In den Armen des Meeres

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Verlassene Braut …" Die schöne Elysse weiß genau, was man hinter vorgehaltener Hand über sie und ihre Ehe mit Alexi de Warenne munkelt. Und die bösen Gerüchte sind wahr: Noch vor der Hochzeitsnacht ist der wagemutige Seefahrer wieder an Bord seines Clippers gegangen, um den entsetzlichen Grund für ihre Verbindung zu vergessen. Seit sechs Jahren sehnt sich Elysse, inzwischen die ungekrönte Königin der Londoner Adelsgesellschaft, nach seiner Nähe, seinen Küssen. Doch jetzt kehrt Alexi als gefeierter Held nach London zurück. Und Elysse ist entschlossen, ihren Mann zu erobern und in seinen Armen endlich wirklich seine Frau zu werden …


  • Erscheinungstag 29.10.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737825
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Prolog

Adare, Irland. Sommer 1824

Aus dem offiziellen Speisezimmer, in dem der Earl of Adare ein festliches Abendessen zu Ehren des Geburtstags seiner Gemahlin gab, waren lebhafte Gespräche zu hören. Die Kinder hatten sich in einem kleineren Salon versammelt, dem Speiseraum gegenüber, und die elfjährige Elysse O’Neill saß auf dem mit Goldbrokat bezogenen Kanapee in ihrem festlichsten Kleid und wünschte sich, ihr wäre es erlaubt worden, bei den Erwachsenen zu sein. Ariella de Warenne, ihre beste Freundin, war ebenso elegant gekleidet und saß neben ihr, ganz in ein Buch vertieft. Elysse konnte die Freundin nicht verstehen. Sie selbst hasste es, zu lesen. Ohne die anwesenden Jungen hätte sie sich gelangweilt.

Die Jungen standen auf der anderen Seite des Salons und flüsterten aufgeregt miteinander. Elysse sah zu ihnen hinüber und versuchte zu lauschen, weil sie spürte, dass sie irgendetwas ausheckten. Ihr Blick war ganz auf Alexi de Warenne konzentriert. Ariellas Bruder war stets der Anführer.

Vor vier Jahren hatte sie ihn kennengelernt, als er, zusammen mit seinem Vater und mit Ariella, zum ersten Mal nach London kam. Er war auf Jamaika aufgewachsen. Nachdem sie einander vorgestellt worden waren, behandelte sie ihn zunächst sehr von oben herab, obwohl er sie mit seinem dunklen Haar, der sonnengebräunten Haut und der selbstsicheren Art sofort faszinierte. Doch trotz seiner adeligen russischen Mutter war er ein Bastard – und sie eine Lady. Daher nahm sie sich vor, ihn das spüren zu lassen. Aber ihre abweisende Haltung beeindruckte ihn nicht, stattdessen verblüffte er sie mit Geschichten aus seinem Leben. Elysse erwartete, dass er sich linkisch und unbeholfen benehmen würde, doch Alexi tat nichts dergleichen. Rasch erkannte sie, dass sie noch nie einen Jungen getroffen hatte, der so viel erlebt hatte wie er. Er hatte mit seinem Vater die ganze Welt umsegelt, hatte Wirbelstürme und tropische Regengüsse überstanden, Blockaden und Piratenüberfälle, und dabei hatten sie noch die kostbarste Ladung der Welt befördert. Er war mit Delfinen geschwommen, hatte die Berge im Himalaya erstiegen und war durch den brasilianischen Urwald gewandert. Er war sogar auf einem Floß in China gefahren, ohne seinen Vater! Tatsächlich hatte er damit geprahlt, dass er alles segeln könnte, überall – und sie hatte ihm geglaubt. Innerhalb einer Stunde hatte sie entschieden, dass er der interessanteste Junge war, den sie je getroffen hatte – nicht, dass sie ihm das jemals sagen würde!

Jetzt kannte sie ihn gut. Alexi war ein Abenteurer, so wie sein Vater, der Kapitän, und er hielt es nicht lange an Land aus, ebenso wenig, wie er still zu sitzen vermochte! Was hatten die Jungen jetzt vor? Sie liefen durch den Salon, und sie begriff, dass sie hinausgehen wollten. Schon standen sie an der Terrassentür.

Elysse schob sich das goldblonde Haar hinter die Ohren, strich ihr blaues Satinkleid glatt und stand auf. „Wartet!“, rief sie. Sie lief den Jungen nach. „Wohin geht ihr?“

Alexi grinste sie an. „Errol Castle.“

Beinahe wäre ihr Herz stehen geblieben. Jeder wusste, dass es in den Ruinen des Schlosses spukte. „Seid ihr verrückt?“

In seinen blauen Augen funkelte es. „Willst du nicht mitkommen, Elysse? Willst du nicht das alte Gespenst sehen, das bei Vollmond im Nordturm umgeht?“ Alexi beugte sich zu ihr hinüber. „Es heißt, er verzehrt sich nach der Frau, die er liebt. Ich weiß, dass du romantische Geschichten magst. Sie hat ihn in einer Vollmondnacht verlassen – für einen anderen Mann. Deswegen hat er sich umgebracht, und sein Geist wandelt seitdem immer bei Vollmond im Turm umher.“

„Natürlich kenne ich die Geschichte.“ Ihr Herz schlug schneller, vor Aufregung und Angst. Sie war nicht so tapfer wie Alexi oder ihr jüngerer Bruder Jack oder auch Ned, der Erbe des Earls, der bei ihnen stand. Sie verspürte keineswegs den Wunsch, in die Nacht hinauszulaufen, um ein Gespenst zu treffen.

„Feigling“, sagte Alexi leise und berührte ihr Kinn. „Du weißt doch, dass ich dich beschütze.“

Sie zuckte zurück. „Und wie willst du das machen? Du bist nur ein Junge – und noch dazu ein verrückter Junge!“

Sein Lächeln verschwand. „Wenn ich sage, dass ich dich beschütze, dann werde ich das auch tun.“

Sie glaubte ihm, dass er das tun würde. Selbst gegen einen Geist. Und doch zögerte sie. Sie wollte nicht mit ihnen gehen. „Ladies müssen nicht tapfer sein, Alexi. Sie müssen anmutig sein, höflich und schön.“

„Natürlich müssen sie tapfer sein! Meine Stiefmutter hat mit meinem Vater zusammen die Welt umsegelt und an seiner Seite gegen Piraten gekämpft! Sie ist tapfer und schön!“ Seine Augen blitzten.

Ned trat vor. „Lass sie, Alexi. Sie will nicht mitkommen.“

Jack, ihr jüngerer Bruder, lachte sie aus.

Ariella kam dazu. Sie hatte endlich das Geschichtsbuch beiseitegelegt. „Ich komme mit.“ Ihre blauen Augen leuchteten. „Ich würde den Geist gern sehen.“

Alexi warf Elysse einen triumphierenden Blick zu.

„Na schön!“, rief sie erbost, weil er sie dazu gebracht hatte zuzustimmen. „Aber wie gelangen wir dorthin?“

„Es wird höchstens zwanzig Minuten dauern, wenn wir reiten“, sagte Ned. „Die Mädchen können hinter uns sitzen. Jack kann allein reiten.“

Elysse erkannte sofort, dass das eine schreckliche Idee war – aber alle anderen freuten sich und waren ganz aufgeregt. Innerhalb weniger Minuten folgte sie den Jungen und Ariella über die Terrasse bis dorthin, wo sie die Pferde stehlen würden. Die Jungen ritten oft ohne Sattel, nur mit Zügeln. Jetzt wünschte Elysse, sie wären schlechtere Reiter – aber das waren sie nicht. Es war so dunkel in der Nacht, und so still! Als sie ihnen durch Adares weitläufige Gärten folgte, sah sie hinauf zu dem hellen Mond. Er war rund und voll. Sie betete, dass sie in dieser Nacht keinem Gespenst begegnen würden.

Gleich darauf saßen sie alle auf Pferden und ritten im Schritttempo vom Haus weg. Elysse klammerte sich an Alexi fest und wurde von Minute zu Minute aufgeregter. Er war ein ausgezeichneter Reiter, aber sie nicht, und sie hatte Angst, dass sie herunterfallen würde.

„Du brichst mir die Rippen!“, sagte er, doch er lachte leise dabei.

„Ich verabscheue dich!“, rief sie.

„Nein, das tust du nicht!“

Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Weiter vorn, im seltsam gelben Licht des Mondes, erblickte sie die dunklen Umrisse von Errol Castle. Es erschien ihr riesig.

Alles war jetzt still. Sie hörte nichts anderes als das rhythmische Klappern der Pferdehufe. Und ihren eigenen schnellen Herzschlag. Unter ihren Händen fühlte sie Alexis Atem. Sein Herz schlug ebenfalls immer schneller. Sie ritten vorbei an unheimlichen weißen Steinen, die einst zur Außenmauer gehört hatten. Am liebsten wäre sie umgekehrt und nach Hause gelaufen. Dann, ganz plötzlich, hörten sie einen Wolf heulen.

Alexis erstarrte, und Elysse flüsterte aufgeregt: „So nahe bei Adare gab es noch niemals Wölfe.“

„Es ist nicht nahe.“ An einer weiten Öffnung in der Mauer ließen sie die Pferde anhalten. Dort war einst der Eingang gewesen. Hinter dem Labyrinth der Steinmauern im Innern des Schlosses sah sie am anderen Ende den einsamen Turm stehen. Sie schluckte, und ihr Herz schlug noch schneller.

Alexi flüsterte: „Sie sagen, er trägt eine Fackel – dieselbe, die er für seine verlorene Liebe entzündete.“ Er drehte sich ein wenig herum und reichte ihr seine Hand. „Steig ab.“

Elysse stieg ab und vermochte das Gleichgewicht nur zu halten, weil sie sich an seiner Hand festklammerte. Auch alle anderen saßen ab. Ariella flüsterte: „Wir haben keine Kerzen mitgebracht.“

„Doch, haben wir“, erklärte Alexi stolz. Aus einer Hosentasche zog er eine Kerze hervor und zündete sie an. „Kommt.“ Er ging schnell hinein, offenbar entschlossen, die kleine Gruppe anzuführen.

Alle folgten ihm nach. Elysse fühlte sich schlecht. Sie brachte nicht den Mut auf hineinzugehen.

