Gefangen in den Highlands

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Was für ein Albtraum! Lady Amelia wird mitten in der Nacht aus ihrem Bett entführt - vom berüchtigten "Schlächter" der Highlands, der ihrem Verlobten, dem schneidigen Colonel Bennett, blutige Rache geschworen hat. Vom ersten Moment an knistert es heftig zwischen der schönen Engländerin und dem wilden, zornigen Schotten. Doch obwohl Duncan sich mit Gewalt nehmen könnte, was er begehrt, raubt er ihr nicht die Unschuld - nur ein paar heiße Küsse, die sie leidenschaftlich erwidert. Aber kann sie einem Rebellen trauen, der ihren künftigen Mann töten will? Als Amelia erfährt, was Bennett Duncan einst angetan hat, bricht eine Welt für sie zusammen …


  • Erscheinungstag 01.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733761769
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Fort William, Schottisches Hochland

August 1716

Groß und gewaltig, die Zähne gefletscht wie ein wildes Tier, erhob sich der Schlächter nach seiner überraschenden Attacke. Ohne einen Ton von sich zu geben, sank der englische Soldat leblos zu seinen Füßen nieder. Der Schlächter warf sein feuchtes Haar zurück, sodass es ihm nicht ins Gesicht hing, dann kniete er nieder und nahm dem toten Mann die Schlüssel aus der Tasche. Leise ging er weiter, durch die kalten Korridore der Baracken, ohne auf den Gestank nach altem Schweiß und Rum zu achten. Er suchte nach dem Treppenaufgang, der ihn zu seinem Feind bringen würde.

Noch immer spürte er den kalten Hauch des Todes hinter sich und im Herzen eine wilde, bösartige Kraft, die ihn die Stufen emportrieb und dann weiter, bis vor die schwere Eichentür des Offiziersquartiers. Einen Moment hielt der Schlächter inne, um sich über die Lippen zu lecken und zu lauschen, ob wohl noch ein junger eifriger Wachsoldat zum falschen Zeitpunkt auftauchen würde. Aber er hörte nur seinen eigenen schnellen Atem – und den erwartungsvollen Schlag seines Herzens. Endlich war der lange ersehnte Augenblick der Rache gekommen.

Er rückte den Schild zurecht, den er auf seinem Rücken trug, und umklammerte den Griff seiner Streitaxt noch fester. Sein Hemd war schmutzig und verschwitzt nach den Tagen im Sattel und den Nächten, in denen er im Gras geschlafen hatte, wo der schützende Schleier des Hochlandnebels ihn vor den Blicken seiner Feinde verbarg.

Aber dieser Moment war aller Mühen wert gewesen. Nun galt es, den Feind zu vernichten. Und die Erinnerung an das zu überwinden, was an jenem kalten Novembertag im Obstgarten geschehen war. Heute Nacht würde er töten, für seinen Clan, für sein Land und für die Frau, die er geliebt hatte. Es würde keine Gnade geben. Er würde zuschlagen, und er würde es schnell tun.

Mit ruhiger Hand schob er den Schlüssel ins Schloss, dann betrat er den Raum und schloss leise die Tür wieder hinter sich. Er wartete einen Moment, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann trat er lautlos an das Bett, in dem sein Feind schlief.

Lady Amelia Templeton träumte gerade von einem Schmetterling, der über einem Feld voll violett blühender Erika flatterte, als ein Geräusch sie weckte.

Oder vielleicht war es auch gar kein Geräusch, vielleicht war es ein Gefühl. Ein Gefühl des Grauens. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie öffnete die Augen.

Es war der Albtraum. Seit Jahren hatte sie ihn nicht mehr geträumt, nicht, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war. Damals waren die Szenen des Massakers, das sie im Alter von neun Jahren mit ansehen musste, noch fest in ihr Gedächtnis gebrannt gewesen. An jenem verhängnisvollen Tag hatte sie ihre kleine Nase an die Glasscheibe der Kutsche gepresst und den blutigen Kampf zwischen einer Gruppe rebellischer Highlander und einigen englischen Soldaten beobachtet. Letztere waren als Begleitschutz geschickt worden, um Amelia und ihre Mutter nach Schottland zu begleiten. Sie wollten dort ihren Vater besuchen, einen Colonel der englischen Armee.

Amelia hatte gesehen, wie die schmutzigen Schotten den Soldaten die Kehle durchschnitten und ihnen dann mit schweren Steinen, die sie von der Straße aufgesammelt hatten, die Schädel einschlugen. Sie hatte die Schmerzensschreie gehört, das Betteln um Gnade, das mit einem schnellen Stich ins Herz zum Verstummen gebracht wurde. Und dann verklang das Schreien und Weinen, und eine unheimliche, schreckliche Stille breitete sich aus. Gerade als sie gedacht hatte, dass das Grauen nun vorüber war, hatte ein hässlicher, blutverschmierter Wilder die Wagentür aufgerissen und sie angestarrt.

Sie hatte sich zitternd vor Angst an die Knie ihrer Mutter geklammert. Er hatte sie mit glühenden Augen angefunkelt, eine Ewigkeit, wie ihr schien, ehe er die Tür wieder zuschlug und mit seinen Männern in den Wald flüchtete – wie ein Rudel Wölfe, das sich die Bäuche mit rohem Menschenfleisch vollgeschlagen hatte.

Das Entsetzen, das Amelia jetzt empfand, war ebenso groß wie damals, aber diesmal war auch Wut dabei. Sie wollte den Wilden, der die Tür zu ihrer Kutsche aufgerissen hatte, wenigstens in ihrem Albtraum töten. Sie hasste ihn. Sie wollte aufstehen und ihn anschreien, ihn mit ihren bloßen Händen erschlagen. Sie würde ihm schon beweisen, dass sie keine Angst hatte.

Der Boden knarrte, und sie drehte den Kopf auf dem Kissen herum.

Nein, das konnte nicht sein. Sie musste noch immer träumen …

Ein Highlander kam durch die Dunkelheit auf sie zu, wie ein leiser Schatten, der durch den Raum wanderte. Panik erfasste sie, und sie versuchte, in der schwachen Beleuchtung etwas zu erkennen.

Das Geräusch leiser Schritte drang an ihre Ohren, und ganz plötzlich beugte der Highlander sich über sie und hob eine Axt hoch über seinen Kopf.

„Nein!“, schrie sie und streckte den Arm aus, um den Hieb abzuwehren, obwohl sie wusste, dass die schwere Klinge ihre Finger glatt durchtrennen würde. Die Zeit schien stillzustehen. Sie kniff die Augen fest zu.

Doch der tödliche Hieb blieb aus, und Amelia öffnete ihre Augen wieder. Der hochgewachsene Wilde stand noch immer an ihrem Bett, schwer atmend, die Axt schwebte noch immer hoch über seinem Kopf. Sie schimmerte im Mondlicht, das durch das Fenster in den Raum fiel. Sein langes, dunkles Haar war nass von Schmutz oder Schweiß oder dem Flusswasser – sie wusste es nicht genau. Am schrecklichsten aber waren seine Augen, in denen das Höllenfeuer selbst zu lodern schien.

„Ihr seid nicht Bennett“, sagte er mit schwerem schottischen Akzent.

„Nein, das bin ich nicht“, erwiderte sie.

„Wer seid Ihr?“

„Ich bin Amelia Templeton.“

Noch immer hatte er die schreckliche Waffe nicht gesenkt, und noch immer streckte sie ihm ihre zitternden Hände entgegen.

„Ihr seid Engländerin.“

„Das ist richtig. Und wer seid Ihr, und wie könnt Ihr es wagen, mitten in der Nacht mein Schlafzimmer zu betreten?“

Sie war nicht ganz sicher, woher sie den Mut und die Vernunft nahm, ihn so kühn nach seinem Namen und seinen Absichten zu fragen, während ihr doch gleichzeitig das Herz wie rasend in der Brust schlug.

Der Highlander trat einen Schritt zurück und ließ die Axt sinken. Seine Stimme klang tief und furchteinflößend. „Ich bin der Schlächter. Und wenn Ihr schreit, dann wird das das Letzte sein, was Ihr tut.“

Sie blieb stumm, denn sie hatte schon viele Geschichten über diesen brutalen und blutrünstigen Schlächter gehört, der, wo immer er auftauchte, eine Spur von Mord und Verwüstung zurückließ. Es hieß, dass er ein Nachfahre des legendären Gillean of the Battleaxe – Gillean von der Streitaxt – war, der vor langer Zeit eine angreifende Wikingerflotte bekämpft und vernichtet hatte. Der Schlächter tauchte niemals ohne seine schreckliche, tödliche Waffe auf, und er war ein jakobitischer Verräter, durch und durch, bis auf den Grund seiner Seele.

