Wild, süß und total verliebt

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Seitdem Analise mit dem smarten Privatdetektiv Nick Claiborne von Staat zu Staat reist, um eine Betrügerin zu finden, ist sie sich ihrer Gefühle zu ihrem Verlobten nicht mehr sicher. Bei Lucas spürt sie nie diese erotische Anziehung, dieses aufregende Kribbeln wie bei Nick…


  • Erscheinungstag 13.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753160
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Abendsonne war hinter den Bergen versunken, als Nick Claiborne über das Rollfeld des Flughafens in Rattlesnake Corners, Wyoming, ging. Seine Privatmaschine, die er liebevoll Ginny nannte, stand wartend da.

Es war ein heißer Junitag gewesen. Nick hatte South Dakota am frühen Morgen verlassen und hatte den Tag damit verbracht, in Rattlesnake Corners nach einer Frau zu suchen, die vor etwa zwanzig Jahren hierher gezogen war. Und jetzt würde er auf der Suche nach dieser Frau weiter nach Nebraska fliegen.

Sobald er mit Ginny wieder in der Luft war, würde er sich entspannen, weit weg von der Erde und nahe den Sternen. Fliegen war für Nick wie Urlaub, und als Privatdetektiv hatte er nicht oft Gelegenheit, sich auszuruhen. Aber dieser Auftrag, so ermüdend er auch war, gab ihm dazu wenigstens Gelegenheit.

Nick beendete seinen prüfenden Rundgang um die Maschine, löste die Bodenverankerung und kletterte über den Flügel zur Tür. Sie war offen, wie merkwürdig!

Gerade wollte er hineinsteigen, als er einen fremden Geruch wahrnahm. Es duftete nach Geißblatt …

„Hallo, ich bin Analise Brewster! Und Sie müssen Nick Claiborne sein.“

Nick stellte den Fuß zurück auf den Flügel. Weder hatte er getrunken, noch träumte er! Also konnte der hübsche Rotschopf im Cockpit kein Hirngespinst sein!

„Analise Brewster? Meine Mandantin Analise Brewster?“, fragte er verwirrt.

„Ganz richtig! Ich freue mich, Sie zu sehen! Es wurde schon so spät, dass ich befürchtete, im falschen Flugzeug zu sitzen. Aber hier war nur diese eine Maschine.“

Die rothaarige junge Frau stand etwas erhöht auf der Biegung des Flügels. Ihre Beine schienen endlos lang zu sein. In ihren knappen Khakishorts und mit den sandfarbenen Sandalen sah sie äußerst sexy aus. Eine passende Seidenbluse, die ihren Busen betonte, vervollständigte die sportlich-elegante Aufmachung.

Sie lächelte verführerisch, ihre sinnlichen Lippen entblößten perlweiße Zähne.

Verführerisch? Sinnliche Lippen? Was waren denn das für Gedanken? Dabei hatte die Frau ohne Erlaubnis einfach sein Flugzeug bestiegen!

Sie streckte ihm ihre schlanke Hand entgegen. Nick drückte sie automatisch, ihre Haut war ganz weich.

„In Ihrem Fax erwähnten Sie, dass Sie eine heiße Spur hinsichtlich Abbie Prather hätten. Haben Sie sie gefunden? Ist sie schon verhaftet?“

Vielleicht hatte ihm doch einer der Rancher etwas in den Eistee getan, die ganze Szene kam Nick irgendwie unwirklich vor. Er rieb sich den verspannten Nacken. „Was machen Sie überhaupt hier? Wie sind Sie in mein Flugzeug gekommen?“

„Ich habe gestern Abend Ihr Fax bekommen“, erklärte Analise und sprach betont langsam, als habe er Mühe, sie zu verstehen. „Dann rief ich heute Morgen in Ihrem Büro an und teilte Ihrer Sekretärin mit, dass ich Sie hier treffen wollte. Aber Sie haben meine Nachricht offensichtlich nicht bekommen.“

