Berühr mich, wilder Highlander!

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

England, 1503. Mit diesem ungezähmten Highlander an der Seite soll sie nach Schottland reisen? Die schöne Lady Francine ist entsetzt! Um ihre Pflicht als Hofdame zu erfüllen, muss sie nach Edinburgh - und auf Befehl des Königs soll der breitschultrige Clanchef Lachlan MacRath sie begleiten. Unheimliche Gerüchte kursieren über den wild-attraktiven Laird: Es heißt sogar, er habe geheime Zauberkräfte. Bald ist Francine überzeugt: Es stimmt! Denn es muss ein sinnlicher Bann sein, der Francine unaufhaltsam in seine starken Arme treibt. Sie versucht ihm zu widerstehen - bis sie entsetzt erkennt, dass sich eine ganz andere Gefahr nähert …


  • Erscheinungstag 11.03.2016
  • Bandnummer 84
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765286
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mai 1496
The Cheviot Hills
Grenze zwischen England und Schottland

Ausgestreckt auf dem blutgetränkten Boden, das erschöpfte Stöhnen der Verwundeten im Ohr, blickte Lachlan MacRath auf zum wolkenlosen Morgenhimmel.

Die Toten und die Sterbenden lagen verstreut im üppigen Frühlingsgras. Am Himmel über den Hügelkuppen brachen sich die schwachen Strahlen der Morgendämmerung Bahn, und Hahnenfuß und Glockenblumen schaukelten in der sanften Brise. Die grausigen Leichen lagen inmitten der Wildblumen, die Augen blicklos gen Himmel gerichtet, während aus den Stümpfen abgetrennter Arme und Beine immer noch geronnenes Blut sickerte. Zerbeulte Helme, zerbrochene Schwerter, Äxte und Spieße legten stummes Zeugnis ab von der Grausamkeit der Kämpfer. Hier und da graste ein treues, kriegserprobtes Schlachtross in aller Ruhe neben seinem gefallenen Herrn.

Kurz nach Tagesanbruch würden sich die Plünderer anschleichen, bereit, die Leichen um alles zu berauben, was auch nur einen Shilling wert war: Rüstung, Dolche, Stiefel, Gürtel. Handelte es sich um Schotten, hätte Lachlan Glück. Wenn nicht, wäre er bald ein toter Mann. Halb unter seinem toten Pferd begraben, konnte er nichts anderes tun als warten. Jeglicher Versuch, sich im Lauf der Nacht zu befreien, hatte sich als vergeblich erwiesen.

In dem grausamen Gefecht des Vorabends hatten die berittenen Krieger alle Gefallenen an Ort und Stelle des furchtbaren Geschehens gelassen. Schotten und Engländer hatte sich in der offenen Hügellandschaft eine wilde Schlacht geliefert, bis es zu dunkel gewesen war, um Freund und Feind unterscheiden zu können. Wie die Schlacht ausgegangen war, wusste Lachlan nicht, denn die Entscheidung über Sieg und Niederlage war weit entfernt getroffen worden.

Zum Teufel, Lachlan war selbst schuld. Nur zum Spaß hatte er König James auf einem Vorstoß nach England begleitet. Nachdem er vier neue Kanonen samt den flämischen Büchsenmeistern, die sie bedienen sollten, im Schloss bei Roxburgh abgeliefert hatte, beschloss er, nicht wie geplant gleich auf sein Schiff zurückzukehren. Die eintönige Überfahrt auf der Sea Hawk von den Niederlanden nach Edinburgh, gefolgt von der beschwerlichen Reise zur Burg mit den großen von Ochsengespannen gezogenen Geschützen hatte die Lust auf Abenteuer in ihm geweckt.

Als er erfuhr, dass der König mit einem kleinen Trupp in Northumberland einfallen wollte, um von angelsächsischen Gesetzlosen gestohlenes Vieh zurückzuholen, hatte er der Versuchung, sich ihnen anzuschließen, nicht widerstehen können. Nichts ließ das Blut heißer durch die Adern eines Mannes fließen als ein ordentliches Handgemenge mit dem Erzfeind.

Doch Lord Dacre, der Marschvogt, hatte die Schotten mit einer viel größeren gut bewaffneten Truppe überrumpelt, und das erwartete harmlose Scharmützel hatte in einer Schlacht auf Leben und Tod geendet.

Ein Hilferuf riss Lachlan aus seinen Grübeleien. In Sichtweite stützte sich ein verwundeter englischer Soldat, der während der Nacht vor Schmerzen geschrien hatte, auf einen Ellenbogen auf.

„Lychester! Hier drüben, Sir! Ich bin’s, Will Jeffries!“

Lachlan sah unter halb geschlossenen Lidern einen weiteren Angelsachsen in sein Blickfeld kommen. Der Neuankömmling trug die prächtige Rüstung eines Adligen und ritt ein großes mit einer Schabracke bedecktes schwarzes Pferd. Er war unübersehbar auf der Suche nach jemandem, denn am Zügel führte er einen kleineren gesattelten Fuchs.

„Hier bin ich, Mylord“, rief der junge Mann namens Jeffries mit schwacher Stimme. Er hob eine Hand und winkte zitternd, als der Marquess of Lychester sich seinem Landsmann näherte. Er saß ab und ging auf den verwundeten Soldaten zu.

„Gott sei Dank“, sagte Jeffries mit einem heiseren Stöhnen. „Ich habe eine Schwertwunde am Oberschenkel, die unablässig blutet. Ich fürchtete schon, ich würde die Nacht nicht überleben.“

Lychester sprach kein Wort. Er blieb hinter dem Verletzten stehen, ließ sich auf ein Knie nieder und richtete seinen Kameraden in sitzende Haltung auf. Er griff ihm ins gelbblonde Haar, riss seinen Kopf zurück und schnitt ihm flink von Ohr zu Ohr die bloßgelegte Kehle durch. Dann wischte er in aller Ruhe die Klinge am Wams des Jungen ab, hob ihn hoch und warf den Leichnam bäuchlings über den Rücken des Fuchses.

Der englische Adlige blickte sich um, zweifellos, um sich zu vergewissern, dass niemand die kaltblütige Hinrichtung mit angesehen hatte. Lachlan hielt den Atem an, schloss die Augen und rührte sich nicht. Augenscheinlich zufrieden saß der Marquess auf, ergriff den Zügel des zweiten Pferdes und ritt davon.

Lachlan stieß langsam den angehaltenen Atem aus.

Hurensohn.

Er wusste, dass die Engländer ein blutrünstiges Volk waren. Doch er hatte nicht gedacht, dass sie nicht einmal vor dem Mord an einem hilflosen Landsmann auf einem verlassenen Schlachtfeld zurückschreckten.

Was für ein Schweinehund war zu einer solch verräterischen Tat fähig?

Keine zwanzig Minuten später ließ ein vom Morgenwind herbeigewehtes Pfeifen Lachlan schlagartig aufhorchen. Die Melodie war ihm vertraut. Zum Teufel, wie sollte sie auch nicht? Er hatte das verdammte Liedchen einer Lady zu Gefallen komponiert. Sehr zu Lachlans Verdruss und zum Vergnügen seines jüngeren Bruders Keir hatte sie es am gesamten schottischen Hof verbreitet. Denn Keir hatte die höfischen Verse durch derbe Zoten ersetzt, die nur Lachlan und seine Liebste nicht so recht zu schätzen wussten. Inzwischen erinnerte sich am Hofe niemand mehr an die ursprüngliche zärtliche Ballade, doch jeder kannte Keir MacNeils Ode an eine muntere Milchmagd, die sich gern mit dem Stallburschen im Heu tummelte.

Unter den gegebenen Umständen war Lachlan heilfroh, dieses ärgerliche Lied wieder einmal zu hören.

Als das Pfeifen lauter wurde, erkannte er die Gestalt seinesgroß gewachsenen Bruders auf seinem kräftigen Braunen, der sich einen Weg durch die mit Leichen übersäte Frühlingslandschaft bahnte.

Lachlan rappelte sich auf, schob zwei Finger in den Mund und erzeugte einen schrillen Pfiff.

„Du armer, dummer Lümmel“, sagte Keir schmunzelnd. Sein Umriss verstellte die aufgehende Sonne, bevor er absaß und zu Lachlan trat. „Weißt du denn nicht, dass du abspringen musst, wenn dein Pferd unter dir zusammenbricht?“

„Ich hatte keine Chance“, antwortete Lachlan mürrisch. „Jetzt hol mich hier raus, zum Henker.“

„Ist dein Bein gebrochen?“

„Ich glaube nicht. Aber es ist verdammt taub, nachdem mein Pferd die ganze Nacht darauf gelegen hat. Gott sei Dank, dass du mich gefunden hast.“

„Als du zum Tanz nicht mit König Jamie im Schloss aufgetaucht bist, wusste ich, dass du in Schwierigkeiten steckst.“ Keir lächelte frech, seine grünen Augen blitzten vor Vergnügen. „Wenn es nicht sein muss, lässt du dir doch keine Gelegenheit entgehen, mit den Damen zu schmusen.“

„Glaub mir, ich hätte die vergangene Nacht tatsächlich bedeutend lieber in einer weichen, bereitwilligen Umarmung verbracht“, entgegnete Lachlan.

Leise vor sich hin pfeifend schnitt Keir die geflochtene Kordel von einer verloren gegangen Standarte ab, befestigte ein Ende an seinem Sattelknauf und schlang das andere Ende um das tote Pferd. Mit einem sanften Klaps auf die Hinterhand trieb er den braunen Wallach an. „Ruhig, Brauner“, sagte er zu seinem Ross. „Langsam und immer mit der Ruhe, mein Großer.“

Lachlan biss die Zähne zusammen, als der schwere Kadaver von seinem Bein gezogen wurde. „Allmächtiger“, sagte er stöhnend.

„Nein, ich bin’s nur“, erwiderte Keir mit einem fröhlichen Grinsen. Er löste Lachlans Beinharnisch, warf Knieschutz und Beinschiene zur Seite und tastete das Bein behutsam nach gesplitterten Knochen ab.

„Nichts gebrochen“, versicherte er seinem älteren Bruder und stellte ihn auf die Füße. Er legte sich Lachlans Arm über die breiten Schultern. „Bleib auf deinem gesunden Bein stehen, bis das Blut im anderen wieder zu fließen beginnt.“

Der Schmerz schoss Lachlan durch Oberschenkel und Wade, als das Gefühl in sein Bein zurückkehrte.

