Pikantes Wiedersehen

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Die bildschöne Katherine wird vom britischen Geheimdienst gebeten, in Paris geheime Dokumente in Empfang zu nehmen. Dort wird sie mit einem Gentleman zusammentreffen, der sich als ihr Ehemann ausgeben und sie sicher zurück nach England begleiten soll. Entsetzt erfährt sie, dass ausgerechnet Major Daniel Ross der geheimnisvolle Fremde ist, der diese pikante Rolle spielen wird! Daniel, der ihr Herz bei einer ersten zufälligen Begegnung im Sturm erobert hat. Und den sie nach einem Zerwürfnis auf einem glanzvollen Ball für immer aus ihrem Leben verbannen wollte…


  • Erscheinungstag 18.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754020
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Januar 1815

Ungeachtet verbesserter Straßenverhältnisse zogen selbst es Leute, die sich das Reisen leisten konnten, im Winter vor, daheim zu bleiben, vorausgesetzt, sie waren nicht gezwungen, das Haus für längere Zeit zu verlassen. Auf Grund des beißend kalten Windes und des verhangenen, Schnee ankündigenden Himmels war es Katherine O’Malley geraten erschienen, Zuflucht in einem akzeptablen Gasthaus zu suchen. So hatte sie die Nacht in einer Herberge verbracht und stellte morgens zufrieden fest, dass der Wind die Richtung gewechselt und stark nachgelassen hatte, die Sonne schien und die Landschaft nur mit einer dünnen Schneedecke überzogen war.

Am Frühstückstisch in dem abseits der Schankstube gelegenen Privatsalon sitzend, schaute sie ihre Zofe an und sagte lächelnd: „Wenn ich Ihre mürrische Miene sehe, Miss Harlow, frage ich mich, ob ich nicht doch die Hoffnung aufgeben muss, dass Sie irgendwann ein umgänglicheres Naturell haben werden.“

„Und ich bezweifle, Madam, dass ich den Tag erleben werde, an dem Sie aufhören, stichelnde Bemerkungen zu machen“, erwiderte Bridget ungerührt.

Katherine fühlte sich nicht grundlos zurechtgewiesen. Sie wusste sehr genau, dass ihre Freimütigkeit ein unschöner Zug an ihr war, und bedauerte gelegentlich ihre Unbedachtheit. Immer wieder hatte sie versucht, ihre spitze Zunge im Zaum zu halten, war sich jedoch gewahr, dass ihr Temperament oft mit ihr durchging und sie dann Dinge äußerte, die sie anschließend bereute. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass eine ihrer Tugenden die Bereitschaft war, andere Menschen zu respektieren, und sie nie die Absicht hatte, sie gezielt zu verletzen. Sie hielt sich keineswegs für anmaßend, sondern bemühte sich, auf Gefühle Rücksicht zu nehmen, insbesondere auf die ihres früheren Kindermädchens.

„Ich nehme an“, fuhr Bridget fort, „dass wir am frühen Nachmittag bei Ihrem Onkel und Ihrer Tante eintreffen werden, vorausgesetzt, wir kommen gut durch. Allerdings ist eine Reise zu dieser Jahreszeit mit ziemlichen Risiken verbunden.“

„Es gibt einen guten Grund dafür, dass ich sie unternehme“, erwiderte Katherine freundlich. „Ich hatte wirklich nicht vor, auf das Vergnügen zu verzichten, bei der Verlobung meiner Cousine dabei zu sein und für eine Weile die Gesellschaft meiner einzigen Verwandten zu genießen. Folglich war ich mir im Klaren, dass ich Unbequemlichkeiten ertragen muss.“

„Ich kenne Sie gut genug, Miss Katherine, um zu wissen, dass Sie sich durch nichts von einem Entschluss abbringen lassen“, sagte Bridget ernst. „Sie werden mir verzeihen, wenn ich den Kopf darüber schüttele, dass Miss Wently sich ausgerechnet jetzt und nicht im Frühling verloben will, wenn das Wetter so viel besser ist. Zumindest läuft man nicht Gefahr, dass die Kutsche auf glattem Untergrund den Halt verliert und im Straßengraben landet.“

„Ich habe keinen Einfluss auf Carolines Entscheidung gehabt, wie Sie sich sehr wohl denken können“, äußerte Katherine trocken. „Captain Charlesworth, ihr Zukünftiger, ist beim Militär und bekommt daher natürlich nicht von einem Tag auf den anderen Urlaub, selbst wenn der Krieg mit Frankreich sich nunmehr dem Ende entgegenneigt.“

„Hoffentlich!“, seufzte Bridget und warf einen Blick auf die Standuhr. „Wir sollten aufbrechen, Miss Katherine, wenn wir noch so rechtzeitig bei Ihren Angehörigen eintreffen wollen, dass Ihnen vor dem Ball etwas Zeit zum Ausruhen bleibt“, legte sie ihr dann nahe. „Wer weiß, wie lange das schöne Wetter anhält! Ich werde dem Kutscher sagen, er solle die Chaise vorfahren, und mich vergewissern, dass unser Gepäck wieder gut verstaut ist.“

„Ja, bitte“, stimmte Katherine zu, stand auf und nahm die Handschuhe an sich.

