Süß duftet der Tod

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Wer hat den Börsenmakler Peter Winfield mit einer Essenz aus Maiglöckchen vergiftet? Bei der Untersuchung des ungewöhnlichen Mordfalls wird Detective Nash Couviyon von seiner Vergangenheit eingeholt. Die Frau des Toten ist seine frühere Geliebte Lisa. Vor vier Jahren hatten die beiden sich getrennt, weil sie ihn unbedingt heiraten, Nash sich aber noch nicht dauerhaft binden wollte. Vergessen konnte er die rassige Rothaarige trotzdem nie. Seine Gefühle für sie sind noch genauso heftig wie damals. Doch Lisa ist dringend tatverdächtig…


  • Erscheinungstag 08.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754006
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Indigo, South Carolina

Der Tod verbreitete den Geruch von Lavendel.

Die heiße, feuchte Luft, die aus dem Badezimmer drang, lag wie ein schwerer Schleier auf ihm. Sie hinderte ihn, etwas anderes wahrzunehmen als die Magenkrämpfe und die abwechselnd heißen und kalten Schauder, die über seinen schweißbedeckten Körper liefen, und seinen allmählich langsamer werdenden Herzschlag.

Seine Gedanken überschlugen sich und verschwammen, bis er nicht mehr zwischen Wunschdenken und Erinnerung, zwischen Fantasie und Realität unterscheiden konnte. Das Freizeichen, das aus dem vom Telefon gerutschten Hörer ertönte, klang wie das Summen einer hartnäckigen Fliege. War es Tag oder Nacht? Er sah nichts weiter als ein paar Lichtstreifen inmitten von Schatten.

Er lag – von einem Handtuch kaum verhüllt – auf dem Bett und fühlte, wie sich sein schwerer, regloser Körper in die kostbare weiche Tagesdecke drückte. Hilflos zu sein hasste er genauso wie jede Art von Unordnung oder die Erniedrigung durch eine Krankheit, durch die er auf andere angewiesen war. Zorn regte sich, den er zu nutzen versuchte, um gegen die schwindenden Kräfte anzukämpfen. Wie lange hatte er dieses Gefühl der Starre schon gespürt? Zuerst war er noch der Ansicht gewesen, er habe sich eine Grippe geholt. Doch dafür ging alles zu schnell – dieses Brennen unter der Haut, der stechende, immer heftiger werdende Kopfschmerz. Träge bewegte er seine Augen hin und her, doch es fühlte sich an, als wären Sandkörner unter seine Lider geraten. Um ihn herum schien sich das Zimmer zu drehen, die Möbel wirkten grotesk verzerrt, als wären sie einem Zeichentrickfilm entsprungen.

Sein Herz schlug beständig langsamer, als würde es den Rhythmus für ein Trauerlied vorgeben, das sein Ende einleitete.

Wieder versuchte er, nach dem Hörer zu greifen, um Hilfe zu rufen. Doch seine Finger zuckten nur einmal kurz, weiter geschah nichts. Bedauern kam in ihm auf, als vor seinem geistigen Auge das Gesicht dieser Frau auftauchte, seiner Frau. Sie war seine Frau, und daran würde sich niemals etwas ändern.

Er verabscheute es, so jämmerlich schwach zu sein. Sein Herz schlug wieder ein wenig langsamer, und er konnte nicht mehr richtig durchatmen. Speichel lief aus seinem Mundwinkel über das Kinn. Als er ein Geräusch hörte, blinzelte er und versuchte, sich zu konzentrieren. Doch er besaß nicht einmal mehr genug Kraft, um seinen Kopf zu drehen. Diese Unfähigkeit, keine Kontrolle über seinen Körper zu haben, war einfach nur demütigend.

Lieber wäre ihm eine Kugel genau zwischen die Augen gewesen, ganz gleich, wie blutig das war. Aber nein, man würde ihn so vorfinden: nass und nur notdürftig in ein Handtuch gewickelt.

Aus den Augenwinkeln nahm er plötzlich einen Schatten wahr, dessen Umrisse sich im schwachen Licht abzeichneten.

Jemand ist gekommen, um mir zu helfen! Gott sei Dank! dachte er mit schwindendem Bewusstsein.

Er schämte sich für sein Jammern, doch seine Verzweiflung war stärker. Dann beugte sich eine Gestalt vor. Wut und Unverständnis erfassten ihn, als er die Augen etwas weiter aufmachte. Er wollte etwas sagen, aber ein ersticktes Röcheln war alles, was über seine Lippen kam.

Warum?

Sein Mörder lächelte und sah ihm zu, wie er starb.

1. KAPITEL

Die schwüle Hitze, die im September für Indigo typisch war, hatte die Stadt von früh morgens bis lange nach Sonnenuntergang fest in ihrem Griff. Während die Einheimischen daran gewöhnt waren, klagten Touristen und Besucher oft darüber.

Dass Detective Nash Couviyon so früh am Morgen einen rätselhaften Todesfall untersuchen sollte, war für die bezaubernde, fast dreihundert Jahre alte Stadt an sich bereits unerfreulich. Doch noch unerfreulicher war, dass sich dieser Todesfall im Baylor Inn zugetragen hatte, der Perle der Südstaatengastlichkeit in Indigo, die mitten in der historischen Altstadt gelegen war. Nash konnte sich schon jetzt gut vorstellen, wie sehr sich der Bürgermeister darüber aufregen würde, dass ausgerechnet hier etwas passieren musste, das die Touristen nur unnötig in Angst und Schrecken versetzte.

