Was nun, Abby?

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Jahre hat Abby davon geträumt - und jetzt liegt Jack tatsächlich mit ihr im Bett! Seine lustvollen Zärtlichkeiten entflammen immer wieder aufs Neue ihr Verlangen. Für Abby ist es Liebe, doch am nächsten Morgen muss sie erkennen, dass Jack anders zu empfinden scheint. Ohne sich zu verabschieden, ist er verschwunden …


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756222
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ein kühler Wind fegte über die Straßen von Promise, Nevada, und verstärkte die feuchte, trübe Stimmung des grauen Dezembertages noch. Es war früher Abend, und nur vereinzelt waren noch Menschen auf den Straßen zu sehen. Der Großteil von ihnen befand sich vermutlich auf dem Weg nach Hause, denn die Geschäfte würden bald schließen.

Auch sie sollte sich auf den Heimweg machen, dachte Abby Summers. Vielmehr: auf den Weg zum Haus ihrer Mutter. Doch sie verweilte auf der schmalen Holzbank in dem winzigen Park mitten im Zentrum der Kleinstadt. Die Hände tief in den Taschen ihres schwarzen Wollmantels vergraben, senkte sie das Kinn, um es in ihrem hochgestellten Kragen vor der Kälte zu schützen.

Zu viele Erinnerungen erwarteten sie in Larissas Haus. Traurige Erinnerungen. Wie sehr wünschte sich Abby, schon früher den Versuch unternommen zu haben, ihre Mutter besser kennenzulernen. In ihrem jugendlichen Optimismus hatte sie immer darauf vertraut, dass sich schon eines Tages die Gelegenheit ergeben würde, sich zusammenzusetzen und ein freundschaftliches Gespräch über die Vergangenheit zu führen. Wie schön hätte das sein können! Und um wie vieles schöner wäre es gewesen, dachte Abby, auch noch ihre Zukunftshoffnungen und – träume miteinander zu teilen!

Nun war es zu spät.

Abby war über die Weihnachtsfeiertage zurückgekehrt in die ruhige, ländliche Kleinstadt Promise, zweihundert Meilen nordöstlich von Las Vegas gelegen, in der Hoffnung, dass sie und Larissa endlich zueinanderfinden würden. Sie hatte sogar einige mühsam gesparte Urlaubstage von ihrem Job als Betriebsberaterin in San Francisco genommen, damit dieser Besuch nicht so kurz und hektisch werden würde wie die in der Vergangenheit. Hank und Judith, ihre Großeltern, waren begeistert darüber gewesen, und auch Larissa schien sich darüber zu freuen.

Abby war Heiligabend zu ihrer Mutter gefahren, wo alle drei schon auf sie gewartet hatten. Zu weihnachtlicher Musik aus dem Radio hatten sie den Christbaum geschmückt, den Hank am Vormittag erstanden hatte. Danach hatten sie sich über Judiths selbst gemachte Sandwichs und Schokokekse hergemacht, bevor sie früh zu Bett gegangen waren.

Larissas Freude über Weihnachten im Kreise der Familie schien auch am ersten Weihnachtsfeiertag noch nicht verraucht zu sein. Sie und Abby besuchten Hank und Judith in ihrem kleinen Apartment. Dort öffneten sie die Geschenke und genossen Judiths köstlichen Truthahn. Am späten Nachmittag begann Abby langsam, wachsende Unruhe in ihrer Mutter zu verspüren – jene Unruhe, die sie schon seit Abbys Kindheit immer und immer wieder von einem Ort zum anderen getrieben hatte.