Keir blickte in die Runde auf die toten Soldaten. „Hast du heute Nacht irgendwen auf Schottisch rufen gehört?“

Lachlan schüttelte den Kopf, schnitt eine Grimasse und massierte seinen verkrampften Oberschenkel. „Nichts wie weg hier“, sagte er mit gepresster Stimme, „bevor wir uns gegen Plünderer oder Schlimmeres zur Wehr setzen müssen. Du wirst nicht glauben, was ich eben gesehen habe.“

„Was ist passiert?“, fragte Keir, und seine Augen funkelten vor Neugier, als er seine Handschuhe überstreifte.

„Ich erzähl’s dir auf dem Rückweg.“

Keir saß auf und streckte seinem Bruder einen Arm entgegen. Ohne den brennenden Schmerz zu beachten, ergriff Lachlan die dargebotene Hand und schwang das verletzte Bein über die Flanke des Braunen.

Lachlan umschlang die Taille seines jüngeren Bruders und hakte die Daumen unter Keirs Gürtel. „Und pfeif nicht auf dem gesamten Rückweg nach Roxburgh diese Melodie“, warnte er.

Keir lachte bellend. „Das ist der Dank dafür, dass ich dich gesucht habe.“ Er schüttelte den dunkelhaarigen Kopf. „Und ich habe ein Blatt Karten auf dem Tisch liegen gelassen, das ein verdammtes Vermögen wert war. Lass dich das nächste Mal von Rory retten.“

„Wo zum Teufel steckt unser ältester Bruder?“

„Laird MacLean wärmt sich in diesem Moment wahrscheinlich den Hintern an einem prasselnden Feuer in Stalcaire Castle. Er hält sich immer noch in den Highlands auf, Laddie, da, wohin wir alle gehören.“

Lachlan schnaubte angewidert über seine eigene Dummheit. „Ich werde auch dort sein, wenn König James das nächste Mal beschließt, mit einer kleinen Truppe zum Plündern nach Northumberland auszuschwärmen.“

„Wo, beim König?“

„Nein, in Stalcaire, um mir mit Rory zusammen den Hintern zu wärmen.“

1. KAPITEL

Juni 1503
Collyweston Palace
Northhamptonshire, England

Von ihrem Platz unter den anderen Hofdamen aus sah Francine die Highlander in den Tudor-Thronsaal schreiten. Die zwölf Schotten, mit rot-schwarzen Kilts, Federkappen und kurzen Strümpfen mit Spangenschuhen angetan, näherten sich Henry VII, von Gottes Gnaden König von England, Wales und Irland, erhobenen Hauptes, mit gestrafften Schultern, aufrecht wie Hellebarden.

Ihr Anführer war außergewöhnlich groß. Größer als jeder andere Mann im Saal, größer auch als die englischen Ritter, die so mutig bei Calais gekämpft hatten. Sein mit einer Samtschleife zusammengebundenes rötlich-braunes Haar fiel ihm weit über den Rücken. Bahnen eines karierten Tartans waren über seine massive Schulter drapiert und mit einer edelsteinbesetzten Nadel an seiner roten Jacke festgesteckt. Ein großer Rubin blitzte genusssüchtig in seinem rechten Ohrläppchen.

„Gott im Himmel“, flüsterte Lady Diana Pembroke neben Francine. „Ist dir je zuvor ein dermaßen schönes Geschöpf unter die Augen gekommen?“

Francine brauchte nicht zu fragen, welches Geschöpf Dianas Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, denn der Blick der Lady klebte geradezu an dem Anführer der Highlander. Was sie keineswegs verwunderte. Francines schöne Freundin war bekannt für ihre Affären mit den hübschen jungen Gentlemen am Hof. Wie sie diese vor ihrem viel älteren Gemahl geheim hielt, war Francine ein Rätsel. Sie konnte nur vermuten, dass der betrogene Gatte das skandalöse Tun seiner Frau ignorierte, statt sich dem unverhohlenen Spott der anderen Höflinge auszusetzen.

Trotz der unerhörten Fehltritte Dianas war Francine der kühnen Brünetten jedoch aufrichtig zugetan. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, bewunderte sie ihre Freundin insgeheim für ihre Unbeschwertheit.

Francine musterte die klassischen Züge des Mannes. Diana hatte recht. Er war wahrhaftig ein schönes Geschöpf.

„Er erinnert mich an jemanden“, sagte Francine halblaut. „Vielleicht an jemanden aus dem Geschichtsunterricht in meiner Kindheit. Oder womöglich an irgendeinen keltischen Gott aus den alten heidnischen Mythen.“

„Diesen Kelten hier würde ich liebend gern zähmen“, entgegnete Diana mit einem leisen Lachen. „Ich setze meinen Ehering darauf, dass er im Bett ein wahrer Löwe ist.“

„Solltest du so dumm sein, diesen Schotten in dein Bett zu holen, würdest du deinen Ehering wohl tatsächlich einbüßen“, warnte Francine sie leise und versuchte, nicht zu lächeln. In der Vergangenheit hatte sie Diana schon oft angefleht, zurückhaltender zu sein, damit ihre Techtelmechtel sie nicht eines Tages in eine Katastrophe stürzten.

Francine sah wieder zu dem Highlander. Sie entsann sich noch gut der Wundermärchen, die Fingus MacKay, der Falkenwärter ihrer Familie, ihr erzählt hatte. Geschichten von schottischen Clanhäuptlingen, denen in ihrer Kindheit von keltischen Hexenmeistern Zauberkräfte verliehen wurden. Doch allein der Umstand, dass dieser Mann Schotte war, bedeutete noch längst nicht, dass er auch ein Clanhäuptling, geschweige denn der Zögling eines Zauberers war.

„Er ist bestimmt ein mutiger Krieger“, flüsterte Francine ihrer kecken Begleiterin zu. „Sein schönes Gesicht weist nicht eine einzige Narbe auf.“

Lady Pembroke zuckte die Achseln. Der Heldenmut des Highlanders interessierte sie eindeutig nicht. Sie war vielmehr neugierig auf seine Talente im Bett. In ihrer Vorfreude auf das Festmahl des Abends lachte sie leise, dann beugte sie sich vor und wisperte Francine ins Ohr: „Seinen makellosen Zügen nach zu urteilen, Francie, würde ich sagen, der Mann ist im Nahkampf noch nie besiegt worden.“

Francine nickte widerwillig. „Umso mehr Grund, es dir gut zu überlegen, Diana, bevor du dich mit einem so furchterregenden Soldaten einlässt. Solch ein Mann kann gefährlich sein.“

„Ach, was“, antwortete Diana. Sie fuhr sich genüsslich mit der Zungenspitze über die volle Unterlippe. „Nun, ich habe mir sagen lassen, die wilden Highlander seien in den Liebeskünsten begabter als der gewöhnliche Franzose.“

Francine beschloss, zu diesem Thema lieber zu schweigen. Was wusste sie denn schon darüber, was Schotten unter der Bettdecke trieben? Oder auch Engländer, ganz abgesehen von den liebeskundigen Franzosen. Lady Pembroke war in Bezug auf Sinnesfreuden bewanderter, als Francine es sich selbst je erhoffen konnte. Was nicht hieß, dass Francine in absehbarer Zeit Sinnesfreuden mit einem Mann entgegensah.

Als die Highlander sich dem Thorn näherten, trat der gesamte festlich gekleidete englische Hof höflich zurück, um eine Gasse für die Neuankömmlinge zu bilden. Die Edelmänner und ihre Gattinnen hatten den König von London aus hierher begleitet, wo er seiner ältesten Tochter, Prinzessin Margaret, Lebewohl sagen wollte. Margaret war vor zwei Jahren im zarten Alter von zwölf per Stellvertreter mit dem schottischen Monarchen verheiratet worden.

Als die schottischen Clanmitglieder zwischen den neugierigen Höflingen hindurch zum Thron schritten, verkündete ein Herold dem ganzen Saal mit dröhnender Stimme: „Euer Gnaden, darf ich Ihnen den offiziellen Repräsentanten James des Vierten von Schottland vorstellen: Laird Lachlan MacRath, Earl of Kinrath und Häuptling des Clans MacRath, sowie seine Stammesbrüder.“

Francine überlief es eiskalt vor Schrecken.

Ach, du lieber Gott!

Der Zauberer der Meere!

Der Saal schnappte kollektiv nach Luft. Alle Anwesenden wichen entsetzt zurück vor dem berüchtigten Lachlan MacRath, dem englischen Volk auch als Zauberer der Meere bekannt.

Englische Seeleute glaubten, sein Schiff, die Sea Hawk, tauche wie durch Zauber aus Dunst und Nebel auf. Kehrten die Matrosen in ihre Heimat zurück, berichteten sie, wie der Kapitän dieses Freibeuterschiffs gewaltige Stürme heraufbeschwor, der die englischen Schiffe an den Felsen zerschellen ließ, wo sie dann geplündert werden konnten. In Londoner Kneipen kursierten beim abendlichen Feuerschein alle möglichen Geschichten über die Heldentaten dieses gefürchteten Schotten.

Hier, direkt vor Francines Augen, stand … ein Gestaltwandler.

Ein Häuptling aus den Highlands mit Zauberkräften.

Lähmende Angst durchströmte sie bis in ihre Zehenspitzen.

Ein bestürztes, empörtes Flüstern setzte sich durch den ganzen Saal fort. Der verachtenswerte MacRath und seine zwei gleichermaßen verachteten Halbbrüder, Rory MacLean und Keir MacNeil, überfielen seit zehn Jahren englische und holländische Schiffe, störten den gewohnten Handel und hatten einige der besten Schiffe als Beute genommen. Nicht umsonst trugen die drei Männer den schändlichen Beinamen Höllenhunde aus Schottland.

Leises, vorsichtiges Gemurmel breitete sich im Saal aus. Gemäß dem kürzlich unterzeichneten Anglo-Schottischen Vertrag, der einen dauerhaften Frieden zwischen den Reichen garantieren sollte, musste der Mann diplomatische Immunität genießen und als Gesandter des schottischen Herrschers an den englischen Hof geschickt worden sein.

