Vertreib die Kälte dieser Nacht

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Ryan McCoy braucht eine Verlobte, und zwar schnell! Da weht ihm ein Schneesturm die passende Kandidatin buchstäblich vor die Füße: Grace Tennessen. Wird ihm die hübsche Lehrerin aus der Klemme helfen? Ryan setzt alles auf eine Karte und beginnt, um Grace zu werben.


  • Erscheinungstag 14.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787653
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Sie müssen mir unbedingt eine Agentin schicken, die als meine Verlobte auftreten kann – und zwar sofort!“, forderte Ryan verärgert am Telefon.

„Warum?“, fragte seine Chefin, Juliet North, am anderen Ende der abhörsicheren Leitung. „Was ist los?“

Er lehnte sich im Stuhl zurück und legte die Füße, die in Stiefeln steckten, auf den Schreibtisch. „Sagen wir es so, seit Weihnachten vergangen ist, ohne dass sich die zukünftige Mrs Ryan McCoy gezeigt hat, scheint fast jedes weibliche Wesen in dieser Gegend mich bekochen oder meine Socken stopfen zu wollen.“

„Hm.“ Juliet, die selbst glücklich verheiratet war, legte eine Pause ein. Dann fuhr sie mit gespieltem Ernst fort: „Haben Sie denn noch nicht versucht, den Damen eines Ihrer Liebeslieder vorzusingen?“

„Sehr komisch“, bemerkte Ryan trocken. „Aber zu Ihrer Information, das habe ich tatsächlich getan. Leider ohne Erfolg. Den Frauen hier scheint es völlig egal zu sein, dass ich keine einzige lyrische Zeile schreiben, geschweige denn einen richtigen Ton anstimmen kann.“ Ryan erhob sich und lief mit dem kabellosen Telefon in der Hand unruhig durch seinen geheimen Überwachungsraum, der sich in einer Höhle seitlich des Berges befand. Stirnrunzelnd schaute er durch das leistungsstarke Teleskop, das vor ihm stand. Er bemerkte, dass der Wind aufgefrischt hatte und der Schneefall jetzt so dicht geworden war, dass er nicht mehr bis zu seinem Beobachtungsgebiet sehen konnte.

Juliet lachte leise am anderen Ende der Leitung, während Ryan sich die Aufzeichnungen des örtlichen Wetterradars auf seinem Computerbildschirm ansah. Wie er es befürchtet hatte, kam der Schneesturm unbarmherzig die Ostküste hinauf und auf Virginia zu. Man erwartete, dass er eine Rekordschneehöhe mit sich bringen würde. Bereits jetzt sprach man vom Blizzard des Jahrhunderts, der sogar den aus dem Jahr 1996 in den Schatten stellen würde. Es hatte erst eine Stunde geschneit, aber es lagen bereits über fünfzehn Zentimeter Schnee auf dem Boden, und in den nächsten vierundzwanzig Stunden wurde noch einmal doppelt soviel erwartet. Ryan konnte nur schätzen, wie sehr das seine Nachforschungen behindern würde.

„Was ist denn den Frauen dort nicht egal?“, fragte Juliet.

Ryan seufzte, als er sich einen duftenden Schweizer Mandelkaffee einschenkte. Das gehörte zu den guten Seiten seiner Tätigkeit als verdeckter Ermittler beim FBI: Er konnte sich hin und wieder etwas Luxus gönnen.

„Mein zukünftiges Liebesglück. Sie beginnen langsam daran zu zweifeln, dass ich dieser unbekannten Verlobten auch wirklich treu bin. Ich kann es ihnen nicht übel nehmen, schließlich hat sie ja noch nie jemand gesehen.“

„Ich würde Ihnen wirklich gern jemanden schicken. Aber Sie wissen selbst, dass uns im Moment nur wenige Agentinnen zur Verfügung stehen.“

„Mit anderen Worten: Es wird niemand kommen“, riet Ryan brummig, während er sich mit der Hand durch das Haar fuhr.

