Bluthochzeit mit dem Highlander

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Schottland, 1717. Ein Schrei gellt durch die nächtliche Burg. Alarmiert stürmt Viscount Owen Duff in Maggie McCallums Schlafgemach. Hat irgendwer etwas seiner Verlobten angetan? Nichts darf ihre gemeinsamen Hochzeitspläne zerstören, ihre Leidenschaft und den Frieden zwischen ihren Clans! Doch als er die schluchzende Maggie unversehrt in seinen starken Armen hält und sie sich zitternd an ihn schmiegt, macht sie ihm ein entsetzliches Geständnis: Sie hatte im Traum eine schreckliche Vision. Darin hat sie Owen blutüberströmt gesehen, in ihrer gemeinsamen Hochzeitsnacht. Sie ist überzeugt: Wenn sie heiraten, bedeutet es seinen Tod …


  • Erscheinungstag 03.01.2017
  • Bandnummer 310
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768294
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Schottland, 1717

In dem Herbst, den sie beide mit ihren Familien in Edinburgh verbrachten, war Maggie McCallum gerade sechzehn geworden und Owen Duff achtzehn. Maggies Mutter fand, dass sie noch zu jung für einen Verehrer war, darüber machte Maggie sich lustig, sobald die Mutter sich außer Hörweite befand. Sie hatte schon gemerkt, dass die Männer sie in letzter Zeit anders anschauten, und sie gestattete sich immer häufiger, diese Blicke zu erwidern.

Auf einem Tanzabend traf sie dann Owen, den Viscount Duncraggan, der eines Tages den Grafentitel von Aberfoyle erben würde. Sie war ihm schon einmal begegnet, als sie mit ihren Eltern zu einem Abendessen eingeladen gewesen war. Damals war sie zwölf, er vierzehn, und er hatte sie keines Blickes gewürdigt. Jetzt stand sie neben ihrer Freundin, die kicherte und mit dem Finger auf genau diesen jungen Mann zeigte.

„Er gehört zum Clan der Duffs“, sagte ihre Freundin. „Sogar ich weiß, dass sich die McCallums und die Duffs noch nie leiden konnten.“

Maggie nickte, ohne ihr wirklich zuzuhören. Stattdessen starrte sie Owen neugierig aus weit aufgerissenen Augen an. Er trug keinen Tartanüberwurf mit Gürtel wie die Männer aus ihrer Familie, sondern einen teuren maßgeschneiderten Anzug mit Weste und Kniebundhosen. Wenn er über die Tanzfläche schritt, um sich vor einem der errötenden Mädchen zu verbeugen, funkelte das auf Hochglanz polierte Schwert an seiner Hüfte im Schein der Kerzen. Er hatte ein schmales Gesicht und eckige Schultern, die bereits die Kraft des Mannes erahnen ließen, der er einmal werden würde. Sein sandfarbenes Haar war im Nacken nur nachlässig zusammengebunden, sodass sich Strähnen aus seinem Zopf gelöst hatten und seine Wangen streiften. Man konnte den Eindruck erlangen, er sei zu beschäftigt, um sich lange mit seiner Frisur zu befassen.

„Soll dein Bruder nicht seine Schwester heiraten? Ihr gehört dann doch quasi zur selben Familie.“

Familie hin oder her, Maggie war unter den Augen ihrer Mutter ganz bestimmt nicht diejenige McCallum, die einfach so auf einen Duff zuging. Vielmehr dachte sie daran, wie unglücklich ihr Bruder war, weil er eine Frau heiraten musste, die er nicht kannte, geschweige denn liebte. Mit dreizehn hatte er erfahren, welches Schicksal ihm bevorstand, und war darüber so wütend geworden, dass er eine Menge Dummheiten gemacht hatte. Er hatte Maggie leidgetan und insgeheim hatte sie sich ein wenig schuldig gefühlt, weil sie froh war, dass man sie nicht dazu zwang, einen Duff zu heiraten.

Auch die nächste Begegnung mit Owen stand unter keinem glücklichen Stern – sie hatte ihn zufällig auf der Treppe vor ihrer Wohnung in der High Street getroffen, während sich gerade die Dämmerung in dunklen Wellen über Edinburgh senkte. In dem hohen Gebäude mit seinen zwölf Stockwerken wohnten alle möglichen Leute, vom Schornsteinfeger im Keller bis zum Tanzlehrer in der Mansarde. Die besten Stockwerke jedoch waren der Aristokratie vorbehalten, und auch wenn ihr Vater keinen Titel besaß, so war er doch der Chief des McCallum-Clans, und ihre Mutter hatte außerdem darauf bestanden, dass sie diese Wohnung mieteten, um in der Nähe des Earls zu bleiben. Sie fand das klug, weil ihr Sohn in dessen Familie einheiratete, aber sie wollte auf keinen Fall, dass ihre Tochter sich über die allgemeine Höflichkeit hinaus mit dessen Familie einließ.

Als er Maggie erblickte, blieb Owen auf der Treppe stehen und sah sie mit einem Grinsen an, das sie noch viele Jahre in ihren Träumen verfolgen sollte. Seine warmen braunen Augen hatten die Farbe heißer Schokolade, die die feinen englischen Damen zum Frühstück bevorzugten. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und sie wollte ihn schon seiner Frechheit wegen zurechtweisen, weil er sie so unverblümt ansah, doch dann bemerkte sie die Apparatur, die er unter dem Arm hielt.

„Ist das etwa ein Teleskop?“, wollte sie wissen.

Im Funkeln seiner Augen lag mehr als nur Wärme. „Aye, ich will nach draußen, um mir die Sterne anzusehen. Habt Ihr schon einmal durch ein Teleskop gesehen?“

Sie schüttelte den Kopf. Ihre geistigen Tätigkeiten beschränkten sich darauf, in der Bibel zu lesen – etwas anderes erlaubte man ihr nicht, insbesondere alle anderen Bücher waren verbotenes Terrain. Es schmerzte und frustrierte sie, zu wissen, dass es dort draußen eine ganze Welt von Geheimnissen gab, die ihr verschlossen blieb.

Er streckte eine Hand aus. „Mein Name ist Owen. Wollt Ihr mich begleiten?“

Als ihr klar wurde, dass er sie nicht erkannt hatte, zögerte sie erst. Doch dann dachte sie, dass ihre Großeltern ohnehin schon dabei waren, sich zum Schlafengehen fertig zu machen, dass sie ihre Mutter gerade zu einer Sänfte begleitet hatte, die sie zu einem Treffen mit Freunden bringen würde, und dass ihr Bruder in seiner eigenen Wohnung in der Nähe der Universität war. Sie war ganz allein.

Owen war ein paar Stufen unter ihr stehen geblieben, sodass sie sich beinahe in die Augen sehen konnten. Sie starrte ihn an und die Bewunderung und Neugier in seinem Blick ließen sie erblühen wie eine Knospe im Frühling.

Aber sie musste ehrlich sein. Sie holte tief Luft und sagte: „Ich bin Maggie McCallum. Mein Bruder wird demnächst Eure Schwester heiraten.“

Er sah sie lange an. Währenddessen stiegen bereits Bedauern und Resignation in ihr auf.

Doch Owen hatte es nicht eilig, wegzukommen, sondern streckte ihr seine Hand entgegen und sagte: „Freut mich, Euch kennenzulernen, Maggie. Wollt Ihr trotzdem mitkommen, auch wenn ich einer dieser fürchterlichen Duffs bin?“

Sie musste sich auf die Lippen beißen, damit sie nicht anfing zu kichern wie ein albernes Mädchen. Immerhin war sie sechzehn und eine Frau. Er konnte sich offensichtlich nicht an ihre früheren Zusammentreffen erinnern. Vielleicht war das auch gut so. Sie nahm seine Hand und ließ sich von ihm hinaus in die Abenddämmerung führen.

In den nächsten Wochen war Owen die einzige Abwechslung an Tagen, die ihr ansonsten öde und immer gleich erschienen. Sie schlich sich hinaus ans Ufer des Flusses Firth of Forth, um mit dem Boot zu fahren, Edinburgh Castle zu erkunden oder auch nur durch die Läden zu streifen, die hier die Straße säumten. An Owens Seite kam ihr das alles wie ein großes Abenteuer vor.

Dass ihre Freundschaft verboten war, hielt sie nicht davon ab, im Gegenteil, sie wurde deshalb viel zu furchtlos. Er war so anders als die anderen Männer, die sie kannte. Er redete mit ihr über Physik und Chemie und Astronomie, als ob sie genauso klug wäre wie er. Sie bemerkte, wie sehr ihn die Wunder der Natur faszinierten, und fragte ihn deshalb, ob er Wissenschaftler werden wollte. Daraufhin nahm sein Gesicht einen versteinerten Ausdruck an, und er entgegnete, dass sein Vater es ihm verboten habe. Er würde den Grafentitel erben, und der einzige Zweck seiner Ausbildung sei es, ihn darauf vorzubereiten. Wenn er sich nicht mit den Klassikern der Literatur auskannte, sorgte sein Vater dafür, dass er die Universität nicht weiter besuchen durfte.

Maggie hatte Mitleid mit ihm und versuchte ihn von seinem Ärger und seiner Traurigkeit abzulenken, aber sie musste zugeben, dass die Situation sie verwirrte. Mit jedem Moment, den sie mit Owen verbrachte, kam es ihr mehr vor, als würde sie ihn wirklich gut kennen; es war fast so, als hätten sie sich schon als Kinder gekannt, auch wenn er geschworen hatte, dass das nicht stimmte. Manchmal kam es ihr vor, als ob eine Traumgestalt sie bis hierher verfolgt hätte, und dann schauderte sie.

