Verlobung unterm Mistelzweig

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Auf ihrem Wunschzettel stehen nur zwei Namen: Rick und Tessa. Andrea ist rettungslos verliebt, seit der Single-Dad mit seiner süßen Tochter ihren festlich geschmückten Spielzeugladen betreten hat! Aber um Rick zu erobern, braucht es mehr als einen Mistelzweig …


  • Erscheinungstag 01.12.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759971
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Nur noch zwei Wochen bis Weihnachten und noch so viel zu erledigen!

Beispielsweise mussten die Waren der letzen Lieferung noch im Schaufenster dekoriert werden. Der Hänsel und Gretel Shop mit Sitz in der Lemon Street in der Innenstadt von Providence auf Rhode Island verkaufte zwar das ganze Jahr über handbemaltes Holzspielzeug, Nussknacker sowie Trachtenkleidung für kleine Mädchen und Jungen, doch zur Weihnachtszeit gab es ganz besonders viel zu tun.

Andrea Fleming trank den letzten Schluck ihren Morgenkaffees, zog rasch einen marineblauen Wollrock und einen farblich passenden langärmeligen Pullover über, auf dem ein Snoopy mit Weihnachtsmütze gedruckt war, und bürstete sich das schulterlange goldblonde Haar. Anschließend schlüpfte sie in ihre bequemen Keilabsatzschuhe und ging die Treppe ins Geschäft hinunter.

Seit dem Tod ihres Mannes vor vierzehn Monaten lebte sie hier. Gunter und sie waren lediglich drei Wochen miteinander verheiratet gewesen und hatten bei seinen Eltern in Braunschweig in Deutschland Urlaub gemacht, als ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Andrea hatte zwar überlebt, allerdings schwere Verletzungen davongetragen.

Nach dem Unglück hatte ihre Mutter ihr hilfreich zur Seite gestanden, bis Andrea sich so weit erholt hatte, dass sie den Flug nach Übersee wagen konnte. Nach ihrer Heimkehr hatte sie jedoch keinen Mann mehr und jegliche Hoffnung verloren, jemals Kinder bekommen zu können.

Obwohl ihre Mutter, die sich schon vor Jahren hatte scheiden lassen, sehr gerne gesehen hätte, wenn ihre Tochter wieder bei ihr eingezogen wäre, war Andrea lieber in das Loft über dem Hänsel und Gretel Shop eingezogen. An diesem Ort, der für sie schon immer einen magischen Zauber ausgestrahlt hatte, fühlte sie sich Gunter näher.

Dreiundzwanzig Jahre alt war sie gewesen, als er zum ersten Mal anstelle seines Vaters Waren in ihr familiengeführtes Geschäft gebracht hatte. Gunters Großeltern stammten aus Braunschweig und hatten damit begonnen, weltweit mit den berühmten Nussknackern und Holzpyramiden zu handeln. Gunter hatte einfach umwerfend ausgesehen mit seinem dunkelblonden Haar und den strahlend blauen Augen, und Andrea hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Noch im selben Jahr waren sie vor den Traualtar getreten.

Der Hochzeitsempfang hatte hier in Providence mit all ihren Freunden und Verwandten stattgefunden. Gunters Familie hatte einen weiteren Empfang in Deutschland ausgerichtet. Für beide Familien war es die perfekte Hochzeit gewesen.

Natürlich hatte niemand den Verkehrsunfall vorhersehen können, der Andreas Mann das Leben gekostet hatte. Von einem Augenblick zum anderen hatte sie ihren geliebten Mann und die Fähigkeit verloren, jemals Kinder empfangen zu können. Unwillkürlich musste sie schluchzen.

Denk jetzt bloß nicht weiter darüber nach, Andrea.

Nachdem sie einen Blick aufs Thermostat geworfen hatte, um sicherzustellen, dass es im Geschäft auch warm genug war, ging sie in den hinteren Teil des Ladens und begann, die Kisten auszupacken, die am Nachmittag des Vortages geliefert worden waren. Gleich in der ersten befand sich ein wundervoll geschnitzter Kinderschaukelstuhl, den sie neben den Weihnachtsbaum in ihr Schaufenster stellte, dessen Dekoration die Werkstatt von Santa Claus nachempfand. Auf diesen Stuhl musste jemand ganz Besonderes Platz nehmen.

