Die Schöne und das Highland-Biest

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Schottland, 1706. Einst war er ein starker Mann, der Stolz seines Clans, aber nun ist Dair Og gebrochen aus den Händen der Engländer zurückgekehrt. Wenn seine Schreie durch die Nacht dringen, spricht man flüsternd von dem "Wahnsinnigen von Carraig Brigh". Doch eine Prophezeiung besagt: Eine jungfräuliche Braut wird Dair von seinem Leiden befreien! Aber welche zarte Unschuld wird freiwillig ein Highland-Biest heiraten? Die letzte Hoffnung ist die schöne, junge Fiona, eine der zwölf Töchter des Lairds der MacLeods. Können ihre zarten Hände und ihr weiches Herz dem Highlander seinen verlorenen Lebensmut zurückgeben - oder ist er für immer verloren?


  • Erscheinungstag 01.06.2018
  • Bandnummer 104
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779818
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Carraig Brigh, Schottland, 1706

Die Männer des Sinclair-Clans holten Moire o’ the Spring mitten in der Nacht. Sie kamen zu viert und sie riefen, es sei dringend, als sie in die kleine Hütte eindrangen und Moire unsanft aus dem Schlaf rüttelten. Sie stießen mit ihren Köpfen gegen Kräuterbündel, die von den niedrigen schwarzen Deckenbalken herabhingen, und während sie die Vorräte an knorrigen Wurzeln, getrockneten Beeren und Heilkräutern betrachteten, die genauso verschrumpelt aussahen wie die alte Moire selbst, bekreuzigten sie sich schnell.

Der Geruch von Männerschweiß überlagerte den staubig-grünen Duft der Pflanzen; Moires Nasenflügel bebten, und sie spürte Angst in sich aufsteigen. Ihr blieb kaum Zeit, sich ein Tuch umzulegen, da packten die Männer sie schon bei den Armen und trugen sie hinaus. Sie waren nicht brutal, eher entschlossen, und Moire wusste, sie würde mit ihnen gehen, ob sie wollte oder nicht. Zwei Männer hoben sie hinter einen Reiter auf ein robustes Highlandpony und ritten so schnell mit ihr davon, wie sie gekommen waren.

„Wer hat Euch geschickt? Wohin reiten wir?“

Ihre Fragen blieben unbeantwortet.

Vermutlich lag irgendein armes Mädchen in den Wehen und brauchte ihre Hilfe. Es musste jemand Bedeutsames sein, warum sonst hätte man mitten in der Nacht vier Männer losgeschickt, um eine Hebamme zu holen?

Die Ponys trabten über die niedrigen Hügel entlang der Küste auf das Dorf Carraig zu. Moire erschrak, als sie vom Pfad abbogen, der ins Dorf hinab führte, und den Weg zur Burg hinauf einschlugen. Es gab keine schwangeren Mädchen auf Carraig Brigh, dort herrschten nur Wahnsinn und Tod. Moire stieß einen Schreckenslaut aus und versuchte unbemerkt von ihrem Pony zu rutschen, doch der Reiter hielt sie fest. „Immer mit der Ruhe, alte Frau, man wird dich gut bezahlen.“

Sie hatten sie geholt, damit sie den Sohn des Clanoberhauptes heilte. Moire spürte, wie ihr Angstschweiß ausbrach, der kalte Wind ließ sie erschauern. Sie kannte die Geschichten über Alasdair Og Sinclair, die man sich hinter vorgehaltener Hand leise zuflüsterte. Der Mann, den alle Welt den Laird o’ the Seas nannte, war eines Tages zu einer Schiffsreise nach Frankreich aufgebrochen, die er sicher schon hundert Mal unternommen hatte. Wochen später kehrte er völlig gebrochen und wahnsinnig nach Carraig Brigh zurück. Seine Mannschaft war tot, sein Schiff geplündert und geraubt. Er blutete aus Wunden, die nicht heilen wollten, und nachts schrie er von Alpträumen geplagt im Schlaf. Es hieß, Alasdair Og sei verflucht und dazu verdammt, gegen den Teufel in seinem Kopf um seine Seele kämpfen zu müssen.

Es spielte keine Rolle, wie viel Gold Chief Padraig Sinclair Moire bot, sollte sie seinem Sohn nicht helfen können, würde sie es mit ihrem Leben bezahlen. Er hatte schon ganz andere Heiler nach Carraig Brigh kommen lassen. Sie kamen von weither und arbeiteten mit Methoden und Tränken, von denen Moire noch nie gehört hatte. Nicht einem von ihnen war es gelungen, Alasdair Og zu heilen und seinen normalen Geisteszustand wiederherzustellen. Sobald sie versagten, hieß es, stieß der Chief sie vom höchsten Punkt seiner Burg und sah zu, wie ihre zerschmetterten Körper neben seiner Flotte im Meer versanken. Einer Flotte, die nicht mehr hinausfuhr, weil ihr Kapitän verrückt geworden war.

Wie hatten die Sinclairs nur von Moire erfahren? Sie lebte doch so zurückgezogen und bescheiden. Sie kümmerte sich um die uralte Quelle der Göttin und half nur denen, die zu ihr kamen. Als sie zum Turm von Carraig Brigh hinaufstarrte, der wie ein dürrer schwarzer Finger aus einer massiven steinernen Faust herauszuragen schien, spürte sie die Kälte vor Angst kaum noch.

„Ihr begeht einen großen Fehler“, jammerte sie, als sie unter den eisernen Zähnen des Fallgatters hindurchritten. „Ich bin nur eine einfache Hebamme.“ Doch der Wind wehte ihr Flehen über die Klippen hinweg, niemand hörte ihr zu.

Im Burghof standen Männer im flackernden Schein sturmgepeitschter Fackeln. Moire konnte kein freundliches Gesicht erkennen, niemand hieß sie willkommen. Irgendjemand zerrte sie vom Pony und führte sie mit festem Griff um den Arm über den Hof. Das Fallgatter senkte sich scheppernd, dann erklang aus dem Turm ein so qualvoller Schrei, dass Moire entsetzt zusammenzuckte. Die Clan-Mitglieder bekreuzigten sich schnell und sahen verstohlen hinauf zu dem schmalen Fenster hoch über ihnen.

Moires Begleiter nahm dem nächststehenden Mann die Fackel ab, öffnete eine mit Eisen beschlagene Tür und stieß Moire die dahinter befindlichen Stufen empor.

„Verfügst du wirklich über magische Kräfte, alte Frau?“, fragte er unwirsch. „Du kannst nur hoffen, dass du einen wirklich guten Heilzauber kennst.“

Sie stolperte. Eine Hexe. Sie glaubten, sie hätten eine Hexe geholt. „Ich bin Hebamme, eine arme alte, wehrlose Hebamme“, protestierte sie atemlos. Die gewundene Steintreppe war sehr steil, doch der Mann ließ ihr keine Zeit zum Verschnaufen. Er zog sie rücksichtslos hinter sich her und sie hatte große Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Ihre alten Beine waren schwach. Sie zupfte an seinem Ärmel. „Bitte, das muss ein Irrtum sein.“

„Das ist kein Irrtum, Moire o’ the Spring. Wir sollten dich und keine andere holen. Der Chief würde den Teufel höchstpersönlich herbeirufen, wenn dieser seinen Sohn retten könnte.“

Moire nahm all’ ihren Mut zusammen. „Was fehlt ihm denn?“, fragte sie.

Er schnaubte verärgert. „Hast du jemals von Jean Sinclair gehört?“

„Natürlich. Sie ist das Mädchen, das sie die Geweihte Jungfer von Carraig Brigh nannten“, erwiderte Moire.

„Genau. Sie war Alasdair Ogs Cousine, die Nichte vom Chief. Padraig war nicht erfreut, als sie beschloss, den Schleier zu nehmen und sich in ein französisches Kloster zurückzuziehen.“ Er rieb mit seiner Hand über sein Gesicht. „Es ist eine schlimme Geschichte. Sie stachen in der Sinclair-Bucht in See und gingen für die Nacht in Berwick vor Anker, wo sie in einen Hinterhalt englischer Soldaten gerieten. Alasdair glaubte an einen Irrtum. Er dachte, sie hätten sie mit Piraten verwechselt oder seien einfach nur auf Lösegeld aus. Er rechnete mit ein paar Tagen Verzögerung, bevor sie Jean mit einem Lösegeld freikaufen und weitersegeln könnten, doch den Engländern ging es gar nicht um das Geld. Sie haben das Gold und die Waren an Bord, das ganze Schiff kurzerhand an sich genommen und die Mannschaft ermordet. Dann schlugen sie Alasdair halb tot und warfen ihn und Jean ins Verließ von Coldburn Keep.“

Moire presste die Hand an ihre Kehle und erschauerte.