Wie so oft in der Vergangenheit, ließ sie ihre Tochter bei Hank und Judith zurück und verließ die Stadt. Ein Freund erwarte sie in Las Vegas, hatte sie nur kurz erklärt. Ein Freund, dessen Freund ihr nach Neujahr vielleicht Arbeit in einem der unzähligen Casinos von Las Vegas verschaffen konnte. Nicht als Tänzerin, zumindest nicht von Anfang an. Aber war sie erst einmal dort, würde sie vielleicht ihre Chance bekommen …

Es sollte das Letzte sein, was Abby und ihre Großeltern von Larissa hörten, bis Abby am 26. Dezember kurz vor Mitternacht einen Anruf erhielt. Eine höfliche Stimme teilte ihr mit, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Der Fahrer des Wagens, dessen Namen Abby zum ersten Mal hörte, war in betrunkenem Zustand von der Straße abgekommen und hatte einen Baum gerammt. Während er beinahe unverletzt geblieben war, verstarb Larissa noch an der Unfallstelle.

Abby hatte den Morgen abgewartet, um ihren Großeltern die niederschmetternde Mitteilung von Larissas Tod zu machen. Danach hatte sie sich, ihre eigene Trauer leugnend, sofort an die Vorbereitung des Begräbnisses gemacht, um Hank und Judith wenigstens diese Belastung zu ersparen.

Wusste man um Larissas Ruf in der Stadt, so musste man die große Zahl der Menschen, die das Begräbnis besucht hatten, wohl vor allem als Tribut an Abbys Großeltern gewertet werden. Um ihretwillen war sie dafür dankbar gewesen.

Hank und Judith wollten nach dem Begräbnis noch ein wenig auf dem Friedhof bleiben, doch Abby hatte darauf bestanden, sie nach Hause zu bringen. Beide waren zu erschöpft gewesen, um länger draußen zu sein als unbedingt notwendig, ganz besonders an einem so grauen, unfreundlichen Tag. Auf keinen Fall wollte Abby riskieren, dass sie sich eine Erkältung zuzogen. Ihre Großeltern waren die einzige Familie, die sie je besessen hatte, und sie liebte sie mehr als alles andere auf der Welt.

Mit einer Tasse heißem Tee und dem Versprechen, morgen vor dem Rückflug nach San Francisco noch kurz hereinzuschauen, hatte Abby das kleine, gemütliche Apartment ihrer Großeltern verlassen, um im Haus ihrer Mutter ihre Sachen zusammenzupacken. Doch nachdem sie ihr Auto in der Einfahrt abgestellt hatte, entschloss sie sich, zunächst einen kurzen Spaziergang zu machen, um ihre Gedanken zu ordnen. Eine Stunde später fand sie sich am Stadtpark wieder, wo sie sich, alleine mit ihrer Trauer, auf einer Bank niederließ.

Auf ihre eigene, außergewöhnliche Art hatte Larissa sie geliebt, dessen war sich Abby sicher. Und sie musste sie gewollt haben, denn andernfalls wäre eine Abtreibung für sie ein einfacherer Weg gewesen als der einer ledigen Mutter zwischen unzähligen Jobs und Männern in Las Vegas.

Ein kurzer, starker Windstoß löste eine Strähne von Abbys schulterlangem kastanienbraunen Haar aus dem Zopf, den sie sich heute Morgen sorgfältig geflochten hatte. Die Luft roch nach Regen und der Himmel wirkte viel dunkler und drohender als noch vor wenigen Minuten. Zeit zu gehen, beschloss sie. Der Fußmarsch zurück zum Haus ihrer Mutter würde mindestens eine halbe Stunde dauern, und sie wollte nicht in den Regen geraten.

Langsam erhob sich Abby von der Bank und legte den Träger ihrer Handtasche über ihre Schulter. Ein weiterer Windstoß zerrte an ihrem Mantel und ließ sie vor Kälte schauern. Warum hatte sie auch so lange herumgetrödelt! Nun würde ein zügiger Spaziergang alleine nicht mehr genügen, um sie aufzuwärmen.

Was sie jetzt dringend brauchte, war eine Tasse heißen Kaffee. Und sie wusste auch, wo sie eine bekommen würde. Auf der anderen Seite des Parks lockte ein hell erleuchtetes Café. Es schien neu zu sein, zumindest war es bei ihrem letzten Besuch in Promise noch nicht da gewesen. Wie einladend es wirkte, und auch nicht allzu weit entfernt.

