Mein blonder Latin Lover

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Ben ist hellblond und blauäugig – und absolut nicht Estellas Typ. Sie hat eine Vorliebe für Männer Marke Antonio Banderas. Bis sie Bens charmante und zupackende Art entdeckt. Und als sie ihm bei einem romantischen Picknick auf Mallorca etwas zu tief in die Augen blickt, ist ihr deren Farbe plötzlich egal ...


  • Erscheinungstag 22.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788063
  • Seitenanzahl 137
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dios mío, was für ein Wetter!“

So sehr ich mich auch bemühe, im grau in grau des Hamburger Himmels (ist Grau denn nicht gerade die Trendfarbe? Zumindest in der Mode?) irgendetwas Erheiterndes zu entdecken, ich kann mich einfach nicht dafür begeistern, was ich da draußen sehe. Während ich mit der einen Hand versuche, die schwarzen, wilden Locken auf meinem Kopf zu bändigen, tätschle ich mit der anderen Hand Perro.

Nein, Perro ist nicht mein Geliebter oder gar Ehemann, auch wenn ich ihn heiß und innig liebe und fast rund um die Uhr mit ihm zusammen bin.

Perro ist mein Hund.

Ein mittelgroßer Mischlingshund, von dem Freunde behaupten, dass er mir ein bisschen ähnlich sieht. Nun ja, wenn man einmal davon absieht, dass ich natürlich weder lange Schlappohren habe noch einen weißen Fleck auf meiner Nase, dann mag das schon ein wenig stimmen. Auf alle Fälle haben Perro und ich eines gemeinsam: In unseren Adern brodelt spanisches Blut. In meinen allerdings in etwas verdünnter Form, weil meine Mutter Katalanin ist, mein Vater jedoch Hamburger. Perros Eltern hingegen entstammen der Baleareninsel Mallorca, von der Perro emigriert ist. Nicht ganz freiwillig, sondern im Reisegepäck wohlmeinender Touristen, deren Tochter jedoch eine Allergie gegen ihn entwickelte und die ihn deshalb ins Tierheim brachten.

Si, Perro, gleich gibt‘s Frühstück!“, beruhige ich den Hund, der hechelnd um mich herumspringt, was mich nervös macht, weil ich eindeutig zu spät bin und jetzt keine Zeit habe, mich allzu lange mit meinem Liebling zu befassen.

Gleich soll ich mit Juan zu einem Großhandel für Gastronomiebetriebe fahren, und so wie es aussieht, wird das Ganze ziemlich knapp.

Zehn Minuten und ein Frühstück später (Trockenfutter für Perro, eine Ensaimada und einen Café Cortado für mich) klingelt es auch schon an der Tür. Mein Herz schlägt ein paar Takte schneller, denn gleich werde ich ihn sehen …

Juan Felipe Ribeiro, meinen Geliebten und Besitzer der Tapas-Bar, in der ich momentan jobbe.

Auf meiner emotionalen Rangskala rangiert Juan seit etwa vier Wochen knapp hinter Perro, was dieser spürt und mit Eifersucht reagiert. „Autsch!“, entfährt es Juan auch prompt, während ich in seinen Armen liege und der Hund ihn ins Bein zwickt. „Aus, Perro, mach Platz!“, schimpfe ich, was in etwa so sinnvoll ist, wie einem Delfin das Fliegen beizubringen. Obwohl Perro eigentlich mittlerweile ganz gut Deutsch versteht, hapert es manchmal noch ein wenig. Seltsamerweise immer in solchen Situationen. Nachdem mein heiß geliebter Vierbeiner und ich uns aus dunklen Augen angefunkelt haben, zieht Perro den Schwanz ein, jault ein bisschen und lässt sich schließlich ergeben auf dem Gehweg nieder. „Vamos, Perro, wir müssen los!“, fordere ich ihn auf, weil Juan jetzt in seinem Wagen, einem Jeep, mit laufendem Motor darauf wartet, dass wir endlich starten.

Perro legt den Kopf schief, als wolle er sagen: „Frauchen, du spinnst. Du weißt ja überhaupt nicht, was du willst.“ Was gelegentlich leider auch stimmt. Und damit meine ich nicht nur eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf Fragen der Hundeerziehung.