„Zumindest nicht im nächsten Monat“, bestätigte Juliet seine Befürchtungen.

Ryan fluchte herzhaft, während er die Kaffeetasse an die Lippen hob. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Frauen ich mir in der Zwischenzeit vom Leib halten muss?“

„Darauf habe ich leider keinen Einfluss. Es ist nicht meine Schuld, dass Sie so gut aussehen.“

„Hey“, rief Ryan aus. Er war ein bisschen verlegen, weil ihm so viele Frauen Beachtung schenkten. „Ich habe mir Mühe gegeben, faul zu wirken und als erfolgloser Blender aufzutreten.“ Er seufzte, während er sich die letzten Beobachtungsfotos ansah, die er selbst entwickelt hatte. „Es ist nicht meine Schuld, dass in diesem Teil von Virginia ein Mangel an annehmbaren Männern und ein Überfluss an attraktiven, äußerst reizenden Frauen herrscht.“

„Also gut, dann geben Sie sich bitte auch weiterhin Mühe, den Versager zu spielen“, riet Juliet eindringlich. „Wir müssen diesen Auftrag schnell zu Ende führen.“

Ryan hörte sofort den veränderten Unterton in Juliets Stimme und wusste, dass irgendetwas Wichtiges anstand. „Ist was passiert?“

Juliet schwieg einen Moment. „Unsere Männer in Rivertown haben gehört, dass Hindale eine neue Waffenlieferung erhalten soll.“

Ryan Schultermuskeln spannten sich unwillkürlich. „Wann?“

„Wahrscheinlich am Ende dieser Woche, selbst bei diesem Wetter.“

Ryan warf einen Blick auf den Beobachtungsmonitor und runzelte erneut die Stirn, als er die dicken, grauweißen Wolken am Himmel sah. Das war das Letzte, was sie während dieses Schneesturms, der rasch die Ostküste lahmlegen würde, gebrauchen konnten: noch mehr Aktivitäten auf der Hindale Farm. „Was glauben Sie, wie schnell sie angreifen werden, nachdem sie die Lieferung erhalten haben?“

„Es ist eine Frage von Tagen. Vielleicht sogar nur von Stunden.“ Juliet überlegte. „Natürlich hoffen wir, jeder bewaffneten Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Wir brauchen unbedingt Beweise. Sie müssen uns belastendes Bildmaterial liefern, damit wir etwas unternehmen können.“

Ryans Herz schlug schneller, als er daran dachte, was für eine Herausforderung dieser Auftrag für ihn darstellte. Er wollte diese paramilitärische Gruppe entlarven, da er sie für äußerst gefährlich hielt, aber dafür brauchte er Beweise, die auch vor Gericht standhielten.

„Ich werde Ihnen das Material schnell liefern“, versprach er grimmig, während er nachsah, ob die hochsensiblen Kameras Filme und Videos enthielten. Zufrieden, dass alles in Ordnung war, fuhr er fort: „Aber als Gegenleistung möchte ich, dass Sie mir einen Gefallen tun.“

Juliet lachte. Sie schien über seine Forderung nicht erstaunt zu sein. „Und der wäre?“

„Sobald ich diese Arbeit erledigt habe, möchte ich von hier verschwinden, und zwar sofort“, forderte Ryan, während er durch das Teleskop schaute und die Straße beobachtete. Zu seinem Erstaunen sah er am Rand der kurvenreichen Bergstraße, die zu seinem Farmhaus führte, einen dunkelblauen Kleinbus stehen. Der leichten Neigung des Fahrzeuges nach zu urteilen, schien er nicht fahrtüchtig zu sein. Noch erstaunter war Ryan allerdings, als die Fahrertür sich öffnete und eine schlanke, junge Blondine ausstieg.

