Ein Kuss für die Ewigkeit

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Herzklopfen und sinnliches Prickeln: Seit der faszinierende Finn sie aus den Händen eines gefährlichen Schurken befreit hat, spürt Lady Elizabeth d’Averette ungeahnt süße Gefühle. War ihr Schwur, sich niemals zu verlieben, womöglich zu voreilig? Aber schnell muss sie erkennen: Finn und ihr ist keine gemeinsame Zukunft beschert, denn als Sohn einer Hure ist er ein Ausgestoßener. Nur für kurze Zeit dürfen sie sich als Eheleute ausgeben, um auf Castle de Werre eine Verschwörung gegen den König aufzudecken. Doch als Finn sie im Burghof zu einem leidenschaftlichen Kuss in seine Arme zieht, wünscht Lizette sich, dass dieser Moment ewig währt …


  • Erscheinungstag 09.02.2010
  • Bandnummer 220
  • ISBN / Artikelnummer 9783862951482
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Margaret Moore ...

... hat bereits zahlreiche Auszeichnungen für ihre spannenden romantischen Historicals erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in 14 Ländern erscheinen. Sie lebt mit ihrem Mann, mit dem sie seit über 20 Jahren verheiratet ist, ihren beiden Kindern und zwei Katzen in Toronto, Kanada.

1. KAPITEL

In den Midlands, 1204

„Ich glaube, ich wäre verrückt geworden, wenn ich noch einen Augenblick länger in diesem Wagen hätte sitzen müssen“, erklärte Lady Elizabeth d’Averette, während sie ihre Röcke anhob, um mit raschen Schritten den Weg zum mit Moos überwachsenen Flussufer zurückzulegen.

„Meint Ihr nicht, wir sollten besser bei den Männern bleiben?“, fragte ihre Dienerin Keldra und schaute besorgt zu der Eskorte aus Soldaten in Kettenhemden. Die Männer waren ganz in der Nähe von ihren Pferden abgestiegen, und so wie es ihnen zu eigen war, scherzten und fluchten sie untereinander, während sie ihre Tiere zum Wasser führten oder vom saftigen Gras fressen ließen.

Einige von ihnen holten Brotstücke aus ihren Satteltaschen oder tranken einen Schluck Ale. Lediglich der Anführer der Gruppe, Iain Mac Kendren, tat nichts dergleichen, sondern stand einer Statue gleich da. Die Tatsache, dass er den Kopf mal hierhin, mal dorthin drehte, war der einzige Hinweis darauf, dass er lebte und wachsam seine Umgebung beobachtete.

„Gestern Abend hörte ich den Gastwirt von einem Dieb erzählen, der hier in der Gegend Reisenden auflauert“, fuhr Keldra verängstigt fort. „Ein riesiger Kerl, brutal und Furcht einflößend!“

Lizette, wie Elizabeth von ihren Schwestern in Averette genannt wurde, reagierte mit einem mitfühlenden Lächeln. Keldra war erst fünfzehn und nicht ans Reisen gewöhnt.

Kein Wunder, dass jede Geschichte über einen Dieb ihr Angst einjagte, ganz gleich, wie unsinnig oder übertrieben die auch sein mochte. „Ein Schankmädchen beschrieb ihn als einen sehr gut aussehenden Dieb“, erwiderte sie. „Sie sagte auch, dass er eine Frau nicht ausraubt, wenn die ihm einen Kuss gibt. Für mich klingt das nach einer Begebenheit aus dem Lied eines Minnesängers. Doch dieser Dieb kann noch so fürchterlich sein, wir haben fünfzig Mann, die uns bewachen, Iain Mac Kendren nicht zu vergessen. Ich würde also sagen, wir sind hier wohlbehütet.“

„Das will ich hoffen“, flüsterte Keldra, als sorgte sie sich, der Dieb könnte sie belauschen.

Froh darüber, nicht länger in dem beengenden, stickigen Wagen sitzen zu müssen, nahm Lizette ihr silbernes Diadem und den seidenen Schleier ab, dann kauerte sie sich am Flussufer hin. „Solange er mir einen Kuss raubt, aber weder meine Kleider noch meinen Schmuck, könnte mir das Ganze vielleicht sogar gefallen.“

„Oh, Mylady, das würde es ganz sicher nicht!“, rief Keldra entrüstet aus, was nur deutlich machte, wie wenig sie in Wahrheit über ihre Herrin wusste.

Lizette schöpfte mit den Händen ein wenig kaltes Wasser aus dem Fluss und trank einen Schluck davon, ehe sie antwortete. „Wärst du nicht bereit, einen gut aussehenden Schurken zu küssen?“

„Nicht, wenn er ein Gesetzloser ist!“

„Also ich würde ja eher einen gut aussehenden Gesetzlosen küssen als irgendeinen Höfling, der vielleicht noch glaubt, ich wollte ihn heiraten“, betonte Lizette, während sie sich aufrichtete.

Grundsätzlich genoss sie die Gesellschaft von Männern, und sie mochte das lockere Hin und Her beim Schäkern. Sie beneidete sie um deren zwanglose Kameradschaften, aber vor allem beneidete sie die Männer um ihre Freiheit.

Die Ehe war dagegen ein ganz anderes Thema.

Für die meisten Frauen bedeutete diese Bindung eine Form von Sicherheit, doch nachdem sie die Ehe ihrer Eltern miterlebt hatte, teilte Lizette diese Einstellung nicht.

„Ich besitze keinen Schmuck, Mylady“, stellte Keldra klar und bückte sich ebenfalls, um aus dem Fluss zu trinken. „Er könnte mich dazu zwingen, dass ich ihn küsse!“

„Gegen den eigenen Willen geküsst zu werden, ist allerdings tatsächlich unangenehm“, musste Lizette aus eigener Erfahrung zugeben. Mehr als einmal waren übereifrige Heiratskandidaten auf der Suche nach einer wohlhabenden Braut nach Averette gekommen und hatten versucht, die jüngste und mutmaßlich unschuldigste Tochter des Lords zu verführen. „Natürlich möchte ich eigentlich keinem Dieb begegnen“,fügte sie an und lauschte dem Gesang der Vögel, als gäbe es für sie auf der Welt keinen Grund zur Sorge. „Das wäre zweifellos beängstigend.“

So wie der Zwischenfall, als ein betrunkener Adliger sie in der Kapelle in Averette in eine Ecke drängte und sie erst in Ruhe ließ, nachdem sie ihm endlich versprochen hatte, sich später an einem abgeschiedeneren Ort mit ihm zu treffen. An ihrer Stelle war aber ihre ältere Schwester Adelaide zu dieser Verabredung gegangen. Was sich dort abgespielt hatte, wusste Lizette bis heute nicht so genau. Auf jeden Fall war Lord Smurton zusammen mit seinem Gefolge am nächsten Tag bei Sonnenaufgang aufgebrochen, ohne sich auch nur von seinem Gastgeber zu verabschieden.

„Oh, Mylady!“

Keldras plötzlicher Aufschrei ließ Lizette aufblicken, und dann sah sie, wie ihre Dienerin auf die Flussmitte zeigte – wo soeben Lizettes neuer Schleier davontrieb. Fluchend raffte sie ihre Röcke zusammen und eilte am rutschigen Uferstreifen entlang. Sie wagte nicht, allzu schnell zu laufen, da die Steine zu nass und zu glatt waren, dennoch musste sie ihren Schleier zurückbekommen. Zweifellos würde Iain sagen, dass sie es gar nicht anders verdiente, wenn sie so unaufmerksam war, und dann würde er sie für den Rest der Reise nicht mehr aus den Augen lassen.

Während sie einerseits auf den Schleier achtete und andererseits nach einem Stock oder Zweig Ausschau hielt, mit dem sie ihn an Land ziehen konnte, tauchte plötzlich am gegenüberliegenden Ufer wie aus dem Nichts ein Mann auf.

„Fürchtet Euch nicht, Mylady!“, rief der Fremde ihr zu, als sie erschrocken stehen blieb. Er nahm seinen Gürtel ab und legte ihn mitsamt dem Schwert auf einen Felsblock. „Ich will Euch nichts tun.“

Wenn er sein Schwert ablegte und allein war, wollte er ihr wahrscheinlich wirklich kein Leid zufügen. Bemerkenswerter aber war noch, dass er gebildet und damit nach etwas Besserem klang – zumindest nach einem Ritter, wenn nicht gar nach einem Lord.

