Stadt, Land ... Liebe

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Eigentlich hatte Jared seiner Heimat Northbridge für immer den Rücken gekehrt. Zu eng, zu bedrückend fand er das Leben dort. Doch das Schicksal führt ihn zurück - und erneut mit Mara zusammen. Früher für ihn ein uninteressantes Kleinstadt-Mädchen, sieht er sie plötzlich mit neuen Augen: Sie ist so anders als die Frauen, die er kennt - so natürlich, so warmherzig … Wider Erwarten will der eingefleischte Großstädter bald nur noch eins: Mara zärtlich in die Arme schließen! Aber kann er seine heimatverbundene Traumfrau davon überzeugen, dass sie eine gemeinsame Zukunft haben?


  • Erscheinungstag 21.03.2016
  • Bandnummer 8
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773687
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Kommt da etwa gerade jemand die Treppe hoch?“, erkundigte sich Celeste Perry aufgeregt. „Um zehn Uhr abends an einem Sonntag? Das kann doch wohl nicht wahr sein!“

„Keine Angst, ich kümmere mich schon darum. Mach einfach das, was du sowieso gerade machen wolltest.“ Mara Pratt stand auf und reichte der älteren, extrem übergewichtigen Frau die Hand, um sie aus dem Lehnstuhl zu ziehen.

„Wirklich?“

„Natürlich. Dafür bin ich doch auch hier. Um dir lästige Leute vom Hals zu halten.“

Celeste lächelte müde. „Ich weiß wirklich nicht, was ich die letzte Woche ohne dich gemacht hätte.“

„Und ich weiß nicht, was ich die letzten Jahre ohne dich gemacht hätte“, gab Mara zurück.

Celeste umarmte die jüngere Frau herzlich und tippte ihr auf die Nase. „Du hast da noch etwas Mehl vom Plätzchenbacken.“

Lächelnd wischte Mara den Fleck weg. „Mach dich doch schon mal fürs Bett fertig. Du hast einen besonders anstrengenden Tag vor dir, da musst du gut erholt sein. Ich gehe erst mal an die Tür und wimmele diesen Reporter ab, dann schenke ich dir einen Brandy ein, okay?“

Die beleibte Frau nickte und verschwand hinter einer Tür.

Die kleine Wohnung, in der sie lebte, gehörte der Familie Pratt. Bis vor Kurzem hatten die Pratts nicht gewusst, wer die Frau wirklich war, der sie das Apartment seit Jahrzehnten vermieteten und die schon genauso lange in ihrer Reinigung arbeitete: nämlich die berüchtigte Celeste Perry. Stattdessen hatten die Pratts wie alle anderen Bewohner von Northbridge geglaubt, sie hätten es einfach mit einer sehr zurückhaltenden Frau namens Leslie Vance zu tun. Im Jahr 1970 war die Fremde auf einmal hier aufgetaucht.

Ungefähr im gleichen Moment, in dem Celeste ihre Schlafzimmertür schloss, kamen draußen die Schritte zu einem Halt. Es klopfte.

Mara warf noch einen schnellen Blick in den Spiegel an der Wand, um sicherzugehen, dass sie einigermaßen ordentlich aussah. „Wer ist da?“, rief sie.

„Ich möchte mit Celeste Perry sprechen“, antwortete eine tiefe männliche Stimme.

Das wollte in letzter Zeit jeder. Seit herausgekommen war, dass die vermeintliche Leslie Vance in Wirklichkeit Celeste Perry hieß, stand sie im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Immerhin hatte die ehemalige Pfarrersfrau im Jahr 1960 ihren Mann und zwei Söhne in Northbridge zurückgelassen, um sich mit einem Bankräuber auf und davon zu machen.

„Jetzt weiß ich immer noch nicht, wer Sie sind“, erwiderte Mara und warf einen zweiten Blick in den Spiegel.

Vor einigen Tagen hatte ihr ein Fotograf an der Tür direkt ins Gesicht geblitzt. Das extrem unschmeichelhafte Bild war in allen Zeitungen erschienen. So etwas wollte sie auf keinen Fall noch einmal erleben, also strich sie sich das schulterlange tiefbraune Haar hinter die Ohren und musterte kritisch das dezente Rouge auf ihren hohen Wangenknochen. Am liebsten hätte sie noch schnell etwas Lipgloss aufgetragen. Immerhin waren auf ihrer geraden, schmalen Nase keine Mehlspuren mehr zu sehen, dafür fiel ihr auf, dass die Wimperntusche am linken Auge auf das Unterlid abgefärbt hatte. Schnell rieb sie mit der Fingerkuppe darüber. Mehr konnte sie jetzt nicht tun.