„Warum habt Ihr mich dann nicht getötet?“, fragte sie, bebend vor Furcht und Zorn.

„Weil ich eigentlich gerade jemand anderen umbringen wollte.“ Er ließ seine scharfen Augen, die an die eines wilden Tieres erinnerten, durch den Raum wandern. Er suchte nach einem Hinweis auf den Verbleib des Offiziers, den er heute Nacht töten wollte. „Wessen Gemach ist dies?“

„Hier ist niemand außer mir“, beschied sie ihm knapp. Er durchbohrte sie förmlich mit seinem glühenden Blick, und sie beeilte sich, seine Frage etwas ausführlicher zu beantworten. „Falls Ihr Colonel Richard Bennett sucht, so muss ich Euch leider enttäuschen. Er hält sich derzeit nicht im Fort auf.“

Sie sah die Muskeln in seinen Wangen zucken. „Wo ist er?“

„Ich weiß es nicht genau.“

Er musterte ihr Gesicht im Schein des Mondlichtes. „Seid Ihr seine Hure?“

„Wie bitte?“

„Wenn Ihr es seid, dann wäre es eine gute Idee, Euch jetzt den Kopf abzuschlagen und ihn hier auf dem Tisch in einer Schachtel zurückzulassen, damit er ihn bei seiner Rückkehr bewundern kann.“

Bei der Vorstellung ihres Kopfes auf einem Teller krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Was würde er wohl mit dem Rest von ihr machen? Würde er ihren kopflosen Körper einfach aus dem Fenster werfen?

Sie versuchte, ruhig ein und aus zu atmen. „Ich bin nicht Colonel Bennetts Hure. Ich bin seine Verlobte. Mein Vater war Colonel in der englischen Armee, der fünfte Duke of Winslowe. Wenn Ihr mich also töten wollt, Sir – nur zu. Ich fürchte mich nicht.“

Das war eine glatte Lüge, aber er sollte nicht sehen, dass sie vor ihm Angst hatte. Sie würde nicht weinen, nicht klagen und nicht um Gnade flehen. Ihr Hass gegen diesen Unhold würde ihr dabei helfen, stark zu bleiben, obwohl sie vor Panik fast von Sinnen war. Und vielleicht ergab sie ja auch noch eine Gelegenheit für sie, ihn zurückzustoßen und zu fliehen.

Er lehnte die Axt, die er zuletzt nur noch mit einer starken Hand umklammert hatte, an den Bettrand. Der gefährliche Haken am hinteren Ende der Klinge drückte sich gegen ihren Schenkel. Sie starrte das Schwert an, das der Highlander an der Seite trug, und die Pistole an seinem Gürtel.

„Steht auf“, befahl er und versetzte ihr einen leichten Stoß. „Ich will Euch ansehen.“

Amelia schluckte schwer. Wollte er ihr Gewalt antun, ehe er sie tötete? Mochte Gott ihnen beiden beistehen, wenn er das versuchte.

Er stieß sie noch einmal, etwas heftiger diesmal, und sie schob langsam die Decke zur Seite und schwang die Beine über den Rand der Matratze. Sie umklammerte mit einer Hand den Ausschnitt ihres Nachtgewands und stand dann auf, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von ihm abzuwenden.

„Tretet vom Bett weg“, befahl er.

Sie machte einen Schritt auf ihn zu und sah sein Gesicht nun deutlicher – scharf geschnittene, makellose Züge, die Augen voller Zorn und Wut, wie sie es noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Ihn umgab eine Intensität, die jeden sofort in den Bann zog, und es war ihr, als hätte er sie an der Kehle gepackt und hielte sie mit seinem Blick gefangen. Ein gefährlicher Mann.

Der Schlächter trat zurück, und sie folgte ihm. Sie roch seinen Schweiß, der unerwarteterweise mit dem klaren Duft frischer Luft vermengt war. Er hatte breite Schultern, starke Muskeln, große, kräftige Hände. Es waren die Hände eines Kriegers, rau von Jahren des Kampfes und des Schlachtens.

Sie sah wieder in sein Gesicht, sah seine mörderische Miene und spürte, wie es sie kalt überlief. So tapfer sie in diesem Moment auch sein wollte – so, wie sie es in ihren Träumen immer gewesen war –, wusste sie doch, dass sie für dieses Tier von einem Mann kein Gegner war. Es gab kaum Hoffnung für sie, ihn zu überwältigen, was auch immer sie versuchen würde. Wenn er ihr Gewalt antun oder sie töten wollte, dann konnte er das tun. Mit einer einzigen Bewegung seiner schweren Streitaxt konnte er sie zu Boden werfen, und sie wäre ihm gegenüber völlig machtlos.

„Was Euren Verlobten betrifft“, sagte er mit belegter Stimme, „so habe ich noch etwas mit ihm auszutragen.“

Ihr Herz schlug jetzt noch heftiger. „Und nun wollt Ihr es mit mir austragen?“

„Das habe ich noch nicht entschieden.“

Die nackte Panik drohte ihr den Atem zu rauben. Sie wünschte, sie könnte um Hilfe schreien, aber etwas schien sie zu lähmen – eine seltsame, beinahe hypnotische Macht, die ihr die Sinne verwirrte und alle Kraft aus ihren Muskeln sog.

Er trat langsam zurück und ging um sie herum, hob die Axt und berührte Amelia an der Schulter. Sie erschauerte, als er hinter ihr stehen blieb und einen Moment inne hielt, außerhalb ihrer Sichtweite.

„Es ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal eine Frau hatte“, sagte er, und die Furcht schnürte ihr schier die Luft ab.

Er stellte sich wieder vor sie und berührte erneut mit der Axt ihre Schulter. Als der kalte Stahl ihre brennende Haut berührte, stockte ihr der Atem, und alles in ihr schrie danach, die Flucht zu ergreifen.

„Seid Ihr die Frau, die er liebt?“, fragte der Schlächter.

„Natürlich bin ich das“, erwiderte sie voller Stolz. „Und er ist der Mann, den ich liebe.“

Sie liebte Richard von ganzem Herzen. Ihr Vater liebte ihn auch. Und mochte Gott diesem schmutzigen Jakobiten beistehen, wenn ihr Verlobter hiervon erfuhr.

„Stimmt das?“

Sie funkelte ihn wütend an. „Ja, das stimmt. Auch wenn ich bezweifle, dass Ihr die Bedeutung des Wortes Liebe kennt. Ein solches Gefühl hat in Eurer Welt wohl nichts zu suchen.“

Er beugte sich vor, bis er mit den Lippen ihr Ohr berührte. Sein heißer, feuchter Atem ließ sie erschaudern. „So ist es, Mädchen, ich halte nichts von Zärtlichkeit oder Zuneigung, und Ihr tut gut daran, das nicht zu vergessen. Denn nun ist es beschlossen. Ich werde Euch an seiner Stelle töten.“

Entsetzen packte sie. Er würde es tun. Er würde sie wirklich umbringen.

„Bitte, Sir“, sagte sie und bemühte sich sehr, ihre Stimme nicht allzu feindselig klingen zu lassen. Vielleicht konnte sie ihn ablenken, wenn sie verzweifelt und mitleiderregend um Gnade flehte. Mit etwas Glück war sein Eindringen in das Fort nicht unbemerkt geblieben, und bald würde jemand zu ihrer Rettung kommen. „Ich flehe Euch an.“

„Ihr fleht mich an?“ Er lachte finster. „Ihr wirkt auf mich nicht so, als wäre das Eure Art.“

Er schien die Situation zu genießen. Dies war ein Spiel für ihn. Er hatte kein Mitleid mit ihr. Nicht das geringste Mitgefühl.

„Warum wollt Ihr meinen Verlobten töten?“, fragte sie, immer noch in der Hoffnung, das Unvermeidliche aufschieben zu können. Bitte, lieber Gott, mach, dass irgendjemand an die Tür klopft. Die Köchin, ein Dienstmädchen, die Kavallerie – irgendjemand! „Woher kennt Ihr ihn?“

Er hob die Axt hoch und legte sie sich über die Schulter. Dann ging er erneut um sie herum, wie ein Wolf, der seine Beute umkreist. „Ich habe bei Inverary gegen ihn gekämpft“, sagte er, „und dann noch einmal bei Sheriffmuir.“

Bei Sheriffmuir waren die Jakobiten vernichtend geschlagen worden. Das war das Schlachtfeld, auf dem Richard ihrem Vater das Leben rettete. Danach hatte sie sich in ihn verliebt. Er hatte mit Mut und Tapferkeit gekämpft, der Krone treu ergeben – anders als dieses Ungeheuer hier, das die Regeln des Krieges offenbar nicht verstand. Der Mann schien nur persönliche, dunkle Rachegelüste zu verfolgen.