Als Nash in der Suite eintraf, hatten Beamte bereits die Etage abgesperrt und Fotos vom Tatort gemacht. Leider gab es keine Zeugen für das Verbrechen, der Tote war am Morgen vom Hauspersonal in seinem abgeschlossenen Zimmer gefunden worden.

Nash nahm einen Schluck Kaffee aus einem Pappbecher, schlenderte durch den Raum und betrachtete die antiken Kommoden, die auf gut und gerne zweihundert Jahre Geschichte zurückblicken konnten. Die weiche Tagesdecke auf dem Bett erinnerte ihn daran, wie wenig Schlaf er in der vergangenen Nacht bekommen hatte.

Zunächst ignorierte Nash die Leiche auf dem Bett und widmete sich den unauffälligeren Details: dem geleerten Cocktailglas und dem verschlossenen Aktenkoffer, der ordentlich unter dem Schreibtisch abgestellt war. Anzeichen für einen Kampf waren nicht zu entdecken. Sofa und Sessel waren zum offenen Kamin hin ausgerichtet, und das einzige Möbelstück, bei dem es sich nicht um eine Antiquität handelte, war ein Schrank, in dem ein Fernseher und ein Videorekorder untergebracht waren. In der Luft hing ein Unwohlsein erregende Mischung aus dem Geruch des Todes und einem süßlichen Blütenduft. Auf einer niedrigen Kommode standen ein kleiner Präsentkorb mit verschiedenen Teebeuteln, ein Silbertablett mit aromatisierten Kaffeesorten sowie ein Kaffeebecher. Am Korb war ein kleines Messingschild mit dem Schriftzug „Enchanted Garden“ befestigt. So hieß auch die Gärtnerei, bei der sein Bruder Temple, der Landschaftsgärtner war, einkaufte. Er ging den Inhalt des Körbchens durch, dann machte er einem Polizeibeamten ein Zeichen, es als Beweisstück sicherzustellen.

Ein Blick in den Kleiderschrank verriet ihm, dass das Opfer ein Ordnungsfanatiker gewesen sein musste. Jedes Paar Schuhe stand akkurat zwei Fingerbreit auseinander, die Socken waren penibel nach Farben sortiert.

Die Reste des Essens, das er sich am Abend zuvor aufs Zimmer bestellt hatte, ließen zudem erkennen, dass er wohl auch ein Gesundheitsfanatiker gewesen war.

Ehe er sich dem Toten widmete, begab sich Nash zunächst ins Badezimmer, das er schnell mit geübtem Blick inspizierte. Der Mann hatte vor seinem Tod noch ein Bad genommen. Die Art, wie er den Rasierer und andere Toilettenartikel auf die Ablage gelegt hatte, sprach ebenfalls für einen extremen Ordnungssinn. Auf dem Wannenrand waren mehrere Kerzen abgebrannt, von denen nur die schwarzen Dochte und das Wachs übrig geblieben waren, das hier und da in die Wanne gelaufen war. Diese Unordnung stand im krassen Gegensatz zu dem übrigen Erscheinungsbild der Suite.

Er beugte sich vor, um etwas aus dem Wasser zu fischen, das nach einem großen Teebeutel aussah und an den Armaturen befestigt war. Nachdem er den Beutel losgebunden und daran gerochen hatte, war ihm klar, woher der Blütenduft im Zimmer stammte. Er steckte das Beweisstück in einen kleinen Plastikbeutel und gab ihn einem Polizisten, bevor er in die Suite zurückkehrte. Am Fuß des Betts blieb er stehen und betrachtete das Opfer.

Es handelte sich um einen männlichen Weißen, etwa fünfunddreißig Jahre alt, der bis auf ein um die Hüften gewickeltes Handtuch und einen um den Hals geschlungenen Schal nackt war. Der Mann machte einen muskulösen Eindruck, seine Frisur war modisch und seine makellosen Fingernägel sahen manikürt aus.

Ein Polizeibeamter reichte Nash im Vorbeigehen die Brieftasche des Opfers. Nur beiläufig sah er die Papiere durch, da seine Aufmerksamkeit in erster Linie dem Gerichtsmediziner Quinn Kilpatrick galt, der neben dem Bett stand und den Toten untersuchte.

„Was kannst du mir sagen?“

„Das ist typisch für euch Bullen! Ihr seid immer so ungeduldig“, erwiderte Quinn und schob durchsichtige Plastikbeutel über die Hände des Opfers.

„Während wir hier plaudern, wird draußen weiter lustig gemordet und geplündert. Wir müssen den Leuten schließlich zeigen, dass wir alles im Griff haben.“

Quinn verzog den Mund, sah aber nicht zu Nash auf, sondern hob den Arm des Mannes an, um einen Blick auf die Unterseite zu werfen. „Er ist mindestens seit neun Stunden tot.“

„Was ist mit dem Schal?“

Der Gerichtsmediziner zog den blassgrünen, dünnen Schal vom Hals des Opfers. „Es gibt ein paar Würgemale, aber die sind nicht dunkel genug, um zu beweisen, das der Mann auf diese Weise getötet wurde. Vielleicht wurde der Schal nach dem Tod umgelegt. Mehr weiß ich nach der Laboruntersuchung.“ Quinn richtete sich nachdenklich auf. „Siehst du diese Hautreaktion da?“

„Vielleicht hat es mit seinem Badezusatz zu tun.“ Der Blütenduft hing nach wie vor im Raum.