„Ich möchte meinen Namen aber nicht durch ganz Northbridge schreien“, kam es von draußen. Die tiefe Stimme klang angespannt.

Auf keinen Fall wollte Mara den Fremden einfach so hereinlassen. Das würde sie nur tun, wenn sie sicher sein konnte, dass er auf Celestes Seite stand – genau wie sie selbst, ihre Geschwister und die meisten Einwohner der Kleinstadt Northbridge in Montana. Wenn er Celeste aber für eine Zeitung interviewen oder sie sonst wie belästigen wollte, dann würde Mara ihm auf keinen Fall die Tür öffnen.

„Wenn Sie mir nicht sagen, wer Sie sind, mache ich Ihnen auch nicht auf.“

„Celes…“

„Ich bin nicht Celeste“, unterbrach Mara ihn. Er hatte den Namen sehr zögerlich ausgesprochen.

„Wer sind Sie dann?“, wollte er wissen. Das klang gleich viel entschlossener.

„Erst mal will ich wissen, wer Sie sind“, beharrte sie.

„Ich würde gern mit Celeste Perry sprechen“, wiederholte der Mann langsam und deutlich, als hätte Mara ihn bisher nicht richtig verstanden. Etwas lauter fügte er hinzu: „Wenn sie nicht hier ist, wo ist sie dann?“

In der letzten Woche hatte Mara es schon mit einer Menge aufdringlicher Reporter zu tun gehabt, die allesamt ziemlich hartnäckig gewesen waren, manche sogar regelrecht aufdringlich und penetrant. Aber keiner hatte mit einer solchen Selbstverständlichkeit Forderungen gestellt wie der Mann dort draußen. Er trat ja auf, als hätte er einen Anspruch darauf, Celeste zu sehen!

Am liebsten hätte Mara ihm gesagt, er solle einfach wieder verschwinden. Aber wenn er weiter solchen Krach machte, hätten sie bestimmt bald auch noch den Streifenpolizisten auf dem Hals, der dafür sorgen sollte, dass Celeste bis zu ihrem Verhör die Wohnung nicht verließ. Und dann würde die ältere Frau heute Nacht gar keine Ruhe mehr finden.

Also blieb Mara wohl nichts anderes übrig, als dem forschen Fremden ein Stück entgegenzukommen. „Ich heiße Mara Pratt“, erwiderte sie. „Und wer Celeste sehen will, muss erst mal an mir vorbei.“

„Sagten Sie Pratt?“, gab der Mann zurück. „Die Pratts kenne ich. Von früher jedenfalls. Cam und Scott …“

„Meine beiden älteren Brüder. Wenn ich sie anrufe, sind sie in fünf Minuten hier und begleiten Sie wieder die Treppe hinunter. Es sei denn, Sie sagen mir sofort Ihren Namen.“

„Ich heiße Jared Perry.“

Oha, dachte Mara. Jetzt wusste sie ganz genau, wer vor der Haustür stand, obwohl sie den Mann nie richtig kennengelernt hatte. Immerhin war sie erst zwölf Jahre alt gewesen, als er der Stadt den Rücken kehrte. Und da er sechs Jahre älter war als sie, hatten sie kaum etwas miteinander zu tun gehabt.

Trotzdem fiel ihr sofort wieder ein, dass Jared immer als schwarzes Schaf der Familie Perry gegolten hatte. Er hatte Northbridge noch am Tag seines Highschool-Abschlusses verlassen, nachdem er sich bei der Abschlussfeier lautstark und in aller Öffentlichkeit mit seinem Großvater, dem damaligen Pfarrer, gestritten hatte. Seitdem hatte sich Jared nie mehr in Northbridge blicken lassen.