Ich versuche, mich mit meinem hautengen Rock auf den Beifahrersitz zu hangeln, ohne einen Blick auf meinen spitzenbesetzten, fliederfarbenen Hipster freizugeben, und sitze schließlich neben Juan. Verliebt betrachte ich sein Profil. Die markante Nase, den dunklen Bartschatten, die Augen, gegen die meine hell wie Sterne funkeln, die dunklen, geschwungenen Wimpern (um die ich ihn ehrlich gesagt glühend beneide und mit denen er problemlos Werbung für einen dieser Long-Lash-Mascaras machen könnte) und die vollen, sinnlichen Lippen. Eigentlich finde ich es doof, Männer mit Schauspielern zu vergleichen, aber Juan hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Antonio Banderas, das kann ich nicht leugnen. „Estella, mein Engel, wie geht es dir heute?“, fragt Juan und schafft es, das Kunststück zu vollbringen, gleichzeitig auszuparken und mir einen Kuss auf die Nase zu geben.

Mhmm, wie ich das liebe!

Bei dieser zärtlichen Geste schmelze ich unweigerlich dahin wie frische Butter unter der glühenden Hitze spanischer Sonne. Oder wie Crème Caramel auf der Zunge. „Wundervoll“, hauche ich, während ich das bunte Treiben rund um das Schulterblatt im Schanzenviertel beobachte, dem Stadtteil, in dem Perro und ich leben. An sonnigen Tagen sieht es hier ein bisschen aus wie auf einer italienischen Piazza.

An Tagen wie diesen – grau, nieselig und öde – allerdings auch ein wenig schmuddelig, wenn ich ganz ehrlich bin. Doch was kümmern mich überquellende Mülltonnen und beschmierte Häuserwände, wenn ich doch neben ihm sitzen und den Duft seines Rasierwassers schnuppern kann.

„Was hältst du davon, wenn wir nach der Einkaufstour noch auf einen kleinen Kaffee bei dir vorbeischauen?“, fragt Juan mit diesem ganz gewissen Lächeln, das in etwa so viel heißen soll wie „Ich will dich, Baby. Und zwar hier und jetzt!“, worauf ich etwas verhalten reagiere.

Wie immer versuche ich mich aus der Situation herauszuwinden, denn das mit Juan und mir geht ja noch nicht so lange. Und obwohl ich es eigentlich liebe, die Dinge zu überstürzen (vielmehr kann ich oft eigentlich gar nicht anders!), ermahne ich mich in diesem Fall ausnahmsweise mal zu etwas Zurückhaltung.

Schließlich habe ich, was mein künftiges Leben betrifft, Pläne.

Und zwar hochtrabende!

Oder sagt man hochfliegende?

Das ist das Problem, wenn man zweisprachig lebt, denkt und träumt. Da geraten die Dinge und Wörter schon gelegentlich durcheinander.

Wie auch immer – nach einigen Pleiten mit dem männlichen Geschlecht möchte ich endlich mal alles richtig machen. Denn ich suche allmählich den Mann, mit dem ich eine Familie gründen kann, schließlich bin ich schon 28. In diesem Alter haben meine Cousinen in Spanien bereits zwei bis drei Kinder! Seit ich ein kleines Mädchen war, träume ich von einem ganzen Stall voller Nachwuchs, einem Bauernhaus auf dem Land, viel Platz für Perro und einem Atelier für mich. Und um diesem Traum ein gutes Stück näher zu kommen, habe ich beschlossen, diesmal so lange zu warten, bis ich einen Antrag bekomme.

Und die Wahrscheinlichkeit, einen solchen zu bekommen, steigt bekanntlich, wenn man sich verweigert und nicht gleich alles gibt.

Hie und da muss man dem Angebeteten natürlich etwas als Appetithäppchen vorwerfen, das ist ja klar. Zum Beispiel einen kurzen Blick auf den Spitzen-BH, einen halterlosen Strumpf, einen Kuss, der den Himmel auf Erden verspricht, oder kleine, flüchtige Streicheleinheiten, die das Feuer entfachen sollen, ohne dass ich die Absicht habe, es zu löschen.

