Historical Exklusiv Band 68

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EIN FRIVOLER PLAN von SCOTT, BRONWYN
London, 1829: Mit flammendroten Wangen betritt Julia das Schlafzimmer des charmanten Frauenschwarms Paine Ramsden. Gleich wird er ihr das nehmen, was eigentlich ihrem zukünftigen Gatten zustünde: ihre Unschuld! Doch sie muss dieses Opfer bringen, nur so kann sie einer Ehe mit dem grausamen Mortimer Oswalt entkommen. Aber als Paine sie sinnlich küsst, wird Julias frivoler Plan zu einem Spiel mit ihrem Herzen …

LADY CHESTERFIELDS VERSUCHUNG von WILLINGHAM, MICHELLE
Nur für einen flüchtigen Moment gibt Lady Hannah Chesterfield der verbotenen Versuchung nach - und wird in den Armen von Lieutenant Michael Thorpe überrascht. Ganz London tuschelt: Skandalös, dass ausgerechnet ein Bürgerlicher die umschwärmte Unschuld erobert haben soll! Doch obwohl ihre Verbindung zu dem attraktiven Lieutenant gegen sämtliche gesellschaftliche Konventionen verstößt, kann Hannah ihn nicht vergessen.


  • Erscheinungstag 05.12.2017
  • Bandnummer 68
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768270
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bronwyn Scott, Michelle Willingham

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 68

1. KAPITEL

London, Anfang Mai 1829

Sie würde sich nicht verkaufen lassen wie eine preisgekrönte Stute bei Tattersall’s! Ungläubig ließ die elegant frisierte Julia Prentiss den Blick hin- und herwandern zwischen ihrem Onkel Barnaby und Mortimer Oswalt, dem lüsternen alten Kerl, der gekommen war, um auf sie zu bieten. Kaum konnte sie es ertragen, dass bei diesem Gespräch so getan wurde, als stünde sie nicht mitten im Arbeitszimmer ihres Onkels und hörte zu – oder als hätte sie keinen eigenen Verstand und könnte nicht für sich selbst sprechen.

„Natürlich würde ich für Ihre Nichte einen guten Brautpreis zahlen. Sagen wir fünfzehntausend Pfund.“ Zuversichtlich legte Mortimer Oswalt die Hände auf seine purpurfarbene Weste. Durch den vorstehenden Bauch darunter verlieh sie ihm das Aussehen eines überreifen Apfels. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Julia. Seine wässrigen blauen Augen waren noch immer blutunterlaufen von der Nacht, die er in der Stadt verbracht hatte.

Fünfzehntausend Pfund! Julia unterdrückte eine unangemessene Bemerkung. Wie konnte er es wagen, für sie auf dieselbe Weise zu bieten, wie man es für Waren am Hafen machte oder bei einer Auktion! Unter seinem gierigen Blick lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Die Vorstellung, wie seine Hände besitzergreifend über ihren Körper glitten, verursachte ihr Übelkeit. Sie hoffte, diese albtraumhafte Vorstellung würde nie Wirklichkeit werden.

Ängstlich richtete Julia ihren Blick nun auf Onkel Barnaby. Onkel Barnaby würde das Angebot sicher zurückweisen, auch wenn die Gespräche schon so weit gediehen waren. Schließlich entstammte Mortimer Oswalt nicht denselben Kreisen wie sie. Ihr Onkel war der Viscount Lockhart, ein anerkannter Politiker aus dem Oberhaus. Oswalt war hingegen nur ein Londoner Kaufmann. Ein reicher Londoner Kaufmann, um genau zu sein, aber dennoch ein Kaufmann, ungeachtet der Tatsache, dass er im Jahr mindestens dreimal so viel verdiente wie sie. Der Titel der Lockharts mochte mit keinem Vermögen verbunden sein, doch sie gehörten den Peers an, und Peers schlossen keine Ehen mit Männern aus der Stadt.

„Fünfzehntausend Pfund, sagen Sie? Das ist sehr großzügig, ein sehr respektables Angebot. Ich bin sicher, dass wir zu einer Übereinkunft kommen werden.“ Onkel Barnaby lächelte resigniert und vermied es offenbar mit Absicht, seine Nichte anzusehen.

Julia war wie vor den Kopf geschlagen. Was war in ihn gefahren, dass er sie an diesen alten Mann verkaufte? Es war an der Zeit, etwas dazu zu sagen. Dieser lächerliche Handel – nein, dieser abscheuliche Handel! – war für ihren Geschmack schon viel zu weit fortgeschritten. Sie nahm sich zusammen und versuchte, höflich zu bleiben.

„Mit allem Respekt – ich lehne ab.“

Ihre Stimme war laut genug, um gehört zu werden. Sie übertönte das Gespräch der Männer. Unglaublicherweise warfen beide ihr nur kurz einen strafenden Blick zu und sprachen dann weiter.

„Fünftausend Pfund jetzt und zehntausend, nachdem mein Arzt sie untersucht hat. Ich werde einen Vertrag aufsetzen und ihn Ihnen heute Nachmittag zuschicken. In fünf Tagen kommt mein Arzt zurück in die Stadt. Wir lassen die notwendigen Untersuchungen vornehmen, dann werde ich einen zweiten Vertrag aufsetzen, sobald ihr Zustand bestätigt wurde.“ Trotz dieses sehr intimen Themas klang Oswalts Stimme sehr geschäftsmäßig.

Julia erbleichte bei seinen groben Forderungen. Sie sah ihren Onkel an und stellte zufrieden fest, dass er bei diesen Worten zu schwanken schien. Allerdings nur kurz.

„Ich stehe für die Keuschheit meiner Nichte ein. Ich versichere Ihnen, dass solch peinliche Maßnahmen nicht nötig sind.“ Onkel Barnaby hustete verlegen.

Mortimer Oswalt schüttelte den kahlen Kopf. „Ich muss darauf bestehen. Ich habe mit meinen Geschäften nur deshalb ein Vermögen gemacht, weil ich stets auf die Qualität meiner Investitionen achte. Darf ich Sie daran erinnern, dass ich im November sechzig werde? Meine ersten beiden Frauen waren nicht in der Lage, mir den Erben zu schenken, den ich verlangte. Meine ärztlichen Ratgeber versicherten mir, dass eine jungfräuliche Gemahlin die Probleme beseitigen würde, die es bisher auf diesem Gebiet gegeben hat. Ich muss rasch einen Erben bekommen. Meine Braut muss noch Jungfrau sein und in der Lage, schnell ein Kind zu empfangen und zu gebären.“ Er warf Onkel Barnaby einen einschüchternden Blick zu. „Bei der Geburt meines Kindes werde ich Ihrer Familie fünftausend Pfund zusätzlich bezahlen.“

Entsetzt sah Julia zu, wie ihr Onkel bei dieser erneuten Summe innerlich kapitulierte. Doch sie ließ sich nicht so leicht beeinflussen.

„Ich denke nicht daran!“ Sie stampfte mit dem Fuß auf, damit die Männer sie nicht noch ein zweites Mal ignorieren konnten. „Onkel, du kannst mich nicht zwangsweise verheiraten. Es gibt neue Gesetze. Das Verlobungsgesetz von 1823 gestattet Menschen, aus freiem Willen zu heiraten.“ Es war ein schwacher Versuch, und sie wusste es. Gesetze ließen sich nur durchsetzen, wenn man einen Anwalt hatte oder das Geld, einen zu engagieren. Sie verfügte weder über das eine noch über das andere.

Onkel Barnaby setzte dazu an, sie zu schelten, doch Oswalt hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. „Lockhart, gestatten Sie mir, es ihr zu erklären. Bald schon wird sie meine Frau sein, und sie muss lernen, Anweisungen von ihrem Gatten entgegenzunehmen. Junge Damen wachsen sehr behütet auf, und man muss sie lehren, wie es abläuft in der Welt.“

Julia unterdrückte ein Schaudern. Sie fühlte sich angewidert von der Art und Weise, wie Onkel Barnaby sich fügte. Eher würden sie den jüngsten Tag erleben, als dass sie selbst Anweisungen oder sonst irgendetwas von einem so verworfenen Mann wie Mortimer Oswalt entgegennahm.

Oswalt sprach weiter. „Miss Prentiss, die Einzelheiten dieser Übereinkunft mögen Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein. Junge Damen wie Sie sind sich oftmals nicht darüber im Klaren, wie kostspielig der Lebensstil ist, den Sie für selbstverständlich halten – die Pferde, der Landsitz, die Kleider, die Unterhaltungen und all das, was eine junge Frau als ihren rechtmäßigen Anspruch ansieht. Besonders schwierig ist es, ein schönes Mädchen wie Sie aufzuziehen, denn es ist weitaus teurer, dessen Ansprüche zu erfüllen. Eine reizvolle junge Dame sticht heraus. Sie kann es sich nicht leisten, zweimal dasselbe Kleid zu tragen, wie vielleicht ein Mauerblümchen, das niemand bemerkt. Ein hübsches Mädchen muss immer vorteilhaft herausgestellt werden. Kurzum, eine reizvolle Tochter – oder, wie in diesem Fall, eine reizvolle Nichte – kann eine Last werden für eine Familie. Ihrem Onkel ist es so ergangen. Seine Schatullen sind leer. Niemand wird ihm mehr etwas leihen. Er hat alles eingesetzt, was er nur konnte, für dieses gemietete Stadthaus und diese eine Saison für Sie. Sie sind die letzte Perle, die noch zu seinem Titel gehört. Gelingt es nicht, eine finanziell vorteilhafte Verbindung für Sie zu vereinbaren, werden Ihre Tante, Ihr Onkel und Ihre Cousins im Armenhaus landen, von Ihnen selbst ganz zu schweigen. Sie werden mit ihnen all die Entbehrungen erleiden.“ Oswalt beendete seinen Vortrag und begann, seine Nägel zu säubern. „Sie haben Ihnen diese Saison nicht nur verschafft, um Ihnen persönlich eine Freude zu bereiten, sondern auch, um etwas von ihren jahrelangen Investitionen zurückzuerhalten.“

„Sag mir, dass das nicht stimmt, Onkel“, bat Julia und drehte sich zu dem armen Mann herum. Oswalts Enthüllungen hatten ihm Unbehagen verursacht, und er schien hinter dem Schreibtisch in seinem Ledersessel zu versinken. Julia schnürte es fast die Kehle zu, als sie die Wahrheit begriff.

„Es stimmt. Ich kann nichts davon abstreiten. Unsere Taschen sind leer. Wir brauchen Oswalts Angebot.“

„Es muss eine andere Möglichkeit geben! Ich liebe ihn nicht und ich werde ihn nicht lieb gewinnen. Er ist ein abscheulicher alter Mann, wenn er sich auf diese Weise eine Braut kauft.“ Julia hielt sich nicht zurück mit ihren Worten, obwohl Oswalt nur ein Stück von ihr entfernt saß.

„Julia! Still! Dieser Ausbruch gehört sich nicht für eine Dame!“, schalt ihr Onkel. Er versuchte, an ihr vorbei zu blicken, und sie las in seinem Gesicht die Furcht, Oswalt könnte bei ihrem Temperamentsausbruch sein Angebot zurückziehen.

Julia stemmte die Hände in die Hüften, zum Kampf bereit. „Was ist mit dem Schiff von Cousin Gray? Das Geld, das er für die Ladung bekommt, wird doch gewiss unsere Probleme lösen?“

„Grays Unternehmen ist riskant. Es ist ein Glücksspiel. Ich würde lieber in eine sichere Sache investieren.“ Onkel Barnaby sah sie strafend an. „Vergiss deine Manieren nicht, Julia. Es gehört sich nicht, in Gesellschaft über Geld zu sprechen.“

„Dir scheint es nichts auszumachen. Du und Oswalt, ihr habt mich bewertet wie ein Stück Vieh auf dem Markt.“ Diese Bemerkung ging zu weit, aber wenn sie mit einem Wutausbruch von dieser Vereinbarung loskam, dann sollte das so sein.

Oswalt schien jedoch nicht abgestoßen zu sein. Er wandte Julia seine gesamte Aufmerksamkeit zu. „Ah, ich bekomme wohl eine rothaarige Frau mit Temperament, was? Vielleicht ist diese Heißblütigkeit das, was ich brauche, um mich zu erwärmen. Meine Liebe, ich freue mich über Ihre Leidenschaft, und es ist mir gleichgültig, wenn Sie mich nicht lieben. Ich liebe Sie ganz gewiss nicht, und ich habe auch nicht vor, Gefühle für Sie zu entwickeln. Ich brauche nur eine Jungfrau aus gutem Hause in meinem Bett, mit einer Familie, die mein Angebot akzeptiert. Abgesehen davon wird es aufregend sein, Sie zu zähmen. Wenn der Arzt keine Einwände hat, dann werde ich eine Sondergenehmigung einholen, sodass wir am Sonntag getraut werden können.“

„Meine Frau wird das Hochzeitsfrühstück ausrichten wollen“, warf Onkel Barnaby ein, der sich entspannte, nun, da das Angebot anscheinend nicht zurückgenommen wurde.

Oswalt nickte großzügig. „Meine neue Braut wird eine letzte Gelegenheit bekommen, vor unserer Abreise mit Familie und Freunden zusammen zu sein und dies zu genießen.“ Er warf Julia einen bedeutungsschweren Blick zu. „Ich verspüre nicht den Wunsch, in London zu bleiben, wo die Vergnügungen der Saison von unseren ehelichen Pflichten ablenken könnten. Wir werden sofort auf meinen Landsitz im Lake District reisen. Er ist sehr abgelegen und gut ausgestattet. Wir werden nicht von äußeren Störungen beeinflusst werden. Sobald wir gute Neuigkeiten verkünden können, werde ich in die Stadt zurückkehren.“

Julia schluckte schwer. Seine Absichten waren eindeutig. Sie würde auf dem Land eingesperrt sein. Ihre einzige Aufgabe im Leben würde darin bestehen, seine niederen Bedürfnisse zu befriedigen und einen Erben für sein Vermögen zu gebären. Sie war neunzehn Jahre alt, aber ihr Leben war vorbei.

