Verrückt nach Sarah

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Schon einmal war Tim in die hinreißende Sarah verliebt: vor vielen Jahren, als sie noch zusammen in einer Theatergruppe spielten. Doch damals wollte sie einen anderen heiraten. Als Tim seine Traumfrau nun wiedertrifft, spürt er sofort, dass er sie immer noch will. Und verheiratet ist Sarah auch nicht mehr …


  • Erscheinungstag 19.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757120
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tim Pelham eilte hastig die schmale Steintreppe zum Eingangstor der Schule hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Er zog die schwere Doppeltür auf, fuhr sich dann mit der Hand über das Kinn und zuckte innerlich zusammen. Er hätte sich vor seinem Treffen mit Gail wohl doch besser rasieren sollen. Doch er hatte sich nach den Abendnachrichten sofort auf den Weg gemacht, ohne erst zu Hause vorbeizufahren.

Sie hatten als Treffpunkt Zimmer 12 vereinbart, und er fand die leuchtend orange gestrichene Tür mit der blauen Nummer ohne Schwierigkeiten am Ende eines hell erleuchteten Flurs. Vor dieser Tür war ein Tisch aufgebaut, an dem eine füllige Dame mittleren Alters saß und in ihren Unterlagen blätterte.

Tim beugte sich zu ihr hinunter. „Verzeihen Sie. Ich bin hier verabredet. Können Sie mir sagen, wo ich Gail Conklin finde?“

Die Dame überprüfte die Listen und schüttelte dann den Kopf. „Ich kann in meinen Unterlagen leider keine Gail Conklin finden. Sind Sie für diesen Kursus angemeldet, Mr. …?“

„Pelham. Tim Pelham. Von einem Kursus weiß ich nichts. Ich will mich nur hier mit Gail treffen.“

„Tut mir leid. Den Namen Conklin habe ich nicht auf der Liste. Aber hier steht Pelham. Tatsächlich, da ist Ihr Name, und hier habe ich auch eine Nachricht für Sie.“

Fröhlich lächelnd reichte sie ihm einen Umschlag. Tim bedankte sich, riss ihn auf und fragte sich stirnrunzelnd, welchen Streich Gail wohl diesmal ausgeheckt hatte.

Rasch überflog er den Text.

Lieber Tim,

wie Du siehst, bin ich nicht da. Ich bin zurzeit nicht einmal in San Francisco. Vor ein paar Tagen besuchte mich mein alter Freund Darrel. Er tut seit Langem nichts anderes, als auf seinem Motorrad durch die Lande zu reisen. Er hat mir von wunderbaren Abenteuern erzählt und mich zu einem Motorradtrip ins Blaue eingeladen. Allein der Gedanke daran schien mir so aufregend, dass ich spontan zugesagt habe. Und jetzt bin ich also unterwegs auf der Suche nach mir selbst, haha.

Aber ernsthaft, es tut mir wirklich leid. Ich hoffe, du bist nicht allzu sauer auf mich. Ich hatte mich für diesen Kursus angemeldet, weil ich dachte, dass ein Versuch nicht schaden könnte. Doch dann tauchte Darrel auf. Deshalb schenke ich dir nun die Teilnahme an diesem Kursus … ja, stell dir vor, ich habe ihn sogar schon bezahlt. Hättest du wohl nicht für möglich gehalten, oder? Haha. Wer weiß, vielleicht findest du ja auf der Stelle Ersatz für mich! Viel Glück.

Alles Liebe, Gail.

Motorrad? Kursus? Tim kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Hier sind Ihre Unterlagen, Mr. Pelham“, riss ihn die Dame hinter dem Tisch aus seinen Gedanken. „Alle anderen Teilnehmer sind schon drinnen.“

Ziemlich verwirrt starrte Tim auf die Broschüre, die sie ihm in die Hand drückte, und las den Titel, der in dicken blauen Buchstaben aufgedruckt war: ‚Nimm dein Leben in die Hand – Der sichere Weg, den richtigen Partner fürs Leben zu finden.‘

Nimm dein Leben in die Hand? Was sollte das alles? Er verstand gar nichts mehr.