Trotzdem hatte sie mitbekommen, dass er inzwischen als Finanzhai ein Vermögen erworben hatte und dass ihm ein beängstigender Ruf vorauseilte. Wenn es um die Übernahme fremder Unternehmen ging, galt Jared Perry als gnadenlos, knallhart, unerschrocken und unnachgiebig. „Der skrupellose Perry“ hatte die Presse ihn getauft. Wenn er erst mal sein Auge auf ein interessantes Objekt geworfen hatte, konnten ihm die Verantwortlichen eigentlich gleich die Firmenschlüssel in die Hand drücken und sich damit eine Menge Ärger ersparen. Jedenfalls hatte die angesehene Tageszeitung The New York Times das einmal über ihn geschrieben.

Nicht zuletzt aber war Jared Perry der Enkel von Celeste, und der durfte natürlich nicht in dieser eiskalten Januarnacht vor der Wohnungstür seiner Großmutter frieren.

Mara schloss auf und öffnete ihm. Draußen stand ein Mann, der so wirkte, als hätte er es schon mit viel wichtigeren und mutigeren Personen aufgenommen als ihr. Er sah aus wie ein richtiger Großunternehmer.

Es fing schon damit an, dass er sehr viel besser angezogen war als alle Reporter, die bisher hier aufgetaucht waren. Er trug einen anthrazitfarbenen Kaschmirmantel, der ihm bis zu den Unterschenkeln reichte und dabei fast verbarg, dass er die ganze Zeit ungeduldig von einem Bein aufs andere trat. Aber auch nur fast.

Mara musste zu dem mindestens einsneunzig großen Mann aufschauen und hatte das Gefühl, dass sie der Blick aus seinen eisblauen Augen durchbohren wollte.

Live sah er noch sehr viel besser aus als in Maras Erinnerung und auf den vielen Zeitungsfotos, die sie von ihm schon gesehen hatte. Trotzdem bestand kein Zweifel daran, dass sie tatsächlich den berühmten Jared Perry vor sich hatte.

„Kommen Sie doch rein.“

Selbstbewusst betrat er das Apartment und ging in das kleine Wohnzimmer.

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht sofort reingelassen habe“, sagte Mara. „Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Leute hier schon mit Celeste sprechen wollten, und nicht alle wollten ihr dabei etwas Gutes. Außerdem ist es ganz schön spät.“

„Ich bin eben erst in Northbridge angekommen und wollte sofort meine Großmutter sehen“, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme.

„Celeste ist müde und hat morgen einen ziemlich harten Tag vor sich …“

„Das weiß ich alles von meinem Bruder Noah. Darum bin ich überhaupt hier. Ich will dafür sorgen, dass sie einen anständigen Verteidiger hat, bevor sie aussagt.“

„Na, ich hoffe, sie hört auf Sie“, bemerkte Mara so leise, dass er es nicht hören konnte. Laut erwiderte sie: „Ich sage ihr Bescheid, dass Sie hier sind. Legen Sie doch inzwischen ab und setzen Sie sich.“

Unter dem teuren Kaschmirmantel trug Jared Perry einen braunen Pullover und eine dunkle Hose, die so perfekt saß, als wäre sie extra für ihn angefertigt worden. Wahrscheinlich war sie das auch.

Celestes Schlafzimmer lag am Ende eines kurzen Flurs. Mara klopfte vorsichtig an die geschlossene Tür.

„Les…“, begann sie und unterbrach sich sofort. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass die Frau, die sie jahrzehntelang als Leslie Vance gekannt hatte, in Wirklichkeit Celeste hieß. Aber da sie jetzt auf ihrem richtigen Namen bestand, hielt sich Mara auch daran. „Celeste“, verbesserte sie sich also. „Dein Enkel Jared ist da.“

„Jared?“ Celeste schien sich über den Besuch genauso zu freuen wie über den ihrer anderen Enkel, die diese Woche schon vorbeigekommen waren. Früher hatte sie ihre Verwandtschaft bloß aus der Ferne beobachtet, jetzt durfte sie endlich mit ihnen sprechen. „Jared ist da?“

„Ja, im Wohnzimmer.“

„Ich komme sofort!“, rief Celeste aufgeregt.

Bevor Mara selbst zurückkehrte, sah sie kurz an sich herunter. Sie trug Jeans und ein schlichtes T-Shirt – also nichts, womit sie Jared beeindrucken konnte, aber daran ließ sich jetzt nichts ändern. Und wozu auch?

Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, stand Celestes Besucher immer noch. Er betrachtete die kleine Küchennische, die durch eine halbhohe Wand vom restlichen Raum abgetrennt war. „Celeste kommt gleich“, informierte Mara ihn, als er sie erwartungsvoll ansah.

