Die unschuldige Kurtisane

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"Auf ein Wort, Mylord!" Energisch schließt Vivianna die Tür des Separees hinter sich - und findet sich in Oliver Montegomerys Umarmung wieder. Er scheint sie für eine der jungen Kurtisanen zu halten, di in dem Etablissement der stadtbekannten Madame Aphrodite tätig sind! Dennoch weckt sein heißer Kuss in Viviannas tugendhaften Herzen ein gewagtes Verlangen. Dabei ist sie diesem charmanten Verführer aus einem völlig anderen Grund hierher nachgeschlichen: Nur er kann das Waisenhaus, für das sie sich einsetzt, retten! Aber kaum löst sie sich atemlos von seinen Lippen und bringt mutig ihr Anliegen vor, erwartet sie einen weitere Überraschung....


  • Erscheinungstag 05.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769413
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

1826, The Greentree Estate, Yorkshire, England

Die sechsjährige Vivianna legte warnend den Zeigefinger an die Lippen und strich sich die kastanienbraunen Locken zurück, die schon lange kein Wasser und keinen Kamm mehr gesehen hatten. Ihre beiden kleinen Schwestern, deren Gesichter ebenfalls mit Dreck und Tränen verklebt waren, drängten sich eng an sie und hielten den Atem an.

Die Stimmen vor dem Haus schienen näher zu kommen.

Eine kannte Vivianna. Es war die Stimme des Mannes mit dem Backenbart, der schon einmal hier gewesen war. Er hatte versucht, sie aus dem Haus zu locken.

Der Mann machte Vivianna Angst.

Noch lange nachdem er kopfschüttelnd davongestapft war, hatten die drei Mädchen im Schlafzimmer in einer dunklen Ecke gekauert. Vivianna hatte ihren Schwestern mit leiser Stimme die Geschichte von drei kleinen Mädchen erzählt, die von einer Frau mit schmalem, verkniffenem Gesicht und ihrem bösen Mann erst entführt und dann allein zurückgelassen wurden. Die Geschichte der drei kleinen Mädchen ähnelte ihrer eigenen. Aber in Viviannas Erzählung wurden die drei Mädchen von ihrer Mutter wiedergefunden, und alles nahm ein gutes Ende. Ein glückliches Ende.

„Hunger“, hatte die zweijährige Marietta geflüstert, als die Geschichte zu Ende war.

„Ich weiß, dass du hungrig bist.“ Vivianna streichelte sanft über die zerdrückten blonden Locken ihrer Schwester, die sie aus blauen Augen erwartungsvoll ansah. „Aber es ist kein Brot mehr da. Wir haben heute Morgen den ganzen Rest aufgegessen. Wenn es dunkel ist, hole ich uns draußen etwas.“ Sie wusste zwar nicht, wo und wie sie etwas Essbares finden sollte. Aber sie war die älteste. Sie musste sich um ihre zwei jüngeren Schwestern kümmern.

Marietta hatte sie vertrauensvoll angelächelt. Francesca hingegen hatte nur gewimmert und sich enger an Vivianna geschmiegt. Ihr Haar und ihre Augen waren so dunkel, dass sie wie ein kleiner Kobold wirkte. Sie war erst ein Jahr alt und verstand nicht, was um sie herum vorging. Aber sogar sie schien zu ahnen, dass etwas nicht stimmte, dass sie nicht länger daheim waren. Daheim, das war ein warmes Haus gewesen, wo sich freundliche Dienstboten um sie kümmerten. Francesca hatte tief geschlafen, als der Mann gekommen war, der sie zu Mrs. Slater in die Kutsche gebracht und sie dann weggeschickt hatte.

Weit weg.

Vivianna wusste nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen war – die Tage und Wochen flossen in ihrer Erinnerung ineinander. Aber es schien ihr sehr lange her zu sein. Allmählich verblassten ihre Erinnerungen an ihr Zuhause, daran, wie es ausgesehen hatte. Mrs. Slater war nicht böse zu ihnen gewesen, aber auch nicht besonders freundlich. Und wenn der schreckliche Mann da war, den sie ihren Mann nannte, hatte sie noch gleichgültiger gewirkt. Die beiden Erwachsenen hatten sich tage- und nächtelang in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und den Kindern nur zu essen gegeben, wenn ihnen der Sinn danach stand. Vivianna hatte auf ihre jüngeren Schwestern aufgepasst und dafür gesorgt, dass sie ruhig blieben, damit der Mann nicht böse wurde.

Und wenn es doch geschah, hatte sie ihnen anschließend Geschichten erzählt, bis sie eingeschlafen waren. Vivianna selbst hatte oft noch lange wach gelegen und überlegt, wie sie wohl wieder nach Hause kommen könnten. Sie hatte furchtbares Heimweh nach ihrem Zuhause und nach ihrer Mutter. Aber sie war so hilflos.

Sie wusste noch, dass sie auf dem Land gelebt hatten. Aber wo, wusste sie nicht. Vivianna kannte auch den Namen des nächsten Ortes nicht – sie war nie dort gewesen.

Vivianna hatte schon, als sie noch sehr klein war, begriffen, dass die Tatsache, dass sie überhaupt existierten, ein Geheimnis war. Stets waren sie von allen abgeschirmt worden, die allzu neugierige Fragen stellen konnten.

Und ihre Mutter … sie hatten sie einfach Maman genannt. Vivianna wusste nicht, wie ihre Mutter mit Nachnamen hieß. Sie wusste nur, dass sie irgendwo in London lebte, wenn sie nicht bei ihnen war.

Ihre Entführer hatten die Mädchen lange Zeit in einem Bauernhaus versteckt. Und plötzlich, eines Morgens, waren die Slaters nicht mehr da. Die Mädchen warteten im Haus auf ihre Rückkehr. Sie warteten und warteten. Vivianna war sicher, dass Mrs. Slater irgendwann zurückkommen würde. Noch war das nicht geschehen. Die drei Schwestern blieben in dem dunklen, maroden Bauernhaus sich selbst überlassen.

Vivianna kümmerte sich in der Zwischenzeit, so gut es ging, um ihre Schwestern.

Wieder waren Stimmen zu hören. Vivianna blinzelte müde. Es strengte sie an, wenn sie längere Zeit stehen musste. Sie hatte außerdem festgestellt, dass sie mittlerweile so hungrig und schwach war, dass sie dazu neigte, sich Dinge einzubilden. Einmal hatte sie gemeint, in dem ungepflegten Garten einen Löwen zu sehen, dabei war es, wie sie später feststellte, nur eine gescheckte Katze gewesen.

Aber die Stimme des Mannes mit dem Backenbart bildete sie sich nicht nur ein. Und dann hörte sie eine Frau. Irgendetwas an dieser vornehmen, sanften Stimme erinnerte Vivianna schmerzhaft an ihr Zuhause.

„Maman?“, flüsterte sie. Natürlich wusste sie, dass es nicht die Stimme ihrer Mutter war, die sie hörte, dennoch übte ihr Klang eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie aus. „Bleibt hier!“, befahl sie ihren Schwestern. Vorsichtig schlich sie aus dem feuchten, stickigen Schlafraum in das Vorderzimmer. Durch die kleinen Scheiben des schmutzigen Fensters sah sie hinaus in den Garten, der aus wucherndem Unkraut bestand. Sie sah den Mann mit Backenbart und neben ihm eine große, elegant gekleidete Dame. Sie hatte ihr honigblondes Haar aufgesteckt. Und sie trug ein knöchellanges, schwarzes Kleid. Elegante, schwarze Stiefeletten mit kleinem Absatz sahen darunter hervor. Vivianna wusste, was dieses schwarze Kleid bedeutete: Jemand, der der Dame nahestand, war gestorben.

„Geprahlt hat sie jedenfalls ziemlich mächtig“, sagte der Mann gerade.

„Wer hat geprahlt, Rawlings?“, fragte die Dame geistesabwesend und folgte ihm über den schmalen, ausgetretenen Pfad durch das Unkraut zur Vordertür. „Furchtbar sieht es hier aus“, bemerkte sie. Vivianna konnte sehen, dass die Dame die Stirn runzelte. „Mir war nicht klar, dass alles so verkommen ist, seit Edward …“ Plötzlich glitt ein Schatten über ihr Gesicht.

Der Mann, den sie Rawlings nannte, bemerkte diesen Stimmungswechsel nicht. „Mrs. Slater, Mylady. Sie prahlte im Dorf damit, dass die drei Mädchen die Töchter einer Londoner Edel…gesellschafterin seien, und behauptete, sie würde eine Menge Geld damit verdienen, dass sie die Kinder hier auf dem Land versteckt.“

Die Dame warf einen zweifelnden Blick auf das Haus. „Hmm … Sind Sie wirklich sicher, dass die Kinder noch im Haus sind, Rawlings?“

„Ja, Mylady. Sie verlassen es anscheinend nie. Die älteste ist dünn wie eine Bohnenstange, soweit ich sehen konnte. Aber sie hat die kleineren hinter sich geschoben und hätte bestimmt versucht, mich am Eintreten zu hindern.“

„Kaum zu glauben“, murmelte die Dame, mehr zu sich als an Rawlings gewandt. „Schlimm genug, dass die beiden … Slaters, sagten Sie, nicht? … einfach verschwunden sind, ohne irgendjemanden über ihren künftigen Aufenthaltsort zu unterrichten. Aber dass sie drei Kinder, die ihnen zur Pflege überlassen wurden, einfach allein zurücklassen, das ist … das ist geradezu monströs!“

„Mrs. Slater sei eine Kinderfrau, hieß es, die dafür bezahlt werde, sich um unerwünschte Kinder zu kümmern, Mylady. Die drei hier hat sie von irgendwo aus dem Süden mitgebracht. Vermutlich ist ihre Mutter, wer auch immer sie sein mag, froh, sie los zu sein.“

„Es sind Kinder, Rawlings. Jemand muss sich um sie kümmern. Ich werde ein Zuhause für sie finden.“

Vivianna begann zu beben. Die sanfte Entschiedenheit der vornehmen Dame brachte etwas in ihrem Inneren zum Schmelzen. Dieser Dame konnte sie vertrauen. So einer Dame konnte sie sicher ihre zwei kleinen Schwestern unbesorgt anvertrauen.