Eine halbe Stunde später streifen wir Seite an Seite durch die Regale von Andromeda, einem italienischen Großhandel, auf der Suche nach Leckereien und Geschirr für Juans Tapas-Bar Felipe im Schanzenviertel, zwei Querstraßen von meiner Wohnung entfernt. Weshalb man als Madrilene ausgerechnet bei einem Italiener einkauft, ist mir mindestens ein ebenso großes Rätsel wie die Tatsache, dass Bürger der Stadt Madrid Madrilenen heißen und nicht Madrider.

Während ich Hand in Hand mit Juan an den hohen Holzregalen vorbeischlendere und ihn dabei beobachte, wie er mit kritischem Blick den Inhalt von Etiketten liest oder in der Gemüseabteilung mit dem Verkäufer fachsimpelt, träume ich vor mich hin. Ich sehe uns beide am Tisch unseres Landhauses sitzen, um uns herum fünf Kinder und liebe Gäste; zu meinen Füßen Perro, wie wir unseren zehnten Hochzeitstag feiern. Im Garten steht eine Mariachi Combo (nicht sehr spanisch, ich weiß!), die diesen feierlichen Anlass mit ihrer herzzerreißenden Musik untermalt. „Wie findest du das?“, fragt Juan und reißt mich damit aus meinem idyllischen Traum. Ich reibe mir die Augen und starre auf das blütenweiße Geschirr, das meinen Geliebten offensichtlich in Entzücken versetzt. Nun ja, man muss nicht unbedingt einen identischen Geschmack haben, aber …

Kann es sein, dass mein Angebeteter ein Spießer ist?

Das, was Juan zu einem Blick veranlasst, als würde ich ihn endlich in die Nähe meines Spitzen-BHs lassen, ist an Langweiligkeit kaum zu überbieten.

Das Problem ist nicht die Farbe Weiß – die mag ich nämlich sehr. Das Problem ist der protzige Goldrand, der die Teller und Tassen umrahmt und mich fatal an das Geschirr meiner Großmutter väterlicherseits – Agathe – erinnert, die ich noch nie leiden konnte.

„Und das findest du also schön?“, erkundige ich mich vorsichtig und lasse die Frage zunächst einmal im Raum stehen. Könnte ja sein, dass Juan einen kleinen Test mit mir macht. So nach dem Motto: Wenn sie die Frau ist, die ich eines Tages heiraten und mit der ich Kinder bekommen werde, dann sagt sie jetzt, dass sie dieses Geschirr absolut grauenhaft findet. Oder aber wundervoll!

Hmm, welche Antwort ist jetzt die richtige?

Perro nimmt mir die Entscheidung ab, weil er – ja, ich gebe zu, ich habe ihn in der letzten halben Stunde nicht besonders beachtet – Kunststückchen vollführt, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Leider besteht seine Vorführung darin, sich auf den Po zu setzen, Männchen zu machen, mit dem Schwanz zu wedeln und dabei – KRACH, BUM, PÄNG – die Hälfte des Geschirrs vom Tisch zu fegen, auf dem es dekoriert war.

Habe ich eigentlich eine Haftpflichtversicherung?, überlege ich fieberhaft, während ich die Scherben vom Boden aufhebe und überprüfe, ob noch etwas zu retten ist.

„Komm, lass, das machen die schon!“, sagt Juan in einem Ton, den ich nicht eben als gurrend oder zärtlich bezeichnen würde, und zieht mich nach oben. Perro jault kurz auf und ist einen Augenblick später verschwunden. Peinlich berührt sehe ich zu, wie ein junges Mädchen den Trümmerhaufen zusammenfegt. Zunächst bedauere ich sie, weil sie mit ihrer engen Jeans auf dem Boden herumrobben muss, doch dann stelle ich plötzlich fest, dass Juan fasziniert auf ihren strammen, runden Po starrt, und sofort schlägt mein Mitleid in ein ganz anderes Gefühl um.