„Das Schlimmste jedoch war das, was sie der armen kleinen Jean antaten. Sie haben sie vor Alasdairs Augen vergewaltigt, gefoltert und umgebracht. Er war an der Mauer festgekettet und konnte ihr nicht helfen. Sie flehte Gott um Beistand an, sie war doch nur ein zartes kleines Mädchen, doch die Engländer sagten, eine Katholikin aus den Highlands wäre nichts weiter als eine götzendienerische Hexe. Es war purer Hass, nicht nur auf die Schotten, sondern ganz besonders auf Alasdair Og. Sie nannten ihn einen Piraten und warfen ihm Dinge vor, die überhaupt nichts mit den Sinclairs zu tun hatten, und schon gar nichts mit der kleinen Jean, und Alasdair sagten ihnen das auch, aber sie hörten gar nicht zu. Vierzehn Tage lang lag er in seinem eigenen Schmutz, angekettet, verletzt, und musste mit anhören, wie sie sie schlugen, ihr die Knochen brachen und sie folterten. Sie hielten ihn am Leben, damit er ihre Schreie hören konnte.“

„Und dann?“, fragte Moire.

Der Mann verzog das Gesicht. „Dann hängten sie sie als Ketzerin im Innenhof und Alasdair wurde gezwungen, aufzustehen und es vom Fenster aus mit anzusehen.“ Er war zwei Stufen über ihr stehen geblieben und sah sie an. „Er kann das alles nicht vergessen. Deshalb halten sie ihn für verrückt. Er hat Alpträume, wird von ständigen Schmerzen gequält und erschrickt vor jedem Schatten. Kannst du ihm helfen?“

Moire zuckte zusammen. Wurde Alasdair Og vom Geist der Geweihten Jungfer heimgesucht? Vielleicht war es ja doch ein Teufelswerk. Moire wusste nur wenig über den Gott der Christen, weder über den der katholischen noch über den der Gegenseite. Sie diente einzig und allein der uralten Göttin und kümmerte sich um deren heilige Quelle …

Ein neuerlicher qualvoller Aufschrei ertönte von der Spitze des Turms. Moire lehnte sich an die kalte Mauer und schlug mit der Hand das Zeichen gegen das Böse.

Ihr Begleiter griff wieder nach ihrem Arm. „Komm mit.“ Er öffnete eine Tür am Ende der Treppe und zog Moire hindurch. Die Kammer lag beinahe im Dunkeln, nur der Schein einer kostbaren Bienenwachskerze erhellte den Raum ein wenig. In einer Ecke glommen paar Kohlen in einem Becken. Der süße Duft der Kerze vermischte sich mit dem Gestank von geronnenem Blut, von Fäulnis und Schweiß. Moire kannte diesen Gestank, er kündete von einer Krankheit, die Moire nicht heilen konnte, und vom sicheren Tod.

Sie betrachtete den Mann auf dem schmalen Bett. Alasdair Og war groß, doch sein Körper wirkte starr und seine Halsvenen traten deutlich hervor. Seine Fäuste zerknüllten das Laken aus feinem Leinen unter ihm. Sein linkes Bein war von den Hüften bis zum Knie verbunden, und auf seiner Brust und auf den Armen konnte Moire wulstige dunkelrote Narben sehen. Abgesehen von diesen Narben war seine Haut von ungesunder fiebriger Blässe. Die Augen lagen tief in den Höhlen des markanten Gesichts und niemand hatte sich bemüht, die mehrfach gebrochene Nase zu richten. Mitleid stieg in ihr auf. Dieser Mann musste einmal sehr gutaussehend gewesen sein, so hochgewachsen und gut gebaut, wie er war.

Sie sah sich im Zimmer um. In einer Ecke betete ein kniender Priester leise den Rosenkranz, seine weiche Stimme wurde von Alasdairs lautem Stöhnen übertönt.

Doch es saß noch jemand im Schatten und mit ausgestreckten Beinen auf dem einzigen Stuhl im Zimmer, und dieser jemand musterte sie mit einer Kälte, die sie bis in die Knochen spürte. An der Schulter des Clanoberhaupts der Sinclairs von Carraig Brigh heftete eine edle Fibel, und der rote Stein darin glitzerte im Kerzenlicht wie das Auge des Teufels. Das Haar des Mannes war dicht und dunkel wie das seines Sohns, aber durchzogen von grauen Strähnen, und das Gesicht wirkte faltig und verhärmt. Dennoch flog auch Padraig Sinclair Moires Herz zu, denn sie wusste, dass er jede einzelne qualvolle Stunde bei seinem Sohn verbracht hatte. Der Mann brauchte Schlaf und Hoffnung, aber sie konnte ihm weder das eine noch das andere bieten.

„Kannst du meinen Sohn heilen?“ Seine Stimme klang hart wie Stein und trotzdem leise, als hätte er Angst, den Mann auf dem Bett zu wecken.

Moire behandelte nur leichte Erkrankungen und Verletzungen. Sie gab Frauen Kräuter und Talismane, damit sie Kinder bekamen oder verhüteten, um Schmerzen zu lindern und die Geburt leichter zu gestalten. Sie hatte keine Erfahrung im Umgang mit Kriegsverletzungen oder Wahnsinn. Sie sah zu dem Mann, der sie hergebracht hatte, und der jetzt mit verschränkten Armen zwischen ihr und der Tür stand. Sein Blick war genauso kalt wie der des Chiefs. Selbst der Priester hielt den Rosenkranz jetzt still und sah sie finster an.

Moire näherte sich dem Bett und betrachtete den Patienten, um kostbare Zeit zu gewinnen. Ihre Hände zitterten und ihre Gedanken überschlugen sich. Was würde sie tun, wenn es sich bei dem Patienten um ein schwangeres Mädchen in Wehen handelte? Sie legte die Hand auf Alasdair Ogs Stirn und spürte sofort eine große Hitze. Er zuckte unter der Berührung zusammen und murmelte: „Jean …“

Moire konnte sich nicht vorstellen, was er in seinem Fieberwahn durchlitt, sie wollte es auch nicht. Mit dem Daumen hob sie sein Augenlid an und sah ihm ins Auge. Es erwiderte ihren Blick nicht. Sie trat zurück und rieb die Hände an ihrem verschlissenen Rock.

„Nun?“, fragte Padraig Sinclair

Moire zögerte ratlos. Solch’ schreckliche Wunden, solch’ schreckliche Qualen. Konnte sie es wagen, dem Chief zu sagen, dass sein Sohn sterben würde? Sie sah, wie boshaft der Priester mit den Lippen zuckte. Hexe … Er sprach das Wort nicht aus, aber sie hörte es dennoch. Vor lauter Todesangst blieb ihr die Wahrheit in der Kehle stecken.

Moire wusste, wie man Ängste und Schmerzen bei einer Geburt linderte. Unterschieden sich diese wirklich so sehr von denen Alasdair Ogs? Mit zitternden Fingern öffnete sie den Beutel, der an einer Schnur um ihre Taille hing, und entnahm ihm ein kleines Säckchen Baldrian. Sie zerrieb die getrockneten Blätter zwischen ihren Händen und ließ sie in den Kelch neben dem Bett rieseln. Anschließend gab sie Wein hinzu und schob den Schürhaken ins Kohlebecken. Als das Eisen heiß genug war, tauchte sie es in den Trunk, um ihn zu erwärmen.

„Hilf mir, seinen Kopf anzuheben“, bat sie den Mann an der Tür. Er kam zu ihr und schob den Arm unter Alasdairs Kopf. „Das wird Euch helfen, Eure bösen Träume zu vertreiben“, murmelte sie, während sie den Kelch an Alasdairs rissige Lippen hielt. Er verzog das Gesicht, aber er schluckte. Das war ein gutes Zeichen, sie hatte nicht damit gerechnet. „Es wird ihm helfen, sich auszuruhen“, wiederholte sie an den Chief gewandt, der sie nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Sie drehte sich wieder um, um die Wunden seines Sohns zu untersuchen. Die Narben auf seiner Brust waren dick und schartig. Sie beugte sich darüber und roch an ihnen, nahm aber keinen Fäulnisgeruch wahr. Die Wunde an seinem rechten Arm, vom Ellenbogen bis zum Handgelenk reichend, war schlecht verheilt. Man hatte sie viel zu lange Zeit nicht genäht oder angemessen versorgt. Jetzt sah die Narbe hässlich aus, sie war rot und geschwollen, aber kein roter Strich auf dem Unterarm deutete auf eine Blutvergiftung hin. Dieser Mann war wirklich stark.

Ganz zum Schluss wandte sie sich seinem verletzten Bein zu, von dem sie das Schlimmste annahm. Selbst im faden Kerzenschein erkannte sie, wie dunkles Blut und gelber Eiter durch den Verband sickerte. Sie beugte sich darüber und fuhr abrupt zurück, so unerträglich stank die Wunde. Die Wundfäule war weit fortgeschritten. Ihr Gift würde sich unweigerlich im ganzen Körper ausbreiten und Alasdair töten.