Die Kinder betraten die Ruine und verschwanden in der Dunkelheit. Elysse biss sich auf die Lippe und atmete schwer. Wenn sie an ihrem Standort außerhalb der Ruinen verharren würde, wäre sie vollkommen alleine. Und das war vermutlich noch schlimmer als alles andere.

Hinter ihr bewegte sich etwas. Sie schrie auf, zuckte zusammen und merkte dann, dass eines der Pferde sie angestupst hatte. Eine Eule schrie, es klang unheimlich. Sie hasste Abenteuer! Sie mochte Gesellschaften und hübsche Dinge! Aber hier draußen allein zu sein war schlimmer, als mit allen anderen hineinzugehen. Elysse lief ihnen nach.

Drinnen war es beinahe vollkommen schwarz, und sie konnte überhaupt nichts sehen. Dann hörte sie die anderen etwas weiter vorn flüstern, und sie begann zu eilen, um ihnen folgen zu können. Aber das Innere der Ruine war ein steinernes Labyrinth. Sie stieß gegen eine Mauer, geriet in Panik und machte kehrt. Gelangte an eine Ecke und bog ab. Dann blieb ihr Fuß an etwas hängen, und sie fiel hin.

Sie wollte nach Alexi rufen, ihm sagen, dass er auf sie warten sollte, als sie auf der anderen Seite des Schlosses, dort, wo der Turm stand, ein Licht sah. Sie kauerte sich an der Wand zusammen und hatte plötzlich Angst, auf sich aufmerksam zu machen. War das etwa die Fackel gewesen, die das Gespenst trug?

Elysse hatte Angst, sich zu bewegen oder ein Geräusch zu machen, hatte Angst, dass das Gespenst sie finden würde, und daher verhielt sie sich vollkommen still. Sie merkte, dass sie ihre Freunde nicht mehr hören konnte. Wo waren sie?

Panik stieg in ihr auf. Wieder erblickte sie das Licht! Elysse kam aus der Ecke hervor, in die sie sich verkrochen hatte, wollte aus dem Schloss und vor dem Geist fliehen. Stattdessen gelangte sie an immer neue Biegungen, stolperte, fiel und lief weiter. Sie stieß sich die Knie an und zerkratzte ihre Hände. Warum hatte sie die Ruine noch nicht verlassen? Wo war der Eingang? Sie merkte, dass sie in eine Sackgasse gelaufen war. Es war wohl einst die Rückwand eines Kamins gewesen, was ihr hier den Weg versperrte. Sie sank gegen den groben Stein und atmete schwer. Und in diesem Moment hörte sie Hufgeklapper.

Sie lassen mich alleine zurück?

Sie konnte es nicht glauben und unterdrückte ein Schluchzen. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und sah, wie der Geist mit der Fackel auf sie zukam. Vor Angst war sie wie gelähmt.

„Elysse!“, rief Alexi und begann zu laufen.

Sie spürte, wie vor Erleichterung die Knie unter ihr nachgaben. Es war Alexi mit der Kerze, nicht der Geist mit der Fackel. Sie weinte. „Alexi! Ich dachte, du hättest mich allein gelassen. Ich dachte, ich wäre für immer verloren!“

Er stellte die Kerze ab und zog sie in seine Arme. „Ist schon gut. Du bist nicht verloren. Ich würde dich niemals verlassen. Habe ich nicht gesagt, ich würde dich immer beschützen?“

Sie klammerte sich fest an ihn. „Ich habe nicht geglaubt, dass du mich findest, und ich hörte die Pferde davongaloppieren.“

„Nicht weinen. Ich bin jetzt bei dir. Du hast meinen Vater, den Earl und deinen Vater gehört. Sie sind uns gefolgt. Sie stehen vor den Toren – und sind außer sich vor Zorn.“ Er sah sie an. „Wie kommst du darauf, ich würde dich nicht finden können?“

„Ich weiß nicht“, flüsterte sie. Sie zitterte, und ihr Gesicht war tränennass. Aber sie hatte aufgehört zu weinen.

„Wenn du verloren gehst, werde ich dich finden. Wenn du in Gefahr bist, werde ich dich beschützen“, sagte er ernsthaft. „So etwas macht ein Gentleman, Elysse.“

Sie holte tief Luft. „Versprochen?“

Er lächelte und wischte ihr eine Träne von der Wange. „Ich verspreche es.“

Endlich erwiderte sie sein Lächeln. „Es tut mir leid, dass ich so ein Hasenfuß bin.“

„Du bist sehr tapfer, Elysse. Du weißt es nur nicht.“

Und offenbar glaubte er, was er da sagte.

1. Kapitel

Askeaton, Irland

23. März 1833

Seit mehr als zwei Jahren war Alexi nicht mehr zu Hause gewesen, und Elysse erschien es wie eine Ewigkeit. Sie lächelte ihrem Abbild in dem vergoldeten Spiegel zu, der über dem hübschen Rosenholzsekretär ihn ihrem Schlafzimmer hing. Der ganze Raum war in Rosa, Violett und Weiß gehalten.

Sie hatte sich gerade für das Wiedersehen angekleidet. Ihre Aufregung würde nicht zu übersehen sein – die Wangen waren gerötet, und die Augen glänzten. Sie freute sich, dass Alexi de Warenne endlich nach Hause gekommen war, und konnte es kaum erwarten, alles über seine neuesten Abenteuer zu erfahren.

Sie fragte sich, ob er wohl bemerken würde, dass sie jetzt eine erwachsene Frau war. In den vergangenen Jahren hatte sie Dutzende von Verehrern gehabt – und nicht zu vergessen die fünf Heiratsanträge.

Wieder lächelte sie und stellte fest, dass durch das pastellgrüne Kleid ihre beinahe violetten Augen noch schöner wirkten. Sie war an männliche Bewunderer gewöhnt, die Jungen hatten angefangen, ihr nachzusehen, als sie fast noch ein Kind gewesen war. Auch Alexi hatte das getan. Sie fragte sich, wie er wohl jetzt über sie denken würde. Sie war nicht sicher, warum sie wollte, dass er sie heute Abend bemerkte – sie waren schließlich alte Freunde. Sie zupfte ihr Mieder zurecht, damit es noch ein wenig mehr von ihrem Dekolleté zeigte.

So lange war er noch nie fort gewesen. Sie fragte sich, ob er sich wohl verändert hatte. Als er nach Kanada aufgebrochen war, um Pelze zu kaufen, hatte sie nicht gewusst, dass es Jahre dauern würde, bis er zurückkehrte. Aber sie erinnerte sich an den Abschied, als wäre er gestern gewesen.

Er hatte sie mit diesem schiefen Lächeln angesehen, das so typisch für ihn war. „Und wirst du einen Ring tragen, wenn ich zurückkomme?“

Sie hatte sofort gewusst, was er meinte. Sie erschrak, doch sie fasste sich rasch und antwortete schnell. „Ich trage immer Ringe.“ Aber sie fragte sich auch, ob irgendein schneidiger Engländer sie hinreißen würde, ehe Alexi zurückkehrte. Sie hoffte jedenfalls darauf!

„Ich meine nicht deine Diamanten.“ Er senkte den Kopf ein wenig, sodass sie seine Augen nicht sehen konnte.

Sie zuckte die Achseln. „Ich kann nicht ändern, dass ich so viele Verehrer habe, Alexi. Vermutlich wird es einige Bewerber geben. Vater wird sicher wissen, welchen ich nehmen sollte.“

Auch er zuckte jetzt die Achseln. „Ja, ich denke, Devlin wird dafür sorgen, dass du vorteilhaft verheiratet wirst.“

Sie sahen einander in die Augen. Eines Tages würde ihr Vater eine günstige Verbindung für sie finden. Sie hatte gehört, wie ihre Eltern darüber sprachen, und sie wusste, sie wünschten sich überdies, dass sie eine Liebesehe einging. Das wäre natürlich perfekt. Oder?

„Wenn niemand um meine Hand anhält, wäre ich schwer gekränkt“, sagte sie und meinte das ganz ernst.

„Genügt es dir nicht, dass du stets von Verehrern umgeben bist?“

„Ich hoffe, verheiratet zu sein, wenn ich achtzehn bin“, rief sie aus. Ihr achtzehnter Geburtstag wäre im Herbst, in etwa sechs Monaten, wenn Alexi sich noch immer in Kanada aufhielt. Ihr Herz schlug schneller. Plötzlich überkam sie eine dunkle Vorahnung; sie verdrängte sie jedoch und lächelte ihn strahlend an. „Was wirst du mir diesmal mitbringen?“ Er brachte ihr immer ein Geschenk mit, wenn er von einer Seereise zurückkehrte.

Nach einer Pause sagte er leise: „Ich werde dir einen russischen Zobel mitbringen, Elysse.“

Das überraschte sie. „Du segelst nach Kanada.“

„Ich weiß, wohin ich fahre“, erwiderte er und sah ihr direkt in die Augen. „Und ich werde dir einen russischen Zobel mitbringen.“

Während er sie anlächelte, hatte sie nur spöttisch gelacht, da er sich offenbar über sie lustig machte.

Wenig später hatte er sich von ihr und dem Rest der Familie verabschiedet. Sie war in den Salon geeilt, wo sie bereits von ihren Verehrern erwartet wurde …

Er war mehrere Monate in Kanada geblieben. Offenbar hatte er Schwierigkeiten gehabt, eine Fracht für die Rückreise zu finden. Als er endlich nach Liverpool zurückgekehrt war, war er nicht geblieben, sondern direkt zu den Inseln aufgebrochen, um Zuckerrohr zu holen. Das hatte sie überrascht. Und enttäuscht.

Natürlich hatte sie nie bezweifelt, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Cliff de Warenne gehörte eine der erfolgreichsten Transportgesellschaften für Seefrachten, und Alexi war die meiste Zeit seines Lebens mit seinem Vater auf dem Meer gewesen. Es war von vornherein klar gewesen, dass Alexi, wenn er das entsprechende Alter erreichte, die lukrativsten Handelsrouten übernehmen und die gewinnbringendsten Frachten transportieren würde, wie sein Vater es einst getan hatte. Mit siebzehn Jahren hatte er sein erstes Schiff befehligt. Elysse war die Tochter eines Kapitäns im Ruhestand, und sie konnte verstehen, wie sehr Alexi das Meer liebte – es lag ihm im Blut. Männer wie Cliff de Warenne und wie ihr Vater, Devlin O’Neill – konnten nie lange an Land bleiben.

