Triumph der Liebe

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Als die junge Mary Australien verlässt, nimmt sie ein kleines, süßes Geheimnis mit. Acht Jahre lang behält sie für sich, dass ihre große Liebe Tom Pirelli der Vater ihres Sohnes ist. Bis Tom eines Tages in Washington ganz überraschend vor ihr steht. Mary spürt, dass sie nie aufgehört hat, ihn zu lieben. Soll sie ihm die Wahrheit gestehen - oder ihre Gefühle verleugnen und für immer schweigen?


  • Erscheinungstag 03.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776442
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Zehn Minuten vor Mitternacht schlüpfte Mary Carson aus dem Bett. Sie war vollständig angezogen, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der dicke Teppich dämpfte ihre Schritte, als sie auf Zehenspitzen zum Fenster schlich, die Gardine zur Seite schob und vorsichtig durch die Spalten der Jalousie blickte.

Tom wartete auf sie.

Er stand an der Ecke, etwas außerhalb des hellen Lichtkegels, den die Laterne auf den Gehweg warf. Mary erkannte das leuchtend weiße T-Shirt unter der schwarzen Lederjacke. Er hielt sich sehr gerade und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Man sah ihm an, dass es losgehen konnte.

Tom Pirelli war überhaupt ein Actiontyp, und in dieser milden Winternacht, wie sie für das nördliche Queensland typisch war, wollte er mit Mary durchbrennen.

Ein prickelnder Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Vorsichtig drückte sie eine Latte der Jalousie hinunter, um Tom besser sehen zu können. Er bemerkte es und winkte ihr zu. Dabei lächelte er, auf seine charmante, lässige Art, der Mary nicht widerstehen konnte. Morgen um diese Zeit würden sie weit weg von Townsville sein.

Und sie würde Mary Pirelli heißen.

Während der ganzen letzten Wochen hatte sie nur an ihre Heirat mit Tom gedacht. Das Studium war ihr gleichgültig gewesen, und was am Familientisch gesagt wurde, überhörte sie. Für sie bestand die Welt nur aus einem zweiundzwanzigjährigen Soldaten, der aufreizend lässig lächeln und noch lässiger küssen konnte.

Tom bedeutete ihr alles, und sie war überzeugt davon, dass sie ohne ihn nicht mehr leben konnte.

„Ich komme, Tom“, flüsterte sie, während sie die Jalousie losließ und die Gardine wieder vorzog.

Mit bebenden Händen hob sie den kleinen Rucksack auf, der nur Kleidung zum Wechseln und einige Toilettenartikel enthielt. Mary konnte nicht riskieren, mit einem größeren Gepäckstück durch das dunkle Haus zu schleichen. Wenn sie etwas umgeworfen und ihre Eltern dadurch aufgeweckt hätte … Es wäre eine Katastrophe gewesen. Außerdem würde sie hinten auf Toms Motorrad sitzen, da konnte sie sowieso nicht viel mitnehmen.

Sie fuhr mit leichtem Gepäck und noch leichterem Herzen. Mit Tom.

Mary hätte vor Glück laut jubeln können. Sie liebte Tom abgöttisch, und es kam ihr immer noch wie ein Wunder vor, dass er sie ebenfalls liebte. Sie hatte das große Los gezogen. Kein Mädchen in Australien konnte sich mit ihr messen. In Australien? Ach was, in der ganzen Welt!

Ohne einen letzten Blick auf ihr hübsches Schlafzimmer zu werfen, in dem sie so viele Jahre verträumt hatte, schlich sie auf den Flur hinaus. Jetzt wurde es gefährlich. Das polierte Parkett, das den ganzen Wohnbereich des Hauses einnahm, ließ die Schritte nachhallen, deshalb hielt Mary ihre Schuhe vorläufig in der Hand und ging auf Socken. Wenn ihr Vater aufwachte, war alles verloren.

Du liebe Güte, ihr Vater! Mary blieb unvermittelt stehen, gepeinigt von einem Anflug schlechten Gewissens. Natürlich wollte sie nicht auf diese Weise heiraten. Bevor sie Tom kennen gelernt hatte, war das Verhältnis zu ihren Eltern ungetrübt gewesen, und es quälte Mary, dass sie sich zwischen ihrer Familie und dem Mann, den sie liebte, entscheiden musste.

