Verbotenes Verlangen nach deinen Küssen

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Holly ist hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und verzehrendem Verlangen, als sie ihren heimlichen Jugendschwarm Lukas Antonides zum ersten Mal nach Jahren wiedertrifft. Verzweifelt fragt sie sich: Wie kann sie sich bloß so unwiderstehlich zu dem attraktiven griechischen Tycoon hingezogen fühlen, wo doch ihr geliebter Ehemann erst jüngst verstorben ist? Sie hat nur eine Hoffnung: Dass die Sehnsucht nach Lukas’ zärtlichen Küssen für immer gestillt sein wird, wenn sie ihr endlich nachgibt - natürlich nur ein einziges Mal!


  • Erscheinungstag 12.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776367
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Heiraten ist anstrengend.“ Althea Halloran Rivera Smith Moore ließ sich auf den Rücksitz des Taxis fallen und schloss die Augen.

„Deshalb sollte man es auch nur einmal im Leben tun“, bemerkte Holly trocken, als sie zu ihrer Schwägerin in den Wagen stieg. Sie zog die Tür zu und nannte dem Fahrer ihre Adresse in Brooklyn.

Müde lehnte sie sich zurück, während das Taxi ausscherte, um sich in den regen Samstagnachmittagsverkehr im Herzen Manhattans einzureihen.

„Diese Kleider waren einfach scheußlich.“ Holly schüttelte sich noch nachträglich bei dem Gedanken an die bonbonfarbenen Kreationen, die sie den ganzen Tag über anprobiert hatte.

Nicht, dass die Brautjungfernkleider, die sie bei Altheas früheren Hochzeiten getragen hatte, weniger scheußlich gewesen wären.

„Ich schwöre, es ist das letzte Mal.“ Althea legte feierlich eine Hand an ihr Herz. „Ich bin eben einfach zu impulsiv.“

Seit Holly vor acht Jahren Altheas Bruder Matt geheiratet hatte, war Althea bereits drei Mal zum Traualtar marschiert. Und jedes Mal kurz darauf zum Scheidungsanwalt.

„Aber damit ist jetzt Schluss“, versprach sie. „Diesmal ist alles anders. Stig ist anders.“

Der schwedische Hockeyprofi Stig Mikkelsen hatte mit Altheas Ex-Ehemännern, einem ungeselligen Arzt, einem redseligen Börsenmakler und einem abgehobenen Professor, nichts gemeinsam. Stig war vor sechs Monaten in Altheas Leben getreten, hatte sie mit seinem Charme erobert und ein Nein als Antwort nicht gelten lassen. Er hatte sie sogar von ihrem eisernen Vorsatz abgebracht, nie mehr vor den Altar zu treten. Vor allem aber hatte er aus ihr wieder die muntere, lebenslustige Frau gemacht, die sie vor ihren drei missglückten Ehen gewesen war.

Das allein machte ihn in Hollys Augen zu einem Helden. Daher hatte sie auch zähneknirschend zugestimmt, als Althea sie gebeten hatte, bei ihrer Hochzeit doch bitte, bitte ihre liebste und einzige Brautjunger zu sein und sogar stillschweigend in Kauf genommen, sich noch ein weiteres Mal in ein raschelndes, kitschiges Etwas von einem Kleid zwängen zu müssen. Doch obwohl sie dieses Mal nur zu zweit waren und die komplette Tüll- und Rüschenkollektion von ganz Manhattan besichtigt hatten, war das perfekte Brautjungfernkleid einfach nicht aufzutreiben gewesen.

„Stig wird wissen, was wir brauchen. Vielleicht nehme ich ihn das nächste Mal mit.“

„Ja, er ist ein toller Typ“, stimmte Holly zu. Wenn er jetzt noch mit Althea die Boutiquen abklapperte, war er endgültig reif für die Heiligsprechung.

„Und seine Teamkollegen sind auch nicht übel“, meinte Althea vielsagend. „Es sind einige Singles darunter.“

„Vergiss es“, sagte Holly fast automatisch und hielt sich ihre Tasche wie ein Schutzschild vor die Brust. „Kein Interesse.“

„Du weißt doch gar nicht, worauf ich hinaus will“, protestierte Althea beleidigt, besaß aber immerhin den Anstand, verlegen den Blick zu senken, als Holly die Augenbrauen hochzog. „Manche von denen sind richtig nett.“

„Bestimmt, aber ich bin nicht interessiert.“

„Du bist noch keine dreißig, Holly. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir!“

„Ich weiß.“ Holly wusste nur zu gut, wie erfüllt ihr Leben noch hätte sein können – und wie leer es nun war. Mit zusammengepressten Lippen wandte sie sich ab und beobachtete den vorbeifließenden Verkehr.