Erwähnte ich bereits eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Perro und mir? In Sachen Eifersucht stehe ich ihm in nichts nach, fürchte ich …

„Wie viel bin ich Ihnen schuldig?“, frage ich mit zitternder Stimme, als der Geschäftsführer herbeieilt, um sich ein Bild vom Ausmaß des Schadens zu machen. Der Herr im grauen Anzug und mit nach hinten gegeltem Haar (bei Juan finde ich das sexy, bei dem Mann, der mich gleich in den Ruin stürzen wird, grauenhaft) überblickt mit hochgezogener Augenbraue (arroganter Saftsack!) die Lage und aktiviert seinen inneren Taschenrechner, genauso wie ich. Da ich aber immer schon schlecht darin war, den Realitäten ins Auge zu blicken, und noch schlechter in Mathe, kommen wir beide auf unterschiedliche Ergebnisse. Und zwar auf komplett unterschiedliche!

Während ich hoffnungsvoll mit etwa fünfzig Euro (Schluck!) gerechnet habe, sind es in Wirklichkeit dreihundertfünfzig, die ich ab sofort dem Hause Andromeda schulde. Mist! Für diesen Betrag muss ich einen halben Monat in der Tapas-Bar arbeiten oder einen Roman aus dem Spanischen übersetzen. Dummerweise habe ich aber zurzeit nur noch einen Übersetzungsauftrag, weil der kleine Verlag, für den ich arbeite, momentan in einer Krise steckt. So wie ich gerade.

„Oh“, hauche ich und verfluche meinen Hund. Und meine aktuelle finanzielle Misere. „Kann ich den Betrag in Raten abzahlen?“, frage ich hoffnungsvoll und überlege, welche Summe ich monatlich erübrigen könnte. So knapp zwanzig Euro? Aber selbst das würde mir momentan wehtun.

Weshalb bin ich auch nur auf die dumme Idee verfallen, Kunst zu studieren, um eine Art weiblicher Picasso zu werden? Wie meine Mama schon sagt – ich bin damit auf dem direkten Weg in den finanziellen Super-GAU.

„Ungern!“, antwortet der Anzugheini knapp, und ich fühle den dringenden Wunsch, ihn zu fragen, weshalb dieses hässliche Geschirr eigentlich so teuer ist. Aber ich halte mich natürlich vornehm zurück; schließlich bin ich dummerweise auf die Gunst dieses Typen angewiesen. Könnte bitte an dieser Stelle Juan als mein edler Ritter in die Bresche springen? Doch der ist irgendwie immer noch damit beschäftigt, der Göre auf dem Fußboden zuzuschauen. Wieso sieht er eigentlich nicht mal zur Abwechslung auf meinen Po? Der ist doch auch ganz gut in Form!

Okay, dann muss es eben ohne seine Hilfe gehen!

Mit selbstbewusst gerecktem Kinn überreiche ich dem Geschäftsführer meine EC-Karte und suche mit den Augen den Laden nach meinem Hund ab. Doch der bleibt weiterhin verschwunden. Ich kann nur hoffen und beten, dass er nicht an anderer Stelle lustige Geschirrspiele spielt. „Tut mir leid, aber da scheint etwas nicht in Ordnung zu sein“, sagt die Kassiererin mit Bedauern in der Stimme. Der Anzugmensch hat das Zahlungsthema delegiert und ist ebenso verschwunden wie Perro. Und wie Juan, wie ich empört feststelle, als ich die Dame an der Kasse bitte, es ein zweites Mal zu versuchen.

„Ich zahl‘s dir so schnell wie möglich zurück“, bekräftige ich, als ich ein paar Minuten später neben Juan im Jeep sitze. Doch das erwartete „Mach dir keine Sorgen, cara, das übernehme ich“ bleibt aus. Stattdessen folgt ein „Ich gebe dir ein paar Extraschichten“ – eine Aussicht, die mich nicht unbedingt heiter stimmt, wenn ich daran denke, dass ich gerade mit meiner Übersetzung im Verzug bin.

Als wir die Tapas-Bar betreten, eile ich in die Küche, wo bereits Carmen, die Köchin, auf mich wartet. Ich ergebe mich meinem Schicksal und schäle bergeweise Kartoffeln, die später in Meersalz gewendet werden, mariniere Mini-Calamares, bei deren bloßem Anblick mir übel wird, und stiftele Trillionen Karotten und Gurken. Herr im Himmel – was ist nur aus meinem Leben geworden?