„Habt Ihr vor, alle englischen Soldaten zu töten, gegen die Ihr an jenem Tag gekämpft habt?“, fragte sie. „Denn das könnte eine Weile dauern. Und es waren auch Schotten dabei, die für die englische Krone gekämpft haben. Campbells, glaube ich. Wollt Ihr die auch alle töten?“

Er stand jetzt wieder vor ihr. „Nein. Heute Abend ist es nur Euer Verlobter, den ich umbringen möchte.“

„Nun, es tut mir leid, Euch enttäuschen zu müssen.“

Sie sah Bilder von Krieg und Tod vor ihrem geistigen Auge. Wie ungerecht das alles war. Ihr Vater war vor einem Monat gestorben, und sie war in Begleitung ihres Onkels hierher in das Fort gekommen, um Richard zu heiraten. Nach Papas Tod hatte sie sich so allein gefühlt, und Richard war ihr Liebster. Ihr Beschützer. Die Schulter, an der sie sich ausweinen konnte. Was würde jetzt passieren? Würde sie hier in dieser Kammer ein furchtbares Ende finden, durch die kalte, schwere Klinge eines Highlanders, so wie in den Albträumen ihrer Kindheit? Oder würde er sie am Leben lassen und weiter nach Richard suchen, um den Mann zu töten, den sie liebte?

„Aber ich bin nicht enttäuscht, Mädchen“, sagte er, umfasste ihr Kinn mit seinen groben Fingern und hob ihr Gesicht hoch, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. „Denn heute bin ich auf etwas viel Schöneres gestoßen als einen sauberen, schnellen Tod für meinen Feind. Auf etwas, das ihn viel länger leiden lassen wird.“

„Dann wollt Ihr mich also wirklich töten?“

Oder vielleicht meinte er noch etwas anderes …

Sie kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit und sah ihn hasserfüllt an. „Ich bin verlobt, Sir, mit dem Mann, den ich liebe. Wenn Ihr mir also Gewalt antun wollt, dann – das verspreche ich Euch – werde ich mir die Seele aus dem Leib schreien, und Ihr könnt mich töten, wenn Ihr wollt, denn ich würde lieber tausend schreckliche Tode sterben, als von Euch missbraucht zu werden.“

Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an, dann stieß er einen leisen Fluch auf Gälisch aus und ließ ihr Kinn unvermittelt los. Er ging zu dem großen Schrank, in dem sie ihre Garderobe hatte verstauen lassen, und inspizierte den Inhalt.

Die teuren Gewänder aus Seide und Spitze warf er achtlos auf den Boden. Dann fand er ein einfaches Kleid aus brauner Wolle. Er zerrte es aus dem Schrank, zusammen mit Wäsche und Korsett, stieg über die anderen Kleider hinweg und warf ihr die Sachen zu.

„Zieht das an, dummes Mädchen. Ihr müsst noch ein oder zwei Dinge lernen, also kommt Ihr mit mir.“ Damit trat er zurück und wartete darauf, dass sie sich vor ihm auszog.

Einen Moment lang überdachte sie ihre Möglichkeiten und kam zu dem Schluss, dass es wohl das Beste wäre, ihm zu gehorchen, selbst wenn es nur dazu diente, etwas Zeit zu gewinnen. Aber als sie sich ausmalte, wie sie das Kleid und das Korsett anlegen würde, vor den Augen dieses Tieres, das sie verschleppen wollte, da brachte sie es einfach nicht fertig. Lieber würde sie sich schlagen lassen.

Amelia straffte die Schultern. Dieser Mann flößte ihr Angst ein – das konnte sie nicht leugnen –, aber ihr Zorn war größer als ihre Furcht. Ehe sie die Konsequenzen ihrer Handlungen überdenken konnte, warf sie die Kleider auf den Boden.

„Nein.“ Ihre Stimme klang entschlossen. „Ich werde das hier nicht anziehen. Und ich werde auch nicht mit Euch mitkommen. Ihr könnt gern versuchen, mich dazu zu zwingen, aber ich sagte schon, dass ich schreien werde, wenn Ihr mich anfasst. Wenn Ihr also nicht sofort mein Schlafgemach verlasst, dann rufe ich um Hilfe. Ich verspreche, ich werde schreien, so laut ich kann, und Ihr werdet ganz schnell tot sein.“

Er starrte sie eine kleine Ewigkeit lang schweigend an, und Panik stieg in ihr auf. Ganz offensichtlich hatte ihre Rebellion ihn aus der Fassung gebracht.

„Zieht Euch an“, befahl er und trat einen Schritt vor. „Jetzt.“

Seine Stimme hatte jetzt einen stählernen Klang. Sie hatte seine Geduld genug strapaziert. Mehr würde er nicht durchgehen lassen.

Ihr Herz schlug wie rasend. In ihrem Kopf drehte sich alles. Lieber Gott im Himmel, bin ich zu weit gegangen? Vielleicht hätte sie ihm gehorchen sollen. Dann gäbe es vielleicht noch eine Chance …

Aber was für eine Chance? Dass er sie mitnahm in die Berge, wo sie ihm zu Willen sein musste? Ein solch entsetzliches Schicksal wagte sie sich kaum vorzustellen. Lieber würde sie sterben, als mit ihm zu gehen und misshandelt zu werden.

Sie holte tief Luft, hob den Kopf, sah ihm tapfer in die Augen und betete um Gnade. Wenn schon nicht von diesem überwältigenden Ungeheuer, dann wenigstens von Gott.

„Nein“, wiederholte sie. „Das werde ich nicht tun.“

Irgendwo draußen heulte ein Wolf, und auf dem Kaminsims tickte eine Uhr. Ihr ganzes Leben zog vor ihrem inneren Auge vorbei. Der Schlächter hob seine Axt und kam drohend auf sie zu.

2. KAPITEL

Der Haken seiner Streitaxt zerschnitt ihr Leinenhemd in zwei Teile, riss es in einem einzigen schrecklichen Ruck vom Hals bis zu den Zehen auf. Nie würde sie dieses Geräusch vergessen, solange sie lebte nicht. Das zerrissene Nachtgewand fiel zu Boden, und die kalte Abendluft streifte ihre nackte Haut. Rasch schlang Amelia sich die Arme um den Leib, um ihre Brüste zu verdecken.

„Ihr hättet tun sollen, was ich verlangt habe.“ Ohne ihren nackten Körper auch nur eines Blickes zu würdigen, hob er das Hemd auf, nahm den Stoff zwischen die Zähne und riss ihn vor ihren Augen in Fetzen.

Dann trat er hinter sie, knebelte sie mit einem Streifen des zerrissenen Stoffs und verknotete ihn hinter ihrem Kopf. Seine warmen Hände ruhten auf ihren Schultern, und er hielt sie fest, als er sanft in ihr Ohr sprach. „Ich werde Euch nichts tun, Mädchen, so lange Ihr das macht, was ich Euch sage. Könnt Ihr das für mich tun?“

Sie klammerte sich an den leisen Unterton von Barmherzigkeit, den sie in seinen Worten zu hören glaubte, und nickte.

Er ging zum Schrank, nahm ein sauberes Hemd heraus und warf es ihr zu. „Jetzt zieht das an, wenn Ihr nicht möchtet, dass ich Euch nackt hier herausschleife.“

Dieses Mal gehorchte sie. Rasch zog sie sich das Hemd über den Kopf, dann zog sie die Hose und den Rock an und legte ihr Korsett an. Ohne ein Wort stellte der Schlächter sich vor sie und schnürte die Bänder. Bei jedem Zug rang sie nach Atem.

Dann nahm er einen weiteren Streifen des zerrissenen Hemdes und fesselte ihr die Handgelenke hinter dem Rücken. „Wo sind Eure Schuhe?“, fragte er und sah sich suchend um.

Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die gegenüberliegende Wand. Dort hatte sie sie hingestellt, bevor sie schlafen ging. Unter das Portrait von König George.

Er griff sich die Schuhe, warf einen kurzen Blick auf das Bild, kam dann zurück und kniete vor ihr nieder. Die Axt stellte er neben ihrem Rocksaum auf den Boden, dann umfasste er ihre nackte Wade und hob ihr Bein hoch, damit ihr Fuß in den Schuh glitt. Die schockierende Berührung war Schuld daran, dass sie das Gleichgewicht verlor, und sie lehnte sich an seine Schulter. Er sah nicht auf, stellte ihren Fuß wieder auf den Boden und umfasste ihr anderes Bein, um ihr den zweiten Schuh anzuziehen. Dann nahm er die Axt und stand auf. An Strümpfe verschwendete er offenbar keinen Gedanken.