Ihre Träume durfte man wirklich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Mehr als ein Mal hatte sie von etwas geträumt, das später wirklich eingetreten war. Die Familie eines kleinen Jungen, der verschwunden war, zum Beispiel war schon davon überzeugt gewesen, dass er ertrunken war, und wollte gerade die Suche nach ihm einstellen, als ein Traum sie zu dem verstörten Jungen geführt hatte, der sich unter einem überhängenden Felsen zusammengekauert hatte. In einem anderen Traum hatte sie den Selbstmord einer jungen Frau vorhergesehen, die von Maggies Vater missbraucht worden war. Wie so oft konnte Maggie nicht verstehen, was sie sah, bis es wirklich eintrat, und dann war es zu spät, um dem Mädchen zu helfen. Maggies Mutter hatte sie nach diesem Vorfall weg von Larig Castle nach Edinburgh gebracht, um sie vor ihrem Vater in Sicherheit zu bringen.

Aber was war mit Owen? War es möglich, dass sie ihn in einem ihrer Träume gesehen hatte und sich nur nicht mehr an alles erinnern konnte? Der Gedanke ließ sie nicht los, wann immer sie nicht mit ihm zusammen war, aber die Stunden, die sie zusammen verbrachten, waren erfüllt von fröhlichem Gelächter, angeregten Diskussionen und endlosen Augenblicken, in denen sie ihn ansah und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, mit ihm verheiratet zu sein. Vielleicht wollte etwas in ihrem Inneren ihr einfach nur sagen, dass er ihr Schicksal war, dass sie füreinander bestimmt waren. Sie wünschte sich, dass er sie küsste, aber er war ein echter Gentleman – oder vielleicht ging er davon aus, dass die jahrhundertealte Fehde zwischen ihren Clans eine engere Beziehung zwischen ihnen von vornherein unmöglich machte. Sie konnten nie darüber sprechen.

Aber er berührte sie zuweilen, dabei hätte sie jedes Mal vor Freude dahinschmelzen können. Er nahm ihre Hand, wenn sie über eine Wiese liefen, er führte sie, indem er sie am Ellenbogen fasste, und er legte seine Hand sanft an ihre Taille, wenn sie gemeinsam zusahen, wie die Sonne unterging in einem Wirbel von orange- und rosafarbenen Wolken, die sie an flatternde Seidentücher erinnerten.

Ihre Freundschaft war gerade zwei Wochen alt, als sie mit einem Mittagsimbiss in einem Picknickkorb zwischen sich am Flusslauf des Water of Leith entlangspazierten. Es war ein besonders schöner Herbsttag, und Owen schlug vor, dass sie nach Muscheln mit Süßwasserperlen darin suchen sollten. Um die Muscheln zu finden, reichte es nicht aus, dass man im knöcheltiefen Wasser ziellos umherwatete. Vielmehr waren sie bald beide klitschnass und kletterten, zitternd vor Kälte und ohne eine einzige Perle, aber lachend, die grasbewachsene Uferböschung hinauf.

Owen legte sich in die Sonne, und weil ihr gerade nach Leichtsinn zumute war, tat sie es ihm gleich. Dabei sah sie ihn unverhohlen an, schließlich hatte er die Augen geschlossen. Sein Zopf hatte sich aufgelöst, und ihm klebten lange Haarsträhnen an den Wangen, die jetzt, wo sie nass waren, fast dunkelbraun aussahen. Ohne darüber nachzudenken, stützte sie sich auf einen Ellenbogen und streckte zitternd ihre Finger aus, um ihm die Locken aus dem Gesicht zu streichen.

Plötzlich öffnete er die Augen, und sie glaubte schon, dass er sie auslachen wollte, aber stattdessen sah er zu ihr hinauf und schien sich dabei ganz in ihr Gesicht zu vertiefen. Um sie herum wurde alles still, während sie einander aufgeregt und bedeutungsvoll in die Augen sahen. Sie konzentrierte sich auf ihren unregelmäßigen Atem, auf die Wassertropfen auf seiner Haut, darauf, wie sich sein schwerer Herzschlag in seiner Brust anfühlte, als sie ihre bebende Hand dort ablegte.

Schließlich legte er ihr eine Hand um den Nacken und zog sie zu sich herunter, um sie zu küssen. Seine Lippen waren kalt vom Wasser und trotzdem weicher, als sie es bei einem Mann für möglich gehalten hatte. Von so viel Unverfrorenheit wurde ihr ganz schwindelig – oder lag es einfach an Owens Nähe? Sie hatte eine Hand noch immer auf seiner Brust, hob den Kopf und sah unsicher auf ihn hinab, aber er drückte seine Lippen wieder auf ihren Mund. Er öffnete die Lippen, und als er mit seiner Zunge zwischen ihre Lippen fuhr, zuckte sie vor Überraschung und Erstaunen zusammen. Ihre kühle, feuchte Haut schien sich plötzlich zu erwärmen. Diese Wärme breitete sich von ihrem Mund bis in ihre Brust hinein aus. Sie zitterte nicht länger vor Kälte, aber sie hatte keine Ahnung, warum ihre Glieder noch immer so ruhelos waren. Sie wollte, dass er sie berührte – sie wollte es mit einer Verzweiflung, die sie noch nie zuvor empfunden hatte. Aber sie traute sich nicht, mehr zu tun, als sich auf seine Brust zu stützen, während er ihren Mund erkundete und ihr beibrachte, seinen zu erkunden.

Die Welt drehte sich um sie, als er sie auf ihren Rücken rollte. Jetzt sah er auf sie hinab, sein ernsthaftes Gesicht wurde von einem blauen Himmel und hohen Bäumen gerahmt, die Herbstlaub trugen. Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, als er sie von Neuem küsste. Seine Hand auf ihrer Haut fühlte sich warm an, und sie genoss seine Berührung. Mit jedem Streicheln hatte sie mehr das Gefühl, dass sie nicht still liegen konnte. Er strich mit der Hand über ihre feuchten Kleider, ihre Hüfte entlang und weiter aufwärts. Und als er schließlich ihre Brüste berührte, die von ihrem festen Mieder gehalten wurden, stöhnte sie an seinem Mund und erschauerte bei jedem Strich über ihre Brustspitze; es kam ihr so vor, als hätte er sie zu einem Instrument der Lust gemacht.

Ihre gemeinsame Leidenschaft überwältigte sie beide, doch sie stemmte sich gegen ihn, ehe es zu spät war. Owen hob den Kopf und sah auf sie hinab. Sein Atem ging genauso unregelmäßig wie ihrer.

„Wir dürfen das nicht tun“, sagte sie mit zitternder Stimme. Sie musste sich eingestehen, dass sie es nicht im Mindesten bereute, während sie seinen Mund anstarrte und sich die Lust zurückwünschte, die er in ihr geweckt hatte.

Owen sah ebenfalls auf ihren Mund, und er knurrte beinahe, als er sagte: „Mir war klar, dass Ihr es früher oder später herausfinden würdet. Verzeiht mir. Ich wusste nicht, wie ich es Euch sagen sollte.“

„Was sollte ich herausfinden?“, wollte sie wissen.

Er verzog das Gesicht.

„Owen Duff, sagt mir sofort die Wahrheit.“

„Mein Vater hat mich vor ein paar Jahren mit der Tochter von einem Clan aus den Lowlands verlobt. Sie sind gerade auf dem Weg hierher, damit wir uns kennenlernen können.“

Plötzlich war die ganze Hitze ihrer Küsse verschwunden. Maggie setzte sich fröstelnd auf und rückte von ihm ab, dabei bedeckte sie ihre Brust, als ob sie nackt wäre.

„Warum habt Ihr mir das nie gesagt?“, wollte sie wissen. Sie hatte sich in ihrer Freundschaft verloren, als ob sie ein Märchen wäre, die zarte Knospe einer Romanze. Jetzt wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie einfach ein Dummkopf war.

Owen strich sich die Haare glatt und brachte seinen Zopf in Ordnung, wahrscheinlich brauchte er etwas, mit dem er seine Hände beschäftigen konnte. Er sah sie nicht an, und sein Gesicht war nicht so rot, wie sich ihres anfühlte, aber sie hatte keinerlei Mitleid mit ihm.

Erst brachte er die Worte nur mühsam hervor, aber dann sprudelte es nur so aus ihm heraus. „Zunächst dachte ich, dass wir nur befreundet sind, und es war ein Wagnis, weil Ihr eine McCallum seid. Aber dann wurde der Drang immer größer, Euch zu küssen.“

Schließlich sah er ihr in die Augen, und sie glaubte, dass sie die Hitze nie vergessen könnte, die sie dort sah, die Leidenschaft, die er nur für sie hegte. Aber er war verlobt und bei diesem Gedanken hatte sie einen Kloß im Hals, der jedes weitere Wort unmöglich machte.

Sie rappelte sich auf und entfernte sich, so schnell sie konnte, bevor sie sich auch noch die Blöße gab, vor ihm in Tränen auszubrechen. „Ich … Ich muss gehen.“

„Lasst mich Euch begleiten“, sagte Owen.

Er versuchte nicht, sie zu überreden, und versprach ihr auch nicht, die Verlobung zu lösen. Eine Träne rollte ihre Wange hinab, und sie wischte sie wütend weg.

Abwehrend hob sie eine Hand. „Nein, ich … ich will Euch niemals wiedersehen, Owen.“

Sein Gesichtsausdruck war verzerrt vor Schmerz, und sie wusste, dass sie ihn verletzt hatte. Sie fasste nicht leicht Vertrauen zu jemandem, weil sie mit einem Trunkenbold als Vater aufgewachsen war, und jetzt kam sie sich sehr dumm vor, dass sie einem Fremden vertraut hatte – ausgerechnet einem Duff. Sie hatten einander in den letzten Wochen sehr viel von ihrem Leben erzählt, aber das Wichtigste, zumindest in den Augen einer Frau, hatten sie ausgelassen.