Quinn wollte den Schal in eine Plastiktüte stecken, als er stutzte, an dem Stoff roch und Nash dann ebenfalls daran riechen ließ.

„Der Duft kommt mir bekannt vor.“ Natürlich! Er wusste, woher er das Parfüm kannte. Lisa hatte es immer benutzt.

Lisa Bracket … das kann nicht möglich sein! Lisa Bracket-Winfield. Sein Blick fiel auf den Ausweis des Toten.

Peter David Winfield. Lisas Ehemann. Der Mann, den sie an seiner Stelle geheiratet hatte. Nein, stimmt nicht, korrigierte er sich. Nash hatte ihr nie einen Heiratsantrag gemacht und ihr auch nie gesagt, dass er sie liebte. Auf seine Erklärung hin, er wolle keine feste Beziehung, hatte sie mit ihm Schluss gemacht. Wenig später war sie bereits mit Winfield zusammen, und Nash hatte sich wie ein Trottel benommen, indem er sie völlig aus seinem Leben verbannte, so wie ein arroganter High-School-Aufschneider, der einen Tag vor dem Abschlussball einen Korb bekommen hatte. Sechs Monate später war sie bereits verheiratet. Von Temple wusste er, dass sie seit einer Weile wieder in der Stadt war, allerdings allein. Warum war sie nicht hier bei Winfield?

Er durchsuchte die Brieftasche und fand ein Foto von Lisa. Der Anblick war wie ein Schlag in die Magengrube.

Lisa im Hochzeitskleid.

Einen Moment lang schloss er die Augen und erinnerte sich an ihr Gesicht, daran, wie es sich anfühlte, wenn sie sich an ihn drückte, an ihren unwiderstehlichen Blick und an ihren letzten Kuss vor vier Jahren. Abrupt wurde er in seinen Erinnerungen unterbrochen, als plötzlich jemand seinen Namen rief.

„Detective Couviyon, da ist eine Frau, die mit Ihnen sprechen möchte.“

„Sie soll warten.“

„Sie sollten besser mit ihr reden, Sir“, entgegnete der Polizeibeamte und sah zu dem Toten. „Sie ist die Frau des Opfers.“

Nashs Miene verhärtete sich. Er ging hinaus in den Korridor und erblickte Lisa, die hinter dem Absperrband stand und von einem Polizisten am Passieren gehindert wurde.

„Nash!“, rief sie aus, als sie ihn erkannte.

Der Anblick ihres Fotos war schon ein Schlag gewesen, doch sie nun lebendig vor sich zu sehen, war noch schmerzhafter. Sein Herz begann zu rasen, und er verspürte den Wunsch, sie zu berühren. Die vergangenen vier Jahre hatten diese gertenschlanke Frau mit den grünen Augen und den roten Haaren nur noch schöner werden lassen – diese Frau, die mit einem anderen verheiratet war.

Nein, genau genommen war sie jetzt verwitwet.

In der Suite hoben die Sanitäter soeben den Toten in einen Leichensack und zogen den Reißverschluss zu. Nash schloss die Tür hinter sich und gab dem Polizeibeamten ein Zeichen, Lisa durchzulassen.

Als sie bei ihm war, führte er sie von der Suite fort in einen anderen Raum, in dem mögliche Zeugen befragt werden sollten. Bevor er hineinging, ließ er einen Polizisten kommen, der vor der Tür Wache halten sollte.

Lisa reagierte irritiert auf die Art, wie Nash sich verhielt. Sie hatte ihm eine Ewigkeit nicht mehr gegenübergestanden. Im Vergleich zu New York war Indigo zwar klein, doch wenn man am Stadtrand von Charleston lebte, war es leicht, sich aus dem Weg zu gehen und Situationen wie diese hier zu vermeiden.

Sekundenlang sahen sie sich nur an, dann sagte Nash: „Hallo, Lisa.“

Sie fühlte, wie sich ihr Magen verkrampfte, als sie seine tiefe Stimme hörte. Mein Gott, wie gut er doch aussah. „Hey, Nash. Wie ist es dir so ergangen?“

Miserabel, dachte er, erwiderte aber leichthin: „Ganz gut. Lange nicht mehr gesehen.“

Seine Worte klangen wie eine Entschuldigung. Lisa zuckte mit den Schultern, obwohl ihr Herz Freudensprünge vollführen wollte. „So etwa vier Jahre, nicht wahr?“

Nash ließ seinen Blick von Kopf bis Fuß über sie wandern. Sie sah großartig aus. Ihr rotes Top ließ ihre gebräunten Arme frei, der kurze Baumwollrock betonte ihre langen Beine. „Du hattest doch gesagt, du wolltest nie wieder nach Indigo zurückkehren.“

Warum muss er jetzt damit anfangen? fragte sie sich. „Tja, die Dinge verändern sich halt. Ich bin hier geboren, und ich bin hier zu Hause. Außerdem hast du mich damals zu dieser Aussage provoziert“, erklärte sie, als sie an ihren letzten Streit zurückdachte. „Ich war wütend.“

„Ich habe dich überhaupt nicht provoziert. Verdammt, du wolltest doch, dass unsere Beziehung …“

Er hielt abrupt inne, und Lisa sah, wie er sich innerlich abschottete. Typisch Nash, dachte sie.

Er seufzte. „Na, das war jetzt wirklich kein reifes Benehmen“, meinte er kleinlaut.