Sie sah zu ihm auf und schluckte mühsam wegen des Knebels.

„Ich weiß, dass das sehr straff ist“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Aber ich muss dafür sorgen, dass Ihr still seid.“

Er beugte sich vor, legte einen Arm um ihre Taille, hob sie hoch und legte sie sich über die Schulter. Die plötzliche Bewegung raubte ihr den Atem, und sie murmelte ein stummes Gebet, dass irgendjemand sie auf dem Weg nach draußen sehen würde. Oder dass sie eine Möglichkeit finden würde, die Wachen zu alarmieren.

Mit der Axt in einer Hand öffnete der Schlächter die Tür und trat lautlos in den Gang hinaus, dann trug er sie die Treppe hinunter und einen Gang entlang. Amelias Blick fiel auf einen toten Soldaten, der auf dem Boden lag.

Entsetzt und sprachlos starrte sie den armen Kerl an, während der Schlächter sie durch einen weiteren dunklen Gang schleppte, vorbei an zwei weiteren leblosen Soldaten, und endlich zu einer Tür an der Rückseite der Baracken. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab. Wie konnte dieser Rebell davon wissen? Wer hatte ihm gesagt, wie er Richards Schlafzimmer finden könnte, und wie hatte er überhaupt erfahren, dass Richard hier sein sollte? Der Ruf zu den Waffen war erst in letzter Minute erfolgt, ebenso die plötzliche Abreise ihres Verlobten und die Entscheidung, dass Amelia in seinem Zimmer schlafen sollte, um in Sicherheit zu sein. Was rückblickend wohl doch keine so gute Idee gewesen war.

Ganz plötzlich standen sie draußen im kalten feuchten Nebel. Der Schlächter trug sie über das Gras zur äußeren Mauer. Dort stellte er sie hin, und sie bemerkte einen Haken in der Erde zu ihren Füßen, mit einem Seil daran. Bevor sie sich versah, glitt sie an diesem Seil auf dem Rücken des Schlächters an der anderen Seite der Mauer hinab.

Als ihre Füße wieder den Boden berührten, drehte sie sich um und sah ein herrliches Pferd mit schimmerndem Fell, schwarz wie die Nacht. Es wieherte leise und warf den Kopf zurück. Der Atem aus seinen Nüstern stieg in weißen Wolken vor dem dunklen Himmel auf. Mit einiger Verspätung bemerkte Amelia, dass ihr Entführer ihre Handfesseln gelöst hatte. Er steckte die Axt am Sattel fest und schwang sich auf den Rücken des Tieres.

„Reicht mir Eure Hand“, sagte er und hielt ihr seine hin.

Sie schüttelte heftig den Kopf und biss auf den Knebel, der gegen ihre Zunge drückte.

„Reicht mir Eure Hand, Frau, oder ich steige wieder ab und schlage Euch bewusstlos.“

Vermutlich würde sie das später bereuen, aber sie streckte dennoch die Hand aus. Er ergriff sie und zog Amelia hinter sich in den Sattel. Dann stieß er dem Pferd die Fersen in die Flanken. Der Rappe galoppierte los, und Amelia blieb nichts anderes übrig, als die Arme um den muskulösen Körper ihres Entführers zu schlingen und sich an ihn zu klammern, sonst wäre sie in die kalten, dunklen Fluten des Flusses gestürzt.

Wie sich herausstellte, hatte er tatsächlich einen sehr muskulösen Oberkörper, so hart wie Stein, und Amelia war gleichermaßen beunruhigt und abgelenkt von seiner überwältigenden Kraft und Stärke. Nie zuvor hatte sie sich so an einem Mann festgehalten – und ganz gewiss nicht an einem wilden, ungebändigten Highlander wie diesem –, aber sie hatte solche Angst herunterzufallen, dass sie nicht anders konnte, als sich so fest wie möglich an ihn zu pressen.

Dennoch gelang es ihr irgendwie, auf den Weg zu achten. Sie prägte sich die Landschaft ein, die sie umgab – der kleine Eichenhain, die Steinbrücke, die sie vor einer Meile überquert hatten, und das lange Feld mit fünf Heuballen, die in gleichmäßigem Abstand voneinander standen. Als sie in der Ferne ein kleines Licht sah – eine Laterne in einem Bauernhausfenster vielleicht? –, gelang es ihr, sich von dem Knebel zu befreien. Sie ließ sich in das feuchte Gras fallen und rannte los, in der lächerlichen Hoffnung, dass ihr Entführer absitzen, sich den Fuß brechen und stürzen würde, wobei er sich hoffentlich auch noch den Schädel an einem Felsen einschlagen würde.

Doch so viel Glück hatte sie natürlich nicht. Er holte sie schnell ein, schlang ihr von hinten die Arme um die Taille und warf sie auf den nassen Boden. Dann setzte er sich rittlings auf sie und hielte ihre Arme über ihrem Kopf fest. „Ergebt Euch, Frau!“

„Nein! Lasst mich los!“

Sie trat um sich, schrie und weigerte sich aufzugeben. Sie stieß ihm das Knie in den Rücken, kämpfte wie wild um ihre Freiheit und spuckte ihm schließlich ins Gesicht.

Der Schlächter holte tief Luft und hielt sie mit seinem ganzen Gewicht fest, mit der Kraft seiner Arme, seiner Hüften und seiner Schenkel. Sie spürte ihn überall. Ihre Gedanken überschlugen sich, und sie schrie auf, brennend vor Zorn: „Geht runter von mir, Schuft! Freiwillig werde ich nicht mitgehen!“

Aus dem feuchten Nieseln wurde echter Regen. Sie zitterte vor Kälte, und ihr Haar war völlig durchnässt, aber sie kämpfte weiter verzweifelt gegen ihn an. Amelia blinzelte durch die Regentropfen, die an ihren Wimpern hängen blieben. Kaltes Wasser rann über ihre nackten Schenkel, denn während sie um sich trat, waren ihre Röcke nach oben gerutscht. Sie wehrte sich noch immer heftig, boxte und schlug nach ihm.

Doch es dauerte nicht lange, bis ihre Kräfte nachließen. Vor Anstrengung keuchend kämpfte sie dennoch weiter, so gut sie es vermochte, bis sie vollkommen verschwitzt war und kaum noch Luft bekam. Sie war am Ende.

Der Himmel wurde heller. Der Tag brach an.

„Bitte …“, flehte sie und war wütend, dass er sie so weit gebracht hatte. Wäre sie doch nur stärker, aber er war ihr so hoffnungslos überlegen, so stark und überwältigend, so etwas hatte sie noch nie gesehen.

„Ihr könnt Euch nicht ewig gegen mich wehren, Mädchen, auch wenn ich Eure Bemühungen bewundere.“

Sie wehrte sich noch einmal, heftiger diesmal, doch jetzt hielt er ihre Arme fest, und er hatte ein Bein auf ihres gelegt. Sie fühlte seine warme Haut, und ihr Herz schlug schneller unter dieser so intimen Berührung.

Sie waren beide vollkommen durchnässt von dem unaufhörlichen Regen. Sie sah in seine strahlend blauen Augen, fühlte seinen warmen Atem auf ihren Lippen, und bemerkte entsetzt, dass er erstaunlich gut aussah. Seine blauen Augen mit den langen Wimpern funkelten wie das Meer und schienen sie in ihren Bann zu ziehen. Auch seine Lippen waren verführerisch – feucht und verlockend. Sein Gesicht, die Wangenknochen, das Kinn waren so klar geformt wie bei einer römischen Statue, und sie hätte am liebsten geweint, weil das alles so ungerecht war – dass ein Teufel wie er mit einer so überwältigenden Schönheit gesegnet sein konnte. Mochte Gott ihr beistehen. Es gab keine Gerechtigkeit auf der Welt. Sie war verdammt.

Doch sie unterdrückte ihre Tränen, sie würde ihm gegenüber keine Schwäche zeigen, und sie würde sich von ihm auch nicht brechen lassen. Sie musste einfach einen anderen Weg finden, um ihrem Entführer zu entkommen.

Sie entspannte ihren Körper ein wenig und öffnete ihre Fäuste. Dann atmete sie die kalte Morgenluft in tiefen Zügen ein. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich ihm zu ergeben, wenigstens für den Moment.

Auch er entspannte sich und streifte mit der Nase ihre Wange. Die unerwartete Sanftheit dieser Berührung ließ ihr den Atem stocken.