„Sie werden es nicht glauben“, sagte Ryan zu seiner Chefin, während er durch das Teleskop die Figur und die hübschen Beine der Frau betrachtete. „Ich bekomme vielleicht Gesellschaft.“

„Aus dem Tal?“

„Nein“, erwiderte Ryan, während sich sein Puls beschleunigte und sein Mund trocken wurde. „Von der Straße, ein liegen gebliebener Wagen.“

„Nun, dann werden Sie den Fahrer wieder los“, riet Juliet ihm. „Und zwar so schnell wie möglich, bevor sie während der gesamten Zeit des Schneesturms einen ungeladenen Gast im Haus haben.“

„Es ist eine Frau“, bemerkte Ryan und stellte den Zoom so ein, dass er die attraktive Blondine so nah wie möglich im Visier hatte. Ihre weiße Bluse war bis obenhin zugeknöpft und am Hals mit einer goldenen Brosche geschlossen. Der starke Wind hatte ihr die Hochsteckfrisur zerzaust, sodass nun goldblonde Strähnen ihr schönes Gesicht umrahmten.

„Ich werde mein Bestes tun“, versprach Ryan. „Aber vielleicht wird es mir bei diesem Wetter nicht möglich sein, sie loszuwerden“, gab er wahrheitsgemäß zu.

„Hören Sie zu“, rief Juliet wütend. „Es ist mir egal, ob sie fast seit einem Jahr keine Frau mehr hatten. Wir können es uns in dieser Situation nicht leisten, dass Sie für irgendeine Frau den Retter spielen.“

Schon gar nicht für eine so hübsche Blondine, deren bloßer Anblick bereits sein Blut zum Kochen brachte. Ryan fluchte leise. Er wusste, dass er auf keinen Fall eine unschuldige Bürgerin in Gefahr bringen würde. „Meinen Sie etwa, das wüsste ich nicht“, knurrte Ryan. Natürlich hatte Juliet recht, er durfte sich auf keinen Fall von seiner Aufgabe ablenken lassen.

Trotzdem ist sie die hübscheste Frau, die ich seit Langem gesehen habe, dachte er, während er beobachtete, wie die Blondine sich vor den rechten Vorderreifen hockte.

„Ich habe es gewusst! Wir haben uns verirrt und werden nie mehr zurückfinden. Wir werden alle sterben!“, heulte die zehnjährige Greta, als Grace Tennessen die Tür des Kleinbusses öffnete und sich wieder hinter das Lenkrad setzte.

„Natürlich nicht, sei doch nicht so doof“, versuchte Hannah auf ihre Art, die Jüngere zu beruhigen, als Grace sich den Mädchen zuwandte.

„Hört zu, Mädchen“, sagte sie zu der siebenköpfigen Gruppe. Es waren Schülerinnen des Peach Blossom Internats im Alter von sechs bis vierzehn Jahren. „Jeder nimmt jetzt seinen Mantel, Mütze und Handschuhe. Achtet darauf, dass ihr auch eure Schneestiefel anhabt, denn wir werden jetzt eine Weile laufen müssen.“

„In diesem Schnee?“, wimmerte die siebenjährige Brianna angstvoll.

Grace nahm die Ängstliche der Gruppe in den Arm, um sie zu beruhigen. „Wir haben keine andere Wahl, Liebes“, erklärte sie. „Der Bus hat einen Platten. Wir müssen jemanden finden, der uns hilft, den Reifen auszuwechseln.“ Bevor der Schneesturm richtig anfängt und wir tatsächlich in Gefahr geraten, fügte Grace in Gedanken hinzu. Fest entschlossen, ihren Schülerinnen, die sich in ihrer Obhut befanden, ein gutes Vorbild zu sein, zog sie selbst ihren Mantel und ihre Handschuhe an und stieg dann wieder aus dem Bus. Dann half sie den Mädchen hinaus, einer nach der anderen.

„Wohin gehen wir denn jetzt?“, fragte die zwölfjährige Darlene ernst.

