttelnd. Sie hätte es als Alarmzeichen werten sollen, dass Marco bei ihren Restaurantbesuchen immer auf einen Tisch bestanden hatte, von dem aus er seinen Wagen im Auge behalten konnte.

Das Schicksal hatte Panama ein Abonnement auf Irrtümer ausgestellt. So schien es ihr zumindest.

Und mit ihrem Vornamen musste alles angefangen haben.

Als Panamas Vater überglücklich die Ankunft seiner erstgeborenen Tochter mit Sekt begossen und, an Onkel Carl geklammert, auf dem Standesamt erschienen war, hatte er „Panama“ statt „Pamela“ in das Geburtsanzeigeformular eingetragen. Er hatte wenige, aber entscheidende Silben durcheinandergebracht.

Der Irrtum wurde nie korrigiert, da Panamas Mutter nach dem ersten Schock Gefallen an dem exotischen Namen fand. Panama fragte sich oft, ob das Schicksal dies nicht als Einladung verstanden hatte, lustig weiter Irrtum über Irrtum ihres Weges zu schicken – die Geschichte mit ihrem Exfreund Rick war da nur ein Beispiel.

Vor neun Monaten, als sie früher als erwartet von einem Besuch bei einer Freundin in Berlin nach Hause kam, hatte sie ihn mit einer dämlich kichernden Brünetten im Bett überrascht. Wie sie später herausfand, hatte er sie von Anfang an mit anderen Frauen betrogen. Es war mehr als bitter gewesen zu erkennen, dass sie über zwei Jahre ihres Lebens an einen absoluten Fehlgriff verschwendet hatte.

In der folgenden Woche hatte sie sich die Augen ausgeheult und jede Mahlzeit verweigert. Zwei weitere Wochen verbrachte sie damit, abwechselnd einen Berg von Taschentüchern vollzuschniefen oder sich mit Schokolade vollzustopfen, bis ihr schlecht wurde. Dann war die Selbstmitleidphase überstanden, und zurück blieb die blanke Wut. Auch auf sich selbst. Wie hatte sie nur so naiv sein können!

Doch damit war Schluss! Die große Liebe konnte ihr gestohlen bleiben. Alles nur Betrug! Sie jedenfalls hatte nicht die Absicht, sich den Spaß am Leben wegen eines treulosen Ex verderben zu lassen. Wenn ihr ein süßer Typ über den Weg liefe, würde sie ihn vernaschen, aber ihr Herz bliebe künftig erst einmal unter Verschluss. Das Leben war ein Abenteuer – und sie würde sich überraschen lassen, wo es sie hinführte. An diesem Abend leider – wieder so ein Irrtum – ins „Superwash“.

Anscheinend hatte sie bei der Auswahl ihrer Zielobjekte noch ein wenig Übung nötig.

2. KAPITEL

„Laut einer Studie verbringen wir sechzehn Stunden unseres Lebens mit sexuellen Höhepunkten“, sagte Li Mei. „Hört sich ziemlich wenig an, auf die absolute Lebenszeit gerechnet. Findest du nicht auch?“

Sie schob schwungvoll einen Rollkorb vor die Chocolaterie „Zarte Versuchung“ in der Apostelnstraße. Tüten voll daumengroßer Geleefrüchte und mit Mokkacreme gefüllter Schokobohnen stapelten sich verführerisch bis fast über den Rand.

„Der gestrige Abend hat meinen Schnitt jedenfalls nicht erhöht“, antwortete Panama. „Du hättest mal Marcos Gesicht sehen sollen, als ihm plötzlich die Waschlappen um die Ohren fegten.“

Sie lachte und legte den Arm um Li Meis Schulter. „Komm, du musst unbedingt meine Vanille-Pistazien-Trüffel probieren. Als Stärkung, bevor deine Mittagsgäste das Restaurant stürmen.“

Li Mei war Panamas beste Freundin, seit sie in der Grundschule ihr gemeinsames Faible für Barbiepuppen mit Wechselperücken und für Fünf-Freunde-Bücher entdeckt hatten. Li Meis Vater besaß das Chinarestaurant „Ming’s Garden“, das direkt gegenüber von Panamas Chocolaterie lag.

„Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht“, erwiderte Li Mei lächelnd, sobald sie die kunstvoll aufgeschichtete Pyramide der mit weißer Schokolade überzogenen Kugeln erblickte. Panama griff mit der Silberzange eine davon und reichte sie ihr. Genüsslich schob Li Mei sie in den Mund.

„Hmmm! Zum Dahinschmelzen. Die solltest du unbedingt in dein Standardprogramm aufnehmen.“ Li Mei leckte sich die Finger und ging zur Tür.