Althea tätschelte ihr sanft das Knie. „Ich weiß, er fehlt dir. Er fehlt uns allen.“

Sie meinte Matt, ihren Bruder. Hollys Ehemann.

Mit dreißig Jahren hatte Matthew David Halloran alles gehabt, wofür es sich zu leben lohnte. Er war klug, witzig, gut aussehend und ein begeisterter Basketballspieler. Er liebte seine Arbeit als Kinder- und Jugendpsychologe, liebte das Leben – und vor allem seine Frau.

Holly konnte gar nicht zählen, wie oft er ihr gesagt hatte, dass er sie liebte. So auch an jenem Samstagmorgen vor zwei Jahren und vier Monaten, bevor er zum Basketballspielen mit seinen Kumpels aufbrach. Er beugte sich zu ihr, als sie noch verschlafen im Bett lag, küsste sie auf den Mund und sagte: „Ich liebe dich über alles, Hol.“

Holly griff nach seiner Hand, drückte die Lippen in seine Handfläche und fragte neckisch: „Beweist du es mir?“

„Du kleine Verführerin“, erwiderte er und verzog bedauernd das Gesicht. „Ich bin gegen Mittag zurück. Behalt den Gedanken im Kopf.“

Es war das Letzte, was er jemals zu ihr gesagt hatte. Zwei Stunden später brach Matt tot auf dem Spielfeld zusammen. Ein unentdecktes Aneurysma war die Ursache, ein lautloser Killer, der nur darauf gewartet hatte, aus dem Hinterhalt zuzuschlagen.

Für Holly brach eine Welt zusammen.

Zuerst fühlte sie wie betäubt, konnte es einfach nicht glauben. Doch nicht Matt! Das durfte nicht sein. Er war doch kerngesund gewesen, stark wie ein Pferd, immer am Ball, hatte sein ganzes Leben noch vor sich gehabt!

Bis sie irgendwann begriff, dass sie es war, die ihr Leben noch vor sich hatte. Allein, ohne Matt. Ein Leben, das sie so nicht geplant hatte.

Es begann eine schwere Zeit für sie. In den ersten Monaten wollte sie immerzu nur weinen, aber das ging nicht. Sie musste ihre Klasse unterrichten, eine Schar verstörter Fünftklässler, ihnen Halt und Orientierung geben. Die Kinder hatten Matt gekannt, denn Holly und er hatten ihnen an den Wochenenden Kajak- und Kanufahren beigebracht. Holly musste ihnen ein Vorbild sein, damit auch sie ihre Trauer bewältigen konnten.

Matt, der Psychologe, hätte das ganz sicher gewollt.

Also hörte sie auf, sich in ihrem Kummer zu vergraben, wischte sich die Tränen aus den Augen und setzte tapfer lächelnd wieder einen Fuß vor den anderen. Ganz allmählich fand sie in ein normales Leben zurück, auch wenn es für sie nie wieder normal sein würde. Nicht, wenn Matt nicht mehr da war, um es mit ihr zu teilen.

So gut sie ihren Alltag zu meistern lernte, so wenig war sie darauf gefasst, als Familienmitglieder und Freunden anfingen, sie mit einem neuen Mann verkuppeln zu wollen. Holly wollte keinen neuen Mann. Sie wollte ihren Mann zurück.

Doch die anderen hörten nicht auf damit. Althea ließ seit dem Sommer immer öfter eindeutige Bemerkungen in dieser Richtung fallen. Hollys Bruder Greg, der als Anwalt in Boston arbeitete, brachte plötzlich einen sympathischen Kollegen ins Spiel, den sie unbedingt kennenlernen sollte. Und Hollys Mutter, selbst geschieden und gar nicht gut auf Männer zu sprechen, empfahl ihr eine Kreuzfahrt für Singles.

Selbst Matts Eltern hatten ihr neulich gut zugeredet, ihr Leben weiterzuleben, weil Matt es nicht anders gewollt hätte.

Und Holly hatte immer getan, was Matt wollte. Das war das Problem.