Die Highlander blieben vor Henry VII stehen, zogen ihre Kappen und verneigten sich höflich.

Aber nicht ehrerbietig.

„Hoheit“, sagte der Earl of Kinrath mit unerschütterlicher Gelassenheit, „ich überbringe die Grüße Seiner Gnaden, König James von Schottland. Er übermittelt Ihnen sein Wohlwollen und betet für Ihr Wohlergehen.“

Wortlos ergriff Francine Dianas Hand und drückte sie. Sie beobachteten den gefürchteten Schotten einvernehmlich in makabrer Faszination.

Der Highlander strahlte eine unbewusste Anmut aus und zeigte nicht einen Hauch von Ehrfurcht vor dem königlichen Prunk, der ihn umgab. Collyweston Palace war die Residenz der Mutter des Königs, Lady Margaret Beaufort.

Trotz der persönlichen Anwesenheit König Henrys waren alle Blicke im Saal auf den Anführer der Highlander gerichtet.

Ohne eine Spur von Unsicherheit trat der schottische Pirat vor und überreichte dem König einen Tribut von James dem Vierten von Schottland.

„Darf ich Eurer Gnaden dieses Geschenk anbieten?“, fragte Kinrath, wobei er das „R“ rollte, wie es für Schotten typisch war. „Ein kleines Zeichen der Wertschätzung meines Herrschers zu dieser bedeutsamen Gelegenheit.“

König Henry erhob sich von seinem reich geschnitzten Thron, trat unter dem goldbefransten Baldachin hervor und blieb vor dem Schotten stehen. Falls es seinen Zorn erregte, dass James Stewart ihm seinen bevorzugten Freibeuter als Repräsentanten sandte, verbarg Henry es hinter einer Maske unergründlicher Tudor-Diplomatie.

Henry nahm die vergoldete Schwertscheide aus Kinraths Händen entgegen, zog das prächtige Zweihandschwert heraus und betrachtete es voller Bewunderung. Die Smaragde, Rubine und Saphire in seinem goldenen Knauf funkelten im Licht eines Fensters in der Nähe wie der Schatz eines Sultans.

Während der englische König das Schwert in Augenschein nahm, ließ Lachlan MacRath langsam den Blick über die im Saal versammelten Angelsachsen schweifen und sah dann in ein Paar großer brauner Augen, das ihn mit unübersehbarer Beklommenheit beobachtete.

Bei Gott. Wer immer sie sein mochte, sie war eine außerordentliche Schönheit.

Als sie sich plötzlich seiner Musterung bewusst wurde, blinzelte sie und wandte den Blick ab. Was ihm die Gelegenheit gab, sie noch eingehender zu betrachten.

Die junge Frau trug einen gehörnten Kopfputz, der ihr Haar vollkommen verdeckte. Diese hässliche Kopfbedeckung war seit Jahren aus der Mode gekommen und nur noch selten zu sehen, außer bei älteren Witwen. Ihr locker gegürtetes Wollgewand verbarg jegliche Rundung, sofern vorhanden. Doch die riesigen muskatbraunen Augen unter den dunklen, schön geschwungenen Wimpern, der zarte Teint und die betörenden Lippen konnten einem Mann durchaus den Atem rauben.

Lachlans wohlgefälliges Lächeln war das eines Experten.

Wenn ihre Figur der Schönheit ihres Gesichts entsprach, wäre die Dame im Schlafzimmer die personifizierte Versuchung.

Ihrer unmodernen grauen Bekleidung nach zu urteilen war sie mit Sicherheit Witwe und vielleicht offen für eine zwanglose Affäre. Plötzlich freute Lachlan sich auf das förmliche Festessen am Abend und die darauf folgende Kurzweil.

Nur widerwillig wandte Lachlan seine Aufmerksamkeit wieder dem König zu.

Ein leises erfreutes Lächeln spielte um Henrys Mund, als er den Blick von dem herrlichen Zweihandschwert hob. „Wir sind höchst erfreut über das Geschenk Ihres Herrschers“, sagte er und überreichte die Waffe einem bereitstehenden Lakaien. Er drehte sich wieder zu Lachlan um und musterte ihn. „Meines Wissens sind Sie, Lord Kinrath, über meinen Wunsch im Bilde, dass Sie und Ihre Landsleute eine der Hofdamen der Prinzessin auf der Reise in Ihr Land begleiten sollen.“

Lachlans Lächeln erlosch.

Erst am Vorabend hatte Gillescop Kerr, der Earl of Dunbarton und eines der älteren Mitglieder der schottischen Gruppe von Repräsentanten, Lachlan über den Wunsch des englischen Königs in Kenntnis gesetzt.

König Henry verlangte, dass Lachlan die Verantwortung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Dowager Countess of Walsingham auf ihrer Reise nach Schottland übernahm. Er sollte mit der Lady und ihren Bediensteten der Prinzessin und ihrem Gefolge voranreiten und für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse sorgen.

Lachlan hatte mit Widerwillen auf die Vorstellung reagiert, Kindermädchen für eine ältliche Witwe zu spielen. Aber, zum Teufel, er hatte keine Wahl. Eine Weigerung wäre einer persönliche Beleidigung des Königs gleichgekommen.

Jetzt verdrängte er den Ärger, der ihm zu schaffen machte wie eine Distel im Schuh. Lachlan begegnete Henry Tudors listigem Blick. Unfähig, das königliche Lächeln zu erwidern, nickte er nur höflich. „Euer Gnaden“, sagte er mit einer ausholenden Handbewegung, bemüht, den Ärger nicht in seinem Tonfall durchklingen zu lassen, „es ist mir eine Ehre, der zukünftigen Königin von Schottland und ihrem Gefolge in jeder Hinsicht zu Diensten zu sein.“

„Schön“, meinte der König. „Dann wollen wir Ihnen Ihre Schutzbefohlene vorstellen.“ Mit einer anmutigen Geste forderte er die Dame zum Näherkommen auf.

Lachlan wandte den Kopf in die Richtung, die der König angezeigt hatte, während sich neugierige Stille über den Saal senkte.

Die hochgeborenen Hofdamen, die wie eine Schar Gänse in der Nähe des Throns standen, reckten die anmutigen Hälse, blickten einander verdutzt an und waren eindeutig überrascht von der Verkündung. Einige scharrten unruhig mit den Füßen, und ihre Seidenkleider raschelten in der plötzlichen Stille wie leiser Flügelschlag. Sie sahen ihren wartenden Herrscher an und dann wieder die zwölf Highlander, die meisten von ihnen voller Bestürzung, einige aber auch mit einem kühnen, verführerischen Lächeln.

Lachlan verbiss sich ein Grinsen. Herrgott. Kein Mensch hatte es für nötig befunden, den verdutzten Frauen zu erklären, dass die kampferprobten Mitglieder des MacRath-Clans die erhabene Schar die ganze Strecke durchs hügelige Nordengland ins raue, felsige Schottland begleiten sollten.

König Henry lächelte, und dieses Mal ging sein Lächeln weit über höfliche Förmlichkeit hinaus. Sein langes, schmales Gesicht strahlte in aufrichtiger Zuneigung. „Lady Walsingham, bitte gesellen Sie sich zu uns.“

Der Ausdruck der Fassungslosigkeit in diesen herrlichen braunen Augen war unmissverständlich. Die schöne Witwe mit dem hässlichen Kopfputz warf der Brünetten an ihren Seite aus den Augenwinkeln einen Blick zu, als gäbe sie sich der unnützen Hoffnung hin, nicht richtig verstanden zu haben. Die andere Frau stupste sie an, und die Dowager Countess wäre um ein Haar über ihren Kleidersaum gestolpert, als sie auf den König zutrat.

Lachlan lächelte breit, konnte sein Glück kaum glauben. Sollte dieses bezaubernde Wesen tatsächlich für die gesamte Dauer der Reise seinem Schutz unterstellt sein? Der Ärger, den er so mühsam hatte verbergen wollen, wich einer entzückten Vorfreude.

Ah ja. Durchaus. Dieser Verpflichtung wollte er mit Freuden nachkommen. Schade nur, dass die Reise nach Norden nicht viel Zeit in Anspruch nahm.

Eine gemächliche Reise um die Welt hätte vielleicht ausgereicht. Auch die wäre noch viel zu kurz für seinen Geschmack gewesen. Wie lange würde er brauchen, um die bezaubernde Witwe in sein Bett zu locken?

Als Francine sich den beiden Männern näherte, musste sie ein verzweifeltes Stöhnen unterdrücken. Bei Gott, sie spürte ihr Herz wie einen Schmiedehammer gegen ihre Rippen schlagen.

„Liebe Freundin“, sagte Henry, ergriff Francines Hand und zog die Frau an sich. „Wie Sie wissen, hat Lady Beauford darum gebeten, dass Sie für die Einhaltung des Protokolls auf der Reise in die neue Heimat unserer Tochter Sorge tragen. Auch wenn wir starke Bedenken haben, Sie für so lange Zeit von uns zu lassen, hat die Königin-Mutter doch recht. In dieser vielversprechenden Angelegenheit muss alles gemäß der gegebenen Prioritäten gehandhabt werden. Und da Sie dank Ihres verstorbenen Gatten, Lord Walsingham, über diplomatische Erfahrung verfügen, beugen wir uns der Entscheidung unserer Frau Mutter.“

„D…danke, Euer Gnaden“, stammelte Francine. Sie trat einen Schritt zurück, holte tief Luft und versuchte, die Angst zu ignorieren, die sich in ihrem Inneren ausbreitete. Rasch wandte sie sich ab, denn sie hatte gehört, dass ein Zauberer eine arglose Person allein schon durch seinen Blick in seinen Bann ziehen konnte.

Zauberer.

Gestaltwechsler.

War Lachlan MacRath, der Anführer seines Clans, von Kindheit an in Schwarzer Magie unterwiesen worden? Die englischen Seeleute behaupteten, dass sich schon beim ersten Auftauchen seines Schiffs am fernen Horizont die Mächte der Tiefe zusammentaten, um ihre unglücklichen Schiffe zu zerstören.

Laird Kinrath überragte Francine um einiges. Sie war durchschnittlich groß für eine Frau und ließ sich gewöhnlich von hochgewachsenen Männern nicht einschüchtern. Doch seine Schultern waren so breit, dass sie ihr den Blick auf die Mitglieder seines Clans hinter ihm verwehrten.