Später konnte sie sich kaum daran erinnern, wie sie nach Hause gekommen war, denn sie war einen Teil des Weges gerannt; dabei war sie sogar über ihre Röcke gestolpert und hatte sich die Handflächen blutig aufgeschlagen. Sie wollte nicht mit ihrer Mutter zu Abend essen, deshalb gab sie vor, dass sie Kopfschmerzen hatte. Sie rollte sich in ihrem Bett zusammen, dann konnte sie sich endlich gestatten zu weinen. Ihr letzter Gedanke war, wie dumm sie gewesen war. Sie wusste nicht genau, ob sie weinte, weil sie einen Freund verloren hatte oder einen Liebhaber, doch es war klar, dass sie ihm nie wieder vertrauen konnte.

Es kam ihr vor, als ob in ihrer Seele ein Damm gebrochen war, denn sie träumte in dieser Nacht, und die Bilder dieses Traums waren so realistisch wie die Wirklichkeit. Sie sah Owen, aber er sah sie nicht an. Stattdessen stand ein anderes Mädchen an seiner Seite, sie war rothaarig, hatte Sommersprossen und war wunderschön. Sie wurden einander förmlich vorgestellt. Das Licht wurde merkwürdig scharf von einem Ring reflektiert, sodass Maggie das Gefühl hatte, ihre Augen würden davon geblendet, dass sie ihn ansah.

Dann verschwand die Szene wieder, und Maggie sah erneut die Rothaarige, die sie bedeutungsvoll anstarrte. Doch das Gesicht des Mädchens wirkte wächsern, ihre Kleider waren durchtränkt, und um sie herum bildeten sich Pfützen.

Maggie schrak hoch und schnappte nach Luft. Ihr ganzer Körper wurde von Schüttelfrost erfasst, so, als ob sie selber durchnässt wäre und bis auf die Knochen fror. Sie wusste genau, was dieser Traum zu bedeuten hatte – Owens Verlobte würde ertrinken. Sie legte das Gesicht in ihre Hände und schaukelte auf dem Bett vor und zurück, während sie sich selbst einredete, dass das alles albern war – aber es war nicht das erste Mal, dass sie von einem Todesfall geträumt hatte, ehe er eingetreten war. Beim ersten Mal war sie verunsichert gewesen und hatte Angst gehabt, deshalb hatte sie vollkommen erstarrt dabei zugesehen, wie sich die Ereignisse entwickelten. Dieses Mal jedoch, dieses Mal würde sie die Warnung nicht ignorieren.

Nach einer unruhigen Nacht schlüpfte sie im Morgengrauen aus ihrer Wohnung und verließ das Haus. Sie konnte nicht einfach an Owens Tür klopfen, aber sie konnte hier auf ihn warten. Am Vormittag tauchte er endlich auf, zum Glück war er allein. Sie hatte ihn eingeholt, ehe er die nächste Straßenecke erreichte.

„Owen!“

Er zuckte zusammen und drehte sich um. Mit ausdruckslosem Gesicht sah er sie einfach nur an. Er wirkte nicht erfreut, sie zu sehen, aber es schien ihm auch nichts auszumachen. Sie war derart durcheinander, dass sie nicht wusste, was ihr lieber gewesen wäre. Vielleicht wünschte sie sich von ihm Bedauern, denn das war es, was sie selbst empfand.

Während sie ihn ansah, rang sie die Hände, denn sie hatte nicht erwartet, dass es so schwer sein würde, ihm ihr Geheimnis anzuvertrauen. Sie hatte Angst, dass er sich über sie lustig machte oder sie vielleicht sogar bemitleidete. Beinahe hätte sie sich wieder umgedreht, doch dann dachte sie an das wächserne Gesicht und den verständnislosen Blick des Mädchens aus ihrem Traum.

„Ich … Ich wollte eigentlich nicht mehr mit Euch sprechen“, sagte sie, „nach allem, was gestern passiert ist.“

Er nickte förmlich, als würden sie sich kaum kennen. „Ich mache Euch keinen Vorwurf. Ich habe Euch eine Wahrheit vorenthalten, die ich selbst noch kaum fassen kann.“

„Wie ist ihr Name?“

Er runzelte die Stirn.

„Das Mädchen, das Ihr heiraten sollt. Wie ist ihr Name?“

„Ich verstehe nicht, welche Bedeutung das haben soll, aber sie heißt Emily.“

Maggie nickte, denn beim Klang des Namens erschien ihr Emily wirklicher. „Kann ich über etwas Persönliches mit Euch sprechen, das sie betrifft?“

Owen zögerte, und jetzt sah er schließlich doch so aus, als ob ihm die Situation unangenehm wäre. „Maggie, was gibt es denn noch zu sagen? Ich hätte es Euch schon längst sagen sollen, das stimmt, aber …“

Sie machte eine abwehrende Handbewegung, um ihn zu unterbrechen. „Das ist es nicht. Es ist … “ Vorsichtig sah sie sich um, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, dass jemand sie beobachtete. „Ich kann es hier nicht sagen, nicht in aller Öffentlichkeit.“ Mit der Hand zeigte sie auf die enge Gasse, die direkt neben ihnen lag und sich zwischen den Stadthäusern hindurchwand. „Kommt mit mir, damit uns niemand beobachten kann. Bitte, Owen.“

Zu ihrer großen Erleichterung protestierte Owen nicht weiter. Sie gingen schweigend nebeneinander her, bis sie an dem Platz auf der Rückseite der Häuser vorbei waren und den Anfang einer Landstraße erreicht hatten, die aus der Stadt herausführte.

Schließlich blieben sie unter einer großen Lärche stehen. Sie war jetzt sehr nervös geworden, und seine offensichtliche Ungeduld war nicht hilfreich. Sie war wütend auf ihn gewesen, weil er ihr nicht von der Verlobung erzählt hatte, aber andererseits hatte sie ihm auch nicht von ihren Träumen erzählt. Wie sollte sie es ihm jetzt beibringen, ohne dass er sie für verrückt hielt? In Schottland gab es seit jeher Seherinnen, aber sie wollte nicht, dass jemand sie für eine von diesen Außenseiterinnen hielt. Und wenn es Gerüchte gab, dass eine Frau eine Hexe war, dann konnte das sogar ihr Ende bedeuten.

Konnte sie ihr Geheimnis mit jemandem teilen, der schon bewiesen hatte, dass man ihm nicht trauen konnte? Aber hatte sie denn andererseits überhaupt eine Wahl?

Maggie starrte auf seine Brust. Er trug die bestickte Weste eines Viscount, die sie daran erinnerte, dass sie doch sehr verschieden waren. „Ich … Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll. Ich erzähle es normalerweise niemandem, aber …“ Ihr versagte die Stimme, und so schwieg sie schließlich, weil ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie gerade dabei war, ihre eigene Zukunft aufs Spiel zu setzen.

„Maggie, raus mit der Sprache“, sagte er entnervt.

Es klang, als ob er genug von ihr hätte und nur wollte, dass sie wieder verschwand.

Sie atmete bebend ein. „Ich … habe Träume und manchmal sind sie sehr deutlich und fühlen sich an wie die Wirklichkeit und dann … werden sie wahr.“

Schließlich wagte sie es, ihm in die Augen zu sehen, und stellte fest, dass er sie mit wachsender Belustigung betrachtete.

„Ach, Maggie, Ihr habt mir aber einen ganz schönen Schreck eingejagt“, sagte er und schüttelte dabei den Kopf. „Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und mir Gedanken darüber gemacht, wie ich mich nur bei Euch entschuldigen kann.“

„Owen, es geht mir überhaupt nicht um Entschuldigungen!“, rief sie. „Ich erzähle keine Märchen. Ich hatte letzte Nacht einen fürchterlichen Traum und Eure Emily kam darin vor.“

Er kniff seine braunen Augen zusammen. „Ihr könnt sie nicht gesehen haben, sie sind doch noch gar nicht angekommen.“

Mit einem Stöhnen breitete sie die Arme weit aus. „Ich habe sie nicht gesehen, nicht mit meinen Augen. Aber ich habe im Traum gesehen, wie man Euch einander vorgestellt hat, und ich habe einen Ring gesehen.“

„Es gibt immer einen Ring – warum tut Ihr uns das an, Maggie? Ihr tut uns beiden weh, völlig ohne Grund.“

„Ich will nicht, dass irgendjemandem wehgetan wird, genau deshalb erzähle ich es Euch doch. Ich habe sie nicht nur mit Euch zusammen gesehen, Owen, sondern ich habe gesehen, dass sie nass war, mit Pfützen überall um sich herum, ihr Gesicht war bleich wie der Tod. Und sie hat mich angestarrt, so, als ob sie mich bitten würde … etwas dagegen zu unternehmen.“

Er verschränkte seine Arme vor der Brust. „Was Ihr sagt, ergibt überhaupt keinen Sinn.“

Sie zuckte zusammen. Sie fühlte seinen Zweifel wie einen kalten Windstoß an einem späten Sommerabend, einen Vorboten des Winters. Ihre Stimme war jetzt ganz rau. „Wenn ich sehe, dass ein Mensch ganz nass ist, Owen, dann bedeutet das, dass er durch Ertrinken stirbt.“

Er schwieg für einen Moment. Sie hörte aus der Ferne das Gackern von Hühnern und das Muhen einer Kuh, aber keine menschlichen Stimmen. Niemand hörte ihnen zu, niemand würde von ihrem Geheimnis erfahren – niemand außer Owen. Und jetzt sah er sie voller Mitleid an und vielleicht sogar ein wenig angeekelt. Sie schloss die Augen, damit sie diesen Ausdruck nicht sehen musste.

„Das ist doch unter Eurer Würde, Maggie“, sagte er. „Ich hätte nie gedacht, dass Ihr aus Eifersucht lügen könntet.“

„Ich gebe Euch mein Wort, dass das alles nichts mit Eifersucht zu tun hat! Owen, Ihr müsst auf mich hören, bitte, um Emilys Willen.“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, weil sie schon ahnte, dass es bereits zu spät war. Er glaubte ihr kein Wort; er hielt sie für eine erbärmliche Lügnerin und einen Dummkopf.