Und seit dem Besuch im Großhandel habe ich das Gefühl, dass Juan irgendwie anders ist als sonst, was mich nicht gerade fröhlicher stimmt.

Vielleicht sollte ich nach vorne in den Gastraum gehen und ihn küssen, dass ihm Hören und Sehen vergeht, damit wieder alles wie vorher ist?

Genau – super Idee!, denke ich und löse den Knoten der albernen Schürze, die zu tragen Carmen mich zwingt. Dann gehe ich in die kleine Toilette und überprüfe mein Spiegelbild. Ich kneife mir in die Wange, um einen Hauch von Röte auf meinen Teint zu zaubern. Was insofern etwas schwierig ist, weil ich sowieso einen eher dunklen, olivenfarbenen Hautton habe. Schnell noch ein wenig Gloss auf die Lippen, und es kann losgehen.

Zum Glück erwische ich Juan alleine. Er liest gerade die El País und hat es sich mit einem Cortado am Tresen gemütlich gemacht. Bis zur Öffnung um 12.00 Uhr bleiben mir noch genau fünf Minuten. Juan sieht von seiner Zeitung auf, als er mich bemerkt, was ich als gutes Zeichen werte. Vielleicht habe ich mir ja doch nur eingebildet, dass er vorhin anders war als sonst.

Ich nähere mich ihm – lasziv die Hüften schwingend – und schnurre wie eine Katze, die in einen Sahnetopf gefallen ist. Juan scheint empfänglich für diese wenig subtile Art von Signalen zu sein und strahlt mich an. „Komm her, meine Süße“, lächelt er mich verführerisch an und zieht mich zu sich auf den Barhocker. Dabei fährt er mit seiner Hand über meinen Po. In dem Moment, als ich ihm neckisch ins Ohrläppchen beiße und zu einem filmreifen Kuss ansetze, ertönt die Türglocke.

Doch es ertönt nicht nur die Glocke, sondern eine weibliche Stimme, die gelinde gesagt hysterisch und ziemlich schrill klingt. Eine Sekunde später befördert mich Juan unsanft von seinem Schoß, was beinahe dazu führt, dass ich mir den Knöchel verstauche, weil ich ungünstig aufkomme und mit meinen Stiefeletten umknicke. „Schlampe“, schallt es quer durch die Bar, und plötzlich bekomme ich mit dem Griff einer Handtasche eins übergebraten.

Dios mío – was ist denn hier auf einmal los? Schützend halte ich die Hand vor mein Gesicht, um zu verhindern, dass diese Furie mir selbiges mit ihren blutroten Fingernägeln zerkratzt. Wer ist diese Frau überhaupt?, überlege ich, während ich mir die Stelle am Kopf reibe, an der sie mich getroffen hat. Das wird eine echt schöne Beule geben! „Lassen Sie meinen Mann in Ruhe, und machen Sie, dass Sie hier verschwinden und zwar rapido!“

Ehe ich es mich versehe, befinde ich mich auf der Straße, während sich hinter mir der Schlüssel im Türschloss dreht. Meine Handtasche und mein Mantel befinden sich dummerweise im Inneren der Bar, und ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich noch etwas Wesentliches vergessen habe. Verdammt! Wo ist eigentlich Perro?

2. KAPITEL

Der Wind pfeift eisig um die Häuser, und wie ich mich kenne, dauert es keine fünf Minuten und ich bin erkältet. Doch die Gefahr einer Grippe ist momentan mein geringstes Problem.

Zuallererst muss ich meine Sachen holen und meinen Hund finden.

Und dann natürlich darüber nachdenken, was da soeben passiert ist …

Ich kann nicht fassen, dass ich im Eifer des Gefechts das vergessen habe, was mir das liebste auf der Welt ist – meinen Hund. Das ist ja fast, als hätte ich mein Baby beim Einkaufen vergessen. Was bin ich nur für eine Raben-Hundemutter!

Neidisch beobachte ich einen Penner, wie er heißen Kaffee schlürft. Mir ist kalt, ich würde jetzt auch gern etwas Warmes trinken! Wenn ich nicht gleich an meinen Mantel komme, werde ich fragen, ob ich mal kurz in den Schlafsack schlüpfen darf, der neben ihm auf dem Boden liegt.