Ihn umgab eine Aura von solch zügelloser Wildheit, dass Francine gegen den Drang kämpfen musste, aus dem Raum zu flüchten. Er strahlte unbeugsame Willenskraft aus. Es war, als wüsste er, dass er sie mit einem Fingerschnippen seinem Willen unterwerfen konnte. Oder mit einem Zauberspruch.

Francine bezweifelte nicht, dass er nahkampferprobt war. Unwohl fragte sie sich, wie viele ihrer unschuldigen Landsmänner er wohl eigenhändig im Kampf getötet haben mochte.

Francine versuchte, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen, biss die Zähne zusammen und schalt sich selbst feige. Nie im Leben sollte der frühere Feind ihres Heimatlandes die nackte Angst bemerken, die sie zu verschlingen drohte.

Sie war Engländerin.

Sie war stark.

Sie war mutig.

Sie zitterte wie Espenlaub.

Großer Gott, konnte es denn sein, dass dieser blutrünstige Schottenhäuptling für ihre Sicherheit verantwortlich sein sollte? Welch unfassbare Ironie des Schicksals! Sie musste ja froh sein, wenn er sie nicht im Schlaf ermordete –, nachdem er sie zunächst in eine Kröte verwandelt hatte.

Sie dachte an die Geschichten, die Fingus ihr erzählt hatte. Dass die keltischen Zauberer die Fähigkeit besaßen, die Gestalt zu wechseln. Hatte MacRath die Macht, eine andere Gestalt anzunehmen?

Welch schreckliche Gestalt würde er wählen?

Die eines Drachen?

Eines Seeungeheuers?

Keines Wortes fähig straffte sie die Schultern und hielt wohlweislich den Mund.

König Henry tätschelte ihr mit väterlicher Milde die Hand, ohne das verzweifelte Hämmern ihres Herzens auch nur zu ahnen.

„Da Sie der Hauptgruppe voranreisen und sich jeden Tag beeilen müssen“, fuhr Henry fort, „haben wir König James gebeten, zu Ihrer Ehrengarde einen Highlands-Clan zu bestimmen, der für seine Stärke und seinen Mut bekannt ist. Laird Kinrath und seine Verwandten werden Ihre Gruppe eskortieren und Ihr Wohlergehen gewährleisten.“

Henry Tudor mochte Francines verängstigtes Herzklopfen nicht bemerken, wohl aber Kinrath. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. Selbstgefällige Zufriedenheit glomm in seinem höhnischen Blick, als er sich tief verneigte und Francine unübersehbar die Hand küssen wollte.

Nicht einmal am glücklichsten Tag deines Lebens.

Oder am schwärzesten Tag meines Lebens.

Allein die Vorstellung, ihre zitternden Finger in seine offene Handfläche zu legen, gab ihr das Gefühl zu ersticken.

In ihrer betäubenden Not erinnerte Francine sich an ihren Mann, der an keinerlei Art von Zauberkraft und Hexerei geglaubt hatte. Mathias hätte ihr versichert, dass der Earl of Kinrath ein gewöhnlicher Sterblicher war und auch nur über die Kräfte eines gewöhnlichen Mannes verfügte.

Allerdings hatte Mathias nie in den Highlands gelebt. Hatte sie nicht einmal besucht. Während Fingus MacKay auf der Insel Mull geboren und aufgewachsen und sehr bewandert in den Sagen über keltische Magie war.

Zur Hölle mit Kinrath! Warum drohte seine bloße Anwesenheit, sie zu überwältigen? Wenn er in Wahrheit nur ein ausländischer Gesandter am englischen Hof war, war er nicht annähernd so bedeutend wie so manche Prinzen und Machthaber, die Francine als Gastgeberin ihres verstorbenen Mannes bewirtet hatte.

Und ein Zauberer war er schon gar nicht. Welcher Art auch immer.

Ungeachtet ihrer himmelschreiend schlechten Manieren sprach Kinrath mit salbungsvoller Höflichkeit, und das lässige, betörende Rollen des „Rs“ schien sich in ihre Lungen zu schmeicheln und ihr wie durch Zauberkraft den Atem zu nehmen.

„Lady Walsingham“, sagte er sanft, „Sie können sich voll und ganz in meine Hände begeben.“

Francine zuckte unter seinen Worten zusammen und beäugte ihn argwöhnisch. Wie konnte eine so liebenswürdige Bemerkung einen derart verführerischen Unterton haben? Derartig beispiellose Selbstsicherheit verraten? Von diesem verflixten Mann ging eine unverfälscht männliche Anziehungskraft aus. Vielleicht griff er auf die Schwarzen Künste zurück, wenn es sich um leichtgläubige Frauen handelte. Hatte er womöglich schon so manches unschuldige Mädchen durch den Einsatz eines Zauberbanns in den Ruin getrieben?

„Sie sind zu freundlich, Sir“, entgegnete Francine und betete, dass er das Zittern ihrer Stimme nicht bemerkte. „Aber ich kann recht gut selbst auf mich achtgeben.“

Sie hielt seinem dreisten Blick stand, ließ ihn wissen, dass sie die verborgene Bedeutung seiner Worte verstanden hatte und sich nicht vor ihm fürchtete. Sollte er seine Zauberkünste an ihr ausprobieren, würde er feststellen, dass sie nicht so einfach zu umgarnen war wie irgendein dummes, leicht zu beeindruckendes Mädchen.

Dem König jedoch schien zu entgehen, was für Francine allzu offensichtlich war. Statt dem Schotten böse Absichten vorzuwerfen, wandte Henry seine Aufmerksamkeit Francine zu. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und zog sie sanft an sich. Herzliche Zuneigung leuchtete aus seinen braunen Augen. „Im Gegensatz zu vielen von unseren hübschen Damen, die mit Prinzessin Margaret in Schottland bleiben werden, erwarten wir Ihre Rückkehr an den Hof gleich nach der Hochzeitsfeier, liebe Freundin. Und wir werden die Tage zählen, bis wir Sie wiedersehen.“

Francine erwiderte sein Lächeln und versank in einem Knicks. „Ich auch, Euer Gnaden.“

Henry und seine Königin hatten ihr nach dem Tod ihres Gatten im Winter herzliche Freundlichkeit entgegengebracht. Mathias Granville war Englands Staatssekretär gewesen, vom König höher geschätzt als alle anderen Berater. Und als Elizabeth of York vor vier Monaten bei der Geburt ihres Kindes gestorben war, hatte Francine den tiefen Schmerz ihres Herrschers geteilt, denn sie hatte die sanfte Königin von Herzen geliebt. Die zwei Tode, so kurz hintereinander, hatten ein starkes Band zwischen dem Monarchen und der Witwe seines verdienten Staatsmanns geschmiedet. Der Schmerz ihres jeweiligen Verlusts war tief und ehrlich, denn beide hatten ihre verstorbenen Ehepartner wahrhaft geliebt.

„Wir müssen die Trauerkleidung ablegen und unsere Freude über die Heirat unserer kleinen Prinzessin kundtun“, fuhr der König fort. „Unsere geliebte Königin hätte es so gewollt.“

Francine blickte an ihrem tristen Wollkleid herab, wohl wissend, dass sie die einzige am Hofe war, die nicht in Festbekleidung erschienen war. Gott war ihr Zeuge, es war nicht allein das Gedenken an ihren verstorbenen Gatten, das sie im vergangenen halben Jahr zu der unansehnlichen Witwentracht hatte greifen lassen. Sie hatte es auch zu ihrem eigenen Schutz getan.

Doch der ausdrücklichen Forderung des Königs konnte sie sich nicht widersetzen. „Wie Euer Gnaden wünschen“, antwortete Francine leise.

„Ah, gut“, sagte der König aufmunternd. „Wir alle erwarten, Sie bei den Festlichkeiten des heutigen Abends in Ihrem schönsten Gewand zu sehen.“

Lachlan betrachtete das rührende Bild, das sich dem gesamten englischen Hof bot. Henry Tudor schloss Lady Walsingham noch fester in die Arme und küsste sie züchtig auf beide zarten Wangen, bevor er sie wieder losließ.

Hölle und Verdammnis.

Waren sie ein Liebespaar?

Henry gab sich keinerlei Mühe, seine Zuneigung zu der jungen Witwe zu verhehlen, und sie war weiß Gott hübsch genug, um königliche Gunst zu gewinnen.

Hol’s der Teufel, welche Frau in der Weltgeschichte hat jemals die zärtliche Zuwendung eines Königs abgelehnt?

Lachlan verspürte leisen Ärger, den er rücksichtslos beiseiteschob. Was ging es schließlich ihn an, wenn die schöne Countess Henrys Geliebte war? Engländerinnen waren berüchtigt für ihre amourösen Ränkespiele. Und wie jeder erwachsene Mann mit einem Fünkchen Verstand weiß, kann ein Paar blitzende braune Augen einen verliebten Narren durchaus in den endgültigen Untergang locken.

Wenn Lady Walsingham tatsächlich die Bettgefährtin des Königs war, wäre es ratsam, dass Lachlan sich anderweitig nach weiblicher Gesellschaft für die Rückreise in seine Heimat umsah. Er war als Repräsentant der schottischen Krone nach England gekommen. Keinesfalls wollte er wegen der Verführung einer königlichen Geliebten im Tower enden. Und James Stewart wäre nicht angetan von einem Skandal solchen Ausmaßes, der seine Hochzeit ruinieren und die bräutliche Prinzessin verärgern würde.

Verdammt, es war genau so, wie Lachlan es vorausgesagt hatte, bevor er die gemütliche Geborgenheit der Highlands verlassen hatte.

Betrat man den englischen Hof, war es, als würde man mit verbundenen Augen in ein Schlangennest geraten. Und nicht einmal als Kind hatte er gern Blindekuh gespielt.

2. KAPITEL

Die Festhalle von Collyweston Palace erstrahlte im Glanz Tausender von Kerzen. Überall funkelte und schimmerte der Reichtum der Tudors. Von seinem Platz am Ende des Raums aus schaute Lachlan MacRath sich mit neidvoller Bewunderung um.

