Manchmal hilft ein kleiner Kuss

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Was für eine wundervolle Erfahrung, von dem attraktiven Cutter geliebt zu werden, seine Lust hautnah zu spüren und für ihn die Einzige zu sein - nicht wie bei Adriannes betrügerischem Ehemann, der eine Freundin hatte. Adrianne ahnt nicht, dass auch Cutter längst nicht so ehrlich ist, wie er zu sein vorgibt …


  • Erscheinungstag 05.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756819
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Cutter Matchett unterbrach seine Schmirgelarbeit und fuhr mit schwieliger Hand über das glatte Eichenholz. Er spürte die kleinste Unebenheit, wünschte aber, Mr. Jonathon Round würde ihm aus dem Licht gehen.

„Wie auch immer“, fuhr in diesem Moment der glatzköpfige junge Mann in seinem Bericht fort. „Kaum eine Stunde, nachdem unser Steuerberater sich die Fünfundzwanzigtausend unter den Nagel gerissen hat, macht er sich aus dem Staub und rast über die Autobahn. Und was passiert?“

Ohne aufzusehen packte Cutter den Versicherungsagenten bei dessen kunstseidener Krawatte und zog ihn aus dem Licht zur Seite.

„Hören Sie mir überhaupt zu, Cutter?“

Cutter prüfte das Sandpapier, faltete es zu einem kleineren Quadrat zusammen und begann von Neuem, das Holz zu bearbeiten. „Kommen Sie zur Sache, John.“

„Jonathon.“

„Wie auch immer.“

„Also, Mr. Harvey Rhodes nimmt eine Kurve zu schnell – möglicherweise weil er von dem gerade begangenen Diebstahl noch erregt ist – und rast gegen die Leitplanke.“ Jonathon schlug die Handflächen gegeneinander. „Fazit: schwere innere Verletzungen. Mausetot. Aber das ist noch nicht alles.“

„Kann ich mir denken.“

„Die Polizei ist sofort zur Stelle, aber wo ist das Geld? Eben erst hat er das Büro mit den Scheinen verlassen, – von einem Stop zwischendurch ist nichts bekannt –, dennoch gelangen die Fünfundzwanzigtausend niemals bis zum Leichenschauhaus. Die Dollar sind weg, und niemand weiß, wo sie abgeblieben sind.“

Cutter hob den Kopf.

„Erst zwei Wochen später merkt unser Klient, dass sein Steuerberater ihn reingelegt hat. Inzwischen hat die trauernde Witwe den Toten beerdigt, der Wagen wird verschrottet, und unser Klient verlangt, dass wir zahlen. Zwar stellt die Polizei Nachforschungen an, aber es gibt keine Zeugen. Die Beamten schwören, dass sich außer einigen persönlichen Sachen nichts im Wagen befand.“

„Dann hat sich ein Polizist die Finger schmutzig gemacht. So etwas soll schon vorgekommen sein.“

Jonathon schüttelte den Kopf. „Ich spür ‚s im Bauch. Der Mann versteckte die Scheine, ehe er gegen die Wand fuhr. Wetten, dass das Geld gar nicht im Wagen war, als die Polizei eintraf?“

Cutter verzichtete darauf, das Gespür des Agenten zu kommentieren. „Hatte er Zeit, seine Frau aufzusuchen?“ Ungewollt erwachte Cutters Interesse. „Sitzt sie auf den Scheinen?“

Jonathon Round grinste. „Und genau hier kommen Sie, Cutter, ins Spiel.“

Wie bei jedem Zusammentreffen mit dem Vertreter der First Fidelity Versicherung, wurde es Cutter wieder bewusst, dass er den Mann nicht mochte. Er hatte auch eine Abneigung gegen die Ermittlungsaufträge, die Jonathon ihm übergab. Aber die Bezahlung war gut, und die Arbeit trainierte seine grauen Zellen.

Es gab nämlich nicht viel Nachfrage nach einem Ex-Spionageoffizier der Marine in Little Rock, Arkansas. Hin und wieder löste Cutter ein paar Fälle für Jonathon Round, was einen gewissen nostalgischen Reiz hatte.