Zu dem einzigen Ort, der in erreichbarer Nähe liegt, dachte Grace. „Seht ihr das Farmhaus dort oben auf dem Hügel?“

„Das ist kein Hügel, Ms Tennessen“, stieß die sechsjährige Letticia hervor. „Das ist ein Berg.“

„Nun, was immer es auch ist, wir werden dort hinauflaufen und telefonieren müssen“, fuhr Grace fort, die bereits die Führung übernahm und sich in Bewegung setzte.

„Wie lange brauchen wir wohl, bis wir einen Abschleppwagen in diesem Wetter bekommen?“, fragte Clara, die acht Jahre alt war.

Grace konnte darauf keine Antwort geben, behielt aber um der Mädchen willen ihren zuversichtlichen Gesichtsausdruck bei. „Nicht lange. So, jetzt gibt jede der anderen die Hand, und ihr bleibt schön zusammen.“ Sie lächelte tapfer. „Bald sind wir auch schon oben. Ihr werdet sehen.“

Grace stand vor dem zweistöckigen Farmhaus. Es hatte eine hellgelbe Fassade, die offensichtlich zur Hälfte neu überstrichen worden war, und grüne Fensterläden. Niemand hatte auf ihr Klopfen geantwortet, und sie musste sich die größte Mühe geben, ihre Besorgnis vor den Kindern zu verbergen.

„Hey, seht mal. Es kommt Rauch aus dem Schornstein“, bemerkte die neunjährige Polly, während sie nervös an ihrem Haar zog.

„Warum macht dann niemand die Tür auf?“, fragte Greta mürrisch und rückte ihre Brille zurecht.

„Ich weiß es auch nicht.“ Clara zuckte die Schultern.

„Vielleicht sind die Bewohner weggefahren und stecken jetzt auch irgendwo im Schnee fest“, warf Hannah, die Älteste ein, während sie sich an das Geländer der überdachten Veranda lehnte. Sie zitterte vor Kälte im eisigen Wind.

„Was glauben Sie, Ms Tennessen?“, fragte Darlene.

Dass wir in großen Schwierigkeiten stecken, dachte Grace, während sie versuchte, so zuversichtlich wie möglich auszusehen. „Vielleicht hört uns ja niemand. Dann müssen wir eben noch ein wenig lauter klopfen.“ Sie schlug kräftig mehrere Male mit der Faust gegen die Tür, doch das Heulen des Windes war die einzige Antwort, die sie erhielt. Dann begannen alle Mädchen auf einmal zu sprechen.

„Mir ist so kalt.“

„Ich friere auch.“

„Müssen wir den weiten Weg zum Bus zurücklaufen?“

„Das schaffe ich nicht mehr.“

„Mir ist wirklich ganz furchtbar kalt, Ms Tennessen.“

Außergewöhnliche Situationen verlangten außergewöhnliche Vorgehensweisen. Grace holte tief Luft, trat noch einen Schritt vor und versuchte, die Tür zu öffnen. Verflixt, sie war verschlossen. Vielleicht gab es irgendwo noch eine Tür, oder irgendwo stand zufällig ein Fenster offen. Sicherlich hätten die Besitzer des Hauses nichts dagegen, wenn sie unter diesen Umständen in ihrem Eigentum Schutz suchten.

„Bleibt, wo ihr seid, Mädchen. Ich gehe einmal um das Haus und schaue nach, ob es vielleicht noch eine andere Tür gibt.“

Brianna sah sie mit großen Augen an. „Sie werden doch nicht weggehen und uns hier vergessen.“

„Natürlich nicht.“ Grace umarmte die Kleine kurz. „Ich werde mein Bestes tun, damit wir so bald wie möglich im Warmen sind. In Ordnung?“

Brianna und die anderen Mädchen nickten.

