Unter rauschenden Palmen

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Sie sind beide attraktiv und äußert erfolgreich: die Anwältin Clarissa Montrose und der Plantagen-Besitzer Jerome Hewitt. Ihre wenige private Zeit verbringen sie gern miteinander, aber von Liebe und Heirat haben sie noch nie gesprochen. Als Clarissa überraschend schwanger wird, stellen sich plötzlich viele Fragen …


  • Erscheinungstag 16.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757540
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Wie bitte?“

„Um ganz sicher zu sein, müssten wir natürlich eine Blutuntersuchung machen. Aber der Test ist positiv ausgefallen, und das, was du mir an Symptomen geschildert hast, bestätigt das Ergebnis. Herzlichen Glückwunsch, Clarissa.“

Clarissa Montrose sah ihre Ärztin und Freundin so fassungslos an, dass dieser das strahlende Lächeln verging. Bestürzt blickte sie ihre Patientin an.

„Clarissa, war das nicht geplant?“, fragte Valerie Martin, eine energische Frau Ende dreißig.

„Nein.“ Clarissa schluckte mühsam. „Ist auf den Test wirklich Verlass? Ich habe die Pille kein einziges Mal vergessen.“

„Das mag sein, aber du nimmst eine sogenannte Minipille. Wie ich dir erklärt habe, gibt es gewisse Umstände, die deren Wirkung verhindern.“

Clarissa, die schon etwas entgegnen wollte, fasste sich plötzlich an die Stirn. „Nein! Das darf doch nicht wahr sein! Darauf wäre ich nie gekommen!“

„Sprich dich aus“, forderte Valerie sie auf.

„Vor etlichen Wochen hatte ich einen Magen-Darm-Katarrh, aber nur zwei Tage. Kann es das gewesen sein?“

„Wenig wahrscheinlich, aber immerhin möglich. Hattest du denn überhaupt keinen Verdacht? Meine Diagnose scheint dich ja wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen zu haben.“

Clarissa zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich bin zu dir gekommen, weil in letzter Zeit mein Zyklus total verrückt spielt. Aber das ist für mich nichts Neues, mit dem Problem hatte ich schon öfter zu kämpfen.“ Sie lehnte sich zurück. „Wie weit bin ich denn?“

„Ich würde sagen, sechste bis achte Woche.“

Clarissa zog ihren Kalender aus der Handtasche, blätterte darin und runzelte die Stirn. „Acht Wochen kommt hin. Aber warum habe ich denn absolut nichts, noch nicht einmal Übelkeit, gespürt?“

„Nicht alle werdenden Mütter leiden unter morgendlicher Übelkeit. Vielleicht gehörst du zu den glücklichen Frauen, die davon verschont bleiben. Trotzdem wirst du schon bald einige Veränderungen feststellen. Entweder wirst du unwahrscheinlichen Heißhunger oder überhaupt keinen Appetit haben, du wirst schrecklich müde sein …“

„Und nur noch Marmelade oder saure Gurken essen wollen“, ergänzte Clarissa und blickte düster vor sich hin. „Wie konnte mir nur so etwas passieren? Ausgerechnet mir?“

„Clarissa.“ Valerie Martin betrachtete sie gedankenverloren. Valerie kannte Clarissa gut, denn beide hatten sie ihre Praxisräume in diesem Haus in Lennox Head, einem Ferienort an der australischen Küste. Clarissa war Rechtsanwältin, ruhig, zurückhaltend und begabt. Sie hatte aus dem kleinen Büro, das sie vor ein paar Jahren übernommen hatte, eine anerkannte Kanzlei gemacht und war eine der gefragtesten Juristinnen weit und breit.