Auch Bridget erhob sich, ließ ihr beim Verlassen des Extrazimmers den Vortritt und begab sich zum Sattelplatz.

Katherine suchte das Entrée auf, läutete dem Wirt und beglich die Rechnung. Sorgsam verstaute sie den Geldbeutel in der Balantine, zog die Handschuhe an und wünschte dem Krüger ein gutes Geschäft. Rasch strebte sie zur Haustür, die unvermittelt geöffnet wurde, und da sie nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte, stieß sie mit dem eintretenden Herrn zusammen.

Hastig hielt er sie an den Oberarmen fest und äußerte entschuldigend: „Verzeihen Sie, Madam. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt.“

„Nein“, antwortete sie höflich. „Ich hätte besser Acht geben müssen.“ Die Art, wie der Mann sie berührte, war eigenartig beruhigend und erinnerte sie an den Vater. Es irritierte sie ein wenig, schmeichelte ihr jedoch zugleich, dass der gut aussehende Fremde sie einen Moment lang bewundernd betrachtete, ehe er sie losließ und zur Seite trat.

„Sie sind ganz blass geworden, Madam“, bemerkte er. „Sind Sie sicher, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist? Sollte ich nicht besser die Wirtin herholen?“

„Nein, das ist nicht nötig“, antwortete Katherine. „Ich weiß Ihre Besorgnis jedoch zu schätzen, Sir.“ Verwirrt durch die Gefühle, die er in ihr geweckt hatte, nickte sie ihm kurz zu und strebte an ihm vorbei ins Freie. Zum Glück folgte er ihr nicht, doch sie bildete sich ein, er schaue hinter ihr her, während sie zur Droschke ging.

„Nanu, Sie sehen aus, als sei Ihnen ein Gespenst über den Weg gelaufen!“, äußerte Bridget verdutzt, als ihre Herrin in die Berline stieg.

Derweil der Kutscher den Wagenschlag zumachte, ließ Katherine sich auf der anderen Sitzbank nieder und erwiderte offenherzig: „Genau so komme ich mir im Moment vor! Haben Sie den Herrn gesehen, der vor einigen Augenblicken das Gasthaus betrat?“

„Nein“, antwortete Bridget verwundert. „War es jemand, den Sie kennen?“

„Nicht dass ich wüsste“, sagte Katherine und schüttelte den Kopf. „Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ihm schon einmal begegnet zu sein. Ich kann mich indes beim besten Willen nicht erinnern, wo das gewesen sein sollte. In Bath bestimmt nicht.“

„Vermutlich sah er gut aus, nicht wahr?“, äußerte Bridget schmunzelnd und setzte sich in der anfahrenden Kutsche bequemer hin.

„Wie man es nimmt“, erwiderte Katherine ausweichend. „Ja, in gewisser Weise ist er attraktiv, aber ich würde ihn nicht gerade als Bild von einem Mann bezeichnen. Wie dem auch sei, mir ist es vollkommen gleich, wie er aussieht.“

„Natürlich!“, erwiderte Bridget ironisch. „Und der Grund ist uns beiden geläufig, nicht wahr?“

Befremdet schaute Katherine ihre Zofe an, wandte dann verstimmt das Gesicht ab und blickte aus dem Fenster, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie das Gespräch für beendet erachtete. Ihr war klar, dass ihre Bedienstete sie nicht absichtlich hatte verletzen wollen, denn das entsprach nicht ihrem Wesen. Im Gegenteil, Miss Harlow war von Natur aus zuvorkommend, gefällig und rücksichtsvoll, und außerdem sehr anhänglich. Ohne diese manchmal etwas lästige und allzu beschützerhafte Einstellung hätte Katherine jedoch, wie sie sehr wohl wusste, die zahlreichen Krisen in den letzten Jahren nicht so gut gemeistert. Von ihr hatte sie erfahren, dass sie während des schlimmsten Unwetters, das seit Menschengedenken über Irland hinweggefegt war, das Licht der Welt erblickt hatte. Es war eine sehr schwere Geburt gewesen, die die Mutter beinahe das Leben gekostet hatte und dazu führte, dass sie keine weiteren Kinder bekommen konnte. Das war der erste Schicksalsschlag gewesen, von dem Katherine mittlerweile glaubte, er stehe in einem unheimlichen Zusammenhang mit ihr.

In der Kindheit war sie sich nicht bewusst gewesen, dass sie den ihr nahe stehenden Menschen Unglück brachte, inzwischen jedoch war sie fest davon überzeugt, da es, seit sie lebte, in ihrem Umfeld zu viele tragische Ereignisse und unerklärliche Todesfälle gegeben hatte.

Nur ein Mensch schien nicht unter dem Bann des auf ihr lastenden Fluchs zu stehen, und das war Miss Harlow. Unwillkürlich schaute Katherine zu ihrer fülligen Zofe hinüber, die sich in den Winkel der Sitzbank gelehnt hatte und zu dösen schien.