Du hast recht, stimmte sie ihm stumm zu, auch von mir nicht.

Reserviert zeigte er auf zwei Stühle an einem Tisch. Während sie Platz nahm, schenkte er ihr Kaffee ein, in den er etwas Milch goss. Diese Geste versetzte sie in eine Zeit, die lange zurücklag und die sie vergessen wollte.

„Was ist hier los, Nash?“

Seine Miene verriet nichts. Für Nash Couviyon war das nicht ungewöhnlich. Von seinem jüngeren Bruder Temple abgesehen war es in seiner Familie nicht üblich, Gefühle zu zeigen. Sie betrachtete ihn genau und bemerkte, dass er sein dunkles Haar kürzer trug als damals, sich sonst aber kaum verändert hatte. Er setzte sich ebenfalls, und sie sah, wie sich der Stoff seines Jacketts über den breiten Schultern spannte, als er die Hände vor sich auf dem Tisch verschränkte. Es fiel ihr schwer, von seiner beeindruckenden Statur keine Notiz zu nehmen, die ihn – zusammen mit seinem markant geschnittenen Gesicht – angriffsbereit, unbezwingbar und unerschütterlich wirken ließ. Seine blauen Augen, bei deren Anblick sie früher dahingeschmolzen war, ließen jetzt keine Spur von Sanftheit erkennen. Sie wirkten eiskalt, und sie durchbohrten sie förmlich.

Lisa hielt seinem Blick stand und versuchte, nichts für diesen Mann zu empfinden. Doch sie wusste nur zu gut, dass dies unmöglich war.

„Meine Angestellte Kate hat mich unterwegs angerufen“, sagte sie, „und mir mitgeteilt, die Polizei wolle mich sprechen. Ich habe keine Ahnung, was los ist. Würdest du mich aufklären?“

Nash hasste diesen Augenblick. Hoffentlich war sie in den letzten zwölf Stunden nicht mit ihrem Ehemann zusammen gewesen. „Dein Mann ist tot.“

„Das ist unmöglich“, gab sie ungläubig zurück.

„Es tut mir leid, aber es ist so. Er befindet sich im Zimmer nebenan, wo er vom Gerichtsmediziner untersucht wird.“

„Gestern Abend ging es ihm doch noch gut.“

„Du hast ihn also gestern noch gesehen?“

Sie reagierte nicht auf seinen forschenden Blick. „Ich war mit ihm verheiratet, Nash. Glaubst du, wir hätten uns nicht wenigstens getroffen, wenn er in der Stadt war?“

„Aber … ihr habt nicht in derselben Stadt gelebt, richtig?“

„Richtig. Weil wir getrennt lebten. Seit heute Morgen sind wir rechtskräftig geschieden.“

Nash runzelte die Stirn. Darauf war er nicht gefasst gewesen.

„Was glaubst du, wer ihn umgebracht hat?“, fragte sie.

„Wie kommst du auf diese Idee?“

„Ich habe deine Marke gesehen, Nash. Als Detective befasst du dich nicht mit normalen Todesfällen.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Und Peter war Börsenmakler. Er hat sich täglich neue Feinde gemacht.“

„Ich kümmere mich um alle Todesfälle, die rätselhaft sind. Warst du auch sein Feind?“

„Nein, natürlich nicht. Peter hat mich angehimmelt.“ So sehr, dass seine Bewunderung für sie schließlich eine hässliche Wendung genommen hatte. „Aber in den letzten zweieinhalb Jahren haben wir getrennt gelebt.“

War ihre Ehe tatsächlich schon ein Jahr nach der Hochzeit gescheitert? „Man muss nicht so lange Zeit getrennt leben, wenn man die Scheidung einreichen will. Warum ist es erst jetzt geschehen und nicht früher?“

Durch sein Erstaunen fühlte sie sich noch unbehaglicher. Es fiel ihr schwer zuzugeben, dass ihre Ehe bereits so früh in die Brüche gegangen war. „Ich konnte mir bis vor kurzem eine Scheidung nicht leisten, und er wollte sich nicht von mir scheiden lassen. Noch gestern Abend … o Gott!“

Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, was geschehen war. Nash sah, wie ihr Gesicht zu einer Maske erstarrte und ihre Unterlippe zitterte. Sie blickte auf die Kaffeetasse, doch als sie sie zum Mund führen wollte, hatte sie ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle, so dass sie den Becher zurück auf den Tisch stellen musste.

Tränen liefen ihr über die Wangen.

Zu gern hätte Nash sie in die Arme genommen und getröstet, doch erstens war er im Dienst, und zweitens schien er nicht mehr zu den Menschen zu zählen, für die Lisa besonders viel übrig hatte. Also blieb er auf Distanz. Außerdem war sie bis auf weiteres eine Hauptverdächtige in diesem Mordfall. Auch wenn sie sich zweifellos nicht von ihm trösten lassen wollte, brach es ihm fast das Herz, sie so am Boden zerstört zu sehen.

Schließlich stand er auf, holte ein Taschentuch und reichte es ihr hinüber. Als sie es nahm, bedankte sie sich mit leiser Stimme. Er wartete ein paar Minuten, bis sie sich wieder gefasst hatte.