Er nickte und musterte nun stattdessen sie. Sein durchdringender Blick brachte sie völlig aus dem Konzept – gerade weil sein Gesichtsausdruck nicht verriet, was er sich dabei dachte. Gefiel sie ihm? Oder hielt er sie womöglich für ein Landei?

„Warum setzen Sie sich nicht?“, forderte sie ihn auf, damit er endlich aufhörte, sie anzustarren.

Jared Perry ignorierte ihre Worte einfach. „Mara Pratt“, bemerkte er nachdenklich.

„Ja, so heiße ich.“

„Ich konnte mich nur noch an Cam und Scott erinnern, aber jetzt fällt mir wieder ein, dass es noch mehr von Ihrer Sorte gibt.“

„Ja, Cam und Scott sind die Ältesten, dann kommen Neily und ich, dann die Drillinge – Boone, Taylor und Jon“, erklärte sie.

Er nickte. „Und Sie sind mit … Celeste … befreundet, verstehe ich das richtig?“

Offenbar wusste er selbst nicht so genau, wie er die Frau nennen sollte, die er bisher bloß oberflächlich als Aushilfe in der Reinigung kennengelernt hatte.

„Seit sie wieder in Northbridge ist, arbeitet sie unten bei uns im Laden. Als meine Mutter noch lebte, war sie ihre beste Freundin. Inzwischen habe ich die Reinigung übernommen, und ich verstehe mich auch sehr gut mit Celeste“, erklärte Mara.

„Dann spielen Sie jetzt also ihren Wachhund?“

„Kann man so sagen. Ich leiste ihr Gesellschaft und kümmere mich ein bisschen um sie. Sie soll das nicht alleine durchmachen müssen.“

Erneut nickte Jared. „Das ist wirklich nett von Ihnen.“

„Wir haben Les… Ich meine Celeste … also, wir haben Ihrer Großmutter sehr viel zu verdanken“, meinte Mara. Sein Lob war ihr unangenehm.

In diesem Augenblick kam Celeste ins Zimmer. Sie trug einen pinkfarbenen flauschigen Bademantel. Das rabenschwarze Haar, das sie sonst zu einem festen Knoten geschlungen hatte, fiel ihr bis zur Taille. Ihre Wangen glühten rosig. „Jared!“, rief sie aus und strahlte.

„Hallo“, erwiderte ihr Enkelsohn etwas steif. Ihm war anzusehen, dass er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte. Genau wie die anderen Perrys, die Celeste in den letzten sechs Tagen besucht hatten – seit ihre wahre Identität enthüllt worden war.

„Ich wollte Celeste gerade einen kleinen Schlummertrunk einschenken“, sagte Mara. „Kann ich Ihnen auch einen Brandy anbieten?“

„Das wäre nett“, erwiderte Jared.

Mara ging in die Küchennische, um die Flasche zu holen. Sie bezweifelte zwar, dass Jared billigem Weinbrand etwas abgewinnen konnte, aber Celeste lebte nun mal in bescheidenen Verhältnissen. Teure Getränke standen bei ihr nicht im Schrank herum.

„Setz dich“, sagte die ältere Frau zu ihrem Enkel und wies auf das Sofa. Mara überreichte jedem ein kleines Glas. Erschöpft ließ sich Celeste mit ihrem ganzen Körpergewicht in den Lehnstuhl sinken. Endlich nahm auch Jared ihr gegenüber auf dem Sofa Platz, auf dem Mara die letzten Nächte geschlafen hatte.

„Bleib doch bei uns, Mara“, forderte Celeste sie auf. Eigentlich hatte sich Mara gerade wieder zurückziehen wollen, damit Großmutter und Enkel für sich sein konnten.

Allerdings schien sich Celeste wohler zu fühlen, wenn sie dabei war, also setzte sie sich auf einen Polsterschemel, der neben dem Lehnstuhl stand.

Sobald sie Platz genommen hatte, richtete Celeste wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Jared, und Mara folgte ihrem Beispiel. Dieser Mann zog automatisch alle Blicke auf sich. Und während Celeste ihm erzählte, wie sie sein Leben und das der anderen Perrys die letzten Jahrzehnte über von ferne verfolgt hatte, nutzte Mara die Gelegenheit, sich den attraktiven Besucher genauer anzuschauen.