Katherine grübelte darüber nach, wie ihre Zukunft sich gestalten mochte, und hielt sich erneut vor, es sei unsinnig zu hoffen, der Mann, den sie heiratete, würde nicht von diesem vermeintlichen Fluch betroffen sein. Daher gelangte sie ein weiteres Mal zu der Erkenntnis, dass es gewissenlos von ihr wäre, einen ahnungslosen Verehrer ins Unglück zu stürzen, indem sie sich mit ihm vermählte.

Im Verlauf ihres sechsjährigen Aufenthaltes in Bath hatte sie zwar eine Reihe von interessanten Gentlemen kennen gelernt, für keinen jedoch eine Schwäche gehabt. Erst der Fremde hatte überraschenderweise Gefühle in ihr geweckt, die mehr zu sein schienen als bloße Sympathie. Sie gestand sich ein, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, weil er sie an den Vater und dessen warmherzige Fürsorglichkeit erinnerte.

Verhalten seufzend sagte sie sich, es sei gut, dass sie dem Unbekannten nicht mehr begegnen werde, da er genau der Typ Mann war, der ihr gefährlich werden und ihren Beschluss, nicht zu heiraten, ins Wanken bringen konnte.

Sie bemühte sich, nicht mehr an ihn zu denken, schloss die Augen und schreckte irgendwann auf, als die Droschke ruckend zum Halten kam. Die Berline stand vor dem Haupteingang des hübschen Hauses, in dem der Onkel und die Tante wohnten, und sie sah erleichtert, dass Meldrew bereits die Tür öffnete. Einen Moment später wurde der Wagenschlag aufgemacht, und der Kutscher half ihr beim Aussteigen. Sie wartete, bis Miss Harlow sich zu ihr gesellt hatte, und wies sie an, sich um das Gepäck zu kümmern. Dann stieg sie die kurze Freitreppe hinauf und begrüßte den sich höflich verbeugenden Butler. Er geleitete sie ins Entrée, nahm ihr Mantel und Handschuhe ab und führte sie zum Salle de séjour. Nachdem er sie angekündigt hatte und zur Seite gegangen war, betrat sie den Salon und sah Tante und Cousine ihr strahlend entgegenlächeln.

Lavinia legte sofort den Stickrahmen auf die Tricoteuse, stand auf und ging mit ausgestreckten Armen auf die Nichte zu, die ihrer verstorbenen Schwester so ähnlich sah. „Wie reizend, dich wiederzusehen, Katherine!“, sagte sie herzlich, umarmte die junge Frau und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ich freue mich sehr, bei euch zu sein“, erwiderte Katherine bewegt, löste sich von der Tante und schaute die Cousine an, die sich ebenfalls erhoben hatte. „Du siehst entzückend aus, meine liebe Caroline“, fuhr sie fort. „Lord Charlesworth kann sich glücklich schätzen. Ich nehme an, es wird ein großes Verlobungsfest, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte Caroline lächelnd. „Mama und ich waren eine Woche lang mit den Vorbereitungen beschäftigt. Wir erwarten ungefähr einhundert Gäste, und ich freue mich ganz besonders, dass du gekommen bist. An sich hatten wir dich schon gestern erwartet, und da du nicht eingetroffen bist, befürchteten wir, du hättest dich auf Grund der winterlichen Wetterverhältnisse anders entschieden.“

„Bitte, nimm Platz“, forderte Lavinia die Nichte auf und setzte sich wieder.

Katherine ließ sich neben Caroline auf der Veilleuse nieder und erwiderte belustigt: „Nein, so wankelmütig bin ich nicht, meine Liebe. Ich bin zwar fast drei Jahre älter als du, aber noch kein ängstliches spätes Mädchen! Aber es hat sehr danach ausgesehen, als würde es schneien, und deshalb habe ich es vorgezogen, die Nacht in einem Gasthof zu verbringen.“

Zärtlich betrachtete Lavinia die hübsche Nichte. Zwar hatte Katherine die blaugrünen Augen ihres irischen Vaters geerbt, aber auch das wundervoll glänzende rotbraune Haar der Mutter. Im Wesen entsprach sie eher Liam als Charlotte, da sie ebenso freimütig war wie er und manchmal sogar genauso wie er aufbrausend sein konnte.

„Außerdem wollte ich mich etwas von den spitzen Bemerkungen des Drachen erholen“, fügte Katherine schmunzelnd an.

Lavinia wusste, wer damit gemeint war, und sagte trocken: „Miss Harlow hat doch nur dein Bestes im Sinn, Katherine. Du ahnst nicht, wie froh ich darüber bin, dass sie in all den Jahren bei dir war und dir zur Seite gestanden hat.“

Im Stillen stimmte Katherine der Tante zu, auch wenn sie, besonders in den letzten Monaten, das betuliche, bemutternde Verhalten ihrer Zofe als lästig empfunden hatte. „Wo ist Peter?“, erkundigte sie sich, um das Thema zu wechseln.

„Er war Weihnachten hier und ist jetzt wieder an der Universität“, antwortete Caroline. „Offen gestanden bin ich überzeugt, dass er froh ist, heute Abend nicht anwesend zu sein. Ihm behagte die Aussicht nicht, sich zusammen mit Papa um allein stehende ältere Damen kümmern zu müssen.“

„Ich bezweifle, dass Onkel Henry sich darauf freut“, erwiderte Katherine und warf der Tante einen amüsierten Blick zu.