„Als wir hörten, dass Mrs. Harvey Rhodes einen Tischler für ein Renovierungsprojekt benötigt“, erklärte Jonathon, „kam ich auf die Idee, Sie anzusprechen. Während Sie tagsüber allein in deren Haus sind und Löcher in die Wände schlagen, nutzen Sie die Gelegenheit herauszufinden, wie viel Geld in Mrs. Rhodes Sparschwein steckt. Unser Freund Harvey hinterließ ihr jedenfalls nichts als ein Sparbuch.“

„Wie fanden Sie das alles nur heraus? Haben Sie ihre Post geöffnet?“

„Ich habe sie beobachtet. Erst ließen wir die Sache sechs Monate schleifen, aber dann musste First Fidelity zahlen. Falls eine Chance besteht, mein Geld zurückzubekommen, will ich sie nützen.“

Das glaube ich unbesehen, dachte Cutter verächtlich. „Fünfundzwanzigtausend sind doch gar nichts für eine Versicherung Ihrer Größenordnung. Warum vergessen Sie die Frau nicht einfach und lassen ihr den Geldschatz?“

„Da es in meinem Bereich passierte, betrifft es schließlich mein eigenes Konto. Auszahlungen sind für die Karriere nicht förderlich, ganz gleich wie groß oder klein sie sind.“

„Besonders für einen, der nach oben will wie Sie.“

„Richtig.“

Cutters Sarkasmus blieb unbemerkt. „Wie viel?“

„Mrs. Rhodes bezahlt Sie. Was immer die Verwandlung einer Speisekammer in ein Badezimmer kosten mag. Aber ich habe bereits alles über den Freund eines Freundes organisiert. Sie wurden Mrs. Rhodes bestens empfohlen und können am Montag anfangen.“

„Vierzig die Stunde – plus Spesen.“

Jonathon seufzte gequält. „Okay. Aber ich wünsche eine detaillierte Abrechnung.“

Cutter nickte.

„Das Geld muss irgendwo stecken. Ausgegeben hat sie es nicht, das wäre meinem Adlerauge kaum entgangen. Aber vielleicht fühlt sie sich inzwischen sicher und bezahlt Sie mit meinem Geld.“

„Okay, Johnny. Dann stecke ich also meine Nase für Sie in die Wäschekommode der Lady. Alles andere scheinen Sie ja bereits durchwühlt zu haben.“

„Mann, ich wünschte, mir fiele diese Aufgabe zu. Die Lady ist attraktiv. So eine kühle Blonde aus den Südstaaten. Wetten, dass sie in Spitze und Seide umwerfend aussieht?“

Cutter drehte das Möbelstück, an dem er arbeitete, auf den Kopf und klopfte leicht gegen die Flächen. Feine Sägespäne wirbelten auf und bedeckten Jonathons Schuhe und Hosenbeine. „Tut mir leid, Johnny. Gehen Sie nach Hause. Ich habe zu tun, und Sie stehen mir im Weg.“

„Okay. Ich erwarte Ihren Bericht gegen Ende der Woche.“ Jonathon verlagerte sein Gewicht. „Ich finde allein hinaus.“

„Adrianne, Liebling, ich freue mich ja so, dass du doch nachgegeben hast und die Sache von meiner Warte siehst.“ Blanche Munro schwebte in die Küche, wo Adrianne Rhodes Karotten für das Stew vorbereitete. Blitzschnell fuhr Blanches Hand mit den langen, rotlackierten Nägeln in die Schüssel und stibitzte ein Stück Karotte. „Lisa, Liebes, komm her und sag deiner Mutter, wie sehr du dich freust, dein eigenes Badezimmer zu bekommen.“

Gehorsam küsste das Mädchen Adrianne auf die Wange. „Danke für das Badezimmer, Mom. Es wird toll.“ Dann ging es zum Kühlschrank und schaute hinein.

„Lisa ist dreizehn“, fuhr Blanche fort. „Da wird sie bald nichts anderes mehr im Kopf haben als Make-up und Jungen.“

„Ach, Großmutter“, stöhnte Lisa. Sie holte sich Mortadella und ein Glas Mayonnaise aus dem Kühlschrank und stieß die Tür mit der Hüfte wieder zu.