Der Clanchef beobachtete sie mit hartem Blick. Er biss die Zähne zusammen und umklammerte das Heft seines Dolches, als könnte er allein mit seiner Willenskraft seinen Sohn am Leben erhalten.

„Wie lange …“ Der Gestank verschlug ihr den Atem. „Wie lange ist er schon in diesem Zustand?“

„Sieben Wochen, vielleicht acht“, erwiderte sein Vater. „An manchen Tagen ist er fast wie früher und es scheint ihm besser zu gehen. An anderen Tagen ist er wieder krank, hat Fieber und ängstigt sich. In den Nächten ist es am schlimmsten …“ Er schluckte und senkte den Blick, doch Moire waren die glitzernden Tränen in seinen Augen nicht entgangen. Doch als er wieder aufsah, wirkte er wie versteinert. „Du wirst ihn heilen“, befahl er.

Das konnte sie nicht. Moire öffnete den Mund, um ihn auf den Tod seines Sohnes vorzubereiten, doch er zog den Dolch und trat mit ihm in der Hand auf das Bett zu. Die Klinge schimmerte im Kerzenschein. Wieder erstarben Moire’s Worte vor Angst. Doch anstatt ihr den Dolch ins Herz zu rammen, durchschnitt der Clanchef den Knoten des Verbandes um Alasdairs Bein und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, fortzufahren.

Ihre Hände zitterten, als sie den Verband abnahm, und sie versuchte, nicht zu atmen. Der Gestank breitete sich in dem kleinen Zimmer aus. Der Priester drehte sich um und erbrach sich in die Binsenstreu auf dem Boden. Der Mann an der Tür presste seine Hand vor Mund und Nase. Der Clanchef zuckte mit keiner Wimper. Er starrte auf die hässliche Wunde, aus der faulig riechende gelbe Flüssigkeit sickerte. Moire hatte erlebt, wie tapfere Männer bei einer Geburt in Ohnmacht fielen, doch hier lauerte der Tod, und dennoch hielt Padraig Sinclair sich aufrecht. War er so sehr daran gewöhnt, Männer sterben zu sehen? Sie konnte beinahe schon den Flügelschlag der Rabengöttin des Todes über dem Bett spüren. Der Priester hielt mit einer Hand sein Kruzifix hoch und murmelte mit dem anderen Unterarm vor der Nase Gebete, als könnte er dadurch dem Fäulnisprozess den Garaus machen. Wenn so etwas möglich war, warum hatte sein Gott den Sohn des Clanchefs nicht längst geheilt? Moire bezweifelte allerdings, dass ihre Göttin erfolgreicher sein würde.

Sie tauchte ein Tuch in den Rest des warmen Weins und säuberte das Bein. Ihr Patient zuckte zusammen und atmete scharf ein, doch er wachte nicht auf. Er murmelte etwas vor sich hin, sprach wohl mit jemandem, den Moire nicht sehen konnte, und sie erschauerte.

Endlich trat sie vom Bett zurück. Das war alles, was sie für den Kranken tun konnte, alles, was sie zu tun gewagt hatte, während der Clanchef und der Priester sie beobachteten. Wenn sie überleben wollte, brauchte sie jetzt ihren Verstand. „Ich benötige mehr als ich mitgebracht habe, andere Kräuter und solche Dinge“, sagte sie vorsichtig. Sie hoffte, endlich gehen zu dürfen.

„Sag mir, was du brauchst, und es wird sofort hergeschafft“, erwiderte Padraig Sinclair. Er wirkte aufgeschlossen und intelligent, gar nicht so grausam, wie die Geschichten es erzählten. Zu spät begriff Moire, dass sie ihm unbeabsichtigt Hoffnung gemacht hatte.

„Oh, nein, ich muss es selbst holen“, entgegnete sie hastig. „Wenn man sich nicht damit auskennt, verwechselt man allzu leicht Frauenminze mit Nachtschatten, oder Kamille mit Nieswurz.“ Wenn sie erst wieder in ihrer Hütte war, würde die Göttin sie schon beschützen, doch jetzt lief ihr der Angstschweiß über den Rücken, als das faltige Gesicht des Clanchefs einen misstrauischen Ausdruck annahm.

„Kannst du meinen Sohn nun heilen oder nicht?“

Es war ihre letzte Gelegenheit, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie konnte nichts weiter tun, als seinem Sohn Linderung zu schenken, bis das Ende kam, und es würde kommen, dessen war sie sich sicher. Aber sie würde es nicht mehr erleben, weil sie dann schon zerschmettert am Fuß des Turms lag. Dabei wollte sie gar nicht sterben, genauso wenig wie Alasdair Og, auch dessen war sie sich sicher. Er kämpfte so sehr … Stumm rief sie die Göttin an, wobei sie sich zwang, dem Laird in die Augen zu sehen.

„Er wird leben“, log sie mit lauter, sicherer Stimme, der Stimme der Göttin. War sie wie durch ein Wunder mitten in der Nacht in diese kleine Kammer gekommen und hatte sich Moires Stimme bemächtigt? Der Priester sah überrascht auf, und selbst die Mauern schienen näher heranzurücken, um zu lauschen. „Die Geweihte Jungfer ist schuld an seinem Zustand, und nur eine andere Jungfer, eine reine Jungfrau, kann Euren Sohn wieder heilen.“

Padraig Sinclair starrte sie eine Weile an. „Dann du vermutlich nicht, altes Weib.“

Trotz ihres Alters und all der Dinge, die sie schon gesehen hatte, errötete Moire.

„Was für eine Jungfer? Eine Braut, eine Nonne, eine heilige Heilerin?“, fragte der Clanchef.

Moire hatte keine Ahnung. „Ihr müsst sie suchen und herbringen“, sprach die Göttin geheimnisvoll aus Moires Mund.

Die Jungfrau“, rief der Priester aufgeregt. Er sprach mit einem schweren ausländischen Akzent. „Unsere Mutter Gottes wird ihn heilen. Wir holen ihr Bildnis aus der Kapelle, lassen uns Reliquien aus Rom schicken und breiten alles vor Eurem Sohn aus. Wir beten und halten Messen ab …“

Die Miene des Clanchefs verfinsterte sich. Er hat Gott aufgegeben, dachte Moire. Oder er vermutete eine Gaunerei, ob von ihr oder dem Priester, das wusste sie nicht so genau.

„Eine lebendige Jungfrau“, beharrte die Göttin und benutzte wieder Moires Stimme. Moire erwiderte den furchteinflößenden Blick des Clanchefs, bis der Mann den Kopf senkte und wieder zu seinem Sohn sah.

„Auf dieser Erde gibt es kein Mädchen mehr, das so ist wie Jean Sinclair“, murmelte Padraig und verstummte. Er rieb sich das Kinn und richtete den Blick wieder auf Moire. „Mein Sohn war verlobt, aber als er in diesem Zustand zurückkehrte, wurde die Verlobung gelöst. Jean war Jungfrau, so hat man es mir jedenfalls versichert. Vielleicht meinst du eine andere Braut aus gutem Haus?“

Moire faltete die Hände und neigte den Kopf zur Seite. „Genau. Ihr müsst aufbrechen, sie suchen und dann hierherbringen.“ Bestimmt war es leichter und gnädiger, wenn Padraig Sinclair nicht auf Carraig Brigh war, sobald der Tod seinen Sohn holte.

Der große Mann an der Tür regte sich. „Es gibt einen Laird auf Glen Iolair, im Westen Schottlands. Dieser MacLeod hat, wie man hört, eine ganze Reihe von Töchtern im heiratsfähigen Alter. Vielleicht ist da ein Mädchen dabei …“ Er zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich haben sie dort, so weit entfernt von uns, noch nichts von Alasdair Ogs … Krankheit erfahren.“

Padraig Sinclair schluckte, und Moire sah, wie er einen Moment lang zwischen Hoffnung und Unentschlossenheit schwankte. Schließlich nickte er. „Ich werde sofort aufbrechen.“ Moire verspürte ein wildes Triumphgefühl, das jedoch erstarb, als er mit dem Finger auf sie zeigte. „Du bleibst bei ihm, bis ich zurückkehre.“ Er beugte sich vor und strich seinem Sohn ein paar dunkle Strähnen aus der Stirn. „Halte ihn am Leben.“ Es war sowohl eine Bitte, als auch ein Befehl.