Die Tür zum Haus wurde geöffnet. „Ist jemand da?“, rief die schwarz gekleidete Frau. Dann wandte sie sich mit leiser Stimme an Rawlings. „Wie heißen die Mädchen denn?“

„Die älteste heißt, glaube ich, Vivianna, Mylady. Mrs. Slater hat sie im Dorf einmal ‚Annie‘ genannt, aber das gefiel dem Mädchen nicht.“

Die Dame lächelte. „Und die anderen?“

„Die sind noch so klein … ich weiß es nicht, Mylady.“

„Nun gut. Vivianna? Vivianna, hörst du mich?“

Wie erstarrt blieb Vivianna stehen. Die Dame betrat das Häuschen und blieb stehen. Es war sehr düster.

Ich kann mit den beiden anderen immer noch entwischen, dachte Vivianna. Aber die Dame hatte sie bei ihrem Namen gerufen, da konnte sie nicht einfach wegrennen. Und wo hätten sie auch hingesollt? Hier im Haus konnte sie für ihre Schwestern sorgen, aber da draußen … das war etwas anderes. Vivianna war verängstigt und sehr, sehr müde. Sie zögerte. Die Dame wirkte so … vertrauenswürdig. Vivianna hoffte, dass sie ihnen helfen würde.

„Vivianna?“ Wieder rief die Dame nach ihr, sanft, aber drängend. Der Saum ihres schwarzen Kleides strich an der schmutzigen Wand entlang. Sie achtete nicht darauf. Die Kinder waren in ihren Augen alles, was zählte.

„Hier bin ich.“

Die Dame drehte sich zu dem kleinen Mädchen um. Rawlings machte einen Schritt nach vorn, als wolle er Vivianna packen, aber die Dame hob die Hand und gebot ihm stillschweigend einzuhalten. Sie sah gütig aus und lächelte. Mrs. Slater hatte sie nie angelächelt. Viviannas Herz flog der Dame unwillkürlich zu.

„Wer sind Sie?“, fragte sie scheu. Sie wollte nicht unhöflich sein – in den Monaten mit Mrs. Slater hatte sie ihre Manieren halbwegs vergessen –, aber die Antwort erschien ihr von großer Bedeutung.

„Ich bin Lady Greentree, meine Liebe. Mir gehört das Haus hier und der Garten. Es ist Teil meines Landgutes.“

Vom anderen Ende des Zimmers her war das Rascheln von Stoff zu hören. Ihre Schwestern tappten auf Vivianna zu, und sie sah, dass auf den Wangen der beiden frische Tränen glänzten. Marietta umklammerte ihre Lumpenpuppe. Vivianna zog die Mädchen an sich und drückte sie an ihre schmuddeligen Röcke.

Einen Moment lang sah es so aus, als würde auch Lady Greentree zu weinen beginnen. Aber dann fragte sie mit beherrschter Stimme: „Wie heißt du mit vollem Namen, Vivianna? Wer sind deine Eltern?“

„Mrs. Slater hat uns hierhergebracht“, erwiderte Vivianna langsam. Ein leichter Schwindel überkam sie. Das musste vom Hunger kommen. „Wir haben auf dem Land gelebt, aber ich weiß nicht, wo. In der Nähe gab es ein Dorf. Ich weiß aber nicht, wie es heißt. Unser Haus war sehr groß. Es gab viele Dienstboten … Daheim wurde ich immer ‚Vivianna‘ genannt. Aber Mrs. Slater nannte mich ‚Annie‘.“

Vivianna wünschte, sie könnte noch mehr erzählen, sich an etwas erinnern, was es ihnen ermöglichen würde, zurück nach Hause zu gelangen. Sie hatte furchtbare Angst, dass sie den Weg nach Hause nicht mehr finden würden.

Marietta, die Lady Greentree die ganze Zeit angestarrt hatte, lispelte: „Maman?“

Lady Greentree stiegen Tränen in die Augen. „Ach, ihr armen Kleinen!“ Sie holte tief Atem und streckte die Hände aus. „Ich habe keine eigenen Kinder, und das habe ich immer sehr bedauert. Mein Mann Edward war Offizier. Er war in Indien. Jetzt ist er tot, und ich bin Witwe. Ich bin ganz allein auf der Welt – so wie ihr. Wollt ihr mit mir nach Hause kommen, damit ich für euch sorgen kann?“

Vivianna sah sehnsüchtig zu der weichen, blassen Hand hinüber, die ihr entgegengestreckt wurde. Die schmalen Finger erinnerten sie an die Hand ihrer Mutter.

Rawlings japste entsetzt auf. „Mylady! Sie wissen nicht, aus welchen Verhältnissen die drei stammen!“

Lady Greentree warf ihm einen scharfen Blick zu. Rawlings schaute zu Boden. Vivianna gefiel das. Und es gefiel ihr auch, dass die Dame ihnen noch immer die Hand hinstreckte, geduldig, abwartend. Das war eine Verheißung. Das Mädchen machte einen Schritt nach vorn und dann noch einen, obwohl ihre Schwestern sich an ihren Röcken festklammerten und sie behinderten. Vivianna legte ihre eigene Hand, die kalt und ein wenig klebrig war, in die von Lady Greentree. Wärme umgab ihre Finger.

Und ihr Herz.

Lady Greentree lächelte zu ihr hinunter, als ob Vivianna ihr einen Gefallen täte, nicht umgekehrt. „Kommt, meine Lieben“, sagte sie mit weicher Stimme. „Wir wollen nicht länger an diesem grässlichen Ort bleiben.“

1. KAPITEL

1840, Berkeley Square, London, vierzehn Jahre später

Ungeduldig wartete Lord Montegomery in seinem großen Londoner Stadthaus, während der Kammerdiener letzte Hand an seine Abendgarderobe legte. Sie bestand aus einem maßgeschneiderten schwarzen Frack, nach unten enger werdenden schwarzen Hosen und einem weißen Leinenhemd mit hohem, gestärktem Kragen und einer weißen Krawatte. Einen Farbakzent setzte seine blaue Weste. Sie war mit Goldfäden bestickt und mit goldumwickelten Knöpfen besetzt.

Früher hätte Oliver niemals eine dunkle Hose oder eine Weste wie diese getragen, wo doch Schwarz und Weiß die einzig akzeptablen Farben für eine Abendgesellschaft waren. Dunkle Hosen und eine blaue Weste waren ein unverzeihliches Zeichen vulgären Geschmacks. Das grelle Blau war gewissermaßen ein Symbol seines derzeitigen Lebenswandels. Am heutigen Abend würde er ein paar vergnügliche Stunden bei Aphrodite verbringen, bevor er zu einer Schänke mit dem vielsagenden Namen Bucket of Blood weiterziehen würde. Dort kam es immer wieder zu Faustkämpfen, auf die man wetten konnte. Früher hatte er nur ein- bis zweimal im Monat die Nacht auf diese Weise verbracht, heute tat er das fast täglich. Er trank, er spielte, er zechte, und seine Ansprüche hinsichtlich des Wo und Wie waren niedrig. Er war auf die schiefe Bahn geraten – das wusste jeder.

Und genau das bezweckte Oliver.

„Mylord?“

An der Tür stand sein Butler. Er wirkte aufgebracht.

„Was ist denn, Hodge?“

„Diese junge Person, die schon einmal vorsprach, ist wieder draußen. Sie wartet offenbar am Gartenzaun auf Ihr Erscheinen. Soll ich die Polizei verständigen lassen?“

„Sie meinen Miss Vivianna Greentree?“

„Jawohl, Mylord.“

Oliver schnitt seinem Spiegelbild eine Grimasse. Mit diesem Problem hatte er nicht gerechnet. Miss Greentree war aus Yorkshire angereist, um ihm den Marsch zu blasen. Er seufzte.

„Mylord? Soll ich die Polizei rufen lassen?“

Oliver griff nach einem Spazierstock mit Ebenholzgriff. „Sosehr die Mitglieder von Sir Robert Peels Polizei in London auch gebraucht werden, hier sind ihre Dienste nicht vonnöten. Nehmen Sie einfach keine Notiz von der jungen Dame. Wenn sie versucht, mir zu folgen, wird sie schon merken, dass das nichts bringt. Bitte lassen Sie den Wagen vorfahren. Ich möchte ausgehen.“

Hodge verneigte sich und tat, wie ihm geheißen worden war. Oliver ging ihm gemächlich nach. Miss Greentrees Erscheinen stellte ihn zwar vor ein unvorhergesehenes Problem, aber er bezweifelte, dass sie seine Pläne ernstlich gefährden konnte. Möglicherweise beförderte ihr Besuch in London seinen schlechten Ruf sogar noch.