„In deinem Alter lebte deine Mutter praktisch im Badezimmer.“ Blanche warf einen kritischen Blick auf die Karotten. „Du solltest sie gröber schneiden, sonst zerkochen sie zu leicht.“

„Lisa mag sie so“, widersprach Adrianne freundlich.

„Hm. Sag, wann startet unser Umbau denn?“

„Der Handwerker kommt gleich Montag früh.“

Blanche stöhnte. „Das gibt ein Riesenchaos. Und dann dieser fremde Mann in deinem Haus …“ Sie zog ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen in die Höhe. „Kennst du ihn schon?“

Adrianne schüttelte den Kopf. „Ein Freund in der Bank sagte, er habe bereits für die Freundin seiner Schwester gearbeitet. Ich glaube, er fertigte einen sehr schönen Teetisch für sie an.“

„Lisa, Kindchen, jeder Löffel Mayonnaise enthält ungefähr eine Million Kalorien.“ Blanche eilte zum Tisch, wo das Mädchen genüsslich ihr Brot bestrich. Sie entriss ihm das Glas und stellte es in den Kühlschrank zurück. „Du kommst jetzt in das Alter, wo du auf deine Figur achten solltest, weißt du?“

Aus dem Augenwinkel sah Adrianne, dass Lisa absichtlich das Messer ableckte und hinter dem Rücken ihrer Großmutter jede Kalorie genoss. Selbst in dem langen weiten Pullover über dem Trikot war Lisas Bäuchlein nicht zu übersehen, und die schwarzen Leggins ließen ihre starken Oberschenkel auch nicht schlanker erscheinen.

Seufzend gab Adrianne die Karotten zu dem köchelnden Fleisch im Topf. Selbstverständlich ist das alles nur Babyspeck, beruhigte sie sich. Mit dreizehn brauchen wir uns noch keine Gedanken wegen Lisas Gewicht zu machen. Schließlich war sie noch im Wachsen. Dennoch …

Eigentlich konnten sie sich den Umbau jetzt nach Harveys Tod gar nicht leisten. Aber es würde Lisa sicherlich helfen, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln, wenn sie ihren eigenen kleinen Raum hatte, wo sie sich ungestört aufhalten konnte.

Hauptsache, das Kind wünschte sich das neue Badezimmer auch wirklich. Adrianne wusste nämlich nicht immer, was Lisa wollte. Das Kind war stets bemüht, es jedem recht zu machen.

„Ich muss jetzt gehen“, verabschiedete sich Blanche und hauchte Luftküsse in alle Richtungen.

„Danke, dass du Lisa von der Ballettschule abgeholt hast“, rief Adrianne ihr hinterher. „Meine Spätschicht am Freitagabend wird allmählich zur schlechten Gewohnheit.“

„Es hat mir Spaß gemacht, Lisa zuzuschauen. Sie tanzt wie ein Engel. Wie eine Wolke. Sie hat Talent. Diese Farbe steht dir übrigens sehr gut“, unterbrach sie sich selbst, während sie auf Adriannes aprikosenfarbenen Rock und die dazu passende Bluse deutete. „Aber musst du auf Strümpfen gehen? Gerade als Witwe solltest du darauf achten, nicht schlampig herumzulaufen. Harvey mochte es, wenn du dich weiblich kleidetest.“

Adrianne versteifte sich, als ihre Mutter ihren verstorbenen Mann erwähnte. „Ich glaube kaum, dass Harvey sich für meine Kleidung interessiert hat, Mutter.“

„Unsinn. Er fand dich großartig, der liebe gute Mann.“ Sie entfernte einen Faden von Adriannes Kostüm, das über einer Stuhllehne hing. Ihre Stimme veränderte sich dramatisch: „Schließlich seid ihr Highschool-Schätzchen, genau wie dein Vater und ich. Ach, wie romantisch!“

Kaum hatte Blanche die Haustür hinter sich zugeworfen, als Mutter und Tochter sich ansahen. Lisa zog eine Grimasse. „Glaube mir, Mom, diese Wolke, mit der Großmutter mich verglich, war bestimmt eine Regenwolke.“

Adrianne lachte. „Du weißt ja, wie gern deine Großmutter übertreibt. Aber wie läuft es denn nun wirklich mit den Ballettstunden?“ Lisa erhielt seit zwei Jahren Ballettunterricht und behauptete stets, gern hinzugehen.