Sein braunes, kurz geschnittenes Haar schimmerte rötlich, wo die Sonne es aufgehellt hatte. Mit seiner fein geschnittenen, geraden Nase und den schmalen, trotzdem sinnlichen Lippen wirkte er wie soeben einem Männermodekatalog entstiegen. Aber sein markantes Kinn verriet, dass sich hinter dem ebenmäßigen Äußeren ein eiserner Wille und eine gehörige Portion Durchsetzungsfähigkeit verbargen. Das einzige, was nicht zu dem Erscheinungsbild des eleganten und weltläufigen Geschäftsmannes passte, waren die unrasierten Wangen, die ihm etwas Wildes, Ungezügeltes verliehen.

Bei den Augen verweilte Mara länger: Sie waren so hellblau, dass sie fast schon farblos wirkten. Mara konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er die Frauen reihenweise aus dem Konzept brachte, wenn er sie nur intensiv genug ansah.

„Es gibt übrigens einen ganz bestimmten Grund, warum ich so spät noch vorbeikomme, statt damit bis morgen zu warten“, sagte er mit seiner angenehm tiefen Stimme. Obwohl er gar nicht mit Mara gesprochen hatte, wurde ihr sofort warm.

„Ich möchte dir nämlich raten, dir einen wirklich guten Anwalt zu nehmen“, fuhr er fort.

„Ach, das wird wohl nicht nötig sein“, erwiderte Celeste leichthin.

Sofort schaltete sich Mara ein. „Natürlich ist das nötig“, widersprach sie, glücklich über die Gelegenheit, die ältere Frau doch noch umzustimmen. „Ein Pflichtverteidiger reicht einfach nicht. Du wirst morgen vom FBI befragt, außerdem noch von der Bundespolizei und dem Bezirksstaatsanwalt. Und bisher hat dein Pflichtverteidiger gerade mal zehn Minuten mit dir telefoniert.“

„Das macht nichts, ich habe nämlich nichts Schlimmes getan“, beharrte Celeste – wie schon so oft in den letzten Tagen.

„Stimmt“, wandte Jared ein. „Aber du weißt noch nicht, was man morgen alles gegen dich vorbringt. Es kann durchaus sein, dass einige der Tatsachen verdreht werden. Immerhin geht es um einen Banküberfall … und jetzt, wo sie die Leiche des zweiten Verbrechers gefunden haben, vielleicht sogar um Mord. Das würde ich nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

Offensichtlich war Jared Perry voll im Bilde. Trotzdem schüttelte Celeste energisch den Kopf. „Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter, Jared“, widersprach sie. „Aber ich bin völlig unschuldig.“

„Schön, das kann dann ja deine Anwältin für dich erklären. Ich habe dir auch schon jemanden organisiert“, sagte er und fing an, alle Argumente aufzulisten, die für einen professionellen Rechtsbeistand sprachen. So, wie er es darstellte, steckte Celeste schlimm in der Klemme – ganz unabhängig davon, ob sie schuldig oder unschuldig war. Dabei ließ Jared kein Horrorszenario aus, sodass Mara bei seiner Schilderung mehrmals zusammenzuckte. Und Celeste, die bis eben noch ganz zuversichtlich gewirkt hatte, war inzwischen leichenblass geworden.

Offenbar entging ihm das nicht. „Tut mir leid, wenn ich eben so deutlich geworden bin, aber als ich von meinen Geschwistern gehört habe, dass du dich mit einem Pflichtverteidiger zufrieden geben willst, musste ich einfach etwas unternehmen. Also bin ich hergekommen, um dir zu sagen, worum es hier geht: Du brauchst nämlich einen wirklich guten Anwalt, sonst kann das ganz böse nach hinten losgehen.“

„Er hat recht“, meldete sich Mara zu Wort. „Das habe ich ja auch schon die ganze Zeit versucht, dir zu erklären.“

Celeste leerte das Brandyglas, an dem sie bisher nur genippt hatte, in einem Zug. Dann blickte sie ausdruckslos auf den Boden. „Ich war wohl etwas naiv“, sagte sie leise. „Wenn ihr euch beide so sicher seid …“

„Am besten, ich kümmere mich sofort darum.“ Blitzschnell zog ihr Enkel ein superflaches Mobiltelefon aus der Hosentasche, als hätte er die ganze Zeit auf genau diesen Moment gewartet.