„Wenn die Kunden danach Schlange stehen, bestimmt“, rief Panama und schickte leise hinterher: „Ein bisschen mehr Umsatz wäre dringend nötig.“

Panama hatte vor drei Monaten den alten Süßwarenladen ihrer Tante Tilly übernommen, die nun mit sechsundsechzig Jahren ihren Ruhestand genießen wollte. Obwohl Ruhestand in ihrem Fall definitiv der falsche Begriff war. Tilly Stern und Giuseppe, ihr italienischer Lebensgefährte, waren berüchtigt für ihre stürmische Beziehung und unternehmungslustigen Einfälle.

Mit ihren zusammengekratzten Ersparnissen hatte Panama das alte Interieur aufgemöbelt und den Laden in eine schicke Chocolaterie verwandelt, in der sie süße Köstlichkeiten aus aller Welt und dazu eigene Pralinenkreationen verkaufte. Die Renovierung hatte sie erst vor zwei Wochen beendet.

Hoch konzentriert, schichtete Panama nun Fruchtgeleekugeln und Fondants auf eine dreistöckige Silber-Etagere.

„Das sieht ja zum Anbeißen lecker aus, Frau Prill.“

Sie zuckte erschrocken zusammen und hob den Kopf. Vor ihr stand, lässig mit einem Ellbogen auf die Pralinentheke gestützt, Arndt Hirning. Er war Mitte vierzig und führte vor seinem Hohlkreuz einen tief sitzenden Bauch spazieren. Seine Tage verbrachte er mit der Verwaltung seines frisch geerbten Immobilienbesitzes von mehr als zehn Geschäfts- und Mehrfamilienhäusern, die sich strategisch über die Kölner Innenstadt verteilten. Das Haus, in dem sich Panamas Ladenlokal befand, gehörte leider dazu.

„Herr Hirning, wie schön, dass Sie mich einmal besuchen“, begrüßte ihn Panama. Es gab kaum einen Menschen, den sie mehr verabscheute – von Rick einmal abgesehen.

Arndt Hirning hatte seinen Vater Siegfried, der vor sechs Monaten einen Schlaganfall erlitten hatte, für geschäftsunfähig erklären lassen, so schnell er nur konnte. In den ganzen zehn Jahren davor war er nur dann aufgetaucht, wenn er Geld brauchte. Tilly und Panama hingegen hatten für den alten Herrn eingekauft und ihn zum Arzt gefahren. Vor drei Wochen war der Senior, mit dem sein Sohn nur den Nachnamen, nicht aber seinen herzensguten Charakter teilte, gestorben.

„Der Laden ist ja nicht mehr wiederzuerkennen. Sie haben aus der Bonbon-Klitsche Ihrer Tante ein echtes Prachtstück gemacht.“ Arndt Hirning ließ den Blick anerkennend über die geschmackvoll aufpolierten nostalgischen Möbel, den Kronleuchter und die riesigen Kristallspiegel mit den Goldrahmen wandern.

Panama hatte die Stücke auf Trödelmärkten im belgischen Grenzland billig erstanden. Den Blickfang des Ladens bildete ein antiker Kamin, der aus einer abbruchreifen Villa in den Ardennen stammte. Davor luden zwei Sessel im Empirestil die Kunden ein, sich bei einer Tasse duftender Trinkschokolade von ihren Einkäufen zu erholen.

„Es hat viel Zeit und Schweiß gekostet, aber ich finde auch, es hat sich gelohnt.“ Panama war stolz, mit ihren bescheidenen Ersparnissen das Maximum an Wirkung erzielt zu haben. Giuseppe, von Beruf Schreiner, hatte sie dabei tatkräftig unterstützt.

„Mit so einem Luxus-Shop fahren Sie sicher ordentlich was ein“, meinte Arndt Hirning und musterte die altmodische Registrierkasse.

„Ich habe den Laden erst vor zwei Wochen wiedereröffnet. Bis zum Herbst wird das Geschäft hoffentlich brummen.“ Panama fragte sich, warum er hergekommen war.

„Gut zu hören.“ Arndt Hirning griff in seine Jackett-Tasche und zog einen Umschlag hervor. „Ich habe den Mietvertrag, den ihre Tante zuletzt vor einem Jahr mit meinem Vater verlängert hat, prüfen lassen. Mein alter Herr hatte ein weiches Herz, insbesondere, wenn es um seine alte Schulfreundin Tilly Stern ging. Die Miete liegt weit unter dem, was man für schicke Geschäftsräume in dieser Lage verlangen kann. Ab November erhöht sich die Miete um dreißig Prozent.“ Er legte den Umschlag auf die Verkaufstresen.