„Immerhin triffst du dich mit Paul“, stellte Althea jetzt fest und beförderte Holly ins Hier und Jetzt zurück.

„Ja.“ Die beste Strategie, übereifrige Verwandte und Freunde in Schach zu halten, war, sich zum Schein auf ihre Ratschläge einzulassen. Also hatte Holly wieder angefangen auszugehen, und zwar mit Paul.

Paul McDonald war charmant, gut aussehend und klug. Er war Psychologe, genau wie Matt. Aber er war nicht Matt, konnte ihr also nicht gefährlich werden. Dafür bewahrte er sie vor weiteren Verkuppelungsversuchen. Und sie musste auch keine Angst haben, ihn zu enttäuschen, denn Paul hatte seit seiner lange zurückliegenden Scheidung eine äußerst zynische Einstellung zur Ehe.

„Wenn du Paul heiratest“, erklärte Althea in völliger Verkennung von Pauls Absichten, „musst du dich nicht auf ein einsames Atoll in der Südsee verkriechen. Ich verstehe nicht, wie du das überhaupt in Erwägung ziehen kannst.“

Sie spielte auf Hollys Plan an, für das Friedenskorps zu arbeiten. Holly hatte sich im letzten Herbst dort beworben, als sie die Leere nicht länger ertrug und das Gefühl verspürte, ihrem Leben einen neuen Sinn geben zu müssen. Nun hatte sie das Angebot erhalten, für zwei Jahre auf einer kleinen Insel im Pazifischen Ozean als Lehrerin zu arbeiten. Anfang August startete das Vorbereitungsseminar auf Hawaii.

„Ich ziehe es nicht nur in Erwägung, ich bin fest entschlossen, es zu tun“, stellte sie klar.

„Und Paul kann dich nicht davon abhalten?“

„Nein.“

„Irgendjemand sollte es aber tun“, sagte Althea grimmig. „Paul ist viel zu weich. Du brauchst einen Mann, der dir Kontra gibt.“ Sie setzte sich kerzengerade auf, ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen. „Einen wie Lukas Antonides.“

„Wie bitte? Wie wer?“

„Du erinnerst dich doch an Lukas, oder?“ Plötzlich kam wieder Farbe in Altheas blasse Wangen.

Auch Holly spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Ihr ganzer Körper schien sich um einige Grad aufzuheizen. „Ja, natürlich.“

„Du bist ihm immer nachgelaufen.“

„Stimmt doch gar nicht. Ich bin Matt nachgelaufen.“ Und Matt, der Dussel, war eben immer dort, wo Lukas war.

Lukas Antonides, der Neue im Viertel, hatte sich binnen kürzester Zeit als wahrer Rattenfänger erwiesen. Er und Matt waren elf, als sie sich kennenlernten, Holly neun.

„Ach, Lukas“, schwärmte Althea verzückt. „Er war so ein kerniger Typ. Ist er übrigens immer noch.“

„Woher weißt du das?“, fragte Holly beunruhigt. „Meines Wissens treibt er sich irgendwo im Outback herum.“

Lukas lebte seit sechs Jahren in Australien, davor hatte er mehrere europäische Länder bereist. Griechenland, Schweden, Frankreich. Nicht, dass Holly seinen Werdegang so genau verfolgt hätte. Aber Matt hatte es getan.

Seit Matts Tod war sie nicht mehr auf dem Laufenden, was Lukas betraf. Er hatte damals eine Beileidskarte geschickt, nur mit seinem Namen darauf, nichts weiter. Kein einziges persönliches Wort, nur seine schwungvolle Unterschrift unter dem gedruckten Text. Holly war es recht gewesen.

Sie hatte nicht erwartet, dass er zur Beerdigung kam. Der Weg war zu weit. Zum Glück. So musste sie sich in ihrem Unglück nicht auch noch mit ihm befassen.

Inzwischen war es zwölf Jahre her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wie kam Althea denn jetzt ausgerechnet auf Lukas? Einen Mann, der irgendwo im australischen Hinterland Opale ausbuddelte, mit Kängurus boxte – oder was immer er gerade trieb.

„Er ist wieder da“, frohlockte ihre Schwägerin. „Hast du den Artikel in What’s new! nicht gelesen?“

Hollys Magen zog sich zusammen. „Nein.“ Am Ende des Schuljahrs hatte sie keine Zeit, etwas anderes als Klassenarbeiten zu lesen, schon gar keine hippen Lifestyle-Magazine. Mit denen konnte sie ohnehin nichts anfangen.