Im Geschäft befanden sich Dutzende von Puppen, Stoffelfen und Weihnachtsengel. Jede einzelne von ihnen würde entzückend darin aussehen, und Andrea beschloss, darüber nachzudenken, für welche sie sich entscheiden wollte, während sie weiter auspackte.

„Oh!“, rief sie entzückt aus, als sie den letzten Karton geöffnet hatte und eine etwa neunzig Zentimeter große Puppe von einem Lebkuchenmann darin fand. Er war aus schokoladenfarbigem Stoff gefertigt und trug ein Band aus grüner, roter und goldfarbener Seide mit einem kleinen goldenen Glöckchen dran um den Hals.

Große, hellblaue Knöpfe stellten seine Augen dar, und sein Mund war aus rotem Garn genäht und schien schelmisch zu lächeln, als wolle er triumphierend sagen: „Lauf ruhig, so schnell du kannst, aber du fängst mich nicht. Ich bin der Pfefferkuchenmann!“ Die Außenkanten seines Körpers waren mit einer dekorativen weißen Naht verziert.

„Du bist einfach perfekt!“, rief Andrea begeistert und befestigte ein Preisschild an der Puppe. „Wenn Gunter nicht bei diesem Unfall gestorben wäre, dann hätten wir jetzt einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen, dem du genauso gut gefallen würdest wie mir.“ Sie spürte, wie Tränen des Bedauerns in ihr hochstiegen und die Trauer sie wieder zu überwältigen drohte.

Natürlich wusste sie, dass dieses Geschäft mit all seinen Dingen für kleine Menschen sie ständig an ihren Verlust erinnern würde. Doch der Laden war auch ein Familienschatz und ein Erbe, das sie von Herzen liebte – und sie konnte außerdem mit ihrer wundervollen Mutter zusammenarbeiten, die alles tat, um ihrer Tochter bei der Bewältigung ihrer Trauer zu helfen.

Eigentlich hatte Andrea gedacht, dass es ihr zwischenzeitlich schon wieder ein wenig besser ging, aber aus irgendeinem Grund berührte dieser Lebkuchenmann sie ganz besonders. In bittersüßen Zeiten wie diesen musste sie heftig dagegen ankämpfen, sich nicht von dem schrecklichen Schmerz darüber zu überwältigen zu lassen, niemals eigene Kinder haben zu können.

Obwohl ihre Mutter sie ständig daran erinnerte, dass sie eines Tages einen anderen Mann treffen würde und immer noch die Möglichkeit bestand, ein Kind zu adoptieren, konnte Andrea sich das nicht richtig vorstellen. Welcher Mann würde sich schon für eine unfruchtbare Witwe entscheiden?

Sie presste die Stoffpuppe fest an sich, bis der Schmerz in ihrer Brust ein wenig nachgelassen hatte, und ging danach zum Schaufenster, um den Lebkuchenmann in den Schaukelstuhl zu setzen. Nachdem sie die neueste Kollektion von bayrischen Nussknackern dazugestellt hatte, betätigte sie einen Schalter an der Wand, sodass die Schaufensterdekoration mit bunten Lichtern und Geräuschen zum Leben erwachte.

Um den Baum herum hatte Andrea eine animierte Gruppe aus musizierenden Elfen drapiert. Erwachsene wie Kinder waren gleichermaßen fasziniert von dem Ensemble, blieben in der Regel vor dem Schaufenster stehen und kamen nach einer Weile ins Geschäft, um so eine Elfenband zu erwerben. Für gewöhnlich gingen sie dann mit zahlreichen weiteren Weihnachtsgeschenken beladen wieder aus dem Laden hinaus.

Aus einer Laune heraus machte Andrea einige Fotos von der Schaufensterdekoration mit ihrem Smartphone und konnte es kaum erwarten, sie den Gingerbread Girls zu schicken. Das war der Spitzname, den sie und ihre besten Freundinnen Emily und Casey sich gegeben hatten. Erst kürzlich hatten sie Melissa verloren, ein weiteres Mitglied ihrer besonderen Gruppe.