Wo kann Perro nur sein?, frage ich mich und überlege, wann ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Das war … natürlich! Bei Andromeda. Dort hat er sich verzogen, als er sah, wie wütend ich wegen des Geschirrs auf ihn war.

„Mein lieber, süßer Perro, ich bin gleich bei dir!“, murmele ich, während es plötzlich beginnt zu schneien. Das glaube ich jetzt nicht. Da warte ich den ganzen Dezember, die Weihnachtszeit und Silvester über auf Schnee, aber nichts passiert. Und ausgerechnet jetzt, wo ich quasi mittel-, partner-, aber vor allem hundelos bin, meint Frau Holle, plötzlich Alarm machen zu müssen. Ich wische mir die dicken Flocken von der Nase, die ich zu einem anderen Zeitpunkt irre romantisch gefunden hätte. Zum Beispiel anlässlich eines Spaziergangs mit Juan …

Ich darf diesen Gedanken gar nicht weiter denken, denn das mit Juan hat sich offensichtlich gerade erledigt. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass er verheiratet ist. Wo zum Teufel hat seine Frau eigentlich in den vergangenen Wochen gesteckt? Und wieso hat dieser Typ es nicht für nötig gehalten, mir zu sagen, dass er alles andere als frei ist?

„Möchten Sie einen Schluck? Sie sehen so aus, als könnten Sie ihn vertragen“, fragt der Penner, hält mir aber anstelle des Kaffees einen Flachmann entgegen. Oh nein, so weit ist es noch nicht!

„Nein, danke“, lehne ich mit dem schönsten Lächeln, zu dem ich in diesem Moment fähig bin ab und beschließe dann zu handeln. Wenn Juan meint, mir die Tatsache unterschlagen zu müssen, dass er gebunden ist – bitte sehr! Ich bin ja nicht die erste Frau in der Geschichte, der so etwas passiert. Aber zuzulassen, dass seine Gattin auf mich losgeht und mich auch noch aussperrt, das ist eine Spur zu hart! Außerdem muss ich wissen, wie es jetzt beruflich für mich weitergeht. Schließlich brauche ich den Job in der Bar und habe seit heute auch noch Schulden bei Juan!

Also klopfe ich energisch gegen die Eingangstür – schließlich hätte das Felipe seit zehn Minuten geöffnet sein müssen, selbst wenn momentan weit und breit kein Gast in Sicht ist. An einem Tag wie diesem würde ich auch lieber zu Hause bleiben und es mir dort gemütlich machen oder zumindest an meinem Arbeitsplatz verharren und mir eine Pizza bestellen. Doch ich klopfe vergeblich – die Tür öffnet sich keinen Millimeter. Wo steckt Juan, dieser Lügner? Und seine Frau? Bedroht sie ihn gerade mit einem von Carmens Küchenmessern, Sorte extrascharf, oder hat sie ihn bereits mit der Paella-Pfanne zu Boden gestreckt? Für eine Nanosekunde tut Juan mir sogar leid. Ich weiß, wie es ist, mit einer temperamentvollen Spanierin zu tun zu haben – schließlich bin ich selbst zur Hälfte eine. Doch in dem Moment, als ich überlege, ob er es eventuell wert sein könnte, ihn aus den Klauen einer zur Gewalttätigkeit neigenden Ehefrau zu retten, parkt ein Wagen vor der Tür, und ihm entsteigen – wie die Orgelpfeifen – drei Kinder in Obhut einer älteren Dame.

Wie durch Zauberhand öffnet sich nun plötzlich die Tür, an die ich bis eben vergeblich getrommelt habe, und ein charmant lächelnder Juan öffnet. Er ignoriert mich, so gut er kann, nimmt nacheinander jedes der Mädchen in die Arme, küsst sie überschwänglich und bedankt sich dann bei der Dame (Mutter? Schwiegermutter?) für deren Hilfe.

Soso, denke ich und fühle das Blut in meinen Adern pochen. Juan hat nicht nur vergessen, mir von seiner Frau zu erzählen, sondern hat auch noch seine entzückende Brut unter den Tisch fallen lassen.