„Eine kluge Entscheidung, Mädchen.“

Sie spürte die Erregung des Highlanders an ihrer Hüfte. Der Schreck darüber schnürte ihr die Kehle zu, und dann schlug ihr Herz noch schneller. Sie hätte wissen müssen, dass es dazu kommen würde, aber nicht jetzt – noch nicht …

„Bitte“, sagte sie.

„Was bitte, Mädchen? Ich höre?“

Er streifte mit den Lippen ihre Wange, dann ihren Mund, eine sanfte, verführerische Berührung. Sie öffnete die Lippen ein wenig, und ihre Gedanken überschlugen sich. Sie seufzte leise, und er verzog den Mund zu einem Lächeln.

„Ihr müsst sowieso irgendwann etwas entgegenkommender werden, Mädchen. Wäre es für uns beide nicht viel einfacher und erfreulicher, wenn Ihr gleich jetzt damit anfangt?“

„Das werde ich niemals tun“, erwiderte sie, wagte aber nicht zu fragen, was genau er mit „entgegenkommend“ meinte.

Er schob eine Hand über ihre Hüfte und über ihren Schenkel, drängte sich näher an sie heran, und sie erbebte unter den Gefühlen, die er in ihr weckte. Es war eine seltsame und sehr beunruhigende Mischung aus Zorn, Unglauben und körperlicher Neugierde. Er schob eine Hand unter sie, um sie näher an sich zu ziehen, und sie begann, sich vor dieser verführerischen Macht zu fürchten, die sie so mühelos dazu zu bringen schien, sich ihm zu unterwerfen.

„Hört auf, mich so zu berühren“, sagte sie.

„Wie denn? Gibt es eine andere Art, die Euch lieber wäre?“

„Mir wäre es am liebsten, wenn ihr mich gar nicht berühren würdet.“

Er streifte mit den Lippen ihr Kinn, und sie war sich bewusst, dass ihre Brüste seine Brust berührten. Im Licht des anbrechenden Tages musterte er sie aus seinen entwaffnenden blauen Augen. Sie wünschte, sie könnte diesem Blick ausweichen, aber wieder war sie wie gelähmt von der Intensität seiner Gegenwart, körperlich wie emotional. Dies alles hier war zu viel für ihren zierlichen, noch unerweckten Körper und ihr verängstigtes Gemüt.

„So ist es besser“, sagte er, als er spürte, wie die Kraft aus ihren Armen und Beinen wich. Dann küsste er sie sanft auf die Wange.

„Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt.“ Sie wandte sich ab von den Liebkosungen seines Mundes. Der sanfte und doch so beharrliche Druck ließ ihre Knie zittern, und ihre Willenskraft schwand dahin. Sie fühlte sich besiegt und hilflos unter seiner geschickten Verführung, daher holte sie tief Luft und drehte den Kopf zur Seite, wo ihr Blick auf ein Paar Stiefel aus Leder fiel, kaum zwei Schritte von ihrem Gesicht entfernt.

Erschrocken blinzelte sie durch den Regen, in der vagen Hoffnung, dass sie sich das Ganze vielleicht nur einbildete, aber das war nicht der Fall. Sie blickte tatsächlich auf zwei haarige Beine. Sie steckten in Wollstrümpfen, die über den Stiefelrand gekrempelt waren. Außerdem sah sie einen grünen Kilt, der bis ans Knie reichte.

„Um Himmels Willen!“, rief sie, und das unerwartete Lachen des Highlanders raubte ihr jeden Mut. Sie war verloren und alle Fluchtpläne vereitelt.

Der Schlächter erhob sich, und sie war zumindest dankbar, dass sein Gewicht nicht mehr auf ihr lastete, sodass sie wieder zu Atem kam und von den gefährlichen Gefühlen und Empfindungen abgelenkt wurde, die seine Berührungen in ihr ausgelöst hatten. Es schien ihr wie eine Droge zu sein.

„Ich hätte wissen müssen, dass du es mit irgendeinem Frauenzimmer im Feld treiben würdest“, sagte der Neuankömmling, „während du eigentlich in Fort William sein solltest.“ Der Mann sah hinauf zum Himmel. „Allerdings ist es keine besonders gute Nacht, um es auf dem Feld zu treiben.“

Amelia, die noch immer auf dem Rücken lag und sich die Hände auf die Stirn presste, blinzelte durch den Regen hinauf zu dem zweiten Highlander. Zu ihrem Entsetzen sah sie nicht einen, sondern zwei Schotten, die ihren Entführer zwischen sich hin und her stießen wie ein paar brutale Schuljungen.

„Nehmt eure Hände weg“, murmelte der Schlächter.

Mochte Gott ihnen beistehen, es würde ein Blutbad geben.

Sie schaute unsicher zu der Streitaxt, die noch immer an seinem Sattel hing, zwanzig Fuß weit entfernt. Vielleicht könnte sie dorthin gelangen …

Amelia erhob sich vorsichtig auf die Knie, aber als sie die drei rangelnden Männer ansah – und dabei feststellte, dass die anderen beiden Pistolen und Schwerter bei sich hatten –, wusste sie, dass sie keine Chance hatte, in das Geschehen einzugreifen. Es waren kampferprobte Wilde. Das wäre Selbstmord.

„Nun, bist du rein und wieder raus gekommen, du geiler Bock?“, fragte der zweite Highlander. Er war sehr groß, mit Sommersprossen, einem roten Bart und einer wilden roten Mähne. Vielleicht hätte er gar nicht so furchterregend ausgesehen, wäre da nicht diese Narbe quer über sein Gesicht gewesen, von der Braue bis zur Nase. Seine Augen funkelten im Licht der aufgehenden Sonne wie zwei grüne Marmorkugeln.

Er lachte noch immer, als er von dem Schlächter wegtrat und eine Flasche aus seiner Tasche zog. Er legte den Kopf zurück, trank einen Schluck und streckte den Arm aus.

Der Schlächter nahm sie und nahm ebenfalls einen großen Schluck. „Meinst du das Mädchen oder das Fort, Gawyn?“, fragte er. „Was das Letztere angeht, so war ich schnell genug. Bei der Lady war das allerdings nicht der Fall.“

Er gab die Flasche zurück, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und ging zurück zu Amelia, die immer noch im Gras saß und versuchte, die Situation zu verstehen. Er fasste sie am Arm und zog sie hoch. „Und sie ist nicht irgendein Mädchen“, sagte er zu den Männern. „Sie ist ein Fang, der sein Gewicht in Gold wert ist.“

Amelia versuchte ihn abzuschütteln, aber sein Griff war hart wie Stahl. „Lasst mich los“, verlangte sie.

Der erste Highlander – ein kleiner stämmiger blonder Schotte mit dem Gesicht einer Bulldogge – zog ebenfalls eine Flasche hervor. „Sie ist eine hübsche Kratzbürste, das muss ich zugeben.“

„Ja, aber sie zittert wie ein gefangenes Kaninchen“, sagte der, der Gawyn genannt wurde. „Was hast du mit ihr angestellt?“

„Ich habe gar nichts getan“, gab der Schlächter zurück. „Ihr ist kalt, und sie ist durchnässt, das ist alles.“

„Nun, dann sollte sie nicht im nassen Gras herumliegen“, gab der Große zu bedenken. „Ist sie vielleicht ein bisschen dumm?“

Der Schlächter führte sie zurück zum Pferd, ohne etwas darauf zu erwidern.

„Warum schleift Ihr mich nicht einfach an den Haaren hinter Euch her“, zischte sie verärgert und versuchte erneut, seine Hand von ihrem Arm zu schieben. Sie zitterte jetzt so stark, dass ihre Zähne klapperten. „Machen Barbaren das nicht gewöhnlich so?“

Die anderen beiden sahen einander an und brachen dann in brüllendes Gelächter aus, aber der Schlächter war nicht amüsiert.

„Wir können nicht hier bleiben“, sagte er. „Bald wird es Tag sein, und gleich hinter dem Wald sind englische Patrouillen unterwegs.“

Er hob sie wieder in den Sattel und sah dann vielsagend zu ihr auf. „Aber kommt nicht auf dumme Gedanken, Mädchen. Ein Mucks, und Euch wird das Fell über die Ohren gezogen. Und das würde ich mit Vergnügen persönlich erledigen.“

In genau diesem Moment hörten sie durch den prasselnden Regen das Klappern von Hufen. Ein vierter breitschultriger Highlander ritt heran und sprang von seinem Grauschimmel, während das Tier noch im Trab ging.