„Nein. Ich habe heute noch gar nicht mit meiner Sekretärin gesprochen.“ Nick schaute sich auf dem einsamen Flughafen um. „Wie sind Sie denn überhaupt hergekommen?“

„Ich bin heute Morgen nach Tyler gefahren und von dort aus hergeflogen – in Briar Creek gibt es keinen Flughafen. Aber als ich hier ankam, waren Sie nicht da. Mir wurde jedoch gesagt, dass das hier Ihre Maschine sei und dass Sie wohl bald zurückkämen. Deshalb habe ich in Ihrem Flugzeug auf Sie gewartet. Ich wollte Sie auf keinen Fall verpassen.“

Sie sprach noch schneller als am Telefon, aber ihre Stimme klang in Wirklichkeit viel schöner. Man dachte dabei an kühle Limonade unter einem schattigen Baum im heißen Texas-Sommer und an eine weiche Brise, die die Blätter des Magnolienbaums bewegte …

Nick räusperte sich und versuchte, den Kopf wieder klar zu bekommen. „Ich verstehe noch immer nicht, wieso Sie hier sind.“

Analise furchte die Stirn und schaute sich um, als überrasche es sie selbst, mitten in der Wildnis zu sein. Dann lächelte sie. „Nun, um dabei zu sein, wenn Sie die Frau finden, die den Vater meines Verlobten hereingelegt hat.“

Nick verschränkte die Arme vor der Brust. „Wozu?“

„Wozu? Aber das ist doch ganz klar.“

„Wieso erklären Sie es mir dann nicht? Was könnten Sie für einen Grund haben, tausend Meilen weit zu reisen, nur um bei der Verhaftung einer Frau dabei zu sein?“

Analise biss sich auf die Lippen, und Nick bemerkte, dass er es ebenfalls tat, gerade so, als könnte er damit ihre spüren.

Sie bückte sich, um etwas aus dem Flugzeug herauszuholen, wobei ihr festes, rundes Hinterteil zu sehen war.

Als sie sich wieder aufrichtete, hatte sie eine große Tasche in der Hand. Nach einigem Suchen förderte sie eine Kamera zu Tage. „Ich sollte ein Foto machen“, sagte sie. „Wie ich schon sagte, die ganze Suchaktion ist das Hochzeitsgeschenk für Lucas, meinen Verlobten. Da es eine Überraschung sein soll, habe ich ihm natürlich nichts davon erzählt. Ein Foto wäre ein sichtbarer Beleg, verstehen Sie?“

„Nein, ich verstehe noch immer nicht, wieso Sie hier sind.“

Analise legte die Kamera wieder in die Tasche, hängte sie sich über die Schulter und schaute Nick herausfordernd an. „Ich muss ganz einfach dabei sein.“

Selbst im Dämmerlicht konnte man sehen, dass ihre Augen grün waren. Nicht blaugrün wie das Meer oder olivgrün wie Moos, sondern grün wie Baumspitzen im vollen Sommersonnenlicht, wenn man darüber wegflog. Am liebsten hätte Nick sich hineinversenkt und ihr versichert, dass es ihm völlig gleich sei, warum sie gekommen sei, aber dass es ihn freute.

Er gab sich im Geiste einen Stoß. Es war doch sonst nicht seine Art, sich von erotischen Gefühlen hinreißen zu lassen. Nein, eigentlich störte es ihn, dass sie da war!

„Abbie Prather wohnt hier nicht mehr“, erklärte er mürrisch. „Sie ist bereits 1976 von hier weggezogen.“

„Oh, nein! Heißt das, wir haben ihre Spur verloren? Was machen wir denn nun?“

Sie wirkte plötzlich so verloren, dass Nick den albernen Wunsch empfand, sie zu trösten.

Dabei war er nur der Detektiv, der den Auftrag hatte, Informationen zu sammeln, mehr nicht. Privatgefühle hatten hier nichts zu suchen!