„Nein, natürlich nicht“, sagte Lavinia schmunzelnd und griff nach ihrer Stickarbeit. „Aber er hat sich resignierend damit abgefunden. Allerdings will er sich Verstärkung verschaffen.“

„Verstärkung?“, wiederholte Katherine verständnislos.

„Nun, er ist vorhin zu Sir Giles geritten, und ich bin sicher, dass er den Baronet mit der Absicht aufgesucht hat, sich seiner Unterstützung bei dieser sicher nicht sehr unterhaltsamen Aufgabe zu versichern.“

„Du kannst dich auf mich verlassen“, sagte Giles lächelnd. „Ich werde gegen acht Uhr eintreffen. Mary würde es mir sehr übel nehmen, wenn wir deiner Einladung nicht Folge leisteten.“

„Du bist wirklich ein guter Freund, Giles“, erwiderte Henry dankbar, steckte den Zeigefinger unter das Cachenez und lockerte es etwas. „Ich gebe zu, dass es mir davor graust, mich mit lauter alten Schachteln abgeben zu müssen.“

Im Gegensatz zur geschwätzigen Schwester zog Giles es im Allgemeinen vor, zurückhaltend zu bleiben. Nun fühlte er sich indes bemüßigt, etwas redseliger zu sein, um den geschätzten Nachbarn von der bevorstehenden lästigen Pflicht abzulenken. „Die zukünftige Schwiegermutter deiner Tochter würde ich zwar nicht als alte Schachtel bezeichnen, aber sie kann sehr anstrengend sein“, meinte er und schmunzelte flüchtig. „Es ist mir ein Rätsel, wie sie und ihr apathischer Gatte zwei so schmucke Knaben in die Welt setzen konnten. Verstehen kann ich jedoch, dass du dich über die Verlobung deiner Tochter mit Charlesworth freust. Er ist ein sehr netter junger Mann und eine Zierde seines Regiments. Im Übrigen solltest du dir nicht so viele Sorgen machen, Henry. Ich bin sicher, deine charmante Gattin hat dafür gesorgt, dass heute Abend alles gut verläuft.“

„Hoffentlich!“, murmelte Henry, setzte sich bequemer hin und streckte die Beine aus.

„Meine Schwester erzählte mir, dass so gut wie alle von denen, die ihr eingeladen habt, kommen werden“, fuhr Giles fort. „Wenigstens haben wir einigermaßen gutes Wetter.“

„Zum Glück!“, sagte Henry und trank einen Schluck Burgunder. „Ich hatte schon mit Schnee gerechnet. Nun, vielleicht steht uns der noch bevor. Meine Nichte Katherine, die gestern ankommen sollte, war noch nicht da, als ich vorhin das Haus verließ. Möglicherweise ist sie durch einen Witterungsumschwung aufgehalten worden.“

„Kommt sie von weit her?“, erkundigte sich Giles höflich.

„Ja, aus Bath“, antwortete Henry. „Lavinia und Caroline haben sie sehr gern und werden arg enttäuscht sein, wenn Katherine nicht beim Ball anwesend ist. Vor einem Jahr hat meine Frau meiner Nichte vorgeschlagen, zu uns zu ziehen. Katherine hat das jedoch abgelehnt. Ich glaube, sie wohnt gern in dem Haus, das ihr von ihrer Großtante Augusta vererbt worden ist. Sie lebt mit ihrer Gesellschafterin und ihrem früheren Kindermädchen dort.“

„Wie alt ist sie?“

„Fast dreiundzwanzig.“

„Und wo sind ihre Eltern?“, fragte Giles und bemühte sich, nicht zu gähnen.

„Sie sind tot“, sagte Henry. „Ihr Vater ist vor sieben Jahren auf See verschollen. Er war ein ausgezeichneter Pferdezüchter und hatte von der Regierung den Auftrag erhalten, eine größere, für die Armee in Portugal benötigte Zahl bei ihm gekaufter Pferde zum dortigen Hauptquartier zu bringen. Die Brigg, auf der er sich befand, und zwei weitere Frachtsegler wurden, obwohl ein Konvoischiff sie begleitete, in der Bucht von Biscaya von französischen Fregatten angegriffen und versenkt. Es ist mir vollkommen unerklärlich, wie das passieren konnte!“, fügte Henry ärgerlich hinzu. „Erstens gab es Geleitschutz, zweitens waren die drei Schiffe gleichermaßen stark bewaffnet, und drittens waren unsere Landsleute in der Übermacht. Monate nach dem Zwischenfall erfuhr ich, die Admiralität habe bedauernd bekannt gegeben, der Verlust sei auf ein peinliches Missverständnis zurückzuführen. Man sei davon ausgegangen, dass die Frachtschiffe und der Escorteur zwei Wochen nach der Brigg abfahren würden.“

„Das ist in der Tat ein höchst eigenartiger Vorgang“, warf Giles erstaunt ein.