„Ich muss dir noch ein paar Fragen stellen“, sagte er, froh darüber, sich nicht länger so überflüssig vorzukommen. Er stellte ein Diktiergerät auf den Tisch und drückte die Aufnahmetaste. Er nannte ihren Namen, Familienstand, Alter und die Uhrzeit. Lisa hörte nicht, was er noch alles auf Band sprach, weil sie viel zu perplex über sein Verhalten war. War sie in seinen Augen verdächtig? Oder wollte er von ihr nur etwas über Peter wissen?

„Wann hast du Peter Winfield zuletzt gesehen?“

Ihr Blick ruhte einen Moment lang auf dem Diktiergerät. „Gestern Abend zwischen halb neun und neun. Er rief mich an und bat mich, ins Hotel zu kommen.“

„Warum wollte er dich sehen?“

„Ich sollte ihm noch eine letzte Chance geben. Er wollte mich überreden, bei ihm zu bleiben.“

„Dich ‚überreden‘?“

Typisch Bulle, dachte sie. In jeden Satz wird etwas hineininterpretiert. „Na ja, überreden ist vielleicht nicht ganz passend. Überzeugen wäre wohl treffender.“ Drohen wäre das richtige Wort, fügte sie im Stillen hinzu.

„Warum wolltest du dich scheiden lassen?“

„Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten, wie man so schön sagt“, erwiderte sie und starrte in ihren Kaffee.

„Das nehme ich dir nicht ab.“

Sie sah auf. „Das ist eine rein persönliche Angelegenheit.“ Sie würde keinem Menschen etwas davon erzählen, auch nicht Nash.

„Aber du hattest doch mit ihm so schnell die Stadt verlassen.“

Das ist doch Schnee von gestern, dachte sie. „Erst vier Monate nachdem wir beide uns getrennt hatten, habe ich die Stadt verlassen, Nash. Du hattest mich bereits aus deinem Leben verbannt. Warum interessiert dich das jetzt auf einmal?“

Er kniff den Mund zusammen, um nicht zu sagen, was ihm auf der Zunge lag. „Wir waren ein Jahr lang zusammen, und du hast mir nie einen vernünftigen Grund genannt, warum du mich verlassen hast.“

Sie war jetzt nicht in der Stimmung, diese alten Geschichten aufzuwärmen. „Ach, es gab mehrere Gründe, die du niemals verstehen wirst. Ich brauchte jemanden, der mir geben konnte, was ich wollte.“ Jemanden, der meine Liebe erwidert, dachte sie. Jemanden, der den Rest seines Lebens mit mir verbringen wollte, weil ich mich nach einer festen Beziehung sehnte.

„Und? Hast du alles bekommen, was du brauchtest?“

Zum Teufel mit ihm! Er wusste, dass es nicht so war. Ihre Ehe war gescheitert, das sollte Nash ruhig wissen, doch alles andere ging ihn überhaupt nichts an. Und was fiel ihm überhaupt ein, sie nach Dingen zu fragen, die ihn vor vier Jahren nicht interessiert hatten? Hätte er damals diese Fragen gestellt, dann wüsste er heute von ihrem gemeinsamen Kind. „Muss ich tatsächlich über vergangene Gefühle und Beweggründe Auskunft geben, Detective?“

Nash kam sich vor, als hätte man ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen. Aber Lisa hatte recht: Er musste sich auf seinen Job konzentrieren, und dazu gehörte eindeutig nicht, über ihre gemeinsame Vergangenheit zu diskutieren.

„Bist du letzte Nacht mit dem Auto gekommen?“, fragte er.

„Nein. Es wurde gerade erst dunkel, und es war eine sternenklare Nacht. Ich bin zu Fuß gegangen.“

„Hat dich jemand gesehen?“

„Bestimmt. Ich kann dir nur nicht sagen, ob es jemand war, den ich kenne. Als ich hier ankam, war das Restaurant voll, und das Personal kümmerte sich um die Gäste. Ich bin nach oben gegangen und habe angeklopft.“

„Was trug Winfield, als du bei ihm warst?“

„Was soll das denn heißen?“

„Beantworte bitte einfach nur die Frage.“

Angesichts seiner kühlen und distanzierten Art, die nichts davon verriet, dass sie früher einmal das Bett geteilt und großartigen Sex gehabt hatten, begann sie sich zu fragen, ob sie sich nicht besser einen Anwalt nehmen sollte. Aber sie hatte nichts Unrechtes getan. „Er trug eine khakifarbene Designerhose, dazu passende Socken, ein olivgrünes, kurzärmeliges Hemd, maßgefertigte braune Schuhe und einen Gürtel in derselben Farbe.“ Nach guter Kleidung war Peter förmlich süchtig gewesen.

Nash notierte ihre Beschreibung. Als er kurz aufblickte und sie mit einem Gesichtsausdruck ansah, der ihr wohlvertraut war, erkannte Lisa den Mann wieder, den sie früher so geliebt hatte. Dann aber verschloss sich seine Miene.

„Wusste irgendjemand davon, dass du herkommst?“

„Könnte sein, dass ich es meinen Angestellten gegenüber erwähnt habe.“ Sie wischte sich die Augen und warf das benutzte Tuch in einen Papierkorb.

„Mit denen werde ich mich auch unterhalten müssen.“

Sie hätte gern den Grund gewusst, doch sie wollte nicht weiter diskutieren. „Dies ist ein freies Land. Sie sind schließlich erwachsen und keine Kinder mehr. Ich werde dir ihre Privatnummern geben“, sagte sie stattdessen, während sie eine Visitenkarte aus der Tasche zog, auf deren Rückseite sie die Nummern notierte. Als sie sie ihm gab, steckte er die Karte ein, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. „Kate kümmert sich im Moment um die Kunden. Chris kommt erst nach seinem letzten Kurs ins Geschäft. Er studiert hier an der Universität.“

Nash machte sich Notizen, und sie sah, dass er Steno schrieb. Vor diesem Kurs hatte sie sich seinerzeit gedrückt.