Vor Jahren waren sie sich zufällig in den Sommerferien in einem Hotel mit dem Namen Gingerbread Inn in Massachusetts begegnet. Da ihre Familien jedes Jahr ihren Urlaub dort verbracht hatten, waren die Mädchen schnell zu Freundinnen geworden und bis zum heutigen Tag freundschaftlich miteinander verbunden. Melissa war erst vor Kurzem von ihnen gegangen, und Andrea hielt im Augenblick nicht noch mehr schmerzhafte Erinnerungen aus, weswegen sie sich stattdessen lieber darauf konzentrierte, das kleine Geschäft für den Publikumsverkehr herzurichten.

Etwas später würde auch ihre Mom kommen, um ihr zu helfen. Während der Weihnachtszeit öffnete Andrea bereits um halb zehn, eine halbe Stunde früher als gewöhnlich, und schloss erst gegen zwanzig Uhr statt um achtzehn Uhr wie normalerweise. Jetzt war es schon beinahe an der Zeit, die Ladentür aufzuschließen.

Sie beeilte sich, den Teppich zu saugen und die Töpfe mit roten Weihnachtssternen zu wässern, die überall im Verkaufsraum zwischen den Holzkunstwerken standen. Der nette Inhaber des Blumenladens von nebenan hatte ihr ein wunderschönes Arrangement aus asiatischen Lilien und roten Rosen herübergebracht, das Andrea auf dem Verkaufstresen stellte. Das Ladeninnere mit all den schönen Waren und den zahlreichen Lichtern erinnerte wirklich ein wenig an ein verzaubertes Märchenland.

Bevor sie die Eingangstür entriegelte, kehrte sie ins Büro zurück und überprüfte ihre E-Mails auf dem Computer. Zu ihrer Verwunderung entdeckte sie eine Mail von Casey Caravetta, einer der Gingerbread Girls. Was für ein Zufall – schließlich hatte sie gerade an ihre Freundinnen denken müssen! Andrea hoffte inständig, dass es sich um gute Nachrichten handelte, zumal Casey seit einem Jahr sehr unter der Auflösung ihrer Verlobung litt. Neugierig öffnete sie die Mail.

Hey, Andrea, ich bin’s. Könntest du vielleicht heute kurzfristig zum Gingerbread Inn kommen? Ich muss unbedingt mit dir sprechen.

Oh, nein, seit ihrem letzten Gespräch miteinander schien es Casey nicht besser zu gehen.

Wegen Weihnachten bin ich mir immer noch unschlüssig, und meine Familie macht auch Probleme (wieder mal).

Casey war also im Inn? Mitten im Winter?

Ich bin hierher zurückgekehrt, weil das Inn Emily so viel Glück gebracht hat. Aber ich kann immer noch nicht fassen, wie es hier aussieht. Du müsstest mal sehen, wie heruntergewirtschaftet alles hier ist. Ich könnte echt heulen.

Die Vorstellung, dass die Lage des Gingerbread Inn sich zusehends verschlechterte, war ihnen allen sehr zu Herzen gegangen.

Du weißt ja, dass Carol immer wie eine Mutter für uns gewesen ist und stets auf mich achtgegeben hat. Sie ist ein wahres Goldstück. Genauso wie Harper, die mir gerade zu Füßen liegt und mich mit ihren treuen Hundeaugen ansieht.

Andrea wurde ganz warm ums Herz, als sie sich an die vergangenen Zeiten erinnerte. Die Mädchen hatten eine unbeschwerte Jugend am Barrow’s Lake verbracht und sich keine Sorgen über ihr zukünftiges Leben gemacht.

Ich würde alles dafür geben, wenn du mir Gesellschaft leisten könntest. So weit bist du ja nicht von Barrow’s Cove entfernt. Natürlich weiß ich, dass du in der Weihnachtszeit sicher eine Menge zu tun hast. Aber ich brauche dich und deinen guten Rat – besonders nach dem, was du alles durchgemacht hast.

Allerdings fühlte Andrea sich völlig erschöpft und ausgelaugt und keineswegs in der Verfassung, gute Ratschläge zu erteilen.

Gib mir Bescheid, ob du es schaffst – selbst, wenn es nur für eine Nacht wäre. Weißt du noch, dass wir darüber gesprochen haben, am Weihnachtsabend eine Party im Inn zu geben, damit Emily und Cole ihr Hochzeitsgelöbnis erneuern können? Das wäre doch eine günstige Gelegenheit, dafür zu planen. Bitte mach es irgendwie möglich, zu kommen.