„Ich finde die Sache skandalös“, fuhr Henry aufgebracht fort. „Meine Schwägerin hat den Tod ihres Gatten nie verwunden. Sie begann zu kränkeln und zog sich einige Wochen nach der Verlustmeldung eine Lungenentzündung zu, an der sie dann gestorben ist.“

„Wie furchtbar!“, murmelte Giles mitfühlend. „Deine Nichte ist wirklich zu bedauern.“

„Peter Fairchild, ihr Großvater, ist sofort nach Irland gereist und hat sie zu sich geholt. Da er der Meinung war, sie müsse eine gute Erziehung bekommen und weltgewandter werden, hat er sie zu seiner Schwester nach Bath geschickt. Sie war erst kurze Zeit bei ihrer Großtante und litt noch sehr unter dem Tod der Eltern, als mein Schwiegervater einen Herzanfall bekam und verschied.“

Die Erwähnung des Namens Fairchild hatte Henry stutzig gemacht. Er konnte sich indes nicht erinnern, wieso er ihm vertraut vorkam.

„Dann starb auch Augusta und hinterließ ihr das Haus. Lavinias Vater hatte mich zu einem ihrer Vermögensverwalter bestimmt, und ich kann sagen, dass Katherine nicht schlecht gestellt ist. Allerdings kann sie erst über das aus dem Verkaufserlös des väterlichen Gestüts und dem Vermächtnis ihres Großvaters bestehende Erbe verfügen, wenn sie fünfundzwanzig ist. Bis dahin stehen ihr lediglich die Mittel zu, die Augusta ihr testamentarisch vermacht hat.“

Giles langweilte die betrübliche Geschichte, und daher war er erleichtert, als jemand an die Bibliothekstür klopfte. „Herein!“, rief er laut.

Der Butler betrat den Raum, verbeugte sich und sagte: „Major Ross wünscht Sie zu sprechen, Sir.“

„Bitten Sie ihn herein“, erwiderte Giles erfreut und stand auf.

„Sehr wohl, Sir.“

Neugierig blickte Henry zur Tür und sah einen Moment später einen hoch gewachsenen Mann von kräftiger Statur hereinkommen.

„Welch unerwartete Überraschung, Major!“, sagte Giles lächelnd.

„Guten Tag, die Herren“, begrüßte Daniel sie, verneigte sich leicht und schüttelte dann dem Baronet die Hand. „Ich bin nur auf einen Sprung hergekommen“, erklärte er, „weil ich Mr. Cranford versprochen habe, Ihnen diesen Brief zu übergeben. Ich bin auf dem Weg nach London, um an einem Offizierstreffen teilzunehmen und einen Freund zu besuchen.“

„Vielen Dank, Major“, erwiderte Giles, nahm den versiegelten Umschlag entgegen und legte ihn auf den Schreibtisch. „Wollen Sie sich nicht setzen, Sir?“, wandte er sich an seinen ehemaligen Mitarbeiter.

„Danke“, willigte Daniel ein. „Lange kann ich indes nicht bleiben“, fügte er hinzu, während er sich in einem Fauteuil niederließ.

Auch Giles nahm wieder Platz und erkundigte sich: „Wie sind die Straßenverhältnisse? Mein Freund sorgt sich um eine Verwandte, die er erwartet.“

„Ich bin ohne jede Schwierigkeit nach Andover gelangt“, antwortete Daniel. „Über Nacht hat es dann etwas geschneit, aber die Straßen sind frei.“

„Hm!“, äußerte Henry stirnrunzelnd. „Handelt es sich bei dem von Ihnen genannten Herrn zufällig um den ehrenwerten Mr. Charles Cranford?“, fragte er dann neugierig.

„Ja“, bestätigte Giles. „Kennst du ihn?“

„Nicht persönlich“, antwortete Henry. „Ich weiß jedoch, dass er Parlamentsmitglied ist. Und wenn ich mich nicht täusche, hat er das Anwesen meines verstorbenen Schwiegervaters in Dorset erstanden.“

„Möglich wäre es“, meinte Giles. „Ich habe mich vorhin bereits gefragt, wieso der Name Fairchild mir geläufig ist. Aber Major Ross kann uns sicher Genaueres berichten.“

„Ja, es trifft zu, dass Mr. Cranford der Käufer des erwähnten Besitzes ist“, sagte Daniel. „Ich kenne ihn sehr gut, weil ich in der Nähe lebe.“

„Du meine Güte, ist die Welt klein!“, rief Henry überrascht aus. „Ich bin mit Colonel Fairchilds jüngerer Tochter Lavinia verheiratet. Vielleicht ist sie Ihnen bekannt, wenngleich Sie wohl noch sehr jung waren, als wir uns vermählten und sie das väterliche Haus verließ.“

„Nein, im Moment entsinne ich mich nicht an sie“, erwiderte Daniel ehrlich. „Es ist auch zu lange her, dass ich die beiden Töchter meines Nachbarn zum letzten Mal gesehen habe.“

„Ich bin sicher, meine Gattin würde sich sehr freuen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen und mit Ihnen über alte Zeiten zu plaudern“, sagte Henry freundlich. „Oh, das trifft sich gut! Heute Abend geben wir einen Ball. Darf ich Sie dazu einladen? Sie wären uns sehr willkommen.“

„Vielen Dank, Sir“, äußerte Daniel höflich. „Ich werde es mir überlegen.“

„Es wäre meiner Frau und mir ein Vergnügen, wenn Sie kämen“, erwiderte Henry, warf einen Blick auf seine Taschenuhr und stand auf. „Oh, es ist höchste Zeit für mich, nach Hause zu fahren“, meinte er erschrocken. „Wir sehen uns später, Giles. Und die Einladung bleibt bestehen, Major“, fügte er lächelnd an, verneigte sich und verließ die Bibliothek.