Sie nickte beiden Männern kurz zu. „Ich wünsche noch einen guten Tag“, sagte sie, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und ging hinaus, ehe die Männer erkennen konnten, welche Furcht sie bei diesen gedankenlosen Verhandlungen in ihr geweckt hatten.

Sobald sie in ihrem Zimmer war, sperrte Julia ihre Tür ab und lehnte sich gegen das feste Eichenholz, suchte Trost in der Berührung des soliden Materials. Die kleine Uhr auf dem Tisch unter dem Fenster zeigte, dass das ganze abscheuliche Gespräch nicht länger als zwanzig Minuten gedauert hatte. Es war noch nicht ganz elf Uhr am Vormittag, und ihr Leben war nahezu ruiniert. Die gute Nachricht dabei bestand darin, dass ihr Leben eben nur nahezu ruiniert war.

Vermutlich könnte alles noch schlimmer sein. Oswalt und ihr Onkel hätten den Vertrag bereits unterzeichnet haben können. Oswalt hätte mit einer Heiratserlaubnis und einem Pfarrer im Schlepptau kommen und sie im Arbeitszimmer heiraten können.

Julia erschauerte und dachte, dass das unwahrscheinlich wäre, da sein Arzt nicht bei der Hand war, um ihre Jungfräulichkeit zu bestätigen. Fünf Tage. Mehr Zeit hatte sie nicht, ungeachtet der Möglichkeit, dass der Arzt auch früher in die Stadt zurückkommen könnte oder dass Mortimer Oswalts Wunsch nach Eile ihn veranlassen könnte, einen anderen Mediziner zu engagieren, der nicht verreist war.

Es war Zeit zu handeln, wenn sie nicht unter Oswalts Herrschaft leben und auf sein baldiges Ende hoffen wollte. Die Ereignisse im Arbeitszimmer hatten sie nicht im Zweifel darüber gelassen, dass weder ihre Proteste noch die Gesetzgebung sie jetzt retten würden. Es stimmte, dass ein Gesetz verabschiedet worden war, welches Paaren erlaubte, ohne elterliche Zustimmung zu heiraten, aber es verbot den Eltern nicht, eine Ehe zu arrangieren.

Die finanzielle Lage ihres Onkels war ihr auf schmerzliche Weise überaus deutlich gemacht worden, ebenso die Gründe für ihre Londoner Saison. Sie war das einzige Pfand, das ihrem Onkel geblieben war. Er stellte sie auf dem Heiratsmarkt zur Schau, um ein Angebot zu erhalten, dass die Familie vor dem Armenhaus bewahren würde.

Nicht zum ersten Mal verfluchte Julia ihre außergewöhnliche Schönheit. Seit sie vierzehn Jahre alt geworden war und angefangen hatte, weibliche Formen zu entwickeln, hatte ihr Aussehen für Männer eine Anziehungskraft besessen, die sie nicht verstand. Wenn sie in den Spiegel blickte, sah sie ein gewöhnliches Mädchen mit grünen Augen, die in den Winkeln leicht nach oben zeigten, einem Mund, der als breit gelten konnte, und rotbraunen Locken, die ihre Cousins im Scherz mit der Farbe von Herbstlaub verglichen. Aber im Grange, wo sie wohnten, hatten zahlreiche Leute vorgesprochen, als sie vergangene Weihnachten begonnen hatte, Besucher zu empfangen, und bei den örtlichen Tanzveranstaltungen war ihre Tanzkarte stets voll gewesen. Nach ihrer Vorstellung bei Hofe in London war es genauso gewesen.

Auch wenn es ihr nicht ganz leicht fiel, sich das einzugestehen, so wusste sie doch, dass der Antrag von Oswalt nicht die einzige Gelegenheit darstellte, bei der ihr Onkel versucht hatte, mit ihrem Aussehen seine finanzielle Lage zu verbessern. Bei verschiedenen Anlässen hatte er sie ins Dorf geschickt und sie gebeten, mit den Kaufleuten zu sprechen, denen sie Geld schuldeten, und sie zu bitten, ihnen noch etwas länger Kredit zu gewähren.

Julia begann, im Zimmer auf und ab zu laufen, und ihre Angst machte Zorn Platz. Sie würde nicht zulassen, noch einmal auf so schamlose Weise missbraucht zu werden. Wenn sie wollten, dass sie Oswalt heiratete, würde man sie gefesselt und geknebelt aus dem Haus schleppen müssen. Sie hielt inne. Plötzlich begriff sie, dass es genau dazu kommen würde. Man würde sie buchstäblich zum Altar schleifen, und das wäre nur eine von vielen Entwürdigungen, die sie ertragen müsste.

Ganz plötzlich erkannte sie mit erschreckender Deutlichkeit ihre Möglichkeiten. Wenn sie im Haus ihres Onkels als jungfräuliche Debütantin blieb, würde sie keine Möglichkeit haben, etwas gegen eine Heirat mit Oswalt zu unternehmen. Das war absolut klar. Sie musste selbst einen Weg finden, den Vertrag zu brechen. Das würde ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen, doch die könnte sie ertragen.

Sofort begann sie darüber nachzudenken. Die offensichtlichste Möglichkeit war, davonzulaufen. Wohin sollte sie gehen? Wer könnte ihr helfen? Sie setzte sich auf das Bett und seufzte. Auf keine dieser Fragen hatte sie eine Antwort, aber das spielte kaum eine Rolle. Sie war zu klug, um die Wirklichkeit zu ignorieren. Gleichgültig, wo man sie entdeckte, man würde sie nach London zurückschleppen und sie zwingen, den Vertrag ihres Onkels zu erfüllen.

Nein, weglaufen war keine gute Möglichkeit. Wenn sie ganz ehrlich war, dann musste sie sich eingestehen, dass die Chancen, Oswalt erfolgreich zu entkommen, äußerst gering waren, denn er würde vermutlich erfahrene Fachleute engagieren, um sie zurückzuholen. Während ihres kurzen Aufenthalts in London hatte sie viel gelernt, aber nicht genug, um sich für eine unbegrenzte Zeit zu verstecken oder zumindest bis zu ihrem vierundzwanzigsten Geburtstag, wenn die Vormundschaft ihres Onkels endete. Doch selbst dann war nicht sicher, ob mit ihrem vierundzwanzigsten Geburtstag auch Oswalts Vertrag mit ihrem Onkel enden würde.

Sie stand auf und begann wieder, auf und ab zu gehen. „Denk nach, Julia, denk nach. Wie kannst du aus diesem Vertrag herauskommen?“, murmelte sie. Sie könnte die Gesetzgebung von 1823 ausnutzen und einen anderen heiraten. Ihr Onkel würde sie nicht daran hindern. Diesen Gedanken verwarf sie sofort wieder. Wo sollte sie innerhalb von fünf Tagen einen Ehemann finden, der bereit war, das Risiko einzugehen und sie nur zu heiraten, um einen bestehenden Ehevertrag außer Kraft zu setzen?

Wo sollte sie so schnell einen Ehemann auftreiben? Aber es brauchte keinen Ehemann, um ruiniert zu sein. Sie konnte versuchen, Gerüchte über sich selbst in die Welt zu setzen. Das könnte funktionieren. Sie begann, einen Plan zu entwickeln.

Da war dieser Tanzabend heute bei Lady Moffat. Dort würden sich auch einige der Beaus einfinden, die ihr den Hof machten. Sie könnte einen von ihnen auf die Terrasse hinauslocken, zu einem Spaziergang im Garten überreden, ein wenig mit ihm plaudern und flirten und dafür sorgen, dass sie in einer kompromittierenden Situation angetroffen wurden.

Ja.

Nein.

Julia schüttelte den Kopf. Oswalt müsste dann im ersten Zorn seinen Antrag zurückziehen, weil ihm Hörner aufgesetzt worden waren. Aber vielleicht war ihm das gleichgültig. Vielleicht glaubte er ihr nicht und bestand trotzdem auf der Untersuchung, und dann würde der Arzt ihren Schwindel aufdecken. Diese Idee barg zu viele Risiken. Außerdem konnte sie sich trotz ihrer schwierigen Lage nicht dazu hinreißen lassen, sich so weit zu erniedrigen, wie ihr Onkel es getan hatte, und einen Unschuldigen zu benutzen. Sie konnte es nicht über sich bringen, einen ihrer Verehrer so zu beschwindeln.

Damit der Vertrag nichtig wurde, musste sie sich gründlich ruinieren lassen. Sie musste sich heute Nacht die Unschuld nehmen lassen und am Morgen zurückkommen, um es zu beweisen. Dann wäre Oswalts Plan durchkreuzt. Doch wie konnte sie das anfangen?

Eine Möglichkeit war natürlich die Prostitution. Sie konnte nach Covent Garden gehen und sich dem ersten Mann anbieten, der vorbeikam. Aber das war keine gute Idee. Zufällig hatte sie einmal mitgehört, wie Cousin Gray seinen jüngeren Brüdern einen ernsten Vortrag darüber hielt, wählerisch zu sein, wenn man seine Bedürfnisse befriedigen wollte, da man sich sonst mit sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken konnte. Unglücklicherweise hatte Cousin Gray sie bemerkt, ehe sie mehr erfahren konnte. Aber selbst wenn sie sich nicht vorstellen konnte, wie man solche Krankheiten bekam, schien es ihr kein guter Handel zu sein, eine Infektion und das, was Gray den „schleichenden Tod“ genannt hatte, gegen ein Dasein als Oswalts Sklavin zu tauschen. Bei Oswalt hatte sie zumindest die Hoffnung, dass er bald starb.

Gewöhnliche Prostitution kam also nicht infrage, aber die allgemeine Richtung stimmte. An der Wand machte Julia kehrt und durchschritt den Raum noch einmal, ging um das Bett herum und stellte sich ans Fenster. Sie hatte von ihren Cousins auch vage skandalöse Berichte gehört über Bordelle, in denen Jungfrauen versteigert wurden. Das war eine ernsthafte Möglichkeit. Sie wusste nicht genau, was das bedeutete, aber ganz bestimmt wäre sie danach kompromittiert.

Julias Magen zog sich zusammen, und ihr wurde ein wenig übel bei der Vorstellung an das, was sie da ins Auge gefasst hatte. Würde sie das durchhalten? Würde sie sich einem fremden Mann hingeben können? Wäre das besser als die empörenden Aussichten, die Oswalts Angebot für sie bedeuteten?

Tatsächlich erschienen ihr die Möglichkeiten, die ihr offenstanden, genauso abscheulich wie eine Heirat mit Oswalt. Es war grässlich, sich die Konsequenzen ihrer Entscheidung vorzustellen. Wenn sie sich dafür entschied davonzulaufen, würde sie vor mehr als nur vor Oswalt fliehen. Sie würde für immer aus der Gesellschaft ausgestoßen sein. Niemand wollte mit einer Frau Umgang pflegen, die das getan hatte, was sie jetzt erwog. In ihrer Zukunft würde es keinen Ehemann und keine Kinder geben. Ihre Familie würde nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Danach wäre sie unwiderruflich auf sich gestellt.

Sie würde frei sein. Ganz sich selbst überlassen.

Julia setzte sich auf das Bett und war einen Moment lang überrascht von dieser Entdeckung. Freiheit war plötzlich sehr teuer. Freiheit würde mehr kosten als eine peinliche Situation in einem Bordell und eine unangenehme Auseinandersetzung mit ihrem Onkel. Das wäre in einer Woche vorüber. Aber sie würde für den Rest ihres Lebens dafür bezahlen müssen.

Ebenso wäre ihr Leben, wie sie es bisher kannte, mit Oswalt vorüber. Wofür auch immer sie sich entschied, mit Sicherheit würde sich in dieser Woche alles verändern. Sie stand an einem Scheideweg, ob sie das nun wollte oder nicht. Sie wünschte, ihr Cousin Gray wäre hier, damit sie es mit ihm besprechen konnte. Doch Julia vermutete, dass sie sich am besten daran gewöhnte, allein zu sein und nur sich selbst zu vertrauen. So würde ihr Leben von nun an immer sein. Vielleicht war dieser Tag der letzte, an dem sie über ihr Schicksal entscheiden konnte. Konnte sie ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen und ihren eigenen Weg gehen, oder müsste sie sich in Oswalts Hände begeben?

Wollte sie sich lieber dem Schicksal fügen, dessen Richtung sie schon kannte? Nein. Nicht dieses Mal. Sie würde ihren Mut zusammennehmen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

Julia biss sich auf die Lippe. Plötzlich fühlte sie sich sehr verängstigt und begann, die einzige Möglichkeit zu durchdenken, die sich ihr bot. Es musste die Auktion sein. Vor ihrem inneren Auge begann ein Plan Gestalt anzunehmen.

Sie würde ihre Tante und ihren Onkel davon überzeugen, dass sie einverstanden war und froh über die Entscheidung, die sie für sie getroffen hatten. Dann würde sie die Kutsche rufen und ihnen beiden sagen, dass sie die gute Nachricht über ihre Verlobung ihrer Freundin Elise Farraday erzählen wollte.

Aber zuerst musste sie sehen, wie das Wetter war.

Julia zog den Vorhang am Fenster zurück und warf einen Blick nach draußen. Der Frühnebel verzog sich, und der blaue Himmel eines Spätfrühlingstages zeigte sich. Es war glaubhaft, dass sie ein paar Straßen zu früh die Kutsche verlassen würde, um ein Stück zu Fuß zu gehen und den schönen Tag zu genießen. Dann könnte sie fliehen, durch den Covent Garden gehen und von dort in die besseren Bordelle Londons gelangen, wo sie ihren Plan durchführen wollte. Bis zum Morgen wäre sie entehrt.

Von einem Fremden.

Unter peinlichen Umständen.

Ohne irgendeine Hoffnung auf ein Zurück.

Es war ein Plan.

Es war ihre einzige Chance.

Ihre einzige?

Das Wort erschreckte Julia. Eine ihrer Regeln lautete, nicht in Entweder-Oder-Kategorien zu denken. Das Leben war zu kompliziert, um es in schlichtes Schwarz oder Weiß einzuteilen, in ja und nein, richtig und falsch, tun oder lassen.