Grace ging die Verandatreppe hinunter und lief hinter das Haus. Dort klopfte sie so laut sie konnte gegen die Hintertür. „Hallo?“, rief sie und schaute durch das Glas. Sie konnte eine Küche sehen, aber nirgendwo ein Lebenszeichen ausmachen. „Ist irgendjemand hier?“ Als sie wieder keine Antwort erhielt, versuchte sie die Tür zu öffnen. Doch auch die war verschlossen. Hoffentlich hält man mich nicht für eine Diebin, dachte sie, als sie sich stattdessen das Fenster vornahm. Vergebens.

Nachdem sie einmal ums Haus gegangen und wieder bei den Mädchen angelangt war, wusste sie, was sie tun musste.

„Ich versuche jetzt, das Schloss zu öffnen“, erklärte sie, während sie ihre goldene American-Express-Karte aus der Handtasche zog.

„Wirklich?“

„Cool.“

Grace bezweifelte, dass die Rektorin des Peach Blossom Internats das auch so sehen würde. „Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ihr das auf keinen Fall selbst versuchen dürft. Verstanden?“, sagte Grace ernst.

„Ja, Ms Tennessen“, erklärte die Gruppe pflichtbewusst in einem Chor. Doch Aufregung rötete die Wangen der Mädchen, und ihre Augen leuchteten, als Grace die Karte zwischen Tür und Schloss steckte und sie leicht hin- und herbewegte. Man hörte ein leises Klicken, dann drehte Grace den Türknopf.

Die Tür sprang auf, und Grace ging mit den Mädchen hinein.

„Und ich dachte immer, man könnte unsere Zimmer an Unordnung nicht übertreffen!“, rief Darlene verwundert aus, als sie in einem großen Raum standen, in dem staubige Bücher, Kleidung und Sportausrüstungen herumlagen. Eine supermoderne Stereoanlage, ein großformatiger Fernseher und ein bequemer Sessel waren von Stapeln von Videos und CDs umgeben.

„Wer kann hier nur leben?“, fragte Clara.

Greta sah sich erstaunt im Raum um. „Ich habe noch nie so viele Poster von Country- und Westernsängern auf einmal gesehen.“

„Soll das da Elvis sein?“, fragte Letticia stirnrunzelnd.

„Und seht mal, da ist ein Keramikhund neben dem Kamin“, warf Darlene ein.

Polly unterdrückte ein Niesen, als sie auf die Figur deutete. „Glaubst du, dass der Besitzer des Hauses den selbst gemacht hat?“

„Nein“, murmelte Grace, die sich nach einem Telefon umsah. „Nein, man kann sie kaufen. Ich habe sie schon mal gesehen.“

„Er sieht sich bestimmt gern Sportsendungen an.“ Brianna wies auf die Fernsehzeitung. Die Seite mit den Programmen der Sportkanäle war aufgeschlagen.

„Dort drüben an der Wand ist sogar ein Basketballkorb“, verkündete Greta beeindruckt. „So, wie die Wand aussieht, spielt er sogar im Haus Basketball.“

Grace sah auf und musste verärgert zugeben, dass das Mädchen recht hatte.

Clara sah Greta erstaunt an. „Woher weißt du, dass hier ein Mann lebt?“, fragte sie.

Hannah rollte mit den Augen. „Schau dir doch mal an, wie groß die T-Shirts und die Stiefel sind. Das ist Männerkleidung. Außerdem kannst du etwa irgendwo Sachen entdecken, die einer Frau oder einem Mädchen gehören könnten?“

Grace’ Herz schlug schneller. Die Mädchen hatten recht. Die Sachen, die dort auf dem Boden lagen, waren die eines sehr großen Mannes. Es gab auch keine Anzeichen dafür, dass eine Frau oder ein Kind hier lebten. Wo war sie nur hineingeraten? Und was würde der Mann denken, wenn er wiederkam und feststellte, dass eine Lehrerin und sieben kleine Mädchen in sein Haus eingedrungen waren? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er begeistert darüber sein würde. Und das mit gutem Grund.