Wollte ich denn nicht Kinder mit ihm in die Welt setzen? Oder hatte mir zumindest fälschlicherweise eingebildet, dass er derjenige welche sein könnte? Hat Juan mir nicht in unseren schönsten Momenten ins Ohr geflüstert, er können sich alles, aber auch wirklich alles mit mir zusammen vorstellen?

Allmählich dämmert es mir, dass unsere Vorstellungen des Wörtchens alles ebenso voneinander abweichen wie unser Geschmack in Sachen Geschirr.

„Entschuldigung“, sage ich laut und vernehmlich, drängle mich am Familienglück vorbei und gehe so energisch wie möglich in Richtung Küche, um meine Sachen zu holen. Was wohl Carmen darüber denkt, dass ich mich plötzlich in Luft aufgelöst habe, anstatt ihr beim Backen der Tortillas zur Hand zu gehen?

Doch die Köchin ist sensibler als gedacht und streckt mir bereits Mantel und Tasche entgegen „Tut mir leid“, flüstert sie und streichelt mir kurz übers Haar. „Ich hätte dir sagen müssen, dass Juan verheiratet ist und Familie hat. Und nebenbei einen Faible für hübsche Aushilfen.“

„Ja, das wäre nett gewesen“, murmle ich und gehe dann hocherhobenen Hauptes durch die Bar. Aha, ich bin also scheinbar nicht die Einzige, die Juans Charme zum Opfer gefallen ist. Na, der kann was erleben! Ich werde ihm keinesfalls die Genugtuung verschaffen, mich womöglich leiden zu sehen. Dummerweise übersehe ich in dem Bemühen, eine möglichst gute Figur bei meinem Abgang zu machen, einen attraktiven, blonden Mann und renne direkt in ihn hinein. Zum zweiten Mal an diesem Tag gehe ich zu Boden und verfluche die Stiefeletten, die ich in einem Anfall von Wahnsinn im Schlussverkauf erstanden habe, um Juan damit zu beeindrucken.

„Geht es Ihnen gut?“, fragt der Blonde und zieht mich sanft vom Boden in die Senkrechte. Unsere Augen kreuzen sich für einen kurzen Moment, und mich durchfährt ein kleiner Schauer. Allerdings weiß ich nicht, ob der von meinen schmerzenden Knöchel herrührt oder den hellgrauen Augen des Fremden. Die Haarfarbe kann auf keinen Fall die Ursache sein, denn ich bin, seit ich mich für das andere Geschlecht interessiere, eindeutig auf dunkelhaarig abonniert.

„Danke“, hauche ich und nicke dem Mann huldvoll zu. Nun ist es wirklich Zeit, dieses unglückbringende Etablissement zu verlassen!

„War nett, Sie kennenzulernen“, ist das Letzte, das ich höre, als sich die Tür hinter mir schließt.

Eine Stunde später bin ich endlich in meiner warmen, kuscheligen Wohnung. Perro sitzt hechelnd zu meinen Füßen und scheint überglücklich, wieder in meiner Nähe zu sein. Auch ich bin froh, ihn endlich wiederzuhaben, und stecke meine Nase in sein weiches Fell. Wie ein Häufchen Elend, die Ohren bis zum Boden hängend, hatte er an der Kasse von Andromeda gesessen und auf mich gewartet. Bei seinem Anblick waren Kummer und Ärger sofort vergessen, und ich war heilfroh, meinen Liebling mit nach Hause nehmen zu können.

Während ich Tee trinke und meine Füße unter seinen Bauch stecke, um mich an seinem warmen Hundekörper zu wärmen, öffne ich die Post. In den letzten Tagen hat sich einiges angesammelt, das ich bislang habe achtlos liegen lassen, so sehr schwebte ich wegen Juan im Liebeshimmel. Sollte die Welt doch sonst etwas von mir wollen, sie würde warten müssen, bis ich Lust hatte, von Wolke sieben herabzusteigen und mich den Realitäten zu stellen.

Ein Fehler – wie ich jetzt erkenne.

Mein Verlag teilt mir mit, dass er Insolvenz anmelden muss, deshalb auch meine Übersetzung nicht mehr benötigt, und die Hausverwaltung schreibt, das meine Wohnung demnächst luxussaniert und zu Eigentum umgewandelt werden soll.

Autor

Mia Jacobs
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