Gab es einen anderen Weg? Eine ebenso sichere, aber weniger öffentliche Möglichkeit? Julia fühlte sich feige, das auch nur zu erwägen, aber vielleicht gab es einen Weg, sich ruinieren zu lassen und sich dennoch vor der Entdeckung zu schützen, bis sie gezwungen war, die Wahrheit im Zusammenhang mit dem Vertrag ihres Onkels zu offenbaren. Sollte dies der Fall sein, so wäre ihr das lieber im Vergleich zu einer öffentlichen Zurschaustellung bei einer Auktion. Es blieb das Risiko, dass jemand sie erkannte, das Risiko, entdeckt zu werden, ehe die Tat vollbracht war. Wie ein Funke erwachte ein neuer Plan in ihrem Hinterkopf zum Leben und verschaffte sich Gehör.

Ein anderer Weg.

Ein anderer Mann.

Keiner der jungen Burschen, die sie als Debütantin umschwärmt hatten, kam dafür infrage. Wie von selbst erschien vor ihrem inneren Auge sehr verschwommen das Bild eines Mannes, dem sie einmal begegnet war – kennengelernt wäre zu viel gesagt, denn sie hatte ihn nur aus der Ferne gesehen, in einem überfüllten Ballsaal an einem ihrer ersten Abende in London. Doch man hatte über seine Anwesenheit geflüstert, und viele Mütter fühlten sich genötigt, ihre sittsamen Töchter auf die Gefahren hinzuweisen, die von diesem Mann ausgingen.

Es war Paine Ramsden, dritter Sohn eines Earls, in weniger freundlichen Kreisen bekannt als ein Schurke, dessen Ruf so schlecht war, dass man ihn in der guten Gesellschaft nicht empfing. Julia hatte schnell erfahren, dass er an diesem Tanzabend nur seiner Tante zuliebe teilnahm, der Dowager Marchioness of Bridgerton, Lily Branbourne, die trotz der öffentlichen Empörung wegen seiner zweifelhaften Moral bekannte, dass er ihr Lieblingsneffe war.

Julia lächelte in sich hinein. Paine Ramsden stand in dem Ruf, ein unwiderstehlicher Charmeur zu sein, der ebenso großzügig mit seiner Zuneigung verfuhr wie mit seinen Finanzen. In jener Nacht im Ballsaal machten zudem andere Gerüchte die Runde – dunklere, gegen die Frauengeschichten und eine Neigung zur Verschwendung harmlos waren. Gerüchte über Zeiten im Ausland, als Strafe für ein Duell wegen einer Frau. Und damit hörten die Verdächtigungen noch nicht auf. Es wurde erzählt, seit seiner Rückkehr lebe er genusssüchtig am Rande der Halbwelt, nachdem er sich einen heruntergekommenen Spielsalon gekauft hatte, um seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen.

Diese Neigungen waren Julia gleichgültig. Je ausschweifender sein Lebensstil, desto weniger wahrscheinlich war es, dass er am Morgen von falschem Ehrgefühl überwältigt wurde. Damit war ihre Wahl auf Paine Ramsden gefallen. Jetzt kannte sie die Richtung, in die sie gehen würde. Nun musste sie ihn nur noch finden und davon überzeugen, ihr die Unschuld zu nehmen. Was Letzteres betraf, so trug sie ihre Perlenohrringe in einem kleinen Beutel bei sich, um ihm das Geld zu geben, das er brauchte, um die Tat zu vollziehen. Ein Spieler wie er würde wissen, wo er sie versetzen konnte. Ja, das wäre einfach. In Anbetracht seiner armseligen gesellschaftlichen Stellung wäre es schwerer, ihn ausfindig zu machen.

Wenn sie auch nicht wusste, wo er sich aufhielt, so hatte sie doch eine recht gute Vorstellung davon, wo er sich nicht aufhielt. Sie würde ihn auf keiner der Soireen oder Musikabende finden, die heute stattfanden. In keinem der beliebten Gentlemen’s Clubs oder Spielhallen würde er anzutreffen sein. Der Klatsch sagte, dass er Räume in der Jermyn Street bezogen hatte. Die Chance, ihn dort anzutreffen, war nicht besonders groß, aber dort wollte sie beginnen, auch wenn sie von Tür zu Tür gehen und nach ihm fragen müsste. Die Vermieterin oder ein Nachbar wussten vielleicht, wo er den Abend verbrachte. Um diese späte Stunde würden bestimmt nur wenige Menschen ihre Anwesenheit bemerken.

Julia warf noch einen Blick auf die Uhr. Noch acht Stunden bis zum Einbruch der Nacht. Acht Stunden, um ihre Tante und ihren Onkel davon zu überzeugen, dass sie ihre Entscheidung akzeptierte und dass sie an diesem Abend zu Hause bleiben und an ihrer Aussteuer arbeiten wollte. Nein, das klang verdächtig in Anbetracht der Tatsache, dass sie Handarbeiten verabscheute. Besser wäre es, mit ihnen auszugehen und dann irgendwann zu verschwinden. Lady Moffats Abendgesellschaft würde gut besucht sein, und ihre Tante und ihr Onkel würden kaum mehr auf sie aufpassen, wenn ihre Tanzkarte erst voll war.

Es würde nicht schwierig sein, unauffällig durch ein rückwärtiges Gartentor zu entkommen, ohne sofort vermisst zu werden. Ihr Onkel würde im Kartenzimmer sein und sich nicht darum kümmern, was im Ballsaal geschah. Ihre Tante würde in Gespräche mit ihren Freundinnen vertieft sein und Julia bei den Farradays vermuten, die bei solchen Anlässen oft die Anstandsdamen spielten.

Entschlossen, den einmal gefassten Entschluss auch auszuführen, widmete Julia ihre Aufmerksamkeit dem großen Eichenschrank in der Ecke. Sie öffnete die Tür, und diese gab den Blick frei auf ein Dutzend Kleider aus feinster Seide und anderen edlen Stoffen. Inzwischen sah sie die Kleider mit neu erwachtem Zynismus an. Ihr Onkel hatte keine Kosten gescheut, seine Nichte für die neue Saison auszustaffieren. Die Gründe für diese Extravaganz lagen auf der Hand.

Julia klopfte mit einem Finger gegen ihr Kinn. Sie musste eine letzte Entscheidung treffen: Was trug ein Mädchen anlässlich seines Ruins?

2. KAPITEL

Ich hätte nie gedacht, dass Sie Asse in der Hand halten!“ Voller Abscheu warf Gaylord Beaton, der junge Mann, der gegenüber von Paine Ramsden am Spieltisch saß, seine Karten auf den Tisch. „Heute Abend haben Sie teuflisches Glück, Ram.“

Die anderen an jenem Tisch in dem schwach erleuchteten Spielsaal lachten und warfen ebenfalls ihre Karten hin. „Was meinen Sie mit heute Abend? Ram hat jede Nacht teuflisches Glück!“, rief ein anderer.

„Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass es nicht nur Glück ist?“ Mit einer geübten Handbewegung schob Paine Ramsden seine Gewinne zusammen.

„Was sollte es sonst sein? Ein fünftes As?“ Bei Gaylords kühnem Scherz verstummten die anderen und starrten ihn sprachlos an.

„Geschick“, erwiderte Paine und sah sie der Reihe nach an, ehe er ausgab. Der unterschwellige Ärger in Beatons Scherz war ihm nicht entgangen.

Dies war die zweite Nacht, in der diese jungen Burschen spielten, und die zweite Nacht, in der sie hoch verloren. Seiner Erfahrung nach war ein zorniger junger Spieler ein gefährlicher Spieler. Er musste diesen jungen Mann im Auge behalten. Er hatte gehofft, Beaton hätte letzte Nacht seine Lektion gelernt und Schritte unternommen, um seine finanziellen Verluste auszugleichen. Aber offensichtlich war Beaton der Meinung, dass er diese durch Glücksspiel minimieren könne. Ein verbreiteter Irrtum, der Paine selbst während seiner wilden, unerfahrenen Jugendjahre unterlaufen war.

Zu fünft spielten sie Commerce um hohe Einsätze. Er gewann ständig und hatte von jedem der jungen Burschen am Tisch schon hundert Pfund gewonnen. Paine sollte es genießen. Stattdessen langweilte er sich. Nein, mehr als das: Er war vollkommen teilnahmslos.

Paine legte eine seiner drei Karten ab und zog die Herzdame. Mit ihr besaß er jetzt drei der gleichen Farbe. Wieder würden die anderen verlieren. Er wartete darauf, die Vorfreude auf den Sieg zu spüren. Doch er fühlte gar nichts – nicht die Euphorie des Siegers, nicht die angenehme Benommenheit von dem billigen Brandy in seinem Glas, keine Erregung durch die Versprechungen des leichten Mädchens, das sich an seine Schulter schmiegte. Er war wie benommen.

Wie konnte das geschehen? Wann hatten die üblichen Unterhaltungen die Fähigkeit verloren, ihn zu befriedigen? Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Ausland hatte es eine Zeit gegeben, in der es ihm genügt hatte, sich an einem zwielichtigen Ort wie diesem aufzuhalten. Weit weg von den hell erleuchteten Hallen von St. James war das Adrenalin durch seine Adern geströmt bei der Aussicht, das Messer ziehen zu müssen, das er gut versteckt in seinem Stiefel trug. Die Spielhalle hatte ihm so gut gefallen, dass er sie dem Eigentümer abgekauft hatte, der sich zur Ruhe setzen wollte.

Seitdem war er der Herrscher dieses Reiches. Junge Männer auf der Suche nach Abenteuern kamen hierher, um sich beim Kartenspiel mit ihm zu messen. Erfahrene Spieler baten ihn um Darlehen, wenn es ihnen an Glück fehlte. Die Huren boten sich ihm bereitwillig dar. Er hatte die Unterwelt gesucht, und jetzt suchte sie nach ihm.

Nur selten verließ er sie zu einem Besuch bei der ton, wie vor einigen Wochen, als er seine Tante Lily zu einem Ball begleitet hatte. Er mochte seine Tante und ihre direkte Art. Aber was die ton betraf, so bevorzugte er sein Leben außerhalb deren Vorschriften und Erwartungen. Das hatte er in Indien gelernt. Die Tatsache, dass er seines jetzigen Lebens überdrüssig war, zeigte nur, dass er neue Aufregungen suchen musste.

Unter den enttäuschten Rufen aus der Runde legte Paine die Karten hin und begann, sich die Ärmel hinunterzurollen.

„Sie können doch nicht gehen, ehe wir die Gelegenheit hatten, unsere Verluste zurückzugewinnen?“, rief einer der Dandys. „Es ist erst Mitternacht.“

„Genau das …“, erwiderte Paine und verstummte mitten im Satz. Er kniff die Augen zusammen und blickte durch das rauchige Zwielicht zur Tür. Dort war es unruhig geworden. „Meine Herren, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, es scheint ein Problem zu geben, um das ich mich kümmern muss.“

Paine ging zur Tür und verspürte zum ersten Mal an diesem Abend gespannte Erwartung. Das war genau, was er brauchte: etwas Unbekanntes, Unvorhergesehenes, das seine Begeisterung wieder entfachte.

„John, stimmt etwas nicht?“, fragte er den Türsteher.

John verstand seinen Beruf. Selten nur gab es eine Situation, mit der John nicht fertig wurde. Jetzt schien eine dieser seltenen Ausnahmen eingetreten zu sein. John schien erleichtert, ihn zu sehen.

„Hier ist ein Mädchen. Sie möchte Sie sprechen.“ John trat zur Seite und enthüllte damit, was seine Leibesfülle bisher vor Paine verborgen hatte.

Paine stockte der Atem, und er fühlte Erregung in seinen Lenden. Das Mädchen war atemberaubend. Ein Blick auf ihren sinnlichen Mund genügte, und er sah sie vor sich in seinem Bett liegen. Er wollte ihr das türkisfarbene Kleid ausziehen, das ihre Kurven so vorteilhaft betonte, und sie liebkosen, bis sie seinen Namen schrie. Das Blut in seinen Adern begann bei dieser Vorstellung zu kochen. Er fühlte sich wieder lebendig.

„Ist schon gut, John. Ich spreche mit ihr.“ Paine schlug dem großen Mann auf die Schulter. War das Erleichterung, was er da im Gesicht des Mädchens erblickte? Er wusste genau, dass er sie nicht kannte. Sie wirkte zu elegant für die Orte, die er gewöhnlich besuchte. Und zu unschuldig, wie er zugeben musste.

Er schenkte ihr ein Lächeln, bot ihr seinen Arm und zog sie herein. Während sie sich umsah, spürte Paine den Druck ihrer Hand durch den Ärmel seines Leinenhemdes. Er betrachtete den Ort mit ihren Augen, während sie zwischen den Tischen hindurchgingen: Da gab es den Geruch nach abgestandenem Rauch, vermischt mit dem nach Alkohol und altem Schweiß, die abgetragene Kleidung der Stammkunden, die verblichenen Bezüge der Stühle, die zerkratzten Tische.

Zu spät fiel ihm ein, dass er seinen Rock am Tisch hatte liegen lassen und nur die schlichte Kleidung trug, die er beim Spielen bevorzugte. Keine diamantbesetzte Krawattennadel, die an einem Halstuch funkelte, keine Manschettenknöpfe an den Ärmeln. Nach den Regeln der ton war er geradezu unbekleidet mit seinem einfachen weißen Hemd und der beigefarbenen Hose – von der vorgeschriebenen dunklen Abendkleidung keine Spur.

Paine ging durch einen dunklen Korridor und öffnete die erste Tür zu seiner Linken. Es war ein kleiner Raum, der ihm als eine Art Büro diente, wenn er Darlehen oder private Themen zu besprechen hatte. Er schob die junge Frau hinein und deutete auf einen Stuhl.

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ich habe Sherry da.“ Sie schüttelte den Kopf, und Paine zuckte die Achseln. Dann schenkte er sich einen Brandy ein, nahm seinen gewohnten Platz hinter dem einfachen hölzernen Schreibtisch ein und betrachtete sie.

Schön und angespannt, stellte er fest, obwohl sie es tapfer zu verbergen versuchte. Sie zupfte nicht nervös mit ihren weiß behandschuhten Fingern irgendwo herum, sondern hielt die Hände fest im Schoß gefaltet und saß kerzengerade da. Obwohl sie ihren Körper ganz und gar zu beherrschen schien, verrieten ihre auffallend schönen, jadegrünen Augen sie. Dieses Mädchen wollte etwas von ihm.