Leider war ihr Vater nicht zu bewegen gewesen, seine Meinung über Tom zu ändern. Deshalb ließ er ihr keine andere Wahl. Sie konnte nur hoffen, dass er anders denken würde, wenn sie mit Tom verheiratet war. Dann musste er doch erkennen, dass der Himmel sie füreinander bestimmt hatte!

Im Grunde zweifelte sie nicht daran, dass es ihr und Tom gelingen würde, ihren Eltern die Augen zu öffnen. Ihr Vater würde Tom bewundern, wenn er ihn erst besser kannte. Und Tom würde ein idealer Ehemann sein. Später natürlich auch ein idealer Vater. Wenn sie bloß erst heil draußen war, dann würde alles gut werden.

Mary atmete tief ein und schlich langsam weiter. Sie hatte während der letzten Wochen mehrmals geübt, durch das dunkle Haus zu schleichen, und wusste, welche Dielen vor dem Schlafzimmer ihrer Eltern und welche vor dem Esszimmer knarrten. Als sie die beiden gefährlichen Stellen hinter sich hatte, atmete sie auf.

Während sie weiterschlich, hörte sie das Summen der Geschirrspülmaschine aus der Küche. Der lange Spülvorgang näherte sich dem Ende – ein unerhört günstiger Umstand. Wenn das letzte Spülwasser durch den Abfluss gurgelte, konnte sie lautlos die Haustür öffnen.

Endlich hatte Mary die Wohnräume hinter sich und stand in dem mit Fliesen ausgelegten Flur. Rechts und links von der Tür schimmerte das Straßenlicht durch die Butzenscheiben. In wenigen Sekunden war sie frei.

Das Zischen und Gurgeln in der Küche war ihr Startsignal. Rasch zog Mary ihre Schuhe an, trat dicht an die Tür und begann, langsam den Knauf zu drehen. Wenn das nur kein Geräusch verursachte … nicht jetzt, da sie es fast geschafft hatte!

Nicht, wo Tom draußen auf sie wartete.

Mary sah schon den Glanz in seinen dunklen Augen, sobald sie ihn erreichte. Er würde ihr erst seine Lederjacke umlegen, sie dann fest an sich drücken und immer wieder flüstern: „Mary-Mary …“

Als sie die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte, nahm sie hinter der großen Topfpalme eine Bewegung wahr. Erschrocken stieß sie die Tür wieder zu, was einen dumpfen Laut verursachte.

„Was, zum Teufel, hast du hier zu suchen?“, klang es donnernd aus der Dunkelheit. Es war die Stimme ihres Vaters.

Panik ergriff Mary. Sie riss die Tür auf und wollte fliehen, aber zwei Hände hielten sie wie eiserne Klammern fest.

„Nein!“, schrie sie und versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien. „Du darfst mich nicht aufhalten!“

Ihr Vater riss ihr den Rucksack vom Rücken, zog sie wieder in den Flur und warf die Tür ins Schloss.

„Nein, nein“, schluchzte Mary. „Das kannst du nicht tun. Bitte … du verstehst mich nicht!“

Es gelang Mary, ihrem Vater zu entkommen. In wilder Flucht rannte sie durch die dunkle Küche, um die Hintertür zu erreichen.

„Nimm doch Vernunft an!“, rief ihr Vater ihr nach. Sekunden später hatte er sie eingeholt und hielt sie aufs Neue fest. Mary wehrte sich, schlug um sich, aber ihr Vater war zu stark für sie. Sie hatte keine Chance, einem Armeeoffizier in seinem eigenen Haus zu entkommen.

„Du musst mich loslassen“, keuchte sie. „Ich bin erwachsen. Ich kenne meine Rechte.“

Colonel Carson war außer sich vor Zorn. „Du willst erwachsen sein?“, fuhr er sie an. „Ein Erwachsener würde sich nicht mitten in der Nacht davonstehlen, um mit einem miesen Kerl wie Tom Pirelli durchzubrennen.“

„Tom ist kein mieser Kerl! Du kennst ihn nicht!“

Licht flammte auf und blendete Mary. Durch ihre tränennassen Wimpern sah sie ihre Mutter an der Küchentür stehen. Hinter ihr tauchte Marys Cousine Sonia auf, um die Szene mit großen, neugierigen Augen zu verfolgen.