Dieser Neuankömmling hatte langes, goldblondes Haar und türkisblaue Augen, in denen ein böser Glanz lag. Auch er war groß, breit und wirkte wie ein Ungeheuer. Er kam mit schnellen Schritten auf sie zu. „Hast du ihn getötet?“, wollte er wissen.

Der Schlächter warf ihm einen raschen Blick zu. „Nein. Er war nicht da.“

„Er war nicht da?“ Der goldhaarige Schotte sah hinauf zu Amelia. Sie saß im Sattel und blickte zu ihm hinunter, während der Schlächter ihr die Handgelenke fesselte. „Wer ist das denn?“

„Sie ist Bennetts Verlobte.“

Der andere Rebell runzelte ungläubig die Stirn. „Seine Verlobte? Er hat eine Frau? Verdammt, Duncan, warum hast du ihr nicht die Kehle durchgeschnitten?“

Amelia erschauderte bei diesen grausamen Worten, nahm aber gleichzeitig zur Kenntnis, dass der Schlächter einen Namen hatte. Er hieß Duncan.

„Ich hatte eine bessere Idee.“ Er schwang sich hinter ihr in den Sattel.

Die Stimme des anderen Mannes klang feindselig. „Du hättest ihren Kopf in eine Schachtel stecken und verrotten lassen sollen. Was stimmt nicht mit dir?“

Der Schlächter legte die Arme um Amelia und ergriff die Zügel. „Du hast keinen Grund, an mir zu zweifeln, Angus. Du weißt, dass ich es mir nicht anders überlegt habe. Und das werde ich auch nicht. Nicht, solange dieser englische Teufel unsere schottische Luft atmet.“

„Oder sonst irgendeine Luft.“ Der Rappe scheute, und Angus trat ein paar Schritte zurück.

„Wir sollten uns trennen“, sagte der Schlächter, und seine Stimme durchschnitt die spürbare Spannung wie eine scharfe Klinge. „Passt auf euch auf, Männer. Wir treffen uns im Lager.“ Er trieb das Pferd zum Galopp an, und sie preschten davon, die anderen zurücklassend.

Eine Weile galoppierten sie über das Feld, dann lenkte Duncan das Pferd im Trab durch einen schattigen Wald. Der Regen hatte etwas nachgelassen, und die Morgenröte färbte den Himmel rosa.

Amelia war bis auf die Knochen durchnässt und zitterte vor Kälte. Ohne ein Wort löste der Schlächter seinen Tartan-Überwurf und legte ihn um sie beide herum. Sie roch seinen männlichen Duft, der noch in der Wolle haftete, spürte die Wärme, die von seiner breiten Brust an ihrem Rücken ausging. Zumindest dafür war sie dankbar, trotz der Tatsache, dass diese ganze Situation heftigstes Kopfzerbrechen bereitete.

„Was ist bloß los mit euch Highlandern?“, fragte sie bitter. „Ihr wollt nichts anderes als Köpfe abschlagen und sie in Schachteln legen. Ist das irgendeine schottische Tradition?“

„Das geht Euch nichts an“, erwiderte ihr Entführer. „Und ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr keine weiteren Fragen stellen würdet.“

Ein paar Minuten schwieg sie, während die Wärme des Tartan-Stoffes die Kälte aus ihrem Körper zu vertreiben begann.

„Er hat Euch Duncan genannt“, sagte sie. „Ich habe ihn gehört. Habt Ihr keine Angst, dass ich jemandem Euren Namen verraten könnte, sodass die wahre Identität des berüchtigten Schlächters bekannt wird?“

„Es gibt Hunderte von Duncans im Hochland, Mädchen – insofern: nein, das bereitet mir keine schlaflosen Nächte. Und da Ihr jetzt doch weitere Fragen stellt: Sorgt Ihr Euch nicht, dass ich meine Meinung ändern und Euch doch noch die Kehle durchschneiden könnte?“ Er schwieg einen Moment. „Da Ihr doch meinen Namen kennt?“

Sie schluckte unbehaglich. „Vielleicht ein wenig.“

„Dann solltet Ihr aufhören, Fragen zu stellen, auf die Ihr die Antworten gewiss nicht hören möchtet.“

Sie zog den Tartan fester und versuchte, den Schmerz in ihren gefesselten Handgelenken zu ignorieren.

„Ich nehme an, das waren Eure berüchtigten Rebellen“, sagte sie dann, denn sie wollte, dass er weitersprach. Sie wollte wissen, warum das alles passierte und wohin man sie bringen würde. „Ich dachte, es gäbe mehr davon. Nach all den Geschichten, die ich gehört habe, könnt Ihr mit Euren Freunden doch in drei Minuten eine ganze englische Armee vernichten.“

„Ihr solltet nicht alles glauben, was Ihr hört.“

Sie drehte sich um, damit sie über ihre Schulter hinweg mit ihm reden konnte. „Es dauert also länger als drei Minuten, um eine ganze Armee abzuschlachten?“

Er schwieg einen Moment. „Nein. Drei Minuten sind richtig.“

Sie schüttelte fassungslos den Kopf.

„Aber wir greifen keine ganze Armee an“, sagte er. „Wir sind nicht dumm.“

„Nein. Dieses Wort würde ich definitiv nicht benutzen, um Euch zu beschreiben.“

Sie ritten durch eine Furt, das Wasser spritzte unter den Hufen ihres Pferdes. Amelia hüllte sich fester in den Schal.

„Welches Wort würdet Ihr denn benutzen?“, murmelte der Schlächter. Seine Lippen berührten ihr Ohr. Sie erschauderte und bekam eine Gänsehaut. Warum machte er das nur immer? Sie wünschte, er würde damit aufhören.

„Mir fallen eine Reihe von Ausdrücken ein“, sagte sie. „Aber ich werde sie nicht laut aussprechen, denn vielleicht ändert Ihr doch noch Eure Meinung und schneidet mir die Kehle durch.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um, und beinahe hätte ihre Nase seine berührt. „Ich bin nämlich auch nicht dumm.“

Sie war überrascht, als er auf ihre spöttischen Worte mit leisem Lachen reagierte.

„Ihr kommt mir jedenfalls zu klug vor, um mit Bennett das Bett zu teilen“, sagte er.

„Ich sagte Euch doch bereits, wir sind verlobt, und die Tatsache, dass ich in seinem Bett lag …“ Sie verstummte, war nicht sicher, wie sie das ausdrücken sollte. „Es ist nicht so, wie Ihr glaubt. Mein Onkel, der Duke of Winslowe, hat mich ins Fort begleitet. Er ist der Erbe meines Vaters und nun mein Vormund. Richard wurde letzte Nacht abberufen und hat mir seine Räumlichkeiten angeboten, damit ich in Sicherheit bin und es bequem habe.“

„Nun, bequem zumindest hattet Ihr es.“

Zorn stieg in ihr auf. „Bis Ihr in mein Zimmer eingebrochen seid und meine glücklichen Hochzeitsträume unterbrochen habt.“

„Es war kein Einbruch, Mädchen“, sagte er. „Ich hatte einen Schlüssel.“

„Ach ja, richtig, den habt Ihr ja dem Soldaten unten im Gang gestohlen – nachdem Ihr ihn kaltblütig ermordet habt.“

„Das war kein Mord“, sagte er nach einer kurzen Pause. „Es herrscht Krieg. Der Junge hat sich dafür gemeldet, und es war ein fairer Kampf, Soldat gegen Soldat.“

„Niemand meldet sich freiwillig, um zu sterben.“

„Highlander tun so etwas, wenn es nötig ist.“

Sie rutschte im Sattel hin und her. „Wie mutig Ihr doch alle seid. Wie schade, dass Ihr dabei Hochverrat begeht.“

Auch er bewegte sich jetzt, und sie fühlte seine Wärme an ihrem Körper. „Ihr habt ein loses Mundwerk, Lady Amelia. Ich muss zugeben, dass mich das erregt.“

Erregt? Kein Mann hatte je so etwas Kühnes in ihrer Gegenwart gesagt, und vor Schreck errötete sie. „Dann werde ich ab sofort den Mund halten“, sagte sie. „Denn Eure Fantasie anzuregen ist das Letzte, was ich will, Herr Schlächter.“

„Seid Ihr sicher?“ Wieder fühlte sie seine Lippen an ihrem Ohr, und wieder überlief sie eine Gänsehaut. Ihre Haut brannte, und sie erbebte, verärgert darüber, wie heftig ihr Körper auf jede Berührung seiner Lippen reagierte. Der Gedanke, dass sie seine Geisel war und dass er weitaus mächtiger war als sie, erschöpfte und verwirrte sie. Sie fühlte sich von der Situation völlig überfordert.