Wer immer er sein mochte, er trug nur einen einfachen ledernen Waffenrock ohne ein Hemd darunter, dazu eine schwarze Hose und schlichte Stiefel. Wie er dastand, vor sich den Fluss und hinter sich den Wald, da kam er ihr wie eine Art Waldgott vor. Aber das mochte ihr auch nur wegen seiner schlichten Kleidung und seiner wallenden dunklen Haare so erscheinen.

Er watete durch das tiefe Flussbett, und als er ihren Schleier erreicht hatte, beugte er sich vor und holte ihn so lässig aus dem Wasser, wie es ein anderer tun mochte, der auf einer Wiese ein Gänseblümchen pflückte. Dann richtete er sich auf und hielt das nasse rechteckige Stück Stoff wie ein Sieger seine Beute in die Höhe.

„Gestattet mir, dass ich mich Euch vorstelle“, sagte er und trat näher. Bei jedem seiner Schritte spritzte das Wasser in die Höhe. Seine tiefe, melodische Stimme gab ihr zusätzlich das Gefühl, keinen raubeinigen Schurken vor sich zu haben. „Ich bin Sir Oliver de Leslille aus Irland.“

Sir Oliver – also tatsächlich ein Ritter. Und Irland erklärte, warum er sich ein wenig so anhörte, als würde er nicht bloß reden, sondern singen.

Ihr fiel auch seine hohe Stirn auf, die von beachtlicher Intelligenz zeugte, seine exquisite, gerade Nase und ein Kinn, das so aussah, wie das Kinn eines Mannes aussehen sollte. Ein verlockendes Lächeln umspielte seine vollen Lippen.

Etwas tief in ihrem Inneren regte sich, als hätte ein leichtes Beben den Boden unter ihren Füßen erzittern lassen. Oder als hätte sich etwas in der Luft verändert.

Oder als sei etwas in ihr aus dem Schlaf geweckt worden.

„Ich war mit Freunden auf der Jagd, aber wir wurden unterwegs getrennt“, erklärte Sir Oliver, als er das Ufer erreichte und sich zu ihr stellte. Ihr Schleier war durchnässt, aber ihr entging auch nicht, wie die nasse Wollhose des Mannes knapp seine muskulösen Oberschenkel umspannte.

„Da ich großen Durst hatte“, fügte er hinzu, „machte ich hier Rast, und dann hörte ich auf einmal Euren … Euren wütenden Ausruf. Sehr blumig, muss ich sagen.“

Liebe Muttergottes, er hatte sie fluchen gehört. Normalerweise war sie nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen, aber in diesem Moment war das der Fall. So sehr, dass sie sich fast wünschte, der Fluss würde sie erfassen und mitreißen.

Sie neigte auch nicht zum Erröten, doch jetzt spürte sie, wie die Hitze ihr in die Wangen stieg. Gleichzeitig wusste sie, dass sie irgendetwas erwidern, sich zumindest bei ihm bedanken sollte. Dummerweise wollte ihr kein Ton über die Lippen kommen, was auch nicht ihrer üblichen Art entsprach. Stattdessen merkte sie auf einmal, dass sie wie gebannt die braunen Augen dieses Mannes anstarrte, der für sie durch den eiskalten Fluss gewatet war, als würde er so etwas jeden Tag machen.

„Ihr müsst durchgefroren sein!“

„Mir war schon viele Male kälter als jetzt gerade, Mylady“, wehrte er ab und reichte ihr den triefnassen Schleier. „Wenn man einer so reizenden Dame zu Diensten sein kann, ist das einen leichten Schauer allemal wert.“

„Ich … vielen Dank, Sir“, stammelte sie.

Was war denn nur los mit ihr? Sie hatte sich noch nie so unbeholfen benommen. Bedauerlicherweise war sie nicht in der Lage, einen vernünftigen Satz auszusprechen oder einen klaren Gedanken zu fassen – bis auf den einen Gedanken, der sich darum drehte, dass sie niemals zuvor einem so atemberaubend gut aussehenden Mann begegnet war. „Ich bin Euch sehr dankbar“, brachte sie schließlich heraus, „dass Ihr diesen Schleier für mich gerettet habt. Ich habe viel dafür bezahlt – zu viel, würde meine Schwester jetzt sagen –, und es hätte mich sehr geärgert, ihn zu verlieren. Ein Glück, dass Ihr in der Nähe wart, obwohl Ihr von Eurer irischen Heimat weit entfernt seid.“

Gott stehe ihr bei, jetzt plapperte sie wie ein Wasserfall.

„Ja, Mylady, das bin ich“, bestätigte er mit einem amüsierten Funkeln in seinen Augen. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Ich bin Lizette.“ Du Närrin! „Ich wollte sagen, ich bin Lady Elizabeth. Aus Averette.“

Mit einer Kopfbewegung deutete er über ihre Schulter. „Dann ist das dort wohl Euer Dienstmädchen, richtig? Ich darf aber doch annehmen, dass Ihr nicht allein mit ihr reist, oder?“

„Ja. Nein. Das heißt, ja, das ist mein Dienstmädchen. Und natürlich habe ich eine Eskorte. Sie ist …“ Himmel, wie viele sind es noch gleich? „… fünfzig Mann stark. Die halten sich ganz in der Nähe auf.“

„Ich bin erleichtert, das zu hören. In der Umgebung treiben sich Diebe herum, und Ihr würdet eine sehr verlockende Beute abgeben“, erklärte er und sah sie auf eine Weise an, dass sich ihre Kehle wie ausgedörrt anfühlte und ihr Herz schneller zu schlagen begann. So etwas war ihr noch nie widerfahren.

„Davon habe ich gehört. Von den Dieben, meine ich. Nicht, dass ich eine … ich will nicht eitel klingen … oder andeuten, dass …“ Sie brach ab und verfluchte sich insgeheim, dass sie sich kein bisschen im Griff hatte.

Sir Oliver lachte leise. „Nicht nur hübsch, sondern auch bescheiden. Das ist eine schöne Kombination.“

Gnädige Maria, wenn er sie noch länger so anschaute, wurde sie am Ende noch ohnmächtig, oder sie redete irgendetwas Unüberlegtes daher.

Wäre sie von ihm in der Kapelle in eine Ecke getrieben worden, wer weiß, wozu sie sich dann hätte verleiten lassen? Lizette schüttelte sich fast unmerklich, um diese Bilder aus ihrem Kopf zu verscheuchen.

„Averette … das ist in Kent, richtig?“, fragte er.

„Ja, ganz genau. Wart Ihr schon einmal dort?“

Was für eine törichte Frage! Wenn er je in Averette gewesen wäre, hätte sie sich doch an ihn erinnert!

„Nein, in Kent war ich noch nie. Aber am Hof bin ich Eurer Schwester begegnet.“

Erschrecken und Enttäuschung ergriffen von Lizette Besitz. Wenn er am Hof gewesen und Adelaide begegnet war, dann würde er sie beide ihrem Aussehen nach vergleichen, und wenn Schönheit als Maßstab angelegt wurde, konnte niemand es mit Adelaide aufnehmen. Die Männer, die um Lizettes Hand anhielten, waren zuvor alle erst bei ihrer älteren Schwester gewesen – und von ihr abgewiesen worden.

Sein Lächeln wurde breiter, was vermutlich damit zusammenhing, dass er an Adelaide dachte. „Ich habe sie gefragt, ob sie mit mir davonlaufen würde, doch das wollte sie nicht. Ihr müsst wissen, es gab einen anderen Mann, den sie besser leiden konnte.“

Lizette bekam fast ein wenig Mitleid mit Sir Oliver. Vermutlich hatte er den Stich verspürt, unter dem man unweigerlich litt, wenn man von ihrer Schwester abgewiesen wurde – und dieser Stich konnte sehr verletzen.

„Wie bedauerlich für Euch“, erwiderte sie, als ihr Selbstbewusstsein allmählich zurückkehrte, und lächelte ihn nun ihrerseits an. „Warum fragt Ihr stattdessen nicht mich?“

Es war eine ungeheuerliche Bemerkung, aber sicherlich würde er lachen und etwas Gescheites erwidern, so schlagfertig, wie Höflinge und gut aussehende Adlige üblicherweise waren.

Doch zu ihrem Erstaunen wich der amüsierte Ausdruck von seinem Gesicht, und in einem sanften Tonfall, der ihr wie eine kühne, intime Liebkosung erschien, entgegnete er: „Würdet Ihr Ja sagen, sollte ich Euch die Frage stellen?“

Das musste ein Scherz sein. So etwas konnte er unmöglich ernst meinen.