Valerie war es ein Rätsel, wie eine abgeklärte und kompetente Karrierefrau mit solch herzergreifender Naivität in eine Schwangerschaft stolpern konnte. „Clarissa, ich möchte nicht neugierig sein, aber der Vater ist doch wohl Jerome, oder?“

Clarissa sah auf und errötete. Ihre Augen waren von einem hellen, beinahe grünlichen Blau, ihr lockiges Haar war dagegen sehr dunkel. Sie trug es kinnlang und an der Seite gescheitelt.

Valerie lächelte amüsiert. „In unserem kleinen Ort kannst du nichts geheim halten – einen Mann wie Jerome Hewitt schon längst nicht. Schließlich stammt er aus einer alteingesessenen, angesehenen Familie und ist hier einer der größten Grundbesitzer. Ich hatte außerdem nie den Eindruck, dass ihr eure Beziehung der Umwelt verheimlichen wolltet.“

„Nein, warum auch? Seit Jerome geschieden ist, sind wir zwei freie Menschen, die niemandem Rechenschaft schuldig sind. Wir wollten unsere Affäre aber auch nie an die große Glocke hängen.“

„Das habt ihr ja auch nicht. Aber zwei Persönlichkeiten wie Jerome und du stehen nun einmal im Brennpunkt des öffentlichen Interesses, ob sie es nun wollen oder nicht. Die Schwangerschaft war also nicht geplant?“

„Nein“, antwortete Clarissa bedrückt.

„Dir als Juristin brauche ich ja nicht zu erklären, dass es noch eine andere Lösung gibt“, begann Valerie vorsichtig.

Clarissa atmete tief ein und sah ihre Freundin und Ärztin groß an. „Nein, das könnte ich nie tun“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Für mich gibt es nur eine Möglichkeit.“

„Das freut mich zu hören, denn der Meinung bin ich persönlich auch.“ Valerie blickte auf die vor ihr liegende Karteikarte. „Du bist jetzt siebenundzwanzig, längst noch nicht zu alt, um ein Kind zu bekommen. Du wirst jedoch nicht jünger, und selbst wenn du bewusst keine Schwangerschaft geplant hattest, kann es unbewusst dein Wunsch gewesen sein.“

Endlich allein in ihrem Büro, schüttelte Clarissa fassungslos den Kopf. Mit der Tatsache, dass Mutter Natur trotz aller Gegenmaßnahmen dennoch ihre eigenen Wege gegangen war, musste sie sich erst einmal abfinden.

Clarissa blickte sich in dem vertrauten Raum um, der ganz in Blau gehalten war, die Wände hell, der Teppich tief dunkel. Beherrscht wurde das Zimmer von einem riesigen Mahagonischreibtisch, auf den sie sehr stolz war. Sie hatte ihn auf einem Trödelmarkt erstanden und von einem Restaurateur aufarbeiten lassen. Jetzt ließ sie sich seufzend davor nieder und betrachtete die Bilder an der Wand, moderne Grafiken in schlichten Alurahmen.

Sie hatte ihre Sekretärin angewiesen, die nächste halbe Stunde keine Gespräche durchzustellen. Sie brauchte jetzt unbedingt Zeit für sich. Die Konsequenz, dass sie dafür anschließend umso intensiver arbeiten musste, nahm sie dafür gern in Kauf. Ihre Kanzlei lief äußerst gut, viel zu gut, als dass sie allein damit fertig werden konnte. Obwohl Clarissa eine erfahrene Bürovorsteherin beschäftigte und ihre Sekretärin eine ausgebildete Rechtsanwaltsgehilfin war, waren die Mandate von ihr allein kaum mehr zu bewältigen. Was sie brauchte, war ein Partner.

Hatte sie dieses Problem bisher immer noch vor sich herschieben können, war es mit einem Schlag brisant geworden. Ihr Blick blieb auf dem Bild über ihrem Aktenschrank ruhen, ausnahmsweise keine Grafik, sondern ein Foto – die Luftaufnahme eines Neubaugebietes in Lennox Head.