Für Althea dagegen waren die Hochglanzblätter Pflichtlektüre, seit sie mit Stig verlobt war. Manchmal kam sie sogar selbst darin vor.

„Scharfer Artikel, sag ich dir. Genauso scharf wie er“, erzählte sie begeistert. „Mit doppelseitigem Foto und einem ausführlichen Bericht über seine Stiftung und seine Galerie.“

„Stiftung? Galerie?“ Holly sah ihre Schwägerin verständnislos an.

„Ja! Er will eine Galerie für australische, neuseeländische und pazifische Kunst in New York eröffnen. Damit mischt er die Kunstszene ganz schön auf. Und eine Stiftung hat er auch gegründet.“

„Lukas?“ Seine Ambitionen auf dem Kunstmarkt und der Artikel von ihm in What’s new! waren schon erstaunlich genug, aber Lukas und Wohltätigkeit? Das konnte Holly sich beim besten Willen nicht vorstellen.

„Steht alles in der neuesten Ausgabe. Er ist sogar auf dem Cover abgebildet. Sie zeigen auch ein paar seiner Ausstellungsstücke. Höchst interessant.“ Althea lächelte breit. „Genau wie er.“

Holly verzog keine Miene. „Wie schön für ihn.“

Althea schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Was hast du denn gegen ihn? Ich denke, ihr wart Freunde!“

„Er war Matts Freund, nicht meiner.“

Lukas’ Einzug in die Nachbarschaft hatte Hollys ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Bis dahin waren Matt und sie beste Freunde gewesen, doch kaum erschien Lukas auf der Bildfläche, war sie plötzlich ein lästiges Anhängsel. Für Lukas jedenfalls.

Matt ließ sie zumindest nicht ganz fallen. Der treue, zuverlässige Matt bestand darauf, dass sie weiterhin Freunde waren. Doch als Lukas‘ Vater die Jungen zum Segeln einlud, durfte Holly nicht mit.

„Geh, und spiel mit Martha“, hatte Lukas sie abgefertigt. Wie immer.

Seine Zwillingsschwester Martha verbrachte Stunden damit, alles zu skizzieren, was ihr unter die Augen kam, während Holly ohne Lineal nicht mal ein Strichmännchen zustande brachte. Sie ging lieber schwimmen, Ball spielen, Frösche fangen, Fahrrad fahren. Sie mochte alles, was Matt mochte.

Alles außer Lukas.

War die Freundschaft zu Matt so vertraut und bequem wie ein altes Paar Schuhe, so glich der Umgang mit Lukas einem Tanz auf dem Vulkan. Lukas war gefährlich. Unberechenbar. Faszinierend in der Art, wie es ein bengalischer Tiger war. Und Holly war einfach nicht an ihm vorbeigekommen.

Jetzt war er also wieder da. Nach all den Jahren! Nun, seine Rückkehr bestärkte sie nur in ihrem Vorhaben, von hier fortzugehen.

„Offenbar hat er mit seiner Opalmine ein Vermögen gemacht“, berichtete Althea, „und sein Geld weltweit investiert. Er hat seine Finger überall drin, dein Lukas.“

„Er ist nicht mein Lukas“, sagte Holly spitz.

„Überleg dir das gut.“ Althea schien es tatsächlich ernst zu meinen. „Er sieht besser aus als je zuvor. Und er hat diese animalische Ausstrahlung …“ Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu. „Ein echt heißer Typ.“

„Heißer als Stig?“

„Keiner ist heißer als Stig! Aber er hat jede Menge Sex-Appeal, dieser Lukas.“

„Und ich bin sicher, er weiß es.“ Er hatte es immer gewusst. Seit er angefangen hatte, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, war er bei Frauen so erfolgreich wie ein Hai auf Beutezug in einem Heringsschwarm.

„Triff dich doch mal mit ihm, um der alten Zeiten willen.“

„Lieber nicht.“ Holly atmete erleichtert auf, als das Taxi in ihre Straße einbog.

„Wie du willst.“ Althea zuckte mit den Schultern. „Aber ich würde ihn Paul jederzeit vorziehen.“

„Meinen Segen hast du.“

„Nein danke, ich bin bestens versorgt“, erwiderte Althea mit dem glücklichen Lächeln einer frisch Verliebten.