„Gut.“

Lisa schob ihren Stuhl zurück. „Wirklich Mom, alles ist gut. Aber ich muss jetzt Hausaufgaben machen. Ruf mich, wenn das Essen fertig ist, ja?“

Alles ist gut, sagte sich Adrianne und gab eine Kartoffel zu dem Stew. Alles war immer einfach gut.

Cutter prägte sich noch einmal die Adresse ein, die auf dem heiklen, von Jonathon Round vorbereiteten Vertrag stand, und warf das Blatt auf das Armaturenbrett. Langsam fuhr er mit seinem kleinen Lieferwagen eine Sackgasse in der gut bürgerlichen Vorstadtsiedlung von Little Rock hinunter, deren Häuser sich nur durch ihren jeweiligen Farbanstrich unterschieden. Aber die Bewohner hatten sich viel Mühe mit ihren Gärten gegeben, in denen man jetzt im April gepflegte Rasenflächen und blühende Frühlingsblumen bewundern konnte.

Schließlich bog Cutter in eine Einfahrt, die zu einem Haus mit stahlblauem Anstrich gehörte. Das ist nun der Traum jeden Amerikaners, dachte er. Ein Paradies für Einbrecher. Alle sind fort zur Arbeit, die Vorhänge und Garagentore sind geschlossen, aber in jedem Haus steht ein Fenster einen Spaltbreit offen. Nachmittags ist es immer so warm, beichten sie dann unter Tränen dem Polizisten, wenn sie heimkommen und keinen Fernseher mehr vorfinden.

Cutter schloss die Wagentür so leise, dass kaum ein Klick zu hören war – eine alte Gewohnheit. Nachdem sich auf sein Läuten nichts rührte, fuhr er mit der Hand über die Leiste über der Haustür. Der Schlüssel befand sich an der von Adrianne beschriebenen Stelle. Selbst der dümmste Einbrecher würde dort nachschauen.

Rasch schloss er die Tür auf und betrat das stille Haus. Den Schlüssel ließ er in seine Jeanstasche gleiten, um später davon eine Kopie anzufertigen, wenn er zum Lunch ging. Eine weitere alte Gewohnheit.

Das Wohnzimmer lag zu seiner Linken, die Küche zur Rechten. Der Weg zur Treppe zum zweiten Stock führte geradeaus. Der Teppich war grau, die Wände weiß, die Möbel geschmackvoll mit grau-türkisen Nadelstreifen auf blauen Polsterkissen. Der Teetisch und die Ecktische waren Eiche furniert. Nun, nicht gerade das Wahre.

In der Küche sah er sich kurz um und fand mühelos die begehbare Speisekammer, mit deren Umbau er beauftragt worden war. Die vom Boden bis zur Decke reichenden Regale waren leer geräumt. Ein Waschbecken mit Sockel stand in der Mitte auf dem Fußboden neben dem weißen Toilettenbecken, gegen dessen Spülkasten eine Rolle Bodenbelag lehnte. Cutter schaute in die zu einem ordentlichen Stapel aufgestellten Kartons und fand darin eine Hausapotheke, Wasserhähne, Handtuch- und Toilettenpapierhalter, sogar einen frischen Topf Farbe. Eine praktische kleine Lady, unsere Mrs. Rhodes, dachte er.

Mehrmals musste er zu seinem Wagen laufen, um Handwerkszeug und Verlängerungsschnüre zu holen. Dann schnallte er sich seinen Werkzeuggürtel locker um die Hüften. Cutter mochte das Gefühl, wie der Hammer mit seinem Gewicht beim Gehen gegen seine Schenkel schlug.