Miss Vivianna Greentree aus dem ländlichenYorkshire stand vor dem eleganten Londoner Stadthaus im Dunkeln und fühlte sich klein und hilflos. Helles Licht fiel aus den Fenstern nach draußen. Durch die dünnen Ledersohlen ihrer Stiefeletten spürte sie beim Auf- und Ablaufen jede Unebenheit des Straßenpflasters. Die kalte Luft ließ sie frösteln. Dabei trug sie ein warmes Wollkleid und darüber ihre mit Pelz gesäumte warme Pelerine.

Schon seit sie vor einigen Tagen vom Landsitz von Lady Greentree nach London aufgebrochen war, weil sie dem aufgeregten Brief der Beatty-Schwestern entnehmen musste, dass ihr Waisenhaus, ihr Heim für arme Waisenkinder, in Gefahr war, fühlte sie sich merkwürdig hilflos. Beim Warten wurde ihr immer stärker ihre eigene Unzulänglichkeit bewusst.

Vor ihr, an der Westseite des Berkeley Square, ragte das elegante Stadthaus der Montegomerys auf. Das Haus stammte noch aus der Zeit von Queen Anne. Die Montegomerys waren eine alte, stolze Aristokraten-Familie, Oliver war ihr letzter Vertreter. Was wusste ein Gentleman seiner Herkunft schon über Armut und Bedürftigkeit? Viviannas Finger krampften sich um die Reitgerte, die sie in der Hand hielt – für den Fall des Falles, dass sie sich an Orten aufhalten musste, die für eine Frau ihres Standes nicht die richtige Umgebung waren.

Vivianna hatte bei Lord Montegomery vorgesprochen und gebeten, ihn in dringlichen Angelegenheiten sprechen zu dürfen. Der überheblich wirkende Butler, der auf ihr kurzes Klopfen hin an die Tür gekommen war, hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, dass Lord Montegomery in Kürze in seinen Club aufbreche und „junge, weibliche Wesen ohne standesgemäße Begleitung“ in seinem Heim nicht willkommen heißen würde.

Dabei gefährdet ein Besuch bei ihm meinen Ruf, nicht ich seinen, dachte Vivianna. Unwillkürlich packte sie die Reitgerte fester.

Nun, Seine Lordschaft würde schon merken, dass Miss Vivianna Greentree ausYorkshire nicht so einfach abzuwimmeln war! Sie konnte doch nicht zulassen, dass das Waisenhaus wegen der Selbstsüchtigkeit eines einzelnen Menschen geschlossen wurde.

Vom Ende des Platzes her waren das Rollen von Rädern und das Getrappel von Pferdehufen zu hören. Ein Wagen hielt vor den Toren des imposanten Gebäudes. Seine Lordschaft erschien in der Tür. Er war offenbar wirklich auf dem Weg in seinen Club, so wie der Butler gesagt hatte.

Auf diesen Moment hatte Vivianna gewartet. Sogar eine Dame vom Land wie sie wusste, dass ein moderner Londoner Gentleman des Abends auszugehen pflegte. Und nach allem, was sie über Lord Montegomery gehört hatte, war er ein sehr moderner junger Mann.

Eilig trat sie in den Schatten, den die Platanen in der Mitte des Platzes warfen, und behielt von dort aus die Haustür im Blick. Einer der Herren, die mit ihr in der Postkutsche Richtung Süden gesessen hatten, war sehr gesprächig gewesen, als es um Londoner Herren vom Schlage Lord Montegomerys ging, und Vivianna hatte ihn ermuntert, ihr mehr über diese Gentlemen zu erzählen.

„Spielhöllen und Trinkgelage, Bordelle und gefallene Frauen! Meine liebe, junge Miss, passen Sie nur auf sich auf! Ein süßes, unschuldiges Ding wie Sie hat es in London nicht leicht.“

Vivianna hielt sich selbst nicht für „süß“, und obwohl in körperlicher Hinsicht tatsächlich unschuldig, war sie durchaus schon lebenserfahren und belesen. Sie bezweifelte zudem, dass ihr vonseiten Lord Montegomerys irgendeine Gefahr drohte. Ein Lebemann würde nach einer Frau mit all den weiblichen Tugenden Ausschau halten, die sie nicht besaß – eine nachgiebige, ein wenig eitle und törichte, vor allem aber hilflose Schönheit. Vivianna wusste, dass sie nichts von alledem war. Sie hatte eine eigene Meinung, und ihr Äußeres entsprach nicht dem gängigen Schönheitsideal. Momentan war es der Traum aller Mädchen, so wie Queen Victoria auszusehen – klein, blauäugig und mollig.

Viviannas Augen waren braun. Außerdem war sie groß und hatte eine üppige, an Juno-Statuen erinnernde Figur. Ihr dickes, kastanienbraunes Haar war schwer zu bändigen. Hinzu kam, dass ihre Stimme klar und voll war. Die meisten Männer machteVivianna schon mit ihrem direkten Blick nervös. Ein Bekannter hatte Vivianna einmal anvertraut, dass er jedes Mal, wenn sie ihn ansah, das Gefühl habe, vor einem strengen Richter zu stehen, und er sich dabei stets wie ein hoffnungsloser Fall fühle.

Nein, dachteVivianna, Seine Lordschaft wird mir trotz seines schlechten Rufs nicht gefährlich werden. Ich werde meine Reitgerte wohl kaum benötigen, um ihn mir vom Hals zu halten. Ich muss es nur fertigbringen, ihn zu sprechen und ihm mein Anliegen vorzutragen. Vivianna wusste, dass sie sehr überzeugend sein konnte.

Die Eingangstür des herrschaftlichen Hauses wurde geöffnet. Helles Licht fiel nach draußen, man sah Spiegel und Marmor im Eingangsbereich. Zweifellos war Lord Montegomerys Haus sehr schön. Vivianna hatte durchaus Sinn für schöne Dinge, neidete Lord Montegomery seinen Reichtum aber nicht.

Ihre Mutter war eine Tremaine, entstammte einer Kaufmannsfamilie. Lady Greentrees Großvater hatte mit Fleisch gehandelt. Durch die Adern der Tremaines floss kein Tropfen blauen Bluts. Ihren Titel hatte Lady Greentree durch die Heirat mit ihrem Mann, Sir Edward Greentree, erworben. Von ihrem Mann hatte sie auch das wunderschöne, wenn auch sehr abgeschieden gelegene Landgut in Yorkshire, auf dem sie lebte, und – was noch wichtiger war – eine Familie, die sie liebte.

In Viviannas Augen war das der springende Punkt in ihrer Argumentation. Jeder hatte das Bedürfnis, von jemandem geliebt zu werden. Auch Waisenkinder. Sogar ein Mann wie Lord Montegomery würde ihr Anliegen verstehen, wenn sie es so formulierte.

Das würde er doch?

In diesem Augenblick kam der Hauseigentümer selbst aus der Tür. Vivianna kniff die Augen zusammen, um ihn besser sehen zu können.

Als ob er sich des Blickes bewusst war, der auf ihm ruhte, hielt der Mann an der Türschwelle einen Moment inne. Das Licht fiel genau auf sein dunkles, glänzendes Haar, das er aus der Stirn zurückgekämmt hatte. Im Nacken lockte es sich über einem hohen weißen Kragen. Lord Montegomery war groß und hielt sich gerade, konnte Vivianna feststellen. Ein gut geschnittener Frack betonte seine breiten Schultern und seinen schlanken Körper. In einer Hand hielt er den obligatorischen Spazierstock, in der anderen seinen Zylinder. Er wandte den Kopf zur Seite und genoss offenbar die kühle Nachtluft. Vivianna erahnte mehr, als sie es sah, dass Lord Montegomerys Gesichtszüge sehr markant waren. Seine Nase wirkte lang und gerade. Das Licht zeichnete tiefe Schatten unter seine Augen, was auf hohe Wangenknochen hindeutete. Er hatte ein breites Kinn. Lord Montegomery war unzweifelhaft ein attraktiver Mann. Und dennoch – er wirkte anders als die mondänen Londoner, die sie bei ihrer Ankunft gesehen hatte. Irgendwie … verwegen. Trotz seiner eleganten Kleidung wirkte Lord Montegomery wie jemand, vor dem man sich in Acht nehmen musste.

Eine dunkle Vorahnung ließ Vivianna frösteln. Unwillkürlich zog sie ihre Pelerine enger um sich.

Sie hatte nicht ernsthaft erwartet, dass jemand, der Waisenkinder unglücklich machen wollte, ein netter älterer Herr war. Zum Glück hatte sie sich mit ihren knapp zwanzig Jahren schon weitaus hoffnungsloseren Problemen gegenübergesehen, als einen reichen, selbstsüchtigen Gentleman dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern. Es sollte ihr nicht allzu schwerfallen, ihn dazu zu bewegen, etwas Gutes zu tun. Dennoch beschleunigte sich Viviannas Atmung beim Anblick Lord Montegomerys.