„Ihr könnt mich hier nicht einsperren“, schluchzte Mary. „Ich lasse nicht zu, dass ihr mir mein Leben zerstört. Lasst mich gehen!“

„Sei vernünftig, Mary“, mahnte ihre Mutter.

„Nein, Mum … sei du vernünftig!“ Mary wehrte sich weiter verzweifelt, aber erfolglos.

Um nicht in das zornrote Gesicht ihres Vaters blicken zu müssen, konzentrierte sich Mary auf ihre Mutter, die in ihrem hellen Nachthemd und ohne Make-up, das sie tagsüber wie eine Maske trug, schwach und verletzlich wirkte.

„Du ergreifst Dads Partei, obwohl du Tom nicht kennst“, rief Mary anklagend. „Ihr wolltet ihn nicht mal einladen, deshalb kann ich jetzt tun, was ich will. Ich bin zwanzig … alt genug, um zu wissen, was ich will. Tom und ich lieben uns und haben ein Recht, unser eigenes Leben zu leben. Ich muss zu ihm. Ich muss!“

„Nur über meine Leiche.“ Ihr Vater packte sie an den Schultern und drückte sie hart gegen die Wand.

„Sei nicht unnötig grob, Ralph“, bat Anne Carson.

Tränen strömten Mary über das Gesicht. Tränen der Wut und der Verzweiflung. Tom wartete an der Ecke. Was mochte er über die erleuchteten Küchenfenster denken? Was würde er tun, wenn sie nicht zu ihm kam?

Ob sie ihn jemals wiedersehen würde? Sie musste ihn einfach wiedersehen! Niemand ahnte, wie nötig sie ihn brauchte. Sie sehnte sich nach der Geborgenheit in seinen starken Armen. Er sollte sie halten und immer wieder ihren Kosenamen flüstern, wie er es tat, wenn sie sich liebten. „Mary-Mary … Mary-Mary …“

Ihr Vater lockerte seinen Griff, ließ sie aber nicht los. „Hör auf zu jammern“, schimpfte er. „Ich hätte nicht gedacht, dass meine eigene Tochter so dumm ist. Wenn du zu dir gekommen bist, wirst du mir noch dankbar sein.“

„Niemals!“, rief Mary, in der ein unbeschreiblicher Hass gegen ihren Vater aufstieg. Sie konnte ihn nicht einmal ansehen. „Du verurteilst Tom, weil er kein Offizier ist und ein Motorrad fährt.“

Ihr Vater fluchte und schüttelte sie an den Schultern. „Pirelli ist ein Rowdy, Mary. Er ist wegen zu hoher Geschwindigkeit vom Polizeichef persönlich vernommen worden und war an einer Schlägerei in einem Nachtclub beteiligt. Einem solchen Mann überlasse ich doch nicht meine Tochter. Wenn er wagt, dich anzufassen …“

„Das hat er doch längst getan!“ Ein Gefühl des Triumphs stieg in Mary auf und gab ihr die Kraft, ihrem Vater direkt in die kalten grauen Augen zu sehen. Oh, wenn er geahnt hätte, wie sie sich nach Toms Berührung sehnte …

„Wo ist er?“, brüllte der Colonel. „Ich bringe ihn um!“

„Um Gottes willen, Ralph.“ Anne Carson kam näher und berührte vorsichtig seinen Arm. „Schrei doch bitte nicht so … es ist mitten in der Nacht. Lass uns ins Wohnzimmer gehen und dort alles in Ruhe besprechen.“

„Es gibt nichts zu besprechen“, protestierte Mary. „Warum seht ihr das nicht ein? Ich liebe Tom, und er liebt mich. Ich kann ohne ihn nicht leben. Wenn ihr mich nicht fortlasst, zerstört ihr meine Zukunft.“

„Dann ist sie bereits zerstört“, höhnte ihr Vater.