„Ihr scheint eine leidenschaftliche Frau zu sein, Lady Amelia“, fuhr er fort. „Vielleicht gefällt Euch die Leidenschaft eines Highlanders. Wir sind nicht so wie Eure höflichen Engländer. Wir haben keine Angst, richtig zuzustoßen, laut zu stöhnen und unseren Frauen mit unseren Lippen Lust zu bereiten.“

Ihr Herz schlug schneller. Wieder verspürte sie das Bedürfnis, vom Pferd zu springen und den ganzen Weg zurück nach London zu laufen, aber in dieser Hinsicht hatte sie ihre Lektion gelernt. Wenn sie das tat, würde er sie wieder rücklings ins Gras legen, und sie glaubte nicht, dass sie eine weitere Begegnung dieser Art überstehen würde, ohne sich ihm willenlos zu ergeben.

„Ich rede nicht mehr mit Euch.“ Sie richtete sich im Sattel kerzengerade auf, sodass ihr Rücken nicht mehr seine harte Brust berührte, aber das trug keineswegs dazu bei, sie zu beruhigen. Noch nie zuvor hatte sie so auf einen Mann reagiert. Vielleicht waren es ihr Zorn und der Umstand, dass sie sich in Gefahr befand, die dazu geführt hatten, dass all ihre Sinne bis zum Äußersten gereizt waren.

Er beugte sich vor und berührte mit den Lippen ihren Hals, und sie hörte die geflüsterte Warnung in seiner Stimme. „Es ist klug von Euch, den Mund zu halten, Mädchen, denn ich kann nur eine gewisse Zeit widerstehen. Eure spitze, feuchte Zunge könnte zu viel für mich werden.“ Er seufzte übertrieben. „Ah – seht nur, da sind wir auch schon, in meinem luxuriösen Heim.“

Er zügelte das Pferd. Seine Worte hatten Amelia noch mehr verwirrt, sodass es ihr schwer fiel, sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Sein „luxuriöses Heim“ war kaum mehr als eine Höhle – ein kaltes, dunkles Loch, in einen steil emporragenden Berg geschlagen, umgeben von Moos und Granit.

Es waren wirklich Barbaren, die wie Tiere in Höhlen lebten. Nebelschwaden wanden sich um die Beine des Rappen.

„Das ist die Höhle des Schlächters“, sagte ihr Entführer und zog den Tartan weg, sodass die kalte Morgenluft ihre feuchte Haut traf. Dann warf er sich das Tuch über die Schulter und sprang zu Boden.

Während sie weiterhin den pechschwarzen Eingang zur Höhle anstarrte, nahm er die Streitaxt, steckte sie sich an den Gürtel und hielt ihr die Arme entgegen. „Kommt, Mädchen, ich zünde uns ein Feuer an, und dann könnt Ihr Euch in ein warmes Bett aus Fellen legen. Ich werde für Euch ein schönes Halsband machen – aus den hübschen Knochen der Soldaten, die ich heute Nacht ermordet habe.“

Sie sah ihn entsetzt an und war keinesfalls sicher, dass er scherzte.

In diesem Moment kam der goldhaarige Schotte, der ihr die Kehle hatte durchschneiden wollen, aus der anderen Richtung herangaloppiert.

Der Schlächter sah ihm aus zusammengekniffenen Augen entgegen, dann befahl er Amelia: „Steigt vom Pferd, und zwar sofort. Mein Freund will Euch töten, daher ist es am besten, wenn Ihr in der Höhle wartet, während ich mit ihm rede.“

Als sie vom Pferd sprang und zur Höhle lief, dachte sie wieder an Flucht. Am Eingang blieb sie kurz stehen, um darauf zu warten, dass ihre Augen sich an das gedämpfte Licht gewöhnten. Sie hörte, wie der andere Highlander ankam und vom Pferd sprang. Das Geräusch seiner Füße, die den Boden berührten, genügte, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Verzweifelt sah sie sich nach etwas um, das sie als Waffe benutzen konnte, und begann, heftig an ihren Fesseln zu zerren.

3. KAPITEL

Angus MacDonald sprang aus dem Sattel und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Seine goldene Haarmähne, zerzaust und feucht, fiel ihm über die Stirn, und sein Pferd trottete davon, ins höhere Gras.

„Verdammt sollst du sein, Duncan“, sagte er. „Was ist dir nur durch deinen dummen Kopf gegangen? Seit fast einem Jahr verfolgen wir Bennett, und ich dachte, wir wollten beide dasselbe.“

„Das wollen wir auch.“ Duncan führte sein Pferd zu einem Eimer voll Wasser vor dem Eingang zur Höhle.

Er war jetzt nicht in der Stimmung für diese Auseinandersetzung. Er hatte gerade fünf Männer umgebracht, und seine Kleider rochen nach Blut, Schmutz und Tod. Er wollte zum Fluss gehen, seine Hände und seine Waffen reinigen und sich den Schweiß und Dreck vom Körper waschen. Vor allem wollte er sich irgendwo hinlegen und schlafen. Viele, viele Stunden lang.

„Ich habe den Plan nicht aufgegeben“, erklärte er Angus, seinem engsten Freund, dem furchtlosen Krieger, der ihm im Kampf das Leben öfter gerettet hatte, als er zählen konnte. „Aber Bennett war nicht dort, wo er sein sollte. Das ist der einzige Grund, warum er noch am Leben ist.“ Er drehte sich zu seinem Freund um. „Aber wenn du mich noch einmal in Gegenwart anderer zur Rede stellst, Angus, dann schwöre ich bei Gott und allem was mir heilig ist, dass ich dich verprügele.“

Angus starrte ihn einen Moment lang schweigend an, dann drehte er sich zu dem Berg um und stützte eine seiner vernarbten Hände gegen den Felsen. Er sprach ganz ruhig, aber seine Stimme klang schwer vor Enttäuschung. „Ich wollte seinen Kopf heute Nacht.“

„Glaubst du etwa, ich nicht?“, gab Duncan zurück. „Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als ich meine Streitaxt hob und in das Gesicht einer unschuldigen Frau blickte?“

Angus stieß sich von dem Stein ab. „So unschuldig ist sie nicht, wenn sie mit diesem Schwein verlobt ist.“

„Vielleicht.“

Er war plötzlich ein wenig verärgert beim Gedanken an ihre Verlobung. Diese Frau hatte etwas in ihm angerührt, vom ersten Moment an. Der durchdringende Blick aus ihren grünen Augen und ihr verrückter, gefährlicher Mut. Er hatte viel zu viel Zeit damit verbracht, den Glanz in ihrem leuchtend roten Haar zu betrachten, die üppige Rundung ihrer Brüste und ihre zarte, elfenbeinfarbene Haut. Und er hatte sie von der ersten Sekunde an begehrt, was ihn völlig aus dem Gleichgewicht brachte. Diese Schwäche durfte er nicht zulassen. Nicht jetzt, da er so weit gekommen war. Er konnte es sich einfach nicht leisten, sich ablenken zu lassen.

„Vielleicht? Sie ist Engländerin, Duncan. Sie hat mich angesehen, als wäre ich Abschaum und sie die verdammte Königin von England.“

„Sie ist sehr stolz“, erwiderte er. Er nahm seinem Pferd den schweren Sattel ab und legte ihn auf den Boden, dann befreite er es auch von den Zügeln. „Und das ist so, weil sie die Tochter eines großen Mannes ist. Du kennst ihn als den Duke of Winslowe.“ Er sah Angus vielsagend an. „Bestimmt erinnerst du dich an ihn. Er hat die Männer bei Sheriffmuir geführt.“

Angus sah ihn verblüfft an. „Der Duke? Der nach Moncrieffe Castle gekommen ist? Den mein Vater bei Sheriffmuir schlagen wollte?“

„Genau der.“ Duncan rieb mit den Händen über die sehnigen Flanken des Rappen, um den kalten, feuchten Schweiß abzuwischen. Er versuchte, nicht an Lady Amelia zu denken, die in der Höhle auf ihn wartete.

Angus stieß einen Pfiff aus. „Jetzt verstehe ich, warum du sie am Leben gelassen hast – jedenfalls erst einmal.“ Dann runzelte er verwirrt die Stirn. „Aber sie hat vor, Bennett zu heiraten?“

„Ja. Deswegen war sie in Fort William, offenbar träumte sie gerade von der Hochzeitsnacht, als ich ihr um ein Haar den Kopf abgeschlagen hätte.“

Angus lief vor dem Höhleneingang auf und ab. „Ist das etwa eine Liebesheirat mit Bennett? Das kann doch nicht sein.“

„Sie behauptet, es wäre so.“

„Hat sie ihn schon mal getroffen?“

Duncan holte tief Luft. Diese Frage konnte er nicht beantworten, ja, er konnte nicht mal begreifen, wie sich überhaupt irgendeine Frau mit dieser Schlange verloben konnte.