Doch sie hatte erwartet, dass er nach seiner Reise zu den Westindischen Inseln nach Hause zurückkam. Er war immer nach Hause gekommen, früher oder später. Doch stattdessen hatte er erneut die Segel setzen lassen und war nach China aufgebrochen.

Als Elysse erfahren hatte, dass er sein Schiff, die Ariel, an die East India Company verliehen hatte, die ein Monopol besaß auf den Handel mit China, hatte sie begonnen, sich Sorgen zu machen. Obwohl inzwischen außer Dienst, beriet Devlin O’Neill hin und wieder sowohl die Admiralität als auch das Außenministerium in Angelegenheiten des Reiches und der Meerespolitik. Deshalb kannte sich Elysse in den Bereichen Handel, Wirtschaft und Außenpolitik aus. Sie hatte in den vergangenen Jahren viel gehört über den Handel mit China. Das Chinesische Meer war gefährlich – es war noch immer größtenteils nicht auf Landkarten erfasst, mit versteckten Riffen, Felsen und Untiefen, nicht zu reden von den starken Regenfällen oder den schlimmen Stürmen. Der Hinweg war schon schwierig, aber wieder in Richtung Heimat zu segeln war noch gefährlicher. Doch Alexi hielt die Gefahren für den besten Teil seiner Reise. Alexi de Warenne war furchtlos und liebte Herausforderungen – das wusste Elysse nur zu genau.

Aber offenbar hatte Elysse sich umsonst Sorgen gemacht. In der vergangenen Nacht hatte Ariella ihr eine Nachricht geschickt, in der sie schrieb, dass Alexi gerade in Windhaven eingetroffen war. Es war Mitternacht gewesen, als sie die Nachricht durch einen Boten erhielt. Überrascht hatte sie gelesen, dass er vor einigen Tagen sicher in Liverpool eingelaufen war, mit fünfhundert Tonnen Seide und Tee. Er hatte die Heimreise von Kanton in einhundertzwölf Tagen geschafft – eine Leistung, über die jeder sprach. Für einen Kapitän, der die Route nicht kannte, war diese Geschwindigkeit außerordentlich beeindruckend. Wenn er das nächste Mal aus China zurückkehrte, würde er Höchstpreise für seine Fracht verlangen können. Und so gut, wie sie Alexi kannte, würde er zweifellos damit prahlen.

Elysse warf ihrem Spiegelbild einen letzten Blick zu und zupfte noch einmal ihr Mieder zurecht, wohl wissend, dass ihre Mutter sie tadeln würde, weil sie so kühn war. Sie war eine umschwärmte Schönheit – jeder ihrer bisherigen Verehrer hatte sie angebetet. Viele Male hatte man ihr schon gesagt, dass sie ihren Eltern ähnlich sah – sie war zierlich, besaß die kornblumenblauen Augen ihrer Mutter, und ihr Haar war so goldblond wie das ihres Vaters. In den vergangenen zwei Jahren hatte sie viele Verehrer gehabt und fünf Heiratsanträge bekommen. Doch sie hatte jeden Verehrer und jeden Antrag abgewiesen, obwohl sie inzwischen zwanzig Jahre alt war, und ihr Vater hatte nichts dagegen gehabt. Sie hoffte, dass Alexi sie nicht verspotten würde, weil sie noch nicht verheiratet war. Mit etwas Glück würde er sich nicht erinnern an ihr Vorhaben, mit achtzehn Jahren unter der Haube zu sein.

„Elysse! Wir sind hier – Alexi ist heimgekehrt, er wartet unten!“, rief Ariella und klopfte von außen an ihre Tür.

Elysse holte tief Luft. Ganz plötzlich war sie so aufgeregt, dass sie fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Sie lief zur Tür und öffnete sie. Ihre beste Freundin warf einen erstaunten Blick auf ihr Abendkleid, ehe die beiden einander umarmten.

„Gehst du heute aus? Gibt es einen Empfang, zu der ich nicht eingeladen bin?“

Elysse lächelte. „Natürlich nicht, ich bleibe heute hier. Ich möchte alles über China und Alexis Abenteuer hören. Wie sehe ich aus?“ Sie drehte sich rasch im Kreis.

Ariella war ein Jahr jünger als Elysse und sah sehr exotisch aus – helle Augen, olivbraune Haut und dunkelblondes Haar. Sie war außergewöhnlich gebildet, liebte Bibliotheken und Museen und machte sich nichts aus edler Garderobe und Bällen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du versuchst, jemanden zu beeindrucken.“

„Warum sollte ich mir die Mühe machen, deinen Bruder zu beeindrucken?“ Sie lachte. „Aber er soll zur Kenntnis nehmen, dass ich jetzt erwachsen bin – und die begehrteste unverheiratete Frau in ganz Irland.“

Ariella antwortete trocken: „Alexi mag seine Fehler haben, aber ganz bestimmt hat er keine Schwierigkeiten damit, eine attraktive Frau zu bemerken.“

Elysse schloss die Tür. Alexi liebte die Frauen, aber das war keine Überraschung – alle Männer der Familie de Warenne waren Frauenhelden, was stets an ihrem Hochzeitstag endete. Es gab die alte Familienüberlieferung, dass ein de Warenne, wenn er sich verliebte, der Auserwählten für immer treu sei, auch wenn es manchmal etwas länger dauerte, bis er eine geeignete Frau fand. Elysse drückte Ariellas Hand, als sie den langen Gang hinunterliefen, vorbei an den Familienporträts. „Hat er gesagt, warum er so lange fortgeblieben ist?“

„Mein Bruder ist ein Seefahrer und ein Abenteurer“, sagte Ariella. „Er ist ganz vernarrt in China – oder jedenfalls in den Handel mit China. Gestern Abend konnte er über nichts anderes reden – er will ein Schiff bauen, nur für Fahrten in dieses Land.“

Während sie die Treppe hinuntergingen, sah Elysse sie an. „Dann wird er weiter Schiffe an die East India Company verleihen? Es hat mich überrascht zu hören, dass er die Ariel verliehen hat. Ich kann mir Alexi nicht in den Diensten von jemand anderem vorstellen.“ Er hatte nie zuvor ein Schiff vermietet.

„Alexi war entschlossen, in diesen Handel einzutreten“, sagte Ariella. „Ich glaube, jeder im Umkreis von einer Meile um Askeaton ist neugierig, etwas über China und seine Reise zu erfahren.“

Elysse hörte die gemurmelten Gespräche von unten. Offenbar waren wirklich viele Besucher gekommen. Aber natürlich interessierten sich die Nachbarn für Alexis Rückkehr aus China. Die Nachricht von seiner Reise hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Dies war zweifellos das aufregendste Ereignis der Saison.

Als sie am Fuß der Treppe ankamen, konnte sie die große Eingangshalle überblicken, wo sich die Nachbarn und die Familie versammelt hatten. Askeaton war der Familiensitz der O’Neills, und die Halle war sehr weitläufig, mit Deckenbalken und einem Steinfußboden. An den Wänden hingen große alte Gobelins. Von der einen Seite aus konnte man durch riesige Fenster über die hügelige irische Landschaft blicken und die Turmruine des Herrenhauses sehen. Aber Elysse beachtete weder die Aussicht noch die vielen Menschen.

Alexi stand vor dem großen steinernen Kamin, selbstsicher und lässig, gekleidet in Reitrock, Hose und Stiefel. Von dem achtzehnjährigen Jungen war da keine Spur mehr. An seine Stelle war ein erwachsener Mann getreten. Er war von Besuchern umringt. Doch jetzt sah er auf, blickte über die Menschen hinweg und ihr direkt in die Augen.

Einen Moment lang sah sie ihn nur an. Er hatte sich so sehr verändert. Er war jetzt ein erfahrener, ein selbstbewusster Mann. Sie erkannte das an der Art, wie er dastand, wie er den Kopf ein wenig in ihre Richtung wandte. Dann, endlich, lächelte er sie an.

Ihr Herz schlug schneller, und ein Glücksgefühl durchströmte sie. Alexi ist zu Hause.

Ihr Bruder Jack schlug ihm auf die Schulter. „Verdammt, du kannst jetzt nicht aufhören. Erzähl mir von der Sundastraße!“

Einen Moment lang sahen sie einander an. Als er lächelte, begann Elysse zu strahlen. Ihr fiel auf, dass er womöglich noch besser aussah als vor seiner Abreise. Dann sah sie, dass drei ihrer Freundinnen bei ihm standen, näher als alle anderen, und ihre Gesichter waren Alexi zugewandt. Er schien sie zu faszinieren.

„Wir brauchten drei ganze Tage, um hindurchzukommen, Jack.“ Alexi wandte sich an ihren blonden, hochgewachsenen Bruder. „Ich muss zugeben, es gab sogar den einen oder anderen Moment, in dem ich überlegte, ob wir wohl dort auf Grund laufen würden und die nächsten vierzehn Tage für nötige Reparaturen in Anjers verbringen müssten.“

Alexi drehte sich um und machte eine Handbewegung, und ein großer Mann in Gehrock, mit Weste und Stock kam heran. Alexi umfasste seine Schultern. „Ich glaube nicht, dass wir es in einhundertzwölf Tagen geschafft hätten ohne Montgomery. Der beste Navigator, den ich jemals hatte. Es war wirklich ein Glück, dass ich ihn in Kanada an Bord geholt habe.“

Endlich sah Elysse den Navigator, der vermutlich einige Jahre älter war als sie beide, und sie bemerkte, dass er ebenfalls zu ihr herüberblickte. Dann lächelte er ihr zu, als einer der Nachbarn eifrig verlangte: „Erzählen Sie uns etwas vom Chinesischen Meer! Haben Sie einen Sturm erlebt?“

„Nein, erzählen Sie uns etwas von dem Tee“, rief Pater MacKenzie aufgeregt.

„Wird China wirklich weiterhin für Fremde verboten bleiben?“, wollte Jack wissen.

Alexi lächelte sie alle an. „Ich habe die erste Ernte bekommen, schwarzen Tee. Der Beste, den Sie je gekostet haben, ich schwöre es. Es ist Pekoe. Sie werden kein anderes Schiff finden, das ihn mitbringt. Nicht in dieser Saison.“ Obwohl er zu der ganzen Menschenmenge sprach, wandte er den Blick niemals von Elysee ab.