Zielstrebig steuerte Abby auf die andere Seite des Parks zu. Sie war sich dessen wohl bewusst, dass sie nur versuchte, die unvermeidliche Rückkehr ins Haus ihrer Mutter weiter aufzuschieben.

Nach wenigen Schritten fiel ihr Blick auf einen Mann, der auf einer der Bänke an der Seite des schmalen Kiesweges saß. Er war ganz in Schwarz gekleidet: maßgeschneiderte Hose, Rollkragenpullover und Lederjacke. Sein Kopf mit dem blonden Haar war tief gebeugt und zur Seite gedreht, sein Gesichtsausdruck ungewöhnlich finster.

Obwohl ihm Abbys Anwesenheit genauso gleichgültig zu sein schien wie ihr die seine, zögerte sie einen Augenblick und runzelte die Stirn. Er erinnerte sie an jemanden.

Jack Randall, dachte sie plötzlich. Ihr Herz begann schneller zu schlagen.

Jack Randall, Star des Footballteams ihrer Highschool und einziger Spross der wohlhabenden Familie Randall, war schon immer einer der vielversprechendsten Söhne der Stadt gewesen. Darüber hinaus war er damals in der Highschool Abbys heimliches Idol gewesen. Als er bemerkte, dass sie von einigen boshaften Mädchen gehänselt wurde, hatte er sie unter seine Fittiche genommen und sich wie ein Bruder um sie gekümmert. Abby hatte sich daraufhin unvernünftigerweise in ihn verliebt, obwohl er eine Freundin hatte, die ihm alles bedeutete.

Wie erwartet, hatte Jack diese Freundin, Cindy Willis, geheiratet. Sie waren gemeinsam in Boston aufs College gegangen. Einige Jahre später hatte auch Abby Promise verlassen. Doch jedes Mal, wenn sie zurückkehrte, dachte sie an Jack und hoffte, dass er glücklich war, bis sie eines Tages erfuhr, dass Cindy kurz nach Jacks Studienabschluss als Mediziner bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Wie sie, musste auch er über die Weihnachtsfeiertage nach Hause zurückgekehrt sein. Offenbar war er noch immer alleine. Andernfalls würde er wohl kaum hier im Park sitzen und genauso einsam aussehen, wie sie sich fühlte.

Einen Augenblick lang war sie versucht, zu ihm hinüberzugehen und ihn anzusprechen. Schließlich war er ein Freund gewesen, und für all das, was er während ihrer gemeinsamen Schulzeit für sie getan hatte, stand sie tief in seiner Schuld.

Doch das war Jahre her. Vielleicht würde er sie gar nicht mehr wiedererkennen, und selbst wenn er sich noch an sie erinnerte, war es fraglich, ob er sich über das zufällige Zusammentreffen freuen würde. Jack Randall konnte jede Gesellschaft haben, die er wollte. Doch aus einem bestimmten Grund hatte er sich offensichtlich entschieden, allein zu sein. Er wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie sich ihm jetzt aufdrängte.

Mit gesenktem Kopf ging Abby schnell den Weg entlang auf ihn zu und hoffte, dass das Geräusch ihrer Schuhe auf dem Kies nicht seine Aufmerksamkeit auf sie lenken würde. Als sie die Bank passierte, sah sie, wie er in ihre Richtung blickte, doch sie erlaubte sich nicht, ihre Schritte zu verlangsamen.

Jack Randall hatte die Frau mit dem kastanienbraunen Haar schon auf einer Parkbank sitzen sehen, als er gekommen war, doch er hatte ihr keine weitere Beachtung geschenkt. Weil sie ihren Kopf gesenkt hielt, hatte er ihr Gesicht nicht erkennen können. Außerdem war er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich selbst zu bemitleiden, um ihr mehr als einen beiläufigen Blick zu schenken.