„Ich bin mir zwar bewusst, dass ich Sie nicht dazu zwingen kann, den Aufenthalt hier zu verlängern“, wandte Giles sich an den Major, während er sich erhob. „Indes wäre es mir sehr recht, wenn Sie die Gelegenheit nutzten, damit wir gemütlich und ausgiebig über früher plaudern können.“ Er ging zum Konsoltisch, auf dem die Getränke standen, schenkte dem Besucher Wein ein und brachte ihm das Glas.

Daniel nahm es entgegen und erwiderte eine Spur maliziös: „Verzeihen Sie, Sir, aber ich kann nicht behaupten, dass die Aktivitäten, die uns verbunden haben, immer sehr angenehmer Natur waren.“

„Falls Sie damit diese entzückende Französin meinen, Miss Justine Baron, gebe ich Ihnen recht“, stimmte Giles trocken zu. „Die sie betreffende Operation war der größte Fehlschlag, den ich je erlebt habe. Meine Gutherzigkeit hat mich dazu bewogen, Miss Baron zu beschäftigen. Sie ist nicht aus freien Stücken Spionin geworden, sondern auf Grund persönlicher Umstände. Selbstverständlich habe ich sie für ihre Dienste gut honoriert, jedenfalls bis kurz vor ihrem Tod, nachdem man herausgefunden hatte, wo sie von mir versteckt wurde. Bedauerlicherweise habe ich das Malheur nicht verhindern können, obwohl ich kurz davor war, die von mir gesuchten Verbrecher zu fassen!“

„Verbrecher?“, wiederholte Daniel erstaunt. „Sind Sie sicher, dass sie das Abkommen eingehalten hätte?“, setzte er skeptisch hinzu.

„Ja“, bestätigte Giles nickend. „Ich habe schon bald angenommen, dass es sich um zwei Verräter handelte, und war überzeugt, dass sie mir deren Namen nennen würde, weil ich ihr gegenüber nie wortbrüchig geworden bin. Sie hat großen Wert darauf gelegt, schnell an ein Vermögen zu kommen, und außer ihrer Geldgier gab es nur noch eins, was für sie von großer Bedeutung war, und zwar ihre Schwester Louise. Aber ich bin weiterhin entschlossen, den Schuft und seine Helfershelfer aufzuspüren und vor Gericht zu bringen.“

„Der Krieg ist zu Ende“, warf Daniel ein.

„Ja, gegen Napoleon, aber nicht gegen die im Untergrund arbeitenden Feinde Englands“, entgegnete Giles ernst und nahm das Federmesser zur Hand. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment“, fuhr er fort, schlitzte das Couvert auf und zog das Schreiben heraus. Nachdem er den Brief zur Kenntnis genommen hatte, faltete er ihn zusammen, schob ihn wieder in den Umschlag und steckte ihn in die Innentasche des Gehrocks. „Mr. Cranford teilt mir mit, dass er Anfang April einen Ball geben wird, zu dem er einige interessante Leute eingeladen hat. Werden Sie daran teilnehmen?“

„Vielleicht“, antwortete Daniel ausweichend.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie den Dienst quittiert haben“, wechselte Giles das Thema. „Trifft das zu?“

„Ja.“

„Was gedenken Sie nun zu tun?“

„Ich muss mich um meine viel zu lange vernachlässigten Besitzungen kümmern.“

„Wie schön, dass Sie vorhaben, sesshaft zu werden“, erwiderte Giles lächelnd. „Daraus schließe ich, dass alte Wunden mittlerweile verheilt sind.“

Überrascht schaute Daniel sein Gegenüber an und erwiderte befremdet: „Ihnen entgeht offenbar nichts, Sir!“

„Nun, das war stets mein Bestreben“, äußerte Giles schmunzelnd. „Werden Sie Mr. Wentlys Einladung befolgen?“

„Ich habe keine Abendgarderobe bei mir, nur meine Ausgehuniform“, antwortete Daniel achselzuckend.