„Wie hast du das geschafft?“, fragte Cliff und lächelte seinen Sohn stolz an.

Alexi drehte sich zu seinem Vater um. „Das ist eine lange Geschichte, in der ein paar kleine Geldbeträge und ein sehr gieriger Comprador eine Rolle spielen.“

Elysse blieb auf den letzten Stufen stehen, reglos wie eine Statue. Um Himmels willen, irgendetwas stimmte nicht. Sie riss sich zusammen und ging rasch hinunter. Alexi stand bei einer ihrer Freundinnen, die ihn gefragt hatte, wie Pekoe-Tee denn schmeckte. Ehe er antworten konnte, fühlte Elysse, dass sie eine Stufe verfehlte und stolperte.

Verlegen griff sie nach dem Treppengeländer. Normalerweise bewegte sie sich sehr anmutig. Während sie noch tastete, packte jemand sie am Arm und verhinderte damit, dass sie auf die Knie fiel und sich endgültig in eine peinliche Situation brachte: Alexi!

Er legte einen Arm um sie und hielt sie sicher fest.

Als er ihr half, sich aufzurichten, sah Elysse in seine strahlend blauen Augen.

Einen Moment lang stand sie in seinen Armen da. Dann begann er zu lächeln, als amüsierte er sich. „Hallo, Elysse.“

Sie spürte, wie sie rot wurde, aber nicht, weil es ihr peinlich war, sich so ungeschickt benommen zu haben, nicht, weil er sie in seinen Armen hielt – oder vielleicht doch? Sie war schrecklich verwirrt und wusste nicht, was sie tun sollte. Nie zuvor hatte sie sich so klein gefühlt, so zart und so weiblich! Und Alexi war ihr nie so stark erschienen, so groß und männlich! Sein Körper fühlte sich warm und fest an ihrem an, und ihr Herz schlug viel zu schnell.

Was um alles in der Welt stimmte nicht mit ihr?

Irgendwie gelang es ihr, einen Schritt zurückzuweichen und wieder Abstand zwischen sie beide zu bringen. Er grinste noch breiter. Ihr ganzer Körper glühte – selbst ihr Dekolleté fühlte sich heiß an. Aber sie musste sich jetzt zusammenreißen. „Hallo Alexi. Ich habe von Pekoe-Tee noch nie etwas gehört.“ Sie richtete sich auf.

„Das überrascht mich nicht. Niemand bekommt die erste Ernte. Abgesehen natürlich von mir“, prahlte er. Er schien ihren Ausschnitt zu betrachten, dann sah er ihr in die Augen. Sie war nicht sicher, was gerade geschah. Ganz plötzlich fragte sie sich, ob er sie schön fand, wie so viele ihrer Verehrer es taten.

Es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder gefasst hatte. „Natürlich bekommst du den besten Tee.“ Sie wollte ihm nicht sagen, wie sehr sie ihn vermisst hatte, und bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall. „Ich wusste nicht, dass du zurück bist. Wann bist du angekommen?“

„Ich dachte, Ariella hat dir gestern Nacht eine Nachricht geschickt“, meinte er, und sie begriff, dass er sie sofort durchschaut hatte. „Vor drei Tagen hat mein Schiff in Liverpool angelegt. Gestern Abend bin ich nach Hause gekommen.“ Er schob die Hände in die Taschen seines Reitmantels und machte keine Anstalten, in den Salon zurückzugehen.

„Es überrascht mich, dass du dir überhaupt die Mühe gemacht hast, nach Hause zu kommen“, sagte sie beleidigt.

Er sah sie auf eine seltsame Art an, die sie nicht zu deuten vermochte, und hob plötzlich ihre Hand. „Du trägst also noch keinen Ring.“

Sie riss sich los. Bei seiner Berührung schlug ihr Herz schneller. „Ich hatte fünf Anträge, Alexi. Und es waren sehr vielversprechende gewesen. Aber ich habe alle Bewerber abgewiesen.“

Er kniff die Augen zusammen. „Wenn die Angebote so gut waren, warum hast du das dann getan? Ich meine mich zu erinnern, dass du bis zu deinem achtzehnten Geburtstag verheiratet sein wolltest.“

Er machte sich über sie lustig! Oder doch nicht? Er lächelte, aber er sah sie nicht an. „Vielleicht habe ich meine Meinung geändert.“

Alexi sah auf. „Hm, warum überrascht mich das nicht? Bist du eine Romantikerin geworden, Elysse?“ Er lachte. „Wartest du auf die wahre Liebe?“

„Oh, ich hatte vergessen, wie anstrengend du sein kannst! Natürlich bin ich romantisch – ganz im Gegensatz zu dir!“ Seine Neckereien erschienen ihr vertraut und hatten etwas Beruhigendes an sich.

„Ich kenne dich, seit wir Kinder waren. Du bist ganz und gar keine Romantikerin. Dafür kokettierst du zu gern.“

Jetzt ärgerte sie sich wirklich. „Alle Frauen kokettieren gern, Alexi – außer natürlich sie sind alt, fett oder hässlich.“

„Ach, du bist immer noch so gnadenlos offen. Ich glaube allmählich, deine Verehrer besaßen nicht das in deinen Augen notwendige Ansehen, um dich zu heiraten.“ In seinen Augen funkelte es. „Hast du ein Auge auf einen Duke geworfen? Oder vielleicht einen österreichischen Prinzen? Das wäre doch passend! Vielleicht kann ich helfen? Ich kenne den einen oder anderen Duke.“

Das meinte er doch wohl nicht ernst? „Wirklich, du kennst mich überhaupt nicht. Ich bin sehr romantisch. Und nein, du musst nicht helfen.“

„Wirklich nicht?“ Jetzt lachte er ungeniert. „Wir kennen einander sehr gut, Elysse. Tu nicht so, als wäre es anders.“ Er schob ihr Kinn hoch. „Habe ich dich irgendwie verärgert? Ich necke dich nur, meine Süße.“

Sie stieß seine Hand weg. „Du weißt, dass du mich verärgert hast. Nichts hat sich geändert! Ich hatte vergessen, wie gern du mich ärgerst! Und wer bist du überhaupt, dass du dazu eine Meinung äußern darfst? Ich hörte, du hättest eine Frau in jedem Hafen.“

„Über so etwas spricht ein Gentleman nicht, Elysse.“

„Dein Ruf ist allgemein bekannt.“ Sie runzelte die Stirn. Insgeheim fragte sie sich, ob er wirklich so viele Geliebte hatte. Sie war nicht sicher, warum sie das interessieren sollte … aber das tat es irgendwie.

Wieder berührte er ihr Kinn. „Warum siehst du so finster aus? Freust du dich nicht, mich zu sehen?“ Sein Tonfall wurde sanfter. „Ariella sagte, du hättest dich um mich gesorgt. Dass du befürchtet hättest, ich könnte im Chinesischen Meer verschwinden.“

Sie holte tief Luft, wütend auf den Freund und unsicher, was er damit sagen wollte. „Ariella hat sich getäuscht. Warum sollte ich mich um dich sorgen? Dazu bin ich zu beschäftigt. Ich bin gerade aus London und Paris zurückgekommen, Alexi. In den Salons dort sprechen wir nicht über Tee und nicht über Stürme.“

„Oder über mich?“, fragte er. Seine Miene war ernst, aber offenbar unterdrückte er ein Lachen. „Alle sprechen über den China-Handel, Elysse. Es ist eine neue Welt. Die East India Company kann China nicht allein halten, und das Land muss seine Häfen der Welt öffnen.“

„China ist mir egal, ebenso wie der freie Handel oder du“, gab sie zurück und wusste genau, dass sie log. Schließlich war er ihr Freund, seit sie Kinder gewesen waren – und er würde immer ihr Freund bleiben.

„Himmel, mein Herz ist gebrochen.“ Er lächelte ein wenig. „Und wir wissen beide, dass du dich für meine Reisen interessierst. Du bist die Tochter deines Vaters.“

Sie verschränkte die Arme, und er betrachtete ihre Brust. Sie war irritiert, trotz ihres Wunsches, er möge bemerken, dass sie eine erwachsene Frau geworden war. Mühsam gelang es ihr zu sprechen. „Wirst du dein Schiff wieder der East India Company leihen?“

„Oh, ich werde nach China zurückkehren – ich werde mehr als fünf Pfund pro Tonne bekommen, Elysse, nach dieser letzten Fahrt. Aber es gibt Gerüchte, dass die Company bald das Geschäft verlieren wird.“

Er würde die Reise also noch einmal machen. „Und wann wirst du dieses Mal aufbrechen?“

Er grinste. „Also ist es dir doch nicht egal! Du wirst mich vermissen!“

„Ich werde dich nicht vermissen – ich werde zu beschäftigt sein damit, meine Verehrer abzuwehren!“

„Jetzt ist mein Herz wirklich gebrochen.“

Sie bebte vor Zorn. Dieses Mal würde sie ihn vermissen, vielleicht, weil er so lange fort gewesen war. Sie hatte vergessen, wie sehr sie seine Gesellschaft genoss – selbst seine schrecklichen Neckereien. Und das hatte er geahnt.

„Wann wirst du wieder lossegeln?“, hörte sie sich selbst fragen. Die beste Zeit für eine Seereise nach China war der Sommer. Jetzt war es Ende März. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Alexi für weitere zwei Monate auf dem Land blieb und nichts tat.

„Du vermisst mich also“, sagte er schnell. Sein Blick war durchdringend.

Sie leckte sich über die Lippen, antwortete aber nicht. Er beugte sich vor und flüsterte. „Ich habe dir den russischen Zobel mitgebracht, Elysse.“

Er hat sich an das Versprechen erinnert, das er mir gegeben hat. Ehe sie antworten konnte, kam einer ihrer Nachbarn heran. „Ich hoffe, ich störe nicht“, murmelte Louisa Cochrane. „Ich würde gern jemanden kennenlernen, der mit China handelt. Ich liebe meinen Souchong-Tee.“

Einen Moment lang starrte Elysse Alexi ungläubig an. Würde er ihr ein so kostbares Geschenk mitbringen? Er erwiderte ihren Blick, dann drehte er sich zu Louisa um.

Galant beugte er sich über deren Hand. „Alexi de Warenne ist stets zu Ihren Diensten, Madam“, sagte er und richtete sich wieder auf. „Und wenn Sie Souchong mögen, dann werden Sie Pekoe lieben.“

„Ich kann es kaum abwarten, ihn zu probieren.“ Louisa lächelte ihn strahlend an.