„Wenn Henry mit all dieser Pracht bezweckt, ausländische Abgesandte zu beeindrucken“, flüsterte er Gillescop Kerr, Earl of Dunbarton, zu, der am Tisch neben ihm saß, „dann gelingt ihm das hervorragend.“

„Wenn königlicher Prunk darstellen soll, dass er stark und unerschütterlich auf seinem Thron sitzt“, antwortete Dunbarton leise, „dann ist Henry sich sehr wohl bewusst, dass die üppige Zurschaustellung von Reichtum sein gottgegebenes Recht zu herrschen unterstreicht. Und in Bezug auf die Mitgiftregelung für seine Tochter war er wirklich recht großzügig.“

„Die Geschichte einer Großzügigkeit, die bestimmt all die hübschen Damen am Hof erfreut“, sagte Lachlan.

„Zweifellos“, stimmte Dunbarton ihm mit dem Hauch eines Lächelns zu.

Musikanten saßen oben auf der hölzernen Empore, die sich um den gesamten Raum zog. Die leisen Melodien von Leiern, Zithern, Citolen und Harfen wehten herab zu den plaudernden Gästen. Am Haupttisch, erhöht auf einem Podest, saß unter einem goldenen Baldachin Henry Tudor mit seiner ältesten Tochter, Margaret, der Braut König James’ von Schottland. Neben der jungen Prinzessin hatte ihre Großmutter, Lady Margaret Beaufort, Countess of Richmond, ihren Platz.

An einem Tisch nicht weit entfernt vom König und seiner Tochter saß Lady Francine, die Dowager Countess of Walsingham, eingequetscht zwischen dem französischen und dem spanischen Botschafter.

Von seinem unzulänglichen Aussichtspunkt aus beobachtete Lachlan mit finsterer Miene über den riesigen Saal hinweg, wie die zwei Diplomaten um die Aufmerksamkeit der jungen Witwe wetteiferten. Zum Teufel, sie spreizten sich wie Pfauen in ihrer leuchtenden Höflingskleidung.

Lachlan konnte den Blick kaum von Francine lösen, sosehr ihm die Sicht auch durch die umherlaufenden Diener behindert wurde. Verschwunden war das unförmige Gewand vom Vormittag, getauscht gegen ein lavendelfarbenes, mit weißen Bändern eng geschnürtes Mieder. Die üppigen Falten ihres Seidenrocks bauschten sich von ihrer schmalen Taille aus. An Stelle des grauenhaften Kopfputzes, unter dem kein Härchen zu sehen gewesen war, erlaubte ein Haarnetz, mit Diamanten übersät, die jedem Mann im Saal kokett zuzublinzeln schienen, Blicke auf den glänzenden goldbraunen Haarschopf darunter.

Falls der König tatsächlich ihr Liebhaber war, konnte er sich glücklich schätzen. Denn die englische Witwe stellte ein herrliches Wunder der Natur dar: eine dunkeläugige Blonde.

Widerwillig schenkte Lachlan seine Aufmerksamkeit wieder seinen eigenen Tischgefährten und fing Gillescops wissenden Blick auf.

„Wer auch immer die Tischordnung gemäß Rang und Namen aufgestellt haben mag, war kein Experte in höfischer Etikette“, bemerkte der Earl of Dunbarton.

Lachlan nickte zustimmend. Als persönliche Repräsentanten James des Vierten und jeweils Inhaber des Titels eines schottischen Earls hätten ihnen Plätze in der Nähe des Haupttisches zugestanden. „Vielleicht aber ziemlich sachkundig“, erwiderte er, „denn die ausländischen Würdenträger sind gemäß ihrer Rangfolge platziert.“

„Bei Gott, ein Experte war’s bestimmt nicht“, beschwerte sich Colin MacRath. „Sonst würden wir nicht wie ein Haufen Flachland-Bauern so weit hinten im Saal festsitzen.“

Lachlan grinste über die mürrische Miene seines jüngeren Vetters. „Du sitzt neben dem gefürchteten schottischen Piraten, Junge“, erinnerte er ihn und klopfte ihm auf die Schulter. „Wir haben Glück, dass wir nicht im Abtritterker speisen müssen.“

„Und noch mehr Glück, dass das Fleisch nicht vergiftet ist“, ergänzte Cuthbert Ross, der neben Colin saß, mit einem hinterhältigen Grinsen.

„Allmächtiger!“, rief Colin. Er trank einen gewaltigen Schluck Bier und schob gleichzeitig seinen Teller von sich. Sein Gesicht wurde blass, sodass die Sommersprossen auf seiner Hakennase aufleuchteten wie Kupfermünzen.

Die Mitglieder des MacRath-Clans am Tisch brachen in schallendes Gelächter über seine komische ängstliche Miene aus.

„Sapperlot, du Einfaltspinsel!“, sagte sein Vater, Walter MacRath, vom Ende des Tisches her. „Du hast doch schon ein halbes Spanferkel verschlungen und mit drei Krügen Bier heruntergespült. Wären die Speisen vergiftet, würdest du dir längst in der Hölle die Zehen wärmen.“

Colin stand empört auf, die großen Hände zu Fäusten geballt. Mit seinen eins neunzig war er fast so groß wie sein Laird, auch wenn er gut fünf Jahre jünger war. Sein gertenschlanker Körperbau und die ihm eigene Entschlossenheit eines starrsinnigen Maultiers erlaubten ihm, in jedem Männersport jede Herausforderung anzunehmen. Er konnte einen Baumstamm pfeilgerade stoßen und einen Mann, der doppelt so schwer war wie er, binnen Sekunden zu Boden ringen. Auf dem Schlachtfeld war er eine regelrechte Sense des Todes. Doch in der Nähe eines hübschen Mädchens geriet er ins Stottern, was ihn häufig zur Zielscheibe von Spötteleien seiner älteren Stammesbrüder machte.

„Ach, hör doch auf, setz dich und iss zu Ende“, sagte Bertie und winkte entschuldigend mit seinem Messer. „Reg dich nicht auf, Junge. Keiner von uns ist wirklich gern hier, aber ich glaube nicht, dass die Engländer uns zum Essen eingeladen haben, um uns zu vergiften.“

Langsam ließ Colin sich mit einem verlegenen Grinsen zurück auf seinen Stuhl sinken. Er strich sich mit seinen langen Fingern durch die leuchtend roten Locken und senkte das Kinn in das Spitzengeriesel an seinem Hals. „Na gut“, sagte er, den Blick aufs Tischtuch gerichtet. „Das habe ich auch gar nicht geglaubt.“

Lachlan ergriff die Gelegenheit, die sich durch das Gelächter und die darauf folgenden gutmütigen Spötteleien bot, um leise mit Gillescop zu reden. „Vielleicht sind wir nicht die einzigen, die sich wegen des Essens sorgen“, sagte er lächelnd. „Lady Walsingham sieht aus, als hätte sie einen Käfer in ihrem Rotwein entdeckt.“

Dunbarton schmunzelte. „Vielleicht ist auch der Countess schon in den Sinn gekommen, dass die beiden Botschafter einander fordern könnten.“

„Vielleicht ist es die Anstrengung, vom Französischen ins Spanische und umgekehrt wechseln zu müssen, ohne ein Wort in ihrem Dreiergespräch zu versäumen, was ihr so großes Unbehagen bereitet.“

„Das bezweifle ich“, sagte Dunbarton mit einem wissenden Kopfschütteln. „Lady Francine ist sehr geübt in der Kunst höfischer Etikette. Ihr Gatte hat mit ihrer Hilfe zahlreiche ausländische Würdenträger in seinem Haus bewirtet.“

„Wie viel älter war er eigentlich?“

„Fünfzig Jahre. Der Earl ist im vergangenen Winter im Alter von zweiundsiebzig Jahren verstorben.“

„Zur Hölle, ich weiß nicht, wieso der große Altersunterschied mich überrascht“, knurrte Lachlan. „Englische Adlige verkaufen ihre Töchter doch oft genug an den Meistbietenden.“

„Die Schotten auch, wie du wohl weißt.“

Lachlan musste gezwungenermaßen zustimmen. Trotzdem fand er die Vorstellung, dass ein Mädchen mit solch blanken Augen sich widerspruchslos von irgendeinem verkommenen Lustgreis mitnehmen ließ, besonders abscheulich. „Sie wird den alten Bock wegen seines Titels und seines Vermögens geheiratet haben.“

„Den alten Bock?“, schimpfte Dunbarton. Obwohl er Missbilligung spielte, blitzten seine Augen verdächtig. „Ich betrachte mich nicht als ‚alten Bock‘, und ich bin genauso alt wie Walsingham zum Zeitpunkt seiner Eheschließung.“

Lachlan hob besänftigend die Hand. „Anwesende ausgenommen, versteht sich.“

„Während der Verhandlungen über die königliche Hochzeit und den Friedensvertrag zwischen unseren Ländern“, fuhr Dunbarton fort, „war ich zu verschiedenen Gelegenheiten in ihr Stadthaus in London eingeladen. Ich muss sagen, die beiden schienen sich sehr zu lieben. Der Earl war anscheinend ein freundlicher, sanftmütiger Gatte, dessen oberstes Ziel es war, seine junge Frau zu erfreuen.“

„Oh, ich bezweifle nicht, dass der alte Mann vernarrt in sie war“, erwiderte Lachlan mit höhnisch verzogenem Mund.

„Seit meiner Rückkehr nach England“, fügte Gillescop mit einem unbefangenen Schulterzucken hinzu, „höre ich, dass die Countess ihren Mann während seiner letzten Erkrankung hingebungsvoll gepflegt hat. Demnach gab es wohl auch auf ihrer Seite zärtliche Gefühle.“

Lachlan furchte die Stirn. Diese unglaubwürdige Information passte nicht zu seinen Vorstellungen von der englischen Aristokratie, schon gar nicht zum weiblichen Teil. „Zum Kuckuck, Frauen, die Gefühle vortäuschen, gibt es wahrscheinlich seit Adam und Eva.“

Dunbarton zog die weißen Brauen hoch. „Du redest erstaunlich abgeklärt für einen Mann von dreißig Jahren.“

„Erfahrung kann ein strenger Schulmeister sein“, antwortete Lachlan und zuckte gleichmütig die Achseln.