Die modernen Einfamilienhäuser standen auf dem ehemaligen Ackerland der Hewitts. Als die Farm sich nicht mehr rentierte, hatte sich die Familie entschlossen, das Land zu parzellieren, Häuser darauf zu bauen und diese dann zu verkaufen. Der Auftrag für die rechtliche Abwicklung dieses gewaltigen Projektes war an sie, Clarissa Montrose, ergangen, kurz nachdem sie die Kanzlei von ihrem Vorgänger übernommen hatte.

Damals hatte sie ihr Glück kaum fassen können. Ihr Vater, zu dem sie eine recht schwierige Beziehung hatte, hatte zwar angedeutet, dass sie diesen Auftrag allein seinen Beziehungen zu verdanken habe, war jedoch nie in die Details gegangen.

Clarissa waren diese auch egal gewesen. Für sie war einzig und allein wichtig gewesen, dass sie diesen Auftrag bekommen hatte, denn er war zum Grundstein ihres Erfolgs geworden und hatte viele Anschlussaufträge nach sich gezogen. Als Folge davon hatte sie jetzt mehr Arbeit, als sie bewältigen konnte.

Clarissa verdiente ausgezeichnet und hatte sich eine exklusive Wohnung mit Blick aufs Meer und einen schnittigen dunkelroten Sportwagen leisten können. Fand sie einmal Zeit für Urlaub, brauchte sie unter ihren Traumzielen nur zu wählen.

Erst als sie schon ein halbes Jahr für Jerome Hewitt gearbeitet hatte, war sie diesem persönlich begegnet. Vorher hatte sie nur mit seinem Geschäftsführer verhandelt, von diesem aber schon viel über die Familienverhältnisse erfahren. Sie wusste, dass Jeromes Großvater zu seiner Zeit sehr viel Land für sehr wenig Geld gekauft hatte, dass die Hewitts in einem wunderschönen Haus lebten und ihnen Plantagen gehörten, auf denen Macadamianüsse und Avocados angebaut wurden.

Clarissa konnte sich an jenen Tag, an dem sie Jerome das erste Mal begegnet war, noch ganz genau erinnern. Sie hatte gerade in ihrem Terminkalender geblättert, als Lucy sie über die Sprechanlage informierte, dass Mr. Jerome Hewitt gerade eingetroffen sei.

Clarissa, die wie gewöhnlich den Geschäftsführer erwartet hatte, war blass vor Schreck geworden, denn ihr Schreibtisch war unaufgeräumt und sie hatte den ganzen Morgen noch nicht in den Spiegel gesehen. Hastig hatte sie ihre Sekretärin gebeten, Mr. Hewitt etwas warten zu lassen.

„Wenn Sie das für richtig halten, werde ich es natürlich tun, Mrs. Montrose“, hatte Lucy spitz und mit offensichtlicher Missbilligung geantwortet.

Clarissa musste lächeln, als sie an Lucys Reaktion dachte – und an ihre eigene. Sie hatte nämlich hektisch die Akten auf ihrem Schreibtisch geordnet, ihr Leinenkleid glatt gestrichen und ihr Gesicht kritisch in dem Taschenspiegel betrachtet, den sie stets griffbereit in der Schublade aufbewahrte.

Sie hatte gerade noch Zeit gehabt, die Lippen nachzuziehen und sich mit dem Kamm durchs Haar zu fahren, als es auch schon klopfte.

Clarissa lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen. Als wäre es gestern gewesen, durchlebte sie die Gefühle von damals noch einmal …

„Mrs. Montrose, hier ist Mr. Hewitt.“ Lucy öffnete die Tür und ließ einen großen, schlanken Mann ein.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Hewitt.“ Clarissa stand auf und ging ihm entgegen.

„Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite, Mrs. Montrose“, antwortete Jerome Hewitt höflich, wobei er das „Mrs.“ leicht betonte und ihre ausgestreckte Hand ergriff. Aus leicht zusammengekniffenen Augen musterte er sie eingehend von Kopf bis Fuß.