Elysse hatte Louisa immer gemocht. Jetzt, da sie den koketten Unterton in ihrer Stimme hörte, konnte sie sie kaum ertragen. Hatte Louisa vor, Alexi nachzustellen? Wieder sah sie ihn an.

„Darf ich Ihnen eine Probe nach Hause bringen? Sagen wir, morgen? Es wäre mir ein Vergnügen.“ Alexi grinste. Seine Absichten jedenfalls waren plötzlich klar.

„Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten, Kapitän“, sagte Louisa leise.

„Sie können mir keine Umstände bereiten, Mrs Cochrane, dazu sind Sie viel zu schön. Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen den Tee selbst zu überbringen.“

Louisa errötete und versicherte ihm, dass er sich nicht so viel Mühe machen musste. Elysses Gedanken überschlugen sich, und sie war verwirrt. Nie zuvor hatte sie sich an seinen Flirts und Verführungsversuchen gestört. Warum sollte sich das bei seiner nächsten Affäre ändern?

„Sie haben so viele Verehrerinnen, Kapitän“, sagte Louisa, ohne auf Elysse zu achten. „Wollen Sie mich nicht in den Salon begleiten, damit wir alle Ihre wunderbaren Geschichten hören können?“

Alexi zögerte und blickte Elysse an. „Willst du nicht mitkommen?“

Einen Moment lang sahen sie einander in die Augen, bis Louisa an seinem Arm zog. Elysse folgte ihnen in den Salon und betrachtete jede Louisa Cochrane aufmerksam, musterte ihr Kleid und ihre Gestalt. Hatte sie nicht gehört, dass Louisa entschlossen war, sich einen reichen Ehemann zu angeln? Aber Alexi wollte doch Junggeselle bleiben. Und sie war doch wohl nicht eifersüchtig, oder? Doch seltsamerweise sehnte sie sich nach Alexis Aufmerksamkeit. Sie hatte so viele Fragen – sie wollte wissen, was er während der letzten zweieinhalb Jahre getan hatte. Und sie wollte ihren russischen Pelz.

Im Salon waren Alexi und Louisa sofort von allen umringt, und Alexi wurde mit noch mehr Fragen über seine Reise bombardiert. Elysse begann sich zu entspannen. Alexi war zu Hause, und sie war beinahe sicher, dass er ihren Charme, ihre Schönheit und ihre Eleganz bemerkt hatte. Sie lächelte, als er eine Frage von Pater MacKenzie beantwortete.

Ariella kam zu ihr. „Ich freue mich so, dass mein Bruder wieder zurück ist. Ist das nicht großartig?“

„Es ist wirklich großartig, aber ich hoffe, Louisa wird nicht seine ganze Zeit in Anspruch nehmen. Wir wissen beide, dass er nicht lange im Land bleiben wird.“

Ariella zog die Brauen hoch. „Nun, er scheint sehr an Louisa interessiert zu sein.“

„Weißt du, Louisa hat etwas zu große Zähne, findest du nicht?“, hörte Elysse sich selbst sagen.

„Sie ist reizend!“, rief Ariella aus. „Du – du bist doch nicht eifersüchtig, oder?“

Elysse sah die Freundin an. „Natürlich nicht“, entgegnete sie spöttisch.

Ariella lehnte sich zu ihr hinüber und flüsterte: „Warum gehst du nicht hin und sprichst mit dem armen James Ogilvy? Er steht da hinten ganz allein und starrt dich mit einem bewundernden Lächeln an.“

Ogilvy machte ihr nun seit einem Monat den Hof, aber Elysse merkte, dass sie das Interesse verloren hatte. Trotzdem lächelte sie ihn an. Sofort kam er auf sie zu. Als er sich galant über ihre Hand beugte, sah sie, wie Alexi sich zu ihnen umdrehte. Zufrieden wandte Elysse ihre ganze Aufmerksamkeit James zu. „Sie haben mir ein Picknick am Swan Lake versprochen.“

Er sah sie erstaunt an. „Ich dachte, Sie hätten daran kein Interesse, denn Sie haben es ja nie wieder angesprochen.“

Lächelnd berührte sie seinen Arm. „Ich bin sehr interessiert. Tatsächlich kann ich es kaum erwarten.“

„Dann können wir unseren Ausflug vielleicht morgen Nachmittag machen?“, fragte er eifrig.

Sie warf einen Blick zu Alexi, der jetzt mit dem Squire sprach. Sie wusste nicht, wie lange Alexi hier auf dem Land bleiben würde, und sie wollte sich die Zeit frei halten, bis er wieder nach London abreiste. Sie lächelte James strahlend an. „Wäre nächste Woche recht? Morgen habe ich eine Verabredung.“ Das stimmte nicht ganz, aber es war nur eine harmlose kleine Schwindelei.

Sie unterhielten sich noch ein Weilchen. Es war sehr schwer, das Gespräch mit James in Gang zu halten und gleichzeitig zu versuchen, jedes Wort zu verstehen, das Alexi sagte, und ihn aus den Augenwinkeln zu beobachten. Während sie ihre Pläne mit Ogilvy besprach, bemerkte sie, dass sie noch einen weiteren Verehrer hatte. Montgomery, der nun mit Ariella redete, blickte immer wieder zu ihr hin. Elysse hatte ihm bisher nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt tat sie es und stellte fest, dass er außerordentlich gut aussah. Obwohl er nur ein Navigator war, benahm er sich wie ein Gentleman. Er sah wieder zu ihr hin, und sie wünschte, er hätte gebeten, ihr vorgestellt zu werden. Ihr kam der Gedanken, dass er die letzten beiden Jahre mit Alexi verbracht hatte. Sie entschuldigte sich bei James.

Montgomery lächelte, als sie näher kam. „Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt wurden, Miss O’Neill. Natürlich habe ich alles über Sie von Kapitän de Warenne gehört, aber das ist nicht der Grund, warum ich so sehr darauf brenne, sie kennenzulernen.“

Elysse verstand und fühlte sich geschmeichelt. „Cliff hat von mir gesprochen?“

Montgomery lächelte. „Nein, ich meinte meinen Kapitän. Alexi.“ Er trat näher. „Mein Name ist William Montgomery. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

Offensichtlich war er kein Gentleman. Kein Mann aus guter Familie würde jemals als Navigator auf einem Schiff anheuern, aber Elysse war beeindruckt von seinem Charme. Er hatte einen unüberhörbaren südlichen Akzent, und sie erinnerte sich, dass die meisten Amerikaner aus den Südstaaten sehr galant waren. „Und es ist mir ebenfalls ein Vergnügen, Sir.“ Sie lachte. „Es geschieht nicht jeden Tag, dass ich einen furchtlosen Navigator kennenlerne, der das Chinesische Meer durchfahren hat!“

Er lächelte nun herzlicher und ließ den Blick ganz kurz über ihren Ausschnitt gleiten. „Unsere Reisen sind lang, Miss O’Neill, und schöne Damen gibt es dort selten. Ich war mir nicht sicher, ob Sie mit mir sprechen würden.“

„Sie sind unser Gast!“, rief sie und berührte ganz leicht seinen Arm. Sie kokettierte ein wenig. „Woher stammen Sie, Mr Montgomery? Meine Familie besitzt eine Plantage in Virginia.“

„Baltimore, Miss O’Neill. Wie der Kapitän entstamme ich einer langen Reihe von Seefahrern. Mein Vater war Kapitän, mein Großvater Navigator, genau wie mein Urgroßvater vor ihm hier in Großbritannien. Ich bin aufgewachsen mit den Seefahrergeschichten meines Großvaters, die vor allem von der Elfenbeinküste handelten und von Afrika – im letzten Jahrhundert natürlich.“

„Mein Vater war Marinekapitän, Mr Montgomery, daher fasziniert mich das.“ Das meinte Elysse ganz ehrlich. Aber was noch wichtiger war: Gerade hatte Alexi das Gespräch bemerkt. „Natürlich handeln wir hier im Empire nicht mehr mit Sklaven, aber zur Zeit Ihres Großvaters war das ein wichtiges Geschäft, nicht wahr?“

„Das stimmt“, erwiderte er. „In Amerika wurde der Sklavenhandel 1808 verboten, vor meiner Geburt. Zur Zeit meines Großvaters war das ein gefährliches Geschäft – ich glaube, der afrikanische Kontinent ist noch immer gefährlich, jedenfalls für jene, die dort Geschäfte machen wollen.“

„Ich bin gegen den Sklavenhandel“, erklärte Elysse fest. Im Britischen Empire war dieser Handel seit 1807 verboten. „Obwohl meine Familie eine Tabakplantage in Virginia besitzt und wir dort, auf Sweet Briar, auch Sklaven haben, bin ich für die Befreiung, sowohl im Empire als auch in der übrigen Welt.“

„Das ist eine kühne Meinung, Miss O’Neill. In meinem Land ist die Sklavenbefreiung ein Thema, das uns entzweit. Wenn ich so kühn sein darf, das zu sagen, so würde ich Sweet Briar gern besichtigen, wenn ich mal wieder in Virginia bin.“ Er lächelte und zeigte starke weiße Zähne. „Ich würde diesen Besuch besonders genießen, wenn Sie dort wären, um mir die Plantage zu zeigen.“

Elysse lächelte. „Ich würde Sie liebend gern dort herumführen. Aber wie sollten wir das arrangieren? Wenn ich das nächste Mal dort bin, werden Sie zweifellos nach China unterwegs sein!“

„Ja, ich werde das Kap der Guten Hoffnung umfahren!“

„Oder das Chinesische Meer!“ Sie lachte. „Wenn Sie meinen Brief bekommen, werde ich vermutlich schon wieder zu Hause sein.“

„Vermutlich. Welch ein Verlust für mich!“

Sie lächelten einander zu. „Ich hörte Alexi sagen, dass Sie sich in Kanada kennengelernt haben“, meinte Elysse.