Nach dem Festmahl sollte die abendliche Belustigung beginnen. Auf ihrem Platz zwischen den zwei ausländischen Botschaftern holte Francine tief Luft und versuchte zum wiederholten Mal, sich zu fassen. Sie konnte dem Gespräch ihrer Tischgenossen kaum folgen. Sie war in Sorge wegen des Possenspiels, das sie für den Abend ersonnen hatte.

Ein Possenspiel, das sie ersonnen hatte, bevor sie dem Earl of Kinrath begegnet war, der in England besser bekannt war unter dem Namen „Zauberer der Meere“. Warum, warum nur war sie nicht schon vor diesem Vormittag über seine Anwesenheit bei Hofe in Kenntnis gesetzt worden?

Sie wollte ganz gewiss keinen diplomatischen Zwist zwischen England und Schottland heraufbeschwören oder den frisch unterzeichneten Friedensvertrag gefährden, dessen Verhandlung ihr verstorbener Gatte so hart erarbeitet hatte.

Der spanische Repräsentant am Tudor-Hof, Don Pedro de Ayala, der neben ihr saß, führte seine Lippen bei jedem Versuch, sie zu einem Gespräch zu verleiten, unangenehm nahe an Francines Ohr heran. Sie versuchte, von dem aufdringlichen Herrn abzurücken, doch auf ihrer anderen Seite saß der beleibte französische Botschafter.

Sie legte sich eine Hand auf die Brust, um ihr Herzrasen zu beruhigen, und gestand sich ein, dass sie die komische Szene, die sie für den Narrenprinzen geschrieben hatte, nicht angemessen durchdacht hatte. Sie hatte lediglich den Hof unterhalten und den ausländischen Gästen etwas Fröhlichkeit bieten wollen.

Das war, bevor sie den schottischen Anführer kennenlernte.

Hätte sie auch nur die geringste Ahnung gehabt, dass er der gefürchtete Lachlan MacRath war, sie hätte diese alberne Komödie nie verfasst.

Als sie noch klein gewesen war, hatte erst ihr Vater sie ermahnt, später während ihrer Ehe dann Mathias, in der Gegenwart von Fremden ihren Eigensinn im Zaum zu halten.

Hätte sie doch auf ihren Rat gehört!

Wie mochte die Rache eines Zauberers für eine ihm zugefügte Beleidigung wohl aussehen? Würde sie, Francine, den Rest ihres Lebens als Katze verbringen?

Francine ließ den Blick unruhig durch den Saal schweifen und sah, dass der Earl of Kinrath sie mit grimmiger Miene musterte.

Erbarmen.

Wenn er jetzt schon böse war, was würde dann erst nach der Aufführung sein?

Den Grund für seine Verstimmung konnte sie sich nicht vorstellen. Sie hatte kein Wort mehr mit dem Mann gesprochen, seit der König sie ihm am Vormittag vorgestellt hatte.

Die Frage, was er tun mochte, wenn die Hofunterhaltung beendet war, erfüllte sie mit Angst. Wenn ein empörter Kinrath als persönlicher Repräsentant des schottischen Königs eine Entschuldigung von der englischen Krone verlangte, dann würde Francine es zu verantworten haben. Besorgt nagte sie an ihrer Unterlippe und fragte sich, ob der Schotte wohl irgendeine Art von Humor hatte. Und wie hoch in der Gunst von König James er stand.

Um ehrlich zu sein, der gefährliche Schotte war nicht die einzige Person, die Anstoß an der Aufführung dieses Abends nehmen könnte. In ihrem Werk trat zudem eine Karikatur von Lychester auf. Was hatte sie sich dabei gedacht, den Zorn eines dermaßen mächtigen, rachsüchtigen Mannes zu riskieren? Sie hatte sich von ihrer ausgeprägten Abneigung gegen den Nachbarn ihrer Kinderzeit den Verstand vernebeln lassen.

Francine vermisste den besänftigenden Einfluss ihres verstorbenen Mannes, der ihr immer zur Nachsicht geraten hatte. Doch im Hinblick auf Elliot Brome, den zweiten Marquess of Lychester, empfand selbst Mathias dauerhafte Verachtung.

Abgesehen von den Akteuren wussten nur wenige, dass Francine häufig die Herstellung der Masken und Verkleidungen leitete, die die königlichen Gäste in Richmond und Whitehall unterhalten sollten. Und so gut wie niemand wusste, dass einige Dialoge, Verse und Madrigals aus ihrer Feder stammten. Mathias hatte es natürlich gewusst und sie geduldig in ihren „künstlerischen Träumereien“, wie er es bezeichnete, bestärkt. Doch jetzt war ihr geliebter Beschützer nicht mehr, ebenso wenig wie die Königin, die Francines Theateraufführungen ebenfalls genossen hatte.

Nur König Henry selbst und sein treuer Diener Charles Burby, der Narrenprinz, wussten, wie viel vom Schauspiel des bevorstehenden Abends dem schöpferischen Verstand der Dowager Countess of Walsingham entsprungen war.

Je nun! Ganz gleich, wie alles ausging, es war zu spät, jetzt noch etwas zu ändern, denn während sich unter den Gästen Stille ausbreitete, nahm die Lustbarkeit ihren Lauf.

Zuerst kamen die Akrobaten, die nur so über den Boden flogen und durch die Luft schwebten. Die Truppe gut aussehender, muskelbepackter Männer verblüffte die Zuschauer mit ihren artistischen Kunststücken voller Anmut. Ihnen folgten maskierte Pantomimen, gekleidet wie zum carnevale, deren pfiffige Possen den Damen helles Gelächter entlockten, während die Gentlemen sie mit wohlwollendem Schenkelklopfen würdigten.

In der darauf folgenden Stille entstand in der Erwartung der nächsten Aufführung eine leichte Unruhe. Zehn stramme Leibgardisten zogen an dicken goldenen Seilen einen großen Prunkwagen über den weitläufigen Boden aus Eichenbohlen. Auf dem Wagen stand ein wunderliches Schloss mit vergoldeten Torbögen, geschnitzten Türmen und zehn mit Läden verschlossenen Fenstern.

Über jedem Fenster war der Name einer Tugend zu lesen, zum Beispiel Geduld, Bescheidenheit und Keuschheit. Die Mauern des Schlosses waren mit rosa und roten Rosen, weißen Callas, tief violettem Flieder und Ranken von blassgelb blühendem Geißblatt geschmückt, deren süßer Duft durch den Saal strömte. Im Laub nisteten Nachbildungen exotischer Vögel mit leuchtend buntem Gefieder. Schmetterlinge und Bienen suchten Nektar in den Blüten.

Unter Trompetenstößen von der Empore der Musikanten her öffneten die uniformierten Gardisten plötzlich die Fensterläden, und zehn schöne Mädchen wurden sichtbar. Ein entzücktes Raunen ging durch das Publikum, als man sie als die unverheirateten Töchter der im Saal anwesenden englischen Aristokraten erkannte. Die Eltern lächelten zufrieden beim Anblick ihres so reizend präsentierten Nachwuchses.

Die jungen Damen saßen, in die langen, hellen Togen des Alten Roms gekleidet, auf gepolsterten Fensterbänken und hielten Harfen, Leiern oder Zithern in den Händen. Das Haar war mit edelsteinübersäten Kämmen hochgesteckt, und lose Ringellocken fielen ihnen über den Rücken.

Keine der jungen Frauen gab einen Laut von sich oder spielte auch nur einen Ton. Alle blieben völlig still und reglos, wie erstarrt.

Spontaner brausender Applaus ertönte angesichts dieses fantastischen Anblicks.

Auf der höchsten Zinne des Schlosses erschien ein goldhaariger Engel, komplett mit Heiligenschein und gefiederten Flügeln. Lady Constance, die älteste Tochter des Duke of Essex, breitete die Arme aus und wandte sich an die faszinierten Zuhörer im Saal.

„Ach, ihr lieben Edelmänner und hohen Damen“, rief ihnen der Engel der Liebe zu, „ich erflehe eure Hilfe zur Rettung dieser lieblichen Jungfrauen. Sie sind Gefangene in ihrer eigenen Hülle des Schweigens. Diese unglücklichen Unschuldslämmer können ihre Musikinstrumente nicht mehr spielen, nicht einmal mehr singen und sind verdammt, schweigend auf einen tapferen Helden zu warten, der sie befreit.“

Die Zuschauer an den Tischen blickten sich neugierig um, um herauszufinden, wer sich als tapferer Retter der Jungfrauen herausstellen würde.

Am nächstgelegenen Zugang jedoch tauchte an Stelle einer Rittergestalt ein feuerroter Teufel mit Hörnern und Schwanz auf, eine lange Heugabel in den Händen, die er drohend gegen die Zuschauer schwang.

„Kein armseliger Mensch kann diese Maiden retten“, verkündete er, und seine Worte dröhnten wie der Appell am Jüngsten Tag. „Ich bin Luzifer, Prinz der Unterwelt. Sollte irgendein törichter Sterblicher vortreten, um sie zu retten, zerre ich ihn, so laut er auch schreit und um Gnade fleht, direkt in die Tiefen der Hölle.“

„Warte!“, schrie eine schrille Männerstimme vom anderen Ende des Saals. „Ich werde diese schönen Jungfern befreien. Fürwahr, ich bin ihr Ritter in glänzender Rüstung!“

Das Publikum fuhr wie auf Kommando herum und erblickte den Zwerg des Königs, Reginald den Narren. Mit schwarzer Perücke und Ziegenbart, angetan mit einer Rüstung, allerdings ohne Helm, schritt er in den Saal. Das Breitschwert klapperte an seiner Hüfte. Sein überdimensionaler Schild trug ein Wappen, das einen zähnefletschenden Wolf und ein verängstigtes Schaf zeigte. Bis auf das Schaf war es dem Wappen des Marquess of Lychester so deutlich nachempfunden, dass niemandem die Ähnlichkeit entgehen konnte.

Gelächter brandete im Saal auf, als die Zuschauer die richtigen Schlüsse zogen und gespannt darauf warteten, ob der Zwerg, der den stolzen Marquess darstellte, Luzifer besiegen würde.