Angus sah ihm direkt in die Augen. „Glaubst du, sie weiß, was ihr Verlobter unserer geliebten Muira angetan hat? Vielleicht hat sie ihn ja sogar auf die Idee gebracht? Als Rache für das, was mein Vater ihrem bei Sheriffmuir angetan hat?“

Das war eine beunruhigende Vorstellung. Bestimmt war es nicht so gewesen. Aber dennoch dachte Duncan gründlich darüber nach, ehe er den Kopf schüttelte. „Nein, das glaube ich nicht. Sie erscheint mir nicht so rachsüchtig. Andererseits ist sie auch kein Angsthase.“

„Was findet sie dann an ihm?“, wollte Angus wissen. „Warum ist sie mit Bennett zusammen?“

Zumindest war es nicht schwer zu erkennen, warum Bennett mit ihr zusammen war. Lady Amelia war nicht nur die Tochter eines Duke, was allerbeste gesellschaftliche Beziehungen versprach, sie war außerdem auffallend schön.

Er ertappte sich bei der Erinnerung an das, was auf dem Feld passiert war – als er sie auf den Rücken gelegt hatte und sie sich unter ihm wand, sodass ihr weicher Bauch ihn berührt hatte. Sie hatte ihn so über die Maßen erregt, dass er seine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen musste, um sie nicht gleich an Ort und Stelle zu nehmen.

Als er sie am Boden festhielt und sie aus ihren großen erschrockenen Augen zu ihm aufsah, da hätte er sich am liebsten zwischen ihre Beine geschoben und mit seinem Mund ihre verlockenden Brüste liebkost. Es war schwer zu sagen, was geschehen wäre, wenn Fergus und Gawyn nicht gekommen wären, denn sein Verlangen nach ihr war beinahe übermächtig gewesen.

Wieder versuchte er, sich darauf zu konzentrieren, Turners Fell zu striegeln. Er sollte nicht auf diese Weise an seine Gefangene denken, nicht jetzt und nicht später. Sie war ein Objekt für ihn. Sie war seine Feindin und sein Köder, sonst nichts. Er durfte das nicht vergessen.

„Ich weiß es nicht“, antwortete er. „Aber ich habe vor, es herauszufinden.“

Angus schlenderte zum Höhleneingang und sah hinein. „Und dann was? Auge um Auge?“

Duncan schnürte es die Kehle zu. Das hier war ein schmutziges Geschäft, und es gefiel ihm nicht. Er wollte nichts weiter als schlafen und essen.

„Ich habe mich noch nicht entschieden.“ Er ließ sein Pferd grasen. „Geh und warte am Fluss auf die anderen. Ich brauche ein wenig Zeit allein mit ihr.“

„Wie viel Zeit?“

„Wenigstens ein paar Stunden.“

Er spürte Angus’ glühenden Blick auf seinem Rücken, als er in die kalte dunkle Höhle trat.

„Um was zu tun, Duncan?“

„Ich habe dir doch gesagt, ich weiß es noch nicht. Aber ich bin müde und verstimmt, also lass mich einfach in Ruhe, bis ich es herausgefunden habe.“

Die Royal North British Dragoner kamen rasch näher, als ein junger Soldat sie in der Ferne entdeckte. Er stand auf der hohen Nordwand von Fort William, als Ersatz für den toten Kameraden, der diesen Posten während der Nacht innegehabt hatte.

„Colonel Bennett kommt zurück!“, rief er, und im Hof unten wurde es lebendig. Stallknechte eilten herbei, um Eimer aus den Wasserfässern zu füllen, und die Infanteristen bezogen Stellung, die Musketen auf der Schulter, die Brotbeutel vor der Brust.

Das Klappern der Hufe wurde lauter, die Tore wurden geöffnet, und Colonel Bennetts eindrucksvolles Kavallerie-Regiment galoppierte ins Fort.

Richard Bennett war der erste, der absaß. Er nahm den wichtigen Inhalt aus seinen Satteltaschen, dann reichte er die Zügel seines Pferdes an einen Stallburschen. Während er auf Colonel Worthingtons Quartier zuging, nahm er seinen Helm ab und zog die Handschuhe aus. Der Säbel schlug bei jedem Schritt gegen seine Hüfte. Er hatte nur eins im Sinn: mit Worthington reden. Denn er brachte Neuigkeiten mit. Er hatte das Cottage eines weiteren Pächters abgebrannt, wo er Landkarten, Waffen und Briefe von einer Reihe bekannter Jakobiten gefunden hatte.

Gleich darauf empfing ihn sein Kommandant. Auf den beunruhigenden Anblick, der sich ihm bei seinem Eintritt bot, war er allerdings nicht vorbereitet.

Der weißhaarige Duke of Winslowe saß auf einem Stuhl, und der Colonel stand mit einem Glas Brandy hinter ihm, das der Duke entweder nicht annehmen konnte oder wollte. Er schien sehr aufgeregt.

„Zum Glück seid Ihr wieder da“, sagte Worthington und wandte sich von Winslowe ab. „Etwas Schreckliches ist geschehen, und wir müssen uns sowohl auf Eure Diskretion verlassen als auch auf Eure Entschlossenheit, das wieder in Ordnung zu bringen, Colonel Bennett.“

„Ich werde selbstverständlich kooperieren, Colonel Worthington.“

„Es geht um Lady Amelia …“

Worthington hielt inne, und Richard schluckte schwer, während er sich auf die Nachrichten gefasst machte, die der Colonel offensichtlich nur widerstrebend überbringen wollte. „Was ist geschehen?“

Der kommandierende Offizier holte tief Luft. „Eure Verlobte wurde vergangene Nacht entführt.“

Richard stand bewegungslos da, mit verkrampften Kiefermuskeln, bis er genügend Haltung und Selbstbeherrschung aufbringen konnte, um vernünftig mit dem Colonel und dem Duke über das zu sprechen, was geschehen war. „Entführt? Von wem?“

Der Colonel stellte den Brandy auf den Tisch. „Es gibt Beweise dafür, dass es der Schlächter war.“

Richards Oberlippe zuckte. „Der Schlächter …“ Er hielt inne und sprach die Worte laut aus, denn er fürchtete, sonst könnte er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. „Der Schlächter hat meine Verlobte aus dem schwer bewachten, bestens ausgestatteten Fort William mit seinen dicken Mauern geholt?“

Der stämmige Duke sah zu ihm auf und nickte. „Meine Nichte“, sagte er. „Die einzige Tochter meines Bruders. Ich kenne sie, seit sie ein Baby in den Armen ihrer Mutter gewesen ist. Wir müssen etwas unternehmen, Bennett. Ich war es, der sie hierher gebracht hat, damit sie Euch heiratet, und wenn dem Mädchen irgendetwas zustößt, dann werde ich mir das nie verzeihen.“

Richard nahm vor Zorn kaum noch irgendetwas wahr, umfasste nur seinen Säbel und wich zurück. „Wer ist dafür verantwortlich? Wer hatte vergangene Nacht Dienst?“

Beide Männer warfen ihm besorgte Blicke zu, und als sie nicht schnell genug antworteten, schrie er sie beide an. „Wer, verdammt?“

„Sie sind alle tot“, erwiderte der Colonel ernst.

Richard wich zurück bis zur Tür. „Ich werde sie finden“, sagte er. „Und wenn ich das tue, dann werde ich diesen jakobitischen Verräter in hundert Stücke schlagen, sodass niemand ihn mehr erkennt. Nicht nur um Amelias Ehre willen, sondern auch für König und Vaterland.“

Er verließ den Raum. Das Gefühl von Verzweiflung, das in ihm aufzusteigen drohte, unterdrückte er auf der Stelle, denn er gehörte nicht zu den Männern, die solche Schwächen zuließen.

Amelia saß auf dem Boden der Höhle und kämpfte gegen das überwältigende Gefühl von Enttäuschung und Niederlage. Wie sehr sie auch an den dünnen Stricken zog und zerrte, mit denen ihre Handgelenke gebunden waren, sie konnte sich nicht befreien. Sie lag wie ein hilfloses Reh in der Höhle des Löwen, und gleich würde ihr Entführer zurückkehren und mit ihr tun, was er schon die ganze Zeit über tun wollte, seit dem Moment, da er in das Schlafzimmer ihres Verlobten gekommen war.

Dann stand er plötzlich vor ihr, kniete nieder und zog einen Dolch aus seinem Stiefel. Entsetzt starrte sie ihn an.

Autor

Julianne Maclean
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