Jetzt sollte ich mit der Arbeit anfangen, dachte er. Der Umbau der Speisekammer in ein Badezimmer würde zwei volle Wochen dauern. Zum Spionieren blieb da nicht viel Zeit.

Als erstes sah er den Stapel Rechnungen und Zettel durch, die neben dem Kühlschrank hinter dem Telefon auf der Arbeitsplatte lagen. Sorgfältig und methodisch prüfte er jedes Stück Papier, wobei er feststellte, dass Mrs. Rhodes über jede Ausgabe Buch führte. Sie schob die Zahlungstermine einiger Rechnungen zwar so weit wie möglich hinaus, schien dabei den Kopf aber über Wasser halten zu können.

Auch oben fand Cutter kaum nennenswerte Informationen. Zunächst schaute er sich das Zimmer der Tochter an. Nach der Anzahl schwarzer Kleidungsstücke im Schrank handelte es sich offensichtlich um einen noch jungen Teenager. Ein Computer nahm den Ehrenplatz auf dem Schreibtisch ein. Cutter tippte kurz auf die Maus, um einen Blick auf das Dateiverzeichnis zu werfen. Leise pfiff er durch die Zähne. Die Kleine war eine Hackerin. Eine talentierte. Das war interessant.

Es gab ein Standardbadezimmer mit den herkömmlichen weiblichen Utensilien – Lockenwickler, Make-up, Bürsten und Kämme. Cutter öffnete einen Schrank unter dem Waschbecken und zog eine rosa Schachtel mit einem feinen Blumenmuster hervor. Er tastete den Boden ab, aber auch dort waren keine Hundert-Dollar-Noten versteckt. Nun, einen Versuch war es wert gewesen. Er hatte schon seltsamere Verstecke gesehen.

Das Gästezimmer wurde offensichtlich als Büro, Nähzimmer und Aufbewahrungsraum für die Weihnachtsdekorationen benutzt. Hier müsste er mehr Zeit verbringen und die Schachteln durchsuchen. Der letzte Raum am Ende des Flurs gehörte Mrs. Rhodes. Da gab es keine Zweifel. Alles, was an ihren Ehemann erinnerte, war gründlich entfernt worden. Jede Spur dieses Mannes war verschwunden – ebenso wie das Geld.

Interessant.

Wollte sie das Geld im Haus verstecken, so bot ihr Zimmer dafür die besten Möglichkeiten. Cutter ging zur Wäschekommode und durchsuchte die Schubladen derart gekonnt, dass er in jeden Winkel schaute, ohne etwas durcheinanderzubringen.

Bei der Schublade mit den kleinen seidenen Höschen hielt er einen Moment inne, ehe er mit den Händen das feine Material prüfte. Dieser verflixte Round hatte recht. Seide und Spitze in Mitternachtsblau, Rot und Smaragdgrün weckten Erinnerungen an sündige Nächte.

Cutter schloss die Schublade und wandte sich dem eingebauten Schrank zu. Mrs. Rhodes schien für ihre Oberbekleidung Pastellfarben zu bevorzugen. Er runzelte die Stirn und versuchte, sich die aufreizend rote Seide, die er soeben in Händen gehalten hatte, unter diesen kühlen, ostereierfarbenen Röcken und Blusen vorzustellen. Es wurde immer interessanter.

Er kniete sich hin und durchwühlte den Schrank bis zum hintersten Winkel, wobei er den Boden nach einem losen Teppichstreifen abtastete. Lange Kleider in Plastikhüllen bauschten sich über ihm.

Plötzlich fühlte er einen sanften Schlag auf seinem Rücken.

„Entschuldigen Sie, Mr. Matchett? Darf ich Ihnen beim Suchen behilflich sein?“

Nur einen Moment zuckte Cutter zusammen. Langsam bewegte er sich rückwärts aus dem Schrank und drehte sich um. Sein Gesicht befand sich in Höhe ihres Bauches – sanfte, weibliche Rundungen in cremefarbenen Kordhosen.