„Wir … äh, ich habe sie nicht verloren. Ich habe eine Adresse von ihr in Nebraska, und sobald Sie nach Briar Creek zurückkehren, fliege ich dorthin.“

„Ähmm“, begann sie und wich seinem Blick aus, „das kann ich nicht. Der Pilot, der mich herbrachte, ist inzwischen zurückgeflogen, weil sein dreijähriger Sohn Geburtstag hat. Deshalb werde ich mit Ihnen nach Nebraska fliegen. Dann kann ich auch dabei sein, wenn Sie Abbie endlich finden.“

„Nein, das geht nicht!“, protestierte Nick. Er brauchte Zeit für sich und konnte keine verrückte Mandantin in seiner Nähe gebrauchen, schon gar nicht eine mit zwei Meter langen, goldfarbenen Beinen und sinnlichen Lippen.

„Wieso nicht?“

„Sehen Sie, Ms. Brewster …“

„Analise. Wir sollten uns beim Vornamen nennen, wenn wir schon in diesem Mini-Flieger zusammen nach Nebraska fliegen.“

„Wir fliegen nicht zusammen in diesem Mini-Flieger nach Nebraska.“

Nick fuhr sich mit beiden Händen durch seine Haare. „Abbie Prather ist keine Amateurin. Sie hat bei der Bank, bei der sie arbeitete, 25000 Dollar unterschlagen und Bankunterlagen gefälscht, um den Vater Ihres Verlobten reinzulegen. Außerdem hat sie gefälschte Dokumente erworben, um ihre Identität in June Martin zu ändern. Das sind Handlungen eines Menschen, der genau weiß, was er tut. Wenn sie einige Jahre in South Dakota lebte, danach in Wyoming und dann in Nebraska – wieso sollte sie dann länger als ein paar Jahre in Nebraska geblieben sein? Vermutlich ist sie noch weitere sechs oder sieben Mal umgezogen. Als ich diesen Auftrag übernahm, sagte ich Ihnen bereits, dass ich den Fall für ziemlich schwierig halte, weil alles so lange zurückliegt.“

Analise verschränkte dir Arme unter der Brust, wodurch sich die Seide spannte und ihre Kurven noch betont wurden. Nick wurde ganz heiß.

„Es gibt hier in der Nähe weder ein Hotel noch eine Autovermietung“, erklärte sie. „Das hat mir der Mann da drinnen gesagt. Früher gab es mal ein Hotel in Thunder Bluffs, aber das ist vor vier Jahren abgebrannt, als der Blitz einschlug. Oder sogar schon vor fünf Jahren, je nachdem ob man ihm glaubt oder dem Cowboy, der gerade hereinkam, als ich dort war. Also wenn Sie nicht wollen, dass ich die Nacht hier draußen auf dem kalten Boden verbringe, wo es vermutlich Klapperschlangen gibt – wieso sollte man den Ort sonst Rattlesnake Corner nennen –, müssen Sie mich mit nach Nebraska nehmen.“

Nicks Plan, einen friedlichen, erholsamen Abend zu verbringen, löste sich damit in Luft auf. Er hatte keine Wahl. Resigniert hob er die Hände. „Also gut, ich nehme Sie mit nach Nebraska, aber morgen früh kümmern Sie sich darum, wie Sie wieder nach Hause kommen.“

„Einverstanden.“

„Und Sie werden mich nicht weiter bei der Suche nach Abbie Prather begleiten.“

„Ich sagte ja schon: einverstanden.“

Nick bezweifelte, dass er ihr glauben durfte. Seine Gefühle waren gemischt. Einerseits freute er sich, sie in seinem „Mini-Flieger“ mit nach Nebraska zu nehmen, andererseits war ihm das auch unangenehm.

„Wir sind uns also einig darüber, dass Sie nicht dabei sind, wenn Abbie Prather verhaftet wird, oder?“

Analise schwieg.

„Deswegen haben Sie mich schließlich angeheuert. Wenn Sie jemanden einstellen, damit er Ihr Haus anstreicht, machen Sie es ja auch nicht selbst, oder?“

„Ich wohne noch bei meinen Eltern. Die hatten einen Maler beauftragt. Aber der hatte Höhenangst, und unser Haus hat zwei Stockwerke und steht hoch oben auf einem Hügel. Also habe ich ihm natürlich geholfen.“

Irgendwie überraschte Nick ihre Antwort nicht.