Aber ihr Herz schlug so heftig, als wollte es ihr aus der Brust springen. Ihre Lungen schienen ihren Dienst quittiert zu haben. Lieber Gott, ihr Leben lang hatte sie sich nach Abenteuern und Aufregung gesehnt, und hier wurde es ihr in Fleisch und Blut präsentiert. Und dazu noch in besonders verführerischem Fleisch.

„Mylady!“

Sie hatte Keldra völlig vergessen. Und Iain auch. Genauso wie alles andere, ausgenommen Sir Oliver de Leslille aus Irland.

Als sie über die Schulter schaute, sah sie Iain Mac Kendren auf sie zumarschieren, das Schwert in der Hand und das von der Sonne gebräunte Gesicht feindselig verzogen. Keldra musste ihn geholt haben, denn sie eilte jetzt hinter ihm her.

Während der Rückreise von Lord Delaports Burg hatte der fünfundvierzig Jahre alte Iain bis auf wenige Ausnahmen Lizettes Klagen ignoriert, dass das Schaukeln des Wagens ihr Übelkeit bereitete. Er hatte ihr auch deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr es ihn ärgerte, losgeschickt worden zu sein, um sie nach Averette zurückzubegleiten. Allerdings konnte seine Verärgerung ganz sicher nicht an ihre eigene heranreichen, wurde sie doch nach Hause beordert, als sei sie ein Kind.

Obwohl Iain sich so aufbrausend betrug, schien das Sir Oliver in keiner Weise zu beunruhigen. Vielmehr warf er ihr sogar wieder einen belustigten Blick zu.

„Und wer ist er?“, fragte er interessiert. „Ich hoffe, es handelt sich nicht um Euren erzürnten Vater oder Ehemann.“

„Nein!“, rief sie, räusperte sich und fuhr dann damenhafter fort. „Nein, er ist der Hauptmann der Garnison von Averette. Er führt meine Eskorte an.“

Sie drehte sich zu Iain um und sprach in einem hoffentlich energisch klingenden Tonfall: „Iain, steckt Euer Schwert weg. Dies ist Sir Oliver de Leslille, und er will uns nichts antun.“

Iain hielt inne, eine Hand in die Hüfte gestützt, während er Sir Oliver abschätzig musterte, der immer noch mit durchnässter Hose dastand, wie Lizette plötzlich bewusst wurde.

Sir Olivers Titel beeindruckte Iain offenbar in keiner Weise, allerdings musste man auch schon in zahlreichen Gefechten sein Leben aufs Spiel setzen, um bei dem Schotten noch Eindruck zu schinden.

„Ich wünsche Euch einen guten Tag, Mylord“, knurrte Iain mit nur einem Hauch von Höflichkeit. „Ihr reist allein, richtig? Ist das nicht ein wenig gefährlich?“

„Wie ich bereits Eurer Herrin erklärte, bin ich bis vor Kurzem mit einigen Freunden auf der Jagd gewesen“, entgegnete Sir Oliver, der sich trotz Iains schroffen, sogar anmaßenden Tonfalls nach wie vor von seiner umgänglichen Seite zeigte. „Ich habe die Gruppe aus den Augen verloren, aber da es allmählich spät wird, sollte ich mich auf die Suche nach ihnen machen, wenn ich nicht im Wald übernachten und mich heute Abend von Nüssen ernähren möchte.“

„Wir werden im Fox and Hound übernachten“, ließ Lizette ihn wissen. „Vielleicht könnt Ihr mir dort morgen früh eine Nachricht zukommen lassen, wie es Euch geht. Ich mache mir Sorgen, Ihr könntet erkranken, weil Ihr meinetwegen durch das kalte Wasser gewatet seid.“

Sir Oliver sah den misstrauisch dreinblickenden Iain an. „Eure Sorge um mich schmeichelt mir, aber ich denke, das wird nicht notwendig sein, Mylady.“

Sie schürzte die Lippen und wünschte, Iain wäre in Averette geblieben.

„Wie er ganz richtig feststellte, Mylady“, warf Iain ein, „wird es allmählich spät, und wir haben hier schon genug Zeit vertrödelt.“

Wenn sie nicht weiter hier am Ufer stehen und mit Iain diskutieren wollte, würde sie jetzt aufbrechen müssen. Außerdem konnte es für Sir Olivers Gesundheit nicht förderlich sein, sich in nasser Hose und durchnässten Stiefeln noch länger der Witterung auszusetzen.

„Lebt wohl, Sir Oliver“, sagte sie und bedauerte stärker als jemals zuvor, sich von einem jungen Mann zu verabschieden. Wie sehr wünschte sie sich, sie wäre Sir Oliver zu einem anderen Zeitpunkt begegnet, zum Beispiel während einer Feierlichkeit in einem Saal, wo sie sich hätten unterhalten können. Ganz sicher wäre er ein sehr unterhaltsamer Gesprächspartner gewesen. Vielleicht hätten sie getanzt … er hätte sie berührt … und dann hätten sie sich in eine unbeobachtete Ecke zurückgezogen, um sich im Verborgenen zu küssen …

Der Adlige verbeugte sich elegant, ehe er sich an Iain wandte. „Ich möchte Euch loben für Eure Sorge um die Dame, Mac Kendren, und Ihr müsst nicht befürchten, dass ich mich im Schutz der Dunkelheit in das Gasthaus begeben könnte. Diese Art von Adliger bin ich nicht.“

Iain reagierte nur mit einem Brummen.

Ein solches Verhalten von Sir Olivers Seite wäre auch höchst unangemessen gewesen, und doch verspürte Lizette große Enttäuschung. Womöglich war er ein Mann, der sie dazu hätte verleiten können, sich von ihm lieben zu lassen. Zudem schien er ihr ehrbarer zu sein als die meisten anderen.

Aber auch wenn sie insgeheim bedauerte, ihn nicht wiederzusehen, war es beleidigend, Sir Oliver zu unterstellen, er könnte versuchen, sich in das Gemach einer Dame zu schleichen, und genau das sollte nicht unausgesprochen bleiben. „Ihr müsst dem Garnisonskommandanten seine mangelnde Höflichkeit verzeihen, Sir Oliver. Er nimmt seine Pflicht sehr ernst.“

Wieder beschwichtigte er sie mit einem Lächeln. „Um Euretwillen bin ich sogar froh darüber, Mylady. Wir leben in gefährlichen Zeiten, und üble Gesellen treiben im Land ihr Unwesen.“ Er tat einen Schritt in Richtung Fluss. „Nun muss ich mich aber verabschieden.“

Ihr wurde klar, dass ihr keine Wahl blieb, also nickte sie, während Iain ihr seinen Arm anbot, um sie zum Wagen zurückzubringen. „Adieu, Sir Oliver“, rief sie ihm zu und legte eine Hand auf das Kettenhemd, das Iains Arm bedeckte.

Als sie noch einen letzten Blick über die Schulter warf, war Sir Oliver de Leslille bereits verschwunden. Wie ein Waldgeist hatte er sich in Luft aufgelöst – oder wie ein Magier, der gerade lange genug verweilt war, um seinen Zauber zu wirken.

Lizette lehnte sich zurück in den Berg aus Kissen, der im hinteren Teil des Wagens aufgetürmt war, während der in Richtung Zuhause holperte. Viel lieber wäre sie geritten, doch dass ihr das nicht erlaubt war, das hatte sie sich selber zuzuschreiben. Vor zwei Wochen hatte sie die Schwere ihrer Erkrankung maßlos übertrieben, als Iain nach der Hochzeit von Lord Delaponts Tochter Marian in typischer Mac Kendren-Manier aufgetaucht war und verkündet hatte, Lizette habe sofort nach Hause zurückzukehren. Und dank ihrer Übertreibung war sie gezwungen gewesen, sich seinen Anweisungen zu beugen, obwohl sie ihm gesagt hatte, dass ihr von den Erschütterungen des Wagens übel wurde.

Im Moment gab es wenigstens etwas, womit sie sich ablenken konnte, da ihre Dienerin ihr gegenüberlag und eingeschlafen war. So war es ihr möglich, die Augen zu schließen und an die wunderbare Begegnung mit Sir Oliver de Leslille zurückzudenken.

Gewiss, einen Schleier aus einem Fluss zu holen, war nicht damit zu vergleichen, eine Jungfrau vor einem Feuer speienden Drachen zu retten, dennoch war es aufregend gewesen – und eine willkommene Abwechslung von einer langweiligen Heimreise.