Grace sah ernst zu ihren Schülerinnen hinüber. „Kommt mal her, Mädchen. Wir wollen nicht unsere Nasen in Dinge stecken, die uns nichts angehen. Es ist schlimm genug, dass wir hier eingebrochen sind und uns uneingeladen in seinem Haus befinden. Ihr setzt euch jetzt in einem Halbkreis um den Kamin, während ich …“ Sie begann in der Unordnung nach einem Telefon zu suchen. „… versuche, ein Telefon zu finden, um Hilfe zu holen.“

„Hey, das ist ja interessant“, ertönte auf einmal eine Männerstimme. Grace’ Magen zog sich beim Klang der tiefen, äußerst angenehmen Stimme zusammen. Sie schaute auf. Einige Meter von ihr entfernt stand der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Er war groß, mindestens ein Meter neunzig und hatte breite Schultern und schmale Hüften. Er trug verwaschene Jeans und ein Flanellhemd und strömte aus jeder Pore Männlichkeit aus. Auf dem zerzausten goldbraunen Haar lagen noch Schneeflocken. Auch seine Augen waren goldbraun, und zu ihrer Erleichterung sah sie darin keinen Ärger über ihr Eindringen, sondern eher Belustigung und unverhüllte Bewunderung, die unübersehbar ihren weiblichen Reizen galt.

Ein prickelnder Schauer lief Grace den Rücken hinunter. „Also … ich kann das erklären“, murmelte sie, als sein gutgeschnittener Mund sich zu einem Lächeln verzog. „Ich bin Grace Tennessen, Geschichtslehrerin am Peach Blossom Internat in Arlington, Virginia.“

Er ließ den Blick ihren Körper hinuntergleiten, während sein Lächeln immer breiter wurde. „Es ist eine ganz schöne Strecke von Arlington bis hier.“

Um es genauer zu sagen, befinden wir uns ganz am anderen Ende von Virginia, dachte Grace.

„Ja“, fügte Darlene hinzu und legte für einen Moment den Taschenrechner, den sie fast immer bei sich trug, aus der Hand. „Auf dem Straßenschild stand, dass diese Straße zum Highway führt, aber das stimmt nicht.“

„Die Teenager verdrehen in dieser Gegend oft die Schilder, um die Autofahrer irrezuführen.“

„Nun, damit hatten sie Erfolg“, seufzte Grace unglücklich, während sein Blick immer noch auf ihrem Gesicht ruhte. „Denn wir haben die falsche Straße und die falsche Richtung gewählt.“

„Und dann hat es angefangen zu schneien“, sagte Greta.

„Und wir haben einen Platten …“, warf Letticia ein.

„Und jetzt sind wir hier“, bemerkte Clara.

Grace wurde rot und strich sich verlegen mit einer Hand über das Haar. „Ich entschuldige mich, dass wir so einfach hier hereingeplatzt sind und …“

„Wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?“, fragte er freundlich.

„Dank American Express.“ Grace zog die Karte aus der Tasche und zeigte sie ihm. „Ich gehe nie ohne sie aus dem Haus.“

Zu ihrer Erleichterung sah er eher amüsiert als verärgert aus. „Gut, dass sie sie dabeihatten.“

„Ja, ich meine, ich hätte mir natürlich keinen Zutritt verschafft, wenn unsere Lage nicht so ernst gewesen wäre. Ich muss unbedingt den Automobilclub anrufen. Wenn ich vielleicht Ihr Telefon benutzen könnte?“

Er nickte und zog dann ein Telefon mit einem eingebauten Anrufbeantworter unter einem Stapel Zeitungen hervor. „Bedienen Sie sich“, forderte er sie auf, entwirrte das Kabel und reichte ihr das Telefon.

„Danke“, sagte Grace.

Sie hielt das Gerät in der einen, den Hörer in der anderen Hand und wählte die Nummer des Automobilclubs. Sie erklärte ihr Problem und runzelte dann die Stirn, als sie die Antwort hörte. „Nun?“, fragte der gut aussehende Fremde, nachdem sie den Anruf mit einem Knopfdruck beendet hatte.