Über die Feiertage nach Hause zurückgekehrt, hatte Jack feststellen müssen, dass er Cindy mehr vermisste denn je, trotz der vier Jahre, die seit ihrem Tod vergangen waren. Sie hatten einander so lange gekannt. Schon ihre Eltern waren gute Freunde gewesen, und da sowohl er als auch Cindy Einzelkinder gewesen waren, war ihre Freundschaft ganz von selbst entstanden. Jeder hatte einen Platz im Leben des anderen gehabt, den niemand sonst hätte ausfüllen können. Jahrelang waren sie die besten Freunde gewesen, bis ihre Beziehung dann in Highschooltagen intimeren Charakter anzunehmen begann.

Ihr Eltern waren dagegen gewesen, dass sie schon im Sommer nach ihrem Highschoolabschluss geheiratet hatten, doch er und Cindy waren viel zu verliebt gewesen, um sich davon abhalten zu lassen. Natürlich, sie waren jung gewesen, doch sie hatten genau gewusst, was sie wollten. Und wirklich, ihre Liebe hatte sich als beständig erwiesen.

Sie hatten so viele Pläne gehabt für die gemeinsamen Jahre, die sie vor sich glaubten. Als er nach seinem Abschluss als Mediziner seine erste Stelle in einem Kinderspital in Texas angetreten hatte, schien ihre Zukunft alles zu versprechen, was sie sich jemals erträumt hatten. Bald hätte Cindy ihren Beruf als Kindergärtnerin aufgeben können, um endlich ihre eigene Familie zu gründen, wie sie es sich beide mehr als alles andere wünschten.

Doch dann rammte ein Betrunkener mit seinem Lieferwagen Cindys kleinen Sportwagen.

Das Einzige, was Jack danach aufrecht hielt, war das Bewusstsein, dass sie nicht gewollt hätte, dass er sich aus Trauer über ihren Tod vollkommen hängen ließ. Irgendwie schaffte er es, sich zusammenzureißen. Er hatte sich ganz seinem Beruf gewidmet und ging völlig auf in seiner Aufgabe, kranke Kinder zu heilen. Er hatte keine Zeit für eine neue Beziehung gehabt, und er wollte auch keine. Er hatte geliebt – und verloren. Einmal war genug.

Das unerwartete Geräusch von Schritten auf dem Kiesweg riss Jack aus seinen düsteren Gedanken. Als er zur Seite blickte, sah er die Frau mit dem kastanienbraunen Haar auf sich zukommen. Trotz der Dämmerung schien ihm ihr Gesicht seltsam vertraut. Einige Sekunden lang blickte er sie verstohlen an, um herauszufinden, woher sie ihm so bekannt vorkam.

Plötzlich wusste er es. Abby Summers, dachte er und blickte schnell zur Seite, als sie näherkam.

Damals, vor vielen Jahren, war sie so ein nettes, schüchternes Mädchen gewesen. Die grausamen Hänseleien wegen dem nicht gerade glänzendem Ruf ihrer Mutter hatte sie nicht verdient gehabt. Er und Cindy waren schockiert gewesen von der Boshaftigkeit ihrer Mitschüler. Gemeinsam hatten sie beschlossen, sich mit Abby anzufreunden, um sie davor so gut wie möglich zu bewahren.

Anfangs war es für Jack nur ein Akt der Nächstenliebe gewesen, freundlich zu Abby zu sein, doch schnell fand er heraus, dass sie ein besonderer Mensch war. Etwas unbeholfen war sie damals noch gewesen. Sie hatte einfache, viel zu weite Hosen und Pullover getragen, die ihre Figur überhaupt nicht zur Geltung brachten. Das wunderschöne kastanienbraune Haar trug sie immer streng hochgesteckt, zudem hatten ihr die großen Gläser ihrer Brille ein eulenhaftes Aussehen verliehen. Doch sie war klug gewesen, und sobald er sie ein wenig besser kennengelernt hatte, erkannte er, wie viel Humor sie eigentlich besaß. Gespräche mit ihr waren immer sehr unterhaltsam gewesen.