Liebe Grüße, Casey

Andrea beendete die Nachricht und ging ins Geschäft, um die Tür aufzuschließen. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick auf den Kalender. Zum Glück war heute Mittwoch und nicht Wochenende, an dem sie immer am meisten zu tun hatten.

Das Hotel am Barrow’s Lake vor Barrow’s Cove war lediglich eine Stunde Autofahrt von Providence entfernt. Wenn sie gleich losfuhr, nachdem ihre Mutter den Dienst begonnen hatte, könnte sie über Nacht bei Casey bleiben und morgen zeitig wieder zurückkehren, um ihrer Mutter nachmittags zur Hand zu gehen.

Sie überprüfte die Wetter-App auf ihrem Handy. Derzeit waren keine neuen Sturmfronten in Sicht. Zwar hatte es im Nordosten geschneit, aber die meisten Hauptstraßen waren geräumt. Außerdem würde es nicht lange dauern, eine Tasche für eine Übernachtung zu packen.

Andrea hatte bereits entschieden, welche Nussknacker sie ihren Freundinnen zu Weihnachten schenken würde. Sie würde sie nur noch einpacken und mitnehmen müssen, sodass sie die Geschenke bei der Party am Weihnachtsabend übergeben konnte.

Während sie überlegte, betrat ein älterer Herr das Geschäft, was durch das Klingeln einiger Weihnachtsglocken untermalt wurde. Da er sich erst einmal umsehen wollte, nutzte Andrea die Zeit, um ihre Mom anzurufen. Sobald sie ihr von der E-Mail berichtet hatte, bestand ihre Mutter darauf, dass sie wenigstens für einige Tage zum Gingerbread Inn fahren sollte, weil sie ja sonst nie Urlaub nahm.

Obwohl Andrea die Fürsorge ihrer Mutter zu schätzen wusste, erklärte sie, dass eine Nacht völlig ausreichen würde. Um ehrlich zu sein, wollte sie nicht lange vom Geschäft fernbleiben, denn die Arbeit hielt sie auf Trab. Wenn sie zu viel Freizeit hatte, würde sie nur beginnen, über Dinge nachzudenken, die sie deprimierten. Doch davon wollte sie dieses Jahr nichts mehr wissen!

Sie kehrte zum Computer zurück und schickte Casey eine Nachricht, in der sie ihr mitteilte, dass sie kommen würde. Anschließend verpackte sie ein Räuchermännchen als Geschenk für ihren Kunden. Nachdem sie seine Kreditkarteninformationen aufgenommen und ihm das Päckchen gereicht hatte, sah sie ihn – einen großen, gut aussehenden Mann, der um die Dreißig sein mochte, eine Fliegerjacke trug und draußen vor dem Fenster stand. Er hielt ein blondes, etwa fünfjähriges Mädchen auf dem Arm, damit sie alles im Schaufenster sehen konnte.

Unwillkürlich trat Andrea dichter ans Fenster heran und beobachtete fasziniert, wie das kleine Mädchen völlig hingerissen auf den Lebkuchenmann deutete. Sie war mit einem rosafarbenen Parka mit einer kunstfellverbrämten Kapuze bekleidet, die nach hinten gerutscht war, sodass die schulterlangen goldblonden Locken des Kindes zu sehen waren.

Das kurz geschnittene tiefschwarze Haar des Mannes stand im krassen Gegensatz zum dem Pink der Jacke. Auf geheimnisvolle Art war er wahnsinnig attraktiv mit dem markanten Kinn und dem leichten Bartschatten, der äußerst sexy wirkte.

Als das kleine Mädchen zu lachen begann, während es auf einen Elfen mit einem Schlagzeug starrte, lächelte der Mann unwillkürlich – und Andrea stockte der Atem. Instinktiv ahnte sie, dass dieser Mann nicht häufig lachte. Plötzlich sah er von der Schaufensterauslage missbilligend zu Andrea herüber, als könne er ihre Gedanken lesen.

Beschämt darüber, beim Starren ertappt worden zu sein, kehrte sie rasch hinter den Tresen zurück. Das war das erste Mal seit Gunters Tod, dass ihr so etwas widerfahren war. Zwar waren in der Zwischenzeit zahlreiche attraktive Männer in ihrem Laden ein und ausgegangen, aber keiner von ihnen hatte in derselben Liga gespielt wie der Unbekannte vor dem Schaufenster.