Ihr wurde schlecht, als die Göttin sie verließ. Zaghaft tastete sie nach der feinen Wolle von Padraig Sinclairs Plaid, als er an ihr vorbeiging. „Ja, Chief, aber wenn sich Eure Suche als erfolglos herausstellen sollte …“

Er fuhr herum, fegte ihre Hand weg und sah sie aufgebracht an. „Wenn mein Sohn während meiner Abwesenheit stirbt, wirst du ihm ins Grab folgen.“

1. KAPITEL

Glen Iolair, Schottland

Laird Donal MacLeod sah unglücklich zu, wie sich seine Töchter daranmachten, einen weiteren Gobelin in der Großen Halle seiner Burg aufzuhängen. Die Handarbeit war ihnen sicherlich sehr gut gelungen, die Stiche waren kunstvoll, die Farben perfekt, das Problem war nur, dass in seiner Halle bereits unzählige Gobelins hingen, genau wie im Rest der Burg, denn seine begabten Töchter wussten nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen als zu sticken oder Dummheiten auszuhecken. Für Donals Geschmack taten sie beides zu ausgiebig.

Er unterdrückte einen Fluch, als Aileen und Meggie, seine beiden ältesten Töchter, das zweischneidige Langschwert des ersten MacLeod mit Beinamen „der Fürchterliche“ von dem Ehrenplatz nahmen, an dem es über zweihundert Jahre gehangen hatte, weil sie den Platz für ihr neuestes Werk brauchten. Sie brachen unter dem Gewicht des herrlichen Schwerts beinahe zusammen. Das Schwert war der ganze Stolz der MacLeods, nun ja, wenigstens der männlichen MacLeods. Zwei seiner jüngeren Töchter, Gillian und Aeife, packten die Waffe jeweils am anderen Ende und schleppten sie zur gegenüberliegenden Seite der Halle, damit sie in einen Abstellraum gebracht werden konnte.

Donal wollte ihnen mitteilen, dass der erste MacLeod sich den Beinamen „der Fürchterliche“ wegen seines Heldenmuts in der Schlacht erworben hatte. Er hatte eben dieses Schwert benutzt, um seine Feinde zu töten, eine reiche Braut zu erbeuten und Glen Iolair für sich zu beanspruchen. Aber dann überlegte es sich Donal doch anders, denn das war keine Geschichte, die ein Mann seinen Töchtern erzählen sollte. Bei solch blutigen Gräueltaten wären sie nur in Ohnmacht gefallen. Es war eine Geschichte, die ein Vater an seinen Sohn weitergab, doch Donal war mit keinem Sohn gesegnet worden. Er war der Letzte seines Stammbaums, der letzte Fürchterliche MacLeod, der auf Glen Iolair herrschte, und zu seiner Schande musste er eingestehen, dass die Halle seiner Burg eher dem Boudoir einer Dame als der Trutzburg eines Kriegers ähnelte. Donal trank einen Schluck von seinem Ale und sah zu, wie Aileen und Meggie den neuen Gobelin auseinanderfalteten. Er sandte ein Stoßgebet zum Himmel, das wenigstens dieser eine Jagdszene zeigte, mit Hunden, die einen blutenden Hirsch zu Fall brachten, oder das Bildnis vom „Fürchterlichen“ selbst, der einen Falken mit blutverschmiertem Schnabel auf der Hand trug, während seine Clansleute hinter ihm Schwerter und Speere schwangen.

Nur irgendetwas Männliches mal zur Abwechslung.

Doch leider erschien stattdessen das sanfte Antlitz von St. Margaret, der heiliggesprochenen Königin von Schottland. Sie tanzte einen Reigen mit ein paar rosigen Bauernkindern auf einer sonnigen Waldlichtung voller bunter Blumen. Der einzige Mann auf dem Bild war ein spindeldürrer Kerl, der Flöte spielte. Flöte, nicht einmal einen anständigen Dudelsack.

Donal kniff die Augen zusammen. In der ganzen Burg gab es nur noch einen Ort, in dem noch keine Gobelins, keine bestickten Kissen und keine bunten Teppiche hingen oder lagen, und das war seine eigene Kammer. Er würde sie gegen den Schnickschnack der Mädchen verteidigen, und wenn er dafür die Tür verbarrikadieren und sie mit dem blutbefleckten Langschwert des ersten „Fürchterlichen“ bewachen musste.

Er seufzte. Seine Mädchen sollten verheiratet sein und ein eigenes Zuhause haben, das sie ausschmücken konnten. Wenn dieser glückliche Zeitpunkt gekommen war, gingen ihre Ehemänner hoffentlich unnachgiebiger mit ihnen um als er. Er liebte seine Mädchen viel zu sehr. Aileen, seine Älteste, war bereits sechsundzwanzig. Sie hatte geheiratet, doch als sie jung Witwe wurde, kehrte sie nach Hause zurück. Die Jüngste, die kleine Annie, war noch keine drei. Seine Mädchen waren allesamt wahre Schönheiten, Sprösslinge von acht verschiedenen Müttern.

Donal hatte jede seiner Frauen umworben und in der Hoffnung geheiratet, einen Sohn zu bekommen, der Glen Iolair erben und das Vermächtnis des „Fürchterlichen“ antreten konnte. Er hatte von einem schönen, strammen Kerl geträumt, der das Langschwert schwang und die Halle mit Trophäen aus der Schlacht, blutrünstigen Geschichten und männlichen Geräuschen füllte. Doch all’ seine Frauen hatten ihm nur Töchter geschenkt, bis er das runde Dutzend voll hatte.

Donal war jung genug, um noch einmal zu heiraten. Er befand sich in der Blüte seiner Jahre, und alle, die ihn kannten, hielten ihn für einen gestandenen Mann. Aber welche Frau wollte es wohl mit einem Dutzend schnatternder, eigenwilliger und herumhüpfender Mädchen in edlen Kleidern aufnehmen? Nein, ehe er selbst wieder heiraten konnte, musste er für sie alle Ehemänner finden, nun, für die meisten jedenfalls, dachte er, als seine Jüngste, Annie, in die Halle kam und mit breitem Kinderlächeln auf ihn zuwatschelte. Er hob sie auf sein Knie. Es würde gut und gerne Jahre in Anspruch nehmen, so viele Töchter unter die Haube zu bringen, zumal seine Töchter feste Vorstellungen hatten, was Kleider, Haarbänder und männliche Verehrer betraf. Er sah hinunter auf Annies flachsfarbene Locken. Ob er wohl immer noch ein gestandener Mann war, wenn dieses Kind einmal heiratete?

Außerdem war er selbst wählerisch. Seine künftigen Schwiegersöhne mussten ganz bestimmte Eigenschaften aufweisen. Sie mussten vermögend sein und angesehener wie verbündeter Clans entstammen, sowie über einen guten Charakter und gesunden Menschenverstand verfügen. Donal erwartete, dass sie mutig und unerschrocken waren und ein gutes, aber kein zu gutes Herz besaßen, denn das brachte einem Mann nur Scherereien ein. Welcher andere Laird hätte wohl zugelassen, dass ein Gobelin mit herumtollenden Kindern ausgerechnet das Symbol seiner Macht und seines Einflusses verdrängte? Donal kannte keinen …

„Habe ich die Ehre, mich an MacLeod, den Fürchterlichen, persönlich wenden zu dürfen?“, fragte jemand mit tiefer Stimme hinter ihm.

Donal drehte sich zu dem Fremden um, der unangekündigt in seine Halle getreten war, umgeben von einem halben Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer. Der Sitz ihrer Plaids und die Adlerfedern an ihren Bonnets wiesen sie als Clansleute aus, oder als Mitglieder einer einmarschierenden Armee. Zweifellos hatte Meggie die Tür wieder einmal weit offenstehen lassen, obwohl er sie schon unzählige Male ermahnt hatte, dass dies eine Festung war, und keine Hütte.

Zum Glück wirkte der Mann vor ihm friedfertig, ja sogar vornehm. Die drei Federn an seinem Bonnet verrieten, dass er der Clanchef war, genau wie die kunstvolle silberne Fibel, der edle Stoff seines Plaids, die zarte französische Spitze um seinen Hals sowie die bestickten Hirschlederstiefel.

Die kleine Annie bestaunte den Fremden und seine stattlichen Gefährten von Donals Schoß aus. Die Clansleute hingegen starrten mit unverhohlenem Interesse auf Aileen und Meggie, die immer noch auf dem Tisch standen und ihren Gobelin richteten.

Donal nahm ihre lüsternen Blicke wütend zur Kenntnis. „Aye, ich bin Donal MacLeod. Und wer seid Ihr?“

„Padraig Sinclair, Clanchef der Sinclairs von Carraig Brigh.“ Die dunklen Augen wirkten wie emsige Spatzen, die durch den Raum flatterten und alles in sich aufnahmen. Schließlich verharrten sie bei Aileen. „Ich bin in einer äußerst wichtigen Angelegenheit hier.“ Mit kühnem Blick musterte er Donals Tochter von Kopf bis Fuß. „Ich interessiere mich für eine Eurer Töchter.“

Donals Augenbrauen verschwanden fast in seinem Haaransatz. Er übergab Annie an Aeife. „Geh und hol den Whisky, Mädchen“, sagte er und wandte sich an Sinclair. „Vielleicht sollten wir uns lieber setzen.“

Er zeigte auf zwei Holzsessel und zwei Langbänke vor dem Kamin, genau an dem Tisch, auf dem Aileen stand. Er legte den Arm um ihre Taille und hob sie herunter. Meggie kletterte selbstständig vom Tisch und stellte sich neben Gillian. Die drei Mädchen starrten die Männer des Sinclairclans an, die ihre Blicke mit freundlicher Bewunderung erwiderten. Die Luft war plötzlich so dick vor lauter Bewunderung, dass Donal sie mit dem Langschwert hätte schneiden können, wenn die Mädchen es nicht weggeräumt hätten.