Clarissa musste schlucken. Sie war sehr groß und es nicht gewöhnt, dass andere sie überragten, aber Jerome Hewitt war mehr als einen Kopf größer als sie. Er hatte graue Augen, ein interessantes, sonnengebräuntes Gesicht und dichtes rötlich braunes Haar, das ihm immer wieder in die Stirn fiel. Seine Figur war gut proportioniert, und man sah sofort, dass er regelmäßig Sport trieb. Zu Clarissas Erstaunen war Jerome Hewitt äußerst lässig gekleidet. Er trug ein kariertes Hemd, Chinos und Freizeitschuhe.

Noch mehr aber überraschte sie sein Alter, denn er konnte höchstens Ende dreißig sein. Während sie einander ansahen, herrschte ein derart gespanntes Schweigen, dass Lucy wie angewurzelt auf der Schwelle stehen blieb.

Clarissa ärgerte sich darüber. Sie ließ sich nicht anstarren, auch nicht vom Familienchef der Hewitts! Schnell entzog sie ihm ihre Hand. „Setzen Sie sich doch bitte, Mr. Hewitt“, bat sie höflich. „Dürfen wir Ihnen eine Erfrischung anbieten? Kaffee oder Tee?“ Sie lächelte verbindlich und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch.

„Ich hätte gern etwas Kaltes“, antwortete er.

„Aber natürlich! Und ich möchte gern einen Kaffee, Lucy.“ Nachdem die Sekretärin die Tür hinter sich geschlossen hatte, faltete Clarissa die Hände auf der Tischplatte. „Ich nehme an, Sie wollen sich mit mir über die Parzellierung unterhalten, Mr. Hewitt?“, fragte sie geschäftsmäßig.

„Nein.“

Clarissa sah ihn an, aber er schwieg und betrachtete sie immer noch äußerst interessiert, was sie zunehmend irritierte. Aber sie war in Verhandlungen zu erfahren, um ihn zu einer Aussage zu drängen. So wartete sie und blickte ihn nur erwartungsvoll an.

„Nein“, wiederholte er und lächelte flüchtig. „Nach allem, was ich gehört habe, sind Sie eine sehr fähige Rechtsanwältin, Mrs. Montrose – genau wie es mir Ihr Vater versicherte.“

Bei der Erwähnung ihres Vaters wurde es Clarissa noch unbehaglicher zumute, was sie sich jedoch nicht anmerken ließ. Sie neigte den Kopf und lächelte verbindlich.

Wieder wurde die Tür geöffnet, und Lucy erschien mit einem Tablett. Sie stellte ein Glas Mineralwasser, in dem Eiswürfel und eine Zitronenscheibe schwammen, vor Jerome Hewitt und eine Tasse Kaffee vor Clarissa. Umständlich suchte Lucy dann nach einem Platz für die Schüssel mit Keksen, und Clarissa wusste genau, dass ihre Sekretärin vor Neugier fast platzte. Aber dann gab es für Lucy wirklich nichts mehr zu tun, und sie musste notgedrungen den Raum verlassen.

Clarissa rührte gedankenverloren ihren Kaffee um und kam dann zu dem Schluss, dass Offenheit in diesem Fall wohl die beste Taktik sei. „Sie haben für beträchtlichen Aufruhr gesorgt, Mr. Hewitt, bei meinen Mitarbeitern und auch bei mir.“

„Das tut mir leid, Mrs. Montrose.“

„Das ‚Mrs.ʻ ist Lucys Idee, Mr. Hewitt.“ Clarissa war ärgerlich, dass er die Anrede wieder so seltsam betont hatte. „Sie meint, es klinge seriöser. Ich bin jedoch Single und nenne mich am liebsten ganz schlicht Clarissa Montrose.“

„Ich verstehe.“ Er nickte. „Um ehrlich zu sein, würde ich Sie auch lieber Clarissa nennen, das passt viel besser zu Ihnen. Ich heiße übrigens Jerome und bin kein Single – jedenfalls noch nicht. Und das ist genau der Grund, weshalb ich hier bin. Haben Sie schon einmal einen Scheidungsvertrag ausgearbeitet, Clarissa?“

„Schon etliche. Aber …“ Sie blickte ihn erstaunt an.