Das war ich auch, dachte Holly traurig, sprach es aber nicht aus. Warum sollte sie Althea Schuldgefühle einimpfen, nur weil die ihren Traummann gefunden und sie den ihren verloren hatte? „Dann halt ihn gut fest.“ Sie zog ihr Portemonnaie hervor, um ihren Anteil an der Taxifahrt zu bezahlen, doch Althea winkte ab.

„Lass nur, das übernehme ich. Schade, dass wir nichts gefunden haben. Vielleicht können wir nächsten Samstag …“

„Geht nicht, da gebe ich wieder Kajakunterricht.“ Holly hatte das Training nur ihrer Schwägerin zuliebe heute ausfallen lassen.

„Dann frage ich Stig. Traust du mir zu, dein Kleid allein auszusuchen?“

Holly schluckte. Sie sollte Althea die Wahl ihres Kleides überlassen? Der Althea, die sie schon drei Mal ausstaffiert hatte wie ein Cupcake mit rosa Zuckerguss?

Sie überwand sich, setzte ihr sonnigstes Brautjungfernlächeln auf und erwiderte: „Ich vertraue dir voll und ganz. Es ist deine Hochzeit. Ich zieh an, was immer du willst.“

Althea nahm sie in die Arme, drückte sie und sah sie liebevoll an. Ihre Augen waren genauso haselnussbraun wie die von Matt. „Danke, dass du mir so treu zur Seite stehst. Ich weiß, die letzten beiden Jahre waren hart für dich, und es wird nie mehr so sein wie früher. Für keinen von uns. Aber Matt würde wollen, dass du wieder glücklich bist.“

Hollys Kehle wurde eng, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ja, verdammt! Genau das würde Matt wollen.

Matt hatte nie lange Trübsal geblasen. Egal, was passiert war – er hatte stets das Beste daraus gemacht. Und dasselbe würde er auch von ihr erwarten.

„Du findest schon noch den Richtigen“, rief Althea ihr nach, als sie ausstieg. „Sieh mich an! Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, und da kam Stig.“

„Aber sicher.“ Holly drehte sich um und lächelte gezwungen.

„Wer weiß“, fügte Althea augenzwinkernd hinzu, „vielleicht ist es ja Lukas.“

Lukas Antonides hatte sich in New York City immer zuhause gefühlt. Diese Stadt mit ihrer Hektik, ihrem Lärm und ihren Farben war sein Lebenselixier gewesen. Nun bereitete sie ihm Kopfschmerzen.

Vielleicht weniger die Stadt als das, was hier auf ihn zukam.

Lukas scheute weder harte Arbeit noch Verantwortung. Allerdings hatte er bisher immer gewusst, dass er jederzeit gehen konnte, wenn ihm danach war. Die Galerie jedoch konnte er nicht einfach aufgeben. Er wollte es auch gar nicht. Aber Hoffnungsträger und Ansprechpartner für all die Künstler und Handwerker zu sein, die von seinem Projekt abhängig waren, setzte ihn enorm unter Druck. Zumal er es in den letzten Jahren sorgsam vermieden hatte, für jemand anderen als sich selbst Verantwortung zu übernehmen.

Er liebte es, sich körperlich zu betätigen. Sich mit Leib und Seele für eine Sache einzusetzen war der Motor, der ihn antrieb. Also hatte er beschlossen, bei der Renovierung der Ausstellungsräume und der darüber liegenden Büros und Wohnungen selbst Hand anzulegen. Vor drei Monaten hatte er das Haus in SoHo gekauft, einen klassischen Cast-Iron-Altbau mit gusseisernen Verstrebungen. Nun rückte die Ausstellungseröffnung näher, und ihm drohte die Zeit davonzulaufen.

Und dann war da noch seine Mutter. Seit seiner Rückkehr aus Australien fragte sie bei jeder Frau, die er auch nur beiläufig erwähnte, ganz unverblümt und gar nicht sotto voce: „Und, ist sie die Richtige?“ Er wusste ja, dass sie sich händeringend eine weitere Schwiegertochter wünschte. Das taten griechische Mütter nun einmal. Alle seine Geschwister waren inzwischen verheiratet und fleißig damit beschäftigt, Enkelkinder zu produzieren.

Nur er war noch Single.

„Ich heirate, wenn ich so weit bin“, pflegte er zu erwidern, wobei er selbst nicht mehr recht daran glaubte. Der Zug war für ihn abgefahren.