„Es ist gut jetzt. Geht und helft in der Küche“, sagte er zu seinen Töchtern. Wie üblich rührten sie sich nicht von der Stelle.

„Bitte gestattet Euren Töchtern doch, sich zu uns zu gesellen“, bat Padraig Sinclair und zeigte galant auf eine Langbank.

Aileen nahm auf einem bestickten Kissen Platz, und ihre beiden Schwestern stellten sich hinter sie.

Alle sechs Sinclair-Männer traten einen Schritt vor und setzten sich ihnen gegenüber beinahe gleichzeitig auf die andere Langbank. Sie ließen die Mädchen keine Sekunde aus den Augen. Donal und Sinclair ließen sich auf den geschnitzten Holzsesseln nieder, auf denen peinlicherweise noch mehr Kissen lagen.

„Wie ich bereits sagte, interessiere ich mich für eine Eurer Töchter“, wiederholte Padraig Sinclair. „Sie muss allerdings noch Jungfrau sein.“

Donal verschränkte die Arme vor der Brust. „Braucht Ihr sie etwa für ein heidnisches Opferritual?“

Sinclair sah ihn überrascht an. „Nein, natürlich nicht! Es geht um eine Eheschließung mit meinem Sohn und Erben.“

„Eine Heirat!“, rief Aileen aus. Sie sprang auf und eilte aus der Halle.

„Eine Heirat?“, fragte Donal.

„Eine Heirat.“ Meggie und Gillian seufzten wie aus einem Mund.

„Nun, möglicherweise.“ Sinclair sah vom einen Mädchen zum anderen.

Donal betrachtete die mitgereisten Clansleute mit zusammengekniffenen Augen. „Und welcher dieser Burschen ist Euer Sohn?“

Sinclair presste die Lippen aufeinander, und ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Er ist nicht hier.“

Seine Männer rutschten wie auf Kommando auf ihrer Bank unbehaglich hin und her.

„Aber wenn …“ Weiter kam er nicht, denn die Tür zur Küche ging auf und Aeife und Aileen brachten den Whisky. Ihnen folgten mit Cait, Marcail, Jennet und Isobel vier weitere Schwestern. Ihre lächelnden Gesichter waren frisch gewaschen und die Haare hastig mit bunten Bändern zusammengefasst. Außerdem war es ihnen irgendwie gelungen, in nur wenigen Minuten ihre Arbeitskleidung gegen ihre besten Gewänder auszutauschen. Sie sahen aus wie ein Garten voller Blumen an einem sonnigen Tag. Die Sinclairs standen auf und starrten sie an.

„Was soll das?“ Donal sah die Mädchen unwillig an. „Das hier ist ein Gespräch unter Männern. Zurück mit euch in den Söller, alle!“

Marcail runzelte die Stirn. „Aber, Vater, Aileen sagte, Chief Sinclair suche eine Braut für seinen Sohn!“

Donal hob die Hand. „Ich erledige das, wenn du nichts dagegen hast.“

Doch die Mädchen verteilten sich bereits in der Halle. Isobel holte die Zinnbecher, Cait schenkte den Whisky ein, und die anderen flatterten aufgeregt hinter ihnen her. Die Sinclairs wirkten völlig verzaubert.

„Ich bin Aileen, und das sind Isobel, Cait, Gillian, Meggie, Marcail und Jennet.“

Die Männer grinsten und stellten sich ihrerseits vor.

„Callum Sinclair.“

„Iain Sinclair.“

„Rob Sinclair.“

„Girric Murray.“

„Andrew Pyper.“

„Will Sinclair.“

„Ach!“, rief Meggie aus und betrachtete die nebeneinander stehenden Männer, als wären sie besonders köstliches Zuckerwerk. Ihre Schwestern seufzten wie ein warmer Frühlingswind über dem See.

Donal runzelte nachdenklich die Stirn. Er könnte seine vier ältesten Töchter noch in dieser Minute zum Packen in ihre Kammern schicken, und sie würden glücklich mit den gutaussehenden Sinclairs davonziehen. Konnte es wirklich so einfach sein?

Aber Aileen war Witwe und keine Jungfrau mehr, sie kam also nicht in Frage. Außerdem war sie seine vernünftigste Tochter, die hier auf der Burg für Ordnung in Küche, Haus und Hof und bei ihren Schwestern sorgte. Meggie, so süß und hübsch sie auch war, erfüllte die einzige Voraussetzung der Sinclairs ebenfalls nicht. Marcail wiederum war ein sanftes Geschöpf, sie brauchte einen sanftmütigen Ehemann. Cait war rechthaberisch und neigte zu Streichen, Donal konnte sie sich nicht als Frau des Sohns eines Clanschefs vorstellen. Seine restlichen Töchter waren seiner Meinung nach alle noch viel zu jung, um zu heiraten, obwohl sie das zweifellos abstreiten würden.

In Wirklichkeit wusste er noch nicht genug über die Sinclairs von Carraig Brigh, um ihnen auch nur eine seiner Töchter mitzugeben.

Padraig Sinclair räusperte sich. „Mein Sohn ist erst kürzlich von einer … Seereise zurückgekehrt. Während der Fahrt wurde er verletzt, deshalb ist er nicht selbst mitgekommen. Trotzdem braucht er eine Ehefrau und einen Erben, es ist eine Angelegenheit von größter Dringlichkeit. Ich bin zu Euch gekommen, MacLeod, weil man mir sagte, Ihr hättet eine ganze Reihe von Töchtern im heiratsfähigen Alter. Ich bin bereit, Euch eine zu einem guten Preis abzunehmen.“

Donal erstarrte. „Abzunehmen? Es handelt sich hier nicht um Tuchballen oder Ale-Fässer, sondern um meine Töchter! Ich wäre ein schlechter Vater, wenn ich eine von ihnen einfach an einen Fremden verkaufen würde, der hier zufällig vorbeigekommen ist.“

Er fragte sich, ob die Sinclairs noch weniger Erfahrung im Umgang mit Frauen hatten als er. Ein Mädchen wollte umworben, verzaubert und überzeugt werden. Wie ihm seine dritte Ehefrau erklärt hatte, hörte eine Frau Feenglöckchen läuten, wenn der richtige Mann sie ansah und sie ihn. Donal hatte sie selbst gehört, bei jeder seiner Hochzeiten.

Er sah seine Töchter an. Wenn alles seine Richtigkeit hatte, neigte das Mädchen den Kopf zur Seite und lächelte den Mann verklärt und wissend an, danach wandte es den Blick nie wieder ab. Keine seiner Töchter wirkte auch nur im Entferntesten verklärt, sie kokettierten nur.

„Vielleicht kann Euer Sohn herkommen und die Mädchen selbst kennenlernen, sobald er wieder gesund ist, und wenn es dann …“ Er biss sich auf die Zunge, schließlich konnte er einer Horde von Kriegern nicht mit Feenglöckchen kommen. „Ich habe eigentlich nur vier Töchter im heiratsfähigen Alter, aber einige jüngere, vielleicht könntet Ihr Euch eine längere Verlobungszeit vorstellen, etwa zehn Jahre?“

Sinclair schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander.

Aileen legte eine Hand auf Donals Schulter. „Ihr vergesst Fiona, Vater. Ihr vergesst sie immer.“

Jetzt war es Donal, der schmale Lippen bekam. Er hatte seine Drittälteste tatsächlich vergessen. „Natürlich habe ich Fiona nicht vergessen. Sie kommt nicht in Frage.“

Die Mädchen sahen ihn aufgebracht an, sieben glitzernde Augenpaare waren auf ihn gerichtet. „Natürlich kommt Fiona in Frage. Sie ist alt genug“, widersprach Aileen.

„Fiona?“, fragte Padraig Sinclair. Die anderen Sinclairs sahen Donal erwartungsvoll an.

„Sie ist die hübscheste von uns“, erklärte Meggie.

„Und die freundlichste“, fügte Gillian hinzu.

„Und ist sie noch Jungfrau?“, fragte Padraig Sinclair.

„Natürlich“, entgegnete Aileen scharf. Sie milderte ihre Zurechtweisung aber sofort mit einem Lächeln ab.