Mary schluchzte zum Erbarmen. Wie konnten Eltern so grausam zu ihrer eigenen Tochter sein? Es kam ihr vor, als wäre sie gefesselt in einen brodelnden Ozean geschleudert worden. Ihre Knie gaben nach, und sie sank zu Boden … tiefer und tiefer, bis auf den Meeresgrund. Ihr Vater ließ sie daraufhin los, aber Mary wusste, dass jeder neue Fluchtversuch vergeblich sein würde. Zusammengekauert hockte sie da, legte die Arme um ihre Knie und weinte herzergreifend.

Am liebsten wäre sie gestorben.

Plötzlich hörte sie ihre Cousine Sonia sagen: „Soll ich Tom mitteilen, dass du nicht kommst?“

Mary hob den Kopf und sah Sonia vor sich stehen. Sie war vollständig angezogen, genau wie ihr Vater. Hatten sie von ihrem Plan gewusst?

Sonia lebte seit einem Jahr bei ihnen, weil sie an der James-Cook-Universität Jura studierte. Mary nahm sie jeden Morgen mit in die Stadt, da sie aber verschiedene Fächer studierten, sahen sie sich auf dem Universitätsgelände nur wenig.

Sie waren keine richtigen Freundinnen geworden, und der seltsame Glanz, den Mary jetzt in Sonias Augen bemerkte, beunruhigte sie. Aber sie konnte Tom doch nicht sinnlos warten lassen.

„Er steht an der Ecke“, stieß sie hastig hervor. „Sag ihm, was passiert ist, und sag ihm auch, dass ich einen Weg finden werde.“

„Gib dir keine Mühe, Sonia“, mischte sich der Colonel ein. „Wenn jemand heute noch mit Pirelli spricht, bin ich es. Ich würde es mit den Fäusten tun, wenn ich nicht fürchten müsste, wegen Körperverletzung angeklagt zu werden.“

Anne hatte Teewasser aufgesetzt, das jetzt zu kochen begann. Während sie das sprudelnde Wasser in Becher mit Teebeuteln goss, kam Sonia noch einen Schritt näher. Ihr Lächeln hätte sympathisch gewirkt, wenn da nicht dieser unnatürliche Glanz in den Augen gewesen wäre, der auf gesteigerte Erregung schließen ließ.

„Dann gehe ich wieder ins Bett“, sagte sie gespielt schläfrig und zwinkerte Mary gleichzeitig zu. Das war das Zeichen dafür, dass sie alles daransetzen würde, um Tom eine Nachricht zukommen zu lassen.

Mary wünschte, der Gedanke hätte sie mehr getröstet.

„Wie seid ihr dahinter gekommen?“, fragte sie ihre Eltern, als Sonia die Küche verlassen hatte.

„Man hält uns Soldaten gemeinhin für blöd“, meinte ihr Vater etwas ruhiger, „aber wir sind gute Beobachter.“ Bei den letzten Worten lächelte er selbstzufrieden.

Mary, die immer noch auf dem Boden kauerte, antwortete nur mit einem hasserfüllten Blick.

Ihr Vater seufzte ungeduldig. „Ich will dir gern sagen, warum ich gegen diese Sache bin. Ich misstraue Pirelli.“

„Du hast ihm keine Chance gegeben.“

„Die verdient er auch nicht. Ich kann kein Risiko eingehen, wenn meine eigene Tochter betroffen ist. Pirelli ist nicht sauber.“

„Was soll das heißen?“, fuhr Mary auf.

„Nun, er ist überall der Erste. Bei den IQ-Tests, bei den Sprachprüfungen und beim Schießen.“

„Wirklich? Das hat er mir nie erzählt. Aber wieso spricht das gegen ihn?“

Die Frage schien ihren Vater zu beunruhigen, aber er fasste sich schnell. „Wenn sich ein so intelligenter Bursche ständig wie ein Rowdy aufführt, stimmt etwas nicht mit ihm. Aber es ist nicht nur sein rüpelhaftes Auftreten. Bei Übungen wissen wir nie, was Pirelli wieder anstellen wird. Er widerspricht zu viel und stellt unsere Befehle infrage. Er kann sich nicht unterordnen. Deshalb habe ich seine Beförderung zurückgestellt.“

„Das hat er mir auch nicht erzählt“, sagte Mary leise.