„Auf Wiedersehen, Maggie.“ Er drehte sich um und ging durch die enge Gasse hindurch zurück auf die High Street.

„Owen, Ihr müsst sie warnen, bitte“, rief sie und lief ihm noch einige Schritte hinterher, ehe sie schließlich stehen blieb, weil sie es nicht über sich brachte, sich weiter zum Gespött zu machen.

Er sah sich nicht nach ihr um und hielt auch nicht an. Sie umschlang sich selbst mit den Armen und fühlte sich so einsam wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Zwei Wochen vergingen und Maggie traf Owen nicht noch einmal im Treppenhaus. Sie wohnten noch immer unter einem Dach, aber er hätte auch nach London umgezogen sein können. Sie sah ihn bei einer anderen Gelegenheit tanzen, aber nicht mit der Rothaarigen aus ihrem Traum. Maggie betete, dass sie sich geirrt hatte und niemand sterben musste.

Er hingegen sah niemals in ihre Richtung. Schließlich brach sich die ganze angestaute Wut Bahn und sie konnte sich beinahe nicht mehr beherrschen. Sie hatte eine solche Behandlung einfach nicht verdient.

Doch kurze Zeit später hörte sie den Klatsch bei der Schneiderin, noch ehe es in der Zeitung gestanden hatte. Lady Emily Douglas war bei einem Bootsausflug mit ihrer Familie auf dem Firth ertrunken.

1. KAPITEL

Zehn Jahre später

Owen Duff, der gerade Earl of Aberfoyle geworden war, führte die Frau, der er einen zögerlichen Heiratsantrag gemacht hatte, ins Innere von Castle Kinlochard. Pflichtgemäß nahm er ihren schlanken Arm und fühlte, wie sie sich dabei versteifte. Sie widersetzte sich aber nicht, zumindest nicht offen. Sie hatte sich mit der Ehe einverstanden erklärt, auch wenn sie keinen Hehl aus ihren Zweifeln gemacht hatte. Es war schon komisch, wenn man bedachte, wie viele Frauen, englische ebenso wie schottische, ihm über die Jahre geschmeichelt und mit ihm geflirtet hatten, weil sie hofften, dass er sie zu seiner Braut machen würde. Er dachte, dass er die freie Wahl hätte, deshalb hatte er sich Zeit gelassen. Am Ende hatte es aber alles nichts genützt.

Das Abendessen war längst vorbei und das Personal räumte bereits den Tisch ab und unterhielt sich dabei. Seine Schwester Catriona kam hinter ihm her, sie war müde, aber schaffte es noch, ihm einen warnenden Blick zuzuwerfen, als sie beide ihren Onkel, Harold Duff, erblickten. Er stand neben dem riesigen Kamin, über dem Breitschwerter und Schilde hingen, die ihn vor allem in seinen eigenen Augen als Heerführer auswiesen. Gähnend winkte Cat noch einmal, um ihm ihr Mitleid auszudrücken, und machte sich dann auf den Weg in ihr Bett.

Als er Owen und seine Begleitung erblickte, setzte Harold langsam den Krug ab, aus dem er gerade trinken wollte.

Was du heute kannst besorgen, dachte Owen. Als er seine zukünftige Braut präsentierte, tat er das mit einer so förmlichen Geste, dass auch die Dienstboten darauf aufmerksam wurden und ihre Arbeit unterbrachen, um zu hören, was er zu sagen hatte. Harold war ein breitschultriger Mann mit einem dichten Bart, jetzt sah er Owen erwartungsvoll an.

„Onkel, darf ich Euch meine Verlobte vorstellen, Mistress Margaret McCallum.“

Ein Seufzen und erregtes Gemurmel breiteten sich im ganzen Saal aus, als er diesen Namen aussprach. Die Duffs und die McCallums waren Erzfeinde.

Owen fuhr fort: „Maggie, dies ist mein Onkel, Harold Duff, der Heerführer unseres Clans.“

Owen sah zu, wie Harold und Maggie einander beäugten, und wie immer wirkte Maggie keineswegs eingeschüchtert oder beunruhigt. Daran hatte sich in den letzten zehn Jahren nichts geändert. Owen hatte manchmal an sie gedacht, daran, wie sie gelacht hatte und wie sie ihm aufmerksam zuhörte, wenn er von nichts anderem reden konnte als von seiner Besessenheit von der Wissenschaft. In jenem Herbst hatte er mutwillig seine Zukunft missachtet, seine Pflichten und Verantwortlichkeiten vernachlässigt, als ob er ein ganz anderes Leben hätte führen können, wenn er nur wollte.

Damals war es nicht schwer, sich in Maggies Gesellschaft wohlzufühlen, denn sie war so unschuldig und gleichzeitig unerschrocken, so eifrig zu reden und zu debattieren und zu lernen. Ihre Augen waren noch immer erstaunlich, eins blau, das andere grün, und sie hatte ihn immer ernsthaft und aufmerksam angesehen, sodass er sich wichtig gefühlt hatte, auch wenn es nur für sie war. Mit zunehmender Reife waren zur Schönheit ihres Gesichts noch Würde und Weisheit dazugekommen. Sie trug das dunkle Haar streng am Hinterkopf zusammengesteckt, was ihr herzförmiges Gesicht betonte. Ihre Lippen waren noch immer voll und luden zum Küssen ein, genau wie er sie in Erinnerung hatte.

Harold räusperte sich und neigte den Kopf. „Mistress McCallum.“

„Nennt mich doch einfach Maggie, Sir“, entgegnete sie.

Ihr Ton war höflich und kühl wie immer. Sie hatte in den letzten Tagen, also seit ihrer Verlobung, überhaupt keine Gefühle preisgegeben. Seine Schwester Cat hatte Maggie aufgeregt und fröhlich mit Beschlag belegt, als ob sie geahnt hätte, dass nicht alles wie geplant ablaufen würde.

Harold sah Owen listig an. „Und wie ist es zu einer solchen Verlobung gekommen?“

Maggie erwiderte Owens Blick ebenfalls aufmerksam, ihre Augen funkelten boshaft, als könne sie es kaum erwarten, zu hören, was er dazu zu sagen hatte.

„Das ist eine lange Geschichte“, sagte Owen. „Maggie, möchtet Ihr Euch vor dem Abendessen nicht noch ein wenig frisch machen?“

Sie sah sich um. „Mir scheint, wir haben das Abendessen verpasst, und wenn ich jetzt noch weiter trödele, dann bekommen wir vielleicht überhaupt nichts mehr zu essen. Nein, jemand kann mir eine Waschschüssel bringen. Ich bin viel zu hungrig, um noch länger zu warten.“

„Wie Ihr wünscht.“

Owen winkte der Haushälterin, Mrs. Robertson, die auf sein Signal gewartet hatte. Bald darauf saßen Maggie und er auf der Empore. Sein Leibwächter, Fergus Balliol, stand direkt hinter ihm, eine Hand auf dem Schwertknauf, die andere auf seiner Pistole, als ob von dem leeren Saal eine Gefahr für sie ausging.

Maggie riss ein Stück von dem frisch gebackenen Fladenbrot aus Hafer ab, schloss die Augen und atmete tief und zufrieden ein. Zu seiner Überraschung verspürte Owen beim Anblick solcher Hingabe einen Hauch von Vorfreude in seinem Inneren, aber er drängte sie sofort wieder zurück. Es war schließlich gut, wenn man sich zu der Frau hingezogen fühlte, die man heiraten wollte. Zumindest versuchte er, sich das einzureden. Er hatte einen harten Kampf mit seinem Vater darum geführt, dass er sich seine Braut selbst aussuchen durfte – nur um dieses Recht der McCallums wegen dann wieder zu verlieren.

Als der schlimmste Hunger gestillt war, nahm Owen einen großen Schluck Whisky.

Maggie sah ihn mit ihren bestechenden Augen aufmerksam an. „Ist das der Whisky, der aus dem Getreide von unserem Land gebrannt wird?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Euer Land?“

Aye, das Land meiner Familie. Die Vereinbarung zwischen unseren Familien legt fest, dass der Ertrag der Ländereien zwischen den Eheleuten geteilt wird, nicht das Land selbst.“

Owen war klar, dass es keinen Sinn hatte, jetzt einen Streit über die Feinheiten dieser Vereinbarung anzufangen. Die Entscheidung war gefallen, und es gab kein Zurück mehr. „Dieser Whisky ist aus …“

„Macht Euch keine Mühe“, sagte sie. „Ich sage Euch, ob ich richtig geraten habe.“

Und mit diesen Worten nahm Maggie ihm das Glas aus der Hand und nahm einen Schluck. Sie musste nicht husten, ihr blieb nicht die Luft weg, sie verzog nicht einmal das Gesicht wie so viele andere Frauen, wenn sie zum ersten Mal das Wasser des Lebens probierten.

„Ich nehme doch wohl an, dass Ihr nicht regelmäßig trinkt“, sagte Owen trocken.

Sie schenkte ihm keine Beachtung, sondern runzelte die Stirn, während sie über den Geschmack nachdachte. „Aye, der ist von unserem Land. Aber Ihr habt etwas … anders gemacht.“

„Haben wir das.“

Als ob sie ihn nicht gehört hätte, betrachtete sie das Glas. „Wahrscheinlich habt Ihr die Torfmenge verändert. Der Rauch vom Torffeuer wird benutzt, um das Malz zu trocknen.“

Sie sprach ganz langsam, so, als ob sie jemandem etwas erklären müsste, der nicht ganz bei Verstand war.

Maggie seufzte, dann sagte sie mit zufriedenem Stolz: „Ach, Ihr musstet ihn ja ein wenig verändern, sonst hätte jeder geglaubt, dass es unserer wäre. Wir brennen den besten in den ganzen Highlands.“

„Das war einmal.“

Sie ließ die Flüssigkeit im Glas kreisen und roch daran. „Glaubt, was immer Ihr wollt, Mylord.“

Er nahm ihr das Glas aus der Hand. „Früher war ich immer Owen für Euch.“

„Zehn Jahre sind eine lange Zeit, Owen“, gab sie schroff zurück.