Grace seufzte enttäuscht und erzählte, was man ihr gesagt hatte. „Sie sind im Moment völlig überlastet. Alle Abschleppwagen sind unterwegs, und die Warteliste ist bereits so lang, dass es noch Stunden dauern wird, bis einer rauskommen kann, vorausgesetzt natürlich, der Schneesturm legt den Verkehr nicht völlig lahm.“

„Und was jetzt?“, fragte er, und begann ebenfalls ein wenig besorgt auszusehen.

Eine Menge Leute verließen sich auf sie, und Grace wollte sie auf keinen Fall enttäuschen. Entschlossen straffte sie die Schultern. „Ich werde das Problem wohl auf die altmodische Art und Weise lösen und das Rad allein, ohne Hilfe des Automobilclubs, wechseln müssen.“ Sie schaute auf das Telefon, das sie noch in ihrer Hand hielt. „Aber zuerst rufe ich im Internat an und teile der Schulleitung mit, dass es uns gut geht. Ich hätte bereits vor Stunden mein Ziel erreichen und mich bei ihnen melden müssen. Wahrscheinlich macht man sich bereits große Sorgen.“

Während der Mann eine Akustikgitarre aufnahm, deren Holz so poliert war, dass es golden glänzte, rief Grace die Rektorin an und umriss mit wenigen Worten die Situation, in der sie sich befanden. Prompt wurde ihr erklärt, dass es das Beste wäre, dort zu bleiben, wo sie sich befand.

„Das geht nicht“, erwiderte Grace bestimmt, da sie sich bewusst war, dass der attraktive Fremde, in dessen Haus sie vor einigen Minuten eingebrochen war, jedes Wort mithörte.

„Warum nicht?“, fragte die Rektorin.

Grace wandte den Blick von dem Mann ab und sah den Schneeflocken zu, die am Fenster vorbeitrieben. „Dies hier ist ein Privathaus und kein Hotel.“ Und er sieht so verflixt gut aus, fügte sie in Gedanken hinzu. „Ich bin sicher, dass wir ein Hotel erreichen können, bevor die Straßen unpassierbar werden. Ich kann Ihnen aber trotzdem die Adresse unseres jetzigen Aufenthaltsortes geben. Wo sind wir eigentlich Mr …“

„McCoy. Ryan McCoy. Sie befinden sich auf der High Mountain Road 100 im Blue Mountain Gap, Virginia.“ Er zeigte ihr eine Visitenkarte, auf der auch seine Telefonnummer stand.

Grace gab alle Informationen der Rektorin durch.

„Sagen Sie Ihrer Chefin, dass sie sich keine Sorgen machen soll“, warf Ryan ein, während er ein wenig auf seiner Gitarre herumzupfte. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie sicher dort ankommen, wo sie hinwollen.“

„Danke“, murmelte Grace und entspannte sich ein wenig, als sie seine Worte der Rektorin wiederholte. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und wurde sich bewusst, dass sie kostbare Zeit vertrödelten. Sie sollten sich jetzt in Bewegung setzen, wenn sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen wollte. „Ich rufe Sie an, sobald wir in einem Hotel sind. Auf Wiederhören.“ Grace legte den Hörer auf und schaute einen Moment auf den Apparat. „Ihr Anrufbeantworter blinkt.“

Er nickte, während er sie so intensiv betrachtete, dass eine erregende Wärme sie durchströmte. „Und?“

Grace wurde verlegen. „Wollen Sie denn nicht hören, was für eine Nachricht man Ihnen hinterlassen hat?“

Er lächelte unschuldig und winkte lässig ab. „Nein, ich höre den Anrufbeantworter nie ab.“

Grace sah ihn prüfend an. Instinktiv spürte sie, dass seine charmante Nachlässigkeit nur gespielt war. Dieser Mann war viel zielstrebiger, als er zugeben wollte. „Warum haben Sie dann einen?“

Sein Lächeln ließ ihr Herz noch ein wenig schneller schlagen. „Damit ich nicht von Anrufen gestört werde.“

„Mal sehen, ob ich das richtig verstehe“, sagte Grace leise, während Ryan sich eingestehen musste, dass sie von Nahem noch viel hübscher war, als durch die Linse des Teleskops betrachtet.