Wenige Sekunden darauf kündigte das Läuten der Glocken den nächsten Kunden an, und sie sah den charismatischen Fremden auf sich zukommen. An seiner Seite ging das kleine Mädchen und hielt seine Hand fest. Mann und Kind hatten die gleichen hellgrünen Augen, weswegen Andrea daraus schloss, dass es sich um Vater und Tochter handelte.

„Guten Morgen. Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Das hoffe ich“, sagte Rick Jenner zu der blonden Verkäuferin. „Haben Sie so eine Elfenmusikgruppe wie die da draußen im Fenster?“

„Gleich hier drüben auf dem Tisch.“ Die Frau ging hinüber und hob eine Schachtel hoch. Während sie den Karton zum Tresen trug, sah seine Tochter flehentlich zu Rick empor. „Fragst du sie, ob ich den Lebkuchenmann mal halten darf, Daddy?“

„Nein, Tessa. Er ist zu teuer.“

„Was ist teuer?“

„Das bedeutet, dass er zu viel kostet“, erklärte er und zog seine Kreditkarte aus der Brieftasche, um die Elfen zu bezahlen.

„Ich wünschte, ich könnte ihn mal aus der Nähe sehen“, erklärte Tessa mit weinerlicher Stimme. Wenn er jedes Mal einen Dollar dafür bekäme, wenn sie sich etwas wünschte …

Die Verkäuferin, die gerade damit beschäftigt war, den Betrag in die Kasse einzugeben, warf einen Blick in Tessas Augen und sagte: „Warte hier. Ich bringe ihn dir.“ Sie reichte Rick die Kreditkarte zurück, bevor sie den Lebkuchenmann mitsamt Schaukelstuhl aus dem Schaufenster holte.

Gütiger Himmel. Seine Tochter verstand es wirklich, Menschen zu manipulieren – ein Talent, das sie von seiner verstorbenen Frau geerbt hatte, die von ihren wohlmeinenden Eltern nach Strich und Faden verwöhnt worden war. Besonders von ihrer Mutter Nancy. Er hatte seine Frau geliebt, und sie hatten eine gute Ehe geführt, aber seine Frau hatte hohe Ansprüche gehabt, was gelegentlich zu kleineren und auch größeren Spannungen zwischen ihnen geführt hatte. Deswegen war Rick fest entschlossen, seiner Tochter beizubringen, dass man nicht alles haben konnte, was man wollte.

Als die Verkäuferin wieder zu ihnen zurückkehrte, nahm er zum ersten Mal den zarten, verführerischen Blumenduft wahr, der sie umgab. „Wenn du dich hinsetzt, darfst du ihn im Arm halten.“

Rick wünschte, sie hätte sich nicht so viele Umstände gemacht, aber jetzt war es zu spät.

„Oh …“, seufzte Tessa begeistert, nachdem sie die Puppe in den Arm genommen hatte. „Er ist so niedlich.“ Ganz ungezwungen küsste sie die Wangen des Lebkuchenmannes, so, wie eine Mutter ihr Baby küssen würde. Dann zog sie ihn dicht an die Brust und begann, ihn mit geschlossenen Augen zu wiegen.

Der Anblick schnürte Rick die Kehle zu. Was für ein Glück er hatte! Bereits am ersten Tag des Einkaufsbummels, den er mit Tessa unternahm, um herauszufinden, was sie sich zu Weihnachten wünschte, wusste er, dass er das perfekte Geschenk gefunden hatte. Sobald er nach Hause zurückgekehrt war, würde er seine Haushälterin bitten, den Lebkuchenmann zu kaufen, damit es für Tessa eine Überraschung blieb.

„Wir müssen jetzt los, Tessa. Wir wollen noch ein paar Erledigungen machen, bevor ich dich in den Kindergarten bringe. Bedank dich bei der netten Lady, dass sie dir erlaubt hat, den Lebkuchenmann zu halten.“

Tessa starrte die Verkäuferin an. „Vielen Dank.“

„Gern geschehen.“

Er half seiner Tochter aus dem Stuhl und setzte die Puppe wieder hinein.

Tessas Unterlippe begann zu zucken. „Kann ich ihn nicht haben, Daddy?“

„Ich fürchte, nein.“

„Bitte!“

„Tessa – es reicht.“

„Ich verkaufe ihn Ihnen für den halben Preis“, flüsterte die Verkäuferin. Überrascht hob er den Kopf und sah in ihre saphirblauen Augen, die bereits vor dem Schaufenster seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten.