Beim Hochzeitsfest ihres Bruders hatte sie sich ängstlich von ihm ferngehalten. Er war erleichtert, dass sie ihren Widerspruchsgeist inzwischen wiedergefunden hatte. Mit einer Märtyrerin wollte er nicht verheiratet sein.

„Es kommt mir so vor, als würdet Ihr Euch schon länger kennen“, unterbrach Harold. „Ist das der Grund dafür, dass Ihr Euch entschieden habt zu heiraten?“

„Nein, mit alter Verbundenheit hat das nichts zu tun“, sagte Maggie mit einem trockenen Unterton. „Zumindest nichts von Bedeutung. Ich gehe davon aus, dass er um meine Hand angehalten hat, weil es das einzig Ehrenhafte war, was er tun konnte, um den Frieden zu bewahren.“

Owen versteifte sich. „Ehrenhaft? Ihr könnt doch unmöglich meine Ehre infrage stellen, nach allem, was Euer Bruder getan hat.“

Ihr Lächeln verschwand, und sie sahen einander aufmerksam an.

Mit milder Stimme warf Harold ein: „Soll ich jetzt außer Heerführer auch noch Schiedsrichter sein?“

„Das wird nicht nötig sein, Onkel“, entgegnete Owen. „Ihr habt mich darum gebeten, zu erklären, was passiert ist, und das werde ich tun. Ihr wisst doch, dass Maggies Bruder Hugh seit ihrer Geburt mit meiner Schwester verlobt war. Unser Vater wollte damit Frieden zwischen unsere Clans bringen, den McCallums eine Mitgift anbieten und das Land teilen, auf dem sie das Getreide für den Whisky anbauen, den sie brennen. Nachdem Hugh Chief geworden war, ist er gekommen, um seine Braut zu holen, und mein Vater hat sich unehrenhaft verhalten, indem er sie versteckt und unsere Cousine Riona an ihre Stelle gesetzt hat.“

Harold richtete sich auf, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er wusste genau, zu welcher Grausamkeit seine Brüder manchmal fähig waren.

„Hugh hat die falsche Braut angenommen und sich in sie verliebt“, beendete Owen seine Geschichte.

Maggies Blick fiel auf sein Gesicht, und sie tat nichts, um ihre Überraschung zu verbergen. Hatte sie etwa gedacht, dass er weiter über die Entscheidung ihres Bruders herziehen würde, darüber, wie der Mann Riona gekidnappt hatte und die Wahrheit nicht einsehen wollte? Hughs Fehler waren nun einmal passiert und schließlich hatte Owens Vater bei der ganzen Sache eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Doch nun war der Earl tot, und es war an Owen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Sein Vater hatte es wohl doch noch geschafft, seinen Willen zu brechen, selbst aus dem Grab heraus.

„Damit war das Heiratsversprechen also gebrochen“, sagte Harold langsam.

„Maggie und ich haben uns entschlossen, die Sache zu bereinigen“, antwortete Owen. „Wir werden heiraten und den Bund zwischen unseren Clans besiegeln. Ich will nicht, dass die Feindseligkeiten wieder aufflammen.“

Harold sah von ihm zu Maggie und wieder zurück. Maggie schob ihr Essen nur noch auf dem Teller hin und her, ihr Gesicht war nachdenklich, vielleicht sogar traurig.

Man hatte sie zu dieser Heirat gezwungen, die keiner von ihnen wollte, weil beide Seiten nicht nachgedacht hatten, ehe sie handelten. Owen tat, was er konnte – sie konnte ihm zumindest den Gefallen tun, es ebenfalls zu versuchen.

„Und wann wird diese Hochzeit stattfinden?“, fragte Harold.

Je eher, desto besser, dachte Owen bei sich. Warum sollten sie das Unvermeidliche auf die lange Bank schieben? „In vier Wochen. Das reicht, damit Maggie sich in Castle Kinlochard häuslich einrichten und das Aufgebot bestellt werden kann.“

Maggie stand auf und schob dabei ihren Stuhl mit Kraft zurück. „Ich würde mich jetzt gern zurückziehen. Mrs. Robertson, würden Sie mir bitte zeigen, wo ich schlafe?“

Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ Maggie die große Halle. Owen sah ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war, dabei kämpften Wut und Frustration in ihm gegeneinander.

„Nimm es dir nicht so zu Herzen, mein Junge“, sagte Harold. „Viele Ehen haben schon schlimmer angefangen.“

„Dazu muss ausgerechnet der Mann raten, der nie die richtige Ehefrau für sich gefunden hat“, gab Owen zurück.

Harold erlaubte sich ein Grinsen. „Ich habe nicht gesagt, wer von uns klüger ist, nicht wahr?“

Owen atmete in einem Stoß aus. „Ehe ich schlafen gehe, musst du mir noch erzählen, was passiert ist, während ich weg war.“

Sie unterhielten sich noch eine ganze Stunde lang, ehe Owen ihm gute Nacht sagte und nach oben ging. Er hatte darauf bestanden, dass Fergus in seinem eigenen Bett schlief. Nachdem er oben im nächsten Stockwerk des Turmhauses ankam, ging Owen mit schnellen Schritten den Korridor entlang, vorbei an der Kammer, die Maggie zum Schlafen zugewiesen worden war. Er wäre bestimmt nicht stehen geblieben, wenn er nicht plötzlich aus eben dieser Kammer einen hohen, ängstlichen und durchdringenden Schrei gehört hätte.

Maggie kostete es einige Anstrengung, wieder zu Bewusstsein zu kommen. Es kam ihr so vor, als würde sie von unsichtbaren Händen niedergedrückt. Sie hatte einen lebhaften Traum, der ihr eine solche Angst gemacht hatte, dass sie erst einmal keinen klaren Gedanken fassen konnte. Es war Jahre her, dass ein Traum ihr das letzte Mal derart nahegegangen war. Sie sah noch lange vor sich, wie Owen an ihrem eigenen Hochzeitstag blutüberströmt und dem Tode nah vor ihr lag.

„Maggie! Maggie, Mädchen, aufwachen.“

Sie warf sich hin und her, um dieser Einmischung zu entkommen, sie musste unbedingt in ihrem Traum bleiben, um die ganze Wahrheit zu erfahren. Sie wollte wissen, was genau passiert war. Immerhin bedeutete es vielleicht seinen Tod, wenn er sie heiratete. Aber irgendjemand rief unaufhörlich in bestimmtem Tonfall nach ihr, gleichzeitig wurde mit breiten Hände nach ihr gegriffen, und sie wurde wie aus tiefem Wasser wieder an die Oberfläche geholt.

Plötzlich riss sie die Augen auf und sah Owen vor sich. Die Schatten, die das Mondlicht auf sein Gesicht warf, sahen ihm ersten Moment wie Blut aus.

Sie schrie erneut, dann krallte sie sich an seiner Jacke fest und zog ihn so nah wie möglich zu sich heran. „Geht es Euch gut? Da ist sehr viel Blut!“ Sie öffnete seine Jacke, um fieberhaft seine Brust abzutasten und nach der warmen, klebrigen Feuchtigkeit zu suchen, die sie dort erwartete. Sie konnte jedoch nichts anderes spüren, außer seinem starken, gleichmäßigen Herzschlag. Dann berührte sie die Bartstoppeln in seinem Gesicht, dabei wurde ihre Hand zum Teil des Schattenspiels. Da war überhaupt kein Blut.

Er nahm ihre beiden Hände in seine und sagte mit fester Stimme: „Maggie, das war nur ein Albtraum. Ihr seid jetzt wach.“

Sie atmete tief und zitternd ein. Er kam ihr zu nahe. Wenn er so wie jetzt über sie gebeugt stand, wirkte er mächtig und bedrohlich. Sie entzog ihm ihre Hände und setzte sich auf. Dabei lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil des Himmelbetts und zog sich den Bettüberwurf bis hoch ans Kinn, als ob er sie vor dem Bösen beschützen könnte, das sie eben gesehen hatte. Sie konnte das Bild seines blutüberströmten Gesichts nicht vergessen, deshalb hielt sie sich die Augen zu und seufzte laut.

„Geht es Euch gut?“, fragte er. „Soll ich nach dem Arzt schicken?“

Sie schauderte. Seine kultivierte Stimme hatte den gälischen Rhythmus und den Akzent der Highlands verloren, deshalb kam er ihr erst recht wie ein Fremder vor.

„Mir geht es gut, mir geht es gut. Ist Wasser in dem Krug dort drüben? Ich bin ganz ausgetrocknet.“

Er ging hinüber, um ihr ein Glas einzuschenken. Maggie war erleichtert, weil er sie dabei nicht länger anstarren konnte. Sie musste sich besser beherrschen, und dazu musste sie schnell die Traumbilder loswerden – zumindest fürs Erste. Denn eins war ganz sicher: Wenn sie wieder alleine war, hatte sie keine andere Wahl, als die Einzelheiten des Traums ganz genau zu betrachten.

Owen brachte ihr das Wasser. Zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass sie noch immer zitterte und das Glas mit beiden Händen festhalten musste. Sie nahm einen tiefen Schluck und senkte das Glas dann in ihren Schoß. Dabei versuchte sie, sich selbst dazu zu zwingen, sich zu beruhigen, damit das Zittern endlich aufhörte.

Er sah sie mit vor Besorgnis zusammengezogenen Brauen an. „Geht es Euch wirklich gut?“

„Das war nur ein Albtraum“, sagte sie und sah ihm unerschrocken in die Augen, um zu sehen, ob er es wagen würde, ihr zu widersprechen.