„Sie sind offensichtlich überrascht. Warum? Weil ich mich scheiden lassen will oder weil ich mich deshalb an Sie wende?“

„Wenn ich ehrlich bin, sowohl als auch.“

„Kennen sie meine Frau, Clarissa?“

„Ich habe sie noch nie getroffen. Natürlich habe ich schon von ihr gehört und Bilder von ihr in der Zeitung gesehen.“

Schon auf den unscharfen Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Lokalpresse hatte Clarissa erkannt, dass Serena Hewitt eine ungewöhnlich gut aussehende Frau sein musste. Doch als sie Serena vor einiger Zeit zufällig von Weitem beim Einkaufen gesehen hatte, war ihr klar geworden, dass sie in Wirklichkeit noch viel schöner war.

„Und Sie können sich sicherlich nicht vorstellen, warum ich mich von solch einer Frau trennen möchte“, sprach er ihre unausgesprochene Frage aus.

„Das habe ich nicht gesagt!“, wehrte sie sich, gab es aber dann doch zu. „Doch, Sie haben recht. Entschuldigung. Aber warum wollen Sie gerade mich mit dem Fall betrauen? Sie haben doch bestimmt einen Familienanwalt, der dafür viel geeigneter wäre.“

„Ich bin in dieser speziellen Angelegenheit für frisches Blut.“

Clarissa blickte skeptisch. „Ich würde natürlich Ihre Interessen nach bestem Wissen vertreten, Mr. Hewitt. Aber wenn Sie jemanden suchen, der Ihre wahren Vermögensverhältnisse verschleiert, um sich um den gesetzmäßigen Unterhalt zu drücken, muss ich Sie enttäuschen. Dafür bin ich nicht die geeignete Person.“

„Ich bin zu Ihnen gekommen“, erwiderte er kühl, „weil Sie einen klaren Verstand und ausgezeichnete Rechtskenntnisse haben, Mrs. Montrose, und aus keinem anderen Grund. Wir sind unserem alten Familienanwalt alle sehr zugetan, aber er wird alt, möchte sich zurückziehen und es sich nicht zum Schluss noch mit einem von uns verderben – was ich respektiere.“

„Oh.“ Mehr fiel Clarissa dazu nicht ein.

„Außerdem“, fuhr er fort, „bin ich selbstverständlich bereit, meiner Frau alles zu zahlen, was ihr zusteht, keinesfalls aber bin ich bereit, mir das Fell über die Ohren ziehen zu lassen. Und genau das hat Serena vor.“

„Ich verstehe.“

„Sind Sie Feministin, Clarissa?“

„Nicht mehr oder weniger als jede andere Frau auch“, antwortete sie unverbindlich.

„Ihr Vater sieht das anders.“

Sie biss sich auf die Lippe, um keine unhöfliche Antwort zu geben. „Wie gut kennen Sie eigentlich meinen Vater, Mr. Hewitt?“, fragte sie dann.

Dass Jerome Hewitt sich amüsierte, war nicht zu übersehen. Dennoch blieb seine Stimme ernst. „Gut genug, um seine sexistische Einstellung zu kennen. Trotzdem kann er seine Bewunderung für seine intelligente und erfolgreiche – wenn auch bedauerlicherweise feministische – Tochter nicht verbergen. Lassen Sie mich Ihnen versichern, Clarissa, wenn es Ihr Vater auch nie zugeben würde, aber er ist wahnsinnig stolz auf Sie.“

Clarissa errötete und senkte den Blick. „Mein Vater und ich waren uns noch nie einig, wenn es um die Rolle der Frau geht“, antwortete sie. „Woher kennen Sie ihn eigentlich?“, wollte sie dann wissen.