„Natürlich nicht.“ Ihr Vater machte ein grimmiges Gesicht. „Mit Pirelli fällt man rein, Mary. Er gehört zu den Soldaten, die gern den Helden spielen. Er will immer vornan sein. Verstehst du mich?“

„Du willst sagen, dass er mutig ist.“

„Ich will sagen, dass er ein Dummkopf ist. Spätestens heute Nacht hat er das bewiesen. Denkt er vielleicht, ich durchschaue ihn nicht?“

„Vorsicht, Ralph“, sagte Anne Carson in warnendem Ton, aber davon wollte ihr Mann nichts wissen.

„Nicht ich, sondern Mary sollte vorsichtig sein“, entgegnete er scharf. Dabei hockte er sich neben sie und legte ihr seine breite Hand auf die Schulter. „Pirelli wollte seinen Spaß mit dir haben und dich dann sitzen lassen.“

„Nein!“ Die Worte bohrten sich wie giftige Pfeile in Marys Herz.

„Ich sage die Wahrheit, Mary. Diese alberne Entführung ist nur ein Racheakt.“

„Du lügst!“ Mary konnte kaum noch atmen, sie hatte das Gefühl, sich in dichtem Nebel verirrt zu haben. Mühsam stand sie auf, wobei sie sich auf der Anrichte abstützte. Sie wollte sich zur Wehr setzen, wollte zurückschlagen. „Du irrst dich, Dad. So ist es nicht. Tom liebt mich und will mich heiraten.“

Ihr Vater lachte höhnisch. „Wach endlich auf, Mary. Glaubst du wirklich, dass es eine Hochzeit gegeben hätte? Eine Hochzeit ist das Letzte, worauf Pirelli aus ist. Hat er dir gesagt, dass er demnächst nach Perth, ans andere Ende von Australien, versetzt wird?“

„Nein!“, schrie Mary in wilder Verzweiflung.

„Trotzdem kannst du mir glauben.“ Die Stimme ihres Vaters klang plötzlich sanft und freundlich. „Es tut mir Leid, aber das kleine Abenteuer von heute Nacht war ein Racheakt, weil ich Pirellis Beförderung verhindert habe. Begreifst du das endlich? Tom Pirelli hat dich nur benutzt, mein Kind.“

2. KAPITEL

Bei der gedämpften roten Nachtbeleuchtung war in der Hubschrauberkabine kaum etwas zu erkennen. Sechs Männer in Tarnuniformen, alle Mitglieder einer Eliteeinheit zur Terrorbekämpfung, saßen angespannt auf ihren Plätzen.

„Noch fünf Minuten bis zum Ausstieg“, vernahmen sie die Meldung des Piloten über Kopfhörer.

Tom Pirelli kontrollierte noch einmal seine Ausrüstung. Alles war einsatzbereit. Sein Gerät war festgeschnallt, und das Maschinengewehr war gesichert. Der Abzug konnte sich beim Abseilen in den dichten südostasiatischen Dschungel nicht von selbst lösen.

Jetzt konnte er nur noch warten, und für einen kurzen, köstlichen Augenblick schweiften seine Gedanken nach Hause – zu der familieneigenen Teeplantage im fernen nördlichen Queensland.

Tom hatte in letzter Zeit viel daran gedacht. Die Nebelschwaden, die morgens an den Bergen hingen, der Duft von frisch gebackenem Brot in der Küche seiner Mutter, die üppigen Farne in Nonnas Gewächshaus … es gab vieles, an das er sich fast überdeutlich erinnerte.

Es war lange, viel zu lange her, dass er seine Familie besucht hatte. Seit er zu der speziellen australischen Eliteeinheit gehörte, war er in so viele Krisengebiete geschickt worden, dass er die Verbundenheit mit seiner geliebten Heimat beinahe verloren hatte. Es war wirklich zu lange her.

Eine Berührung an der Schulter brachte Tom in die Gegenwart zurück. Ed McBride, einer seiner Kameraden, die bei dieser Mission mit Toms Einheit zusammenarbeiteten, beugte sich zu ihm hinüber.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte er überlaut, um sich bei dem Motorenlärm verständlich zu machen.

„Was für einen?“ Tom sah Ed forschend an, aber dem konzentrierten Gesicht war nichts zu entnehmen.