„Dann steht einem Besuch bei meinem Nachbarn doch nichts im Wege!“

2. KAPITEL

Katherine betrachtete sich im Psyché und war sehr mit ihrem Äußeren zufrieden. Miss Harlow hatte sie hervorragend frisiert, und die dunkelgrüne, figurbetonende Ballrobe stand ihr ausgezeichnet. „Ich glaube, meine Perlen passen am besten zu diesem Kleid“, bemerkte sie nachdenklich, wandte sich vom Spiegel ab und setzte sich an die Poudreuse. Sie öffnete den Schmuckkasten, nahm das Kollier heraus und ließ es sich, während sie den Verschluss des Brasseletts am linken Arm einklinkte, von der Zofe um den Hals befestigen. Sobald Miss Harlow ihr die passenden Briolets angesteckt hatte, äußerte sie lächelnd: „In dieser Robe fühle ich mich sehr wohl. Sie ist nicht zu jugendlich gearbeitet, macht mich aber auch nicht älter, als ich bin.“

„Nein, ganz und gar nicht“, stimmte Bridget zu und bedauerte, dass Miss O’Malley nie einsehen wollte, welch hübsche, ansprechende Erscheinung sie abgab und wie reizvoll ihr schmales, ebenmäßig geschnittenes Gesicht war. Es war nicht erstaunlich, dass viele Männer sie bewunderten, selbst wenn rotbraunes Haar nicht jedermanns Geschmack war. „Sie sehen entzückend aus“, setzte die Zofe anerkennend hinzu.

Nur einen Moment später wurde die Tür des Ankleidezimmers geöffnet, und Katherine sah die Tante eintreten.

„Jedes Mal, wenn ich dich sehe, fällt mir die große Ähnlichkeit mit meiner Schwester auf“, stellte Lavinia fest. „Du bist eine Schönheit, mein Kind.“

„Danke“, erwiderte Katherine geschmeichelt und dachte daran, dass ihre Mutter zweifellos die attraktivere der beiden Schwestern gewesen war. Vom Wesen her hatte sie sich jedoch sehr von Tante Lavinia unterschieden. Sie war längst nicht so charakterfest wie ihre Schwester gewesen, die gewiss nicht dahinsiechte, falls – was Gott verhüten mochte – ihrem Mann ein Unglück zustieß. Im Gegenteil, die Tante würde, zumindest nach außen hin, die Contenance bewahren und ihren Kindern zuliebe ihr weiteres Leben meistern.

„Außerdem erinnerst du mich sehr an meine Großmutter“, sagte Lavinia. „Kein Wunder, dass mein Vater so an dir gehangen hat.“

„Auch ich hatte ihn sehr gern“, gestand Katherine. „Und deshalb tut es mir doppelt leid, dass sein Tod uns so früh getrennt hat.“

„Ja, das ist schade“, pflichtete Lavinia der Nichte bei. „Auch wenn er im Allgemeinen der Ansicht war, Frauen hätten sich bescheiden im Hintergrund zu halten, schätzte er deine offenherzige Art. Ich bin sicher, ihr beide hättet euch mit den Jahren immer besser verstanden.“

„Du bist heute schon die zweite Person, Tante Lavinia, die mir vorhält, dass ich manchmal zu freimütig bin“, erwiderte Katherine mit einem amüsierten Blick auf ihre Zofe, stand auf und glättete den Rock. „Ich verspreche dir, mich heute Abend sehr manierlich zu benehmen und meine vorlaute Zunge im Zaum zu halten.“

„Das kann nur von Vorteil sein“, meinte Lavinia belustigt. „Komm, gehen wir in den Salle de séjour“, fügte sie an und verließ das Ankleidezimmer.

Katherine folgte ihr und begab sich mit ihr in den Großen Salon, wo sich bereits die sichtlich aufgeregte Cousine und der unübersehbar weniger begeistert aussehende Onkel eingefunden hatten.

Ein Weilchen später kündigte Meldrew Lord Charlesworth, dessen Familie und weitere Gäste an. Nach der herzlichen Begrüßung machte der Onkel Katherine mit den Herrschaften bekannt, und wie es sich ergab, fand sie sich plötzlich neben Carolines zukünftiger Schwiegermutter auf der Veilleuse wieder. Da sie durch den Umgang mit ihrer Großtante über hinreichend Erfahrungen mit Ehrfurcht gebietenden älteren Damen verfügte, die noch dazu hin und wieder boshafte Bemerkungen machten, beschloss sie, sich sehr zurückzuhalten und Caroline nicht durch unbedachte Äußerungen den Abend zu verderben. Tapfer ertrug sie geraume Zeit das selbstgefällige Gehabe der verwitweten Baronin und willigte sogar ein, später mit ihr Whist zu spielen, überlegte indes enerviert, wie sie ihr für den Augenblick entrinnen könne.

„Lassen Sie nicht zu, dass meine Mutter Sie so mit Beschlag belegt“, raunte Captain Charlesworth, der Verlobte ihrer Cousine, ihr zu.

Katherine wandte leicht den Kopf zur Seite und sah ihn mit Caroline hinter sich stehen. Rasch entschuldigte sie sich bei Ihrer Ladyschaft, stand auf und gesellte sich zu den beiden.

„Da wir jetzt verlobt sind, Richard, halte ich es für angebracht, dass meine Cousine und du euch duzt“, sagte Caroline lächelnd, während man sich einige Schritte vom Sofa entfernte.

„Ich wäre entzückt, vorausgesetzt, sie hat nichts dagegen“, erwiderte Richard.