Sir Oliver wäre ohne Zweifel in der Lage, einen Drachen zu besiegen, wenn es sein musste, oder auch jeden anderen, der sich gegen ihn stellte. Ihr waren viele Ritter zu Gesicht gekommen, die um ihre älteste Schwester warben, doch keiner von ihnen hatte so breite Schultern, so muskulöse Arme und Oberschenkel gehabt wie er.

Vielleicht würde er bald an den Hof zurückkehren, den sie nie zuvor hatte aufsuchen wollen, weil dort der König zu Hause war. Sie missachtete John für die Steuern, die er forderte, um damit die Kriege zu bezahlen, mit denen er seine verlorenen Besitztümer in Frankreich zurückzuerlangen versuchte. Und sie hasste ihn, weil er die Macht besaß, sie zur Heirat zu zwingen, wenn ihm der Sinn danach stand.

Was, wenn Sir Oliver längst verheiratet oder verlobt war? Vielleicht war das der Grund, weshalb er ihr nicht gesagt hatte, bei wem er übernachtete, und weshalb er ihr keine Nachricht über sein Befinden zukommen lassen wollte. Allerdings konnte auch Iains Unhöflichkeit und unverhohlener Argwohn daran schuld sein.

Falls er nicht verheiratet war …

Sie musste an einige der Dinge denken, über die die Mädchen und die Frauen bei der Hochzeit von Marian getuschelt hatten. Die jüngeren sprachen von der Begeisterung, die ein Kuss, eine flüchtige Berührung, der Anblick einer nackten Männerbrust auslösen konnte.

Die älteren Frauen, die nicht gemerkt hatten, dass die neugierige Lizette sie belauschte, sprachen von den intimeren Dingen, die sich zwischen Mann und Frau im Dunkeln abspielten, ob sie nun verheiratet waren oder nicht. Dinge, die Lizette an jene Male erinnerte, wenn sie am Maitag oder an Johanni im Wald unterwegs gewesen war und aus dem Schatten zwischen den Bäumen leises Seufzen und sonderbare unterdrückte Schreie gehört hatte. Sie hatte die Pfade verlassen, um den Lauten auf den Grund zu gehen … und dabei war sie auf Paare gestoßen, die sich leidenschaftlich umarmten und die viel mehr taten als sich lediglich zu küssen …

Wie es wohl wäre, in Sir Olivers Armen zu liegen? Schließlich war sie keine Novizin, die darauf hoffte, Braut Christi zu werden, denn auch wenn sie geschworen hatte, niemals zu heiraten, kam das noch lange keinem Zölibatseid gleich.

Aber es bedeutete auch nicht, dass sie bereit war, sich jedem beliebigen gut aussehenden Mann hinzugeben, der ihr über den Weg lief. Das wäre zu riskant, vor allem wenn sie anschließend ein Kind erwarten sollte. Wer konnte schon sagen, was König John machen würde, wenn er herausfand, welch geringen Wert eine Ehe in ihren Augen hatte!

Trotz der damit verbundenen Gefahren fühlte sie sich diesmal sehr in Versuchung geführt. Außerdem machte der ritterliche Sir Oliver sie neugierig, dieser Mann, der wohl bei einem anderen Adligen oder einem reichen Händler zu Besuch sein musste, der in dieser Gegend ein Anwesen sein eigen nannte. Vielleicht konnte der Kutscher Dicken ihr weiterhelfen, hatte er doch schon früher diesen Teil des Landes bereist.

Sie setzte sich auf und schlug die schwere Plane zur Seite, die den Kutschbock vom Rest des Wagens abtrennte. Dickens massiger Körper nahm fast den ganzen Bock in Beschlag, doch an ihm vorbei konnte sie immer noch Iain sehen, der in gerader Haltung und mit glänzendem Helm an der Spitze seines Trupps ritt, als sei er der König. Dabei las er ein Pergament, das er in der rechten Hand hielt.

Seit er in Averette seinen Dienst verrichtete, hatte sie nicht ein einziges Mal erlebt, dass Iain Mac Kendren einen Brief oder eine Nachricht überbracht worden war. Es überraschte sie, dass er überhaupt lesen konnte.

Vielleicht handelte es sich um eine Nachricht aus Averette – aber wenn er etwas von Gillian, ihrer anderen Schwester, gehört hätte, würde er ihr das doch sicherlich gesagt haben. Es konnte sich auch um eine Mitteilung von Adelaide handeln, jedoch war das noch unwahrscheinlicher. Womöglich war es etwas von privater Natur, allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, was das sein sollte. Soweit sie wusste, hatte Iain keine Familie.

Denkbar war auch, dass es sich um irgendeine Liste handelte – Waffen, Ausrüstung, die Namen der Männer. Ganz sicher konnte es nichts Wichtiges sein, sonst hätte er ihr das mitgeteilt. Sie verwarf ihre Überlegungen und wandte sich dem Kutscher zu. „Dicken?“

Der hatte offenbar gedöst, da er mit einem Schnauben hochfuhr. „Mylady?“

„Wisst Ihr, welche Adligen hier in der Umgebung Anwesen besitzen?“

„Nein … ähm, nein, Mylady, das weiß ich nicht. Iain kennt sich damit vermutlich aus. Soll ich ihn herrufen?“

„Nein, nein, schon gut. Ich werde ihn fragen, wenn wir im Gasthaus angekommen sind“, erwiderte Lizette.

„Mylady?“

Lizette schaute zu ihrer Dienerin, die sich den Schlaf aus den Augen rieb.

„Was glaubt Ihr, wie lange es noch dauern wird, bis wir das Gasthaus erreicht haben werden?“

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete sie seufzend und fragte sich, ob sie Sir Oliver de Leslille je wiedersehen würde. „Nicht mehr lange, hoffe ich.“

Sie wollte eben wieder die Plane loslassen, da bemerkte sie, wie sich ihnen auf dem vor ihnen liegenden Weg ein bewaffneter Trupp näherte.

„Wer ist denn das?“, wunderte sich Dicken und sprach damit aus, was Lizette dachte.

Vielleicht waren das Sir Oliver und der Rest seiner Jagdgesellschaft, überlegte sie freudig, bis sie den Mann an der Spitze der Gruppe erkannte. Das war eindeutig nicht der gut aussehende, breitschultrige Sir Oliver. „Aber das ist ja Lindall!“

Der kleine, stämmige Kerl war Iains Stellvertreter und hätte sich in Averette aufhalten sollen, anstatt ihnen hier entgegenzureiten. War zu Hause irgendetwas vorgefallen?

Keldra rückte zu ihr und spähte ebenfalls durch den schmalen Spalt nach draußen. „Was macht er denn hier?“, fragte sie genauso besorgt wie Lizette.

„Wahrscheinlich wurde er hergeschickt, um uns ebenfalls zu begleiten“, erwiderte Lizette, um die junge Frau zu beruhigen und auch ihre eigenen Ängste zu zerstreuen.

Doch ihre Ängste ließen sich nicht vertreiben, denn sie kannte keinen der Männer, die mit ihm unterwegs waren, und schlimmer noch: Keiner von ihnen sah nach einem Soldaten von Averette aus. In ihrer uneinheitlichen Bekleidung, die zum Teil aus alten Rüstungen und aus Leder bestand, wirkten sie mehr wie ein wild zusammengewürfelter Haufen aus Gesetzlosen und Söldnern.

„Das gefällt mir aber gar nicht“, murmelte Dicken und griff nach dem Dolch, der in seinem Gürtel steckte. „Ihr zieht Euch am besten in den Wagen zurück, bis wir in Erfahrung gebracht haben, was es damit auf sich hat.“

Sofort wich Keldra zurück und kauerte sich zwischen die Kissen.

Lizette verharrte noch auf ihrem Platz, da sie zu neugierig war. Sie beobachtete, wie Iain sein Pferd anhielt und wie er Lindall ansprach, während er wachsam die seltsame Truppe musterte.

Und dann zog Lindall so schnell, dass sie es kaum glauben konnte, sein Schwert und stach Iain nieder.

2. KAPITEL

Der vollkommen überrumpelte Schotte stürzte von seinem Pferd und schlug mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf. Blut strömte aus seiner rechten Schulter, wo sich die Klinge durch das Kettenhemd gebohrt hatte.

Lizette gab einen Entsetzensschrei von sich, richtete sich auf und stieß sich den Kopf an der Decke des Wagens. Fluchend zerrte Dicken an den Zügeln des Geschirrs der Pferde, die einen Satz nach vorn machten, woraufhin Lizette den Halt verlor und nach hinten auf die kreischende Keldra fiel. Ringsum riefen die Männer sich Anweisungen zu, die Pferde wieherten und bäumten sich auf, und schon einen Moment später war zu hören, wie Schwerter auf Schwerter trafen.