„Über meinen Vater, mit dem er sehr eng befreundet war. Die beiden waren in Vietnam in derselben Einheit. Wussten sie das nicht?“

„Doch. Es ist mir nur neu, dass mein Vater Sie kennt. Wenn ich recht informiert bin, ist Ihr Vater vor etwa einem Jahr gestorben.“

„Ja. Auf seiner Beerdigung habe ich mit Ihrem Vater über Sie gesprochen.“

„Ach so. Dann ist es Ihnen also egal, dass ich für ihn eine Feministin bin?“

„Das würde mich nur stören, wenn ich Sexist wäre, Clarissa. Außerdem werde ich nie vergessen, dass Ihr Vater meinem das Leben gerettet hat.“

Clarissa ärgerte sich über diese Bemerkung, zeigte es jedoch nicht. „Ich muss gestehen, dass ich mir meine Lorbeeren lieber selbst verdiene. Aber ich weiß, wie verbohrt und feministisch ein solches Geständnis klingen würde“, sagte sie ruhig und lächelte charmant. Es entging ihr dabei völlig, wie hingerissen Jerome Hewitt sie dabei betrachtete.

Clarissa Montrose hatte ihn nicht auf den ersten Blick fasziniert, das musste er zugeben. Außer ihren wunderbaren Augen war ihm nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Sie hatte ein schmales, intelligentes Gesicht, sehr helle und zarte Haut und trotz ihrer Größe eine anmutige Figur. Sie war keine Frau, nach der sich die Männer scharenweise auf der Straße umdrehten. Was sie so anziehend machte, waren ihr Wesen, ihre Intelligenz und ihr Humor, der sie auch nicht im Stich ließ, wenn sie sich ärgerte.

„Sie haben sich Ihre Lorbeeren selbst verdient, Clarissa“, bemerkte er. „Ganz egal, wie oft Ihr Vater meinem das Leben gerettet haben mag, Sie würden nicht mehr für uns arbeiten, wenn Sie Ihre Fähigkeiten nicht unter Beweis gestellt hätten.“

„Danke“, sagte sie schlicht.

„Konnte ich Sie davon überzeugen, dass Sie die richtige Anwältin für meine Scheidung sind?“

„Ich …“ Clarissa zögerte, griff dann aber energisch zu Stift und Notizblock. „Ja, ich werde Sie vertreten. Sie wissen bestimmt, dass Sie zwölf Monate getrennt leben müssen, bevor das Scheidungsurteil ausgesprochen werden kann. Die finanzielle Regelung während …“

„Wir leben schon länger als vorgeschrieben getrennt und haben auch die Schlichtungstermine bereits hinter uns.“

Clarissa überlegte. „Gibt es Kinder, die zu berücksichtigen sind?“

„Einen Sohn. Er ist sechs – fast sieben.“

„Wollen Sie das Sorgerecht beanspruchen?“

„Nicht, wenn meine Frau die Besuchszeiten großzügig regelt.“

Clarissa biss sich auf die Lippe und legte den Stift aus der Hand. „Mr. Hewitt, gerichtliche Auseinandersetzungen um Sorgerecht und Besuchszeiten schaden genau dem, dem sie nützen sollen – dem Kind. Dann nämlich, wenn sich die Eltern verbissen darum streiten. Es geht mich zwar nichts an, aber ich möchte Ihnen dringend raten, diese Dinge privat und einvernehmlich zwischen sich und Ihrer Frau zu regeln.“

„Das liegt auch ganz in meinem Interesse“, stimmte er ihr zu.