Er konnte sich nicht vorstellen, was er einer Fremden wie ihr zu bieten haben könnte. Doch was immer es war, sie verlangte verzweifelt danach. Das verriet ihr Blick.

Sie sprach nicht, und Paine fühlte sich genötigt, die Stille zu unterbrechen. „Da wir uns noch nicht kennen, gestatten Sie mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Paine Ramsden. Aber das wissen Sie vermutlich schon. Ich hingegen habe nicht die leiseste Ahnung, wer Sie sind und fühle mich im Nachteil.“

„Ich bin Julia Prentiss. Ich danke Ihnen, dass Sie bereit waren, mich zu empfangen.“ Sie sprach sehr sachlich, und das erweckte in Paine den Eindruck, draußen wäre es taghell und an diesem Gespräch nichts Außergewöhnliches.

„Dies ist eine ungewöhnliche Zeit für ein geschäftliches Treffen. Ich muss gestehen, ich bin sehr neugierig, was Sie hier hergeführt haben könnte.“ Paine lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und versuchte, so auszusehen, als wäre er nicht erregt von dem Anblick ihrer herrlichen Figur und dem Klang ihrer Stimme.

Er sah, wie sie schluckte. Zum ersten Mal, seit sie dieses Etablissement betreten hatte, schien sie die Fassung zu verlieren. Als sie nicht sofort sprach, bot Paine ihr seine Hilfe an. „Brauchen Sie Geld?“ Vielleicht hatte sie Spielschulden. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine Frau beim Kartenspiel auf einem Ball oder einer Gesellschaft zu viel Geld verwettete.

Sie schüttelte den Kopf, und ihre mit Aquamarinen besetzten Ohrringe pendelten hin und her. Zu spät erkannte Paine, dass er einen Denkfehler gemacht hatte. Die Ohrringe allein hätten gut verpfändet werden können. Gütiger Himmel, er kannte sie erst seit ein paar Minuten, und schon hatte sie seine Sinne verwirrt. Er spürte seine Erregung deutlicher, und hoffte, sie würde bald auf den Punkt kommen, damit er seine eigenen Pläne verfolgen konnte.

„Ich bin gekommen, damit Sie mich ruinieren.“ Sie hatte sehr schnell gesprochen, und danach zeigte sich eine leichte Röte auf ihrem makellosen Alabasterteint.

„Ruinieren?“ Paine zog eine Braue hoch. „Was meinen Sie mit ruinieren? Soll ich Sie am Spieltisch ruinieren? Ich kann dafür sorgen, dass Sie jeden beliebigen Betrag verlieren.“

Sie sah ihm sehr ernst direkt in die Augen. Nun, da sie miteinander sprachen, hatte sie offensichtlich ihren Mut wiedergefunden. „Ich will kein Geld verlieren. Ich will meine Jungfräulichkeit verlieren. Ich möchte, dass Sie mich im Bett entehren.“

Sein Verstand warnte ihn vor einer drohenden Gefahr, während es in seinen Lenden heiß wurde bei dem Gedanken an das, was ihm da angeboten wurde. Gefährliches Vergnügen – sein liebster Zeitvertreib. „Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine solche Vereinbarung, aber ich hätte gern mehr gewusst“, erwiderte Paine kühl.

„In fünf Tagen soll ich einen Mann heiraten, den ich absolut unerträglich finde. Er würde mich nicht mehr haben wollen, wenn ich …“ Sie verstummte und suchte nach einem passenden Wort. „Wenn ein anderer mich berührt hat.“

Paine verspürte einen Anflug von Enttäuschung. Ihrer Bitte Folge zu leisten brachte eine Fülle von offensichtlichen Hindernissen mit sich, nicht zuletzt die Aussicht, sich duellieren zu müssen. Gefahr war eine Sache, illegale Vorgänge wie Duelle eine andere. Dennoch musste es nicht zwingend ein so drastisches Ende geben. Er hatte schließlich keinen Ruf zu verlieren, und das Mädchen suchte ihn nicht auf, damit er danach etwas Ehrenwertes tat.

„Das ist eine recht folgenschwere Handlung, und sie ist nicht rückgängig zu machen, Julia.“

Er sprach ihren Namen aus, und ihm gefiel der Klang ebenso wie die Vertraulichkeit, die damit einherging. Er erhob sich und schritt um den Schreibtisch herum, entschlossen, ihr eine Lektion zu erteilen über das Wesen der Männer. Er lehnte sich an die Ecke des Tisches, die Arme verschränkt, sodass die untere Hälfte seines Körpers ihren Blicken dargeboten wurde, mitsamt der unübersehbaren Erregung, die sich klar und deutlich in seiner Hose abzeichnete. Sie sollte sehen, was ihre Bitte auslöste. Er wollte ihr eine Chance geben, sich zurückzuziehen.

„Haben Sie das durchdacht? Gibt es keine Möglichkeit für Sie, sich in diese Ehe zu fügen? Vielleicht werden Sie sich in ein oder zwei Jahren ganz gut mit ihrem Ehemann arrangiert haben. Viele Frauen stellen fest, dass sich alles von selbst klärt, wenn sie erst einmal verheiratet sind und eine Familie haben, um die sie sich kümmern können.“ Gütiger Himmel, er sprach, als wäre er Lehrerin an einer Schule für höhere Töchter.

Ihre Augen blitzten, als sie antwortete: „Ich bin kein dummes Mädchen, das gegen den Mann rebelliert, den ihre Eltern ausgesucht haben, weil sie sich in einen anderen verliebt hat. Ich versichere Ihnen, ich verspüre nicht den Wunsch, mich mit diesem Mann zu arrangieren. Mortimer Oswalt ist ein Wüstling der übelsten Sorte, und ich wehre mich dagegen, von ihm lediglich als eine Art Zuchtstute angesehen zu werden. Selbst wenn das bedeutet, dass ich niemals heiraten werde!“

Paine spürte, wie sich seine Leidenschaft plötzlich abkühlte, als er diesen Namen hörte: Mortimer Oswalt war für ihn kein Unbekannter. Zwischen ihnen bestand eine alte Feindschaft, und er hatte mit Oswalt noch eine Rechnung offen wegen einer Frau. Es käme ihm zupass, die Verlobte dieses Mannes zu ruinieren. Er war kein Jüngling mehr. Diesmal würde Mortimer Oswalt ihn nicht so leicht manipulieren können. Diesmal würde eine Unschuldige Oswalts Klauen entkommen können.

Er betrachtete das Mädchen, das vor ihm stand. Sie in sein Bett mitzunehmen wäre kein wohltätiger Akt. Sie war von göttlicher Schönheit, und das erregte ihn. Doch sie war mehr als nur schön. Aussehen allein genügte nicht, seine Leidenschaft zu wecken. Julia Prentiss verfügte über Geist und Mut. Nicht jedes Mädchen in England besaß die Kraft, gegen eine arrangierte Verbindung aufzubegehren und die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Diese Leidenschaft würde das Vergnügen einer Liebesnacht noch steigern. Doch zuerst würde er überprüfen, ob sie wirklich so bereit dazu war, wie sie es mit ihren Worten behauptete.

„Stehen Sie auf, Julia, damit ich sehe, worauf ich mich einlasse.“ Er sah ihr in die Augen, und ihm entging nicht, dass sie mit keiner Wimper zuckte bei seinen Worten.

Sie stand auf, und ihre Röcke streiften seine Beine. Der Zitronenduft ihrer Seife stieg ihm in die Nase und weckte in ihm Erinnerungen an weit entfernte Orte, wo exotische Früchte an den Bäumen wuchsen. Paine ließ den Blick über sie hinweggleiten, ihn eine Weile auf ihren festen Brüsten ruhen, die von dem aquamarinfarbenen Mieder sehr vorteilhaft zur Geltung gebracht wurden. Er starrte so lange dorthin, bis er sicher sein konnte, dass Julia errötete.

Dann verließ er seinen Platz an der Schreibtischecke und ging auf sie zu. Er legte die Hände um ihre schmale Taille, und sie rührte sich noch immer nicht. Er ließ eine Hand über ihr Mieder gleiten, bis er die Unterseite ihrer Brüste berührte. „Sehr hübsch, sehr fest. Das gefällt mir“, sagte er heiser.

Ohne Vorwarnung schlug sie ihm fest ins Gesicht. Er trat einen Schritt zurück und ließ sie los. „Wofür zum Teufel war das?“ Er rieb sich die schmerzende Wange.

„Für den Versuch, mich abzuschrecken. Ich habe Ihr Spiel durchschaut, und ich habe keine Angst.“ Ihre kühlen Worte passten zu der Kälte, die Paine in ihren Augen wahrnahm. Er hatte erwartet, dass seine vulgäre Annäherung sie entsetzen würde.

„Sie können nichts tun, das demütigender wäre als das, was mich bei Oswalt erwartet. Wenn ich hier fertig bin, habe ich zumindest meine Freiheit. Dennoch bitte ich Sie, mich nicht wie ein preisgekröntes Stück Vieh zu behandeln.“

Paine lachte spöttisch. „Wer behandelt hier wen wie ein Stück Vieh? Sie sind hierhergekommen, um mich zu bitten, den Hengst zu spielen.“ Zufrieden merkte er, wie sie errötete.

„Genug jetzt davon. Werden Sie es tun?“

Sie sah herrlich aus in ihrem Zorn, die Wangen gerötet, die Augen funkelnd. Das gefiel ihm schon besser. Eisprinzessinnen konnte er nicht gebrauchen. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Wieder ging er auf sie zu, die schmerzende Wange bereits vergessen. Eine letzte Prüfung gab es noch. „Liebste, haben Sie die Geschichte von der Prinzessin auf der Erbse gehört?“ Er flüsterte, umfasste ihr Kinn mit zwei Fingern und schob es hoch, sodass sie ihn ansehen musste.

„Was – was hat das hiermit zu tun?“, fragte sie erschrocken und sah ihn aus großen Augen an.

Statt einer Antwort neigte Paine den Kopf und küsste sie. Mit dem leichten Druck seines Mundes schob er ihre Lippen auseinander, ließ seine Zunge hineingleiten, strich damit über ihre Zähne, schmeckte den süßen Champagner, den sie am Abend getrunken hatte, und fühlte, wie sie nachgab.

Er öffnete den Mund weiter und zog seine Zunge zurück, um ihr die Möglichkeit zu geben, dasselbe zu tun. Und das tat sie, erforschte ihn zögernd mit ihrer Zungenspitze. Paine stöhnte leise, als sie mit den Zähnen sachte in seine Unterlippe biss und leise lachte. Er umfasste ihre Taille, zog sie an sich, ließ sie seine Erregung spüren und die Macht, die sie besaß, weil sie eine solche Reaktion in ihm hervorrufen konnte.

Paine nahm ihre Hand und schob sie zwischen ihre Körper, presste sie an seine Lenden. „Fühlen Sie, was Sie mir antun?“, murmelte er und löste sich von ihren Lippen. Dies hier sollte ein Test sein. Wann hatte er je zuvor die Beherrschung verloren?

Statt verlegen zu sein über diese so intime Berührung, wirkte Julia triumphierend, und ihr Gesicht war gerötet, mehr von dem Gefühl, einen Sieg errungen zu haben, als aus Furcht. Schon jetzt war sie außergewöhnlich schön. Aber Paine würde sie dank seiner Erfahrung noch mehr zum Strahlen bringen. Es gab zahlreiche Stellungen und Tricks, die er einer willigen Schülerin zeigen könnte.

„Heißt das, Sie werden es tun?“, drängte sie und unterbrach seine lebhaften Gedanken.

Ein letztes Mal musterte Paine sie prüfend, damit es nicht so aussah, als ließe er sich zu schnell erobern. Das hätte sein Stolz nicht zugelassen. Welche Gerüchte auch immer kursierten, welche Mutmaßungen auch immer Julia hierhergeführt haben mochten, er wählte seine Gespielinnen sorgfältig aus und äußerst diskret.

„Ja. Ja, ich werde es tun.“

Paine merkte, dass sie die Luft ausstieß, die sie angehalten hatte, so erleichtert war sie. Sie blickte an ihm vorbei und betrachtete den Raum. Er folgte ihrem Blick zu der schmalen Liege mit der einfachen Decke. Dann presste sie entschlossen die Lippen zusammen und deutete mit einer Kopfbewegung dorthin. „Dann fangen wir am besten gleich an.“

Paine glaubte, einen traurigen Unterton in ihrer Stimme zu vernehmen, vielleicht sogar Bedauern, und er wollte etwas dagegen tun. Mochte sie auch gezwungen sein, ihre Jungfräulichkeit zu opfern, so musste daraus keine erniedrigende Erfahrung werden. Sein Stolz als Liebhaber wehrte sich gegen diese Vorstellung. Keine Frau sollte sich jemals gedemütigt fühlen, wenn sie sein Bett verließ. Er fasste einen raschen Entschluss.

„Ich denke, Sie werden meine Gemächer für unsere Zwecke besser geeignet finden.“ Er deutete auf die Liege. „Ich habe genügend Nächte dort verbracht, um zu wissen, dass sie kaum für einen allein bequem genug ist, geschweige denn für zwei Menschen, die eine Liebesnacht verbringen wollen.“

Sie errötete, und wieder war Paine gerührt von ihrer Unschuld. Trotz ihrer direkten Art war sie jung, hübsch und offensichtlich einsam. Das Letzte traf ihn tief. Er wusste, wie es war, allein zu sein, und er fühlte sich ihr verbunden in einer Weise, wie er es seit Langem bei keinem Menschen mehr gespürt hatte. Eine Empfindung, die tief in ihm ruhte, erwachte zum Leben.

„Meine Kutsche steht am Hintereingang. Wir sollten gehen, ehe jemand hier herumschnüffelt“, schlug Paine vor, um das Ganze voranzubringen. Jetzt, da alles geregelt war, schwieg Julia und betrachtete ihre Handschuhe.