Der Wagen ruckelte nach hinten, dann nach vorn, und Dicken hatte seine liebe Mühe, das Gespann unter Kontrolle zu bringen. Lizette klammerte sich am Kutschbock fest, zog sich hoch auf die Knie und versuchte, durch die Lücke in der Plane weiter mitzuverfolgen, was sich da draußen abspielte.

Es kam ihr vor, als seien sie mitten in eine riesige Schlacht geraten, in der zwei Armeen aufeinander losstürmten.

Wo war Iain? Sie konnte ihn nirgends entdecken. Und genauso wenig vermochte sie zu sagen, welche Seite diese Auseinandersetzung gewinnen würde.

Dann sah sie Iain, der am Boden lag und sich nicht bewegte. O Gott, er rührte sich nicht! Iain, der beste Soldat in ganz Averette!

Weitere Männer aus ihrer Eskorte waren zu Boden gegangen, einige davon blutüberströmt. Viele Männer waren in Zweikämpfe verwickelt und setzten sich zu Pferd oder zu Fuß gegen die Angreifer zur Wehr. Reiterlose Pferde galoppierten wie aufgescheucht davon, die Augen vor Entsetzen über den Blutgeruch so weit aufgerissen, dass man das Weiße erkennen konnte.

Lizettes Kopf schmerzte vom Stoß gegen das Wagendach, trotzdem schob sie die schluchzende Keldra zur Seite und griff nach einer kleinen Holztruhe, öffnete den Deckel und holte unter ihrer Unterwäsche den dort verborgenen Dolch hervor.

Plötzlich schrie Dicken auf, der Wagen kippte bedenklich weit nach links wie ein Schiff, das sich auf einer stürmischen See zur Seite neigte. Dann kam er wieder ins Gleichgewicht und landete hart mit den Rädern auf dem Boden, gleichzeitig rutschte Dicken vom Kutschbock in den Wagen und zog dabei einen Teil der Plane mit sich.

Ein Pfeil steckte in seiner Brust, Blut breitete sich rings um die Wunde aus, während der Kutscher mit leeren Augen das Wagendach anstarrte.

Keldra begann zu jammern, aber Lizette hielt den Dolch fest umschlossen und dachte fieberhaft nach. Sie mussten von hier verschwinden. Wenn alle Männer in den Kampf verstrickt waren, wenn sie um ihr eigenes Leben kämpften, dann sollte es ihr und Keldra möglich sein, die Flucht zu ergreifen.

Von dieser Hoffnung angetrieben, packte sie Keldras Arm und blickte ihr fest in die Augen. „Wir haben eine Chance, aber nur, wenn wir davonrennen!“

Sie nahm die Klinge zwischen die Zähne, damit sie die Hände frei hatte, und sprang über die Wagenkante. Die Landung war schmerzhaft, doch es gelang ihr, sich zu beherrschen, und sie schaute zu Keldra, die immer noch im Wagen saß und die zitternden Hände vors Gesicht geschlagen hatte.

„Keldra, beeil dich!“, ermahnte Lizette sie, als sie das Messer wieder in der Hand hielt. „Wir müssen weglaufen!“

„Ich kann nicht! Ich kann nicht!“

„Doch, das kannst du! Das musst du!“

Ein Mann umrundete den Wagen – Lindall, der wie der Teufel persönlich lächelte und dessen schändliche Absichten seinem vertrauten Gesicht anzusehen waren.

„Scheint ja ganz so, als hätte jemand meiner Dame ein kleines Spielzeug geschenkt“, spottete er, als er Lizettes Dolch bemerkte.

Lizette umklammerte das Heft noch fester und wich vor dem Mann zurück. „Was macht Ihr hier? Ihr solltet zu Hause in Averette sein.“

„Wenn ich dort bliebe, was hätte ich dann davon?“, erwiderte er laut genug, um über den Kampflärm hinweg verstanden zu werden. „Etwas zu essen, einen Schlafplatz, ein wenig Geld, um dann und wann zu kämpfen.“

Er grinste breit und ließ dabei die Überreste seiner Zähne sehen, in seinen Augen stand funkelnder Hass. „Ich bin jetzt ein reicher Mann. Zumindest werde ich das bald sein. Einen angemessenen Lohn hat mir Lord Wimarc versprochen, wenn ich Euch zu ihm bringe.“

Zu ihrer Angst gesellte sich nun auch Verwirrung. „Wer ist Lord Wimarc? Was will er von mir?“

„Das werdet Ihr noch früh genug herausfinden, Mylady“, entgegnete Lindall und wollte nach ihr greifen.

Sie wich ihm aus und wandte sich ab, um wegzulaufen, doch dann fiel ihr Keldra ein, die noch schluchzend im Wagen saß. Keldra, die erst fünfzehn war und Todesängste ausstand.

Prompt wirbelte Lizette auf dem Absatz herum und schlug nach Lindall, doch der hob seinen Schild und wehrte ihren Hieb mühelos ab. Dann bekam er ihr Handgelenk zu fassen und verdrehte es so sehr, dass sie aufschrie und den Dolch losließ, den er mit einem blutverschmierten Stiefel wegtrat.

„Versucht nicht, Euch gegen mich zu wehren, Mylady“, zischte er und zog sie an sich, sodass sein stinkender Atem ihr ins Gesicht schlug. „Eure Leute sind in der Unterzahl, und meine sind brutale Schläger, erfahrene Mörder aus aller Herren Länder. Eure Männer sind dem Untergang geweiht, und Ihr gehört jetzt mir. Zumindest so lange, bis ich Euch Wimarc übergebe. Also bereitet mir lieber keinen Ärger, sonst werdet Ihr das noch bereuen.“

Der Wagen nahm ihr die Sicht auf das Kampfgeschehen, dennoch wollte sie nicht glauben, dass ihr Trupp seinem unterlegen sein sollte. Die Männer waren von Iain Mac Kendren ausgebildet worden, und sie würden auch siegen, wenn sie in der Unterzahl waren.

„Man wird Euch für das hängen, was Ihr getan habt“, fuhr sie ihn an. „Wenn Ihr Iain etwas angetan habt …“

„Ihm angetan?“, wiederholte Lindall und lachte heiser. „Ich habe ihn umgebracht!“

Nein!, schrie sie stumm auf, ihre Beine knickten fast unter ihr weg, als er ihr schmerzendes Handgelenk noch fester packte.

„Ihr seid jetzt in meiner Gewalt, und ich werde mir nun mein Geld abholen.“

Wut stieg in ihr auf, die von ihrer Trauer verstärkt wurde. Sie biss die Zähne zusammen und stellte sich breitbeinig hin. Wenn Lindall sie verschleppen wollte, würde er sie schon hinter sich herschleifen müssen.

Er lachte hämisch, hielt sie mit der einen, sein Schwert mit der anderen Hand fest, und auf einmal trat er ihr brutal gegen das linke Bein. „Ich sagte, Ihr sollt mir keinen Ärger bereiten. Wenn es sein muss, werde ich Euch das Bein brechen.“

Fast wäre sie gestürzt, als er sie zum Wagen zerrte, doch es gelang ihr, das Gleichgewicht zurückzugewinnen. Sie wand sich, sie strampelte und zappelte und versuchte, nach ihm zu schlagen.

„Bleib, wo du bist, Keldra!“, befahl sie der Dienerin, die ängstlich zusammengerollt im Wagen lag und leise wimmerte. „Gleich, was er sagt oder tut, bleib da oben!“

Lindall wirbelte Lizette zu sich herum. „Haltet Euer Mundwerk, dummes Weib! Ihr mit Eurer hübschen kleinen Nase, die Ihr immer so hoch erhoben vor Euch hertragt, während wir anderen arbeiten und kämpfen müssen und von diesem verdammten Schotten angebrüllt werden.“

Als sie sich weiterhin wehrte, zeichnete sich auf Lindalls Gesicht auf einmal ein beängstigender Ausdruck ab, der bei ihr ein Entsetzen anderer Art auslöste. „Wimarc sprach nicht davon, dass ich Euch als Jungfrau abliefern muss. Nein, davon war nicht die Rede, also werde ich erst einmal mit Euch meinen Spaß haben, vielleicht auch mit Eurem Dienstmädchen. Und womöglich teile ich den Spaß ja sogar mit meinen Leuten, bevor ich mein Geld einkassiere.“

Derart in Angst und Schrecken versetzt, wurde Lizettes Gegenwehr nur noch heftiger, gleichzeitig begann Keldra lauter zu jammern.