„Nein, ich habe keinen Einwand“, meinte Katherine freundlich. Sie fand Lord Charlesworth sehr gut erzogen, natürlich und auf den ersten Blick sympathisch. „Ich nehme an, ihr werdet den Ball eröffnen, nicht wahr?“

„Ja“, bestätigte Caroline strahlend. „Und du wirst keine Gelegenheit haben, dich irgendwo zu langweilen, weil Richards Freunde nur darauf warten, mit dir zu tanzen.“

„Oje!“, äußerte Katherine seufzend. „Ich befürchte, ich werde zu schwach sein, einem solchen Ansturm von männlichem Charme zu widerstehen.“ Im Gegensatz zu den meisten Frauen fand sie es jedoch nicht sonderlich aufregend, mit einem Mann zu tanzen, nur weil er Offizier war. Sie ließ den Blick über die Herren in Galauniform schweifen und fuhr amüsiert fort: „Irgendwie scheinen die Männer, die in formeller Abendgarderobe erschienen sind, denjenigen vom Militär gegenüber im Nachteil, weil diese in ihren schmucken Paradeuniformen einen so stattlichen Eindruck machen.“

„Wie wahr!“, stimmte Caroline zu und erblickte einen Herrn in rotem Kollett mit grünen Rabatten und weißen Biesen. „Wer ist dieser Offizier, Richard?“, erkundigte sie sich und wies diskret auf den Betreffenden. „Er kam in Begleitung von Sir Giles. Das ist doch keine Kavallerieuniform, nicht wahr?“

„Nein“, bestätigte Richard. „Der Gentleman trägt die Montur der Scharfschützen des fünften Dorsetshire Infanterieregiments. Ich kann dir nicht sagen, wer er ist, werde mich jedoch erkundigen. Wartet hier, ich stelle mich ihm vor.“

Katherine schaute zu dem fraglichen Gast hinüber, sah ihn sich zu Lord Charlesworth umdrehen und glaubte den Augen nicht trauen zu dürfen. „Du lieber Himmel!“, murmelte sie verblüfft. „Mit ihm hätte ich hier nicht gerechnet!“

„Wieso bist du so überrascht?“, wunderte sich Caroline. „Offenbar kennst du ihn.“

„Wie man es nimmt“, antwortete Katherine. „Beim Verlassen des Gasthauses, in dem ich übernachtet habe, bin ich mit diesem Herrn zusammengestoßen.“ Es freute sie, dass er anwesend war, und gespannt sah sie Lord Charlesworth entgegen, der den Unbekannten zu ihnen brachte.

Richard blieb mit ihm bei Caroline und Katherine stehen und sagte höflich: „Darf ich bekannt machen? Miss Wently, meine Verlobte, und Miss O’Malley, ihre Cousine. Major Daniel Ross, der beim Militär in hohem Ansehen steht.“

Daniel begrüßte die Damen und sagte dann zu Miss O’Malley: „Welch eigenartiger Zufall, Madam, dass wir uns hier wieder begegnen. Offenbar war uns das vom Schicksal vorbestimmt.“

Flüchtig registrierte sie, dass er eine tiefe, angenehm klingende Stimme und ein gewinnendes Lächeln hatte, doch die jäh in ihr erwachte Abneigung war stärker als der bisher so gute Eindruck von ihm. Bei der Erwähnung seines Namens hatte sie plötzlich begriffen, dass sie dem Mann gegenüberstand, den sie seit Jahren verabscheute. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht die Fassung zu verlieren und etwas höchst Unpassendes zu äußern. „Bitte, entschuldigen Sie mich einen Moment“, erwiderte sie beherrscht. „Ich bin gleich zurück.“

Verwundert schaute Daniel ihr hinterher und konnte sich nicht erklären, warum sie so blass geworden war.

Aufgeregt strebte Katherine durch die Schar der Gäste, suchte den Damensalon auf und setzte sich erschüttert in einen Sessel. Erinnerungen stürmten auf sie ein an die Monate, die sie in Moreton im hübschen Haus des Großvaters verbracht und sich dort mit Helen Rushton, der Tochter seines Nachbarn, befreundet hatte, deren im Dienst der Marine stehender Vater ebenso auf See verschollen war wie ihrer. Aus der anfänglichen Sympathie war schnell tiefe Zuneigung geworden, und Katherine war bald von Helen ins Vertrauen gezogen worden. Helen hatte ihr unter anderem erzählt, dass sie ein Faible für Daniel Ross hatte, der damals noch Captain gewesen und nach siebenjährigem Aufenthalt im Ausland zurückgekehrt war. Jedes Mal, wenn er Helen die Aufwartung gemacht hatte, war Katherine von ihr in allen Details über seinen Besuch informiert worden. Helen hatte so sehr für ihn geschwärmt, dass sie glaubte, die Welt würde untergehen, nachdem ihr zu Ohren gekommen war, er pflege intensiven Umgang mit einer in der Gegend lebenden jungen Witwe. Die Erkenntnis, dass er sich nicht nur für sie interessierte, war ein schwerer Schlag gewesen, von dem sie sich lange nicht erholt hatte.

Autor

Anne Ashley
Die Engländerin schreibt historical romances und entspannt sich gerne in ihrem Garten. Diesen hat sie bereits öfter zugunsten des Fondes der Kirche in ihrem Dorf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
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