Er streckte eine Hand aus. „Es ist Zeit aufzubrechen, außer Sie haben es sich anders überlegt. Wenn Sie sich dafür entscheiden, mit mir zu kommen, gibt es kein Zurück.“ Er lachte leise, um sie zu entspannen. „Zweifellos ist Ihnen nicht entgangen, dass ich Sie begehre.“

Bei dieser Bemerkung fuhr sie hoch, und ihre Augen blitzten. „Zuerst – wie können Sie mich begehren? Sie wissen überhaupt nichts von mir außer meinem Namen, und den könnte ich erfunden haben. Zweitens, seit heute Vormittag elf Uhr, als mein Onkel mit seiner Gier mein Schicksal besiegelte, hatte ich keine Möglichkeit mehr, Entscheidungen zu treffen. Drittens, seit ich heute Abend die Gesellschaft bei Moffat verließ, gibt es schon kein Zurück mehr. Ich brauche Ihr Mitleid nicht. Ich weiß genau, was ich tue, aber es muss mir nicht gefallen.“

Paine warf den Kopf zurück und lachte, zum Teil, weil ihre Unerschrockenheit zurückgekehrt war, und zum Teil über ihre tollkühne Rede. „Sie haben recht. Es muss Ihnen nicht gefallen. Doch wenn mein Gefühl mich nicht völlig täuscht, dann wette ich, es wird Ihnen gefallen.“ Dafür würde er sorgen.

3. KAPITEL

Die Kutschfahrt brachten sie schweigend hinter sich. Julia tobte innerlich, weil sie es zugelassen hatte, dass Ramsden sich über sie lustig gemacht hatte. Es sollte ihr gefallen – also wirklich! Sie mochte unschuldig sein, aber naiv war sie nicht. Sie wusste recht gut, dass mit „es“ der Akt gemeint war. Mit seinem schwarzen Haar und den blauen Augen sah Paine Ramsden tatsächlich genau so gut aus, wie man es sich erzählte, nur war er doppelt so eingebildet, wenn er glaubte, sie würde Vergnügen an ihrem Vorhaben finden. In seiner männlichen Überheblichkeit schien er vergessen zu haben, dass sie zu diesen Maßnahmen gezwungen war.

Sie hatte ihn nicht wegen seiner Fähigkeiten gewählt. Sie hatte ihn gewählt, weil er bereit war, und sie hatte recht gehabt. Lange hatte es nicht gedauert, ihn zu überreden. Sie war darauf gefasst gewesen, zu betteln, vielleicht sogar zu bezahlen.

Die Kutsche hielt an. Julia holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Paine sprang hinaus und drehte sich dann um, um ihr herauszuhelfen.

Julia hatte erwartet, sich in der Jermyn Street mit den Junggesellenwohnungen wiederzufinden. Stattdessen entdeckte sie eine gänzlich unbekannte Umgebung.

„Wo sind wir?“, fragte sie und blickte die Straße hinauf und hinunter auf der Suche nach etwas, das sie wiedererkannte. Ein Anflug von Zweifel überkam sie. Es war der Gipfel der Dummheit gewesen, mit einem Fremden in einer geschlossenen Kutsche zu fahren, ohne jemandem etwas über ihr Ziel zu verraten. Sie war Paine Ramsdens Gnade hilflos ausgeliefert.

„Brook Street. Kürzlich habe ich hier ein Haus gekauft. Ich beabsichtige, es in ein luxuriöses Hotel zu verwandeln, das eine exklusive Klientel anlockt.“ Paine deutete auf die Straße, wo andere neue Hotels standen. „Die Gegend scheint ideal.“ Dann zwinkerte er ihr verschwörerisch zu. „Für uns ist es auch ideal. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir hier gestört werden.“

Paine zog einen Schlüssel heraus und öffnete die Tür. „Sie müssen verzeihen, dass es kaum Möbel gibt. Das Haus ist leer abgesehen von dem Schlafzimmer oben und einem kleinen Büro, das ich auf der Rückseite eingerichtet habe. Diese beiden Räume werde ich nutzen, wenn die Renovierungsarbeiten beginnen und ich rund um die Uhr hier sein muss.“

Julia zwang sich zu einem Lächeln und erkannte seine Bemühungen an, sie zu entspannen. Nun, da sie die Kutschfahrt über Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken, was sie da tat, waren ihre Nerven doppelt angespannt. Dennoch musste sie weitermachen; sie hatte sich schon viel zu weit vorgewagt, um sich jetzt zurückzuziehen.

Julia trat ein und war nicht gefasst auf den opulenten Anblick, der sich ihr bot. Wie er gesagt hatte, gab es keine Möbel. Aber die marmorne Eingangshalle mit ihren vergoldeten Spiegeln und der Stuckdecke war prächtig! Sie passte nicht zu dem Bild, das sie sich von Paine Ramsdens finanzieller Lage gemacht hatte. Er war ein Berufsspieler und leitete einen Spielsalon. Das war kein Beruf für einen Mann, der Geld übrig hatte. Dennoch konnte sich ein solches Haus nur ein reicher Mann kaufen, und es würde noch sehr viel Geld erforderlich sein, es zu renovieren.

An einer geschwungenen Treppe blieben sie stehen.

„Möchten Sie gern nach oben gehen, oder ist es Ihnen lieber, wir setzen uns in mein Büro und reden, auch wenn es noch ein wenig improvisiert ist?“, bot Paine an und deutete auf einen Raum am Ende des Ganges.

Entschlossen raffte Julia die Röcke. „Gleich nach oben, wenn es Ihnen recht ist. Ich möchte diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich bringen.“

„Drängen Sie nicht zu sehr, meine Süße. Sie könnten einiges entdecken, das zu genießen sich lohnt, wenn Sie sich die Zeit nehmen, unser kleines Zwischenspiel auszukosten“, sagte er leise neben ihr.

„Sie sind sehr selbstsicher“, gab Julia voller Abscheu zurück. „Ich möchte die Tat nur vollbracht sehen.“

Paine lachte heiser, was Julia unerwartet eine Gänsehaut verursachte. Sie warf ihm einen Seitenblick zu, lange genug, um einen heiteren Ausdruck in seinen Augen zu erkennen, der in ihr den Verdacht weckte, er wüsste etwas, von dem sie nichts ahnte.

Es gefiel ihr nicht, sich so weit auf unbekanntem Terrain zu bewegen. Sie war nicht so dumm zu glauben, dass sie bei diesem Handel je die Oberhand erlangen könnte. Alles Wissen und alle Macht lagen bei ihm. Sollte er beschließen, ihrer Bitte nicht nachzukommen, hatte sie keine Möglichkeit, ihn dazu zu zwingen.

Während sie die Treppe hinaufstiegen, dachte sie an die Bezahlung, die sie in Erwägung gezogen hatte. In Anbetracht dieses eleganten Hauses schienen die Ohrringe ihr jetzt wirklich lächerlich. Aber ihre Machtlosigkeit war keineswegs lächerlich. Jetzt hielt sie kein Druckmittel mehr in Händen, sollte er sich seines lange vergessenen Gewissens erinnern und sich von dem Handel zurückziehen. Doch andererseits war er ein Schürzenjäger. Dem Klatsch hatte sie entnehmen können, dass er nur selten allein schlief. Er war ein Mann mit großem erotischem Appetit. Er würde sich nicht zurückziehen. Er brauchte die körperliche Liebe.

Vor einer vertäfelten Eichentür blieb Paine stehen und öffnete sie weit, damit Julia vor ihm eintreten konnte. „Meine Gemächer“, sagte er mit einer Verneigung, aber sie spürte seinen Blick auf sich, als wollte er genau sehen, wie sie wohl reagierte.

Und sie verbarg ihre Reaktion nicht. Tatsächlich wusste sie nicht, wie ihre Miene hätte ausdruckslos bleiben sollen angesichts der verführerischen Opulenz, die sich ihren Blicken darbot. Der Raum wirkte exotisch und vollkommen anders als alles, was sie bisher gesehen hatte – nicht, dass sie gewohnheitsmäßig Schlafgemächer von Männern besuchte. Tatsächlich war es gleichgültig, ob sie einen oder hundert davon gesehen hatte. Instinktiv wusste sie, dass sie so etwas wie dieses in ganz England nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.

Überall standen Leuchter, deren Kerzen den Raum in ein weiches Licht tauchen und Schatten auf die mit goldenem Damast behangenen Wände warfen. Unter den Sohlen ihrer Tanzschuhe spürte Julia den weichen Teppich, dessen dichter Flor in Karmesinrot gefärbt war, mit Goldtönen dazwischen, damit er zu den Wänden passte. Julia bezweifelte, dass sonst noch jemand in England so kühn sein würde, ein Schlafgemach in Rot und Gold einzurichten, aber damit endeten die Besonderheiten noch nicht.

Ihr Blick wurde von den Möbeln angezogen. Ein Kabinettschrank aus Ebenholz stand an der Wand, reich verziert mit Einlegearbeiten aus Gold und Elfenbein, die ein Muster bildeten, ein geheimnisvolles Symbol. Niedrige Stühle mit Kissen standen um einen kleinen Teetisch herum.

Aber was vor allem ihren Blick auf sich lenkte, das war das Bett. Anders als die hohen Betten mit Säulen, die sie kannte, war dieses Bett niedrig und über und über bedeckt mit Kissen und Decken. Sie leuchteten in den verschiedensten Farben: Scharlachrot, Safrangelb, Jadegrün. Julia konnte nicht widerstehen, den Stoff zu berühren. Sie ging zum Bett, ließ die Finger über die Oberfläche einer Decke gleiten und genoss das Gefühl von glatter Seide an ihrer Haut.

Einen Moment lang hatte sie vergessen, wo sie war und warum sie hierhergekommen war. Dann spürte sie seinen glühenden Blick auf ihrem Rücken, der sie daran erinnerte. Sie erstarrte. Verlegen ließ sie die Decke los und richtete sich auf.

„Ein herrliches Bett“, sagte Paine leise. Keine ihrer Bewegungen war ihm entgangen.

„Es ist sehr interessant. So etwas habe ich noch nie gesehen“, erwiderte Julia förmlich und wandte sich von dem Bett ab.

„Sind Sie sicher, dass Sie nicht etwas trinken wollen, ehe wir anfangen?“, bot Paine an und öffnete die Türen des Ebenholzkabinetts, in dem Kristallgläser in verschiedenen Größen standen sowie eine bemerkenswerte Auswahl an Dekantern.

Julia war versucht abzulehnen. Sie trank niemals mehr als gelegentlich ein Glas Champagner. Aber heute Nacht würde die leicht betäubende Wirkung des Alkohols, vor der man sie als Debütantin gewarnt hatte, ihr vielleicht helfen, den Abend zu überstehen. „Ja, Sherry, bitte.“

Ehe sie ihre Entscheidung überdenken konnte, hatte Paine ihr ein Glas in die Hand gedrückt und deutete auf einen der Stühle. „Setzen wir uns hin und reden. Das macht diese Begegnung weniger förmlich.“

Seine kühle Sachlichkeit spricht Bände über seinen Charakter, dachte Julia. Während sie mit ihrer Aufregung kämpfte, wirkte er vollkommen gelassen, als wäre dies etwas, das er regelmäßig tat – was den Gerüchten zufolge auch den Tatsachen entsprach. Lässig saß er auf seinem Stuhl und sah entsetzlich gut und selbstsicher aus. Das einzige Zeichen dafür, dass ihn die Anwesenheit einer Frau in seinen Gemächern irgendwie berührte, war der Glanz, der in seinen Augen lag – sein Blick folgte jeder ihrer Bewegungen, jeder Geste. Nur zu deutlich wurde ihr bewusst, dass sie viel zu viel an den Falten ihres Rockes zupfte, als sie sich setzte.

Julia nippte an ihrem Glas und ließ sich einen Moment Zeit, um die Wärme zu spüren, mit der sich die süße Flüssigkeit in ihrem Bauch ausbreitete. „Sie reisen wohl gern?“ Na bitte. Das war ein unverfängliches Thema.

Paine nickte knapp. „Ich habe einige Orte auf der Welt gefunden, an denen ich mich zu Hause fühle.“

„Stammen diese Möbelstücke aus diesen Orten?“, fragte Julia und blickte zu dem lackierten Kabinett, verzweifelt auf der Suche nach einem neutralen Gesprächsthema. Sie hatte gehofft, er würde mehr von seinen Reisen erzählen, als ihr nur mit einem Satz zu antworten. Doch die Gesprächigkeit, die sie bei ihm anfangs wahrgenommen hatte, schien nun völlig verschwunden zu sein. „Wissen Sie etwas über das Muster auf dem Kabinett? Es scheint ein Zeichen darzustellen. Wissen Sie, was es bedeutet?“

„Ja, das weiß ich.“ Paine folgte ihrem Blick und betrachtete ebenfalls die Einlegearbeiten an der Schranktür. Dabei umspielte ein Lächeln seine sinnlichen Lippen.

Dieser verflixte Mann! Mit seinen sparsamen Antworten war er ein schlechter Gesprächspartner. Julia stellte ihr Glas hin und stand auf. Sie ging zu dem Kabinett und ließ langsam einen Finger über das Muster gleiten. „Mr. Ramsden, mit Ihnen zu plaudern ist buchstäblich unmöglich, da Sie nicht das geringste bisschen an Information preisgeben. Ich fühle mich genötigt, Ihnen zu sagen, dass ein wahrer Gentleman sich über die unterschiedlichsten Themen unterhalten kann.“ Sie warf einen kurzen Blick auf Ramsden, um die Wirkung ihrer Worte zu beobachten.

Sie hatte ins Schwarze getroffen, vielleicht zu genau. Ramsden erhob sich und kam mit der ungebändigten Kraft eines wilden Panthers auf sie zu. Er stellte sich hinter sie, und sie hatte das eindringliche Gefühl, bedroht zu werden. Sie hatte nicht beabsichtigt, ihn so tief zu treffen.