„Das ist richtig. Mitten in einem Schneesturm. Tatsächlich wollten Diebe die Felle stehlen, die Alexi gerade als Fracht für seine Heimfahrt gekauft hatte. Ich habe ihm das Leben gerettet, und seither sind wir Freunde.“

Elysse war fasziniert. „Wie haben Sie ihm das Leben gerettet?“

Hinter ihr sagte Alexi leise: „Die Franzosen hatten ein paar Eingeborene in ihren Diensten, und sie waren in der Überzahl.“

Sie war so in das Gespräch vertieft gewesen, dass es einen Moment dauerte, bis sie merkte, dass Alexi zu ihnen gekommen war. Sie drehte sich um, und ihr Herz schlug viel zu schnell. Er stand neben ihnen, die Arme vor der Brust verschränkt, und lächelte. Aber sie kannte ihn gut: Dieses Lächeln war nicht echt.

Sie war verwirrt. „Was ist los?“ War er etwa eifersüchtig?

„Was für einen Brief willst du William schicken?“

„Eine Einladung nach Sweet Briar“, sagte sie leichthin, dann drehte sie sich wieder zu Montgomery um und kehrte Alexi damit den Rücken zu.

„Ich möchte so gern mehr von Kanada hören, über die Diebe und die Eingeborenen“, sagte sie eifrig.

„Das ist eine lange Geschichte“, begann der Amerikaner und sah Alexi an.

„Eine, die nicht für die Ohren einer Lady bestimmt ist“, sagte Alexi ausdruckslos. „Würdest du uns bitte entschuldigen, William?“

Montgomery zögerte. Dann verneigte er sich. „Es war mir ein Vergnügen, Miss O’Neill. Ich hoffe, wir können das Gespräch ein andermal fortsetzen.“

„Natürlich können wir das“, sagte Elysse und lächelte ihn an. Was verheimlichte Alexi ihr? Glaubte er wirklich, sie wäre zu schwach, um die Wahrheit über seine Reisen zu hören? War etwas Schreckliches geschehen, etwas, von dem er nicht wollte, dass sie es hörte?

William Montgomery ging davon und gesellte sich zu Devlin und Cliff. Elysse bemerkte, dass sie mit Alexi allein war. Dieser sah sie finster an. „Was ist los?“, fragte sie. Er schien wirklich böse zu sein, weil sie mit Montgomery gesprochen hatte. „Dein Navigator ist ein interessanter Mann. Und überdies ein sehr gut aussehender.“

Er nahm ihren Arm und zog sie in eine Ecke bei den Fenstern, deren Vorhänge zugezogen waren. „Flirte nicht mit Montgomery, Elysse.“ Sein Tonfall klang warnend.

„Warum nicht?“, rief sie und befreite sich aus seinem Griff.

„Er ist ein Navigator, Elysse. Und ein Schürzenjäger!“

Sie erschrak. „Du bist auch ein Schürzenjäger, und mit dir darf ich sprechen!“

Er sah sie finster an. „Er ist nicht für dich bestimmt. Ich schlage vor, du flirtest mit Ogilvy und seinesgleichen.“

Sie sah ihm in die Augen. Bisher war er noch nie auf ihre Verehrer eifersüchtig gewesen – und William Montgomery war noch nicht einmal ein Verehrer. Alexi hatte recht. So interessant er auch sein mochte, er war ein Navigator, kein Gentleman.

Sie lächelte, streckte den Arm aus, berührte seine Hände, sie waren groß, stark und sonnengebräunt. „Du musst nicht eifersüchtig sein, Alexi“, sagte sie leise.

„Du musst es gar nicht erst versuchen. Ich bin nicht eifersüchtig.“ Er zuckte die Achseln. „Ich versuche nur, dich vor einem gefährlichen Mann zu beschützen, Elysse. Montgomery hat eine besondere Art, mit Frauen umzugehen, und ich möchte nicht, dass du in seinen Bann gerätst.“

„Ich stehe kaum in seinem Bann.“ Sie sah zu ihm auf, durch ihre dichten Wimpern, und kokettierte. „Ich bin froh, dass du nicht eifersüchtig bist, Alexi. Mr Montgomery ist wirklich interessant, geradezu faszinierend. Und er sieht sehr gut aus. Außerdem ist er Gast in unserem Haus.“

Einen Moment lang starrte er sie an. Elysse kannte ihn gut, aber sie wusste nicht, was er jetzt dachte. Dann beugte er sich so weit vor, dass sie bis zu den Vorhängen zurückweichen musste. „Versuchst du, mit mir zu spielen?“, fragte er sehr, sehr leise.

Sie erschauerte ein wenig und konnte kaum noch atmen. „Ich weiß nicht, was du meinst. Aber du kannst nichts dagegen haben, dass ich ein angenehmes Gespräch mit deinem Navigator führe – oder ihn wiedersehe.“ Sie schlug die Wimpern nieder. Ihr Herz klopfte viel zu schnell.

„Montgomery hat die Ariel nach Kanada, nach Jamaika, nach Kanton und wieder zurück navigiert. Ich vertraue ihm mein Schiff an und das Leben meiner Männer. Aber in Bezug auf dich traue ich ihm nicht.“ Sein Blick wurde ernster. Dann fügte er hinzu. „Du bist unmöglich, Elysse. Ich bitte dich, ihm aus dem Weg zu gehen. Um deinetwillen. Nicht um meinetwillen.“

Seine Schulter berührte sie. Es fiel ihr jetzt schwer, klar zu denken. Sie flüsterte: „Ich werde darüber nachdenken.“

Ganz plötzlich betrachtete er ihren Mund. Elysse erstarrte. Einen Moment lang glaubte sie, er würde sie küssen. Doch dann richtete er sich auf und schüttelte langsam den Kopf, voller Widerwillen. „Gut. Denk darüber nach. Aber sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

2. Kapitel

Er war ruhelos, und er wusste nicht warum. Nachdem er so lange von seiner Familie getrennt gewesen war, hätte seine Stimmung viel gelöster sein müssen. Gewöhnlich war die Zeit, die er zu Hause in Irland verbrachte, angenehm und erholsam – mit langen Ritten über das Land, Besuchen bei den Nachbarn, Tee mit seinen Schwestern und Abendessen mit der gesamten Familie. Jetzt fühlte er sich nicht, als hätte er freie Zeit. Er hatte das Gefühl, er müsste auf sein Schiff zurück und Segel setzen.

In der vergangenen Nacht hatte er nicht schlafen können, weil er über die Heimfahrt aus China nachgedacht hatte, den Preis, den er für den Tee von den Londoner Agenten bekommen würde, und wie schnell er das nächste Mal fahren könnte. In Gedanken zeichnete er die Pläne für das Schiff, das er nur für den Handel mit China allein bauen lassen wollte. Doch in dem dunklen Schlafzimmer waren seine Gedanken immer wieder zurück zu Elysse O’Neill gewandert. Selbst jetzt, als er beim Frühstück mit seiner Familie zusammensaß, waren seine Gedanken bei ihr.

Sie war schon immer schön gewesen. Das hatte er schon als kleiner Junge gedacht, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren. Nie würde er vergessen, wie er zum ersten Mal den Salon von Harmon House betreten hatte. Er war gerade mit seinem Vater nach einer langen Schiffsreise von Jamaika, wo er aufgewachsen war, in London angekommen. Er hatte natürlich über London gelesen, aber nie hätte er sich eine so große, lebendige Stadt vorstellen können, mit so vielen Herrenhäusern und Villen. So aufgeregt, wie er gewesen war, voller Vorfreude, endlich das Heimatland seines Vaters kennenzulernen, so ängstlich fühlte er sich gleichzeitig – und achtete sorgfältig darauf, das zu verbergen. Auf dem Weg nach Harmon House sah er viele von Londons Sehenswürdigkeiten. Harmon House war ihm so majestätisch und beeindruckend erschienen wie der Buckingham Palace.

Um seine Anspannung zu verbergen, war er ganz langsam und aufrecht in den Salon des Hauses geschritten. Sein Vater war von seinen Brüdern herzlich begrüßt worden. Einer davon war der Earl of Adare. Mehrere andere Erwachsene und Kinder waren auch dort gewesen. Er sah nur das reizende goldblonde Mädchen, das in rosa Seide und Satin gekleidet war und auf einem mit gelbem Damast bespannten Kanapee saß.

Irrtümlich hielt er sie für eine echte Prinzessin, weil er noch nie so ein hübsches Mädchen gesehen hatte. Und als sie ihn ansah, fühlte er sich, als stockte ihm der Atem. Aber sie hatte die Nase hochgereckt wie ein echter Snob. Sofort war in ihm der Wunsch erwacht, sie zu beeindrucken. Er war zu ihr geschlendert und hatte ohne irgendeine Einleitung angefangen, mit seinen Erlebnissen auf hoher See zu prahlen. Dabei waren ihre blauen Augen so groß geworden wie Untertassen.

Bei der Erinnerung daran musste Alexi lächeln. Innerhalb weniger Tage waren sie Freunde geworden. Doch dann verschwand sein Lächeln. Am vergangenen Abend war Elysse noch schöner gewesen als in seiner Erinnerung. War es möglich, dass er einfach vergessen hatte, wie schön sie war? Und wie zierlich? Als er zu ihr geeilt war, um ihr aufzuhelfen, und sie in den Armen hielt, war er überrascht, wie zart und feminin sie sich in seinen Armen anfühlte.

Natürlich war er nicht der einzige Mann, der bemerkt hatte, wie hinreißend sie aussah. Ogilvy war vollkommen verzaubert – und wenn er sich nicht täuschte, dann hatte sie auch seinen Navigator betört.

Sein Herz schlug schneller. Sie war so wunderschön – und sie wusste es. Sie hatte es schon als kleines Mädchen gewusst. Schon damals kokettierte sie gerne, und das schien sich nicht geändert zu haben. Er hatte das schon seit Jahren beobachtet und sich über ihr Verhalten amüsiert. Trotzdem hatte er nie ganz verstanden, wie es kam, dass ihre Verehrer sich so von ihr an der Nase herumführen ließen – als ständen sie in ihrem Bann.

Hatte sie wirklich vorgehabt, ihn zu verführen? Hatte sie geglaubt, ihn an der Nase herumführen zu können? Wenn sie ihn noch einmal mit diesem Augenaufschlag ansah, dann würde er darauf eingehen und sie küssen, bis sie den Verstand verlor. Sie wäre sicher entsetzt … Oder etwa nicht?

Nur leider wusste er, dass er sich selbst etwas vormachte. Er würde sie niemals so behandeln. Er hatte immer eine besondere Bindung zu ihr gespürt, von dem Augenblick an, da sie einander das erste Mal begegnet waren. Und das hatte sich nie geändert.