„Und was hast du getragen, als du deinen Mann besucht hast?“

„Einen pastellgrünen Rock, dazu ein Top, passende Sandalen und eine Handtasche.“

Er hob auffordernd eine Braue.

„Ja, und dazu passenden Schmuck. Willst du ihn sehen?“

„Ich werde ihn sicherstellen müssen.“

„Was?“ Sie riss ungläubig die Augen auf. „Du glaubst wirklich, ich hätte etwas mit Peters Tod zu tun?“

Nash ging nicht weiter auf sie ein und schrieb weiter.

„Nash Couviyon!“

Langsam sah er auf. „Noch glaube ich gar nichts. Aber wir müssen deine Sachen mit den Ergebnissen der Spurensuche vergleichen.“

„Dann bist du also davon überzeugt, dass er ermordet wurde?“

Nash wollte sich noch nicht festlegen. „Der Tod eines gesunden Menschen weckt immer Misstrauen.“

„Oh, meine Güte!“, rief sie keuchend. „Glaubst du allen Ernstes, ich hätte damit irgendetwas zu tun?“

Dass er ihr zutraute, einen Mord zu begehen, machte jedes Gefühl für ihn und jedes Vertrauen zunichte. Mit einem Mal kam die Raubkatze in ihr zum Vorschein, die er einst so geliebt hatte.

„Diese Unterhaltung ist beendet“, erklärte sie kalt.

„Lisa, ich muss einfach alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen“, versuchte er sie zu beschwichtigen.

Sie kniff ihre grünen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Mach das ruhig, aber ohne mich“, zischte sie und stand auf.

„Setz dich hin!“, herrschte er sie sofort an.

Langsam, aber widerwillig ließ sich Lisa wieder auf ihrem Platz nieder.

„Wir können hier reden oder auf dem Revier, Lisa. Du kannst es dir aussuchen.“

„Also gut“, lenkte sie ein und verschränkte die Arme. „Was willst du wissen?“

„Hast du irgendetwas außer deiner Handtasche mit ins Zimmer genommen?“

„Nein, aber ich hatte einen Schal dabei.“

Nash versteifte sich innerlich, als er ihre Antwort hörte. „Kannst du mir diesen Schal beschreiben?“

„Er ist hellgrün, und ich habe ihn von meiner Großmutter geerbt. Seinetwegen bin ich auch heute Morgen so schnell hier gewesen. Ich war bereits auf dem Weg, um ihn zu holen, als Kate mich anrief.“

„Warum hast du ihn hier gelassen?“

„Das habe ich nicht. Ich hatte meine Haare zum Pferdeschwanz gebunden und den Seidenschal um das Gummiband gewickelt, damit man es nicht sehen konnte. Der Knoten muss sich gelöst haben, denn der Stoff ist sehr glatt.“

Nash hielt ihre Angaben auf seinem Block fest, als plötzlich ihre Visitenkarte zwischen den Seiten herausfiel, auf der sie die Telefonnummern von Kate und Chris notiert hatte. Er nahm sie und betrachtete sie genauer.

Lisa hatte das Gefühl, eine Spur von Entsetzen in seinen Augen aufblitzen zu sehen.

„‘Enchanted Garden‘? Ist das dein Geschäft?“

„Ja. Wusstest du das nicht?“

Nash schüttelte den Kopf.

„Ich habe das Geschäft vor ungefähr zehn Monaten eröffnet. Es befindet sich auf dem Grundstück, auf dem mein Haus steht, und es läuft wirklich gut.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Merkwürdig. Dein Bruder Temple kauft doch verschiedene Pflanzen für seinen Gartenbaubetrieb bei mir. Ich dachte, du wüsstest das.“

„Ich wusste, dass er dort kauft. Dich aber hat er nie erwähnt.“

„Vielleicht hat er gedacht, dass er dir gegenüber Hochverrat begeht, wenn er mein Geschäft unterstützt. Ich weiß doch, wie ihr Couviyon-Brüder zusammenhaltet.“

„Wenn das so ist, dann hat Temple aber offenbar seine eigenen Spielregeln.“

„Ich weiß, er flirtet ohne Ende“, versuchte sie die Situation zu entkrampfen.

Doch Nash ging nicht darauf ein, warf die Karte auf den Tisch und ging zur Tür, um mit dem Polizeibeamten zu sprechen, der sich daraufhin entfernte. Nash blieb stehen und wartete. Einmal sah er kurz in ihre Richtung. Nein, es ist unmöglich, dass sie das getan hat, dachte er.

„Ich wusste, dass du hier bist, Lisa.“ Er vermied es, sie anzusehen.

„Warum bist du dann nie vorbeigekommen, um mal Hallo zu sagen, Nash?“

„Ich wollte die Vergangenheit ruhen lassen.“ Es hatte mir damals zu wehgetan, dachte er, doch plötzlich wurde ihm klar, dass es noch immer schmerzte.

„Wäre es so schlimm gewesen, mal reinzuschauen und zu fragen: ‚Hallo, wie geht es deiner Mutter?‘“

„Ja, das wäre es gewesen.“

Lisa kniff die Lippen zusammen. Na, das macht ja so einiges klar, dachte sie.