In den ganzen vergangenen zehn Jahren hatte sie keinen derartig lebhaften Traum mehr gehabt, der die Zukunft vorhersagte. Nach dem Schrecken über Emilys Tod und Owens spöttischer Skepsis legte sie auch keinen Wert mehr auf solche Erlebnisse. Inzwischen hatte sie gelernt, sich selbst aufzuwecken, wenn einer ihrer Träume so klar zu werden drohte. Dadurch hatte sie sich langsam in einer normale Frau verwandelt, die jeden Tag voller Hoffnung in die Zukunft sah und keine Ahnung hatte, wie sich die Dinge in Wirklichkeit entwickeln würden. Sie fürchtete sich auch nicht länger davor, dass jemand die Wahrheit über sie erfahren und sie als Hexe bezeichnen würde, sodass die Leute ihre Kinder vor ihr versteckten. Und doch … sie fühlte sich nie ganz vollständig, ein Teil von ihr schien zu fehlen.

Aber heute Nacht hatte der Traum sie überwältigt wie eine Flutwelle, ihre lange Zurückhaltung hatte ihn noch mächtiger werden lassen, und die Welle hatte ihre Gefühle gegen die bröckelnden Felsen der Normalität geschleudert, aus denen sie eine Barriere gebaut hatte, die sie schützen sollte. Owen schwebte in Todesgefahr … was, wenn er wirklich sterben musste?

Sein Spott und Emilys Tod hatten sie dazu gezwungen, eine andere Frau zu werden. Das fröhliche Mädchen, das die Welt voller aufregender Geheimnisse gesehen hatte, war zu einer Frau geworden, die genau das vergessen wollte.

Doch jetzt hatte sie wieder so einen Traum gehabt, sie war wieder zur Außenseiterin geworden und konnte sich niemandem anvertrauen, denn sie hatte darauf bestanden, dass Hugh und Riona ihre eigene Hochzeit feierten, anstatt sie zur Festung der Duffs zu begleiten wie ein kleines Kind. Maggie hatte wahrscheinlich sogar ihre Mutter gekränkt, als sie darauf bestanden hatte, dass auch sie zu Hause blieb.

„Geht es Euch besser?“, fragte Owen mit leiser, ruhiger Stimme.

Maggie zuckte zusammen und sah ihn an. Ihre Wut auf ihn war nie ganz verloschen, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass sie einen Teil von sich selbst verabscheute, nur um sie anschließend zu vergessen. Doch jetzt nickte sie, um seine Frage zu beantworten.

„Ihr seht nicht so aus, als ob Ihr Euch besser fühlt.“

Er ging zum Kamin hinüber und nahm eine Kerze, mit der er die anderen Kerzen in der Kammer anzündete, als Letztes die neben ihrem Bett. Die Schatten verschwanden, sodass sie sich ein wenig beruhigen und ihn genauer ansehen konnte. Es schockierte sie immer noch, wie sehr Owen sich in den letzten zehn Jahren verändert hatte – und gleichzeitig wie wenig. Hatte sie etwa erwartet, dass er hässlich und entstellt wäre? Sie war fast wütend genug gewesen, um ihm genau das zu wünschen. Sein Gesicht war noch immer schmal und harmonisch mit seinen hohen Wangenknochen und seinem energischen Kinn. Er trug sein sandfarbenes Haar in einem Zopf, anstatt es unter einer Perücke zu verstecken, wie es allgemein Mode war. Er war reifer geworden, seine Schultern und sein Oberkörper wirkten massiv. Offensichtlich hatte er die Zeit nicht nur damit verbracht, zu tanzen und jungen Damen in London schöne Augen zu machen. Aber es war nicht nur seine äußere Erscheinung, die sie noch immer in seinen Bann zog – es war seine ganze Ausstrahlung, von ihm ging eine Anziehungskraft aus, die sie nach allem, was zwischen ihnen passiert war, nicht für möglich gehalten hätte – und doch: Es kam ihr vor, als ob sie mit der Zeit, die inzwischen vergangen war, noch stärker geworden wäre.

Als er aufgetaucht war und beinahe noch im Augenblick ihres Wiedersehens vorschlug zu heiraten, war sie deshalb so erschrocken und gekränkt und voller Hoffnungslosigkeit, dass sie nicht mehr wusste, was sie überhaupt fühlen sollte.

„Warum seid Ihr eigentlich hier?“, fragte sie schließlich. „Habe ich so laut geschrien?“

„Allerdings habt Ihr das.“ Er wippte auf seinen Zehen und sah sie fragend an. „Ich bin nur hier, weil ich gerade ins Bett gehen wollte, als ich Euch schreien gehört habe. Ich dachte, jemand will Euch etwas tun.“

„Also seid Ihr hereingestürmt, um mich zu retten“, erwiderte sie kühl.

Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen den Bettpfosten. Dabei verschränkte er die Arme vor der Brust. Es sah männlich aus und selbstbewusst, als ob sie und er selbstverständlich ein Paar waren, das heiraten würde.

Sie schauderte, weil sie wieder daran denken musste, dass ihr Hochzeitskleid voller Blut gewesen war.

Owen runzelte die Stirn. „Ihr zittert ja vor Kälte. Hier muss doch irgendwo noch eine Wolldecke sein.“ Er beugte sich über eine der Truhen, die an der Wand aufgereiht standen.

„Nein wirklich, ist schon in Ordnung …“

Aber er hörte nicht auf sie, sondern breitete noch eine Wolldecke über dem Bettüberwurf aus. Dann beugte er sich über sie, und als sie sich dabei in die Augen sahen, war ihr, als ob er sie berührt hätte.

„Besser so?“, fragte er, dabei war seine Stimme plötzlich ganz heiser geworden.

„Aye“, sagte sie schnell. Wenn er doch endlich wieder gehen würde.

Ihr wurde tatsächlich wärmer. Vielleicht wurde sie rot, oder es war nur die Erinnerung an seinen Kuss und seine Berührung, die ihren Körper erregt hatte, ehe sie ihn an jenem Tag am Fluss davon abgehalten hatte weiterzugehen. Seitdem hatte sie sich in einsamen Nächten mehr als einmal gewünscht, dass sie damals den Mut gehabt hätte weiterzugehen, nur um zu wissen, wie es sich anfühlte mit einem Mann. Sie fühlte die Erinnerung wie einen Schmerz im ganzen Körper, es tat weh, dass er sie ausgelacht hatte, als sie sich ihm anvertraute, und ihr unterstellt hatte, dass sie aus Eifersucht handelte. Er hatte ihr nicht vertraut; sie durfte wegen dieser merkwürdigen Anziehung zwischen ihnen nicht vergessen, was er wirklich über sie dachte.

Und jetzt war sie mit ihm verlobt, um endlich die Fehde zu beenden, die so viele Leben gekostet hatte – falls er nicht vorher starb, falls die Hochzeit wirklich stattfand.

„Wir sind seit der Verlobung nicht mehr allein gewesen“, sagte Owen.

Die Gelassenheit seiner Stimme kam ihr plötzlich falsch vor, als ob es tief in ihm ganz anders aussah. Sie hielt den Atem an, denn sie war ganz gefangen von der brennenden Intensität seiner braunen Augen. Sie hatte vergessen, welche Macht sein Blick über sie hatte – vielleicht hatte sie es aus Wut vergessen wollen –, aber jetzt erinnerten sie seine Augen mit Macht daran, wie die neue Leidenschaft in ihr aufgeflammt war, wie aufregend es war, sie mit ihm zu teilen. Aber sie waren doch bloß Kinder gewesen, die keine Ahnung hatten, wie es in der Welt zuging und welche Verantwortung sie für ihre Familien hatten.

Owen sagte mit heiserer Stimme: „Es gibt so viel zu besprechen.“

Sie riss sich zusammen und entgegnete kühl: „Ihr wolltet nicht mit mir sprechen, als es darauf ankam. Ihr habt mich nicht um meine Hand gebeten. Ihr habt gesagt, dass es Euch nur darum geht, das Versprechen einzuhalten, als wäre das alles hier ein einfacher Austausch, so, wie man ein zerbrochenes Rad an einem Karren ersetzt. Das ist nicht sehr schmeichelhaft. Ich muss schon sagen, dass Ihr wirklich ein Mann des Praktischen geworden seid.“

„Habt Ihr etwa erwartet, dass ich Euch unter solch schwierigen Umständen erst lange den Hof mache?“, fragte er ein wenig sarkastisch.

„Spielt Ihr darauf an, dass Ihr mit meinem Bruder ein Duell bis auf den Tod ausfechten wolltet, ohne vorher auch nur einmal vernünftig miteinander zu reden? Das habt Ihr Eurem Onkel ja praktischerweise gleich ganz verschwiegen.“

Owen schien sich auf die Bettkante setzen zu wollen.

„Oh nein, das lasse ich nicht zu“, sagte sie scharf. „Was ist, wenn mich noch jemand schreien gehört hat und nach mir sehen will? Dann findet er Euch hier auf meinem Bett …“

„Wahrscheinlich glauben sie dann, dass Ihr meinetwegen geschrien habt, und zwingen mich, Euch zu heiraten“, sagte er trocken.

„Sehr witzig“, sagte sie jetzt selbst sarkastisch. „Lasst mich einfach alleine, Owen. Ich bin erschöpft und Ihr doch sicher auch.“

Er beugte sich über sie, doch sie machte sich ganz steif, als er ihre Schläfe berührte. Seine Hand war warm, und ihr war so kalt.

„Wir könnten eine gute Ehe führen, Maggie. Ich sorge schon dafür, dass Ihr Euch freut, die Meine zu sein.“

Bei so viel Selbstgefälligkeit blieb ihr der Mund offen stehen, aber er wartete ihre Antwort nicht länger ab. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprang sie aus dem Bett und rannte zur Tür, um das Ohr dagegenzupressen. Sie konnte hören, wie seine Schritte sich auf dem Korridor entfernten.