„Vielen Dank, aber leider Nein.“

Wie aufs Stichwort brach seine Tochter in Tränen aus. Die blonde Frau beugte sich zu ihr hinunter. „Hast du Santa Claus schon einen Brief geschrieben?“

„Ja, meine Grandma hat mir geholfen, ab… aber ich habe mir nicht den Lebkuchenmann gewünscht“, erwiderte Tessa mit zittriger Stimme.

„Ich bin sicher, dass dein Vater dir dabei hilft, noch einen Brief zu schreiben und Santa zu bitten, dir den Lebkuchenmann zu bringen.“ Hoffnungsvoll sah sie Rick an.

„Diesen hier?“ Tessa deutete auf den Schaukelstuhl.

„Ja.“

Rick blinzelte. Ja? Obwohl die Verkäuferin es bestimmt nur gut meinte, machte ihr Verhalten ihn wütend. Schlimmer noch, sie spielte seiner Tochter geradezu in die Hände.

Tessa schniefte. „Meinen Sie, Santa weiß, dass mein Lebkuchenmann in diesem Geschäft hier ist?“

Die Blondine lächelte, was sie noch bezaubernder wirken ließ. „Ja.“

„Versprochen?“

„Ich verspreche es dir.“

„Jetzt komm schon, Tessa.“ Er nahm die Hand seiner Tochter, die immer noch am Schluchzen war.

„Frohe Weihnachten“, wünschte die Verkäuferin unverdrossen.

Rick warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Ihnen auch. Danke, dass Sie sie so verhätschelt haben.“ Mit seiner Tochter an der einen Hand und dem Päckchen in der anderen schritt er entschlossen aus dem Laden.

Hatte sie da eben etwa eine Spur Sarkasmus in seiner Stimme gehört? Es schien ganz so, als hatte der Mann nicht gewollt, dass seine Tochter verwöhnt wurde, weshalb ihm Andreas Verhalten ganz und gar nicht gefallen hatte.

Aber vielleicht konnte er sich die Puppe auch nicht leisten, weil er gerade arbeitslos war. Schließlich hatte er seiner Tochter erzählt, sie wäre zu teuer. Wenn das der Fall sein sollte, dann tat es ihr leid, ihn bloßgestellt zu haben. Spontan nahm sie sich vor, der Kleinen auf jeden Fall ihren Weihnachtswunsch zu erfüllen.

Sie wusste, wohin sie den Lebkuchenmann und den Schaukelstuhl schicken musste. Auf der Kreditkarte stand, dass es sich um Richard Jenner in Rose Drive in Elmhurst handelte – nette Gegend. Es war Weihnachten, die Zeit des Schenkens.

Das wäre dann ihr eigenes kleines Projekt, um Santa unter die Arme zu greifen. Jedes Jahr ging in der Kirchengemeinde eine Liste mit Namen von Familien herum, die Hilfe brauchten, und jeder gab, was er entbehren konnte. Diesmal wusste Andrea mit hundertprozentiger Sicherheit, dass ihr Geschenk Freude bereiten würde.

Sie nahm einen der großen Stoffelfen und setzte ihn anstelle des Lebkuchenmannes unter den Weihnachtsbaum. Dann nahm sie die Puppe und den Schaukelstuhl mit in ihr Loft hinauf. Sobald sie die Sachen eingepackt hatte, würde sie das Päckchen an Jenners Adresse liefern lassen. Draußen auf den Karton wollte sie schreiben Für Tessa von Santa.

Nachdem sie ihren Plan in die Tat umgesetzt hatte, kehrte sie in den Verkaufsraum zurück und hatte von da an ständig Kundschaft zu bedienen, bis ihre Mutter eintraf und Andrea nach Barrow’s Lake aufbrechen konnte.

Während der Fahrt musste sie unentwegt an den Vorfall in ihrem Geschäft denken. Was würde sie dafür geben, ein Kind zu haben, das sie verwöhnen konnte! Tessa Jenner sah aus wie ein kleiner Engel und war einfach hinreißend niedlich.