„Nimm dies.“ Ed drückte Tom eine Armbanduhr in die Hand – keine vollautomatische Hightech-Uhr, sondern eine altmodische Golduhr, das typische Renommierstück eines Zivilisten. Eine Uhr, wie sie mit wohlwollendem Händedruck zur Pensionierung vergeben wurde. „Steck sie in deine Tasche, und heb sie für mich auf.“

„Du kannst selbst auf deine Sachen aufpassen.“

„Los, Tom, nur dieses eine Mal. Falls irgendetwas passiert.“

Tom runzelte die Stirn. „Red keinen Unsinn, Eddie. Dieser Auftrag ist ein Spaziergang.“

„Ich weiß, aber tu mir trotzdem den Gefallen. Nimm die blöde Uhr.“

Tom drehte die Uhr um und sah, dass sie auf der Rückseite graviert war. „Für Robert Edward McBride in Anerkennung. 10. Januar 1925“, lautete die Inschrift.

„Es ist die Uhr meines Urgroßvaters“, schrie Ed. „Sie ist immer an die nächste Generation vererbt worden. Mein Vater hat sie mir gegeben, und ich möchte sie für meinen Sohn retten.“

„Für deinen Sohn?“

„Ja.“

Die Männer unterhielten sich kaum über ihre Familien, als hätten sie Angst, dadurch sentimental und kampfuntauglich zu werden. Doch Tom wusste, dass Ed verheiratet war und einen Sohn hatte. Seine Familie lebte in Virginia. Tom hatte ein Foto von dem Jungen gesehen, auf dem er die Mütze seines Vaters trug. Das Gesicht hatte dadurch halb im Schatten gelegen, aber soweit sich Tom erinnerte, war Eds Sohn ein hübscher, gesunder Junge mit einem frechen Lächeln.

„Heb sie selbst für deinen Jungen auf“, sagte er und gab die Uhr zurück. „Bei dir ist sie genauso sicher.“

„Nein!“ Ed bat so dringend, dass es Tom einen Stich gab. „Behalte sie … nur dieses eine Mal.“

„Red keinen Unsinn!“, schrie Tom wütend. Was war plötzlich mit Ed los? Als Ranger hatte man Ruhe zu bewahren. Angst oder Zweifel gab es nicht.

Doch tief drinnen spürte Tom, was Ed ihm sagen wollte. Er hatte eine Vorahnung, wie sie bei Soldaten nicht selten war, eine innere Gewissheit, dass etwas schief gehen würde.

„Bitte, Tom“, drängte Ed noch einmal. „Ich dachte, wir seien Freunde.“

„Sind wir auch“, bestätigte Tom. „Freunde und Kumpel.“

Das stimmte. Tom mochte den blonden, blauäugigen Amerikaner mit dem kurzen Bürstenschnitt und dem ewigen Lächeln. Er war ein guter Soldat und ein echter Kamerad. Amerikanischer als amerikanisch, aber genau das, was man einen „feinen Kerl“ nannte.

Tom hatte es nicht auf eine Freundschaft mit Ed angelegt. Sie hatte sich ganz von selbst entwickelt, und inzwischen gehörten sie einfach zusammen. Sie vertrauten einander im Kampf, hatten dieselbe Meinung von ihrem Beruf und konnten sich mit denselben Auszeichnungen schmücken. Am meisten verband sie aber ihr Sinn für Humor, der ihnen schon in den schwierigsten Momenten geholfen hatte. Bis zu diesem Augenblick.

Tom sah wieder auf die Golduhr. Sie hatte nichts Besonderes an sich und besaß höchstens Erinnerungswert. Aber vor einem Einsatz durfte man sich an nichts erinnern.

„Noch eine Minute bis zum Ausstieg.“

Das war das Zeichen, die Sicherheitsgurte zu lösen und sich an die hintere Rampe zu begeben.

Der Hubschrauber flog jetzt tiefer und verlor an Geschwindigkeit. Die Männer standen dicht nebeneinander und konzentrierten sich auf den vor ihnen liegenden Einsatz. Ed sollte sich als Fünfter abseilen, während Tom, als Führer der Schwadron, den Abschluss bildete.

„Bitte!“, schrie Ed noch einmal und hielt Tom die Uhr hin.