Andere glaubten vielleicht, dass sie hochnäsig war, aber er wusste es besser. Er kannte das goldene Herz, das in ihrer Brust schlug. Er wusste auch, wie freundlich sie sein konnte – und wie loyal. Sie konnte nichts dafür, dass ihre Eltern sie verwöhnten oder dass sie mit so vielen Privilegien und ihrer Schönheit gesegnet war. Nichts von alledem spielte wirklich eine Rolle. Wichtig war nur, wie gut sie ihn verstand. Manchmal hatte er das Gefühl, sie könnte seine Gedanken lesen, selbst wenn er gar nichts gesagt hatte. Und wie oft hatte er ihre Gedanken erraten – und ihre Geheimnisse – ohne dass sie je darüber gesprochen hatte?

Doch von Anfang an war dieses starke Band für ihn problematisch gewesen. Von ihrer ersten Begegnung im Kindesalter an hatte es diese Anziehung zwischen ihnen gegeben. Als Junge hatte er immer gedacht, dass er sie eines Tages, wenn sie beide erwachsen wären, heiraten würde. Daran hatte es nie irgendeinen Zweifel für ihn gegeben.

Aber mit fünfzehn Jahren hatte er die Frauen für sich entdeckt. Genau genommen die körperlichen Freuden. Und alle Gedanken und Hoffnungen auf eine Zukunft mit Elysse waren in den Hintergrund gerückt.

Nun, jetzt war er wieder nach Hause zurückgekehrt und weder ein naiver achtjähriger Junge noch ein von Trieben gesteuerter Fünfzehnjähriger mehr. Er war jetzt einundzwanzig und ein sehr erfolgreicher Kapitän eines Handelsschiffs.

Außerdem war er Junggeselle – und genoss diesen Status. Er war nicht interessiert an einer Heirat, jedenfalls nicht so bald. Aber die Anziehung, die er von Anfang an gefühlt hatte, war jetzt nicht mehr vage. Er spürte sie heftig und heiß in seinen Lenden. Das Verlangen war unverkennbar, und es ließ sich nicht so leicht ignorieren. Es war heftig und beunruhigend.

Je eher er Irland verließ, desto besser. Dann konnte er sich überlegen, wie er mit seinen Gefühlen für sie umging, wenn er das nächste Mal nach Hause kam.

„Die Gegend hier ist reizend, Mrs De Warenne.“

Sofort schreckte Alexi aus seinen Gedanken.

„Ich bin froh, dass Sie das so empfinden“, erwiderte Amanda, seine Stiefmutter, und lächelte William Montgomery über den großen Tisch im Esszimmer hinweg an.

„Ich glaubte, ich würde nur ein oder zwei Tage hier auf dem Land verbringen, aber ich irrte mich“, sagte Montgomery mit seinem schweren Südstaatenakzent und nippte an seinem chinesischen Tee. „Es würde mir gefallen, öfter über die irischen Moore zu reiten.“

Sie saßen zusammen mit Amanda und Cliff am Tisch. Seine Schwestern waren noch oben. Sein Vater war in die London Times vertieft, und Alexi hatte versucht, die Dubliner Zeitung zu lesen. Außerhalb Großbritanniens waren sie kaum zu bekommen, deshalb hatte er sich sehr auf die Lektüre gefreut. Vor allem die Gesellschaftsspalte hatte es ihm angetan – er hatte den Klatsch über die Leute hier vermisst –, aber an diesem Morgen war es ihm nicht gelungen, sich auch nur auf ein einziges Wort zu konzentrieren. Jetzt sah er seinen Navigator an. In Kanada hatte ihm Montgomery das Leben gerettet und dafür sein eigenes Leben riskiert. Sie waren zwar Freunde, aber er wusste auch, dass der Navigator rücksichtslos sein konnte, wenn es um attraktive Frauen ging.

Natürlich würde Montgomery niemals versuchen, Elysse zu verführen. Er war schließlich Alexis Navigator und Gast in seinem Zuhause. Der Flirt am vergangenen Abend war belanglos gewesen. Aber warum wollte er noch länger hier auf dem Land bleiben?

„Bis zum Abend wirst du dich langweilen“, sagte Alexi und hoffte, dass er damit recht hatte. „Ich denke schon darüber nach, ob ich meinen Aufenthalt hier nicht abkürzen sollte.“

Cliff ließ seine Zeitung sinken. Er sah seinen Sohn prüfend an. „Warum solltest du das tun wollen?“

„Ich will nach London und anfangen, an den Plänen für mein neues Schiff zu arbeiten“, sagte er. In London konnten er und Montgomery alles machen, wonach ihnen der Sinn stand.

Amanda lächelte dem Navigator zu. „Ich bin so glücklich, dass Ihnen Irland gefällt. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich hierherkam. Ich war ganz hingerissen von jeder Einzelheit. Die alten Häuser, die grünen Hügel, der Nebel, die Menschen! Sie sind das erste Mal hier, oder nicht?“

„Ja, so ist es, und ich kann Ihnen für Ihre Gastfreundschaft gar nicht genug danken. Ihr Haus ist so reizend, Mrs De Warenne.“ Jetzt sah er Alexi an und lächelte. „Ich habe es gestern auch sehr genossen, die Familie O’Neill kennenzulernen.“

Alexi warf die Dublin Times beiseite und setzte sich aufrecht hin. Er hatte nicht gelogen, als er Elysse gesagt hatte, dass der Amerikaner ein schrecklicher Frauenheld war. Sie hatten zehn Tage in Batavia verbracht, hatten getrunken, gespielt und waren mit Dirnen zusammen gewesen, während sie darauf warteten, dass der Wind sich drehte und sie durch das Chinesische Meer nach Kanton fahren konnten. Montgomery war ein gut aussehender Mann mit reichlich Südstaatencharme, und alle Frauen hatten ihn umschwärmt. Seine weltmännische Art hatte ihn in allen Hafenstädten Zugang in die besseren Häuser gewährt, wo er selbst verheiratete Frauen verführt hatte – aber bisher hatte er noch nie eine unschuldige Tochter entehrt, jedenfalls nicht, soweit Alexi wusste. Bisher war er ein treuer Freund gewesen. Er würde doch bestimmt nicht länger in Irland bleiben wollen, um Elysse den Hof zu machen. Oder hatte sie ihn schon so gründlich verzaubert? Wenn ein Mann eine Frau wirklich wollte, vermochte er oftmals nicht klar zu denken.

Cliff überraschte sie alle, indem er sagte: „Elysse O’Neill ist eine reizende junge Dame.“

„Ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor eine schönere Frau getroffen habe“, erwiderte Montgomery knapp. „Oder eine so charmante.“

Alexi war fassungslos. Wollte Montgomery nur höflich sein – oder war er wirklich in Elysses Bann geraten? Er klang sehr ernsthaft. „Sei vorsichtig, mein Freund, oder sie wird dich schon bald an der Nase herumführen, wie sie es mit all ihren Verehrern tut.“

„Alexi!“ Amanda sah ihn fassungslos und missbilligend an. „Das war schrecklich unhöflich!“

Alexi drehte die Untertasse herum. „Nun, ich sorge mich nur um meinen Freund. Es ist nicht nötig, dass ihm das Herz gebrochen wird. Elysse tut niemandem absichtlich weh“, fügte er hinzu und wusste, dass das stimmte. „Aber sie ist sehr kokett und sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst. Ich habe zugesehen, wie sie Verehrer sammelt, seit sie zwölf oder dreizehn war. Sie ist geübt darin. Und ehrlich gesagt scheint sie heute noch ungenierter, als sie es bei meiner Abreise war.“

Cliff schüttelte den Kopf. „Dieses Gespräch ist äußerst unangemessen, Alexi.“

„Es schadet nichts zu kokettieren“, sagte Amanda zu ihm. Es klang wie eine Zurechtweisung.

Montgomery fügte hinzu: „Bei mir zu Hause wird eine Lady, die die Männer nicht umgarnen kann, als seltsam angesehen. In Maryland gilt es geradezu als Kunst, zu kokettieren.“

Alexi verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte die Stirn. Er wusste selbst nicht, was ihn dazu gebracht hatte, so abwertend von Elysse zu sprechen, noch dazu vor seinem Freund, der nicht zur Familie gehörte.

„Ich denke, du solltest Abstand wahren, William. Ihr Charme kann fatal sein.“

Auf Montgomerys Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln aus. „Sprichst du aus eigener Erfahrung, Alexi?“

Alexi erstarrte. „Ich hatte noch nie ein gebrochenes Herz – und ich habe auch nicht vor, das zu erleben.“

„Du weißt, dass wir auf unseren Reisen nur selten Frauen treffen. Die letzte Nacht war sehr erfreulich – ich freue mich schon auf die Gesellschaft all der Damen hier.“ Der Navigator nahm seine Tasse und trank einen Schluck.

Seine Absichten waren deutlich. Er wollte Elysse wiedersehen. Alexi sah ihn nachdenklich an. Es war ihm wirklich egal, wenn Montgomery und Elysse ein- oder zweimal miteinander schäkerten, solange Montgomery sich respektvoll verhielt. Wahrscheinlich gab überhaupt keinen Grund zu glauben, dass sein Navigator sich jemals anders benehmen würde – sie waren nicht in Lissabon, Malta oder Singapur – aber er fühlte sich weiterhin beunruhigt. Er spürte, dass Montgomery sich mehr für Elysse interessierte, als es ihm guttat – oder ihr. Soweit es Elysse betraf, traute er seinem Navigator einfach nicht, wie er es Elysse schon am vergangenen Abend gesagt hatte. „Wisst ihr, Dublin ist eine unterhaltsame Stadt. Wir sollten ein paar Tage dort verbringen, ehe wir nach London zurückkehren.“

Montgomery antwortete nicht.

„Bitte fahr nicht so schnell wieder weg“, sagte Amanda und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie stellte sich hinter Alexi und legte ihre Hand auf seine Schulter. „Wir haben dich alle so sehr vermisst.“

Alexi wusste, dass er seine Familie nicht enttäuschen konnte. Er lächelte seiner Stiefmutter zu. „Ich verspreche, nicht zu schnell abzureisen.“

„Gut.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und entschuldigte sich dann.

„Darf ich eine Frage stellen?“, wollte Montgomery wissen.