Damit es nicht zu auffällig war, beobachtete Jack Abby nur aus den Augenwinkeln. Nur noch wenige Meter von ihm entfernt, hob sie den Kopf ein wenig und gab Jack so die Gelegenheit, ihr hübsches Gesicht genauer anzusehen. Seine kleine Abby war zu einer eleganten jungen Dame herangereift: groß und schlank und doch mit wunderbar weiblichen Formen.

Mühsam widerstand Jack der Versuchung, aufzustehen und sie anzusprechen. Wenn sie sich überhaupt an ihn erinnerte, dann bestimmt nur vage. Schließlich lag ihre Freundschaft mehr als zehn Jahre zurück. Zehn Jahre, in denen sie sich stark verändert hatte: Ihre Brille hatte sie durch Kontaktlinsen ersetzt, und auch ihre weiten Kleidungsstücke schienen der Vergangenheit anzugehören. Vermutlich würde sie nicht begeistert darüber sein, durch sein Auftauchen an die schwierige Zeit auf der Highschool erinnert zu werden, die sie offensichtlich hinter sich gelassen hatte.

Hin- und hergerissen sah er zu Boden, als Abby näherkam. Gleichzeitig hoffte er, dass sie ihn ansprechen würde. Doch mit eiligen Schritten und gesenktem Kopf ging sie an ihm vorbei.

Wahrscheinlich sollte er es dabei belassen. Ihre Wege hatten sich schon vor langer Zeit getrennt, und das war auch gut so. Was brachte es schon, nun einige mehr oder weniger peinliche Worte zu wechseln?

Doch andererseits wäre es nicht nett, sich wieder einmal mit jemandem über die alten Zeiten zu unterhalten? So jung und unbeschwert wie damals hatte er sich nach Cindys Tod nie mehr gefühlt …

Bevor er es sich wieder anders überlegte, sprang er auf und ging ihr nach. Am Ausgang des Parks holte er sie ein und berührte sie leicht am Ärmel ihres Mantels.

„Abby? Abby Summers, stimmt’s? Ich bin es, Jack … Jack Randall.“

Sie blieb stehen, doch sie schien zu zögern, bevor sie sich nach ihm umdrehte. Obwohl sie lächelte, war ihr Gesichtsausdruck zurückhaltend. Ob sie ihn wohl schon früher erkannt, aber beschlossen hatte, sich nicht bemerkbar zu machen?

„Hallo, Jack“, sagte sie schließlich.

Wie müde sie wirkte! Sofort bereute er seinen Entschluss, sie anzusprechen. Sie war in den Park gekommen, um alleine zu sein. Da drängte er sich ihr auf und erwartete auch noch, dass sie sich darüber freute.

Sag etwas, einfach irgendetwas, schimpfte er mit sich selbst. Bring es so schnell wie möglich zu Ende und lass sie in Frieden.

„Offenbar bist du auch über die Feiertage nach Hause gekommen“, sagte er so fröhlich er konnte. „Hattet ihr eine schöne Zeit?“

Sie starrte ihn einige Sekunden lang an, dann wandte sie sich ab. Düster runzelte sie die Stirn. „Leider nicht“, antwortete sie. „Meine Mutter ist diese Woche gestorben. Sie wurde heute beerdigt.“

Plötzlich erinnerte er sich an einen Zeitungsartikel, den er vor ein paar Tagen gelesen hatte. Darin ging es um eine Frau namens Larissa Summers, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Deshalb also war ihm der Name so seltsam vertraut erschienen!

„Oh, Abby, es tut mir so leid …“, begann er. Unbeholfen fügte er hinzu: „Das wusste ich nicht.“

Eigentlich hätte er es wissen können, wäre er nur ein wenig aufmerksamer gewesen und hätte zwei und zwei zusammengezählt, schalt Jack sich selbst.