Er sah von dem Heft in seinen Händen auf und warf einen Blick durch die offene Tür in Zimmer 12. Der Raum war gut gefüllt mit Männern und Frauen, die sich gegenseitig verstohlen musterten, jedoch nicht miteinander sprachen. Ihm fiel beiläufig auf, dass einige recht attraktive Frauen dabei waren, die Blickkontakt mit ihm aufzunehmen versuchten.

Dann kam ihm unvermittelt die Erkenntnis, dass Gail ihn versetzt hatte.

Nicht etwa, dass er in sie verliebt gewesen wäre, oder sie in ihn. Sie hatten auch keine gemeinsamen Pläne für die Zukunft gemacht. Aber sie hatten sich gut verstanden. Oder etwa nicht? Nun … am Anfang auf jeden Fall.

Und irgendwann im Lauf ihrer Beziehung war auch einmal die Rede darauf gekommen, ob man ein Zusammenleben erwägen sollte. Doch es war nur ein kurzes Gespräch gewesen, und sie hatten beide schnell wieder das Thema gewechselt. Im Grunde hatte Tim nie wirklich das Gefühl gehabt, dass er und Gail für immer ein Paar bleiben würden. Aber dass sie ihn so einfach beiseite geschoben hatte …

Wut und Schmerz stiegen in ihm auf. Was fiel ihr eigentlich ein? Wie konnte sie es wagen, ihre Verabredung nicht einzuhalten? Hatte er nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sich von seinen beruflichen Verpflichtungen frei zu machen und sich heute Abend mit ihr zu treffen?

Was tat er überhaupt hier? Was hatte er, der Programmchef des Bay Area Radiosenders in einem Raum voller anonymer Singles zu suchen? Im Club der einsamen Herzen?

Bei näherer Überlegung sollte er geradewegs in diesen Raum marschieren und in Sekundenschnelle eine Nachfolgerin für Gail finden. Es würde ihr noch leidtun, sich so einfach aus dem Staub gemacht zu haben. Tim stieß einen tiefen Seufzer aus. Was soll das, Pelham? mokierte er sich über sich selbst. Sei nicht so kindisch. Wenn sich die erste Enttäuschung gelegt hat, wirst du überhaupt keine Lust haben, schon wieder eine Frau am Hals zu haben. Du brauchst jetzt erst einmal Zeit für dich selbst.

Für dich ganz allein.

Doch in seinem Innern machte sich schon jetzt ein unangenehmes Gefühl der Leere breit. Nein, er wollte nicht allein sein. Zumindest nicht heute Abend. Er würde jetzt in seine Stammkneipe fahren und dann …

„Mr. Pelham? Wir könnten jetzt anfangen.“

Verwirrt starrte Tim auf die Dame hinter dem Tisch – sie hieß Liz, wie er auf ihrem Namensschild lesen konnte – und lächelte ihr schuldbewusst zu. „Entschuldigung. Ich habe gerade nicht zugehört, ich war mit meinen Gedanken woanders.“

„Es ist schon spät. Wir beginnen gern pünktlich. Wenn Sie teilnehmen möchten, dann gehen Sie jetzt doch bitte hinein. Die Referentin wird jeden Moment eintreffen.“

Sein Blick fiel wieder auf die Broschüre in seiner Hand. „Nun, ehrlich gesagt, ich glaube nicht …“ Er brach ab, weil er aus dem Augenwinkel heraus eine Frau bemerkte, die direkt auf ihn zu kam. Mittelgroß, rotes Haar, hübsches Gesicht, strenges graues Kostüm, tolle Beine. Und mit einer ungemein aufregenden Art, sich zu bewegen.