Am meisten Kopfzerbrechen bereiteten ihm die Berge von Bewerbungen um ein Stipendium der MacClintock-Stiftung, mit deren Leitung er zu seinem Leidwesen betraut war.

„Hier sind noch ein paar“, verkündete seine Assistentin Serafina ironisch und lud einen weiteren turmhohen Stapel auf seinem Schreibtisch ab.

Lukas stöhnte. Der stechende Schmerz hinter seiner Stirn war unerträglich. Für diese Art von Arbeit war er einfach nicht geschaffen. Er war ein Macher, kein Bürohengst. Skeet hatte das genau gewusst.

Und doch hatte es den verstorbenen Alexander „Skeet“ MacClintock, seinem Freund und Mentor beim Opalschürfen in Australien, nicht davon abgehalten, ihn als Leiter der Stiftung einzusetzen. Er war zu Recht davon ausgegangen, dass Lukas sich der ehrenvollen Aufgabe, „jungen Leuten eine helfende Hand zu reichen, damit sie in die Gänge kommen“, nicht verweigern würde.

Denn Skeet hatte auch ihm die Hand gereicht. Und dafür musste er sich, verdammt noch mal, revanchieren.

Jetzt lächelte Lukas schwach. „Danke, Sera.“

„Das sind noch nicht alle.“

„Verschonen Sie mich.“

Sera lächelte milde. „Sie schaffen das schon.“

Seufzend schlug er die Augen nieder. Er war es Skeet schuldig, diese Aufgabe zu bewältigen. Der alte Mann, Exil-New Yorker wie er selbst, hatte genau die grantige Beharrlichkeit an den Tag gelegt, die vor sechs Jahren nötig gewesen war.

Damals teilten sie sich einen Claim im australischen Outback, wo es im Sommer sengend heiß und im Winter klirrend kalt war. Skeet hätte ihn jederzeit wegjagen können. Lukas hätte jederzeit gehen können.

Was er auch hin und wieder tat. Er heuerte auf einer Jacht oder einem Schoner an und war monatelang unterwegs. Nie sagte er, dass er wiederkäme. Nie hatte er es vor. Doch bei aller Abenteuerlust und Sprunghaftigkeit war das Leben als Opalschürfer mit der Mischung aus unbegrenzten Möglichkeiten und handfester Arbeit genau das Richtige für ihn. Es weckte seinen Ehrgeiz und dämpfte seine Rastlosigkeit. Unter dem australischen Himmel konnte er zum ersten Mal seit Jahren nachts wieder ruhig schlafen.

Doch dann starb Skeet und machte ihn zu seinem Verwalter. Anfangs dachte Lukas sich nichts dabei. Er musste Skeets Besitz verteilen, mehr nicht. Besitz, der reichlich vorhanden war, wie er wusste. Wovon er nichts gewusst hatte, waren die Pläne für eine gemeinnützige Stiftung. Eine Stiftung „für arme New Yorker Teufel, die wen brauchen, der an sie glaubt, damit sie an sich selbst glauben“, wie Skeet sich ausgedrückt hatte.

Wer hätte gedacht, dass sein alter Freund so sentimental veranlagt war? Lukas jedenfalls nicht. Allerdings hätte ihm klar sein müssen, dass es einen Massenansturm auf die Fördergelder geben würde, sobald die Nachricht die Runde machte. Seit der Veröffentlichung des Artikels in What’s new! schleppte der Postbote die Briefe säckeweise an.

In dieser Situation hatte sich Serafina als wahrer Glücksgriff erwiesen. Die gestandene Frau Mitte fünfzig und Mutter von sieben Kindern konnte mühelos eine ganze Kompanie von Handwerkern dirigieren, mit verschrobenen Künstlern verhandeln, bei den Bewerbungen die Spreu vom Weizen trennen und nebenher noch das Telefon bedienen. Und das alles mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Lukas, ein völliger Versager in Sachen Multitasking, war sofort schwer beeindruckt von ihr gewesen.

Daran dachte er, als er sich nun den nächsten Bittbrief vornahm. Es war Anfang Juni. Die Frist lief erst in zwei Wochen ab, und schon jetzt lagen unzählige Bewerbungen vor. Er musste entschieden schneller lesen.