„Schon in Ordnung.“ Sie wischte die einzelne Träne ab, die ihre Wange hinunterkullerte, und sah in an. „Es kam ganz unerwartet. Mir fällt es so schwer zu akzeptieren, dass sie tot ist.“

Abby sah so verloren aus, dass Jack sie am liebsten in die Arme genommen und fest an sich gedrückt hätte. Aber das wäre wohl völlig unangemessen gewesen.

„Ich weiß, was du fühlst“, sagte er stattdessen.

„Bestimmt.“ Sie sah ihm gerade in die Augen. Verständnis und Mitleid sprachen aus ihrem Blick. „Cindys Tod muss dich schrecklich getroffen haben.“

„Sie war ein ganz besonderer Mensch. Sie war einfach einzigartig. Ohne sie weiterzuleben wie früher war nicht einfach, aber ich weiß genau, dass sie das von mir erwartet hätte. Zum Glück hatte ich meine Arbeit als Kinderarzt, um mich zu beschäftigen.“

„Sie wäre bestimmt sehr stolz auf dich.“

In Abbys Blick lag so viel Wärme, dass Jack wegsehen musste, um seinem Wunsch, sie in die Arme zu schließen, widerstehen zu können.

„Ich sollte besser gehen“, sagte Abby, nachdem einige Sekunden verstrichen waren, in denen sie schweigend dagestanden hatten. Sie fröstelte leicht, als ein kräftiger Windstoß unter ihren Mantel fuhr.

Die Höflichkeit gebot Jack, ihr noch einmal sein Beileid auszusprechen und sich dann zu verabschieden, doch diese Idee gefiel im keineswegs. Die wenigen Minuten, die er mit Abby verbracht hatte, waren die schönsten gewesen, an die er sich seit Cindys Tod erinnern konnte. Andererseits entsprach es nicht unbedingt seinen Vorstellungen einer angenehmen Unterhaltung, hier im Park herumzustehen und Small Talk zu machen.

„Wohin willst du denn?“, fragte er, um etwas Zeit zu gewinnen, während sein Blick plötzlich auf das hell erleuchtete Café auf der anderen Straßenseite fiel.

„Zum Haus meiner Mutter. Ich muss noch einige Dinge erledigen, bevor ich morgen Nachmittag zurück nach San Francisco fliege.“

Nach San Francisco hatte es sie also verschlagen. Wie schön es wäre, wenn sie ihm erzählte, wie das gekommen war.

„Hast du schon Pläne fürs Abendessen?“

„Eigentlich nicht“, antwortete sie. Seine vielen Fragen schienen sie zu amüsieren.

„Ich auch nicht. Wir könnten doch gemeinsam in das Café dort drüben gehen, nur um der alten Zeiten willen“, schlug er vor. „Findest du nicht, dass es sehr einladend aussieht?“

„Ich weiß nicht“, murmelte sie zögernd.

„Wahrscheinlich hast du viel zu tun, aber es ist doch noch früh, um diese Zeit bekommen wir bestimmt schnell etwas zu essen“, fügte er eilig hinzu. „Es wird nicht lange dauern. Ich verspreche, dass du spätestens um sieben wieder zu Hause bist.“

Einige quälende Momente lang stand Abby unschlüssig da. Gerade als Jack sicher war, sie würde seine Einladung ablehnen, lächelte sie ihn an. „Also gut“, meinte sie. „Um der alten Zeiten willen.“

Jack konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so sehr auf ein gemeinsames Essen mit einer Frau gefreut hatte. Während des letzten Jahres war er mehrere Male ausgegangen, aber vor allem, um seinen Freunden eine Freude zu machen, die ihn ständig verkuppeln wollten. Heute war es etwas völlig anderes: Er würde mit einer guten Freundin essen, mit jemandem, der ihn kannte und verstand. Und bevor sich ihre Wege wieder trennten, würden sie gemeinsam einige angenehme Stunden verbringen.