Sein Mund war trocken, und er schluckte, als er sich aufrichtete und zuerst ihren Busen unter einer knapp sitzenden himmelblauen Bluse sah. Sein Blick wanderte hinauf zu dem schlanken Hals, dem Kinn, der schmalen Nase, den hohen Wangenknochen und den langen blonden Haaren, die ihr klassisch geschnittenes Gesicht zauberhaft umrahmten und ihr bis über die Schultern reichten. Beim Anblick ihrer goldbraunen Augen musste Cutter an seine bevorzugte Whiskymarke denken.

„Mr. Matchett?“, wiederholte sie. Nur ein kleiner Akzent wies auf ihre Herkunft aus den Südstaaten hin.

„Ich überprüfe gerade den Verlauf der Fußbodenbalken“, erklärte Cutter ruhig. Glücklicherweise befand sich ihr Schlafzimmer direkt über der Speisekammer.

„Oh.“

Erneut steckte er den Kopf in den Schrank und klopfte noch ein wenig darin herum, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. Weshalb kam sie schon jetzt nach Hause? Sich in einer derart entwürdigenden Position erwischen zu lassen, ärgerte ihn. Der verflixte Round hatte gesagt, sie würde von acht bis fünf in der Bank arbeiten, und die Tochter würde frühestens halb fünf aus der Schule kommen.

Noch fühlte er ein leichtes Prickeln dort, wo ihre Finger ihn berührt hatten. Eine kühle Blondine, hatte Round gesagt. Aber Cutter hatte es von Kopf bis Fuß heiß durchströmt bei ihrem Anblick. Feuer. Kein Eis. Er versuchte, seine Gefühle zu verdrängen. Immerhin war es diese Frau, die er zu bespitzeln hatte.

Adrianne blickte irritiert auf Cutters Rückseite. Es war nicht leicht, eine Unterhaltung mit einem Mann in einer solchen Position zu führen. Außerdem war sie ein wenig aus der Fassung gebracht von der kühlen, eindringlichen Art, wie er sie angesehen hatte, und von ihrer eigenen Reaktion.

Doch dann erhob er sich und nickte ihr zu. „Ich hab sie gefunden.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.

Adrianne blickte ihm verdutzt hinterher.

Als sie hinunterkam, hatte Cutter bereits begonnen, die Regale in der Speisekammer mit einem Brecheisen von der Wand zu lösen.

Aus sicherer Entfernung von der Tür starrte sie auf den Mann, der ihr den Rücken zugekehrt hatte. Er war etwa ein Meter achtzig groß und stark wie ein Ochse. Beeindruckend, wie kraftvoll er die Nägel aus der Wand brach. Zu seinen knapp sitzenden, abgetragenen Jeans trug er ein schwarzes T-Shirt, das offensichtlich so oft gewaschen worden war, dass die Haut an den Schultern durchschimmerte.

Ein richtiger Mann, dachte Adrianne. Der Typ, der mit Handwerkzeug, Gewehren, Pferden und Frauen locker, aber siegesgewiss umging. Guter Whisky, halb rohes Steak, üppige Blondinen. Ganz anders ihre Kollegen in der Bank oder Harveys Freunde, anders eben als der Typ Mann, den sie gewohnt war.

Nachdem sie ihre Einkäufe aus dem Van ins Haus getragen hatte, stellte sie sich in die Tür zur Speisekammer. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“

Ein Regalbrett voller verbogener Nägel in der Hand, drehte Cutter sich zu ihr um. „Werden Sie den ganzen Tag im Haus sein, Mrs. Rhodes?“

„Nennen Sie mich Adrianne.“ Sie lächelte.

Cutter lächelte nicht zurück.

„Ich habe Urlaub. Bei dem Chaos zur Zeit im Haus dachte ich, ich könnte oben die Wände streichen und meinen Frühjahrsputz erledigen.“ Cutter blickte sie aus seinen dunklen Augen an, ohne die Miene zu verziehen. „Wenn ich also etwas für Sie besorgen kann, lassen Sie es mich wissen.“

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich gegenseitig eindringlich musterten. Sein dunkles, militärisch kurz geschnittenes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Diese Frisur passte irgendwie zu den zusammengekniffenen Augen, den dichten Augenbrauen und der geraden Nase. So sahen für gewöhnlich die Statisten in Mafia-Filmen aus. Er schob das breite Kinn entschlossen vor und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf seine Lippen … Lippen, die sich zu einem Lächeln verzogen, das kein richtiges Lächeln war. Ob er sich über sie, über sich selbst oder über die Welt im Allgemeinen amüsierte, blieb ihr verborgen. Wie auch immer, es wirkte nicht sehr anziehend.