„Schön. Wenn Sie sich also bereits völlig sicher sind, dass Sie die Scheidung auch wirklich wollen, können wir jetzt anfangen, den gemeinsamen Besitz aufzuteilen“, schlug sie wie nebenbei vor, beobachtete Jerome Hewitt aber ganz genau dabei. Aus Erfahrung wusste sie, dass dieser Punkt ebenso problematisch war wie früher die Klärung der Schuldfrage. Es kam nicht selten vor, dass die Eheleute an dieser Stelle zögerten und es sich noch einmal anders überlegten.

Jerome schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Keine Angst, Clarissa, die Entscheidung steht. Hier ist eine Liste mit den Sachwerten, um die es geht.“

Eine halbe Stunde später wusste Clarissa nicht nur, dass Jerome Hewitt Macht über ein Wirtschaftsimperium besaß, sondern auch, dass er logisch denken konnte und gerecht und verantwortungsbewusst war. Serena Hewitt würde sich über die Höhe ihrer Abfindung wirklich nicht beklagen können.

Davon hingegen war Jerome nicht überzeugt. „Ob Sie es glauben oder nicht, Serena wird um jeden Blechlöffel kämpfen und völlig überzogene Ansprüche stellen. Zu verhindern, dass sie damit durchkommt, wird Ihre Aufgabe sein.“

„Natürlich.“ Clarissa blickte ihn verstohlen an, denn sein Urteil über Serena hatte hart und verächtlich geklungen.

Hiermit betrachtete Jerome Hewitt die Besprechung als abgeschlossen, vereinbarte einen neuen Termin mit Clarissa und verabschiedete sich.

Aus dem Fenster sah sie ihm nach, wie er mit seinem dunkelbraunen Geländewagen davonfuhr. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wohl gekommen sein mochte, dass Serena Hewitt diesen gut aussehenden, cleveren und reichen Mann unbedingt loswerden wollte?

Natürlich kann es auch sein, dass er die Trennung will, dachte sie und zog die Gardine wieder vor. Ihr Gefühl sprach jedoch dagegen – und die nächsten zwölf Monate bestätigten ihre Einschätzung.

Serena focht alle Regelungen an. Sie behauptete, Vermögen und Grundbesitz seien zu niedrig angesetzt, und sämtliche Möbel und Kunstgegenstände des Familiensitzes würden ihr gehören. Sie beanspruchte sogar die beiden Irischen Wolfshunde Paddy und Flynn, weil sie diese als Welpen gekauft habe. Clarissa musste selbst um die nebensächlichste Vereinbarung hart kämpfen.

Nur in einer Beziehung zeigte sich Serena erstaunlich großzügig. Sie hatte nichts dagegen, dass Jeromes Besuchsrecht derart ausgeweitet wurde, dass er seinen Sohn Sean praktisch zu jeder Zeit sehen konnte.

Aber endlich war der Vertrag bis in die letzte Einzelheit formuliert, und die Scheidung wurde rechtsgültig. Nach dem Gerichtstermin bedankte sich Jerome bei Clarissa. „Gut gemacht, kleine Fee. Darf ich Ihnen ein Essen spendieren?“

Clarissa war überrascht, denn bisher war ihre Beziehung rein geschäftlicher Natur gewesen – bis darauf, dass es Jerome ab und zu gefallen hatte, sie „kleine Fee“ zu nennen.

Jerome reagierte auf ihre skeptische Miene mit einem amüsierten Lächeln. „Falls Sie Gewissensbisse haben sollten, Mrs. Montrose, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich jetzt ein freier Mann bin. Außerdem haben Sie sich das beste Dinner, das man für Geld bekommen kann, redlich verdient. Sie haben gekämpft wie eine Löwin.“

Clarissa musste ein Lachen unterdrücken. „Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, aber es hat Tage gegeben, an denen ich wünschte, Sie würden ihr wenigstens diese verdammten Hunde lassen!“

Jerome schüttelte den Kopf. „Paddy und Flynn sind halbe Kälber. Wie Serena solche Hunde in einem Apartment mitten in Sydney halten will, ist mir ein Rätsel.“

„Wenn es so ist, nehme ich Ihre Einladung gern an, Mr. Hewitt.“

Von da an erwähnte Jerome Serena nie wieder, weder bei dem Essen am Tag der Scheidung noch bei dem einen Monat später.