Er starrte auf das Schreiben, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen. Seine Lider wurden schwer und schwerer …

„Grace hat angerufen.“

Lukas hob ruckartig den Kopf. „Wie bitte?“

Sera stand in der offenen Tür und musterte ihn stirnrunzelnd. „Sie erwartet Sie um viertel vor acht bei ihrer Großmutter. Sind Sie eingeschlafen?“

„Ach was, mir war nur langweilig.“ Er war tatsächlich eingedöst.

„Dann fahren Sie doch zu Grace. Mit ihr ist es sicher nicht langweilig“, meinte Sera verschmitzt lächelnd.

„Nein, ich muss das hier noch zu Ende bringen. Aber machen Sie ruhig Feierabend.“

„Ja, gleich. Ich sehe nur noch ein paar Briefe durch. Keine Sorge, Sie packen das schon!“, meinte Sera in ihrem mütterlich-patenten Ton und zog die Tür hinter sich zu.

Lukas stand auf, reckte die Glieder und versuchte, sich auf den Abend mit Grace zu freuen. Eigentlich hätte ihm das nicht schwerfallen dürfen.

Grace war bezaubernd. Seine Mutter war begeistert von ihr. Sera auch. Jeder mochte Grace Marchand. Sie sprach fünf Sprachen fließend, besaß einen Abschluss in Kunstgeschichte und Museumskunde und organisierte Ausstellungen für eins der größten Kunstmuseen der Stadt. Grace war blond, blauäugig und bildschön. Sie sah genauso aus, wie ihre Großmutter vor einem halben Jahrhundert ausgesehen haben musste. Skeet hätte sich sofort in sie verliebt.

Lukas hatte sie ein paar Mal ausgeführt – zum Dinner, in ein Konzert, zu einer Charity-Gala, zu einem Familienessen. Sie war eine angenehme Gesellschafterin und wusste, welche Gabel man wofür benutzte, was Lukas nicht unbedingt von sich behaupten konnte. In der neuen Rolle, die er in der New Yorker Gesellschaft einnahm, kam ihm das sehr gelegen. Doch was immer Skeet für ihn geplant hatte und was immer seine Mutter diesbezüglich für Hoffnungen hegte, er würde Grace nicht heiraten.

Womit wir wieder beim Thema wären, dachte er ärgerlich. Jetzt brummte ihm erst recht der Schädel.

Die Tür sprang auf, und wieder kam Sera herein, einen offenen Briefumschlag schwenkend.

„Wollten Sie nicht längst weg sein?“, fragte Lukas gereizt.

„Bin schon unterwegs. Aber ich glaube, das hier sollten Sie sehen.“

„Bitte nicht noch eine Bewerbung“, winkte er ab. „Mein Bedarf ist gedeckt. Ich habe das Gefühl, jeder Einwohner von New York City will ein halbe Million von mir.“

„Diese Dame nicht. Sie gibt sich mit einem halben Boot zufrieden.“

Lukas zuckte zusammen. Ein halbes Boot? Mit zwei Schritten war er bei Sera und riss den Brief an sich.

Es gab nur eine Frau auf der Welt, die ihn um ein halbes Boot bitten würde.

Holly.

Nach all den Jahren! Mit klopfendem Herzen starrte er auf ihre Unterschrift auf dem formell wirkenden elfenbeinfarbenen Briefbogen.

Holly Montgomery Halloran. Die Unterschrift war so klar und schnörkellos wie die Frau, von der sie stammte. Das Schreiben trug den Briefkopf der St. Brendan’s School in Brooklyn, New York. Es war die Schule, an der Holly unterrichtete, wie Lukas aus Matts Erzählungen wusste. Der Brief selbst war kurz, doch bevor Lukas ihn lesen konnte, flatterte ein Foto aus dem Umschlag. Ein Foto von einem Segelboot.

Lukas fing es auf und betrachtete es wehmütig. Der Schmerz schien ein faustgroßes Loch in seine Brust zu reißen, so groß wie das Loch, das sich einst im Rumpf dieses Bootes befunden hatte. Jemand – vermutlich Matt – hatte es geflickt, doch der Mast war immer noch gebrochen, und viele Planken waren verrottet. Es gab noch einiges daran zu tun.

„Ist das Ihr Boot?“, fragte Sera.

„Zur Hälfte, ja.“ Lukas’ Stimme klang wie eingerostet.

„Welche Hälfte?“, scherzte sie, fügte aber, als sie keine Antwort bekam, verständnisvoll hinzu: „Ich dachte mir schon, dass Sie diese Holly kennen.“

„Ja.“

Autor

Anne McAllister
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