„Nein“, wandte Donal ein. „Fiona ist …“ Wie konnte man einem Fremden Fiona beschreiben?

Er kam nicht dazu, es zu versuchen, denn in diesem Moment flog die Tür auf und in der Halle brach Chaos aus. Man hörte das laute Scharren von Krallen, eine Meute bellender Hunde, die um sich schnappten, und dutzende Stühle und Bänke, die lauthals umstürzten. Teppiche verrutschten und Kissen wurden zerfetzt, sodass die Federn durch die Luft flogen.

Die Mädchen kreischten und die Sinclairs stießen ihren Schlachtruf aus. Sie zückten die Schwerter und hielten Ausschau nach einem möglichen Feind.

Donal sah die weiße Fellkugel durch die Halle flitzen, und ihm drehte sich vor Schreck der Magen um. „Aus dem Weg, Mann!“, brüllte er Sinclair zu, doch es war schon zu spät. Die Katze sprang den Mann an, kletterte an ihm hoch wie an einem Baum und setzte genau auf seiner Stirn zum Absprung an. Padraig Sinclair fiel mit rudernden Armen nach hinten, während die Kreatur auf dem Gobelin landete und an diesem weiter empor kletterte bis zu einem Deckenbalken hoch über ihnen.

„Was war das? Ein Wolf? Eine Wildkatze?“, fragte Sinclair benommen.

„Das ist Beelzebub“, erwiderte Meggie.

Die Hunde sprangen bellend und knurrend auf den Tisch und versuchten, der Katze zu folgen, doch das dreiste Geschöpf starrte sie nur an und begann, sich in aller Seelenruhe zu putzen.

Padraig Sinclair fasste sich an die Stirn, und als er die Hand wieder fortnahm, war sie blutig. Er hatte ein paar tiefe Kratzer abbekommen, und Donal wand sich innerlich vor Scham.

Die Hunde tobten bellend um die Clansleute herum und versuchten immer noch, die freche Katze zu erwischen. Aileen schlug den größten Jagdhund mit dem Schuh, während Meggie einen Mischling vom Tisch zerrte. Ein paar der Hunde leckten begeistert den verschütteten Whisky auf, und der letzte Hund, ein gesprenkeltes Tier mit nur einem Auge, hatte einen Zipfel des Gobelins im Maul und versuchte, ihn herunterzureißen. Überall flogen Federn und Fell herum.

Donal hätte wissen müssen, was als Nächstes geschah. Zu spät sah er Fiona an sich vorbeieilen, den Blick fest auf die Katze gerichtet, während sie die Hunde vergeblich aufforderte, Ruhe zu geben.

Sie sah Chief Sinclair, der sich gerade vom Boden erhob, erst, als sie gegen ihn prallte.

Padraig Sinclair sackte wieder nach hinten, und Donal legte den Arm um Fiona, damit sie nicht auf ihn fiel. Der Clanchef der Sinclairs von Carraig Brigh starrte verblüfft nach oben.

Aileen lächelte liebenswürdig und reichte dem gefallen Clanchef die Hand, um ihm aufzuhelfen. „Das ist Fiona. Und ihr Haustier.“

2. KAPITEL

Fiona Margaret MacPhail MacLeod biss sich auf die Lippe, als ihr Vater sie stützte, und betrachtete die Verwüstung in der Halle. „Es tut mir leid, Vater. Ich wusste nicht, dass Ihr Besuch habt.“ Sie starrte den Mann auf dem Fußboden an und erblasste beim Anblick der tiefen, blutigen Kratzer auf seiner Stirn.

„Was fällt dir ein, die Hunde hier hereinzulassen?“, fragte ihr Vater.

Fiona schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. „Es ist nicht meine Schuld, Vater. Ich war gerade dabei, Beelzebubs Pfote zu verbinden, als sie kamen. Sie dachten wohl, sie könnten Beelzebub in diesem Moment der Schwäche packen, doch er fasste das Ganze als Herausforderung auf. Ich hatte keine Ahnung, dass er in die Halle kommen würde. Ich bitte um Entschuldigung.“

Sie sah sich nach den vielen Fremden in der Halle um, die auf die Federn, das Blut und die zerbrochenen Möbel starrten und sich maßlos erstaunt zeigten, dass eine einzige Katze einen solchen Schaden anrichten konnte. Wenigstens starrten sie sie nicht an. Sie machte sich ein Bild von den Verletzungen. Zwei Männer hatten böse lange Kratzer auf Armen und Beinen, ein anderer einen Riss in seinem safrangelben Hemd. Ein vierter nieste, seine Augen beganen, anzuschwellen. Und der Mann auf dem Boden hatte drei üble Kratzer auf der Stirn davongetragen.

Fiona richtete den Blick nach oben, wo Beelzebub die Szenerie von seinem sicheren Balken aus beobachtete. Er zwinkerte ihr zu und lächelte ein katzenhaftes Lächeln.

„Solltest du Ada heute nicht beim Weben helfen?“, fragte ihr Vater.

„Ada färbt heute Wolle, Vater.“ Fiona zog ihren Arm hinter dem Rücken hervor und zeigte den Schaden, den er ohnehin schon bald selbst entdeckt hätte. Sie war gestolpert und in den Bottich gefallen, sodass ihr linker Arm jetzt von den Fingerspitzen bis zum Ellbogen leuchtend blau leuchtete. „Ada kam zu dem Schluss, dass sie meine Hilfe nun doch nicht mehr benötige.“

Ihr Vater seufzte und schüttelte den Kopf. „Du bist genau wie deine Mutter, Mädchen. Sie stolperte auch ständig über ihre eigenen Füße oder die von anderen“, sagte er. Fiona schoss das Blut in die Wangen. „Nun sei mir nicht böse, ich habe es nicht so gemeint.“ Tröstend tätschelte er ihre blaue Hand. „Komm und lern unsere Gäste kennen. Das ist Chief Sinclair von Carraig Brigh. Sinclair, das ist meine Tochter Fiona.“

Jetzt starrten sie doch alle an, und ihr wurde ganz heiß. Sie konzentrierte sich ganz auf die Wunden und ging zu Sinclair, um sich die Kratzer genauer anzusehen. „Lasst sie mich besser säubern. Ich bin mir sicher, sie brennen teuflisch.“

„Beelzebub“, murmelte Sinclair und betrachtete ihr Gesicht.

Sie war eine so intensive Begutachtung durch einen Mann nicht gewohnt und wandte sich den anderen Verletzten zu. „Für Euch gilt das natürlich auch. Ich habe eine Kräutersalbe, die den Schmerz lindern wird. Beelzebub besitzt sehr scharfe Krallen. Zum Glück war er heute nicht in Bestform, er hat sich erst kürzlich bei einem Kampf mit einer Eule verletzt.“

„Armer Vogel“, meinte einer der Sinclairs bedauernd.

Aileen zupfte Fiona am Ärmel. „Chief Sinclair ist mit einem Anliegen zu uns gekommen.“ Sie zwinkerte Fiona zu und lächelte.

„Ach? Und worum handelt es …“

Ihr Vater ergriff ihren anderen Arm. „Das betrifft dich nicht, Fiona. Geh wieder nach oben. Ada kann sich um die Verletzten kümmern.“

„Ada ist nicht annähernd so begabt wie Fiona“, erwiderte Meggie. Sie sah die Sinclairs mit klimpernden Wimpern an. „Meine liebe Schwester wird Eure Wunden im Handumdrehen versorgen, und es wird überhaupt nicht wehtun. Folgt ihr in die Krankenkammer.“

Fiona war sich ihres Hinkens noch stärker bewusst als sonst, als sie im Flur voranging, und auch ihrer Narben auf ihrer Stirn, ihrer Wange und auf ihrem Arm, obwohl diese von ihrem Haar und dem Stoff ihrer Ärmel verdeckt wurden. Sie konnte die neugierigen Blicke der Sinclairs förmlich in ihrem Rücken spüren und versuchte, so gerade wie möglich zu gehen. Trotzdem errötete sie, als sie sich das Mitleid und den Abscheu in den Augen der Gäste vorstellte. Es überraschte sie nicht, dass man sie nicht vom Besuch ihres Vaters in Kenntnis gesetzt hatte. Er zeigte sie Fremden nicht gern, wohl auch zu ihrem eigenen Wohl, in erster Linie aber lag es in seinem Interesse, denn so blieben ihm unangenehme Erklärungen erspart.