Sie blieb bei einem der Schwarzen Bretter stehen und heftete eine Notiz an. Irgendwie kam ihm diese Frau bekannt vor.

„Entschuldigen Sie“, wandte er sich an Liz. „Kennen Sie die Dame dort drüben?“

„Das ist Sarah Dann, unsere Referentin für die heutige Veranstaltung“, erwiderte Liz sichtlich stolz. „Wir sind so froh, dass wir sie bekommen haben. Sie ist die Leiterin der Schule und hält normalerweise keinen Unterricht. Doch heute Abend springt sie ausnahmsweise für eine erkrankte Referentin ein. Bleiben Sie denn nun, Mr. Pelham?“

Die Frau setzte ihren Weg zu ihnen fort. Als sie die Tür erreichte und an Tim vorüberging, warf sie einen kurzen Blick auf ihn – durch ihn hindurch, wie es ihm schien – und lächelte unpersönlich. Sie hatte Sommersprossen auf der Nase, volle Lippen, graugrüne Augen und eine winzige Falte zwischen den Augenbrauen.

Auch das kam ihm irgendwie bekannt vor. Sarah Dann, hatte Liz gesagt. Sarah …

Wie ein Blitz kam ihn die Erinnerung. Aber natürlich kannte er sie. Sie waren sich ein einziges Mal begegnet, und dieses Zusammentreffen hatte bis heute einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen.

Sarah. Sie hatte sich sehr verändert.

Tim betrat hinter ihr das Klassenzimmer. Er wusste nun, wie er den Abend verbringen würde. Natürlich würde er an diesem Kursus teilnehmen. Er hatte zum Glück nichts anderes vor. Schließlich war er dank Gail so frei wie ein Vogel.

Und überhaupt, wer war eigentlich Gail?

Als Sarah über die Schwelle trat, redete sie sich im Stillen weiter gut zu, wie sie es schon seit Stunden tat. Sie hatte sich in letzter Zeit angewöhnt, Selbstgespräche zu führen, was ihr ziemlich peinlich war. Sie hoffte nur, dass diese Angewohnheit niemandem auffiel.

Sei ganz locker und nimm dich zusammen, sagte sie sich wohl zum hundertsten Mal, während sie ihre Unterlagen auf das Pult legte. Sie war auf ihren Vortrag gut vorbereitet und hatte viel Erfahrung im Umgang mit erwachsenen Schülern. Außerdem hatte sie selbst vor fünf Jahren die Idee für diesen Kursus gehabt und das Programm Punkt für Punkt erarbeitet. Und im Laufe der Zeit hatte der Kursus sich zum unbestrittenen Renner der Schule entwickelt.

Im Grunde hatte sie nie mehr unterrichten wollen. Doch die eigentliche Referentin des heutigen Abends war beim Versuch, einer Katze auszuweichen, mit dem Auto verunglückt. Sie lag nun eingegipst im Krankenhaus und fiel für mindestens zwei Monate aus.

Entschlossen straffte Sarah die Schultern und strich sich das Haar hinter die Ohren zurück.

„Hallo allerseits“, rief sie fröhlich in die Runde und ließ ihren Blick über die Anwesenden gleiten.

Etwa vierzig Augenpaare sahen sie erwartungsvoll an. Alle Altersklassen und die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten waren vertreten. „Sie finden auf den Tischen vor sich Notizblöcke und Kugelschreiber. Wenn Sie sich Ihr Namensschild noch nicht angeheftet haben, dann tun Sie es bitte jetzt.“

„Muss das sein?“, jammerte eine Frau. „Ich hasse diese Dinger.“

„Nein, es muss natürlich nicht sein. Aber ich nehme an, dass Sie sich für diesen Kursus entschieden haben, weil Sie lernen möchten, wie man Kontakte knüpft. In diesem Fall lautet die allererste Lektion, dass Sie Ihr Ziel ohne Kompromissbereitschaft nicht erreichen können. Besonders zurückhaltende und sehr schüchterne Menschen müssen sich umso mehr bemühen, von sich aus auf andere zuzugehen. Und Namensschilder sind ein guter Anfang.“