Der verantwortliche Soldat warf das Seil über die Rampe und überprüfte, ob es weit genug herunterhing. Dann winkte er Zac, der als Erster aussteigen sollte. Zac ergriff das Seil mit beiden Händen, legte ein Bein darum, sprang ab und glitt in die Tiefe.

Tom seufzte. „Also gut, gib schon her.“ Er nahm die Uhr und steckte sie in die Innentasche seiner Uniformjacke. „Aber nur, bis dieser Einsatz beendet ist.“

Durch die Nachtbrille konnte er erkennen, dass Ed erleichtert lächelte. „Danke, Kumpel“, rief er zurück und machte sich zum Ausstieg bereit.

3. KAPITEL

Es herrschte warmes Sommerwetter in Virginia, aber Ethan hatte eine Erkältung.

Mary beugte sich über den Frühstückstisch und legte ihrem Sohn die Hand auf die Stirn. Er hatte während der Nacht angefangen zu husten, und heute Morgen war auch noch seine Nase verstopft. Falls er Fieber hatte, würde sie ihn nicht in die Schule schicken.

„Hast du Halsschmerzen?“, fragte sie, als Ethan mäkelig in seinen Cornflakes herumrührte und dann lustlos einen Schluck Orangensaft trank.

Ethan nickte und sah sie mit großen braunen Hundeaugen an. Darin war er Meister, und sein blondes Wuschelhaar passte unübertrefflich dazu. Mary hatte das gerade in den letzten Tagen wieder feststellen können.

„Warum ist Daddy nicht zum vierten Juli nach Hause gekommen?“, fragte Ethan. „Er hat es versprochen.“

Mary seufzte. Seit sie die schreckliche Nachricht erhalten hatte, dass ihr Mann vermisst und wahrscheinlich tot sei, war sie bemüht, Ethan nichts merken zu lassen. Er vergötterte seinen Vater, und sie fürchtete, dass die Erkältung weniger einem Bazillus als dem Kummer über Eds Ausbleiben zuzuschreiben war.

„Soldaten können nicht immer tun, was sie wollen, Schatz“, versuchte sie Ethan zu trösten. „Ich bin sicher, Daddy kommt, sobald es ihm möglich ist.“

Mary zögerte immer noch, ihrem Sohn die Wahrheit zu sagen – nicht zuletzt, weil sie sich selbst an die Hoffnung klammerte, dass alles ein Irrtum sein könnte.

Leider schien Ethan einen sechsten Sinn zu haben. Er merkte, dass sie unruhiger als sonst war, und es entging ihm auch nicht, dass ihre Freunde ihn plötzlich mit Glacéhandschuhen anfassten, dass seine Großmutter besonders liebevoll mit ihm war und sein Großvater entgegen seiner sonstigen Art ständig eine stoische Miene zur Schau trug.

Die Ungewissheit war am schwersten zu ertragen. Mary wusste nur, dass Ed während eines Einsatzes hinter den feindlichen Linien zurückgeblieben war. Sie wagte nicht, sich sein Schicksal genauer vorzustellen. Als Frau eines Offiziers hatte sie immer gewusst, dass so etwas passieren konnte – besonders, seit Ed zu einer Spezialeinheit gehörte, die zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt wurde. Bisher hatte es ihr geholfen, dieses Wissen zu verdrängen, aber jetzt wurde Ed tatsächlich vermisst, und hinter diesem Wort verbargen sich die vielfältigsten Schrecken.

„Was hast du, Mummy?“

Gütiger Himmel, Mary war nahe daran, vor ihrem Sohn in Tränen auszubrechen! Sie rang sich ein Lächeln ab und fragte: „Würdest du heute lieber zu Hause bleiben und dich richtig ausruhen?“

Ethan nickte. „Darf ich fernsehen?“

„Natürlich“, antwortete Mary, worauf Ethan sofort aufsprang und im angrenzenden Wohnzimmer verschwand.

Mary sah ihm bedrückt nach. Bevor sie die Nachricht über Ed erhalten hatte, war Ethan gern zur Schule gegangen, aber neuerdings ließ er den Kopf hängen. Sie tröstete sich damit, dass ein versäumter Tag wenig ausmachte. Ethan fühlte sich wirklich nicht wohl, und die lustigen Kindersendungen würden ihn vielleicht etwas aufmuntern.