Lachlan, an seinem Tisch im rückwärtigen Teil des Saals, richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf die Countess of Walsingham. Ihre lebhaften Züge interessierten ihn mehr als die lächerliche Farce, die im Festsaal aufgeführt wurde. Zu seiner Verwunderung sah er, wie Lady Francine die Hand vor die Augen legte und durch die gespreizten Finger spähte. Sie nahm mit besorgtem Blick einen Edelmann mit glattem schwarzen Haar und kurz geschnittenem Bart an einem Tisch in ihrer Nähe ins Visier. Der Mann saß da und bedachte den Hofnarren mit bösen Blicken. Sein dunkles Gesicht war zornesrot; er hatte die Hände vor sich auf dem weißen Tischtuch zu Fäusten geballt.

Verdammt noch mal.

Lachlan erkannte den aufgebrachten Gentleman.

Zwar waren sieben Jahre vergangen, seit Lachlan den Marquess of Lychester gesehen hatte, doch diesen kaltblütigen Mörder, der auf einem verlassenen Schlachtfeld in den Cheviot Hills seinen jungen Landsmann umgebracht hatte, konnte er nicht verwechseln.

Lachlan wandte sich wieder der hübschen Witwe zu. Sie war anscheinend genauso betroffen über die Komödie, die aufgeführt wurde, wie Lychester und starrte wie gebannt in ihr Glas Wein, als würde die Antwort auf irgendein verblüffendes Rätsel wie ein Korken im Rotwein schwimmen.

Lachlan hatte das unheimliche Gefühl, dass die Dowager Countess of Walsingham genau wusste, was im Kampf des königlichen Narren gegen den Teufel als Nächstes geschah. Und dass sie Lychesters Reaktion fürchtete.

„Ich rette euch alle!“, rief Reginald wieder. „Satan macht mir keine Angst!“

Der kleine Ritter stürmte quer durch den Saal seinem furchterregenden Widersacher entgegen und fuchtelte mit den kurzen Armen. Im Lauf wandte er sich um und winkte stolz den Jungfern hoch oben im Schloss zu. Dabei stolperte er über sein Schwert und fiel auf die Nase. Sein Brustharnisch schepperte laut, sein Schild sauste über den Holzboden und wurde von einem lachenden, breitschultrigen Zuschauer aufgefangen. Reginald wälzte sich, offenbar unter Schmerzen, herum, krümmte sich zusammen und stöhnte zum Gotterbarmen.

Die Menge jubelte vor Begeisterung. Doch es wurde unverzüglich still im Saal, als Luzifer mit teuflischem, ohrenbetäubendem Gebrüll zur Mitte des Saals vorsprang, um den hingestreckten Helden herumtanzte und versuchte, ihn mit den spitzen Zinken der Heugabel zu stoßen.

„Nimm dies, du kleiner Narr!“, brüllte er. „Ich werde dich lehren, den Inbegriff des Bösen zu fürchten!“

Reginald sprang flink auf die Füße und wich den tödlichen Stößen aus. Zur Überraschung des Teufel holte der zwergenhafte Ritter mit seinem Schwert aus, nicht etwa, um die langstielige Waffe abzuwehren, sondern um gezielt auf die Schienbeine seines Gegners einzuprügeln. Immer wieder hieb er auf Luzifers Knie und Knöchel. Ein Musikant auf der Empor schlug den Takt dazu, als der Erzfeind ganz zum Gefallen des Publikums im Saal herumhüpfte.

Am Ende erwies Luzifer sich als Feigling und rannte kreischend vor Empörung und Schmerz zur Tür hinaus.

Von dem bösen Bann befreit erhoben sich die zehn Jungfrauen von ihren Fensterbänken und warfen Reginald Kusshändchen zu.

„Unser Lancelot“, riefen sie zu ihm herab. „Du hast uns gerettet. Du darfst eine von uns zur Braut erwählen.“

Gerade als der kleine Hofnarr eine Reihe überladener Verbeugungen vor seinem wohlwollenden Publikum in Angriff nahm, sprangen zwei weitere böse Geister durch den Raum. Sie packten ihn bei den Armen und zerrten ihn, der nach Leibeskräften kreischte, zur Tür hinaus.

Bevor die Lords und Ladys Gelegenheit fanden, auf den plötzlichen Abgang des Helden zu reagieren, war aus der entgegengesetzten Richtung das Stampfen marschierender Füße, begleitet vom Klageton eines Dudelsacks und Getrommel, zu hören.

Und die Highlander marschierten in den Saal ein – leicht als die Truppe der Akrobaten zu erkennen, die jetzt in Tartans und Kappen gekleidet waren. Ihr hochgewachsener Anführer mit seiner roten Perücke überragte alle anderen, denn er ging auf Stelzen. Seine dünnen Holzbeine steckten in karierten Strümpfen.

„Wir tapferrren, starrrken Schotten werrrden diese schönen Jungferrrn heirrraten“, verkündete er, wobei er die „R’s“ übertrieben rollte. „Und ich nehme die Schönste zurrr Brrraut.“

Dröhnendes Gelächter hallte durch den Saal. Francine stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf, senkte den Kopf und barg das Gesicht in den Händen. Als sie zwischen ihren Fingern hindurchlugte, fing sie den argwöhnischen Blick Lachlan MacRaths auf.

Er sah sie direkt an.

Gütiger Gott im Himmel.

Was immer seine Schwächen sein mochten, der viel geschmähte Zauberer der Meere war ganz sicher nicht dumm.

3. KAPITEL

Wie um sich zu beruhigen, atmete Francine tief durch und beobachtete voller Überraschung, wie der Earl of Kinrath und seine Gefolgsleute gutmütig über die als Highlander verkleideten Akrobaten lachten, die um das Feenschloss herummarschierten.

Noch mochten die Schotten lachen.

Wenn das Fest vorüber war, lachten sie bestimmt nicht mehr. Und wenn ihr Zorn sich in einer hässlichen Szene Luft machte, könnte es Verletzte, wenn nicht gar Tote geben.

Abgesehen von den königlichen Leibgardisten würde kein Engländer, der nicht des Hochverrats bezichtigt werden wollte, es wagen, in der Gegenwart des Königs sein Schwert zu zücken. Sollten die erzürnten Schotten so töricht sein, wäre höchstwahrscheinlich ein Blutbad die Folge. Dann würde die bevorstehende Vermählung des schottischen Herrschers und der englischen Prinzessin für null und nichtig erklärt werden. Der Anglo-Schottische Friedensvertrag zwischen den beiden Königreichen würde zerrissen werden.

Und sie, Francine Granville, die Dowager Countess of Walsingham, müsste ihre wenigen verbleibenden Lebenstage womöglich im Tower fristen. Ihre süße, unschuldige Tochter Angelica würde als mittellose Waise zurückbleiben, denn der Besitz einer verurteilten Schwerverbrecherin fiel der Krone zu.

Sollte das Schlimmste eintreffen, würde Francine ganz sicher nicht ihre Unschuld beteuern können. Nein, sie, sie allein wäre verantwortlich für Schäden an Leib und Leben.

Von Kindesbeinen an hatte sie sich nie vor dem Eingeständnis gedrückt, dank mangelnder Vorsicht und Voraussicht ein Unheil nach dem anderen angezettelt zu haben, während ihre fügsame Schwester Cecilia die ideale, gehorsame Tochter war.

Francine, allzu eigenwillig und starrsinnig, hatte die Langmut ihres geduldigen Vaters, Gott hab ihn selig, beinahe bis zu dem Tag, an dem ihr Gatte die Verantwortung für ihr gutes Benehmen und ihre Anständigkeit übernahm, auf eine harte Probe gestellt. Und Mathias war sogar noch nachsichtiger gewesen als Lord Palmer.

„Wer sein Kind liebt, der züchtigt es“, hatten die Nachbarn ihren Vater nach jeder unseligen Eskapade ermahnt. Und jetzt hing genau die angedrohte Folge wie eine dunkle Wolke der Verdammnis über Francines Haupt.

Francine schloss die Augen.

Gütiger Vater im Himmel, betete sie, wenn du mich vor dieser Katastrophe bewahrst, dann gelobe ich … Ich gelobe … Ich gelobe, dass ich nie wieder etwas so Törichtes tun werde. Und bitte lass nicht zu, dass er mich in eine Katze verwandelt. Du weißt, wen ich meine. Amen.

Doch Gott in seiner Weisheit ließ sich nicht dazu herbei, gegen die dräuende Katastrophe einzuschreiten, sondern ließ es zu, dass die Lustbarkeit genauso vonstattenging, wie Francine sie geplant hatte.

Der Engel der Liebe auf der höchsten Zinne des Schlosses, reizend dargestellt von Lady Constance, hob zur Vorsicht mahnend die Hand. „Wartet, ihr Schotten!“, rief er. „Ihr wart es nicht, die Beelzebubs bösen Zauber gebrochen habt! Unserem tapferen Recken, Sir Reginald, gebührt die Hand der schönsten Jungfer als Braut. Nicht eurem Anführer, mag er auch ein großer, gut aussehender Bursche sein.“

Die Highlander, dargestellt von den Akrobaten, in schwarz-weißen Kilts über langen, eng anliegenden Strümpfen, die Zipfel der Stoffbahnen über den Schultern ihrer seidenen Wämser festgesteckt, lachten und spotteten über die Worte des Engels. Mit blitzenden dunklen Augen stemmten sie die Hände in die schmalen Hüften und stolzierten durch den Saal.

„Du kannst uns unseren Preis nicht verweigern“, rief der Anführer, immer noch auf Stelzen, dem Seraph hoch oben zu. „Wenn es sein muss, holen wir uns das, was wir wollen, mit Gewalt!“

Unter leisen Schreckensschreien, sichtlich verängstigt durch die Drohung des Highlands-Lairds, wichen die zehn Edelfräulein entsetzt zurück. „Bitte, lieber Engel, bewahre uns vor diesen bösen Kreaturen“, flehten sie.

„Seid keine Närrinnen“, höhnten die Schotten verächtlich. „Ohne unsere Bräute werden wir nicht weichen. Wir bleiben, bis ihr euch ergebt!“

Die Männer steckten die Köpfe zusammen und schmiedeten einen geheimen Plan. Dann schlugen sie unter tiefem, maskulinem Gebrüll eine Serie von Purzelbäumen über die Eichendielen. In einer genialen Demonstration von Artistik und Kraft sprangen einige wie Tiger in die Luft über ihre fallenden Gefährten hinweg und vollführten, zurück auf dem Boden, eine Reihe von Vorwärtsrollen. Andere schlugen einarmig Räder, immer und immer wieder flogen sie über den Boden, andere liefen auf den Händen.