„Warum hast du mich nicht besucht?“, fragte er.

„Ich war verheiratet.“

Nash fragte sich, ob sie wohl wieder zusammengefunden hätten, wenn sie Single gewesen wäre. Im gleichen Moment fiel ihm ein, dass sie diejenige gewesen war, die die Beziehung beendet hatte. Sie wollte ein trautes Heim, ein Haus voller Kinder, und genau das konnte er ihr nicht bieten. Kurz zuvor waren Nash und ein Kollege in eine Schießerei geraten, bei der er verletzt wurde und sein Partner ums Leben gekommen war. Er hatte gesehen, wie schwer dieser Verlust auf dessen Frau gewirkt hatte. Das hätte er Lisa niemals antun wollen.

Der Polizeibeamte kehrte zurück und reichte ihm zwei Papiertüten. Nash ging zum Tisch und stellte sie auf den Boden, dann holte er aus einer Tüte einen Plastikbeutel.

„Ist das dein Schal?“

„Ja.“ Sie streckte ihre Hand aus.

Er zog den Beutel zurück. „Das geht nicht, es ist ein Beweisstück.“

„Ein Beweisstück? Was soll das heißen? Der Schal gehört mir.“

„Er war um Winfields Hals gewickelt, Lisa.“

Sie riss entsetzt die Augen auf und sank auf ihrem Stuhl zusammen.

„Würdest du mir jetzt erzählen, worüber ihr euch gestern unterhalten habt?“

„Nein. Es war eine rein persönliche Angelegenheit, wie ich schon sagte.“

Nash wollte für den Moment nicht weiter nachbohren. „Warst du wütend, als du gegangen bist?“

„Nein, ich war einfach nur müde, Detective.“

Nash spürte, wie sie zwischen ihnen eine Barriere errichtete. Er legte den Plastikbeutel zurück in die Tüte. „Stellst du auch Tees her?“

Verwundert blinzelte sie ihn an. „Ja, die Kräuter wachsen bei diesem Wetter so schnell, dass ich sie zurückschneiden muss. Es wäre reine Vergeudung, die abgeschnittenen Blätter einfach wegzuwerfen.“

„Verkaufst du diese Tees auch in deinem Geschäft?“

„Ich habe sie nicht fest im Angebot. Einige Ableger koche ich auf, die anderen setze ich für neue Pflanzen ein. Gelegentlich stelle ich Körbe mit Badezusätzen, aromatisierten Badesalzen und verschiedenen Tees zusammen, die ich mit frischen Pflanzen dekoriere. Aber das ist alles sehr zeitaufwendig, darum mache ich das nur auf Bestellung. Außerdem sind sie handgefertigt und viel zu teuer, um einen Gewinn damit zu erzielen. Ganz zu schweigen vom Lagerraum, den sie in Anspruch nehmen würden.“ Lisa sah auf seinen Block, auf dem er eifrig Notizen machte. „Und nicht zu vergessen: Die hohe Luftfeuchtigkeit würde sie nach einer Weile verrotten lassen. Ich führe eine Gärtnerei, kein Geschäft für Tees und Badezusätze.“

„Hast du einen von diesen Körben ins Hotel mitgebracht oder hierher liefern lassen?“

„Nein.“ Peter hätte jedes Geschenk als ein Friedensangebot angesehen. Allein ihre Gegenwart hatte genügt, um ihn glauben zu lassen, sie würde sich doch nicht von ihm scheiden lassen wollen, obwohl sie die Papiere schon vor Wochen unterzeichnet hatte. Es war nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis ihre Scheidung rechtskräftig wurde. Aber so wie es aussah, war das genau zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt geschehen.

„Beschreibe mir bitte diese Körbe.“

Lisa kam seiner Bitte nach. Als sie das ovale Schild mit der Gravur „Enchanted Garden“ erwähnte, verkrampfte Nash sich sichtlich. Sie war sicher, dass sich in der anderen, etwas größeren Papiertüte ein solcher Korb befand.

„Hast du auf dem Weg zum Baylor Inn mit irgendjemandem gesprochen? Hat dich jemand ins Haus kommen oder hinausgehen sehen?“

Dass Nash sie nicht ansehen wollte, dass er sie scheinbar völlig ignorierte, als er seine Fragen stellte, machte sie wütend. „Ich kann mich nicht daran erinnern. Zu der Zeit hatte ich nicht gedacht, dass ich ein Alibi benötigen würde. Jetzt ist mein Mann tot … mein Exmann … und das Einzige, was du noch nicht gemacht hast, ist, mir auf den Kopf zuzusagen, ich hätte ihn umgebracht.“

„Für eine Anklage reichen diese Beweise nicht aus.“

Seine Worte versetzten ihr einen Schlag in die Magengrube. „Wir haben uns weiter nichts zu sagen.“ Sie stand auf. „Jedenfalls nicht, solange meine Anwältin nicht dabei ist.“

Ihm lag die Erwiderung auf der Zunge, dass er das Recht habe, sie für die weitere Befragung in Gewahrsam zu nehmen. „Ich brauche alles, was du gestern Abend getragen hast.“

„Meinetwegen. Ich werde die Sachen unverzüglich aufs Revier bringen lassen. Sind wir fertig?“

„Momentan, ja.“

Lisa ging zur Tür, doch bevor sie sie aufmachen konnte, war er bei ihr und legte seine Hand auf ihre.