„Ich möchte sie wieder sehen, Clarissa“, sagte er.

Sie sah ihn beim Schein der Kerzen aus ihren großen blauen Augen nachdenklich an.

„Natürlich nur, wenn Sie es auch wollen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass ich sehr oft an Sie denke – schon seit Monaten. Ich fand es bisher nur unpassend, mit Ihnen darüber zu reden.“ Er blickte ihr in die Augen.

Clarissa atmete schneller. Sie selbst hatte sich in letzter Zeit immer öfter eingestehen müssen, dass sie sich zu diesem Mann hingezogen fühlte. Sie hatte sich insgeheim gewünscht, Jerome Hewitt wäre ein freier Mann und nicht ihr Mandant. Viele Nächte hatte sie wach in ihrem Bett gelegen, auf das Rauschen des Meeres gehört und von ihm geträumt.

„Auch ich habe oft an Sie gedacht“, sagte sie schließlich langsam.

„Das haben Sie aber gut verborgen.“ Er lächelte leicht.

„Alles andere wäre unprofessionell gewesen.“

„Ihre Karriere bedeutet Ihnen sehr viel, nicht wahr?“

„Ja.“

„Ist das der Grund für Ihre Zurückhaltung?“, fragte er leise und legte seine Hand auf ihre.

„Nein. Es kommt nur so überraschend.“ Sie schluckte.

„Warum? Sie sind zwar sehr zurückhaltend, aber eine äußerst attraktive Frau, was Sie bestimmt wissen. Und wir kennen uns nicht erst seit gestern.“

Clarissa schluckte.

„Lassen Sie uns noch am Strand spazieren gehen“, schlug Jerome vor.

Sie brauchten nur die Straße zu überqueren, und schon waren sie am Meer. Barfuß, die Schuhe in der Hand, liefen sie durch den feuchten Sand. Wenn eine Welle kam, musste Clarissa den langen Rock ihres geblümten Kleides hochheben. Dann fanden sie eine Bank, auf die sie sich setzten und die Lichter der Schiffe beobachteten.

Jerome erzählte von seinem Großvater, wie er nur mit ein paar Pfund in der Tasche nach Australien gekommen war. Er sprach über Sean, der bald sieben wurde, überdurchschnittlich intelligent war und einen Streich nach dem anderen ausheckte. Er berichtete von seiner Arbeit auf den Plantagen und erklärte ihr, wie Macadamianüsse geerntet werden.

Clarissa hörte gebannt zu und entspannte sich allmählich. Dann erzählte auch sie von ihrer Kindheit und Studienzeit, von ihrer Heimatstadt Armidale, einer hübschen Kleinstadt im Tafelgebirge von Neusüdwales, fast vierhundert Kilometer südlich von Lennox Head. Ihr Vater besaß dort eine florierende Verkaufsagentur für Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen.

Sie berichtete Jerome, dass sie Einzelkind war und ihr Vater ihre sanfte und nachgiebige Mutter stets dominiere – was er auch bei ihr versucht habe. Das sei auch der Grund, warum ihr Verhältnis zu ihm so gespannt sei.

„Und der Grund für Ihren erstaunlichen Ehrgeiz“, bemerkte Jerome treffend.

Autor

Lindsay Armstrong

Lindsay Armstrong wurde in Südafrika geboren, und bis heute fasziniert sie der Kontinent sehr. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später machen wollte: Sie war entschlossen, Schriftstellerin zu werden, viel zu reisen und als Wildhüterin zu arbeiten.

Letzteres ist ihr zwar nicht gelungen, aber noch immer ist sie...

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