Fassungslos starrte sie die Holzvertäfelung der Wände an, die mit wunderschönen Landschaften bemalt waren. So etwas hatten die McCallums sich kaum je leisten können. Das ganze Herrenhaus war voller Zeichen des Wohlstands der Duffs, von den eleganten gepolsterten Möbeln bis hin zu den silbernen Kerzenleuchtern auf dem Kaminsims. Owen war ein Earl mit Titel und Ländereien, die sich sogar bis nach England erstreckten. Und jetzt war sie mit ihm verlobt.

Beim Gedanken an die Hochzeit tauchten die Traumbilder wieder vor ihren Augen auf, sie musste sich unbedingt zusammenreißen. Für einen Moment hatte sie sich dem Selbstmitleid hingegeben, als sie sich gefragt hatte, ob es wohl ein Fluch war, was viele als Geschenk betrachtet hätten, auch wenn sie genau wusste, dass es keines war. Vor langer, langer Zeit hatte sie auch einmal geglaubt, dass sie deshalb etwas Besonderes wäre – doch Owen hatte ihr mehr als deutlich gezeigt, dass sie sich geirrt hatte.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt, und das, obwohl sie sich in einer Burg voller Menschen befand. Aber sie waren alle Duffs, und sie hatte noch die betrunkenen Ausfälle ihres Vaters gegen den verfeindeten Clan im Ohr. Sie erinnerte sich gut an die Geschichten von Jahrhunderten voller Schlachten, Überfälle auf Burgen, Viehdiebstähle, Brandstiftung in Ställen und auf Höfen. Vor über hundert Jahren waren der damalige Chief der McCallums und seine Frau ums Leben gekommen, als sie bei den Duffs zu Gast waren. Doch den Erzählungen ihres Vaters hatte sie seit damals eigentlich keinen Glauben geschenkt, ein Teil von ihr wollte diese Geschichten nicht hören und war von den verhassten Feinden ihres Clans fasziniert – was auch erklärte, warum Owen sie vor zehn Jahren so beeindruckt hatte.

Vielleicht war sie jetzt auf sich ganz allein gestellt, aber sie war kein Feigling. Sie stellte sich ihrem Traum und sah mit wachsendem Entsetzen dabei zu, wie sich die Szene vor ihrem inneren Auge abspielte. Sie konnte nur erkennen, dass sie selbst zu Owen eilte, sein Gesicht war ganz bleich, Blut sammelte sich in einer Lache unter ihm, ihr eigenes Kleid wurde vom Blut befleckt, als sie nach ihm griff und ihn festhielt, dabei schrie sie. Es war schrecklich und gleichzeitig frustrierend, dass sie keinen Anhaltspunkt dafür hatte, was diese Tragödie ausgelöst hatte. Sie konnte sich anstrengen, wie sie wollte, aber sie konnte sich an nichts anderes erinnern. Es gab keinen einzigen Hinweis, den sie hätte übersehen können. Nur Owen und sie befanden sich in dem Raum, und der war dunkel. Sein Tod stand kurz bevor.

Stundenlang ging sie unruhig auf und ab und konnte nicht schlafen. Sie wusste nicht, was sie mit dem Wissen machen sollte, das ihr das Schicksal in die Hände gespielt hatte. Ihre Familie, ihr ganzer Clan war davon abhängig, dass es ihr gelang, diese Ehe zu schließen, sonst verloren sie das Land, das ihnen so viel bedeutete, und konnten keinen Whisky mehr brennen, mit dessen Hilfe sie die mageren Jahre überstanden, die sie immer wieder zu erdulden hatten. Davon ganz abgesehen, würde die Fehde zwischen den Clans wieder aufflammen, die über die Jahrhunderte schon viel zu viele Leben gekostet hatte.

Aber wie konnte sie Owen heiraten, wenn das andererseits seinen sicheren Tod bedeutete? Allerdings war sie nicht einmal ganz sicher, dass er überhaupt sterben würde, und all diese widersprüchlichen Tatsachen und Gefühle verursachten einen Strudel von Verwirrung und Angst, aus dem sie nicht wieder herauskam.

Vielleicht musste sie ihm einfach die Wahrheit sagen.

Augenblicklich versuchte sie, sich das wieder auszureden, weil sie noch sehr genau wusste, wie er sie verspottet hatte, als sie ihm das letzte Mal von einem Traum erzählt hatte. Aber sie konnte ihm auch nicht sagen, dass sie ihn nicht heiraten wollte, ohne ihm dafür einen vernünftigen Grund zu nennen. Sie musste einfach aufrichtig sein und ihn davon überzeugen, dass es einen anderen Weg geben musste, um die Vereinbarungen einzuhalten. Sie konnte ihn schließlich nicht heiraten, wenn sie sich damit für seinen Tod verantwortlich machte.

Schließlich kroch sie zurück ins Bett und wickelte sich in ihre Decken ein. Ihre Augen sprangen immer wieder auf, und als der Morgen dämmerte, gab sie schließlich auf und ging zur Fensterbank hinüber, um sich dort hinzusetzen und dabei zuzusehen, wie der Burghof langsam zum Leben erwachte.

Sie hatte das Bedürfnis, Menschen nah zu sein, die sie liebte, deshalb setzte sie sich an den eleganten Schreibtisch, um einen Brief an ihre Familie aufzusetzen. Sie adressierte ihn an Hugh, weil sie wusste, dass er ihn den anderen zeigen würde. Sie erzählte ihnen Belangloses, von ihrem ersten Eindruck von der Burg, davon, wie höflich und zuvorkommend Owen gewesen war und wie freundlich sich die Bewohner der Burg ihr gegenüber verhielten. Im Stillen fragte sie sich, wie freundlich sie wohl wären, wenn sie wüssten, dass sich ihre Träume erfüllten.

2. KAPITEL

Die Haushälterin kam erst einige Stunden später mit einem Tablett herein, auf dem Fladenbrot und heiße Schokolade standen, ganz so, als wäre sie daran gewöhnt, vornehme Damen zu bedienen, die spät aufstanden. Maggie fühlte sich schon ganz schwach vor Hunger, sie war erschöpft, und die Gespräche mit Owen, die ihr bevorstanden, bereiteten ihr Kopfzerbrechen. Sie musste den richtigen Moment abpassen, um mit ihm zu reden – als ob es in dieser Sache so etwas wie einen richtigen Moment geben konnte, dachte sie grimmig.

Mrs. Robertson war groß und schlank. Sie trug ihr langes graues Haar zu einem Zopf geflochten, den sie wie eine Krone um ihren Kopf steckte, ehe sie ihre spitzenbesetzte Haube darauf befestigte. Eine Krone hätte ihr auch gut zu Gesicht gestanden; sie war reserviert und nahm ihre Stellung als Vorgesetzte des Personals so ernst wie ein Staatsoberhaupt, das seine Untertanen betrachtet. Nachdem sie sehr unauffällig einen zweiten Blick auf Maggies Augen geworfen hatte, machte sich Mrs. Robertson mit ruhiger Geschäftigkeit an die Arbeit. Doch Maggie merkte natürlich trotzdem, dass sie Vorbehalte gegen sie hatte, auch wenn sie das niemals laut ausgesprochen hätte. Den Schotten war ihre Gastfreundschaft wichtig, und es gehörte zu Mrs. Robertsons Aufgaben, sich um Gäste zu kümmern. Andererseits war Maggie noch immer eine McCallum.

Nachdem Maggie von der Gedrücktheit und der ständigen Angst im väterlichen Haushalt befreit worden war, hatte sie entdeckt, wie angenehm es war, von Leuten umgeben zu sein, die nur das in einem sahen, was man nach außen von sich preisgab. Sie wurde fröhlich und unbeschwert und gab vor, dass sie genau wie die anderen Mädchen ihres Alters war. Owen und der Herzschmerz, der ihrer Begegnung gefolgt war, hatten sie verändert, denn sie hatte erkannt, dass sie niemals ein ganz normales Leben führen konnte. Aber sie hatte sich trotzdem geschworen, ihren eigenen Weg zu finden und sich das Leben nicht von Schmerz und Reue kaputtmachen zu lassen. Sie war von einem Mädchen zu einer Frau geworden, die wusste, was es bedeutete, sich bedeckt zu halten. Doch dann war Owen zurückgekehrt und hatte ihre Wut neu entfacht.

„Hab Ihr sonst noch einen Wunsch, Mistress McCallum?“, fragte Mrs. Robertson, nachdem sie die Gegenstände auf dem Tablett ordentlich auf dem Tisch abgestellt hatte.

Maggie hatte noch viele Fragen, aber sie wollte sie nicht der Haushälterin stellen. „Nein, Sie sorgen wirklich gut für mich, Mrs. Robertson, vielen Dank.“

Es klopfte so vorsichtig an der Tür, und Maggie wusste sofort, dass es nicht Owen sein konnte.

„Das wird Kathleen sein, Eure Zofe“, sagte Mrs. Robertson.

„Man hat mir eine persönliche Zofe zugedacht?“, fragte Maggie überrascht. Sie hatte noch nie eine Zofe ganz für sich allein gehabt.

„Aber natürlich. Ihr werdet doch schließlich die neue Gräfin.“

Gräfin. Maggie gab sich Mühe, ein neutrales, freundliches Gesicht zu machen, denn sie wäre beinahe vor Schreck zusammengezuckt.

Mrs. Robertson öffnete die Tür, und herein kam eine ganze Reihe von jungen Männern, die Maggies Gepäck trugen. Es waren ihre Sachen aus Edinburgh. Natürlich war es längst nicht alles, was sie besaß, aber sie fühlte sich schon besser, als sie von ihren eigenen Sachen umgeben war.

Als Letztes kam eine junge Frau zur Tür herein, die ein rundes, ein bisschen dickliches Gesicht hatte, wie man es in den Highlands nur selten sah, besonders nicht bei Dienstboten. Kathleen war blond mit einem Stich ins Rötliche und trug ihre Haare unter einer Haube aufgesteckt. Sie lächelte fröhlich.