Jack nahm Abby am Arm und steuerte auf das Café zu.

2. KAPITEL

Abby stand ruhig neben Jack, während sie an der Ampel auf grünes Licht warteten, um die Straße überqueren zu können.

Sie versuchte, sich dazu zu zwingen, etwas zu sagen, das nicht lächerlich klingen würde, doch es wollte ihr beim besten Willen nichts Passendes einfallen. Schon Jacks Hand an ihrem Oberarm, kaum fühlbar durch ihren dicken Wintermantel, reichte aus, ihr Herz zum Flattern zu bringen.

Abby konnte kaum glauben, dass sie die Kühnheit besessen hatte, Jacks Einladung anzunehmen. Davon abgesehen, war es schon unglaublich genug, dass er sie überhaupt gefragt hatte – alte Zeiten hin oder her! Und da stand sie nun, angespannt vor Nervosität bis in die letzte Faser ihres Körpers, obwohl diese Einladung nichts anderes war als ein weiterer Akt der Nächstenliebe seinerseits.

Schließlich war es keine Verabredung. Nur ein kleines Abendessen in einem Café in der Nähe und zwei alte Bekannte, die gerade nichts Besseres vorhatten. Er hatte ja auch bereitwillig versprochen, dafür zu sorgen, dass sie um sieben wieder zu Hause war.

Wahrscheinlich tat sie ihm einfach nur leid, weil ihre Mutter gestorben war. So wie früher, als er ihr in der Highschool am Kiosk Limonade gekauft hatte, um sie aufzuheitern. Mit seinem untrüglichen Sinn dafür, zur rechten Zeit das Richtige zu tun, hatte er beschlossen, dass eine Einladung zum Essen sie aufmuntern würde.

Und er hatte recht gehabt, musste Abby zugeben. Natürlich war sie nach wie vor traurig über den Verlust ihrer Mutter, doch sie fühlte sich längst nicht mehr so bedrückt wie noch vor wenigen Augenblicken. Allein dafür war sie ihm schon dankbar. Einmal mehr …

Aber sie würde keine große Sache daraus machen. Ein Abendessen mit Jack in einem guten Restaurant, am besten bei Kerzenschein – das war ein Jugendtraum gewesen, doch nun war sie erwachsen und nüchtern genug, zu wissen, dass die Realität keineswegs so romantisch war, wie sie es sich damals gewünscht hatte. Sie würden einige Zeit zusammen in einem Café sitzen, das war alles.

„Da sind wir“, verkündete Jack überflüssigerweise, als sie an der gläsernen Eingangstür des Cafés angelangt waren.

Abby, aus ihren Tagträumen gerissen, sah ihn an und lächelte. „Ja, da sind wir.“

„Einen Tisch für zwei?“, fragte die hübsche junge Frau, die sie am Eingang freundlich in Empfang nahm.

„Ja, bitte“, antwortete Jack.

„Darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen?“

Abby nickte zustimmend. Während sie ihren Mantel aufknöpfte, sah sie sich ein wenig um. Obwohl das Café größer war, als es von außen schien, machte es einen sehr gemütlichen Eindruck. Trotz der frühen Stunde saßen bereits zwei Paare und eine vierköpfige Familie an ihren Tischen. Als Jack Abby aus dem Mantel half, öffnete sich die Tür, und eine weitere Familie betrat das Lokal.

„Offenbar sind wir gerade noch rechtzeitig gekommen“, sagte Jack. „Eine halbe Stunde später hätten wir wahrscheinlich lange auf das Essen warten müssen. Dann hätte ich es nicht geschafft, dich rechtzeitig um sieben nach Hause zu bringen und mir Schwierigkeiten eingehandelt.“

Obwohl Jacks Stimme ernst klang, verriet sein Augenzwinkern, dass er sich nicht besonders vor diesen Schwierigkeiten fürchtete.

Autor

Nikki Benjamin
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