„Muss ich das Schild an meinen Pulli heften?“

„Wie Sie wollen. Kleben Sie es sich auf die Stirn, wenn Sie möchten“, grinste Sarah. „Das wäre übrigens eine originelle Methode, um ein Gespräch in Gang zu bringen. ‚Entschuldigen Sie, ist das ein Namensschild auf Ihrer Stirn, oder sind Sie der Prototyp einer neuen Spezies?‘“

Ein Teil der Anwesenden lachte, und Sarah spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel. Es würde schon klappen. Sie musste nur ein paar Witze einfließen lassen, aufmerksam die Reaktionen ihrer Schüler beobachten und den roten Faden des Kurses nicht aus den Augen verlieren. Hatte sie das Skript nicht selbst erarbeitet?

Sarah lehnte sich mit der Hüfte an das Pult. „Ehe wir beginnen, lassen Sie mich zunächst etwas klarstellen. Auch wenn Sie alle Regeln genau befolgen, die ich für Sie zusammengestellt habe, ist das noch keine Garantie dafür, dass Sie schon morgen die Liebe ihres Lebens finden werden. Aber Sie werden in jedem Fall sehr viel mehr lohnende Bekanntschaften machen als früher.“

Sie lächelte ermutigend. „Wir wissen alle, dass unser Prinz oder unsere Prinzessin nicht plötzlich auf einem Pferd bei Sonnenaufgang zu uns geritten kommen, um uns in die Arme zu schließen. Wir müssen uns schon selbst auf die Suche nach ihnen machen. Uns an Treffpunkte begeben, bestimmte Dinge tun und Situationen herbeiführen, um Menschen kennenzulernen, die zu uns passen könnten. Und mit etwas Glück ist dann derjenige dabei, von dem wir immer geträumt haben. Mit Beziehungen verhält es sich wie mit allen Dingen im Leben. Man muss bereit sein, hart dafür zu arbeiten.“

Manche der Teilnehmer nickten zustimmend, andere sahen verlegen oder bedrückt auf ihre Unterlagen vor sich. Sarahs Blick glitt über die Klasse, verharrte kurz bei einem Mann in der letzten Reihe, wanderte weiter, um dann noch einmal zu ihm zurückzukehren.

Er war ihr schon vorhin an der Tür aufgefallen. Kannte sie ihn denn? Sie glaubte nicht, ihm schon einmal begegnet zu sein, aber irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie schätzte ihn auf Ende Dreißig, das sandbraune Haar mit den wenigen Silberfäden war etwas zu lang. Sarah fand sein Gesicht mit den von Lachfältchen umgebenen Augen sehr anziehend. Er trug einen dunkelblauen Pullover über einem weißen Hemd und war von kräftiger, aber sportlicher Figur. Sie wurde das Gefühl nicht los, ihm schon einmal begegnet zu sein. Aber wo?

Mehr noch als diese Frage beunruhigte sie jedoch die Tatsache, dass sie ihn so überaus attraktiv fand. Was wollte er in diesem Kursus? So wie er aussah, konnte er eigentlich keine Probleme damit haben, jede Frau kennenzulernen, die ihm gefiel.

Sie zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden und sich wieder auf ihren Kursus zu konzentrieren.

Mit lauter, klarer Stimme fuhr sie fort: „Lassen Sie uns also Schritt für Schritt die Broschüre durcharbeiten, die Sie von Liz erhalten haben. Ich hoffe, dass es Ihnen viel Spaß machen wird. Mein Name ist übrigens Sarah, und ich trage kein Namensschild, weil ich solche Dinge hasse.“ Sie lächelte. „Das ist der Vorteil, den man als Referent hat.“

Tim nickte und spendete Sarah insgeheim Beifall für die Art und Weise ihres Vortrags. Sie war wirklich gut – ehrlich und menschlich, und sie hatte eine positive Ausstrahlung. Erstaunlich, wie sehr sie sich verändert hatte. Er versuchte sich zu erinnern, ob er sie damals je so herzlich hatte lächeln sehen.