Für Panama war das wie ein Schlag in die Magengrube. „Moment, das können Sie nicht. Im Vertrag wurde doch festgehalten, dass ich dieselben Konditionen wie meine Tante bekomme.“

„Das ist leider nicht zu ändern“, antwortete er. „Zum Glück hat mein Vater bei der Formulierung vergessen, den Mietpreis zu erwähnen. Alzheimer hat doch auch sein Gutes.“

„Dann wünsche ich Ihnen alles Gute der Welt!“, rief Panama wütend. „Nur weil ich den Laden aufgepeppt habe, heißt das nicht, dass sich mein Umsatz gleich in astronomische Höhen schwingt.“

„Das sollte er aber besser. Es gibt solvente Interessenten, die schon ein Auge auf das Lokal geworfen haben.“ Sein Handy klingelte. Er zog es aus seiner Brusttasche und klappte es mit einer Bewegung seines Zeigefingers auf. „Grüße Sie, Doktor Behrens! Wir können uns noch heute im Objekt treffen …“ Er nickte ihr herablassend zu und verschwand durch die Tür.

Panama hätte sich am liebsten eines der Schokofonduetöpfchen geschnappt und ihm mit einem gezielten Wurf den Hinterkopf gespalten.

Sie streifte den dünnen Plastikhandschuh ab, den sie zum Pralinensortieren übergezogen hatte, griff nach einer großen Fruchtgelee-Erdbeere und schob sie sich in den Mund. Ihr Hirn brauchte dringend einen Zuckerkick. Kauend dachte sie über eine geeignete Strategie nach. Sie hatte nicht die Absicht, sich von „Herrn Hirnlos“ aus dem Laden treiben zu lassen. Irgendwie musste sie es schaffen, bis November ihren Umsatz anzukurbeln, denn keine Bank würde ihr einen Kredit gewähren. Bisher hatte sie sich von Monat zu Monat gehangelt, und mittlerweile war ihre Kapitaldecke wie Schokolade in der Augustsonne zusammengeschmolzen. Sie sollte sich dringend etwas einfallen lassen.

Zumindest hatte der Vormittag einen Hoffnungsschimmer in Form einer größeren Bestellung beschert. Panama überprüfte noch einmal den großen cremefarbenen Lackkarton, in den sie zwei Kilo ihrer feinsten Pralinen gepackt hatte. Jede einzelne hatte sie sorgsam in eine Papiermanschette gesetzt. Der Faltkarton war bis zum Rand gefüllt mit Marc-de-Champagne-Trüffeln, Amarettomousse-Pralinés, Mokkalikör-Cremestäbchen, Pistazien-Orangenmarzipan, Nougatherzen und Panamas Starkreation für die Sommersaison: Panama Delight – Mini-Ananasfrüchte aus Edelbitterschokolade, gefüllt mit Ananasrumcreme.

Panama betrachtete zufrieden das harmonische Farbspiel der verschiedenen Schokotöne und Verzierungen. Die Sorten waren in perfekter Ausgewogenheit verteilt. Vorsichtig schloss sie den Deckel und band eine rote Satinschleife um den Karton.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon halb drei: keine Zeit mehr zu verlieren. Rasch hängte sie das handgemalte „Bin gleich zurück“-Schild an die Tür und schloss hinter sich ab.

Behutsam legte sie den Karton in die gepolsterte Kühlbox ihres speziell für den Schokotransport umgebauten Firmenfahrrads und schwang sich in den Sattel. Sie würde nur fünf Minuten für den Weg zur Maastrichter Straße und zurück brauchen und hoffte, dass sie keinen Kunden warten ließ. Aber die Lieferung war wichtig und ihre Fracht zu empfindlich, um sie einem Taxikurier anzuvertrauen. Zap Entertainment Productions, eine der größten Fernsehproduktionsfirmen der Stadt, hatte die Lieferung für das Prominenten-Catering während der Show Duell der Stars bestellt, die am Abend aufgezeichnet werden sollte.

Panama rollte im Slalom durch die verstopfte Ehrenstraße. Vor der Kreuzung Friesenwall wäre sie fast auf die Stoßstange eines Mercedes-Sprinters geprallt, der ihr die Vorfahrt nehmen wollte. Nur mit Mühe konnte sie das Gleichgewicht halten. Panama schüttelte wütend die Faust. Doch der – nach der Kraterlandschaft auf seinem Gesicht zu urteilen – noch tief in der Spätpubertät steckende Fahrer grinste nur blöde.