Als die das Gingerbread Inn erreicht hatte und sah, in welchem Zustand es sich befand, wusste sie, dass Casey mit ihrer Mail nicht übertrieben hatte. Trotz einiger kosmetischer Reparaturen, die Emily und ihr Ehemann Cole Watson ausgeführt hatten, war offensichtlich, dass das Gingerbread Inn schwere Zeiten hinter sich hatte. Einst hatten die Inhaber Carol Parsons und ihr Mann Großes mit dem Inn vorgehabt, doch dann war Carols Mann gestorben, und allein konnte seine Witwe nicht alles in Schuss halten.

Nachdem Andrea die Küche betreten hatte, das Herzstück des zweigeschossigen georgianischem Inns, sah sie sich prüfend um. Alles hätte dringend eine Generalüberholung nötig gehabt. Am liebsten hätte Andrea auf der Stelle die zerschlissenen Sonnenblumentapete und den ausgetreten Vinylbodenbelag durch etwas Neues ersetzt.

Doch eine Sache hatte sich glücklicherweise nicht verändert. Eine ganze Weile später saßen sie und Casey, ihre exotisch schöne Freundin mit dem ungebändigten dunklen Haar, an demselben langen Tisch aus Ahornholz, an dem sie bereits in vielen Sommern unzählige Tage und Abende verbracht hatten.

„Möchtet ihr beide eine Tasse Schokolade?“, fragte Carol.

Dankbar umarmte Andrea die kleine, grauhaarige Witwe und alleinige Besitzerin des alten Landgasthofes. Carol war zwar bereits in den Fünfzigern, sah jedoch immer noch großartig aus in ihrem blassblauen T-Shirt und den Jeans. Und das Beste an ihr war ihr schier unendliche Gutmütigkeit.

Amüsiert betrachteten die drei Frauen Harper, eine Mischung aus Golden Retriever und einer unbekannten Rasse, der schnüffelnd zwischen ihren Beinen hindurchlief auf der Suche nach Krümeln von Carols selbst gebackenem Kuchen, den sie gerade erst aus dem Ofen geholt hatte.

„Meinst du nicht, dass du schon genug getan hast? Es ist bereits nach Mitternacht. Du solltest längst im Bett sein. Casey und ich gehen bestimmt auch bald schlafen.“

„Nein, das glaube ich nicht.“ Carol lachte. „Ich kenne euch Mädchen doch. Wenn ihr erst einmal zu reden anfangt, dann gibt es kein Halten mehr. Ich lasse euch jetzt aber mal allein, schließlich musst du ja morgen wieder nach Providence zurück. Ihr habt euch bestimmt eine Menge zu erzählen. Zum Frühstück mache ich Scones.“

„Oh, ja!“, riefen die beiden jungen Frauen gleichzeitig begeistert aus.

Carol lachte. „Komm schon, Harper.“ Der Hund winselte leise und folgte seinem Frauchen durch die Tür.

Endlich waren Andrea und Casey allein – umgeben von sechs leeren Stühlen. Auf einem von ihnen würde nie wieder Melissa sitzen. Früher war die Küche von heiterem Gelächter erfüllt gewesen, und Andrea fragte sich, ob sie jemals wieder richtig glücklich sein würde. Ihr Schmerz saß so tief, dass sie es sich einfach nicht vorstellen konnte.

Nachdenklich betrachtete Casey sie. „Ich weiß, was du gerade denkst.“

Andrea nickte. „Das Leben hat sich für uns alle geändert. Kennst du noch den schrecklichen Spruch ‚Leben ist das, was passiert, während du etwas anderes planst‘?“

„Oh, ja, der könnte von mir sein. Aber ich glaube, dass sich für Carol alles zum Guten wendet.“

„Wirklich?“

Casey lächelte. „Cole hat einen Handwerker engagiert, der hier mit anfasst. Sein Name ist Martin Johnson. Er ist seit zehn Jahren Witwer, und ich habe den Eindruck, dass er und Carol sich bestens verstehen. Er kann so gut wie alles reparieren.“

„Wie ist er denn so?“

„Groß und weißhaarig. Und er hat blaue Augen.“

„Wäre es nicht toll, wenn hier eine Romanze entstehen würde?“

Ihre Freundin nickte ernst. „Es ist so gut, dich zu sehen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du hergekommen bist. Ich fühle mich so schrecklich einsam und bin ehrlich gesagt ein wenig eifersüchtig auf Emily, die mit Cole gerade in den zweiten Flitterwochen ist.“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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