Mara nahm Celestes Hand und drückte sie. „So ist es wirklich am besten“, versicherte sie ihr. Sie war erleichtert, dass endlich jemand die ältere Frau überzeugt hatte. „Es kann nicht schaden, einen richtig guten Verteidiger zu haben.“

„Aber es wirkt bestimmt verdächtig, wenn ich jetzt auf einmal jemanden engagiere. Obwohl ich den Leuten schon gesagt habe, dass es mir egal ist, wer mich verteidigt, weil ich nichts zu verbergen habe“, sprudelte es aus Celeste heraus.

Offenbar hatte Jared Perry aufmerksam zugehört. Bevor Mara seine Großmutter beruhigen konnte, schaltete er sich ein: „Das wirkt überhaupt nicht verdächtig. Für jemanden in deiner Situation ist das völlig normal.“ Dann begann er in sein Handy zu sprechen.

„Stimmt“, bestätigte Mara, holte die Brandyflasche aus der Küchennische und schenkte Celeste nach. Die leerte das Glas in einem Zug.

Nachdem Jared Perry sein Gespräch beendet hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Großmutter zu. Dabei wirkte er allerdings sehr nüchtern und geschäftlich – als ginge es um eine Firmenübernahme.

„Jetzt gibt es nur noch ein Problem“, begann er, „ich hatte schon befürchtet, dass es so kommen würde. Das Verhör findet ja morgen statt, aber Stephanie kann erst am Mittwoch herkommen. Wir müssen versuchen, den Termin zu verschieben …“

„Ich will die Sache aber endlich hinter mich bringen!“ Celeste klang beunruhigt.

Mara konnte sich nur zu gut in sie hineinversetzen. Also schaltete sie sich ein, bevor Jared Perry seine Großmutter und ihre Sorgen einfach übergehen konnte. „Du bist dir im Moment ganz sicher, dass du morgen bloß deine Aussage zu machen brauchst, und schon ist alles vorbei. Aber manchmal läuft es eben nicht so, wie man es gern hätte, und dann ist es am besten, besonders vorsichtig zu sein.“

Celeste sah beunruhigt aus. „Können wir die Vernehmung denn überhaupt verschieben?“, erkundigte sie sich bei ihrem Enkelsohn.

„Ich weiß nicht, ob das geht. Aber wir tun, was wir können, damit es klappt. Und dann überlässt du Stephanie die ganze Sache. Sie ist die Beste auf ihrem Gebiet“, sagte er. Es klang ein bisschen stolz, und Mara fragte sich, ob er diese Stephanie nur wegen ihrer Kompetenz so bewunderte.

„Und was soll das alles kosten?“, fragte Celeste.

„Keinen Cent“, beruhigte Jared sie. „Ich kenne die Frau, sie schuldet mir noch einen Gefallen und schreibt dafür keine Rechnung. Und wenn sonst noch Kosten entstehen, komme ich dafür auf.“

Seine Worte machten Mara noch neugieriger, wie genau die Beziehung zwischen dieser Stephanie und Jared Perry aussah. Doch sie verkniff sich ihre Fragen und blickte Celeste an, die zwar bereitwillig nickte, aber immer noch sehr angespannt aussah.

„Und wann erfahren wir, ob das Verhör verschoben werden kann?“, erkundigte sich die ältere Frau vorsichtig.

„Nicht vor morgen früh. Ich rufe dich an, sobald ich Bescheid weiß.“

Celeste nickte und schluckte. „Ich würde jetzt gern ins Bett gehen, wenn ich darf.“

„Auf jeden Fall“, erwiderte Jared. „Du sollst ja morgen gut ausgeschlafen sein.“

Mara half ihr zum zweiten Mal an diesem Abend aus dem Lehnstuhl. „Ruh dich erst mal aus.“

Celeste nickte. Sie ging zu ihrem Enkel und nahm seine Hand zwischen ihre. „Danke dafür, dass du extra angereist bist. Und dass du mir helfen willst.“

„Ich will dir nicht nur helfen, ich tue es auch, darauf kannst du dich verlassen.“

Nachdem sie Mara und Jared eine gute Nacht gewünscht hatte, verschwand sie und ließ die beiden allein.