„Stürmt das Schloss!“, befahl der Anführer schließlich.

Auf seinen Befehl hin kletterten die Akrobaten flink die Ranken an den Schlossmauern hinauf. Einige stiegen anderen auf die Schultern, um die obersten Fenster erreichen zu können. Doch während die Männer hinaufkletterten, nahmen die schönen Jungfern ihre Rettung selbst in die Hand.

Ihr Mädchenlachen stieg auf zur Gewölbedecke, während die jungen Damen die Angreifer mit Orangen und Datteln bewarfen. Mutig wie alle Verteidiger eines belagerten englischen Schlosses, wehrten sie die räuberischen Schotten mit Geschossen aus Feigen und Bonbons ab.

Als Obst und Süßigkeiten auf ihre Köpfe und Schultern niederprasselten, schnellten die Akrobaten in mehrfachen Rückwärtsrollen zurück zu Boden, und das Publikum zollte ihnen angesichts ihrer anmutigen und geschickten Kunststücke frenetischen Beifall.

Während der Applaus für Ablenkung sorgte, rückte Francine kaum merklich ein wenig zur Seite, nur so weit, dass sie Kinrath aus den Augenwinkeln beobachten konnte. Er lachte laut und bellend wie seine Clanbrüder auch. Selbst der ältliche Earl of Dunbarton stimmte in die allgemeine Erheiterung ein. Die unverschämte Farce schien keinen der Schotten auch nur im Geringsten zu verärgern.

Francine war erleichtert über die gut gelaunte Reaktion, bekam aber doch einen Schreck, als der Highlands-Laird den Kopf drehte und sie ansah. Wohlwollende Belustigung funkelte in seinen Augen, so, als ob er und sie irgendein herrliches Geheimnis teilten.

Herr im Himmel.

Er kannte die Wahrheit.

Er konnte die Wahrheit unmöglich kennen.

Aber er wusste Bescheid.

Irgendwie schien er sie dazu herauszufordern, ihre Rolle in dieser Komödie zu leugnen, während er sich gleichzeitig herrlich amüsierte.

Die Angreifer setzten sämtliche akrobatischen Tricks ein, um zu den Mädchen zu gelangen. In dem Moment, als die Männer die Fensterbänke erklimmen wollten, leerten die Mädchen Schüsseln voller Walnüsse über ihren Köpfen aus. Unter zwitscherndem Gelächter gossen die charmanten Jungfern den Männern eimerweise Rosenwasser über die Köpfe, und die Möchtegern-Angreifer sahen sich zum Rückzug gezwungen.

Ratlos und durchnässt formatierten sich die Männer neu vor dem Schloss, während das Siegerlachen der jungen Damen sich mit dem des zuschauenden Adels mischte.

Und Francine spähte erneut aus den Augenwinkel quer durch den Saal zum Earl of Kinrath. Der Laird und seine Clanbrüder brüllten inzwischen vor Lachen, genauso wie die übrigen Zuschauer. Statt sich über die Darstellung ihrer selbst zu ärgern oder wütend zu werden, fühlten sie sich wegen der Spötteleien offenbar keineswegs gekränkt.

Als das Gelächter schließlich abebbte, richtete der Engel der Liebe erneut das Wort an den parodierten Anführer der Highlander. „Hast du, Schotte, dich entschlossen, deinen Anspruch auf diese lieblichen Geschöpfe aufzugeben?“

„Ganz und gar nicht“, antwortete er kühn. „Von ein paar armseligen Geschossen, die unsere Köpfe treffen, lassen wir uns nicht abschrecken. Und wir bedanken uns höflich für die Eimer voll Duftwasser. Wir alle hatten ein Bad heute Abend bitter nötig.“

„Dann können wir vielleicht, wenn es dir recht ist, Sir, einen Kompromiss finden“, schlug das himmlische Wesen vorsichtig vor. „Würdest du in einen Waffenstillstand einwilligen, wenn du und nur du allein unser schönstes Fräulein zur Frau bekommst?“

„Aber ja!“, entgegnete er sofort, ohne sich mit seinem Landsleuten abzusprechen.

Während seine Leute laut murrten, sprang ihr Anführer von seinen Stelzen und schritt zum geschlossenen Portal des Schlosses, das sich prompt öffnete und den Blick auf ein stämmiges, deftiges Weibsbild freigab, das fast so groß war wie der Laird selbst.

In eine römische Palla gehüllt, die Züge verborgen hinter dem blauen Schleier, den sie sich vors Gesicht hielt, trat sie mit ansprechendem Hüftschwung vor.

Der Laird aus den Highlands zog sie in seine Arme, während gleichzeitig die zehn Fenster des Schlosses zuklappten, sodass die tugendhaften Damen hinter schweren Holzbrettern in Sicherheit waren.

„Mein liebes Mädchen“, raunte der Schotte, unbeeindruckt davon, dass seine Trophäe von ihm fortstrebte. Er spitzte die Lippen, doch sein Kuss ging ins Leere, da sie zur Seite auswich. Doch als sie sich losriss, hielt er ihren Schleier fest, sodass dieser schließlich das bärtige Gesicht eines gut aussehenden dunkelhäutigen Mannes freilegte.

Der Mann lächelte dümmlich und klimperte mit den dichten schwarzen Wimpern. „Ach, lieber Laird“, intonierte er in höhnischem Falsett, „Eure Männlichkeit macht mich ganz schwach. Ich schwöre, ich will Euch eine liebevolle, fügsame Gattin sein.“

Der Schotte schreckte angewidert zurück. „Was ist das für ein verdammenswerter Schwindel?“, brüllte er und stieß den Mann von sich. Er blickte hinauf zu dem Engel auf der Zinne und schüttelte die Faust. „Du hast mich hereingelegt! Welcher Engel gäbe sich wohl für solch einen niederträchtigen Betrug her?“

„Ich rate dir, dich anderweitig nach einer Ehegefährtin umzusehen“, antwortete Lady Constance mit einem koketten Lächeln. „Diese jungen Damen sind längst ihren ansehnlichen Landsmännern versprochen.“

Wütend, weil sie überlistet worden waren, schnappten sich die Highlander ihren Anführer, hoben ihn hoch über ihre Köpfe und trugen ihn durch eine offene Tür aus dem Saal.

Die Zuschauer applaudierten voller Begeisterung. Selbst die Mitglieder des Clans MacRath fielen mit ein, ihr dröhnendes Gelächter schallte durch den Raum.

Francine war erleichtert, mied jedoch den scharfsichtigen Blick des wahren schottischen Anführers. Wer hätte gedacht, dass ein Pirat einen so erstaunlichen Sinn für Humor haben könnte?

Francine presste die Fingerspitzen auf die dicken Fäden der goldenen Stickerei, die ihre fest geschnürte Taille zierte. Sie hatte das Gefühl zu ersticken.

Sie senkte den Kopf zu einem Dankgebet für ihre Errettung.

Gütiger Gott.

Die Reise nach Schottland würde ihr sehr, sehr lang werden.

Auf seinem Platz am Tisch im hintersten Winkel des großen Tudor-Saals wandte Lachlan sich an seinen Cousin Colin, der neben ihm saß. „Bringe den Namen des Musikanten in Erfahrung, der den Dudelsack spielte“, sagte er leise, im Begriff, sich zum auf das Schauspiel folgenden Tanz zu erheben. Er neigte den Kopf und fügte hinzu: „Aber bitte unauffällig.“

Sobald die Lakaien die Tische und Bänke fortgeräumt hatten, begannen die Musikanten auf der Empore die vertraute Melodie für den Schreittanz zu spielen, der auf jedem förmlichen Fest bei Hofe als erster Tanz auf dem Programm stand. Die Paare stellten sich, geordnet nach Rang und Vermögen, hinter König Henry und seiner Tochter, Prinzessin Margaret, zu einer feierlichen Prozession durch den Großen Saal auf.

Hoch erhobenen Hauptes, mit gestrafften Schultern promenierte Francine an der Seite des französischen Botschafters. Ihre hochgereckten Hände berührten einander sachte, ihre Füße lösten sich kaum vom Boden.

Sie versuchte, über die Schultern der vor ihr Schreitenden zu spähen, reckte den Hals, um einen Blick auf den furchterregenden schottischen Piraten zu erhaschen. Als einer der Repräsentanten König James’ von Schottland war er ausersehen, die Großmutter der Prinzessin, Lady Margaret Beaufort, durch den Saal zu führen.

Zu Francines Überraschung absolvierte der berüchtigte MacRath den würdevollen Tanz mit lässiger Überlegenheit und unter regem fröhlichen Geplauder mit der ältlichen Königin-Mutter. Lady Margaret, normalerweise sehr penibel im Hinblick auf Status und Etikette, lachte und unterhielt sich mit dem Earl of Kinrath, als wäre er ein lange verschollener Neffe von der Lancaster-Seite.

Francine warf einen Blick hinter sich und sah, dass Lady Pembroke Gillescop Kerr, den Earl of Dunbarton, zum Partner hatte. Die attraktive Brünette schenkte dem grauhaarigen schottischen Diplomaten, der den historischen Friedens- und Ehevertrag so sorgfältig mit Mathias ausgearbeitet hatte, kaum Beachtung. Stattdessen versuchte Diana gar nicht erst zu verbergen, wie sehr der Anführer des schottischen Clans sie faszinierte. Mit begehrlichem Blick verfolgte sie jede seiner Bewegungen.

An diesem Abend hatte Diana entschieden mehr Konkurrenz als üblich um den Mann, den sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Als Francine sich im Saal umsah, stellte sie fest, dass sie und ihre dunkelhaarige Freundin bei Weitem nicht die einzigen weiblichen Wesen waren, die Laird Kinrath nicht aus den Augen ließen. Dutzende von edlen Damen schickten ihm strahlende, kokette Blicke und ermutigten den Highlander unverhohlen, sie um den nächsten Tanz zu bitten.

Barmherziger Himmel, war denn keiner von ihnen bewusst, welcher Gefahr sie sich in die Arme werfen wollten? Francines Miene verdüsterte sich, als sie sich auszumalen versuchte, worin genau diese Gefahr bestehen mochte.

Autor

Kathleen Harrington
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Highland Lairds Trilogy