Er sprang die Treppe hinab und schwang dabei sorglos seinen Spazierstock. Er hat ja auch keine Sorgen, dachte Vivianna verärgert. Doch das würde sich bald ändern. Er stieg in seinen Wagen. Ein Rucken ging durch die Kutsche, und sie fuhr über das Kopfsteinpflaster des Platzes in Richtung Süden davon.

Vivianna raffte ihre weiten Röcke und rannte höchst undamenhaft auf ihre Mietdroschke zu, die hinter den Platanen verborgen auf sie wartete, riss die Tür auf und sprang in den Wagen.

„Folgen Sie der schwarzen Kutsche!“, rief sie dem erhöht hinter der Passagierkabine sitzenden Fahrer zu. Sie prallte heftig gegen die Rückenlehne, als der Kutscher anfuhr.

Schickt sich das für eine junge Dame? Wäre es nicht vernünftiger, wenn du am Morgen noch einmal deine Karte bei ihm abgäbest? Lady Greentrees sanft modulierte Stimme klang Vivianna tadelnd in den Ohren.

Möglicherweise würde ihr Verhalten unter anderen Umständen als aufdringlich und ein wenig unschicklich gelten müssen, gestandVivianna sich ein. Doch Not kannte kein Gebot. Sie musste unbedingt noch heute mit Lord Montegomery sprechen! Irgendwie musste sie ihn dazu bringen, seine Meinung zu ändern. Sie musste das Waisenhaus retten. Die Zeit war so knapp. Und die harte Arbeit, das Glück so vieler Menschen war wegen der Launen des verwöhnten Lord Montegomery gefährdet.

Das ist ja alles schön und gut, meine Liebe, aber meinst du nicht, dass du das alles nur aus Abenteuerlust tust?

Über diese Frage wollte Vivianna lieber nicht nachdenken.

Die Droschke fuhr mit großer Geschwindigkeit durch London. Allmählich verspürte Vivianna eine gewisse Besorgnis. Und wenn Lord Montegomery nun zu den berüchtigten Seven Dials, nach St. Giles oder an einen anderen übel beleumundeten Ort fuhr? Sie konnte nur hoffen, dass Lord Montegomery tatsächlich in einen Club wollte oder zumindest in eine der Spielhöllen oder Schenken in der Innenstadt. Auch wenn eine wohlerzogene junge Dame wie sie in Spielhöllen und Schenken nicht unbedingt erwünscht war, würde das dort herrschende Menschengetümmel doch zu ihrer Sicherheit beitragen. Vermutlich würde sie nicht zu viel unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, solange sie stumm blieb und die Augen auf den Boden richtete.

Die Droschke rumpelte über das Kopfsteinpflaster und bog um eine weitere Straßenecke. Ein Pferde-Omnibus, der sogar um diese Stunde überfüllt war, rollte vorbei. Ihr Kutscher und der Omnibus-Fahrer riefen sich im breiten Londoner Dialekt, den Vivianna nicht verstehen konnte, etwas zu. Vielleicht ist es ganz gut so, dass ich nicht weiß, welche Obszönitäten da ausgetauscht werden, sagte sie sich und wunderte sich über den merkwürdigen Dialekt. Dann schweiften ihre Gedanken ab. Wieder musste sie an Miss Susan Beatty und Miss Greta Beatty und deren flehenden Brief denken. Die Zeilen standen ihr noch klar und deutlich vor Augen:

Liebste Miss Greentree,

verzeihen Sie, dass wir Sie, unsere geschätzte und geliebte Freundin, bedrängen, aber etwas Schreckliches ist geschehen: Wir haben soeben erfahren, dass uns unser Heim für arme Waisenkinder genommen werden soll! Das Gebäude soll abgerissen werden! In neun Wochen schon! Bitte, Miss Greentree, verlieren Sie keine Zeit, wenn Sie unser Waisenhaus retten wollen! Bitte reisen Sie nach London, bevor es zu spät ist …

Der Rest des Briefes war nicht zu entziffern gewesen. Dass ihre sanften, so praktisch veranlagten Freundinnen derart drängend und offenbar in fliegender Hast geschrieben hatten, konnte nur bedeuten, dass die Sache sehr ernst war. Auch wenn Vivianna es kaum glauben konnte, was in dem Brief stand: Das Waisenhaus sollte abgerissen werden? In neun Wochen?

So etwas durfte einfach nicht passieren!

Trotz der Federung der Kutsche wurde Vivianna auf der Sitzbank ordentlich durchgerüttelt, als die Droschke in eine breite und sehr respektabel wirkende Straße einbog. Helles Licht flutete von Gaslaternen aus über das Pflaster. Vivianna schloss die Augen. Mit dem Heim für arme Waisenkinder war ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen. Es hatte große Mühen und Anstrengungen gekostet, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Das Waisenhaus war ein Heim für arme Kinder, für Kinder, die nicht das Glück hatten, von einer Lady Greentree gerettet zu werden. Hier sollten Kinder nicht nur untergebracht, sondern auch unterrichtet werden. Jahrelang hatte Vivianna alleine von solch einem Waisenhaus geträumt – bis Susan und Greta Beatty nach Yorkshire gekommen waren und beim jährlichen Wohltätigkeitsdinner für hungrige Kinder Vorträge gehalten hatten. Diese Vorträge waren für Vivianna geradezu überwältigend gewesen. Die Schwestern hatten leidenschaftlich und überzeugend von ihrem Entschluss gesprochen, verwaisten und verwahrlosten Kindern zu helfen.

Am nächsten Tag hatten sie sich zum Tee getroffen. Im Gespräch war auf beiden Seiten schnell die Erkenntnis gereift, dass sie alle das gleiche Ziel hatten: verwaisten und verlassenen Kindern zu helfen, die sich selbst nicht helfen konnten. Die beiden Schwestern wollten das Erbe, das ihnen ein reicher Onkel hinterlassen hatte, sinnvoll einsetzen. Vivianna hatte keine eigenen Mittel, doch Lady Greentree war wohlhabend und sehr großzügig, und Vivianna hatte über Lady Greentree Zutritt zu einigen einflussreichen Familien in Nordengland. Schnell war man sich über die zukünftige Zusammenarbeit einig geworden.

Die beiden Damen und Vivianna entschieden gemeinsam, dass London der geeignetste Ort für die Errichtung eines Waisenhauses war. „Nirgendwo“, meinte Susan Beatty, „ist eine solche Einrichtung nötiger als in London.“ Vivianna war noch nie in London gewesen, konnte sich die weniger schönen Viertel der Stadt nach lebhaften Schilderungen seitens ihrer neuen Freundinnen jedoch gut vorstellen.

Und bald nahm ihr gemeinsamer Plan Gestalt an.

Sie fanden ein geeignetes Gebäude für das Heim. Es hatte lange leer gestanden, war ansonsten aber ideal für ihre Zwecke. Candlewood, wie es genannt wurde, war Teil eines vernachlässigten Landguts im Norden der Stadt. Es gab Platz genug, um einen Gemüsegarten anzulegen, und im nahe liegenden Wald konnte man mit den Kindern spazieren gehen. Es dauerte nicht lange, da war Candlewood das Heim von fünfundzwanzig bedürftigen Kindern. Die Frauen planten bereits eine Erweiterung, um noch mehr Kinder aufnehmen zu können.

Und dann kommt ein gefühlloser Tor daher und stellt alles infrage, dachte Vivianna verärgert.

Viviannas Entschluss hatte festgestanden, sobald sie den Brief zu Ende gelesen hatte: Sie würde nach London fahren und tun, was sie tun konnte. Sie war kein Mensch, der die Hände müßig in den Schoß legte und dem Schicksal seinen Lauf ließ.

Lady Greentree war über den Plan ihrer Tochter zwar nicht beglückt, wusste aber aus Erfahrung, dass es sinnlos war, Vivianna aufhalten oder auch nur bremsen zu wollen. Zu ihrem Leidwesen hielt sich ihre Tochter bei ihrem Einsatz für Waisenkinder mitunter nicht an die gesellschaftlichen Konventionen. Vivianna glaubte, dass es wichtigere Dinge gab, als die vielen, in ihren Augen sinnlosen, gesellschaftlichen Regeln zu befolgen.

„Warum sollte ich, nur weil ich eine unverheiratete junge Frau bin, nicht ins Geschehen eingreifen?“, fragte sie Lady Greentree gereizt. „Ich werde nach London reisen und das Waisenhaus retten!“

Ihre Schwester Marietta bettelte darum, mitkommen zu dürfen, wenn auch aus weniger edlen Motiven: „Ich möchte die Sehenswürdigkeiten sehen. Und einkaufen gehen, Vivianna!“ Francesca hingegen, die Jüngste, erklärte, dass nichts, nicht einmal die sieben Weltwunder, sie dazu verlocken könnten, die von ihr so geliebte Moorlandschaft Yorkshires zu verlassen.

Daher brachen Vivianna und Lilian, ihre Zofe, schließlich alleine mit der Postkutsche über die Great Northern Road nach London auf. Vivianna hatte versprochen, den Daheimgebliebenen gleich nach ihrer Ankunft in London zu schreiben und ihnen mitzuteilen, wie lange sie wegbleiben würde.