„Miss Prentiss“, begann er mit leiser Stimme. „Ihre Bemerkung stellt für mich eine Falle dar, aus der keine meiner möglichen Antworten mich befreien kann. Mein Dilemma ist folgendes: Würde ich mich wie ein Gentleman verhalten, würde ich damit gleichzeitig beweisen, dass ich dieses Titels nicht würdig bin. Wenn ich bekenne, dass ich kein Gentleman bin, dann erspare ich es mir, Ihnen zu erklären, was dieses Symbol bedeutet. Doch damit verrate ich meine Ehre, die mir weitaus kostbarer ist, als man Sie vermutlich glauben machte. Andererseits, wenn ich erläutere, was dieses Symbol bedeutet, könnte ich damit zwar meine profunden Kenntnisse in der Kunst der Konversation zeigen, erwiese mich aber zur selben Zeit nicht als Gentleman. Denn dieses Symbol mit einem Mädchen aus gutem Hause zu besprechen, das würde kein Gentleman jemals tun. Daher frage ich Sie – möchten Sie tatsächlich wissen, wofür dieses Zeichen steht?“

Julia biss sich auf die Lippen und unterdrückte den Impuls, vor ihm und seiner männlichen Ausstrahlung zurückzuweichen. Er stand nur wenige Zoll von ihr entfernt, die Hände in die Hüften gestemmt, der Blick aus seinen blauen Augen durchdringend und herausfordernd, als er ihr den Fehdehandschuh hinwarf. Sie durchschaute seinen Plan, und das verlieh ihr Mut. Noch immer wollte er ihr Angst einjagen mit seinem Verhalten und mit dem Hinweis darauf, dass das, was sie zu tun beabsichtigte, etwas Sündhaftes war.

Dieser Mann war wirklich anstrengend. Sie sollte diejenige sein, die einen Köder auswarf, und doch hatte er das Gespräch zu seinen Gunsten gewendet. „Also haben Sie sich klugerweise weder für das Eine noch für das Andere entschieden. Stattdessen locken Sie mich mit der Versuchung und meinen, meine Neugier wird Ihnen gestatten, offen zu sprechen, und Sie damit aller höflichen Verpflichtungen als Gentleman bei diesem Thema entheben.“

Touché. Sie haben meinen Plan durchschaut.“ In gespieltem Schmerz presste Ramsden eine Hand aufs Herz.

„Sie können mir ruhig etwas über dieses Symbol erzählen“, meinte Julia. „Schließlich werde ich Ihnen weitaus mehr Freiheiten gewähren als die, offen zu sprechen.“ Weiter würde sie nicht gehen, um zuzugeben, dass ihre Neugier die Oberhand gewonnen hatte. Nachdem er so viele Umstände gemacht hatte, ehe er das Symbol erklärte, wollte sie wissen, was es darstellte.

Ramsden legte seine Hände auf ihre Schultern, und sie spürte seine Berührung durch den dünnen Stoff ihres Tanzkleides. Er drehte sie von sich weg, sodass sie das Kabinett ansehen musste, und leise hörte sie seine Stimme an ihrem Ohr. In diesem Moment waren ihre Sinne ganz von seiner Gegenwart gefangen: Sie roch seinen Duft, spürte seinen warmen Körper an ihrem Rücken, seine Finger auf ihren Schultern. Er stellte den Mittelpunkt ihres Universums dar, der einzige Mensch, den sie sehen, riechen, berühren oder hören konnte. Kaum vermochte Julia sich auf die Geschichte zu konzentrieren, die er vor ihr ausbreitete: in einem Tonfall, der dazu geeignet war, die standhafteste Jungfer zu verführen.

„In der östlichen Welt ist dieses Symbol bekannt als Yin und Yang, zwei gegensätzliche und doch komplementäre Kräfte, die sich in allen Lebensbereichen finden.“ Seine Stimme wurde noch ein wenig leiser. „Yin, der dunkle Teil des Symbols, stellt das Weibliche dar. Es repräsentiert Täler und Flüsse, ist passiv und nimmt in sich auf.“ Bei diesen Worten ließ Ramsden eine Hand über ihren Arm gleiten, umfasste ihre Finger und führte sie über den unteren Teil der Einlegearbeit. Das Ebenholz fühlte sich glatt und kühl unter ihrer Berührung an. Dann führte er sie über den oberen Teil, der aus Elfenbein bestand.

„Dies ist Yang, das männliche Gegenteil, es stellt Licht und Himmel dar. Yang ist eindringlich und aktiv.“ Er presste seine Hüften an ihren Rücken, ließ sie die Möglichkeit des Eindringens zwischen ihren Schenkeln spüren, zwischen ihrer beider Leiber. Bei dieser Anspielung holte Julia tief Luft. Heiser flüsterte er: „Yin und Yang verkörpern die Zusammengehörigkeit von Gegensätzen. Ohne das andere ist keines von beiden vollständig. Spüre das Verlangen, das du in mir weckst, Julia, ein Verlangen, das nur du stillen kannst.“

Julia fühlte sich schwach. Der Himmel mochte ihr beistehen, aber sie fühlte sich wie eine wollüstige Dirne, dass sie so reagierte auf einen Fremden, von dem sie nichts als den Namen kannte. Ihr geschäftliches Angebot verwandelte sich blitzschnell in ein bisher nie gekanntes Vergnügen. Am liebsten hätte sie sich an seine Brust sinken lassen, hätte zugelassen, dass er die Arme um sie legte und sie hoch hob. Sie wollte, dass er das Versprechen erfüllte, das seine Stimme ihr bot. Nie hätte sie vermutet, dass ein einfacher Kabinettschrank solche Sehnsucht wecken könnte.

Mit einer Hand umfasste er ihre Taille, zog sie an seine muskulösen Lenden, während er mit der anderen ihr Haar berührte, die Finger zwischen all die Nadeln und Perlen ihrer eleganten Frisur schob, bis sich die einzelnen Strähnen lösten. Als sie diesmal seine harte Erregung an ihren Schenkeln spürte, konnte sie nicht einmal so tun, als wäre sie schockiert angesichts dieser intimen Geste. Diesmal spürte sie tief in ihrem Innern eine Sehnsucht, die sich nicht länger leugnen ließ.

In seinen Armen drehte sie sich herum, presste ihren Körper gegen den seinen, rieb sich an ihm, während sie versuchte, den Sturm zu beschwichtigen, der sich in ihr zusammenbraute. Dann hob sie den Kopf und sah ihm in die Augen. Seine blauen Augen erinnerten nun nicht mehr an den Himmel an einem schönen Sommertag, sondern waren durch innere Aufruhr dunkel wie die Nacht. Die Vorstellung, dass sie es war, die das bewirkt hatte, erregte sie. Auch ihr eigenes Verlangen wuchs immer mehr, sie glaubte zu ertrinken in bisher nie gekannten Empfindungen, und sie klammerte sich an ihn, um einen Halt zu finden. Eine innere Stimme sagte ihr, dass nur er ein Gegenmittel für das besaß, was wie eine verlockende Droge in ihren Adern wogte.

„Ganz ruhig“, flüsterte Paine ihr zu. Er hatte begonnen, die Knöpfe an ihrem Kleid zu öffnen und befreite sie geschickt von dem Käfig aus Satin. Durch das dünne Leinen ihres Chemisiers betrachtete er im sanften Licht der Kerzen die Umrisse ihres Körpers. Er berührte mit den Daumen eine vom kostbaren Stoff verhüllte Brustspitze, und Julia atmete schneller. Sie streckte die Arme aus, um sich das Chemisier über den Kopf zu ziehen, hatte es plötzlich eilig, ganz nackt zu sein, als würde sie damit die Anspannung abschütteln können, die in ihrem Innern wuchs und nach draußen, befreit sein wollte.

Zu ihrer Enttäuschung schob Paine ihre Hände weg. „Nicht so schnell, nicht so ungeduldig.“ Er bückte sich und hob sie auf die Arme. Bei der unerwarteten Bewegung schrie Julia leise auf, doch sie konnte und wollte nicht protestieren, als er sie auf das niedrige Bett legte, zwischen die seidenen Decken. Sie machte keine Anstalten, sich zu bedecken. Sie konnte nichts anderes tun, als Paines ernsten Blick zu erwidern. Dann streckte sie die Arme aus, um ihn an sich zu ziehen, aber er trat einen Schritt zurück.

„Sieh mich an, Julia.“

Hatte sie denn eine Wahl? Julia brachte nicht die Kraft auf, den Blick abzuwenden. Paine ließ sie nicht aus den Augen, als er sich das Hemd über den Kopf zog und mit nackter Brust vor ihr stand, ein herrlicher Anblick mit der glatten Haut, die gebräunt war von den Jahren unter der Tropensonne, den starken Armen, mit denen er sie so mühelos hochgehoben hatte. Julia suchte nach einem Wort, das ihn beschrieb. Schön – das kam ihr in den Sinn, elegante männliche Schönheit, die Art von Schönheit, die Bildhauer in Stein meißelten, und in dieser Nacht gehörte sie ihr, ihr allein.

Er griff nach dem Bund seiner Hose, und Julia erinnerte sich daran, dass er noch nicht fertig war. Er trug keine Unterkleidung, und so dauerte es nicht lange, bis sie seine Männlichkeit vom Stoff der Hose befreit sah, aufgerichtet und prachtvoll, ein beeindruckender Anblick. Geschickt beugte er sich vor, um danach die Hose auch von seinen Beinen zu streifen, und Julia erhaschte einen Blick auf seine ansehnliche Rückseite.

Er muss ein hervorragender Reiter sein, dachte Julia beim Anblick seiner langen, kräftigen Beine und der muskulösen Schenkel. Dieser Gedanke kam ihr so unverhofft und schien so fehl am Platze zu sein, dass sie ein Lachen unterdrücken musste.

„Was gibt es?“, wollte er wissen.

„Ich dachte gerade, dass Sie ein großartiger Reiter sein müssen“, bekannte sie.

Er lächelte sündhaft. „Ja, ich weiß, wie man reitet.“

Diese rätselhafte Bemerkung verwirrte sie. Sie ahnte, dass es dabei eine verborgene Bedeutung gab, aber sie kam nicht dahinter, worin diese lag, und sie war zu sehr fasziniert von dem Anblick, der sich ihr bot, um sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren.

Er bemerkte ihre Verwirrung und Unsicherheit, und sein Lächeln wurde milder. Dann kniete er sich neben ihr auf den Boden und strich liebevoll mit den Fingerknöcheln über ihre Wange. „Ach, Julia, meine kleine Unschuld.“ Er nahm eine Schachtel von einem niedrigen Tisch und zog etwas heraus, das sie noch nie gesehen hatte. Erstaunt sah Julia, wie er es über sein Geschlecht streifte.

„Das ist eine Hülle, die uns davor schützt, ein Kind zu zeugen“, erklärte ihr Paine leise. „Jetzt sind wir bereit für das eigentliche Vergnügen.“

Julia konnte sich nicht vorstellen, dass es noch mehr gab als das, was sie ohnehin schon fühlte, doch Paine kniete neben ihren bestrumpften Beinen und lehrte sie, dass das nicht stimmte. Mit geschickten Händen rollte er ihr die Strümpfe von den Beinen und warf sie zur Seite. Im nächsten Moment spürte sie seine Lippen an ihren empfindlichen Kniekehlen, und er küsste sie, bis sie glaubte, schreien zu müssen vor Lust. Und endlich wurde ihr heiß, eine Hitze, die sich feucht anfühlte und glühend zugleich, während er seine Hände an ihren Schenkeln höhergleiten ließ und mit den Lippen ihre zarte Haut berührte, sodass sie seinen Atem warm an ihren feuchten Locken fühlte.

Dann beugte er sich über sie, bedeckte sie mit seinem großen Körper, und sie spürte ihn hart an ihrem Bein. Ohne sie loszulassen, griff er wieder zu der Schachtel und zog eine kleine Flasche mit Öl heraus, das nach Lavendel duftete, als er den Stöpsel davon entfernte und sich etwas in die Hand goss. Fasziniert und vor Leidenschaft brennend spürte Julia, wie er seine Hand zwischen ihre Schenkel legte und einen mit Öl benetzten Finger in sie hineinschob.

„Du bist jetzt bereit für mich“, flüsterte Paine, beugte sich tiefer, und diesmal fühlte sie ihn genau zwischen ihren Beinen. Sie fühlte, wie er in sie hineinglitt, nur ein wenig, und dann zog er sich zu ihrer Enttäuschung wieder zurück. Sie stieß einen leisen, aber missbilligenden Schrei aus. Paine erstickte den Schrei mit einem Kuss, schob sich wieder leicht an sie heran, etwas weiter diesmal, wich wieder zurück, bis Julia seine Absicht verstand und einen Rhythmus erkannte.

Jetzt hatte sie begriffen und war überzeugt, dass er sie nicht nur necken und verspotten wollte, daher hob sie die Hüften und passte sich seinem Rhythmus an. Sie fühlte, wie er tiefer in sie eindrang, und dann durchflutete sie ein kurzer, heftiger Schmerz. In diesem Moment hielt er inne, weil sie leise aufschrie, und wartete ab, bis sie ihn dazu drängte weiterzumachen.

Jetzt war er ganz tief in ihr, der Rhythmus wurde schneller, der Druck, das Verlangen größer, erreichte bisher unerkannte Höhen. Nicht einmal mit seinen Küssen gelang es ihm, ihre lustvollen Seufzer zu ersticken. In diesem neuen, köstlichen Vergnügen war sie frei. Sie war nicht an die Erde gebunden, an nichts, das sich darauf befand, unter Paine Ramsdens Führung lernte sie zu fliegen. Irgendwann ging es nicht mehr weiter nach oben, und sie fühlte, wie ihr Inneres in tausend Stücke zersprang, und die Spannung, die er schon mit seiner ersten Berührung in ihr aufgebaut hatte, ließ endlich nach. Sie fühlte sich schwerelos, trieb dahin in einer anderen, zufriedenen Welt, und nahm nichts mehr wahr, als dass auch Paine mit einem Aufschrei Erfüllung fand. Dann ruhte er auf ihr. Sein Gewicht erinnerte sie warm an die so innige Nähe, die sie miteinander geteilt hatten, und mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein.

4. KAPITEL

Paine erwachte von dem Geruch nach Limonen und von der Wärme eines Körpers, der an ihn geschmiegt war. Seine Hand lag auf einer üppigen Brust. Es war ein berauschendes Erwachen.