„Gut, aber morgen werden Sie mich nicht begleiten, ganz einfach.“ Er kletterte ins Cockpit und rutschte auf den Ledersitz. Der schien eine neue Form zu haben, als hätte er Analises Konturen angenommen.

Sie stieg ebenfalls ein, setzte sich neben ihn, schloss die Kabinentür, und im selben Augenblick kam ihm das Cockpit viel enger vor als sonst.

Er legte den Sitzgurt an, konzentrierte sich auf die Checkliste zum Starten und versuchte, seine Passagierin zu ignorieren.

Kaum begann der Motor zu brummen, zog Analise eine Tüte mit Kartoffelchips aus der Tasche und begann geräuschvoll zu essen.

„Könnten Sie vielleicht etwas leiser sein? Ich kann den Motor überhaupt nicht hören!“, schimpfte Nick.

„Oh, tut mir leid. Aber Fliegen macht mich nervös, und ich esse, um mich abzulenken.“

Na, wunderbar! „Haben Sie nicht einen Schokoriegel oder sonst was, das man mit weniger Geräusch essen kann?“

Analise stopfte die Chips wieder in ihre Tasche. „Ich hoffe, Sie sind nicht den ganzen Flug über nach Nebraska so unleidlich.“

„Oh, doch, bestimmt. Vermutlich sogar noch schlimmer. Sie haben noch immer nicht gesagt, wie Sie es geschafft haben, in mein Flugzeug hineinzukommen. Ich weiß genau, dass ich abgeschlossen hatte.“

Analise wickelte einen Schokoriegel aus. „Ich habe das Schloss geknackt. Das habe ich auf dem College gelernt.“

„Wie bitte? Auf dem College? Wo sind Sie denn gewesen? Auf einer Einbrecherschmiede?“

Analise zog eine Braue hoch. „Ich bin in Austin zur Schule gegangen und kannte einen Jungen, der mir unter anderem beibrachte, wie man Schlösser knackt.“

„Unter anderem?“ Nick wusste nicht recht, ob er hören wollte, was sie sonst noch konnte.

„Wir sind jeden Tag zusammen gelaufen, so fünf Meilen pro Tag. Um körperlich fit zu sein. Außerdem brachte er mir bei, über hohe Zäune zu springen, Poker und Blackjack zu spielen, mit einem 38er-Revolver zu schießen und …“

„Zu schießen? Sie waren mit einem Kriminellen befreundet?“

„Natürlich nicht! Richard war Geheimagent. Möchten Sie auch einen Schokoriegel? Ich habe mehrere.“

„Nein, danke.“ Nicks spürte einen unangenehmen Druck hinter den Schläfen, aber er versuchte trotz der sich ankündigenden Kopfschmerzen, sich aufs Fliegen zu konzentrieren. Er bemühte sich, an das zu denken, was ihm am Fliegen so gefiel: das Gefühl der Freiheit und des friedlichen Alleinseins.

Für die nächsten hundert Meilen würde das Land unter ihnen im Dunkeln liegen. Nur gelegentlich würde man ein beleuchtetes Haus oder ein Auto sehen können.

Und sonst war da nur Analise Brewster mit ihren sinnlichen Lippen, die sich um einen Schokoriegel wölbten, und ihren langen Beinen, die sie sittsam nebeneinander aufgestellt hatte, die aber alles andere als sittsam auf ihn wirkten.

„Stellen Sie Ihre Füße auf den Boden, und legen Sie den Sitzgurt an“, befahl er.

Analise gehorchte so hastig, dass Nick es bereute, in einem so unfreundlichen Ton mit ihr gesprochen zu haben.

Er lenkte die kleine Maschine auf die Startbahn, überprüfte erneut die Instrumente und nahm das Mikrofon, um anderen Piloten in Funkreichweite mitzuteilen, dass er starten würde.