Während er es sich mit einer Tüte Popcorn auf dem Teppich gemütlich machte, trank Mary eine weitere Tasse Kaffee und überlegte, wie sie ihre Tagespläne ändern sollte.

Das für den Vormittag geplante Tennisspiel musste ausfallen, aber das ließ sich verschmerzen. Sie musste nur eine ihrer Partnerinnen anrufen und absagen. Sie griff nach dem Telefon, das auf dem Küchenbord stand, und wollte gerade die Nummer wählen, als es an der Haustür klingelte.

Überrascht legte sie den Hörer wieder auf und sah sich nach ihren Schuhen um. Wo hatte sie die bloß gelassen? Und wie sie aussah! Sie hatte sich heute Morgen nur rasch das Haar gebürstet und großzügig auf Make-up verzichtet. Aber wer kam auch so früh vorbei? Eine ihrer Tennisfreundinnen konnte es nicht sein.

Ob es ein Angehöriger der Army war, der Nachricht von Ed brachte? Der Gedanke traf Mary wie ein Schlag. Dann konnten es nur schlechte Nachrichten sein, denn man hatte ihr versprochen, sie sonst nicht zu belästigen.

Mit klopfendem Herzen angelte sie ihre Schuhe unter dem Tisch hervor und glitt mit den Füßen hinein. Hoffentlich geht es dir gut, Ed. Lieber Gott, lass es ihm gut gehen!

Marys Hand zitterte, als sie die Haustür öffnete.

„Guten Morgen, Mrs. McBride …“

Gütiger Himmel!

Mary erkannte den Mann sofort. Es war Tom … Tom Pirelli. Nach acht langen Jahren. Er starrte sie an, als sähe er einen Geist.

„Mary!“

Mary brachte kein Wort heraus. Sie konnte nicht denken, nicht atmen, sondern nur stumm beide Hände gegen ihre Brust drücken. Die Gegenwart war wie durch Zauberhand weggewischt, und sie lebte wieder in der Vergangenheit.

Ihr Herz klopfte, wie es immer geklopft hatte, wenn sie mit Tom zusammen war. Die Brust wurde ihr eng, ihre Kehle schnürte sich zusammen, und sie hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Er hatte sich in den acht Jahren kaum verändert und trug Zivil. Auch das schwarze Haar war noch militärisch kurz geschnitten. Vielleicht sah er etwas reifer, etwas erwachsener aus als damals. Vielleicht war sein Gesicht etwas schmaler und nicht mehr so jungenhaft unbekümmert, aber sonst war er ganz der alte Tom. Es waren dieselben dunkelbraunen Augen, deren Blick sie nie hatte widerstehen können, dieselben männlichen Züge und dieselben sinnlichen Lippen.

Nur auf sein lässiges Lächeln wartete Mary heute vergeblich, denn er war so schockiert wie sie selbst.

„Du bist es … Mary Carson!“

„Ja. Ich … ich bin jetzt Mary McBride.“

„McBride?“ Tom nahm sich sichtlich zusammen. „Willst du damit sagen, dass du … Eds Frau bist?“

„Ja“, antwortete sie. Toms Gesicht wirkte plötzlich aschgrau, und sie hätte alles getan, um ihm die Situation zu erleichtern. Wieso kannte er Ed? In welcher Verbindung stand er zu ihm? Mary wollte ihn fragen, aber Angst und Unsicherheit verschlossen ihr den Mund. „Ich bin Ed McBrides Frau.“

„Großer Gott, Mary! Ich kann das einfach nicht glauben. Ich …“ Tom strich sich über die Stirn. „Ich hatte keine Ahnung, dass du immer noch in Amerika bist.“

Autor

Barbara Hannay
Die Kreativität war immer schon ein Teil von Barbara Hannays Leben: Als Kind erzählte sie ihren jüngeren Schwestern Geschichten und dachte sich Filmhandlungen aus, als Teenager verfasste sie Gedichte und Kurzgeschichten.
Auch für ihre vier Kinder schrieb sie und ermutigte sie stets dazu, ihren kreativen Neigungen nachzugehen.
Doch erst als...
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