Überdeutlich kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück: Julia Prentiss in ihrem entzückenden aquamarinfarbenen Kleid, wie sie ihn bat, sie zu entjungfern, während sie ihn mit dem Blick ihrer grünen Augen prüfend musterte; Julia nackt auf seinem Bett, wie sie nach seiner Zärtlichkeit verlangte, als er sie in die Kunst der Liebe einführte; Julia, wie sie aufschrie, als er sie zu ungeahnten Höhen führte, ihm die Hüften entgegenhob, den Kopf in die Kissen presste, als sie sich der Ekstase hingab.

In jenem Moment war jeder Versuch, so zu tun, als handelte es sich nur um eine Pflicht, als wollte sie mit diesem verrückten Plan nur ihr Schicksal verändern, aus ihren Gedanken verschwunden. Er hatte gesehen, wie ihr Blick sich verdunkelte, während sie sich ganz und gar im Vergnügen verlor, als alles Geschäftsmäßige zwischen ihnen nebensächlich geworden war. Sie war sein gewesen, ganz und gar.

In jenem Moment war alles die reine Wahrheit gewesen. Nicht nur für sie, auch für ihn. Auch er hatte aufgeschrien, hatte seinen Höhepunkt gefühlt, ohne die Zurückhaltung, die er gewöhnlich übte.

Es war seine Gewohnheit, Lust zu geben, aber nichts zu geben, das über den körperlichen Akt hinausging.

In der vergangenen Nacht war es beunruhigend anders gewesen. Er hatte die Gefühle, die ihn bei Julias Seufzern unter ihm überkamen, unmöglich beherrschen können – eine Versuchung, die er selten fühlte, falls überhaupt jemals – und hatte mit ihr zusammen den Höhepunkt erlebt.

Das war alarmierend, vielleicht ein Zeichen für eine Verletzlichkeit tief in ihm, die er lange schon unterdrückt glaubte. Vielleicht hatten ihn die Jahre im Ausland, die Studien des menschlichen Wesens, seine Abenteuer in fernen Ländern doch nicht so sehr verändert, wie er es geglaubt hatte. Darin lag eine Gefahr. Schon einmal hatte er ins Exil gehen müssen, weil er einer Frau wegen unüberlegt gehandelt hatte. Er hatte sich fest vorgenommen, solche Dummheiten nicht wieder zu tun.

Neben ihm bewegte sich Julia und schmiegte im Schlaf herausfordernd ihre Schenkel an seine Lenden. Sofort reagierte sein Körper auf diese unbewusste Einladung. Er unterdrückte die Erregung. Nach dem ersten Mal hatte er sie noch zweimal genommen. Jetzt am Morgen musste sie Schmerzen haben. Er sollte sich zurückhalten, bis sie gebadet und ihre wunde Haut gewaschen hatte. Doch ebenso wenig konnte er neben ihr liegen und den Eunuchen spielen. Wenn er ihr etwas Schonung gewähren wollte, dann musste er sich mit anderen Dingen beschäftigen.

Mit einer einzigen Bewegung drehte Paine sich herum und stieg aus dem Bett, ehe sein Körper die Gelegenheit bekam, sein Gewissen zu besiegen. Er würde sich um das Frühstück kümmern. Sein neuer Besitz mochte ideal dafür sein, sich ruhig zurückzuziehen, aber es gab weder Personal noch Lebensmittel hier. Paine zog Hemd und Hose an. Dann warf er einen letzten Blick auf Julia, die friedlich schlief und nichts ahnte von der Erregung, die sie in ihm weckte. Er würde sich beeilen, sodass sie nicht allein aufwachen musste.

Draußen schien die Sonne, und Paine fiel auf, dass er ihr Licht lange nicht gesehen hatte. Im Gegensatz zum geschäftigen Treiben, das Paine gewohnt war, waren die Straßen heute Morgen sehr ruhig. Aber in einer Stadt wie London waren die Straßen nie ganz verlassen. Selbst jetzt waren Händler und Arbeiter auf dem Weg, ihr Tagewerk zu beginnen.

An der Ecke erspähte Paine eine Milchmagd, die zielstrebig auf einen Durchgang zueilte. Paine folgte ihr. Milch wäre ein guter Anfang für ein Frühstück. Wenn die Milchmägde jetzt unterwegs waren, dann musste es kurz nach sechs sein. Sechs Uhr! Verdammt früh. Diese Erkenntnis erschien ihm beinahe unglaublich. Es war Ewigkeiten her, seit er die Stadt das letzte Mal um diese frühe Stunde gesehen hatte. Aber obwohl es früh war, fühlte er sich erfrischt und bereit, den Tag zu beginnen.

Eine Dreiviertelstunde später stand Paine lächelnd an der Tür zu seinem Schlafgemach, auf den Armen ein Tablett mit den Schätzen, die er den Händlern abgekauft hatte. Er genoss den Anblick der schlaftrunkenen Julia, die sich grade umdrehte und langsam aufwachte. Paine stellte das Tablett auf den niedrigen Tisch neben dem Bett und setzte sich auf die Bettkante. Langsam bewegte er unter ihrer Nase eine Orange hin und her.

„Hmm.“ Julia seufzte tief und öffnete die Augen, als sie den Duft der Zitrusfrucht roch.

„Guten Morgen, Liebste.“ Paine strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Julia streckte sich, und dabei verrutschte das Laken, sodass er einen Blick auf ihre Brust erhaschte. Er musste daran denken, dass noch vor einer Stunde seine Hand auf ihrer zarten Haut gelegen hatte. Die Erregung, die er durch die Beschäftigung mit dem Frühstück unterdrückt hatte, kehrte mächtig zurück. Julia richtete den Blick auf ihn und wirkte keinesfalls verschlafen, als sie ihn fixierte. „Wie spät ist es?“

„Kurz vor sieben“, sagte Paine verwundert. Diese Frage hatte er nicht erwartet. Die wenigsten Frauen fragten ihn nach der Uhrzeit, wenn sie erwachten, und sahen, dass er neben ihnen auf der Bettkante saß.

Aber in der vergangenen Nacht hatte Julia bewiesen, dass sie nicht so war wie die meisten Frauen, und er tat gut daran, das nicht zu vergessen. Die meisten Frauen weckten nicht die Gefühle, die seinen Höhepunkt begleitet hatten. Er war von Indiens exotischsten Konkubinen in der Kunst der Sutras unterrichtet worden und hatte gelernt, wie Yin über Yang herrschen konnte. Dennoch konnte keine Frau ihm bisher so die Kontrolle rauben, wie Julia es geschafft hatte.

„Sieben Uhr!“ Julia setzte sich kerzengerade auf, und dabei rutschte ihr das Laken bis über die Hüften hinunter.

Paine war stark versucht, die Arme nach ihr auszustrecken und das Frühstück auf später zu verschieben. „Ich weiß, es ist früh, aber …“

Sie ließ ihn nicht ausreden. „Früh? Wie kannst du das sagen? Es ist spät! Ich hatte nie vor, so lange zu bleiben! Wie konntest du zulassen, dass ich die ganze Nacht hier schlafe? Ich dachte, du würdest mich verstehen!“

Sie schimpfte mit ihm? Sie hatte nie vorgehabt, so lange zu bleiben? Sie wollte nach dem Akt davonschleichen? War das nicht seine Rolle? Hier war alles verkehrt. Er sollte derjenige sein, der im Dunkel der Nacht davonschlich. Er schlief niemals ein, wenn er das Bett mit einer Frau teilte. Er ging davon, so schnell es nur möglich war. Verwirrt sah Paine sie an.

„Julia, wovon redest du?“

„Ich muss gehen. Ich muss zurück zu meinem Onkel und meiner Tante. Mit etwas Glück waren sie noch nicht in meinem Zimmer.“ Sie warf ihm vorwurfsvolle Blicke zu, als wäre das alles seine Schuld. „Ich wollte um zwei Uhr zu Hause sein, lange bevor sie zurückkommen.“ Sie hatte sogar gehofft, mit etwas Glück auf den Ball zurückkehren zu können, ehe er vorüber war. Die Gesellschaften bei den Moffats standen in dem Ruf, nicht vor dem Morgengrauen zu Ende zu gehen.

Ihr Tonfall erregte Paines Unmut. Er stand auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Tanzen, entjungfern und bis zwei zurück sein. Das war ein ehrgeiziger Plan, Julia“, meinte er verstimmt.

„Es musste getan werden, und nun, da es vorbei ist, muss ich gehen und zu Ende bringen, was ich angefangen habe. Sich ruinieren zu lassen hat keinen Sinn, solange ich nicht zurückgehe und es beweise.“ Julia griff errötend nach dem Laken und versuchte, sich mit Anstand aus dem Bett zu erheben, indem sie sich das Tuch um den Körper schlang. „Ich werde mich anziehen und gehen, wenn es dir nichts ausmacht.“

Ihr hochmütiger Tonfall gefiel Paine nicht. Er trat auf sie zu. „Ich stelle fest, dass es mir etwas ausmacht, Julia, sehr viel sogar. Dies ist mein Haus, und es ist mein Schlafgemach. Ich werde mich nicht hinausschicken lassen wie ein gewöhnlicher Dienstbote.“ Mit etwas Glück würde sie zurückweichen und ins Bett sinken. Dann hätte er sie genau dort, wohin er sie haben wollte.

Doch so viel Glück hatte er nicht. Julia blieb stehen, obwohl sie nur noch wenige Zoll voneinander entfernt waren. „Du kannst mich nicht aufhalten.“ Sie sah ihm in die Augen und gab keine Handbreit Boden preis.

Aus den Augenwinkeln nahm Paine den glänzenden Seidenstoff ihres Kleides in einer Ecke wahr. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er ließ den Blick lange genug auf dem Stoff ruhen, um Julias Aufmerksamkeit zu erregen.

Sofort durchschaute sie den Plan, der ihm das Lächeln entlockt hatte. „Nein, das wagst du nicht.“ Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da setzte das Rennen um das Kleid bereits ein.

Es war kein leichtes Rennen, und Julia kämpfte mit allen Mitteln.

Sie schrie auf und schob ihm einen Stuhl in den Weg, um ihn aufzuhalten. Paine stieß den Stuhl beiseite und lachte über ihre Gewitztheit. „Biest!“

Er griff nach ihr, erwischte jedoch nur ein Stück Laken. Sie wand sich aus dem Stoff und schob einen Tisch zwischen sie.

Sie war jetzt ganz nackt, atmete schwer, und ihre kastanienbraunen Locken fielen über ihre vollen Brüste, als sie ihn über den Tisch hinweg ansah. Paine war erregt. „Verführerin! Meine Lady Godiva!“

„Du kannst mich nennen, wie du willst, aber jetzt habe ich dich!“, rief sie, und ihr Zorn war vergessen über dem Reiz dieses Wettstreits. Sie lachte triumphierend, als sie sich der Freude über den Sieg hingab. Das Kleid befand sich auf ihrer Seite des Tisches, sie musste nur danach greifen.

Paine täuschte einen Schritt nach links an, dann nach rechts, hielt ihre Aufmerksamkeit wach, während er eine Entscheidung traf. Wenn er eine kostbare Sekunde vergeudete, indem er um den Tisch herumlief, würde er keine Chance mehr haben. Also sprang Paine über den Tisch hinweg und riss Julia mit sich zu Boden. Sie wehrte sich gegen ihn, lockte ihn aber nur mehr mit jeder ihrer Bewegungen.

„Das ist nicht gerecht!“, protestierte sie und wollte sich offensichtlich ärgern angesichts seiner Kühnheit. Und doch konnte sie das Lachen nicht ganz aus ihrer Stimme vertreiben.

„Zu früh gefreut“, neckte Paine sie und genoss ihre unschuldigen Bewegungen an dem Stoff seiner Hose, dort, wo sie unter ihm lag. Er streckte sich und erwischte den Saum ihres Kleides. „Ich habe gewonnen. Ich habe das Kleid und dich genau dort, wo ich dich haben will, genau da, wo du hingehörst.“ Er presste seine Hüften vielsagend gegen ihren Schoß, und sie konnte seine Erregung unmöglich verkennen.

Julia drehte den Kopf, um ihr Kleid in seiner Hand anzusehen. Sie streckte den Arm aus, um es ihm wegzunehmen, doch Paine hielt sie mit seinem Körper sanft fest. „Glaubst du, nachdem ich es gewonnen habe, würde ich dein Kleid so schnell aufgeben?“ Nachsichtig schüttelte er den Kopf.

„Bitte, gib es mir zurück.“ Ihre Verspieltheit von vorhin war jetzt einem Flehen gewichen. Paine reagierte sofort darauf.

„Na schön.“ Er setzte sich auf und zog sie zwischen seine Schenkel. Er musste vorsichtig sein, durfte sie nicht zu sehr bedrängen. Solche Spiele konnten leicht missdeutet werden. Auf gar keinen Fall wollte er sie erschrecken. Das war nie seine Absicht gewesen.

„Du könntest ein Pfand bezahlen.“ Er sagte das leichthin, wie im Spiel, um zu zeigen, dass er keine bösen Absichten verfolgte.

„Was?“ Jetzt war sie sehr wachsam. Sie wollte gern mitspielen, wollte ihm vertrauen und wusste doch, dass das keine gute Idee sein würde. Paine wurde übel bei der Vorstellung, was ein Monat als Oswalts Ehefrau, ganz zu schweigen von einem ganzen Leben in einer Ehe mit ihm, aus dieser unschuldigen Schönheit machen könnte.

Paine streckte eine Hand aus und streichelte ihr die Wange. „Ganz einfach. Frühstücke mit mir.“ Er deutete auf das Tablett, das neben dem Bett stand. „Ich habe einige Mühen auf mich genommen, um es zusammenzustellen. Ich musste dazu sogar aus dem Haus gehen.“

„Nur frühstücken?“, fragte Julia.

„Nur frühstücken.“

„Nach dem Frühstück kann ich gehen?“

„Wenn du das wünschst“, erwiderte Paine. Es war ihm ernst damit. Er würde sein Wort halten, auch wenn er hoffte, dass das nicht nötig sein würde. Dies würde ein Frühstück werden, das Julia Prentiss nicht so bald vergessen würde.