Okay, sie war daran gewöhnt, mit unangenehmen Menschen umzugehen. Als Bankangestellte hatte sie ständig mit ihnen zu tun. Man musste nur immer lächeln. Je unangenehmer sie sich gaben, je freundlicher musste man ihnen begegnen.

So wie ihre Mutter es jeden Abend in Atlanta getan hatte. Adrianne erinnerte sich noch deutlich daran. Je mehr ihr Vater trank, desto mehr pflegte Blanche zu lächeln. Fröhlich lachend brachte sie Adrianne ins Nebenzimmer, schloss die Tür und spielte mit ihr mit den Puppen oder Märchenprinzessin und Verkleiden.

Also lächelte Adrianne jetzt höflich den Mann in ihrer Küche an, bis er schließlich sagte: „Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich etwas benötige.“

Für ihn war damit die Unterhaltung beendet, und er machte sich wieder mit seinem Brecheisen an die Arbeit.

Adrianne fühlte sich nur erleichtert und ignorierte ihn, so gut sie konnte, während sie mit den Vorbereitungen für das Saubermachen des Wohnzimmers begann. Ein seltsames Gefühl der Vorfreude ergriff sie. Da es wärmer geworden war, wurde der Wunsch in ihr immer größer, alles um sich herum frisch und sauber zu haben. Alles hier gehörte jetzt ihr. Ihr allein.

Jeden Fingerabdruck von Harvey wollte sie wegwischen, jeden Fussel, den er hinterlassen hatte. Sie wollte das Sofa mit dem Staubsauger bearbeiten, wo der Polizist und dieser abscheuliche Versicherungsvertreter gesessen hatten. Die beiden hatten sie mit misstrauischen, ungläubigen Blicken gequält, während sie nur wiederholen konnte, dass sie keine Ahnung habe, wovon sie redeten. Fünfundzwanzigtausend Dollar? Harvey war an jenem Tag überhaupt nicht nach Hause gekommen. Sie hatte das Geld nie gesehen, nie davon gehört.

Das wollte Adrianne alles loswerden.

Sie schob sogar die Möbel von der Wand, saugte dahinter, nahm die Gardinen von den Fenstern, die Bilder von den Wänden und wischte die Blätter der Zimmerpflanzen mit einem feuchten Tuch. Sie übersah nichts.

Drei Stunden putzte sie, bis das Wohnzimmer in der Sonne glänzte, die durch die blitzblanken Fenster schien. Und während der ganzen Zeit war sie sich der Anwesenheit Cutter Matchetts bewusst, der nebenan ihre Speisekammer auseinandernahm.

Gerade hatte sie beschlossen, eine Pause einzulegen, als sie von einem lauten, vibrierenden Geräusch in die Küche gelockt wurde. Sie spähte in die Speisekammer, wo inzwischen alle Regale entfernt waren. Der Raum wirkte jetzt viel größer. Ihr Tischler hantierte mit einer riesigen Dekupiersäge und war im Begriff, ein Loch in den Boden zu schneiden.

Der Boden rüttelte unter ihren Füßen, bis Cutter schließlich seine Finger vom Schalter nahm. Aber es dauerte noch einen Moment, bis das Geräusch verhallte. Cutter zog einen Hammer aus seinem Werkzeuggürtel und schlug damit einmal kräftig auf den Boden. Ein sauberes Quadrat löste sich und fiel in den dunklen Kellerraum darunter.