Als Analise spürte, wie die Maschine sich in die Luft erhob, biss sie ein besonders großes Stück von dem Schokoriegel ab, um ihrem hüpfenden Magen etwas zu tun zu geben. Der Start war für sie immer das Unangenehmste eines Fluges, weil sie ihn als technisches Wunder empfand. Sie konnte sich gerade noch vorstellen, wie Schmetterlinge fliegen konnten oder Hummeln, aber Tonnen von Metall mit Flügeln, die sich nicht auf- und zuklappen konnten, um oben zu bleiben, das blieb ihr ein Rätsel.

Sie aß noch mehr Schokolade, versuchte, nicht an das Flattern in ihrem Magen zu denken und nicht zu sprechen, was sie normalerweise immer dann besonders tat, wenn sie nervös war. Nick hatte angedeutet, dass er während des Fluges Ruhe brauchte, und sie wollte nicht daran schuld sein, dass er einen Fehler machte und die Maschine zum Absturz brachte.

Für heute hatte sie ohnehin genug geredet. Als sie angekommen war, hatte der Gedanke, die Nacht womöglich allein in dem Flugzeug verbringen zu müssen, sie zutiefst beunruhigt, denn als sie feststellte, dass Nick gar nicht da war, befand sich das andere Flugzeug schon auf dem Rückweg nach Tyler.

Die spontane Idee, eine Woche vor ihrer Hochzeit in der Gegend herumzufahren, war womöglich nicht die beste ihres Lebens gewesen und würde die stete Sorge ihrer Eltern um sie verstärken. Je mehr Analise sich bemühte, die perfekte Tochter zu sein, umso mehr schien es ihr zu misslingen.

Ihre Eltern waren nicht glücklich darüber, dass sie so lange gebraucht hatte, bis sie sich für die Heirat mit Lucas Daniels entschied. Die Trauung am kommenden Samstag war gerade noch zwischen zwei andere gelegt worden, und die Probe für die Zeremonie in der Kirche sollte heute stattfinden. Es war der einzige Termin, den sie noch hatten bekommen können.

Je näher der Zeitpunkt rückte, umso nervöser wurde Analise. Morgens um vier hatte sie beschlossen, nach Wyoming zu fliegen, in der Hoffnung, dass Nick Claiborne den Beweis für die Unschuld von Lucas’ Vater finden würde. Dann könnten seine Eltern mit rein gewaschenem Namen zur Hochzeit kommen. Vermutlich war es die Ungewissheit, die sie so nervös machte.

Anfangs war ihr die Idee großartig erschienen, aber nach Nicks gezielten Fragen überdachte sie das Motiv für ihren Entschluss.

Und nun tauchte eine Schwierigkeit nach der anderen auf.

Während sie eifrig kaute, spähte sie unauffällig zu Nick hinüber. Das flackernde Licht der Instrumente ließ seine markanten Züge besonders kantig wirken. Er sah geradezu gefährlich aus! Sein dunkles Haar berührte den Kragen. Die obersten Knöpfe des Flanellhemdes waren geöffnet, sodass man den Ansatz seines Brusthaars sehen konnte.

Analise drehte den Brillantring an ihrem Finger und dachte, was für ein Glück sie hatte, mit einem so netten Mann wie Lucas Daniels verlobt zu sein. Sie sah sein schönes Gesicht mit dem netten Lächeln vor sich, den gepflegten Haarschnitt und die bräunliche Haut, die seine indianische Herkunft verrieten. Lucas war ihr bester Freund, und auch der ihrer Eltern. Wenn sie Lucas heiratete, würden ihre Eltern wohl endlich finden, dass sie mal etwas richtig machte, und sich nicht mehr jede Sekunde Gedanken um sie machen.

Es war gut, dass sie sich nach so langer Überlegung entschlossen hatte, Lucas zu heiraten. Das Gefühl, plötzlich in der Falle zu sitzen, war vermutlich normal für eine Braut.