Zum Abschied hatte Lady Greentree ungewöhnlich offene Worte mit Vivianna gewechselt. „Du wirst bei deiner Tante Helen in Bloomsbury wohnen. Ich habe dir einen Brief an sie mitgegeben. Er liegt in deiner Reisetruhe. Ich hoffe, ich habe ihr die Umstände deines Überraschungsbesuchs erklären können. Sie wird wohl nichts gegen deinen unangekündigten Besuch einzuwenden haben. Ein wenig Gesellschaft tut der armen Helen gut.“ Einen Moment lang hatte sich Lady Greentrees Gesicht verdüstert, als sie an Toby Russell, den Mann ihrer Schwester, dachte, dann fuhr sie fort: „Ich habe dir auch einen Brief an meine Bank in der Fleet Street mitgegeben. Du wirst die eine oder andere Ausgabe tätigen müssen, vielleicht ein oder zwei neue Kleider kaufen wollen.“ Sie lächelte ihre älteste Tochter liebevoll an, weil sie das selbst für wenig wahrscheinlich hielt. „Brauchst du sonst noch etwas?“

„Nein, Mama, mir fehlt nichts. Und mach dir keine Sorgen. Mir wird schon nichts passieren.“

Lady Greentree hatte geseufzt. „Du warst schon immer ein willensstarkes Mädchen, Vivianna. Erinnerst du dich noch daran, wie du als Zehnjährige den Sohn von diesem Kesselflicker anschlepptest und von mir ein Paar neue Schuhe für ihn verlangtest? Es ist meist gut, wenn jemand so genau weiß, was er oder sie will, wie du. Manchmal allerdings … Manchmal mache ich mir Sorgen um dich – du bist so ungestüm. Denk erst nach, bevor du etwas tust, Vivianna. Du handelst dir sonst nur Ärger ein.“

Jetzt, wo sie in der Droschke saß, sagte sich Vivianna, dass Lady Greentrees Warnung gerechtfertigt war. Vivianna war nicht nur überstürzt nach London aufgebrochen. Sie hatte gleich nach der Ankunft im Haus ihrer Tante Kopfweh vorgeschützt, sich auf ihr Zimmer begeben und sich umgezogen. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie sich mit der Reitgerte in der Hand aus dem Haus ihrer Tante geschlichen hatte.

Wie schon so oft war ihr Lilian, ihre Zofe, widerstrebend zu Hilfe gekommen. Sie hatte eine Droschke für sie gemietet und sie gebeten, „in Gottes Namen in einem Stück zurückzukommen“. Die arme Tante Helen, dachte Vivianna. Wenn sie herausbekam, dass sie einfach das Haus verlassen hatte, noch dazu alleine, ohne Begleitung … Sie gestand sich schuldbewusst ein, dass sie nicht das Recht hatte, ihrer Tante noch mehr Kummer aufzubürden – schließlich hatte die wegen ihres Mannes allerlei zu erdulden.

Nur der Gedanke an die Waisenkinder hielt Vivianna davon ab, auf der Stelle zu Tante Helen zurückzufahren.

Der Wagen Lord Montegomerys hielt vor einem großen, dreistöckigen Gebäude. Ein Türsteher, der einen roten Rock von militärischem Schnitt trug, schritt stolz auf Lord Montegomery zu, wie ein Soldat bei der Truppenparade.

Auch Viviannas Kutsche hielt an. Die Fassade des Gebäudes war nüchtern gehalten. Offenbar hatten es exklusive Herrenclubs nicht nötig, Werbung mit Fassadenschildern zu betreiben. Während Vivianna noch zögerte, verschwand Montegomery ins Innere des Gebäudes. Seine Kutsche fuhr ab. Vivianna atmete tief durch und sagte sich, dass sie ebenso gut in Yorkshire hätte bleiben können, wenn sie jetzt nichts unternahm.

Sie kletterte aus dem Wagen und bezahlte den Fahrpreis. Der Kutscher griff nach den Münzen. „Sie woll’n hier aussteig’n, Miss?“, fragte er. Er sah sie mit einem merkwürdigen Blick an. „Sind Se sicher?“

„Ich bin mir sicher, danke der Nachfrage.“

„Aber das is’n Institut. Von ’ner Äbtissin geleitet. Und Sie sind ’ne Dame! Das seh’ ich doch!“

Vivianna verstand nicht, was er ihr sagen wollte – und das lag nicht nur an seinem Londoner Dialekt: Seine Worte ergaben einfach keinen Sinn. Doch ihre Chance, Montegomery nach drinnen folgen zu können, verringerte sich von Sekunde zu Sekunde mehr. „Ich weiß, was ich tue“, erwiderte sie kühl, selbst wenn es nicht der Wahrheit entsprach.

Der Mann öffnete den Mund schon, überlegte es sich aber anders und lenkte die Pferde wieder zurück auf die Fahrbahn, hinein in den Verkehrsfluss. Vivianna zog gerade die Kapuze tief ins Gesicht, da hielt schon der nächste Wagen vor dem Haus, und ein anderer Gentleman stieg aus. Er würdigte Vivianna keines Blicks und eilte zur Eingangstür.

Diese Gelegenheit bot sich so schnell nicht wieder.

Vivianna lief dem Gentleman hinterher. Der Türsteher verneigte sich vor dem Gast und ließ ihn ein. Mit angehaltenem Atem und gesenktem Blick wollte Vivianna an dem Bediensteten vorbei nach innen schlüpfen, lief aber gegen den ausgestreckten Arm des Türstehers.

Sie sah hoch. Der Mann funkelte sie böse an. Vivianna bemerkte, dass seine Nase offenbar mehrmals gebrochen war.

„Hinten rum, Mädel“, knurrte er, offenbar wenig angetan von ihrer Dreistigkeit.

Vivianna zögerte. Wieder fuhr vor dem Haus ein Wagen vor.

„Hinten rum!“, erklärte der Mann nochmals und schob sie zur Seite, um den Neuankömmling zu begrüßen.

Offenbar hatte der Türsteher sich schon eine Meinung gebildet, wer sie war – so wie vorhin der Kutscher. Vivianna interessierte es nicht, wofür er sie hielt, doch wer hier erwartet wurde, entzog sich ihrer Kenntnis. Es war ihr auch egal – Hauptsache, sie konnte mit Lord Montegomery sprechen.

Ungeduldig deutete der Türsteher zur Seite des Gebäudes, und sie lief die Stufen der Eingangstreppe hinab und eilte zum Dienstboteneingang auf der Rückseite des Hauses. Die Hintertür stand offen.

Sobald Vivianna eintrat, schlug ihr eine Woge von Küchendüften entgegen. Offenbar war sie im Wirtschaftstrakt, links von ihr befand sich die Spülküche. Hier würde sie Montegomery nicht finden. Ein Gang, der nach Viviannas Ansicht zur Vorderseite führen musste, war schwach erleuchtet. Eilig lief sie an einer Reihe von geschlossenen Türen vorbei. In der Ferne konnte sie Gelächter und Lärm hören. Sie öffnete eine weitere Tür, ging durch einen kurzen Flur und riss überrascht die Augen auf.

Durch einen mit Perlen besticktenVorhang fiel Licht in den Flur. Vivianna konnte Menschen hören, die sich unterhielten. Gläser klirrten. Unwillkürlich umkrampften ihre Finger die Reitgerte, die sie unter ihrer Pelerine versteckt hielt. Natürlich wusste sie, dass sie ihr nichts nutzen würde. Vivianna war schlagartig mulmig zumute. Und es fiel ihr schwer, zu atmen. Ob das Korsett zu eng geschnürt war?

Montegomery kann nicht weit weg sein, sagte sie sich und nahm die Schultern zurück. Dann schritt sie mutig durch den Vorhang.

Irritiert blickte sie sich um. Das soll doch ein Herrenclub sein!

Der Raum war im Stil des französischen Rokoko eingerichtet. Die weiß lackierte Wandvertäfelung war voller Spiegel und verschwenderisch mit Goldornamenten verziert. Kerzen flammten in Tausenden und Abertausenden von Spiegelungen und erhellten den Raum wie Sterne den Himmel. Die Möbel waren elegant, sahen aber sehr unbequem aus – sie hatten wenig mit den Polstersesseln und Sofas gemein, die im Moment modern waren.

Alles sah ganz anders aus, als Vivianna erwartet hatte. Sie hatte gedacht, dass sich hier nur Herren aufhalten würden, Herren, die in Ledersesseln saßen, Brandy-Gläser in der Hand hielten, Zeitung lasen und in Gespräche über das Unterhaus vertieft waren.

Zwar waren viele Herren anwesend, aber fast noch mehr Damen. Auf einem riesigen Tisch standen Champagner und Platten mit kleinen Häppchen.

Seit wann waren Damen in den geheiligten Hallen eines Männerclubs willkommen? War dies ein besonderer Abend, eine Gala? Waren die Damen extra eingeladen worden? Sie waren alle sehr schön und trugen wundervolle Kleider aus bunten Musselin- und Seidenstoffen, die Vivianna an Kostüme auf historischen Gemälden erinnerten – genauer an Darstellungen des alten Roms oder Trojas. Obwohl die Kleider prächtig waren, verhüllten sie die Körper der Damen, die sie trugen, nur unzureichend.

Vivianna fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Lady Greentree hätte in diesem Moment auf dem Absatz kehrtgemacht, das wusste Vivianna genau. Was hatte der Droschken-Fahrer gesagt? Hatte er nicht gesagt, dies sei ein „Institut“, das von einer „Äbtissin“ geleitet würde?