„Sei gefälligst still!“, herrschte Lindall das arme Mädchen an.

Das war der Moment, in dem Lizette ihre Chance gekommen sah, weil Lindalls Aufmerksamkeit auf Keldra gerichtet war. Sie legte ihre Hände auf seinen Brustpanzer und warf sich mit aller Wucht gegen ihn, sodass er sich an der Ecke des Wagens stieß, die Balance verlor und auf die Knie sank.

„Komm!“, rief sie Keldra zu, und dieses Mal zögerte das Dienstmädchen nicht. Es kletterte aus dem Wagen und rannte los.

Lizette raffte ihre Röcke zusammen, damit sie nicht stolperte, und lief hinter ihr her. Dummerweise war ihr Mieder nicht für eine solch waghalsige Flucht geschnürt, sodass sie nach wenigen Schritten kaum noch Luft kriegte. Dennoch blieb sie nicht stehen, sondern lief weiter und weiter – bis Lindall sie eingeholt und zum Aufgeben gezwungen hatte.

„O nein, Ihr entkommt mir nicht“, brüllte er. „Meint Ihr etwa, ich gestatte Euch zu entwischen, wenn mir Lord Wimarc so viel Geld für Euch bietet?“

Angst und Hilflosigkeit ließen Lizette laut aufschluchzen, als sie feststellen musste, dass Keldra immer weiter davonrannte, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Sie war Keldra offenbar völlig gleichgültig!

„Lass die Dame los und wirf dein Schwert hin, sonst durchbohre ich dich mit meiner Klinge und schicke dich geradewegs in die Hölle.“

Lizettes Atem stockte. Sie kannte diese Stimme. Großer Gott, sie kannte diese Stimme! Sir Oliver war zurückgekehrt, um sie zu retten!

Mit einem Laut, der ein Schluchzen und ein Freudenschrei zugleich war, drehte sie sich um und sah Sir Oliver, wie er seine Schwertspitze gegen Lindalls Rücken drückte, und wie der vormalige zweite Hauptmann von Averette kapitulierend die Arme hob.

„Folgt Eurem Dienstmädchen, Mylady“, forderte Sir Oliver sie auf. „Beeilt Euch, bevor diese Schurken bemerken, dass Ihr ihnen entkommt.“

Sie nickte und raffte erneut ihre Röcke zusammen, zögerte dann aber. „Und Ihr?“

Sir Oliver reagierte mit einem zurückhaltenden Lächeln. „Ich werde mich Euch bald anschließen, Mylady.“

Erfreut und erleichtert, aber alles andere als überzeugt davon, dass sie sich wirklich in Sicherheit befand, befolgte sie seine Anweisung und lief los.

Der Ire, den manche als Sir Oliver de Leslille kannten, wartete ab, bis Lady Elizabeth außer Sichtweite war, dann hieß er den Lumpen, den er mit seinem Schwert auf Abstand hielt, sich in den Wald zu begeben.

Er hatte gar nicht eingreifen wollen, er war Lady Elizabeth nicht einmal gefolgt. Aber als er den Kampflärm hörte, da war er noch ganz in der Nähe gewesen, und dann hatte er den mürrischen Schotten tot auf dem Weg entdeckt. Da wusste er, er konnte nur eines tun: Er musste die Dame und ihr Dienstmädchen finden und für die Sicherheit der beiden sorgen.

Zum Glück war er noch rechtzeitig eingetroffen, allerdings würde er vielleicht nicht der große Held sein, als den er sich gern gesehen hätte. Als sie mit ihrem Kontrahenten rang, da war ihr volles Haar zerzaust, die Kleidung zerknittert und schmutzig, aber Lady Elizabeth war kein schwaches, verängstigtes Opfer gewesen. In ihren Augen hatte er wütende Entschlossenheit ausmachen können, und er war überzeugt, sie hätte bis zum Tod gekämpft – nicht nur für sich selber, sondern auch für ihr Dienstmädchen!

„Beeil dich“, raunzte er den Schuft an, der den Angriff auf das Gefolge der Dame angeführt hatte. Dabei drückte er die Schwertspitze fester gegen das Kettenhemd des Mannes, um seine Aufforderung zu unterstreichen.

Als sie den Schutz der Bäume erreicht hatten, drehte sich der Schurke um und betrachtete ihn abwartend, aber nicht ängstlich. „Ihr solltet mich besser nicht töten. Ich kann Euch Geld beschaffen, viel Geld. Lizette … Lady Elizabeth, die Frau, die Ihr habt fliehen lassen …nun, Lord Wimarc de Werre hat mir eine Belohnung geboten, wenn ich sie zu seiner Burg bringe.“

Diese Männer gehörten zu Wimarc? Das waren weder Gesetzlose noch Diebe, sondern Wimarcs Söldner? Dann hatte er diesen Überfall befohlen? Aber wieso? Er hätte eine Heirat erzwingen können – allerdings hatte Wimarc bereits eine Frau.

Eine Vergewaltigung?

Zugegeben, Lady Elizabeth war reizend und feurig, und es war keineswegs undenkbar, dass Wimarc einer Frau Gewalt antun würde, aber die Entführung eines Mündels des Königs – was sie sein musste, da ihre Schwester Adelaide das ebenfalls war –, das stellte eine ganz andere Art von Verbrechen dar als die Vergewaltigung einer Dienerin, einer Bäuerin oder der Tochter eines Adligen. So etwas würde Wimarc nicht wagen, außer er konnte sich sicher sein, dass er ungeschoren davonkam. Oder aber es war ihm gleichgültig, ob er sich den Zorn des Königs zuzog oder nicht. „Was will er mit ihr machen?“

„Keine Ahnung!“, erwiderte der Schurke, von dessen breitem Gesicht der Schweiß herabtropfte. „Was haben Männer wie wir denn mit Männern wie ihm zu schaffen? Wir haben genug mit uns selber zu tun, und er will dafür bezahlen, dass wir sie ihm bringen.“

Wenn er Lady Elizabeth zu Wimarc brachte, dann würde er in dessen Festung gelangen. Doch das war nicht das Problem. Das bestand nämlich darin, seinen gefangenen Halbbruder zu befreien und die Festung wieder zu verlassen.

Außerdem wollte er keine Frau für einen solchen Zweck benutzen, erst recht keine Verwandte von Adelaide d’Averette.

Aber das würde er diesem Gauner natürlich nicht erzählen. „Wenn sie ihm so wichtig ist, dann wird er vielleicht auch etwas mehr für sie bezahlen. Geteilt durch so viele Männer, bleibt für jeden Einzelnen nicht mehr viel übrig.“

„Wimarc hat die Belohnung ausschließlich mir versprochen. Die anderen sind seine Söldner, ich nicht.“ Der Lump fuhr mit der Zunge über seine Lippen. „Und ich würde nicht versuchen, mit Wimarc zu handeln, außer ich lege es darauf an, in seinem Verlies zu landen. Wisst Ihr, was er mit seinen Gefangenen macht?“

„Ich habe davon gehört.“ Langsamer Hungertod. Anfangs noch ein wenig Nahrung, dann immer weniger, bis es gar nichts mehr gibt.

Bekam Ryder noch etwas zu essen? Oder war seine Zeit bereits abgelaufen?

Lindall machte einen Schritt nach vorn, blieb aber sofort stehen, als der Ire sein Schwert so weit anhob, dass die Klingenspitze auf Lindalls Auge gerichtet war.

„Man muss doch schließlich sehen, wo man bleibt“, redete der Kerl in verzweifeltem Tonfall weiter, während ihm weiterhin der Schweiß über das Gesicht rann. „Kommt schon, ich mache halbe-halbe mit Euch. Und dafür müsst Ihr mir nur helfen, diese Frau zu fangen.“

„Du scheinst mit dieser Frau deine Schwierigkeiten zu haben.“

„Ja, weil sie eine Furie ist. Aber gemeinsam sollten wir keine Probleme haben, sie zu bändigen. Und Wimarc interessiert es nicht, ob er sie als Jungfrau kriegt oder nicht. Jedenfalls hat er kein Wort davon gesagt, dass sie noch Jungfrau sein muss. Also könnt Ihr das zu Eurem Lohn dazurechnen. Eine hübsche Summe und eine schöne Jungfrau – das sollte doch genug sein, um mein Leben zu verschonen.“

Der Ire ließ die Klinge sinken.