In sechseinhalb Tagen würde die Hochzeit sein. Damit wäre sie für alle Zeiten die Versuchung los, sich je wieder aus Trotz auf einen Mann einzulassen, der sie faszinierte, nur weil er die Ausstrahlung von Gefahr hatte.

Auf einen Mann wie Nick zum Beispiel.

Er hatte die Flugautomatik eingestellt und lehnte sich jetzt zurück.

Analise zerknüllte das Schokoladenpapier und entnahm ihrer Tasche ein Paket gefüllter Kekse.

„Kein Wunder, dass Sie so angespannt sind, wenn Sie immer so viel Zucker zu sich nehmen“, bemerkte er trocken.

„Ich sagte Ihnen doch, Fliegen macht mich nervös.“

„Wieso fliegen Sie denn dann, wenn es Sie nervös macht?“

„Weil es das schnellste Fortbewegungsmittel ist. Außerdem habe ich eine Theorie: Wenn man Angst vor etwas hat, muss man genau das tun, um sie zu überwinden! Da meine Eltern sich dauernd Sorgen um mich machen, müsste ich vor allem Angst haben. Deshalb bemühe ich mich auch, alles zu tun, was sie für unvernünftig halten.“ Analise hielt ihm die Keksschachtel hin. „Hier, Sie könnten auch etwas zur Entspannung brauchen, auch wenn Fliegen Sie bestimmt nicht nervös macht.“

„Ich liebe es zu fliegen.“ Er nahm einen Keks. „Aber ich habe nicht zu Abend gegessen.“

Na, immerhin. Zusammen Kekse zu essen war doch etwas Verbindendes.

„So“, meinte Analise fröhlich und hoffte, ansteckend auf den missmutigen Piloten zu wirken, „erzählen Sie mir doch etwas über Abbie Prather.“

Nick antwortete nicht sofort, nur seine Wangenmuskeln bewegten sich vom Kauen.

„Sie können mir den Bericht jetzt mündlich abliefern, anstatt ihn mir zu faxen, da ich ja nicht zu Hause bin“, ermutigte sie ihn.

Seine Lippen waren zusammengepresst, als schmeckte der Keks nicht. Oder will er meine Frage nicht beantworten? überlegte Analise.

„Ich habe ihre Unterlagen in Casper durchgesehen“, erklärte er schließlich. „Ich habe mit Leuten gesprochen, die in der Gegend wohnen, in der Abbie Prather gelebt hat, und fand zwei Dinge heraus. Sie zog etwa 1976 nach Nebraska und hatte ein kleines Mädchen bei sich.“

Analise hörte auf zu kauen. „Ein kleines Mädchen? Woher hatte sie das denn?“

„Ich denke, sie bekam es auf die übliche Weise.“

„Aber als sie Briar Creek verließ, hatte sie kein Kind! Und in South Dakota haben Sie weder ein Baby erwähnt noch einen Ehemann!“

„Von einem Mann war keine Rede. Ich vermute, dass sie das Kind entweder bekam, kurz bevor sie Texas verließ oder kurz danach. Die Leute, mit denen ich sprach, meinten, das Mädchen sei etwa zwei Jahre alt gewesen, als sie dorthin zog, und vier, als sie die Gegend wieder verließ.“

„Aber wo war das Kind, als sie in South Dakota war?“

„Dort lebte sie ziemlich isoliert. Genau wie in Wyoming. Wenn sie in South Dakota ein Baby gehabt hätte, wäre es leicht gewesen, es zu verstecken. Ein Kleinkind ist schon etwas anderes, und die Leute, die das kleine Mädchen erlebt haben, sagten, es sei sehr auffällig gewesen. Rothaarig und ziemlich wild. Jedes Mal, wenn sie es sahen, stellte es irgendetwas an, und Abbie schrie es dauernd an. Als sie wegzogen, scheint das Mädchen allerdings ziemlich eingeschüchtert gewesen zu sein.“