Vivianna zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Es war ohnehin zu spät, ihre Pläne zu ändern, und daher musste es ihr gleichgültig sein, ob sie durch spinnwebenfeine Seide hindurch die Körper anderer Frauen sehen konnte. Vielleicht, sagte sich Vivianna, legte man in London weniger strenge Maßstäbe an das Erscheinungsbild von Damen an als in Yorkshire?

Dass so viele andere Frauen anwesend waren, erleichterte ihr zudem die Suche nach Lord Montegomery. Vivianna vergewisserte sich, dass niemand von ihrem Erscheinen Notiz genommen hatte, dann glitt sie an der Wand entlang durch den Raum, wobei sie die kunstvoll drapierten Vorhänge und Blumengestecke als Deckung benutzte. Sollte sie trotzdem jemandem auffallen, hielt der sie hoffentlich für eine scheue Jungfer vom Land, die zwar an denVergnügungen der Hauptstadt teilnehmen wollte, aber keine Ahnung hatte, wie man sich in Gesellschaft bewegte.

Während sie neben einer ausladenden Zimmerpflanze kurz anhielt, schaute Vivianna sich weiterhin nach Montegomerys dunklem Schopf um. Was, wenn er gar nicht in diesem Raum war? Dies war ein großes Haus. Sie würde doch nicht alle Zimmer nach ihm absuchen müssen? Vivianna zwang sich, ihre aufkeimende Nervosität zu unterdrücken. Auch wenn sie jeden Quadratzentimeter dieses Hauses absuchen musste, sie würde ihn finden.

Und sie hatte Glück. Im nächsten Augenblick sah sie ihn auf der Schwelle zu einem Nebenzimmer stehen. Eine Frau in einem Gewand aus silbrig schimmerndem Stoff, wie ihn Vivianna noch nie gesehen hatte, stand vor ihm. Die Raffungen des Stoffes enthüllten sehr viel mehr von ihrem Dekolleté, als schicklich war, und der Rock war so geschnitten, dass die Beine der Dame fast vollständig unbedeckt waren. Entsetzt wandte Vivianna den Blick von den Beinen der Frau ab und blickte auf die Gesichter der beiden.

Sie lachten, und die Frau strich mit den Fingern auf eine Weise über Montegomerys Oberkörper, die verspielt und gleichzeitig intim wirkte. Beide neigten sich einander zu, tauschten ein paar Worte aus, dann zog sich Montegomery wieder in das Nebenzimmer zurück. Die Frau lächelte ihm über die Schulter hinweg zu, als sie auf den Tisch zuging, wo in silbernen Kühlern Champagner kalt gestellt war.

Es schien, als ob die Frau Montegomery ein Glas Champagner bringen wollte. Doch dann begann sie, sich mit einem älteren Herrn mit breitem Schnurrbart zu unterhalten, der sich ihr genähert hatte. Sie warf einen entschuldigenden Blick zum Nebenzimmer hinüber, bevor sie ihre ganze Aufmerksamkeit und ein strahlendes Lächeln dem Neuankömmling widmete.

Vivianna nutzte die Gelegenheit, die sich ihr bot.

Sie trat aus der Deckung und stürmte quer durch den Raum auf die Tür zu, hinter der Montegomery verschwunden war. Fast rempelte sie dabei eine attraktive ältere Frau mit ergrauendem Haar an, die ein schwarzes Kleid und Diamantenschmuck trug. Die Frau blickte ihr ebenso erstaunt nach wie die anderen Anwesenden. Vivianna rechnete damit, dass sie jeden Moment jemand aufhalten und sie fragen würde, was sie hier zu suchen habe.

Doch nichts dergleichen geschah.

Sie eilte durch die offene Tür ins Nebenzimmer und zog sie hinter sich zu. Hab ich dich, dachte sie triumphierend. Mit zitternden Fingern drehte sie den Schlüssel herum, der im Schloss steckte, und schloss so sich und Montegomery ein.

2. KAPITEL

Das Wichtigste zuerst: Geh sicher, dass er dir nicht entkommen kann.

Vivianna zog den Schlüssel ab und steckte ihn in die kleine Tasche auf der Innenseite ihres Rocks. Erst dann atmete sie tief durch und drehte sich um. Der Nebenraum war ebenfalls sehr elegant eingerichtet, hatte aber eine sehr viel intimere Atmosphäre. Im Kamin brannte ein Feuer, die Schelllackpolitur der Möbel schimmerte im Licht der Flammen, und neben Nippes und Zierrat stand eine sehr große, mit einem Tuch aus scharlachroter Seide verhüllte Chaiselongue, auf der rote Kissen lagen. An der Wand hing ein Bild der Venus, sie war nackt und von ihrem goldblonden Haar umflossen.

Lord Montegomery stand mit dem Rücken zu ihr vor dem Fenster. Seine große, breitschultrige Figur zeichnete sich dunkel gegen den Nachthimmel ab. Er wirkte sehr einsam, so wie er dort stand. Vivianna zögerte einen Moment. Auf einmal fühlte sie sich unsicher. Sie kam sich wie ein Eindringling vor.

Als hätte er ihren Blick im Rücken gespürt, drehte er sich um. Die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen. Er musterte sie. Seine Augen waren tiefblau und wirkten fast schwarz.

„Ist dies nicht das Venus-Zimmer?“, fragte er. Seine Stimme war tief und wirkte schläfrig. „Sie sehen mir mehr wie eine Diana aus.“ Er ließ seinen Blick über sie gleiten. „Allerdings mit viel zu viel Kleidung …“

Vivianna verstand nicht ganz, was er sagen wollte. Sollte das witzig sein? Was gab es an ihrer Kleidung aus gutem Yorkshire-Tuch auszusetzen? Sie machte einen Schritt auf ihn zu und fragte mit fester Stimme: „Lord Montegomery?“

Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Kenne ich Sie, Miss?“

„Nein, Mylord. Wenn ich mich kurz vorstellen darf: Ich bin Miss Vivianna Greentree, und ich bin hier, um mit Ihnen Ihr Gewissen zurechtzurücken.“

Fragend hob er die Augenbrauen.

Konnte er sich etwa nicht an ihren Namen erinnern? Nein, das ist unmöglich, dachte Vivianna verblüfft, ich habe meine Karte erst vor einer halben Stunde bei ihm abgegeben.

Montegomery kam über den edlen Aubusson-Teppich auf sie zu. „Mein Gewissen zurechtrücken?“, wiederholte er. „Ich wusste gar nicht, dass ich ein Gewissen habe. Und selbst wenn – es drückt mich nicht sehr.“ Er blickte auf ihre Hand, die noch immer die Reitgerte umklammerte. Dann presste er die Lippen aufeinander. „Ich bedauere, Miss Greentree, aber hier liegt wohl eine Verwechslung vor. An Züchtigungen habe ich kein Interesse, weder durch Sie noch durch eine andere. Ich bin ein Mann, der Vergnügungen ohne Schmerzen liebt.“

Vivianna blickte ihn verwirrt an. Was, um alles in der Welt, hatte das zu bedeuten? Für was hielt er sie? Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie sollte sich nicht von ihm ablenken lassen, sondern ihm in klaren Worten ihr Anliegen vortragen. Jede Minute konnten sie gestört werden. Sie versuchte, sich zu sammeln. „Mylord“, begann sie noch einmal, „ich bin wegen …“

„Sie sind neu hier, nicht?“

„Ich … nein, das heißt, ich bin nicht …“

Ein merkwürdiges Funkeln stand in seinen Augen, als er sie noch einmal prüfend von Kopf bis Fuß musterte – sie, ihre Pelerine und das schlichte Wollkleid mit dem kleinen Spitzenkragen. Dann umrundete er sie einmal. Ein Lächeln begann, um seine Mundwinkel zu spielen. Er zog sie mit Blicken aus, so als ob sie ein genauso durchsichtiges Gewand wie die Damen draußen im anderen Zimmer trüge.

Vivianna errötete. Sie versuchte, den Blickkontakt zu ihm zu halten, und drehte sich während der Musterung notgedrungen mit ihm im Kreis. Ihr Haar schien ihn besonders zu interessieren. Vivianna wusste sehr wohl, dass es während der Warterei auf dem Berkeley Square vom Wind zerzaust worden war.

Dennoch – und das schienVivianna reichlich bizarr – schien ihm ihr Anblick zu gefallen. Er lächelte anerkennend. Vivianna lächelte zurück und war über sich selbst erstaunt.

Sie war verwirrt. Sie hatte Angst. Doch da war noch mehr … Dieser Montegomery brachte etwas in ihr zum Klingen, etwas, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass es da gewesen war. Schlagartig wurde ihr klar, was gerade geschah. Guter Gott, das ist doch nicht möglich!

Noch einmal umrundete er sie. Er bewegte sich auf eine Weise … Krispen, Lady Greentrees Kater, kam Vivianna bei Lord Montegomerys Anblick in den Sinn. Nur dass Lord Montegomery mit Sicherheit nicht so einfach zu bändigen war wie Krispen.

„Hmmh, vielleicht können wir uns ja doch einig werden“, sagte er.