Erst als die Schlafzimmertür ins Schloss gefallen war, wandte Mara sich an Jared Perry. Sie seufzte. „Ich hatte auch schon versucht, Celeste zu einem Anwalt zu überreden. Aber es hat nicht geklappt, ich wollte ihr nämlich keine Angst machen.“

Jared hob die Augenbrauen. „Sie finden also, dass ich zu hart zu ihr war.“

„Na ja, ich selbst hätte das nicht übers Herz gebracht, außerdem hätten Sie ruhig etwas vorsichtiger …“

„Tja, ich bin eben jemand, der tut, was getan werden muss“, erwiderte er, während er sich den Mantel überzog. „Auch wenn es unangenehm ist und niemand sonst sich traut. Allerdings erreiche ich damit auch ziemlich viel.“

Die Presse hatte ihn wohl nicht umsonst „den skrupellosen Perry“ getauft. Auf einmal war Mara sich überhaupt nicht mehr sicher, ob das, was er getan hatte, wirklich so gut war. Er hatte die arme Celeste ja völlig eingeschüchtert!

„Es ist doch wirklich besser für Celeste, wenn sie eine Profi-Anwältin an ihrer Seite hat, oder?“, hakte Mara unsicher nach.

„Davon hat sie mehr als von einem überarbeiteten, unterbezahlten und desinteressierten Pflichtverteidiger, das können Sie mir glauben. Sehr viel mehr.“

„Und diese Anwältin, die Sie mit der Sache beauftragt haben … steht die auch hundertprozentig auf Celestes Seite?“

Jared schien sie mit einem Blick aus seinen eisblauen Augen durchbohren zu wollen. „Sie trauen mir wohl nicht über den Weg, was?“

Mara wusste, dass er daran dachte, wie lange sie gebraucht hatte, ihm überhaupt die Tür zu öffnen. „Na ja, ich kenne Sie ja kaum. Und Sie kennen Celeste kaum. Aber ich kann doch davon ausgehen, dass Sie nicht bloß so tun, als wollten Sie ihr helfen, bloß um sie dann zu verletzen. Oder?“

Er verzog die Mundwinkel. „Und warum sollte ich das tun?“

„Anscheinend glauben einige Leute, dass Celeste an dem Banküberfall damals beteiligt war und vielleicht sogar den Komplizen ihres Geliebten auf dem Gewissen hat.“

„Kann sein, aber ich denke das nicht.“

„Vielleicht wollen Sie sich an ihr rächen, weil sie Ihren Großvater damals einfach verlassen hat. Und Ihren Vater auch. Weil sie nicht als Großmutter für Sie da war, als Sie noch klein waren.“

Jetzt lächelte Jared breit. „Eigentlich habe ich immer geglaubt, dass meine Großmutter und ich seelenverwandt sein müssten“, sagte er. „Und ich habe überhaupt kein Bedürfnis, mich an ihr zu rächen. Ich bin wirklich bloß hier, weil ich ihr helfen will.“

Das konnte natürlich jeder behaupten, nachprüfen konnte Mara es nicht. Immerhin hatte Jared Perry das erreicht, was sie selbst die ganze Zeit vergeblich versucht hatte: Er hatte Celeste dazu gebracht, sich eine kompetente Anwältin zu nehmen. Jetzt konnte Mara nur noch hoffen, dass alles gut ausging.

Sie hob den Kopf, um dem großen und überwältigend selbstsicheren Mann ins Gesicht zu sehen. „Wenn Sie mich anlügen und auch nur irgendetwas tun, das Celeste schaden könnte …“

Diese Drohung fand Jared offenbar besonders amüsant. Seine Augen funkelten, und unter ganz anderen Umständen hätte Mara die Lachfältchen in seinem Gesicht ungemein sexy gefunden.

„Ja, was passiert dann?“, hakte er nach.

Dummerweise hatte Mara sich vorher nicht überlegt, womit sie ihn einschüchtern könnte. „Ich möchte Ihnen bloß raten, mich nicht anzulügen“, sagte sie einfach.

„Ich an Ihrer Stelle würde aufpassen, mit wem ich mich anlege.“

„Passen Sie lieber selbst auf, sonst werden Sie sich noch umgucken.“ Die Worte waren Mara einfach so rausgerutscht, und sie war überrascht, wie bestimmt ihre Stimme dabei geklungen hatte.

Eine ganze Weile lang sahen sie sich fest in die Augen.

Autor

Victoria Pade

Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...

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