Analise wurde ganz traurig bei dem Gedanken an Abbies Tochter. „Ein kleines rothaariges Mädchen. Vier Jahre, so alt wie ich damals. Wenn Abbie nicht das Geld gestohlen und die Stadt verlassen hätte, hätten ihre Tochter und ich Freundinnen werden können. Wie schrecklich, dass sie durch die Schikanen ihrer Mutter so eingeschüchtert war, aber nun wissen wir wenigstens, warum Abbie das Geld unterschlagen hat.“

„Sie meinen, das rechtfertigt ihre Tat?“

„Nein, natürlich nicht! Aber es erklärt sie zumindest. Vermutlich wurde sie in Briar Creek schwanger, der Vater des Kindes verließ sie, sie schämte sich und verließ den Ort.“

„Schämte sich? Das war 1972, nicht 1872.“

„Briar Creek ist ziemlich provinziell. Na ja, jedenfalls gelang es ihr offenbar, ihre Schwangerschaft zu verbergen. Aber sie wusste, dass man ein Kind auf Dauer nicht verstecken kann. Also stahl sie das Geld und verließ die Stadt. Wäre sie dort geblieben und hätte ihr Kind zur Adoption freigegeben, hätten meine Eltern es vielleicht genommen. Sie wollten unbedingt noch ein zweites Kind.“

Der Gedanke kam Analise seltsam bekannt vor. Vielleicht weil sie sich immer eine Schwester gewünscht hatte, sich als Kind sogar eine ausgedacht hatte, eine, die genauso aussah wie sie selbst und die Sara hieß. Wie schade, dass es nicht so gekommen war. Traurig für sie und für das andere kleine Mädchen. Abbie hörte sich nicht nach einer richtigen Mutter an, während ihre eigenen Eltern praktisch perfekt waren – ganz anders als ihre quirlige Tochter.

„So ähnlich habe ich es mir auch vorgestellt“, sagte Nick. „Das heißt allerdings, dass der Vater Ihres Verlobten womöglich der Vater des Kindes war.“

„Niemals!“

„Wieso hätte sie ihn sonst hereingelegt?“

„Weil es bei ihm besonders leicht war. Er hatte schon in seiner Jugend Probleme. Seine Familie war arm, und als er zur Highschool ging, war er mit Lucas’ Mutter befreundet, deren Familie nicht so arm war wie seine. Er wollte sie mit zum Abschlussball der Schule nehmen, konnte sich keinen Smoking leisten und klaute deshalb einen. Zumindest versuchte er es. Aber man erwischte ihn. Er kam mit Bewährung davon, weil er glaubhaft versicherte, dass er ihn nach dem Fest zurückgeben wollte, und weil er noch nie in Schwierigkeiten gewesen war. Doch als dann das bei der Bank passierte, hielt man ihn sofort für den Schuldigen, und niemand gab sich Mühe, das gründlich zu überprüfen.“

„Was immer noch nicht heißt, dass er nicht der Vater von Abbie Prathers Kind war. Wieso hat Ihr Verlobter das nicht bedacht?“ Nick hob die Hand, als Analise protestieren wollte. „Sie sollten nur wissen, dass Sie womöglich die Büchse der Pandora öffnen und es nicht unbedingt das Hochzeitsgeschenk sein könnte, das Ihr Verlobter sich erhofft. Es könnte gute Gründe geben, wieso er nie nachgeforscht hat.“

„Die gibt es, oder jedenfalls einen Grund. Er war erst vier Jahre alt, als sein Vater verurteilt wurde, und das Einzige, woran er sich erinnert, ist, wie man die Familie eines Verurteilten behandelt. Als sein Vater vor sechzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, zogen sie nach Pennsylvania, wo niemand sie kannte, und fingen von vorne an. Seine Eltern haben ihm immer nur erzählt, dass sie alles vergessen wollten. Deshalb werden sie auch nicht zur Trauung kommen.“

„Wenn die Betroffenen nicht alles wieder ans Tageslicht zerren wollen, wieso tun Sie es dann?“

„Damit seine Eltern trotzdem kommen. Und weil Lucas, tief innen, die Wahrheit herausfinden möchte.“