Ihm war klar, dass er Sarah unverschämt anstarrte, aber er konnte einfach nicht anders. Er war sich bewusst, dass er sie unbedingt haben musste. Koste es, was es wolle.

„Wie viele von Ihnen sind bereit, alles für die Liebe zu tun?“, fragte Sarah in diesem Augenblick.

Tim wurde durch ihre Frage wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Was meinte sie mit ‚alles‘?

„Wie viele von Ihnen sind bereit, die Partnersuche für etwa vier Wochen zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen?“, fuhr Sarah fort.

Zögernd hoben sich ein paar Hände.

„Gut, und wie viele von Ihnen würden alles andere im Leben stehen und liegen lassen, um eine Diät mit einer garantierten Gewichtsabnahme von zwanzig Pfund innerhalb von vier Wochen zu machen?“

Es gab Gelächter und mehr erhobene Hände.

„Und was wäre, wenn Sie an einem vierwöchigen Lehrgang teilnehmen sollten, der Ihnen eine Beförderung, mehr Gehalt und mehr Anerkennung im Beruf garantieren würde?“

Noch mehr Gelächter, noch mehr erhobene Hände.

„Was also hindert uns dann, der Partnersuche absoluten Vorrang einzuräumen? Was meinen Sie dazu? Irgendwelche Vorschläge?“

„Weil es irgendwie beschämend ist“, meldete sich eine junge Frau, die in der Reihe vor Tim saß.

„Genau“, meinte ein männlicher Teilnehmer zustimmend. „Man gibt damit vor sich selbst und aller Welt zu, dass man sich um etwas bemühen muss, was einem eigentlich ganz zufällig passieren sollte.“

„Wenn man alles daransetzt, einen Partner zu finden, denkt doch jeder sofort, dass man irgendeine Macke haben muss“, bekräftigte ein anderer. „Und dass man es dringend nötig hat.“

Sarah lächelte voller Verständnis. „Ich kenne diese Gefühle, doch ich versichere Ihnen, dass sie vollkommen fehl am Platz sind. Wir leben heute in einer veränderten Gesellschaft. Wo hat man früher Bekanntschaften gemacht? In der Schule, am Arbeitsplatz, bei Verwandten, auf Festen oder per Zufall. Aber wenn man nicht mehr zur Schule geht, in einer kleinen Firma arbeitet oder selbstständig ist, wenn die Familie nicht am gleichen Ort lebt und die Freunde keine Parties geben, dann bleiben nur wenige Möglichkeiten, um neue Kontakte zu knüpfen. Beispielsweise die Videothek, der Markt, die Post oder Buchläden. Aber was sind das für Leute, die wir da zufällig kennenlernen? Was wissen wir über sie?“

Sie ist wirklich sehr gut, dachte Tim wieder. Ein richtiges Naturtalent. Sie bringt die Leute dazu, ihr Gehirn anzustrengen.

„Okay.“ Sarah stieß sich mit der Hüfte vom Pult ab und begann langsam auf und ab zu wandern. „Kommen wir nun zum lustigeren Teil des Abends. Nehmen Sie Ihren Block und unterteilen Sie ihn in drei Spalten. Über die Erste schreiben Sie ‚Unbedingt notwendig‘, über die Zweite ‚Wünschenswert‘ und über die Dritte ‚Ganz ausgeschlossen‘.

In die erste Spalte gehören die Eigenschaften, die Ihr zukünftiger Partner unbedingt besitzen muss. Also zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder Charaktereigenschaften. Für manche Menschen ist die Körpergröße überaus wichtig oder Reichtum oder Humor.