Jetzt nur keinen Sturz hinlegen, betete Panama im Stillen. Das hätte gerade noch gefehlt. Wenn sie auf regelmäßige Bestellungen der Firma hoffen wollte, musste sie einen professionellen Eindruck hinterlassen: Panama Prill, der Inbegriff einer souveränen Geschäftspartnerin, deren Ware und Service in dieser Stadt ihresgleichen suchte.

Zap Entertainment hatte sich in einer ehemaligen Brotfabrik an der Maastrichter Straße niedergelassen. Schon in der Eingangshalle machten zwanzig an die Wand montierte Bildschirme, auf denen lauter verschiedene Programme liefen, deutlich, welche Art von Brötchen hier nun gebacken wurde.

Den Faltkarton vorsichtig balancierend, ging Panama auf den Empfangstresen zu. Die Absätze ihrer mit Kirschen aus rotlackiertem Holz verzierten Sandalen klackerten über den glänzenden Marmorboden.

Die Empfangsdame, die sich in ein anthrazitfarbenes Jackett gepresst hatte, das eine Nummer zu klein war, schaute auf und verzog ihren Mund zu einem mechanischen Lächeln.

„Guten Tag, ich habe hier die Pralinenlieferung für die Produktion Duell der Stars.“

„Vorderer Aufzug. Dritter Stock. Links“, antwortete die Platinblonde gedehnt, ohne ihr in die Augen zu sehen.

Sie hat mich mit einem Wimpernschlag in die niedere Lebensform einer Lieferantin einsortiert, dachte Panama, während sie dem Aufzug zustrebte.

Die Tür öffnete sich mit einem Gongton und spuckte zwei mit Headsets und Klemmbrettern ausgestattete Jungs in weiten Hip-Hop-Hosen aus. Vor Panama betraten ein gedrungener Anzugträger und ein großer breitschultriger Mann mit dunkelblondem welligem Haar den Aufzug. Die ausgewaschene blaue Jeans des Letzteren modellierte perfekt sein knackiges Hinterteil.

Immer schön die Augen auf der Pralinenkiste halten, ermahnte sich Panama.

Der Mann präsentierte ein attraktives Profil, als er sich nach rechts drehte und auf einen der Knöpfe drückte. Im selben Augenblick ertönte ein Klingelton. Der Anzugträger klopfte hektisch seine Brusttasche ab und zog ein Handy hervor. Als Panama durch die Aufzugstür trat, drängelte er, das Telefon ans Ohr gepresst, wieder nach draußen.

Panama drehte sich blitzschnell zur Seite und versuchte, die Pralinen aus dem Weg zu halten. Fast hätte der Kerl sie ihr vom Arm gerissen.

Im nächsten Moment ging ein Ruck durch die Kabine und die Tür schnappte zu. Beim Umbau des Gebäudes hätte die Firma besser auch in die Modernisierung des vorsintflutlichen Aufzugs investieren sollen. Die Türkante drückte Panama den Lackkarton vor die Brust. Er platzte auf.

Marc-de-Champagne-Trüffel, Amarettomousse-Pralinés und alles, was noch an Raffinessen darin verpackt war, prasselten rechts und links von ihr nieder. Panama konnte förmlich spüren, wie sich die Cremefüllungen auf ihrem Top verteilten. Fassungslos starrte sie auf eine Modekreation hinunter, die sich selbst der durchgeknallteste Avantgarde-Designer nicht hätte ausdenken können: Ihren cremefarbenen Seidentraum schmückten alle Pralinenfüllungen des Sortiments, und im Takt mit ihren Atemzügen wippte ein Nougatherz auf ihrem Dekolleté.

3. KAPITEL

Nach acht Jahren Privatfernsehen und drei Jahren als Redaktionsleiter der Guten Morgen Show war Tom Jordan fest davon überzeugt, dass ihn nichts mehr überraschen konnte. Doch als er sich zur Tür drehte und plötzlich Pralinés wie Minigeschosse auf ihn einprallten, war er zu verblüfft, um auch nur zur Seite springen zu können. Vielleicht hatte das auch damit zu tun, dass sein Blick auf ein schokoladenverziertes, äußerst attraktives Dekolleté fiel, dessen Besitzerin sich keuchend gegen die Aufzugstür stemmte.

„Ein Krokodilmaul könnte nicht tückischer zuschnappen als dieses Aufzugungeheuer.“ Die dunkelhaarige Frau verzog angestrengt das Gesicht, während sie versuchte, die Tür zurückzuschieben.