„Ich wusste doch, Ihr seid ein kluger Bursche“, rief der Gauner erleichtert. „Kommt, weit kann sie noch nicht sein. Und da wäre ja auch noch ihr Dienstmädchen. Da werden wir heute Abend unseren Spaß haben!“

Er ging an dem Iren vorbei, doch von einem Augenblick zum nächsten setzte der sein Schwert unter Lindalls Arm mit solcher Kraft an, dass die Klinge mühelos durch das Kettenhemd schnitt.

Während Lizettes Retter den vormaligen zweiten Hauptmann von Averette in einer tödlichen Umarmung hielt, riss Lindall vor Entsetzen die Augen auf. Blut tropfte von seinen Lippen, und er bemühte sich vergeblich, ein Wort zu sagen.

„Einer Frau Gewalt anzutun, hat für mich keinen Reiz“, erklärte der Ire und schob seinem Gegenüber das Schwert noch tiefer in den Leib. „Das ist für alle anderen Frauen, die du vergewaltigt hast, und es ist für die Männer, die deinetwegen heute gestorben sind, und es ist insbesondere für die Dame.“

Lizette folgte schweißgebadet einer Wegbiegung und versuchte, tief durchzuatmen, als sie Keldra entdeckte, die sich hinter einem Baumstamm verbarg, aber für jeden gut zu erkennen war.

Die junge Frau stieß einen erleichterten Aufschrei aus und kam zu ihr gerannt. „Oh, Mylady“, schluchzte sie und schlang die Arme um ihre Herrin. „Was sollen wir jetzt nur machen?“

Behutsam löste sich Lizette aus der Umklammerung ihrer Dienerin. „Wir können hier nicht bleiben“, sagte sie. „Wir müssen uns verstecken und auf Sir Oliver warten, der mich dankenswerterweise gerettet hat.“

„Aber wo?“

„An einem sicheren Ort.“

„Wie soll er uns finden, wenn wir uns verstecken?“, rätselte Keldra, während sie hinter Lizette hertrottete.

„Er weiß, in welche Richtung wir gelaufen sind, außerdem werden wir nach ihm Ausschau halten.“

Als sie sich ihren Weg durch das düstere Unterholz bahnten, verfingen sich immer wieder Zweige und Sträucher in Lizettes Mantel und ihren Haaren. Erschöpfung und der Schrecken des Überfalls holten sie allmählich ein. Sie wollte auch ihren Tränen freien Lauf lassen und um Iain trauern, der sein Leben verloren hatte, weil sie nicht so zügig wie er zurück nach Hause wollte.

Sie wischte sich über die Augen. Trauer und Vorwürfe konnten warten. Jetzt galt es, erst einmal ein sicheres Versteck ausfindig zu machen, das nicht zu weit vom Weg entfernt lag, damit sie Sir Oliver sehen konnten.

Schließlich stieß sie auf ein Dickicht rund um die Suhle eines Wildschweins, die aber in jüngster Zeit nicht benutzt worden war, da sonst der Schlamm aufgewühlt gewesen wäre. Außerdem hätte es nach Wildschwein riechen müssen. Hier sollten sie gut aufgehoben sein.

Lizette durchquerte mit Keldra an der Hand die natürliche Eingrenzung aus Büschen, dann kniete sie sich auf den mit Blättern übersäten Boden und spähte durch die dünnen Zweige, wobei sie darauf achtete, dass man sie vom Weg aus nicht bemerkte.

Keldra kauerte neben ihr, die Hände auf ihr tränenverschmiertes Gesicht gelegt, und weinte unablässig weiter.

Während sie scheinbar Stunden damit verbrachte, den Weg im Auge zu behalten, musste Lizette gegen ihre Verzweiflung und Schuldgefühle ankämpfen, denn immer wieder erschien vor ihrem geistigen Auge, wie Iain niedergestochen wurde.

Wäre sie nicht so verärgert darüber gewesen, wie ein kleines Kind nach Hause zurückbeordert zu werden, hätte sie unterwegs nicht so getrödelt. Und hätte sie nicht vorgegeben, immer noch krank zu sein, weshalb sie nur langsam weiterreisen konnten, dann wären sie längst alle wohlbehalten zurück in Averette gewesen.

Vielleicht war Iain ja gar nicht tot, sondern nur verwundet. Lindall hatte womöglich gelogen oder sich einfach geirrt. Vielleicht würden sie bei ihrer Rückkehr einen schwer verletzten, aber lebendigen Iain antreffen.

Doch sie wollte gar nicht an den Ort des Überfalls zurückkehren, jedenfalls jetzt noch nicht. Erst musste Sir Oliver ihr versichern, dass es dort wieder sicher war. Womöglich wusste er ja, was dieser Lord Wimarc von ihr wollte. Sie konnte sich nur vorstellen, dass es dem Mann um ein Lösegeld ging.

Plötzlich hörte sie ein Geräusch und schob ein paar Zweige zur Seite, um den Weg besser überblicken zu können. Erleichterung erfasste sie, als sie Sir Oliver entdeckte, wie er mit dem Schwert in der Hand den Weg entlanglief und den Wald zu beiden Seiten absuchte.

Er war allein. Wo war seine Jagdgesellschaft? Und wo waren ihre eigenen Männer?

Sie schob sich durch das Dickicht, die weinende Keldra war dicht hinter ihr. „Sir Oliver!“

Als er sie sah, blieb er stehen und winkte sie zu sich. „Bleibt in meiner Nähe und verhaltet Euch so ruhig, wie Ihr könnt.“

„Wo ist der Rest Eurer Jagdgesellschaft?“

„Ich werde Euch sofort hinbringen.“

„Was ist mit meinen Männern?“

„Tot. Oder so gut wie tot, Mylady.“

„Das kann nicht sein!“, protestierte sie und merkte, wie die Angst wieder Oberhand bekam. „Iain ist der beste Soldat in England und der beste Hauptmann. Meine Männer stellen die beste Garnison Englands dar. Diese zusammengewürfelte Truppe von Gesetzlosen und Söldnern kann nicht jeden von ihnen geschlagen haben.“

„Diese Truppe war zahlenmäßig dreimal so stark wie Eure Eskorte. Und die Überlebenden dieser Bande werden sich jetzt an Eure Fährte heften. Wir müssen so schnell wie möglich von hier verschwinden.“

Wie es schien, hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Sie konnte bleiben und eine Gefangennahme riskieren, oder aber sie verschwand mit Sir Oliver von hier.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, legte Lizette den Arm um Keldra, um ihr Halt zu geben, dann folgten sie gemeinsam Sir Oliver.

3. KAPITEL

„Danke, dass Ihr uns zu Hilfe geeilt seid“, erklärte Lizette nachdem sie bereits eine Weile unterwegs waren. Der Überfall hatte sich am Morgen abgespielt, und nach dem Stand der Sonne zu urteilen, musste es jetzt nach Mittag sein.

„Das war doch selbstverständlich“, erwiderte er ein wenig brüsk.

Das mochte für ihn gelten, aber wäre er nicht aufgetaucht, um Lindall Einhalt zu gebieten, dann … nein, sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken, was ihr und Keldra alles hätte zustoßen können.

Plötzlich blieb Sir Oliver stehen und hob eine Hand. Fast gleichzeitig ließ sich ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren von einem Baum ganz in der Nähe herab. Auf dem Rücken trug er einen Bogen, an seiner Seite hing ein Köcher mit Pfeilen. So wie Sir Oliver trug er ein Lederwams ohne Hemd darunter, eine Wollhose und Stiefel. Auch sein Haar reichte bis auf die Schultern, die fast so breit waren wie die des irischen Adligen. Er musste zur Jagdgruppe gehören, vermutlich ein Diener, auch wenn Lizette sich darüber wunderte, was er auf einem Baum zu suchen hatte.

„Ah, Garreth, da bist du ja“, sagte Sir Oliver, als der junge Mann ihnen entgegenkam und einen fragenden Blick über die Gruppe schweifen ließ. „Lady Elizabeth, das ist Garreth“, fuhr er fort. „Garreth, dies sind Lady Elizabeth und ihre Dienerin.“

„Keldra“, ergänzte Lizette, als der junge Mann sie misstrauisch musterte.