„Sie haben ein Telefon, das sie nicht abnehmen und einen Anrufbeantworter, den sie nie abhören.“

„Ja, Sie haben es so ungefähr erfasst“, bestätigte Ryan und widerstand dem Wunsch, ihr seidiges blondes Haar und ihre zarte helle Haut zu berühren. Juliet hat recht, diese Frau ist eine Ablenkung, eine Ablenkung, die ich im Moment nicht gebrauchen kann, dachte er, während die sieben Mädchen in Schuluniformen ihn interessiert betrachteten.

„Warum haben Sie dann überhaupt ein Telefon?“, wollte Grace wissen.

Ryan zuckte die Schultern. Er wusste nicht, warum diese hübsche Lehrerin ihn so bezauberte, aber er wünschte sich auf einmal, sie zu beeindrucken. „Für Notfälle, so wie jetzt. Wenn sich allerdings das Glück zu meinen Gunsten wendet und ich ein oder zwei Songs veröffentliche, werde ich vielleicht auch mal meinen Anrufbeantworter abhören.“

„Sie schreiben Songs?“, fragte eins der Mädchen atemlos vor Aufregung.

Ryan lächelte das Kind an und war sich auf einmal bewusst, wie sehr er es im letzten Jahr vermisst hatte, mit seinen Nichten und Neffen zusammen zu sein. Wenn er diesen Auftrag hinter sich gebracht hatte, würde ihn sein erster Weg zu ihnen führen. „Ja, ich arbeite gerade an einer Reihe von Songs.“

Aber ganz im Gegensatz zu ihren Schülerinnen schien die Lehrerin nichts von seinem Musiktalent hören zu wollen.

„Hören Sie, ich bitte Sie wirklich nur ungern darum“, zog sie seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Aber es ist wohl besser, wenn wir uns so schnell wie möglich auf den Weg machen. Ich werde beim Reifen wechseln Ihre Hilfe brauchen.“

Ryan verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie an. Während ihre Blicke sich trafen, konnte er spüren, wie sie sich hinter einer Schutzmauer verbarrikadierte. Einer Mauer, die er auf jeden Fall einreißen wollte. „Sie erwarten von mir, dass ich in diesem Schneesturm mit Ihnen den weiten Weg zum Bus laufe, damit ich Ihnen beim Reifen wechseln helfe?“

„Ja, das erwarte ich“, erwiderte sie im Schulmeisterton eines Menschen, der es gewohnt ist, dass seine Anweisungen ohne Fragen ausgeführt werden. „Außerdem schneit es im Moment nicht so stark.“

„Hm.“ Er ließ seinen Blick über ihren Körper und dann wieder zu ihrem Gesicht wandern und fragte sich, wann sie das letzte Mal ein Nein gehört hatte. Warum zieht mich diese Frau so magisch an, grübelte er und zerbrach sich den Kopf darüber, was er tun könnte, um ihr Interesse zu wecken. „Und was erhalte ich als Gegenleistung?“

Autor

Cathy Gillen Thacker
Cathy Gillen Thackers erster Schreibversuch war eine Kurzgeschichte, die sie in der Mittagsstunde ihrer Kinder zu Papier bringen wollte. Monate später war ihre Kurzgeschichte auf Buchlänge angewachsen und stellte sich als Liebesroman heraus. Sie schrieb sechs weitere Romane, bevor ihr achter von einem Verlag angenommen und 1982 veröffentlicht wurde.

Seitdem hat...
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