„Mr. Matchett, möchten Sie einen Kaffee?“

Er sah auf, und Adrianne war plötzlich ganz sicher, dass er „nein“ sagen wollte. Er mochte sie nicht. Er wollte keinen Kaffee. Er wollte nichts mit ihr zu tun haben. Aber dann verschloss sich seine Miene, und er nickte. „Danke, das wäre nett. Und ich bin Cutter für Sie.“

Während Cutter sich an den Tisch setzte, bereitete Adrianne den Kaffee zu, schenkte ein und nahm ihm gegenüber Platz. Wie unnatürlich ruhig er dasitzt, dachte sie. Wie unbeweglich seine Hände auf dem Tisch liegen. Fast bedauerte sie ihre impulsive Einladung. Worüber sollten sie in den nächsten zehn Minuten reden?

Aber Cutter nahm ihr das Problem ab. „War Ihr Ehemann zufällig der Steuerberater, Harvey Rhodes?“

„Ja. Warum?“

„Er wurde mir letztes Jahr von einem Freund empfohlen. Es tat mir leid, von dem Unfall zu hören.“

„Danke.“

„Muss hart sein. Ich habe eine Freundin, die nicht versichert war, als ihr Mann starb, und elend zu kämpfen hatte, um wieder auf die Beine zu kommen.“ Er zögerte. „Sie kommen offensichtlich ganz gut zurecht, oder? Mit dem Geld der Versicherung können Sie immerhin diese kleine Renovierung bewerkstelligen.“

Adrianne presste die Lippen aufeinander. Harvey hatte, ohne sie zu fragen, seine Lebensversicherung geändert. Erst nach seinem Tod hatte sie erfahren, dass sie die Hypothek, Lisas College und vieles mehr von nun an allein mit ihrem Verdienst bezahlen musste. Die Ausgaben für das neue Badezimmer würden ein großes Loch in ihre Ersparnisse reißen.

„Wir kommen zurecht.“ Sie hatte keine Lust, ihre finanzielle Situation mit diesem Mann zu diskutieren. Stattdessen sagte sie höflich: „Es ist bald Mittag. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Sandwich vielleicht?“

Eine Tasse Kaffee verführt sie also nicht dazu, geschwätzig zu werden, dachte Cutter. Eigentlich überraschte es ihn nicht. Viele Frauen hätten ihm unter Tränen das Herz über ihren Mann ausgeschüttet, der sie ohne Versicherung zurückgelassen hatte.

Aber nicht unsere Schöne aus den Südstaaten hier. Cutter hatte noch immer mit der leichten Erregung zu kämpfen, die er empfand, sobald sich Adriannes bernsteinfarbenen Augen auf ihn richteten. Ihm gefiel ihr honigsüßer Südstaatenakzent, das honigfarbene Haar, die honigfarbenen Augen. Das schloss aber nicht aus, dass sie neben all diesem Gold ein diebisches Herz besaß.

„Danke, kein Sandwich“, lehnte er ihr Angebot ab, als ihm einfiel, dass ihr Schlüssel noch in seiner Tasche steckte. „Ich werde …“

In diesem Moment ging die Haustür auf, und ein Teenager, ganz in Schwarz gekleidet, betrat die Küche, gefolgt von einer älteren Frau.

„Ich sterbe vor Hunger. Ist das Essen fertig?“

„In einer Minute, Lisa“, antwortete Adrianne und machte ihre Tochter und ihre Mutter mit Cutter bekannt.

Cutter stand auf und schüttelte zuerst dem Mädchen die Hand, wobei ihm das rötlich-blonde Haar, die reine Haut und die untersetzte Figur auffiel. Wahrscheinlich sieht sie ihrem Vater ähnlich, sagte er sich.

Dann gab er auch der Frau die Hand. Ja, das war eine Lady, die sich im Leben auskannte. Sie kämpfte offensichtlich gegen ihre Zeit, wobei sie allerdings öfter zu gewinnen als zu verlieren schien. Cutter schätzte sie auf Mitte fünfzig, aber dank großartig blondierter Strähnen und einem bestimmt erst kürzlich vorgenommenem Lifting um die Augen, sah sie kaum älter aus als er mit seinen vierzig Jahren.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen“, sagte er. „Munro Immobilien?“

Autor

Patti Standard
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