„Mistress McCallum, es freut mich sehr, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen!“ Kathleen machte schnell einen Knicks. „Mrs. Robertson war so gütig, mir zu erlauben, für Euch zu sorgen. Ich habe Euer Gepäck mitgebracht und kann es kaum erwarten, mit Euch gemeinsam alles anzusehen.“

Mrs. Robertson runzelte die Stirn, als ob sie Kathleens Überschwänglichkeit anstößig fand, aber Maggie konnte nicht anders, als ihr aufmunternd zuzulächeln.

„Vielen Dank, Kathleen. Ich habe in der Tat das Bedürfnis, ein Bad zu nehmen und mich umzuziehen.“

Sie aß noch einige Bissen von dem Haferbrot, während Kathleen sich überall in der Kammer zu schaffen machte, ihre Kleider ausschüttelte und sie mit bewundernden Ausrufen aufhängte. Maggie hielt das für reine Höflichkeit, denn für eine Gräfin war ihre Garderobe außergewöhnlich schlicht.

„Es wird Euch hier bestimmt gefallen, Mistress“, sagte Kathleen, während sie noch eine Tasse Schokolade für Maggie einschenkte. „Ich bin auch neu hier, aber ich fühle mich bereits sehr willkommen.“

„Neu hier?“, wiederholte Maggie, „Sie meinen hier in diesem Haus?“

Aye, und überhaupt im Dienst dieses Clans. Mein Bruder und ich, wir sind erst vor Kurzem aus den amerikanischen Kolonien zurückgekommen, unsere Eltern sind mit uns dort hingezogen, als wir noch ganz kleine Kinder waren. Also kann ich mir gut vorstellen, wie Ihr Euch fühlt, weil ich doch auch niemanden kenne. Aber jetzt kennt Ihr ja mich!“

Kathleen lächelte und Maggie musst das Lächeln erwidern.

„Wie war es in Amerika?“, fragte Maggie.

Kathleen ging wieder zu den Koffern hinüber, sagte aber über die Schulter hinweg: „Meine Eltern dachten immer, dass sie da ein ganz neues Leben anfangen könnten, aber das stimmt nicht, nicht wirklich. Es ist doch dieselbe Familie, nur an einem anderen Ort. Sie haben hart gearbeitet, sodass wir alle leben konnten, aber es war nicht einfach. Und als nur noch mein Bruder und ich übrig waren, haben wir beschlossen, dass wir zurückkommen. Ich hab mein ganzes Leben lang schon Geschichten von den Duffs und unserem Clan gehört. Ich bin froh, dass ich jetzt hier bin.“

Maggie nickte. Ihre Zofe war vielleicht redseliger, als Dienstboten es für gewöhnlich sein sollten, aber ihr Geplauder hatte auch etwas Beruhigendes. Kathleen hatte ganz recht; Maggie fühlte sich weniger einsam, weil sie wusste, dass jemand anderes hier auch fremd war.

Doch Kathleen wollte nichts lieber, als Teil des Clans zu werden. Sie wollte ihre Verwandten und die anderen Clanmitglieder kennenlernen; Maggie hingegen fand immer noch, dass das in ihrem Fall ein schwerer Fehler war. Indem sie Owens Antrag angenommen hatte, hatte sie ein Schicksal in Gang gesetzt, das ihrer aller Leben für immer verändern würde.

Owen hatte den Vormittag in den Ställen verbracht, wo er zusammen mit dem Stallmeister die Pferde inspiziert hatte. Jetzt freute er sich auf sein Mittagessen, das hoffentlich ohne Maggie so viel ruhiger verlaufen würde. Vor zehn Jahren hatten sie oft aus einem Korb mit Lebensmitteln gegessen, die einer von ihnen beiden aus der Küche der jeweiligen Familie stibitzt hatte. Manchmal hatten sie sich auch in einem der Geschäfte am Firth of Forth eingedeckt. Es war gefährlich, dass sie so viel allein waren: Er fühlte sich zu ihr hingezogen, was natürlich ganz unmöglich war, wenn er doch eine andere Frau heiraten sollte.

Natürlich waren sie auf Castle Kinlochard nie allein. Die Mahlzeiten wurden zusammen mit allen anderen Mitgliedern des Haushalts in der großen Halle seiner Vorfahren eingenommen. Owens Vater hatte immer Wert darauf gelegt, sein Leben wie ein englischer Earl zu führen, und nur mit Leuten aus seinem Stand gegessen. Hier in den Highlands jedoch war es üblich, dass man seinen Alltag mit dem ganzen Clan zusammen verbrachte. Owen war unter ständiger Beobachtung, und jeder legte die – zugegebenermaßen niedrigen – Maßstäbe, die sein Vater gesetzt hatte, an ihn. Er war fest entschlossen, seine Rolle als Chief besser auszufüllen als sein Vater. Wenn er zu Hause war, wollte er mehr Zeit mit seinen Leuten verbringen. Er würde seine Pflicht tun und mehrere Monate im Jahr seinen Dienst im Oberhaus versehen, aber zu Hause wollte er leben wie ein Highlander.

Zum ersten Mal seit langer Zeit trug er wieder den Tartan seiner Familie mit einem Gürtel darüber. Er hatte gemerkt, wie die Stallknechte und sogar der Stallmeister ihn ansahen. Niemand äußerte offen irgendwelche Bedenken ihm gegenüber, aber er spürte trotzdem ihre Skepsis; sie lag direkt unter der Oberfläche der Höflichkeit, mit der sie ihm gegenübertraten. Den Schaden am Ansehen seiner Familie, den sein Vater angerichtet hatte, konnte er nicht wieder ungeschehen machen, aber er konnte sich immerhin als guter Chief erweisen und so ein Beispiel setzen, dem die anderen Clanmitglieder folgten.

Dann aber erschien Maggie doch noch in der großen Halle. Sie war strahlend schön in ihrem rosaroten Kleid, das ihre makellose Haut zur Geltung brachte, und mit ihrem dunklen, seidig glänzenden Haar. Owen war bereits aufgestanden, ehe er darüber nachdenken konnte. An einigen Tischen saßen Clansleute, und sie alle betrachteten Maggie natürlich mit großer Aufmerksamkeit. Die Gespräche erstarben. Zuerst schien sich niemand erheben zu wollen, und Owen wollte sie schon alle mit einem finsteren Blick in Bewegung bringen. Doch schließlich erhob sich eine alte, gebrechliche Dame, die sich dabei auf ihren Gehstock stützen musste. Zögernd taten es ihr die anderen gleich, und er bemerkte, dass Maggie rot geworden war. Sie stand in der Tür wie eine Feenerscheinung inmitten der plumpen Highlander. Er musste sie seinem Clan nach allen Regeln des Protokolls vorstellen, damit sie überhaupt bereit waren, sie anzuerkennen.

Er machte ein paar schnelle Schritte auf sie zu, um sie an den Tisch zu führen, und bemerkte dabei, wie sie seine Kleider betrachtete und dann die Augen aufriss.

„Oh, wir geben uns jetzt also als Highlander aus, was?“, bemerkte sie.

„Ich gebe mich als überhaupt nichts aus. Das ist das Erbe meiner Vorfahren.“ Er hatte zu Ehren seines Vaters außerdem eine schwarze Armbinde angelegt, aber dazu sagte Maggie nichts weiter. Sie trug keine Trauer für ihren eigenen Vater. Wenn er sich richtig an die Geschichten erinnerte, die sie ihm in ihrer Jugend erzählt hatte, konnte man ihr daraus keinen Vorwurf machen.

„Ihr seht verändert aus, als ob ihr es darauf anlegt, die Leute vergessen zu lassen, dass Ihr ein Earl seid.“

„Ich bin ein schottischer Earl. Und Ihr solltet wissen, dass ich für Euch überhaupt gar kein Earl bin, sondern Euer Bräutigam.“

Sie machte eine ungeduldige Kopfbewegung und wendete den Blick ab. Er sah auf sie hinab, dabei fiel ihm auf, dass sie kurviger war, als er sie in Erinnerung hatte. Sie hatte üppige Brüste, die von ihrem Korsett hübsch betont wurden, und der Rock ihres Kleides floss von ihrer schmalen Taille aus ihre Hüfte hinab, wodurch man den Eindruck gewinnen musste, dass sich darunter Kurven verbargen, die er nur zu gern mit der Hand berührt hätte.

Er hielt ihr seinen Arm hin. Sie zögerte kühl, ehe sie ihn ergriff, deshalb knirschte er insgeheim mit den Zähnen. Schließlich ließ sie sich doch von ihm zu ihrem Platz führen, und er setzte sich neben sie. Man servierte ihnen beiden Platten mit Wild, Hammel und Hasen sowie Schüsseln voller Pastinaken, Lauch und Kohl. Sie füllte ihren Teller und begann zu essen. Es sah so aus, als wäre ihr das ein willkommener Grund, ihn nicht länger zu beachten. Die Augen hielt sie die ganze Zeit gesenkt. Jedes Mal, wenn sie doch den Blick hob und einen der Dienstboten ansah, hielten diese erschrocken inne und bekreuzigten sich. Das musste ihr doch auf die Nerven gehen. Er würde mit Mrs. Robertson darüber sprechen.

„Hattet Ihr einen angenehmen Vormittag?“, fragte er.

„Mrs. Robertson hat mir das ganze Schloss gezeigt“, sagte sie.

Sie sah sich unerschrocken um, denn sie wurde von allen Seiten angestarrt, ohne dass sich irgendjemand große Mühe gab, das zu verbergen. Owen zog eine Augenbraue hoch, während er seinen Clan vielsagend ansah, daraufhin wandten sich alle sofort wieder ihrer Mahlzeit zu.

„Wie gefällt Euch Euer neues Zuhause?“, fragte er.

Autor

Gayle Callen
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