Es war offensichtlich, dass sie aneinander vorbeiredeten. Vivianna war nicht gewillt, das länger hinzunehmen. „Es gibt nur eines, worüber Sie und ich uns einig werden können“, erklärte sie rasch. „Sie werden Ihre Meinung ändern müssen, denn …“

„Sie sind sehr … sehr beharrlich, Miss Vivianna Greentree. Ich sehe schon, Sie werden hier bei Aphrodite ein großer Erfolg werden.“ Er wirkte belustigt.

Vivianna hatte es die Sprache verschlagen.

„Ich bin sehr geschmeichelt, dass Sie zuerst zu mir gekommen sind. Aber Reitgerten sind nicht mein Fall. Trotzdem will ich Sie. Obwohl Sie vom äußeren Erscheinungsbild her fatal an eine dieser aufdringlichen Weltverbesserinnen erinnern.“

Aufdringliche Weltverbesserer! Vivianna war so vor den Kopf geschlagen, dass sie einfach nicht wusste, was sie sagen sollte.

Er flüsterte ihr ins Ohr: „Ich würde Ihren scharfen Tonfall gerne in Seufzen verwandeln.“ Mit den Fingerspitzen strich er über die zarte Haut ihres Nackens.

Ihr Herz begann, unnatürlich schnell zu schlagen. „Mylord …“

„Nennen Sie mich Oliver – das ist mein Name, und den ziehe ich diesem ewigen ‚Mylord‘ vor. Also bitte …“, raunte er.

„Oliver …“

„Schon besser. Ich denke, wir werden beide von dem profitieren, woran ich denke.“ Seine dunklen Augenbrauen hoben sich, als sie ihn verständnislos ansah. „Vergnügen, Miss Greentree! Ich möchte, dass Sie mirVergnügen bereiten. Und ich Ihnen Vergnügen schenken darf. Ich bin gerne bereit, mehr als das übliche Entgelt zu zahlen, wenn Sie sich mir ganz hingeben.“

Entgelt? Seufzer? Vergnügen? Sie sind hier neu …

Nach und nach wurdeVivianna klar, um was es hier ging. Sie starrte in Lord Montegomerys attraktives Gesicht. Sie hatte einen kolossalen Fehler begangen. Und Lord Montegomery war gerade dabei, einen noch viel größeren Fehler zu machen. „Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor …“, würgte sie heraus, aber er dachte wohl, das gehöre zum Spiel. Seit ich das Zimmer betreten habe, glaubt er, dass ich nur schauspielere.

„Dieser Ernst, der aus Ihren Augen spricht, Miss Greentree … Wunderbar. Es ist sehr unterhaltsam, Sie zu verführen.“

„Verführen?“, wiederholte sie fassungslos und sah ihn mit großen Augen an. Ihr wurden die Knie weich. Jetzt erst verstand sie, was der Droschken-Fahrer ihr hatte sagen wollen, was sie nicht verstanden hatte: Sie hatte sich nicht in einen Club hineingeschmuggelt, sondern in ein Bordell für feine Herren!

„Gestatten Sie?“

Geschickt griff er nach der Schließe, und die Pelerine glitt von Viviannas Schultern und fiel zu Boden. Vivianna blieb stockstarr stehen. Er lächelte. Er war fast einen Kopf größer als sie, stellte sie fest. Normalerweise blickte sie zu den Männern in ihrer Bekanntschaft hinab.

„Nun, es hat Ihnen wohl die Sprache verschlagen?“, neckte er sie. Er hob die Hand und streichelte sanft über die weiche Haut ihrer Wange. So flüchtig, so zart die Berührung war, Vivianna fühlte, wie das Blut in ihren Adern pulsierte.

„Keineswegs“, erklärte sie mit merkwürdig atemloser Stimme. „Ich weiß genau, was ich sagen will.“

„Sagen Sie mir dasselbe wie Ihre Augen? Die verraten mir nämlich einiges. Wussten Sie das? Ihre Pupillen haben sich geweitet. Und Ihre Wangen haben sich gerötet. Hier … und da …“ Wieder berührte er sie.

Sie keuchte entsetzt auf.

„Ihre Lippen sind weich und halb geöffnet. Als ob sie geküsst werden wollen …“

„Nein, sind sie nicht. Ich werde nicht …“

„Doch, sind sie. Weich und offen.“

Vivianna spürte ein Prickeln in den Lippen. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Lord Montegomery stand jetzt so nahe vor ihr, dass sein warmer Atem ihre Wangen streifte, als er sprach. Er blickte ihr tief in die Augen, als ob für ihn nichts mehr existierte, außer ihr.

Und auch Vivianna vergaß für einen Moment, wer sie war und wo sie war – als stünde sie zusammen mit ihm auf einer kleinen, hell erleuchteten Bühne, umgeben von der Leere eines dunklen Theaters.

Wie merkwürdig, ich zittere. Alles an mir fühlt sich lebendig an. Wie hat er das gemacht?

Ungekannte Empfindungen überschwemmtenVivianna geradezu. Das Begehren, das in Lord Montegomerys attraktiven Zügen stand, schmeichelte ihr. Sie hatte sich noch nie zuvor so gefühlt. Noch nie zuvor hatte ein Mann sie so angesehen – so lüstern. Wie sollte sie sich da bewegen, denken, atmen? Vivianna vergaß, warum sie hergekommen war, vergaß alles um sich herum, nahm nur noch Montegomery wahr.

O Gott! Er drückt mich an sich!

Das tat er. Durch ihr Kleid hindurch spürte sie seine Stärke. Er war so anders als sie. Groß, muskulös, kein bisschen weich, wie er da seinen Arm um ihre Taille schlang. Ihre Brüste drückten hart gegen seinen Oberkörper. Eigentlich hätte sie Schmerz empfinden müssen, doch es war eher angenehm, sich so schwach und hilflos zu fühlen. So angenehm, dass sie gern noch fester, noch enger von ihm gehalten werden wollte.

Stattdessen lockerte er seinen Griff und beugte sich vor. Vivianna rang nach Luft, als er Küsse auf ihre Schläfe und auf ihre Wangen verteilte. „Ich versichere Ihnen, Miss Greentree“, flüsterte er, „dass ich ein Mann bin, der weiß, wie man eine Frau glücklich macht.“

„Ich bin mir sicher, dass Sie viel Gelegenheit hatten zu üben!“ Ihre Stimme klang schrill.

Montegomery lächelte und strich mit seinen Lippen über ihren Mund, erst sanft, dann drängender. Er fuhr mit der Zungenspitze die Konturen ihrer Lippen nach, wie um sie sich einzuprägen. In Viviannas Kopf drehte sich alles. Und dann, und das war das Schlimmste, begann er sanft, an ihrer Unterlippe zu knabbern.

Vivianna schloss für einen Moment die Augen. In ihrem Unterleib spürte sie ein merkwürdiges Ziehen, und ihre Brüste schmerzten. Unwillkürlich stöhnte sie auf. Sie konnte es nicht verhindern, und sie wollte es auch nicht verhindern. Wie einfach, wie überaus einfach wäre es, jetzt alles andere zu vergessen … Doch das Vergnügen, das Montegomery ihr verhieß, war gefährlich. Er war gefährlich. Sie hob die Lider.

Vergnügt sah er sie an. Seine blauen Augen funkelten. Verspürte er auch dieses Sehnen, diese merkwürdige Spannung? Während Vivianna noch zu ergründen versuchte, wie er sich wohl fühlte, lächelte er sie spöttisch an – so arrogant, dass sie wusste, dass er schon viele Frauen erobert hatte, dass sie für ihn nur eine weitere Eroberung war.

Das ernüchterte sie für einen Moment.

Sie hob die Hände. Der Stoff seiner grellblauen Weste war glatt und warm. Einen Augenblick lang spürte sie seine Brustmuskeln unter ihren Fingerspitzen. Sie hielt inne. Dann kratzte einer der goldenen Knöpfe an ihrem Daumen und brachte sie zur Besinnung. Sie versuchte, Lord Montegomery von sich wegzuschieben.

„Kommen Sie, Miss Greentree“, raunte er, „legen wir uns lieber auf die Chaiselongue. Ich möchte Sie von Kopf bis Fuß küssen.“

Vivianna fühlte sich erhitzt und atemlos und kämpfte mühsam gegen diese Gefühle an. Er versuchte, sie enger an sich zu ziehen, doch Vivianna stieß ihn von sich. Mit aller Kraft. Sie taumelte nach hinten und fiel dabei halb über ein Beistelltischchen aus Mahagoni. Die Büste aus Marmor, die darauf stand, geriet bedenklich ins Schwanken.

Die Büste erinnerte Vivianna an eine Zeichnung in einem der Romane, die Marietta in ihr Zimmer geschmuggelt hatte. Die Frau rang die Hände – ob aus Angst um ihr Leben oder um ihre Tugend, darüber hatten sich die Schwestern nicht einigen können –, und ein Mann hatte lüstern auf sie hinabgesehen. Marietta liebte solche Erzählungen. Vivianna hatte sie deswegen stets für sehr töricht gehalten. Schurken triumphierten nicht so über wehrlose Frauen, zumindest nicht, sofern Vivianna in der Nähe war.

Doch jetzt ähnelte ihr ganz reales Leben einem dieser gekünstelten Melodramen.