Als alle Verletzten in die kleine Krankenkammer neben dem Küchengarten eingetreten waren, wirkte sie völlig überfüllt. Fiona öffnete die Fensterläden, um die Sonne hereinzulassen, und nahm die Töpfe mit dem Kampfer, der Hagebutte und der Schafgarbe vom Regal. Sie konzentrierte sich ganz darauf, die Zutaten zu mischen, denn so brauchte sie die Männer nicht anzusehen. Dennoch spürte sie, dass das Sinclair-Oberhaupt mit seinem Bonnet an der Tür stand und sie beobachte wie der Kater seine Beute. Sie hoffte, er war nur zornig und besaß nicht die Kühnheit, sie nach dem Grund ihrer Verletzungen zu fragen. Ein Sturz, würde sie wie immer sagen, denn das entsprach größtenteils der Wahrheit, und dann würde sie das Thema wechseln.

Die Sinclairs wirkten skeptisch. Vielleicht fürchteten sie, Fiona könnte ihnen Schmerzen zufügen oder eine starke Arznei verabreichen. Vielleicht hatten sie aber auch einfach nur Angst vor einem Mädchen mit Narben und einem schrecklichen Hinken.

Als die Heilpaste angerührt war, deutete der Clanchef mit einer Handbewegung an, dass seine Leute zuerst behandelt werden sollten, und so nahm einer nach dem anderen auf dem Hocker vor Fiona Platz und ließ seine Kratzer versorgen. Anfangs wirkten sie sehr angespannt, als machten sie sich auf große Schmerzen gefasst, aber unter den sanften wie fachkundigen Griffen Fionas entspannten sie sich schnell. Sichtlich erleichtert bedankten sie sich anschließend bei ihr. Chief Sinclair schickte alle mit einem Kopfnicken nach draußen, bis er mit Fiona allein war.

„Wenn Ihr so gut sein wollt, hier Platz zu nehmen“, sagte sie und zeigte auf den Hocker, auf dem eben noch seine Männer gesessen hatten. Sein auf ihr ruhender Blick, als er sich setzte, verunsicherte sie.

„Ihr seid eine Heilerin“, stellte er fest.

„In erster Linie für Tiere“, erwiderte sie und betupfte die Kratzer mit einem sauberen Leinentuch. „Ich kümmere mich um Vögel mit gebrochenen Flügeln, Katzen, die in die Fallen von Jägern geraten sind, verletzte Wiesel …“

Er schwieg eine ganze Weile. „Mein Sohn ist … verletzt“, meinte er schließlich, und sie sah ihm in die Augen. „Ich bin gekommen, weil ich eine Bra… eine Heilerin für ihn suche.“ Er wandte den Blick ab, und Fiona wartete, dass er weitersprach. „Sein Schiff wurde auf dem Weg nach Frankreich vor der englischen Küste gekapert. Man nahm ihn gefangen. Seine Mannschaft und seine … Begleitung wurden umgebracht, und seine Verletzungen blieben wochenlang unbehandelt.“ Er holte Luft, als fragte er sich, ob er fortfahren solle, und Fiona nickte ihm aufmunternd zu. „Er leider unter entsetzlichen Alpträumen, und seine Wunden wollen einfach nicht heilen. Die Leute sagen, er wäre verrückt. Sie nennen ihn den Wahnsinnigen von Carraig Brigh.“

Fiona hielt seinem Blick stand. „Ah, ich habe von ihm gehört.“

Padraig Sinclair zog die Brauen so ruckartig hoch, dass sich seine Kratzer wieder öffneten und zu bluten begannen. Er schien es kaum zu bemerken. „Wie das? Wie könnt Ihr davon gehört haben, wenn Ihr so weit von Carraig Brigh entfernt lebt?“

Sie presste vorsichtig etwas Schafgarbe auf die Kratzer, um die Blutung zu stoppen. „Die Menschen reisen, sie bringen Geschichten mit. Im Dorf gibt es ein Mädchen, dessen Cousin in Caithness lebt. Er hat ihr davon erzählt, und sie erzählte es mir.“

„Euer Vater schien aber nichts davon zu wissen.“ Er klang misstrauisch, und sie sah ihm erneut in die Augen. Furcht und Stolz schienen in ihm zu hadern.

„Ich verbreite niemals Gerüchte, nicht einmal vor meinem Vater. Schließlich würde mir niemand mehr vertrauen, wenn ich Geheimnisse weitertrage. Man würde mir überhaupt nichts mehr erzählen. Wenn die Leute aber reden, kann ich durch ihre Geschichten sehen, was sie gesehen haben. Ich reise durch ihre Worte in die Ferne und erlebe ihre Abenteuer.“

„Reist Ihr denn nicht selbst?“, fragte er. „Lässt das Euer … Gebrechen nicht zu?“

Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss und konzentrierte sich darauf, die Salbe auf die Kratzer aufzutragen. Es stimmte schon, ihre Narben und ihr Hinken machten ihr vieles unmöglich, was sie gern getan hätte, doch es lag eher an ihrem Vater. Er erlaubte ihr nicht, Glen Iolair zu verlassen. Sie, oder besser er, fürchtete, sie könnte den mitleidigen, ängstlichen oder angewiderten Blicken von Fremden ausgesetzt werden. Nein, sie reiste nicht. Höchstwahrscheinlich würde sie dieses Tal niemals verlassen, nie heiraten und nicht einmal erfahren, wie es war, von einem Mann geküsst zu werden. Sie würde sich damit begnügen müssen, die Kinder ihrer Schwestern in den Armen zu halten, da sie selbst niemals eigene haben würde. „Meine Familie ist immer sehr besorgt um mich“, sagte sie, als sie merkte, dass er auf eine Antwort wartete.

„Ihr seid wohlbehütet.“

„Ja.“ Zu wohlbehütet, beinahe erdrückt.

Ein Schatten huschte am Fenster vorbei. Ein kleiner Vogel flog herein und setzte sich auf den Rand der Schüssel neben Fionas Hand. „Hallo“, sagte sie leise. Sinclair saß ganz still da, als Fiona ein paar Brotkrumen, die sie immer bereithielt, aus ihrer Tasche holte und sie dem Vogel auf ihrer Handfläche hinhielt. Der Vogel hüpfte auf ihre leuchtend blaue Fingerspitze. Ihm war es gleichgültig, dass sie ungeschickt war und in einen Farbbottich gegriffen hatte. Beelzebub hatte den winzigen Spatz im vergangenen Jahr erwischt, als dieser kaum flügge geworden. Fiona hatte den Vogel gerettet, seinen verletzten Flügel geheilt und ihn wieder in die Freiheit entlassen. Sie hatte ihn freudig fortfliegen sehen. Von Zeit zu Zeit kam er zu Besuch, um ein paar Brotkrumen zu picken.

„Würdet Ihr mit mir nach Carraig Brigh kommen und meinen Sohn kennenlernen?“, fragte Sinclair.

Sie sah überrascht auf. „Ich habe Glen Iolair noch nie verlassen.“

„Aber es gibt keinen Grund, warum Ihr es nicht könntet, oder?“

Sie biss auf ihre Lippe. „Ich habe … Narben. Viele Menschen sind schockiert, wenn sie mich sehen.“

„Mein Sohn Dair, Alasdair Og, ist von Narben nur so übersät. Sie sind weit schrecklicher als Eure.“

Der Gedanke an eine Reise war aufregend, aber er erfüllte sie auch mit Furcht. „Ein Krieger sollte Narben tragen. Bei einem Mann bewundert man sie, zeugen sie doch von Tapferkeit und Heldentaten. Bei Frauen ist das anders.“

„Er ist mein Sohn, und ich … ich liebe ihn sehr. Auch ich bin immer besorgt um meine Familie. Er war ein guter Mann, ein weiser Seefahrer und Händler, manch einer bezeichneten ihn auch als Piraten. Kein lebender Mann war klüger, mutiger oder stärker als Dair, aber er braucht jetzt Hilfe, eine Hilfe, die ich ihm nicht bieten kann. Man sagte mir, ich müsse eine Jungfrau finden, die ihn heilt. Ich glaube, ich habe sie gefunden.“

Sie zuckte erstaunt zusammen. „Mich? Aber …“

„Werdet Ihr kommen, Mädchen, ja? Ich verspreche Euch, Ihr werdet mit größtmöglicher Freundlichkeit und Respekt von mir und den Meinen behandelt, falls das Eure Befürchtung ist, und ich werde Euch großzügig entlohnen.“

Ihr Vater erschien in der Tür. „Ist alles in Ordnung, Fiona?“ Er musterte Padraig Sinclair misstrauisch.

Fiona wischte ihre Hände an ihrer Schürze ab und räumte die Töpfe und Tiegel fort. „Ja, natürlich, Vater. Die Kratzer waren nicht sehr tief, es werden keine …“ Sie brachte das Wort Narben nicht über die Lippen.