Julia saß mit gekreuzten Beinen auf einem Stapel bunter Kissen auf dem Boden, eingehüllt in einen Hausmantel aus Satin, den Paine ihr aus seiner Garderobe geliehen hatte. Paine lag neben ihr, auf einen Ellenbogen gestützt, und trug nur ein paar dünne seidene Hosen in indischem Stil, die Stoffhose, die er auf seiner Suche nach einem Frühstück getragen hatte, hatte er abgelegt. Er schälte eine Orange und bot ihr ein Stück davon an, als wäre er ein Diener und sie seine Königin. Dass ein so gut aussehender Mann sie so bewundernd ansah und ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, betörte sie.

Und es war außerdem gefährlich. Beinahe glaubte sie, sie wäre wirklich eine Königin. Beinahe glaubte sie noch viel mehr: Dass die letzte Nacht mehr gewesen war als nur die Erfüllung einer Pflicht, das Einhalten einer Abmachung zwischen ihnen beiden. Dass er am Ende dasselbe empfunden hatte wie sie, dass er ihr das Kleid weggenommen und ein Pfand verlangt hatte, weil er nicht wollte, dass sie fortging. Aber diese Gedanken durfte sie nicht zulassen, das wäre gefährlich und dumm.

„Ich liebe Orangen. Wir haben sie auf dem Land nur ganz selten, außer an Weihnachten“, bekannte Julia und wischte sich mit dem Finger einen Tropfen Saft vom Kinn.

Paine setzte sich auf und bettete Julias Kopf in seinen Schoß.

„Sie schmecken noch besser, wenn jemand anders dich damit füttert.“ Der sanfte, intensive Blick aus Paines blauen Augen löste ein seltsames Gefühl in ihr aus. Wenn er sie so ansah, hätte er sie sogar mit Würmern füttern können, es wäre ihr gleichgültig gewesen – als wäre sie eine Göttin und er würde sie anbeten. Dieser Mann war ein viel größerer Verführer, als die Gerüchte es behauptet hatten. Er war ein Meister in dieser Kunst.

„Ist es immer so?“ Sie betrachtete versunken sein schönes Gesicht.

„Kaum.“ Er hielt ein Orangenstück über ihren Mund, drückte es behutsam zusammen und ließ ein paar Tropfen Saft auf ihre Lippen träufeln. Julia fühlte sich daran erinnert, wie er ihre Brustspitzen ebenso sanft gepresst hatte, und schon richteten sie sich wieder auf.

„Das ist auch gut so“, sagte sie leise. „Denn wenn solches Vergnügen sich leicht finden ließe, dann würde niemand mehr seiner Arbeit nachgehen.“ Sie errötete über ihre eigene Freimütigkeit, und Paine lachte wieder, während er ihr noch ein Stück Orange in den Mund schob.

„Wie kommt es, dass du bei den fleischlichen Lüsten so bewandert bist?“, fragte sie zwischen zwei Bissen.

„Das sollte ich dir nicht verraten. Ein Meister verrät niemals seine Geheimnisse“, neckte Paine sie. „Aber ich kann auch nicht zulassen, dass du in ganz London umherläufst und glaubst, jeder könnte das.“ Wieder träufelte er Saft auf ihre Lippen, und sie schob die Zunge heraus, um die Tropfen abzulecken. Sie hörte, wie er dabei aufstöhnte, ein heiserer Laut, der nichts mit Schmerz zu tun hatte, sondern sehr viel mit Lust. Es gab ihr ein Gefühl von Macht zu wissen, dass schon diese kleine Bewegung eine solche Wirkung auf ihn hatte.

Er bot ihr noch ein Stück Orange an, das er in Zucker getaucht hatte, schob es in ihren geöffneten Mund und ließ sie den Saft heraussaugen. Sie schloss die Augen, sog kräftig daran, nicht ahnend, dass ihre konzentrierte Hingabe an diese Tätigkeit Paine die Fassung raubte. Er grub seine Hand in ihr Haar.

Als sie die Augen wieder öffnete und ihn ansah, erkannte sie das Verlangen in seinem Blick. Er begehrte sie. Seine Augen verrieten es. Sein Körper verriet es. Ganz plötzlich wurde ihr bewusst, wie intim ihre Stellung war: Ihr Kopf auf seinem Schoß, mit nichts als der dünnen Seide zwischen ihnen. Sie musste nur ein wenig den Kopf drehen, um seine Erregung deutlich vor sich zu sehen. Julia dachte an die Orange, an deren leicht phallusartige Form, daran, wie sie den Saft herausgesogen hatte. Würde das Paine gefallen? Sein Blick schien das anzudeuten. Zögernd wandte Julia den Kopf. Sie öffnete den Mund und umfasste ihn durch die Hose hindurch mit ihren Lippen.

Als sie ihn berührte, stöhnte Paine auf. Sie wich zurück, fürchtete, dass das doch keine so gute Idee gewesen war. „Hör nicht auf, Julia, hör nicht auf“, flehte er und schob sanft ihren Kopf zurück zu seinen Lenden.

Ihre Macht verursachte Julia ein Gefühl des Schwindels. Sie sog an ihm, bis er seine Lust nicht mehr zu unterdrücken vermochte und nicht mehr nur leise stöhnte, sondern laute Schreie ausstieß, um seinem Vergnügen Ausdruck zu verleihen.

„Julia, hör auf, lass mich in dir sein.“ Er atmete schwer und war kurz davor, die Fassung zu verlieren.

Julia fand den verborgenen Schlitz in seiner Hose und öffnete ihn. Sie umfasste die feuchte, harte Spitze und freute sich an dem, was sie da erschaffen hatte. Sie griff über seinen Kopf hinweg nach der Schachtel, die er in der vergangenen Nacht benutzt hatte, und griff nach einer Hülle.

Paine half ihr, sie überzustreifen und wies sie an: „Jetzt setz dich auf mich, Julia. Nimm mich in dir auf und reite mich.“

Julia beugte sich über ihn und hielt vor Spannung den Atem an, als sie ihn in sich hineingleiten ließ. Er war so groß, so viel größer, als sie es aus der letzten Nacht in Erinnerung hatte. Und doch passte er perfekt zu ihr, füllte sie ganz und gar aus. Sie begann, sich zu bewegen, und er passte sich ihr an, fügte sich in denselben Rhythmus, mit dem er sie weiter und weiter erregte, bis er sie ganz nach oben trieb, dorthin, wo sie schon am vergangenen Abend mit ihm zusammen gewesen war. Er zog sie in seine Arme, als er selbst den Höhepunkt erlebte und erschauerte, seine Schreie an ihrer Schulter erstickte.

Dann lagen sie zusammen da, bis ihr Atem langsamer ging und die Gewalt des Höhepunkts allmählich verebbte. Am liebsten wäre Julia für immer so liegen geblieben, an ihn geschmiegt, warm und zufrieden. Ihr war klar: Wenn sie sich bewegte, war das Frühstück vorüber. Sie würde gehen müssen. Doch das wollte sie nicht mehr.

Sie wollte bleiben. Sie wollte die Lust, die er in ihr geweckt hatte, wieder und wieder spüren. Sie konnte sich nicht vorstellen, bei Oswalt etwas Ähnliches zu finden, und sie unterdrückte ein Schaudern. Die Vorstellung, so intime Dinge mit Mortimer Oswalt zu tun, entsetzte sie.

„Ist dir kalt?“ Paine tastete nach einer Decke, die er über sie beide breiten konnte, missdeutete ihr Schaudern.

Julia suchte nach einer Möglichkeit, diesen Augenblick zu verlängern und ihre gemeinsame Zeit weiter auszukosten. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Mmm.“ Sie spürte seinen Atem an ihrem Haar, und er klang sehr befriedigt. „In Indien gibt es Studien, sogenannte Sutras, die Männer und Frauen den Umgang miteinander lehren. In China gibt es so etwas auch. Erinnerst du dich an mein Kabinett mit dem Yin-Yang-Zeichen?“ Er drehte Julia auf die Seite und legte einen Arm um sie. Sie wartete darauf, dass er fortfuhr, neugierig mehr zu erfahren über solche Studien.

„In China ist die Frau das Yin und der Mann das Yang. Während des Liebesaktes ist es die Aufgabe des Mannes, die Frau dazu zu bringen, ihre Essenz zu verlieren, ohne dass er seine eigene einbringt. Wenn nur die Frau den Höhepunkt erlebt, ist das der Fall.“

Julia stieß gegen seine Schulter. „Das klingt absolut überheblich und nicht sehr angenehm für den Mann, wenn er – wie hast du das genannt? – den Höhepunkt nicht erleben darf.“ Sie probierte das neue Wort aus.

„Das ist der Punkt“, erklärte Paine. „Das Yin einer Frau zu erreichen, ohne selbst den Höhepunkt zu erleben, macht einen Mann stark und verlängert das Leben. Es kennzeichnet einen geschickten Mann, wenn ihm so etwas gelingt. Es wird berichtet über Männer, die den Akt mit bis zu vierzehn Frauen vollzogen haben, ehe sie ihr Yang vergossen.“

Julia stützte sich auf einen Arm und sah ihn fragend an. „Also hast du letzte Nacht und gerade eben mein – äh – Yin gestohlen?“ Sie hatte gespürt, dass er ebenso wie sie nichts zurückgehalten hatte, und es wäre für sie eine persönliche Enttäuschung gewesen zu erfahren, dass sie in gewisser Weise betrogen worden wäre.

Paine lächelte. „Nein, meine Zauberin, ich habe ebenso viel gegeben, wie ich genommen habe.“ Paine verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Dann hast du mir die Jungfräulichkeit genommen und ich dir die Unsterblichkeit“, erklärte sie sachlich.

Paine lachte leise. „Ich vermute es, aber ich nehme auch an, dass ich bereits sterblich war. Dies sind sehr alte Lehren. Manche sagen, sie gehen zurück bis ins dritte Jahrhundert vor Christus. Seitdem haben die Chinesen ihre Meinung geändert. Sie haben entdeckt, dass es den Männern keine Erben beschert, wenn sie den Frauen das Yang verweigern. Jetzt haben sie sich mit ihren Lehren mehr denen aus Indien angenähert.“

„Es werden also keine Essenzen mehr gestohlen?“, fragte Julia, die sich für dieses Gespräch zusehends erwärmte.

„Kein Stehlen mehr, nur noch Geben. Im Hinduismus – das ist die Hauptreligion in Indien – wird der Liebesakt als eine Metapher für die Beziehung zu Gott angesehen. Er ist spirituell und heilig.“

„Ich glaube, ich bevorzuge den indischen Weg.“ Sie hatte die Worte ausgesprochen, ehe sie über ihren Sinn nachdenken konnte. Sofort bedauerte sie das.

Paine würde glauben, sie hätte damit etwas Besonderes gemeint, etwas wesentlich Persönlicheres, als sie es bei ihrem Tun beabsichtigt hatte. Um von ihrem Fehler abzulenken, setzte sie sich auf und ließ ihr Haar nach vorn fallen. Sie machte keine Anstalten, es aus dem Gesicht zu streichen. Der Vorhang verbarg ihr Gesicht, was ihr gerade recht war. Sie hatte bekommen, weswegen sie hierhergekommen war – sie war entehrt, hatte aber außerdem mehr gelernt, als erwartet. Ihr war klar, dass sie für ihr neu erworbenes Wissen in der englischen Welt keine Anwendung finden würde.

Es war längst Zeit zu gehen, und Paine Ramsden erschien ihr nicht als jemand, der auf weibliches Jammern wohlwollend reagierte. Sie wusste, er gehörte zu jenen Männern, die schwer zu halten waren. Er tat niemals etwas um der Tradition oder des Protokolls willen. Er arbeitete nach einem ganz anderen Standard. In dieser Beziehung waren die Gerüchte über ihn richtig, obwohl vieles von dem, was sie gehört hatte, nicht dem entsprach, was sie erlebt hatte. Sie sollte einfach ihr Kleid anziehen und dann fortgehen, mit so viel Würde, wie sie aufzubringen vermochte.

5. KAPITEL

Julia ging quer durch den Raum zu ihrem Kleid, um das sie früher am Morgen gerangelt hatten. Während sie ihre Unterkleidung anlegte, warf sie verstohlen einen Blick zu Paine hinüber. Er hatte sich auf einen Arm gestützt, sein Hemd stand offen, sein Haar war zerzaust. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen, und der Anblick von so viel unverhüllter, befriedigter Männlichkeit war erregend. Julia fühlte, wie ihr heiß wurde.

„Was machst du da, Julia?“, fragte er leise.

„Ich ziehe mich an.“

„Das sehe ich. Aber warum tust du das? Ich werde dich nur wieder ausziehen.“

„Paine, ich gehe jetzt.“ Angst stieg in ihr auf. Würde er sie gehen lassen? Würde er ihre Vereinbarung nicht einhalten? „Du hast mir versprochen, dass ich gehen darf.“

„Ich habe versprochen, dass du gehen darfst, wenn du das willst. Willst du es denn?“, erwiderte Paine scheinbar gleichmütig.

„Die Welt verlangt oft, dass wir gegen unsere selbstsüchtigen Wünsche handeln“, gab Julia zurück und zog sich die Strümpfe an, wobei sie sich nur zu deutlich daran erinnerte, wie er sie ihr ausgezogen hatte. Würde ihr das für den Rest ihres Lebens jedes Mal einfallen, wenn sie sich Strümpfe anzog?

„Ist das so, Julia? Was hoffst du dadurch zu gewinnen, was du nicht schon gewonnen hast?“ Paine erhob sich und schlenderte zu ihr hinüber, wo er wie selbstverständlich begann, geschickt die Knöpfe des Kleides an ihrem Rücken zu schließen.

„Ich muss zurückgehen und ihnen sagen, dass die Verlobung gelöst ist“, stammelte Julia. Seine warmen Hände an ihrem Rücken lenkten sie ab.

Autor

Michelle Willingham

Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde.
Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...

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Bronwyn Scott
Bronwyn Scott ist der Künstlername von Nikki Poppen. Sie lebt an der Pazifikküste im Nordwesten der USA, wo sie Kommunikationstrainerin an einem kleinen College ist. Sie spielt gern Klavier und verbringt viel Zeit mit ihren drei Kindern. Kochen und waschen gehören absolut nicht zu ihren Leidenschaften, darum überlässt sie den...
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