Guck nicht so blöd, Tom, hilf ihr. Sein Reaktionsvermögen hatte sich an diesem Tag offenbar im Zeitlupenmodus aufgehängt. Wahrscheinlich waren die vielen Überstunden der letzten Monate schuld. Tom streckte seinen Arm aus und wuchtete mit einem Ruck die Tür ein Stück zurück. „Der ist ein hinterhältiges Biest. Ich bin auch schon dazwischen geraten.“

Er packte den Ellbogen der Frau und zog sie in die Aufzugskabine hinein. „Haben Sie sich verletzt?“ Besorgt sah er ihr in die Augen und bemerkte, dass sie haselnussfarben waren.

Sie schaute auf den zerrissenen Karton in ihren Händen hinunter. „Körperlich nicht. Aber … Mann, es ist so peinlich, dass es wehtut.“ Sie versuchte, mit einer Hand die Schokoladencreme von ihrem Top zu wischen. „Die ganze Lieferung ist ruiniert …“, sie stockte, fasste sich in den Ausschnitt und zog ein nur leicht angeweichtes Schokoladenherz aus dem Spalt zwischen den beiden – wie Tom bereits festgestellt hatte – sehr ansehnlichen Wölbungen hervor, „… fast die ganze Lieferung, um genau zu sein“, ergänzte sie und warf ihm dabei ein verschämtes Lächeln zu.

Wie hypnotisiert starrte er auf die Praline. Ein absurdes Verlangen stieg in ihm auf, sie ihr von den Fingern zu schlecken und sich dann der Stelle zuzuwenden, von der sie diese hervorgezaubert hatte. Hallo, entspann dich! Er hatte offenbar dringend ein paar Tage Urlaub nötig. Ihr war ein Unglück passiert, und er hatte nichts Besseres zu tun, als sich erotischen Fantasien hinzugeben.

Der Aufzug hatte mittlerweile den dritten Stock erreicht, und die Tür sprang auf. „Äh … kommen Sie, in der Küche kann ich … können Sie die Schokolade abwaschen“, sagte Tom und riss seinen Blick los.

„Bitte keine Umstände. Ich sammle nur schnell das Zeug ein und verschwinde dann lieber, bevor mich mein Auftraggeber in diesem Zustand zu Gesicht bekommt“. Sie ging in die Hocke und begann die Schokohäufchen vom Boden zu klauben.

Tom betrachtete das hauchdünne Seidentop, das an strategisch wirkungsvollen Stellen festklebte und jede Linie ihrer Brüste so deutlich nachzeichnete, als trüge sie nichts außer einem Bodypainting auf der Haut. „Glauben Sie mir, es wäre keine gute Idee, wenn Sie so unter die Leute gingen. Um den Aufzug werde ich mich gleich kümmern, kommen Sie.“

Zögernd stand sie auf, hielt sich den ramponierten Karton wie einen Schild vor die Brust und trat aus der Kabine.

Tom führte sie in die Redaktionsküche, die, so kurz nach der Mittagspause, wie verwaist war. Er nahm ein Küchenhandtuch vom Haken und hielt es unter den Wasserhahn. „Wo sollte das Paket hingehen?“ Er reichte ihr das tropfnasse Tuch und nahm ihr den Karton aus der Hand. Die Aufschrift „Chocolaterie“ und darunter in größerer Schrift „Zarte Versuchung“ fiel ihm ins Auge. Sehr passend, dachte er und schaute, ob er eine Adresse entdecken konnte.

„Zur Produktion Duell der Stars.“ Die Schokoladengöttin warf einen Blick auf die Uhr, die über der Tür hing. „Verflixt, ich muss schleunigst Ersatz herbeischaffen, sonst kann ich jeden weiteren Auftrag vergessen.“ Hektisch versuchte sie die Schokoladenmasse von ihrem Top zu reiben.

Tom musste sich zwingen, seinen Blick abzuwenden. Zwar verschwand bei ihrer energischen Reinigungsaktion die klebrige Schokoschicht, doch der großzügige Wassereinsatz hatte den Seidenstoff nun komplett durchsichtig gemacht.

Suchend schaute Tom sich um. Er musste irgendetwas finden, das er ihr umbinden konnte. Sonst würde er noch den Verstand verlieren oder bei dem Gedanken, dass sie seinen männlichen Kollegen in diesem Outfit unter die Augen trat, vor Eifersucht zerplatzen.

Dummerweise war die Büroküche eine unergiebige Fundstelle für Damenoberbekleidungsersatz. Er konnte ihr ja schlecht ein Tablett vor die Brust binden … oder zwei Untertassen. Kurzentschlossen knöpfte er sein Hemd auf und zog es aus.

Autor

Nina Bergen
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