Spalte zwei erfasst alle Wesensarten, über die Sie sich bei Ihrem Partner zwar freuen würden, deren Fehlen Sie aber nicht um den Schlaf bringen würde.

In die dritte Spalte kommt alles, was Sie unter keinen Umständen tolerieren könnten. Wenn Sie also Vegetarier verabscheuen, oder Männer mit schwarzen Haaren in den Nasenlöchern, oder begeisterte FKK-Anhänger, dann gehört das unter diese Rubrik. Alles klar?“

Sarah sah sich im Raum um, doch es schien Tim, als würde sie absichtlich jeden Blickkontakt mit ihm meiden. „Ich gebe Ihnen fünf Minuten, um die drei Spalten auszufüllen.“

„Fünf Minuten?“, fragte ein Mann. „Dafür brauche ich mindestens fünf Jahre.“

Als Sarah in das darauffolgende allgemeine Gelächter mit einstimmte, setzte sich Tim aufrecht in seinem Stuhl auf.

Dieses Lachen.

Der tiefe, volle Klang ihres Lachens.

Es war vor vierzehn, nein fünfzehn Jahren gewesen. In einer anderen Schule, einem anderen Klassenzimmer. Das magere junge Mädchen mit der wilden roten Mähne, das ihn erst gereizt hatte und dann abblitzen ließ.

2. KAPITEL

Kurz bevor Tim die Highschool beenden konnte, starb sein Vater. Obwohl man die Beziehung zwischen ihm und dem alten Herrn nicht gerade innig nennen konnte, hatte er mit ihm doch alles verloren, was er an Familie besessen hatte. Sein Abschlusszeugnis in Händen haltend, fühlte er sich verloren und ohne Ziel. Daher beschloss er, in die Navy einzutreten.

Vier Jahre später verließ er die Navy wieder, um noch einmal zur Schule zu gehen. Er war nun zweiundzwanzig, hatte langes Haar und einen Bart und träumte davon, Schauspieler zu werden. Diese Phase lag nun ziemlich genau fünfzehn Jahre zurück.

An einem seiner ersten Tage auf der Schauspielschule traf er Sarah. Sie sollten zusammen aus Tennessee Williams‘ Stück ‚Die Katze auf dem heißen Blechdach‘ die Szene proben, in der sich Maggie und Brick in ihrem Schlafzimmer aufhalten und miteinander streiten. Dabei trägt Maggie nichts als einen Hauch von Unterwäsche, und sie verzehrt sich vor ungestilltem Verlangen nach ihrem Mann.

Tim warf nur einen flüchtigen Blick auf die Partnerin, die ihm zugeteilt worden war – ihr blasses kindliches Gesicht, ihre hochgeschlossene Bluse und den langweiligen Rock – und hatte augenblicklich erhebliche Zweifel am Gelingen der Szene.

Er fand das Mädchen ausgesprochen fade und unattraktiv. Ihre Hände zitterten vor Aufregung, und ihr magerer knochiger Körper zeigte nicht einmal eine Andeutung weiblicher Kurven. Als sie einander vorgestellt wurden, wichen ihre großen ängstlichen Augen seinem Blick aus. Wie um alles auf der Welt sollte er spielen, ihm stünde die Versuchung in Person gegenüber?

Sie lasen die Szene einmal gemeinsam, und Tims Unbehagen wuchs. Ihm war klar, dass auch er noch viel zu lernen hatte, aber dieses Mädchen war so steif wie ein Stück Holz. Dann begannen sie miteinander an der Szene zu arbeiten, und während der folgenden zwei Stunden geschah ein Wunder. Vor seinen Augen vollzog sich eine nahezu unglaubliche Wandlung.