„Nein, das werden Sie nicht tun!“ Sie klang hysterisch und gar nicht wie sie selbst. Aber die Worte schienen der Situation angemessen. „Niemals!“

Er lachte aus vollem Herzen. Dann nahm er sich zusammen und warf ihr unter seinen dunklen Wimpern hervor einen Blick zu, der so lüstern war, wie er es nur bewerkstelligen konnte. „Aber ich werde dich haben, mein süßes Unschuldslamm“, schwor er dramatisch, dann grinste er und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Gehört das dazu? Ich muss sagen, das macht sehr viel Spaß. Ich kann es gar nicht erwarten, über Sie herzufallen. Oder werden Sie über mich herfallen, Miss Vivianna Greentree? Ich verspreche Ihnen, dass ich mich nicht allzu sehr wehren werde.“

Dieser Blick, den er ihr zuwarf … die Reaktion ihres eigenen Körpers …Vivianna wusste, dass sie alledem endlich Einhalt gebieten musste.

„Mylord“, erklärte sie mit schwacher Stimme und streckte abwehrend die Hand aus, obwohl er sich ihr nicht weiter näherte. „Hier liegt eine Verwechslung vor. Ich bin keine der Frauen dieses … dieses Etablissements. Ich erkenne allmählich, dass es nicht das ist, wofür ich es gehalten habe, sondern ein …“ Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. „Ich habe bei Ihnen am Berkeley Square vorgesprochen, aber Ihr Butler hat mir den Eintritt verwehrt. Ich bin den ganzen weiten Weg aus Yorkshire gekommen, um Sie zu bitten … nein, Sie zu drängen, Ihre Absicht, das Heim für arme Waisenkinder abzureißen, noch einmal zu überdenken.“

Das Funkeln verschwand aus seinen Augen. Es wirkte, als ob ein Gewitter zu Ende ging, dachte Vivianna. Merkwürdig war allerdings, dass er überhaupt nicht überrascht wirkte.

„Das Heim für arme Waisenkinder … so, so. Wie enttäuschend.“

Sie richtete sich auf. Auch wenn ihr bewusst war, in welch missliche Lage sie sich gebracht hatte, wollte sich Vivianna nicht von ihm einschüchtern lassen.

„Mein Name ist Vivianna Greentree – Miss Vivianna Greentree. Ich bin eine der Gründerinnen des Heims für arme Waisenkinder. Es wird von Susan und Greta Beatty geleitet. Sie haben mich von Ihren Abrissplänen in Kenntnis gesetzt. Ich bin nach London gekommen, um mich ihren Bitten anzuschließen.“

Er starrte sie mit ausdrucksloser Miene an. Sie zweifelte nicht, dass er sehr wohl verstanden hatte. Lord Montegomery war kein Narr – abgesehen von seinen albernen Westenknöpfen. Doch sie konnte nicht von seiner Miene ablesen, was hinter seiner attraktiven Stirn vor sich ging.

„Miss Vivianna Greentree …“

„Ja, Mylord.“

Alle Wärme, alles Verlangen war aus Montegomerys Miene gewichen. Er wirkte jetzt recht kühl, vielleicht sogar ein wenig verärgert, weil sie ihm den Abend verdorben hatte. „Sie sind mir vom Berkeley Square hierher gefolgt, vermute ich, Miss Greentree? Wie haben Sie sich Zutritt in dieses Haus verschafft? Ich zweifle sehr stark daran, dass Dobson Sie durch die Vordertür eingelassen hat.“

Sie errötete. „Ich habe das Haus durch die Hintertür betreten dürfen“, antwortete sie. Sie würde nicht zugeben, dass sie sich falsch verhalten hatte. Das Ziel heiligt die Mittel, sagte sie sich immer.

„Aha. Sie haben sich wie ein Dieb durch die Hintertür hereingeschlichen, und jetzt sind wir beide im selben Zimmer eingeschlossen. Und was, um Himmels willen, hatten Sie mit der Reitgerte vor? Wollten Sie mich mit Gewalt zum Einlenken zwingen?“

Vivianna fiel es immer schwerer, seinem Blick standzuhalten. „Die Reitgerte? Ich habe sie zu meinem eigenen Schutz dabei. Ich bin zum ersten Mal in London, und ich wusste nicht, auf was für Menschen ich hier treffen würde.“

„Nun, das erklärt natürlich alles“, gab er in trockenem Tonfall zurück.

„Ich dachte, dies sei ein Club, Mylord. Für Gentlemen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass dieses Haus einen schlechten Ruf hat“, versuchte sie zu erklären und errötete noch stärker.

„Meiner Meinung nach hat dieses Haus einen ausgezeichneten Ruf. Gentlemen wie ich frequentieren es, um sich von ausgesucht hübschen Frauen wie Ihnen unterhalten zu lassen. Nun vielleicht nicht unbedingt von Damen wie Ihnen, Miss Greentree.“ Um seine Mundwinkel zuckte ein Lächeln, doch sein Blick blieb weiter kühl. „Ich verführe in der Regel keine Reformerinnen. Wenn man ihre Münder nicht permanent beschäftigt hält, dann langweilen sie einen nur mit ihren Moralpredigten.“

Vivianna war nun hochrot. Ihre Stimme schwankte. „Mein Glück, Mylord, dass ich nicht nach Ihrem Geschmack bin!“

„Oh, das würde ich so nicht sagen“, murmelte er und warf ihr einen weiteren prüfenden Blick zu.

„Sie sind unmöglich“, hub Vivianna an. Ihre Finger zitterten. Sie schloss sie fester um ihre Reitgerte. Vielleicht würde sie sie doch noch benötigen.

Offenbar konnte er Gedanken lesen, denn er lächelte. Dann wurde er wieder ernst und meinte mit ungerührter Miene: „Handeln Sie immer so unüberlegt, Miss Greentree? Ich zweifle nicht daran, dass Sie dort, wo Sie herkommen, jeder kennt und Ihnen bei solchen Ausflügen nichts passieren kann. Aber Sie sind jetzt in London. Hier können Sie nicht einfach tun und lassen, was Sie wollen. Und in einigen der gefährlicheren Stadtviertel wird Ihnen Ihre Reitgerte nicht viel nutzen. Sie haben mich doch verstanden?“

Vivianna senkte den Blick nicht, schwankte zwischen Zorn und Verwunderung. Wie konnte ein so abgefeimter Mensch wie er es wagen, ihr Predigten zu halten? „Ich habe sehr wohl verstanden, Mylord“, sagte sie und presste die Lippen zusammen.

Er blickte sie einen Augenblick wortlos an, dann schüttelte er den Kopf. „Aber Sie würden, ohne zu zögern, wieder genauso handeln, nicht wahr?“ Er verdrehte die Augen. „Warum glauben immer alle Weltverbesserer unbeirrbar, dass sie keinen Fehler machen können?“

„Ich ziehe es vor, als engagiert, nicht als Weltverbesserer bezeichnet zu werden“, meinte Vivianna spitz.

„Ich warne Sie, Miss Greentree: Ich mag es ganz und gar nicht, wenn sich jemand in meine Angelegenheiten einmischt. Weder Sie noch irgendjemand anders hat ein Recht dazu.“

Vivianna sah ihn an und runzelte die Stirn. Einmischung! Wenn er dachte, sie würde wegen seiner groben Worte folgsam nachYorkshire zurückreisen, dann war er noch arroganter und törichter und … dümmer, als er aussah. Vivianna war es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. Und wenn sie sich für etwas so einsetzte wie für das Heim …

„Denken Sie nicht mal daran, Miss Greentree!“

Er drohte ihr mit dem Zeigefinger und machte einen Schritt auf sie zu. Mit einem Mal war er ihr wieder näher, als sie es ertragen konnte. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht einen Schritt rückwärts zu machen.

„An was soll ich nicht denken?“

„Daran, all die schönen Pläne, die Sie geschmiedet haben, in die Tat umzusetzen. Selbst wenn ich plötzlich an hübschen, halsstarrigen Frauen wie Ihnen Gefallen fände – Sie bewegen sich auf gefährlichem Terrain. Befolgen Sie meinen gut gemeinten Rat, Miss Greentree, und fahren Sie zurück nach Hause. Solange Ihnen das noch möglich ist.“

Vivianna sah ihn überrascht an. Er fand sie hübsch? Halsstarrig? Sie schluckte. Lass dich nicht ablenken! „Bitte, reißen Sie das Waisenhaus nicht ab!“, flehte sie mit bebender Stimme. „Glauben Sie mir: Ich würde alles tun, wenn ich Sie dadurch davon abbringen könnte.“

Sie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Wange spüren, so nah stand er auf einmal wieder vor ihr. Er starrte auf ihre Lippen und lächelte. Er sagte nichts, und das war auch nicht nötig. Was sie gesagt hatte, hallte ihr selbst in den Ohren wider. Ich würde alles tun, wenn ich Sie dadurch davon abbringen könnte.

„Mylord …“

„Oliver. Nennen Sie mich Oliver.“

„Oliver …“, wiederholte sie gehorsam und stockte. Sie hatte vergessen, was sie sagen wollte.

Er senkte den Kopf und lehnte seine Stirn an ihre. Dann schloss er die Augen. Er hatte dunkle, dichte Wimpern, und seine Haut war warm. Er roch nach Sandelholz, nach Wäschestärke, nach Brandy, nach Mann. Er war ihr so nah. Sie brauchte sich nur ein wenig vorzulehnen, und sie könnte ihn küssen, wenn sie wollte.

Und sie wollte. O ja, sie wollte …

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