„Ich verstehe.“

„Das tut er wirklich! Er hat es zwar nie direkt ausgesprochen, aber durch seine Handlungen tut er es jeden Tag. Er ist Arzt und könnte überall arbeiten, aber er kam nach Briar Creek zurück und versucht, ein vorbildlicher Bürger zu sein, um den Leuten zu zeigen, dass sein Vater auf keinen Fall der Schuldige gewesen sein kann. Und wenn er mir sagt, dass der ein grundehrlicher, gradliniger Mann ist, glaube ich es ihm. Wenn Sie die Geburtsurkunde des kleinen Mädchens finden, steht da garantiert nicht der Name Wayne Daniels drauf!“

„Die habe ich auch vor ausfindig zu machen. Aber es ist Samstagabend, und das Standesamt ist erst Montag früh um neun wieder geöffnet.“

Analise seufzte. „Dann müssen wir eben noch warten. Wie hieß das kleine Mädchen? Erinnerte sich jemand daran?“

„Ja, viele, da Abbie, wenn sie das Kind anschrie, immer auch ihren Namen brüllte. Sie hieß Sara.“

„Sara!“, wiederholte Analise. Wie vertraut ihr dieser Name war! „Als ich ein kleines Mädchen war, hieß meine Fantasieschwester auch Sara! Und als ich sechs war, nannte ich meine Lieblingspuppe so!“

„Es ist ja auch ein häufiger Name.“

„Das stimmt.“ Aber ihre Puppe hatte, genau wie Abbie Prathers Tochter, rote Haare. Irgendwo in ihrem Zimmer hatte sie die Puppe noch immer, ein Relikt aus ihrer Kindheit, das sie nicht hatte weggeben mögen.

Analise dachte eine Weile über den Zufall nach, dass Abbie Prathers Tochter die gleiche Haarfarbe und das gleiche Alter hatte wie sie selbst. Und merkwürdigerweise hatte sie selbst auch noch eine Puppe mit demselben Namen besessen. Wenn sie an Vorbestimmung glaubte, würde sie denken, dass Sara dazu auserwählt gewesen war, ihre Freundin oder sogar ihre Schwester zu sein. Aber durch Abbies Verbrechen war alles anders gekommen.

Oft hatte Analise gehört, wie ihre Eltern darüber klagten, dass sie keine Schwester hatte, und überlegten, ob sie sich noch ein Kind anschaffen sollten. Als sie klein war, glaubte sie, dass sie es nicht täten, weil ihnen schon Analise zu anstrengend war. Nun, als Erwachsene, begriff sie, dass sie offenbar kein weiteres Kind mehr bekommen konnten.

Als das Flugzeug plötzlich in eine Turbulenz geriet und auf und nieder hüpfte, wurde Analise nach vorn geworfen. Obgleich der Sitzgurt sie hielt, legte Nick spontan den Arm um ihre Schultern. So wie ihre Eltern es immer getan hatten, als sie klein war und sie beim Autofahren plötzlich bremsen mussten.

Aber Nicks Berührung war nicht unbedingt väterlich, denn seine Hand berührte dabei ihre Brust. Analise hielt ganz still, um das Gefühl, das ihr seltsamerweise gefiel, noch ein wenig länger zu genießen. Am schlimmsten war, dass sie es noch verstärken und an die Grenzen gehen wollte. Wo immer die liegen mochten.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Für eine Braut waren solche Gedanken absolut unstatthaft! Und was die Grenzen anging, so waren sie schon jetzt überschritten!

Vielleicht sollte sie eine Weile von Briar Creek weggehen, um sich zu besinnen. Mit Nick Claiborne nach Nebraska zu fliegen war jedenfalls keine gute Idee so kurz vor ihrer Hochzeit. Der Mann wirkte viel zu beunruhigend auf sie.

Er schaute sie einen Moment lang forschend an. Seine blauen Augen waren dunkel wie ein Gewitterhimmel. Vermutlich lag das am dämmerigen Licht in der Kabine.

Logisches Denken half nicht über die Verwirrung weg, die seine Berührung ausgelöst hatte.

Autor

Sally Carleen
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