„Ich wurde vom Rest unserer Jagdgesellschaft getrennt“, wandte sich Sir Oliver wieder an den Jungen. „Ich nehme an, dir erging es genauso, und du hast von da oben Ausschau nach mir oder einem der anderen gehalten. Ich weiß, wohin es die Gruppe verschlagen hat, aber ich hatte das Glück, dieser Dame zu Hilfe zu eilen, als ihr Gefolge angegriffen wurde. Bedauerlicherweise konnte ich nicht mehr für sie tun.“

Garreth nickte nachdenklich und strich über seine Stirnlocke.„Ist mir ein Vergnügen, Mylady“,erwiderte er in einem ganz anderen Akzent als dem von Sir Oliver. Wenn Lizette raten sollte, würde sie sagen, dass er nicht aus Irland, sondern aus London stammte. „Ganz richtig, Mylord, ich hielt da oben Ausschau nach den anderen, aber ich konnte niemanden entdecken. Dieser Wildhüter wird einiges zu erklären haben, und der Hundeführer ebenfalls“, fügte er zu Recht entrüstet an. „Sagt mir, ich soll mich nach Norden wenden, und dann verschwindet er mit den Hunden. Den würde ich gern in die Finger kriegen, um ihm das ein oder andere zu erklären, was …“

„Alles zu seiner Zeit“, unterbrach Sir Oliver ihn. „Im Augenblick müssen wir uns darum kümmern, dass die Dame und ihre Dienerin sicher untergebracht werden. Am besten im Kloster.“

„Im Kloster?“, wiederholte der Junge, war aber nicht annähernd so überrascht wie Lizette.

„Wird Euer Gastgeber uns keine Zuflucht gewähren?“, wunderte sie sich.

„Das Kloster eignet sich besser“, entgegnete Sir Oliver knapp, ohne weitere Ausführungen folgen zu lassen. „Und nun kommt weiter.“

Lizette blieb wie angewurzelt stehen. Vielleicht war es dumm von ihr gewesen, diesem Adligen zu vertrauen. Was wusste sie schon über ihn, ausgenommen der Dinge, die er ihr gesagt hatte? Sie wich einen Schritt zurück. „Wohin bringt Ihr uns?“

„Dorthin, wo Ihr in Sicherheit seid“, antwortete Sir Oliver ungeduldig.

„Nicht zu Wimarc?“

„Wimarc?“, rief Garreth, als sei ihr Gedanke nicht nur albern, sondern völlig abwegig.

„Offenbar hat er eine Belohnung auf Lady Elizabeth ausgesetzt, aber er wird die Dame nicht bekommen“, erklärte Sir Oliver.

Er wird sie nicht bekommen? Das klang so, als sei sie ein Knochen, um den sich zwei Hunde stritten.

Sie griff nach Keldras zitterndem Arm und wich ein paar Schritte nach hinten, um notfalls wieder wegzulaufen, selbst wenn sie dabei an Überanstrengung sterben sollten.

Sir Oliver durchschaute ihre Absicht und legte gereizt die Stirn in Falten. „Ich werde Euch nichts tun, und ich bringe Euch auch nicht zu Wimarc. Ihr habt mein Wort darauf, dass ich weder Euch noch eine andere Frau an ihn ausliefern werde, ob er nun eine Belohnung zahlt oder nicht.“

Diese Beteuerung konnte ihre Befürchtungen nicht zerstreuen. „Ich kenne Euch nicht. Ich bin Euch nie zuvor begegnet, ich habe Euren Namen noch nirgendwo gehört. Wie kann ich mir sicher sein, dass Euer Wort irgendeinen Wert hat?“

„Wenn Ihr nicht von Wimarcs Männern gefasst werden wollt, Mylady, werdet Ihr wohl keine andere Wahl haben, als mir zu vertrauen.“

Garreth nickte, während er an der Sehne seines Bogens zupfte. „Ihr könnt ihm vertrauen, Mylady. Finn würde einer Frau niemals ein Leid zufügen.“

Finn?

„Und er raubt sie auch nicht aus, wenn sie ihm einen Kuss geben.“

Gott stehe ihnen bei! „Ihr seid der Dieb!“, rief Lizette erschrocken, während Keldra leise stöhnte.

Der Dieb, der offenbar Finn hieß, verzog das Gesicht und schien sogar ein wenig zu erröten, als er seinem jungen Gefährten einen zornigen Blick zuwarf. „Wie gesagt, ich tue keiner Frau etwas an, also werde ich auch Euch nichts antun. Und genauso wenig werde ich Euch Wimarc ausliefern, der Frauen gegenüber nicht diese Einstellung hat. Er ist ein böser, gehässiger Mann, und ganz gleich, was er von Euch will, es kann nichts Gutes sein. Einige Meilen von hier entfernt befindet sich ein Kloster. Dorthin werde ich Euch bringen, und dann könnt Ihr Eurer Schwester schreiben und ihr berichten, was geschehen ist.“

„Wieso wisst Ihr über meine Familie Bescheid?“, fragte sie argwöhnisch.

„Er ist am Hof gewesen“, erklärte Garreth, als hätte sie ihn mit ihrer Frage beleidigt. „Er ist sogar dem König begegnet.“

Sie selber hatte diesen Dieb für einen irischen Adligen gehalten, vielleicht war es ihm auch gelungen, jeden am Hof zu täuschen, so wenig wie sie sich das auch vorstellen konnte. Doch das bedeutete nicht, dass sie und Keldra in Sicherheit waren.

Da half es auch nicht, dass in den Augen des Iren Belustigung aufblitzte. „Eure Schwester trägt ein Kreuz aus Gold und Smaragden, das Eurer Mutter gehörte.“

Lieber Himmel, das entsprach der Wahrheit!

„Und weil ich sie kennengelernt habe und sie eine gute Frau ist, werde ich mein Bestes tun, um Euch zu beschützen.“

Aus seinem Gürtel holte er ihren Dolch hervor und hielt ihn ihr mit dem Heft voran hin. „Hier. Wenn ich Euch nicht wohlgesonnen wäre, würde ich Euch sicherlich nicht Eure Waffe zurückgeben, oder?“

Sie nahm den Dolch an sich. „Das hat nicht viel zu bedeuten. Ihr seid stärker als ich, und vermutlich könntet Ihr mir meine Waffe gleich wieder aus der Hand reißen.“

„Ja, dazu wäre ich wohl in der Lage“, pflichtete er ihr bei. „Aber wenn ich Euch Gewalt antun wollte, hätte ich das inzwischen getan, Mylady. Und wenn ich Euch Wimarc überlassen wollte, hätte ich Euch nicht vor seinen Söldnern gerettet. Und wenn Ihr nicht wieder einigen von diesen Leuten in die Hände fallen wollt, dann schlage ich vor, dass wir uns jetzt wieder in Bewegung setzen.“

Er war ein Lügner, ein Dieb, ein Gesetzloser – und trotzdem erwartete er von ihr, dass sie ihm vertraute?

Aber im Moment hatte sie tatsächlich keine andere Wahl, es sei denn, sie wollte mit der völlig aufgelösten Keldra an ihrer Seite und ohne eine Münze in der Tasche zu Fuß nach Averette aufbrechen. Außerdem hatte sie ja noch ihren Dolch, sollte dieser Mann ihr zu nahe kommen.

„Also gut“, willigte sie schließlich ein. „Führt uns zu diesem Kloster. Aber ich bin ein Mündel des Königs, und falls Ihr glaubt, Ihr könntet …“

„Ich versichere Euch, Mylady, Ihr seid bei mir in Sicherheit. Lieber fasse ich eine Natter an als ein Mündel des Königs. Oder als Lady Adelaides Schwester.“

Iain Mac Kendren stöhnte leise. Schmerzen durchströmten seinen Körper. Sein Kopf pochte so brutal, als hätte er sich eine Woche lang ohne Unterlass betrunken. Sein Rücken tat weh, und bei jedem Atemzug ging ein Stich durch seine Brust.

Er lag im Sterben. Hier in einem Graben, in der Dunkelheit, in der Kälte. Er hatte es zugelassen, dass dieser falsche Hund von Lindall ihm eine tödliche Verletzung zufügen konnte.

Wo war Lizette – die fröhliche, eigensinnige, strapaziöse Lizette? Lebte sie noch, oder war sie tot? War es ein schneller Tod gewesen, oder siechte sie so wie er langsam und qualvoll dahin?

Er war noch am Leben, jedenfalls für den Moment, und solange das der Fall war, war er auch noch der Hauptmann der Garnison von Averette, der für Lizettes Sicherheit zu sorgen hatte. Solange er noch einen Atemzug tun konnte, bestand die Chance … die Hoffnung, dass er seine Pflichten erfüllen konnte.

Autor

Margaret Moore

Ihre ersten Schreibversuche als Autorin machte Margaret Moore mit acht Jahren, als der verwegene Errol Flynn sie zu einer Geschichte inspirierte. Wenig später verfiel sie dem kühlen Charme von Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise. Er ließ bei sich keine Emotionen zu – ganz anders als die Helden in ihren Romances!...

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