Die furchtsam aufgerissenen graugrünen Augen seiner Partnerin verwandelten sich in die funkelnden Augen einer Katze auf der Jagd nach Beute. Nach und nach legte sie ihre Hemmungen ab und entwickelte sich zu der urwüchsigen und sinnlichen Frau, die Maggie verkörperte.

Sie blieb während der ganzen Szene voll bekleidet, und dennoch fiel es Tim nicht schwer, sie sich in Unterwäsche vorzustellen. Er meinte förmlich zu sehen, wie sich die Spitzen ihrer Brüste unter der dünnen Seide abzeichneten.

Tim hatte die Rolle des Brick zu spielen, den Maggies Werben völlig kalt lässt. Doch er hatte allergrößte Mühe, Gleichgültigkeit vorzutäuschen. Je länger die Probe dauerte, desto häufiger trafen sich ihre Blicke, und desto mehr heizte sich die Atmosphäre zwischen ihnen auf. Tim empfand es wie ein nie zuvor erlebtes Vorspiel. Als die zwei Stunden vorüber waren, schmerzten seine Lenden vor Verlangen nach ihr.

Wortlos verließen sie schließlich nebeneinander den Probenraum, wobei sich ihre Arme leicht berührten. Sie hielt ihren großen Rucksack wie einen Schutzschild vor die Brust gepresst. Ihre Wangen waren gerötet, und Tim war sicher, dass ihr die gleichen Gedanken im Kopf herumschwirrten wie ihm. Es konnte gar keinen Zweifel daran geben, dass sie ihn ebenso begehrte wie er sie.

In gespanntem Schweigen gingen sie gemeinsam den Flur hinunter, bis Tim es nicht mehr länger aushielt. Er nahm sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum.

„Was hältst du davon, wenn wir zu mir gehen und weitermachen?“, fragte er sanft.

„Weitermachen?“, wiederholte sie mit großen Augen, als hätte sie keine Ahnung, wovon er redete.

„Was während der Probe begonnen hat. Diese … Sache zwischen uns.“

Ihre Augen weiteten sich noch mehr, und sie sah ihn völlig verständnislos an. Dann biss sie sich wortlos auf die Unterlippe. Maggie war verschwunden, und an ihre Stelle war wieder die kleine Schauspielschülerin getreten.

Tim ließ ihre Schultern los. Er erkannte, dass er zu direkt vorgegangen war. Mit einem kleinen entschuldigenden Lächeln fragte er: „War ich zu plump? Ich hätte wohl lieber etwas sagen sollen wie ‚Wir sollten uns unbedingt näher kennenlernen‘, nicht wahr?“

„Oh.“ Ihre vollen Lippen formten einen Kreis. Dann biss sie sich wieder auf die Unterlippe. „Ich kann nicht.“

„Hast du einen Freund?“

Ohne zu antworten, blickte sie auf den Boden vor ihren Füßen hinunter.

„Hey“, sagte er. Er hob ihr Kinn mit dem Zeigefinger, bis er ihr in die Augen sehen konnte. „Hey“, wiederholte er. „Ich habe anscheinend falsch verstanden, was da vor sich gegangen ist, oder?“

Einen Moment zögerte sie. „So ist es“, erwiderte sie dann.

Eins zu null für sie, dachte Tim. Die meisten anderen Frauen hätten sich wahrscheinlich herausgeredet mit ‚Ich weiß nicht, was du meinst‘ oder einer ähnlichen Floskel. Nun, so wie es aussah, würde er ihr wohl auf altmodische Art den Hof machen müssen.

„Hast du morgen Abend Zeit?“, fragte er. „Oder Sonntag? Wir könnten ins Kino gehen, oder ich könnte uns etwas kochen, falls du Spaghetti und billigen Rotwein magst.“

Da lachte sie. Es war das überraschendste Lachen, das er je gehört hatte, tief und rau und sinnlich. Es passte überhaupt nicht zu diesem zarten Mädchen.

„Du hast ein umwerfendes Lachen.“

Autor

Diane Pershing
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