„Finger weg, Detective.“

„Lisa, ich mache nur meinen Job.“

„Das freut mich für dich. Mach ruhig deinen Job. Aber halte dich von mir fern, solange du nicht mehr als irgendwelche Anschuldigungen zu bieten hast.“

Er rührte sich nicht. „Lisa, lass unser Wiedersehen nicht so beginnen.“

Sie lachte verbittert. „Wir beginnen hier gar nichts, Couviyon. Wir haben vor vier Jahren alles endgültig beendet.“ Vor vier Jahren, als ich von dir schwanger war, dachte sie. Wenn sie ihm jemals die Wahrheit hätte sagen wollen, dann ganz sicher nicht in diesem Moment.

„Du hast die Beziehung beendet, nicht ich.“

„Wir hatten doch niemals eine feste Beziehung, Nash. Du hattest deine eigene Vorstellung davon. Ich war für dich nur dann wichtig, wenn ich mit dir im Bett war.“ Sie schüttelte seine Hand ab, riss die Tür auf und lief an dem Polizeibeamten vorbei, dem Nash ein Zeichen machte, sie passieren zu lassen.

„Das war aber eine aufbrausende Zeugin, Detective“, meinte ein anderer Kollege.

Nash atmete aus. „Ja, das können Sie laut sagen.“

2. KAPITEL

Nash sah Lisa nach, wie sie davonstürmte. Er fühlte sich hin und her gerissen. Sie löste in ihm Reaktionen aus, wie es keine andere Frau vermochte, und deswegen hatte er sie nie wieder besucht. Außerdem fühlte er sich noch immer verletzt. Die Demütigung, von ihr sitzen gelassen zu werden, war nichts im Vergleich zu seinen Empfindungen, als er gehört hatte, dass sie sechshundert Meilen entfernt mit einem anderen Mann vor den Altar getreten war.

Als er sie heute wiedergesehen hatte, war ihm eines wieder klar geworden: Er war noch längst nicht über sie hinweggekommen. Es schmerzte ihn, nur in ihre Augen zu blicken.

Plötzlich steckte Quinn seinen Kopf aus dem anderen Zimmer, sah Lisa noch davoneilen und pfiff leise, ehe er sich zu Nash umdrehte. „Hat etwa der berühmte Couviyon-Charme versagt?“

Nash warf Quinn einen wütenden Blick zu. „Du hast gewusst, dass sie herkommt, wie?“

„Ich habe gehört, wie der Lieutenant sie anrief. Und ich konnte mich an ihren neuen Nachnamen erinnern.“

„Seit heute Morgen ist sie offiziell geschieden.“

„Dann war sie noch seine Ehefrau, als das Opfer starb?“

Jede Verbindung zwischen Lisa und Winfield macht sie verdächtig, überlegte Nash. „Wenn ich mich nicht irre, fällt die Bestimmung des genauen Todeszeitpunkts doch in dein Ressort, Kilpatrick“, knurrte er und ging an Quinn vorbei in die Suite.

„Detective?“

Er drehte sich wütend um, bereit, irgendwen in Stücke zu reißen.

Ein kleiner, drahtiger Mann im schwarzen Anzug betrat die Suite. „Könnten Sie Ihre Untersuchungen nicht diskreter durchführen?“, fragte er und sah sich um.

Bei dem Mann handelte es sich um Baylor, den Eigentümer des Hotels, der einen verärgerten Eindruck machte. Der Tag wird ja immer besser, dachte Nash.

„Vielleicht berücksichtigen Sie, dass wir noch andere Gäste haben, die jetzt gerne wieder auf ihre Zimmer möchten.“

„Das werden sie auch bald wieder können. Aber es ist nicht gerade einfach, einen Todesfall diskret zu handhaben.“

Baylor konnte seinen Blick nicht von dem schwarzen Leichensack losreißen, der auf einer Trage aus dem Zimmer gefahren wurde. „Ein Mord?“

Nash ignorierte die Frage und wollte ihn eben in das Nebenzimmer führen, um ihn zu befragen, als Baylor zu einem Polizeibeamten eilte, der auf einer Kommode nach Fingerabdrücken suchte. „Wird dieses Pulver da irgendwelche Spuren hinterlassen? Diese Truhe ist über zweihundert Jahre alt.“

Der Polizist sah Baylor von oben bis unten an, dann warf er Nash einen viel sagenden Blick zu, ehe er antwortete: „Nein, Sir.“

„Sir? Sie sind doch Mr. Will Baylor?“, fragte Nash.

Der Mann nickte. „William Reese Baylor IV.“, präzisierte er. „Ich bin der Eigentümer. Meine Familie hat dieses Haus vor über hundertfünfzig Jahren erbaut.“

„Nettes Häuschen“, gab Nash unbeeindruckt zurück, ohne auf Baylors Abstammung oder die Geschichte des Hotels einzugehen. Seine eigene Familie besaß eine am Stadtrand gelegene Plantage, Indigo Run, die seit 1711 existierte. „Kannten Sie den Verstorbenen?“

Autor

Amy J. Fetzer
Amy J. Fetzer glaubt nicht an den Mythos, dass man zum Schreiben geboren wird. Sie selbst hat es sich hart erarbeitet. Erst mit 30 Jahren fing sie an zu schreiben – davor hatte sie als Kosmetikerin gearbeitet – und an ihrem ersten Buch feilte sie 3 Jahre lang. Etliche Male...
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