Padraig zwang sich zu einem Lächeln. „Falls doch, sage ich den Leuten, es wäre eine Wildkatze gewesen und eine heldenhafte Maid hätte mich geheilt, eine aus dem Clan der Fürchterlichen MacLeods von Glen Iolair.“ Er stand auf. „Werdet Ihr wenigstens über das nachdenken, worum ich Euch gebeten habe?“

Sie sah ihren Vater an, der stirnrunzelnd zwischen sie und Padraig Sinclair trat. Er würde sie immer beschützen und für ihre Sicherheit sorgen. Doch das bedeutete, dass sie niemals die Flügel ausbreiten und mehr von der Welt da draußen sehen konnte. „Ich werde es mir überlegen.“

Er nickte, presste die Kiefer aufeinander und wandte sich zum Gehen.

Ihr Vater nahm ihren Arm und sah sie mitleidig an. „Du hast genug getan, Liebes. Geh nun und ruh dich aus.“

Warum war ihr noch nie zuvor aufgefallen, dass sie das meiste Mitleid in den Blicken ihrer eigenen Familie fand? Die Sinclairs hatten sie nicht so angesehen wie ihr Vater und ihre Schwestern.

Sie brauchte keine Ruhe. Sie brauchte, nun, was immer es auch war, sie würde es niemals finden, wenn sie sich nicht auf die Suche danach machte. Sie küsste ihren Vater auf die Wange, trat aus seinem Schatten heraus und eilte zur Tür.

„Wartet“, rief sie Padraig Sinclair zu. Er drehte sich langsam um und sah sie hoffnungsvoll an. „Ja. Ich komme nach Carraig Brigh.“

3. KAPITEL

Carraig Brigh

Alasdair Og Sinclair, auch Alasdair der Jüngere, war nach seinem Großvater Alasdair dem Älteren benannt worden, doch nach dem Tod des Großvaters hieß er für alle nur noch Dair. Er war Erbe des gewaltigen Vermögens und der zukünftige Clanchef der Sinclairs von Carraig Brigh, zumindest so lange, bis sein Vater beschloss, einen anderen zu seinem Nachfolger zu bestimmen, einen, der nicht verrückt war.

Dair mühte sich damit ab, einen Stein von der Größe seines Kopfs hochzuheben, und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Zweimal fiel ihm der Stein aus seinen kraftlosen Händen, bis es ihm gelang, und der Schmerz schoss ihm dabei durch den geschundenen Körper. Die Steinpyramide, die er begonnen hatte zu errichten, lag etwa zwölf endlos lange Meter vor ihm. Es hätten ebenso gut hundert Meter sein können. Jeder Schritt war eine einzige Qual, aber er hieß den Schmerz Jean und seiner Mannschaft zuliebe willkommen. Mit zu Klauen gekrümmten Fingern senkte er den Stein nun auf die Pyramide, die ein Denkmal werden und seiner Genesung dienen sollte, die aber auch Ausdruck seiner Buße war. Er errichtete sie ganz allein und lehnte jede Hilfe ab. Die Arbeit zeigte ihm, dass er noch am Leben war, obwohl er eigentlich längst tot sein sollte. So tot wie Jean und die acht Männer, die mit ihnen gesegelt waren. Innerlich war er tot, denn den Mann, der er einmal gewesen war, gab es nicht mehr. Übrig geblieben war ein Wrack, getrieben von Schuldgefühlen, Schmerz und Wahnsinn.

Die Schwere seiner Verletzungen hätte ihn eigentlich umbringen müssen, doch offenbar war ihm ein schnelles, gnädiges Ende verwehrt, stattdessen erwartete ihn ein langsames Dahinsiechen von Körper, Seele und Geist, ein Abgleiten in den Wahnsinn. Die Tränke und Umschläge der alten Moire hatten ihn von der Schippe des Teufels zurückgeholt, aber er wusste nicht, ob er ihr dafür dankbar sein sollte. Das Fieber war fort und der Fäulnisprozess in seinem Bein gestoppt. Seine Muskeln und Knochen heilten allmählich, dennoch würde er bis ans Ende seiner Tage hinken und schreckliche Narben im Gesicht und am Körper zurückbehalten.

Er konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Er würde noch viele Steine benötigen, bis das Denkmal fertig war. Sobald er den letzten Stein platziert hatte, wollte er einhundert Kanonenkugeln sammeln, sie auf ein Schiff laden, in Kanonen verteilen und Coldburn Keep dem Erdboden gleichmachen. Er würde an diesem ruchlosen Ort alle bis zum letzten Mann töten, an dem Jean gestorben war.

Dair wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ sich vom Wind kühlen, doch der glühende Schmerz in seinem geschundenen Körper ließ dadurch nicht nach. Er war schwach und gebrechlich, selbst die einfache Arbeit, Steine zu tragen, ließ ihn vor Erschöpfung zittern.

Er stand auf der Klippe oberhalb der Sinclair-Bucht und sah aufs Meer hinaus, über die Masten der Schiffe seines Vaters hinweg, die unten verlassen schaukelnd vor Anker lagen bis hin zum Horizont. Der Wind toste ihm entgegen, brauste vorbei und fuhr heulend um den Turm von Carraig Brigh, als wollte er die uralte Festung schleifen. Die Burg hatte fast vierhundert Jahre hartnäckig jedem Feind getrotzt, ein einfacher Windhauch würde sie nicht zum Einsturz bringen.

Eine weitere heftige Böe versuchte, Dair nach hinten zu stoßen, weg vom Rand der Klippe. Vielleicht befürchtete sie, wie alle anderen auch, er könnte sich ins Meer stürzen, aber er war noch nicht bereit, zu sterben. Die Sehnsucht nach Rache brannte in seiner Brust und hielt ihn am Leben.

Er trotzte dem Sturm, trat näher an den Klippenrand und sah nach unten. Die See donnerte gegen die schwarzen Felsen und ließ wütende Gischt aufsteigen. Dair schmeckte sie auf seinen Lippen. Wenn er die Augen schloss, konnte er sich fast vorstellen, wieder am Bug eines Schiffes zu stehen. Und wenn er die Arme ausbreitete und sich über den Rand der Klippe beugte, würde ihn die Kraft des Windes in der Schwebe halten zwischen festem Boden und dem Meer. Es bedurfte nur eines einzigen Schritts oder einer kleinen Atempause des Sturms …

„Scheußliches Wetter zum Segeln“, sagte John Erly. Der Engländer stand dicht hinter ihm. Gerade hatte er noch vor den Steinen gesessen, in sicherer Entfernung zur Klippe und geschützt vor dem Sturm, und hatte Flöte gespielt. John hasste das Meer und die Schiffe. Selbst hier, auf sicherem Grund und Boden, wurde er ganz grün im Gesicht, wenn er beidem zu nahe kam, doch er würde Dair notfalls von der Klippe wegreißen.

Wenn irgendjemand verstand, warum Dair Sinclair wahnsinnig war, dann war es John. Er hatte wegen seiner Schulden im Verließ von Coldburn Keep eingesessen, und das Schlimmste mitangesehen. Dair hatte ihm leid getan. John hatte ihm am Leben erhalten und ihn dann fiebernd, gebrochen und delirierend nach Hause gebracht. Padraig hatte weit mehr Gründe als die meisten Schotten, die Sassenachs zu hassen, trotzdem hatte er John gebeten, zu bleiben, und seinem Sohn Gesellschaft zu leisten. Dair vermutete, dass der Engländer seinen Vater über seinen Geisteszustand auf dem Laufenden hielt.

„Ich habe schon höhere Wellen gesehen als diese“, antwortete Dair auf Johns Bemerkung. Viel höhere, todbringende Wellen, die Männer vom Deck eines Schiffs spülten, sie mit einem einzigen Schwall unter sich begruben und nie wieder hergaben. Spürten solche Männer, dass es zu Ende ging, blieb ihnen Zeit, nachzudenken, oder war es friedlich dort unten, wenn man langsam vom Licht ins Dunkel des Todes sank, so leicht und mühelos wie ein Seufzer? Es gab schlimmere Dinge, als zu ertrinken. Viel schlimmere.

„Willst du springen?“, fragte John bewusst beiläufig.

„Hättest du dann das Bedürfnis, mir hinterherzuspringen?“

John verzog das Gesicht. „Ich würde dich eher davon abhalten, als es so weit kommen zu lassen.“

Der mutige, törichte und treue John. Wusste er denn nicht, dass Dair im Grunde längst tot war? Dennoch wandte er sich vom verführerischen Rand der Klippe ab. „Wir wollen nicht riskieren, dass du nass wirst. Ich weiß ja, wie sehr du die See hasst.“

John sah ihn besorgt an. „Und ich weiß, wie sehr du sie liebst. Wenn du dir das Leben nehmen wolltest, dann auf diese Art.“

Würde er das tun? Hatte er den Mut dazu? „Heute nicht.“ Noch nicht, nicht bevor er den Scheusalen das Leben aus dem Leib gepresst hatte, die Jean und seine Mannschaft auf dem Gewissen hatten.

„Dein Cousin kommt“, sagte John, als er sich vom schwindelerregenden Anblick der See abwandte und zur Burg sah.

Autor

Lecia Cornwall
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