Alexi sah ihn an, während sein Vater sich wieder der London Times widmete.

„Warum ist Elysse nicht verheiratet?“

Alexi hätte sich um ein Haar verschluckt. Ehe er etwas sagen konnte, raschelte Cliff mit seiner Zeitung und antwortete: „Ihr Vater möchte, dass sie aus Liebe heiratet. Das hat Devlin oft genug gesagt.“

Montgomery setzte sich aufrecht hin. „Gewiss will er für sie einen Gentleman finden, mit einem Titel und reichlich Vermögen.“

„Ich bin sicher, dass er sich für Elysse alle Privilegien wünscht, aber vor allem möchte er, dass in ihrer Ehe wirkliche Zuneigung existiert“, sagte Cliff. Er legte die Zeitung weg. „Ich fürchte, ich muss heute einige Pächter besuchen, Alexi. Möchtest du mitkommen?“

Montgomery war offenbar überrascht von Cliffs Antwort, und ebenso offensichtlich dachte er nach. Alexi glaubte es kaum. Sein Navigator hatte doch nicht etwa vor zu heiraten? Er konnte nicht anders, als an den Jungen zu denken, der er einst gewesen war. Der Junge, der insgeheim davon ausgegangen war, dass er eines Tages erwachsen sein und Elysse O’Neill heiraten würde. „Ich habe andere Pläne, Vater.“

Gerade jetzt aber war eine Heirat das Letzte, was er wollte. Er sehnte sich nur danach, all dieser Verwirrung und dem Verlangen zu entkommen. Er konnte es nicht erwarten, nach China zurückzusegeln, eine weitere Ladung Pekoe zu holen und gegen die Zeit und seine Rivalen nach Großbritannien zurückzufahren.

Aber er konnte dies jetzt nicht auf sich beruhen lassen.

Cliff verließ das Speisezimmer. Montgomery sagte sehr ernsthaft: „Eine Lady wie Elysse O’Neill verdient alles, was das Leben zu bieten hat.“ Abrupt nahm er seine Teetasse.

Alexi starrte ihn an. Erwog der Amerikaner plötzlich die Möglichkeit, dass Elysse ihn wirklich mochte? Dass er sie dazu bringen könnte, dass sie ihn liebte? Elysse bewunderte Montgomery. Er war männlich, attraktiv, alle Frauen schwärmten für ihn. Männer wie Montgomery verbesserten durch eine Heirat ständig ihren Rang. Und er war ein Opportunist. Devlin würde in dem Amerikaner vielleicht sogar den Seefahrer sehen und ihn in seine eigene Schifffahrtslinie aufnehmen. Ganz plötzlich war er sicher, dass sein Navigator nicht nur Gefallen an der schönen Elysse gefunden hatte, sondern auch an der Aussicht, in die vermögende Familie O’Neill einzuheiraten.

Die Lage hatte sich vollkommen verändert.

Er schob seinen Teller weg. Elysse konnte auf keine Gesellschaft gehen, auf keinen Tanz oder Ball, ohne dass jeder Mann im Raum sie bewunderte und sie ihn mit ihrem Lachen ansteckte, mit ihrem Aussehen und ihrem Charme betörte. Sie hatte eine Art an sich, an den Lippen eines Mannes zu hängen, sodass er sich groß, stark und bedeutend fühlte. Hundertmal hatte er zugesehen, wie sie das machte. Nein, öfter sogar. Sie verzauberte das männliche Geschlecht, seit sie ein Kind von sieben Jahren gewesen war! Aber es war eine schlechte Idee, Montgomery zu betören. Das hatte er ihr gesagt. Wenn er es wirklich auf ihr Erbe abgesehen hatte, wäre es sogar noch schlimmer.

Alexi verschränkte die Arme. „Du wirkst sehr nachdenklich, William.“

Montgomery sah auf. „Ich überlegte gerade, wie ich den Morgen verbringen soll.“

„Gehen wir ausreiten!“

„Das ist eine gute Idee, solange ich um eins zurück bin.“

Alexi sah ihn fragend an. „Und was geschieht zu dieser wichtigen Stunde?“

„Ich werde einen Ausflug aufs Land machen mit der reizendsten jungen Dame, der ich je begegnet bin.“

Sie hatten gestern Abend also verabredet, sich heute zu treffen? Natürlich hatten sie das, denn Elysse hatte seine Warnungen ignoriert.

„Macht dir das etwas aus?“, fragte Montgomery und sah Alexi durchdringend an.

„Es wird heute regnen.“ Als Seemann konnte er den nahenden Wetterumschwung fühlen. Und er wusste genau, dass auch Montgomery es spürte.

Der Amerikaner beugte sich vor. „Ein paar Tropfen werden mich nicht daran hindern, Miss O’Neills Gesellschaft zu genießen. Nur ein Narr würde unseren Nachmittag aufschieben. Ich fragte, ob es dir etwas ausmacht, Alexi.“

Unseren Nachmittag. „Ehrlich gesagt, ja.“

Montgomerys Augen funkelten. „Das dachte ich mir. Du bist also interessiert an Miss O’Neill?“

Alexi verzog keine Miene. „Nein, aber ich stehe ihr und ihrer Familie sehr nahe, Montgomery. Wir sind Freunde, daher werde ich offen mit dir reden. Sie ist eine Lady. Eine Lady, die ich immer beschützen werde.“

Montgomery leckte sich über die Lippen. „Vor mir musst du sie nicht beschützen.“

Alexi lachte auf. „Was hast du im Sinn, Montgomery? Seit wann spielst du den Gentleman und gehst mit Damen spazieren? Ich weiß, was du von einer Frau willst – wir haben uns oft genug gemeinsam amüsiert. Elysse O’Neill ist eine Lady, und sie ist unschuldig. Sie ist nicht für dich bestimmt.“

„Mir ist durchaus bewusst, dass sie keine Hafendirne ist. Ich genieße es nur, Zeit mit ihr zu verbringen. Ich habe nichts Anstößiges vor.“ Sein Blick wurde härter. „Außerdem genießt sie meine Gesellschaft ebenfalls.“

Alexi setzte sich aufrechter hin und war davon überzeugt, dass Montgomery sich Chancen für weitaus mehr ausrechnete als nur für eine Verführung. Was würde er tun, wenn Elysse sich entschloss, den Navigator zu heiraten? Konnte sie so dumm sein, sich in ihn zu verlieben? „Sie kokettiert mit jedem. Du nimmst sie zu ernst.“

„Du bist doch nur eifersüchtig.“

Alexi war entgeistert. „Ich kenne sie seit unserer Kinderzeit, Montgomery. Ich kenne sie so gut, wie ich meine eigenen Schwestern kenne. Warum sollte ich eifersüchtig sein auf ihre oberflächlichen Schwärmereien? Schon seit Jahren beobachte ich, wie ihre Verehrer kommen und gehen. Ich bin lediglich besorgt, als ihr Freund und als ihr Beschützer.“

„Du bist eifersüchtig, weil sie schöner ist, als man es mit Worten beschreiben kann“, sagte Montgomery und stand abrupt auf. „Jeder Mann, dem Blut in den Adern fließt, würde davon träumen, dass sie ihn anlächelt und ihn in ihre Arme nimmt. Ich kenne dich! Du hast genauso von ihr geträumt wie alle anderen.“

Auch Alexi hatte sich erhoben. Sein Herz schlug wie wild. „Ich versuche dich zu warnen. Sie spielt mit deinen Gefühlen. Ich habe sie den größten Teil meines Lebens mit Männern spielen sehen.“

„Und ich versuche dir zu erklären, dass mir das nichts ausmacht. Aber wenn du es unbedingt wissen musst: Ich glaube, sie ist ehrlich an mir interessiert.“ Er fügte hinzu: „Sie mag mich wirklich, Alexi. Sie fühlt sich zu mir hingezogen. Ich war oft genug mit Frauen zusammen, um zu wissen, wann eine wirklich interessiert ist. Vielleicht musst du das ganz einfach hinnehmen.“

Alexi erwiderte schroff: „Du wirst an der Nase herumgeführt. Und wenn du glaubst, dass sie sich von dir den Hof machen lässt, dann täuschst du dich.“

Montgomery lächelte ihn an. „Wir fahren mit der Kutsche aus, Alexi. Es ist ein Nachmittagsausflug. Ich kann mich nicht erinnern, davon gesprochen zu haben, ihr einen Antrag machen zu wollen.“

Maß er dem zu viel Bedeutung bei, was vielleicht wirklich nur ein unschuldiges Treffen war? „Gut. Dann viel Vergnügen bei deiner Ausfahrt.“ Dann fügte er gereizt hinzu: „Aber vergiss nicht: Sie ist eine Lady, und sie ist meine Freundin.“

„Wie könnte ich das je vergessen?“

„Wenn sie dich anlächelt, als wärest du der einzige Mann auf der Welt, und du bist gerade mit ihr allein … Dann vergisst du vielleicht alles bis auf das, was da pochend unter deinem Gürtel ist.“

Sie sahen einander an. „Ich würde sie niemals verführen“, sagte Montgomery endlich. Alexi sah ihn noch immer an, seine Miene war ausdruckslos. „Merkst du, dass wir streiten?“

„Wir streiten nicht. Wir sind Freunde“, sagte Alexi. Doch die Worte klangen falsch und leer. Montgomery schien auf einmal ein gefährlicher Gegner zu sein. Alexi konnte nicht vergessen, dass er dem Amerikaner in Bezug auf Elysse nicht traute. Und er war böse auf sie, weil sie sich mit seinem Navigator eingelassen hatte. „Wir sind tatsächlich sogar mehr als Freunde. Ich schulde dir mein Leben. Ohne dich würde mein Skalp jetzt in der Hütte eines Diebes hängen, irgendwo in Kanada.“ Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Es war unmöglich. Er sah Elysse in Montgomerys Armen vor sich, ihre Umarmung war leidenschaftlich. Himmel, er wusste nicht einmal, ob sie schon einmal geküsst worden war.

Autor

Brenda Joyce

Brenda Joyce glaubt fest an ihre Muse, ohne die sie nicht New York Times Bestseller-Autorin hätte werden können. Ihre Ideen treffen sie manchmal wie ein Blitz – zum Beispiel beim Wandern, einem ihrer Hobbys neben der Pferdezucht. Sie würde sich niemals ohne eine Inspiration an den Schreibtisch setzen und einfach...

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