Einar, der Wikinger

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Der stolze Wikinger Einar ist geblendet von der Schönheit der jungen Meradyce. Statt sie wie geplant nach einem Überfall auf ihr Dorf zu töten, nimmt er sie mit zu sich nach Hause. Dort entflammt er von Tag zu Tag mehr für sie. Doch Einars Geliebte Ingemar bemerkt schnell, dass er die betörende Fremde mit seinen Blicken verschlingt, und schwört Rache …


  • Erscheinungstag 02.11.2018
  • Bandnummer 0003
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756758
  • Seitenanzahl 224
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Der geschwungene Bug des Wikingerschiffs schnitt durch das Wasser wie das Haupt einer riesigen Seeschlange. Leise tauchten die Riemen in den flachen Fluss ein. Die keuchenden Männer hockten wie die Trolle auf ihren Ruderbänken.

„Das behagt mir nicht“, flüsterte einer der Ruderer. „Einar ist so unruhig wie eine Ratte auf einem sinkenden Schiff.“

Das fand Siurt auch; er nickte. Der Anführer der Plünderer stand gewöhnlich regungslos am Heck des Langschiffs. Jetzt hingegen befand er sich am Bug, trat von einem Fuß auf den anderen und schaute immer wieder zum Land aus.

Als Einar den Blick kurz über die Mannschaft gleiten ließ, um ihn dann wieder dem Ufer zuzuwenden, senkte Ull den Kopf.

„Was erwartet er denn dort zu sehen?“

Siurt zuckte die Schultern und ruderte mit kräftigem Schlag gleichmäßig weiter. „Bisher waren wir noch nie so weit im Landesinneren wie jetzt, und Einar ist eben vorsichtig.“

„Und weshalb ist Svend dann daheim geblieben?“

„Du weißt doch, dass der Häuptling es nicht riskieren konnte, mit uns zu fahren, nachdem ihn sein Pferd abgeworfen hatte“, flüsterte Siurt. „Das war ein zu schlechtes Vorzeichen.“

Einar schritt den Mittelgang hinunter und befahl der Mannschaft, die Ruder einzuholen. „Und denkt daran, der Frau, die ein goldenes Kreuz mit drei Edelsteinen trägt, darf nichts geschehen“, sagte er leise. „Sie muss mir unversehrt übergeben werden.“

Ull strich sich den feuerroten Bart. „Wieso das? Du nimmst doch keine Weiber, Einar. Und woher weißt du überhaupt etwas von dieser Frau?“

Einar lächelte, doch der Blick seiner grauen Augen blieb so kalt wie die Klinge eines Schwerts, das im Schnee gelegen hatte. „Weshalb sollte man sich mit störrischen Weibern abgeben, wenn es Gold zu nehmen gibt? Sklaven bringen einem mehr Ärger als Vorteile.“

Ull lachte rau auf und betrachtete Einars goldenen Halsringe sowie seinen breiten silbernen Armreif. „Natürlich – zumal es ja auch genug Frauen gibt, die sich danach drängen, das Bett mit dem großen Einar zu teilen, nicht wahr?“

Unwillkürlich legte Einar die Hand an sein Schwert. „Gegenwärtig bin ich ganz zufrieden mit Ingemar.“

„Weshalb liegt dir denn dann so viel an dieser Frau?“, wollte Ull wissen. Es war zwar gefährlich, Einar solche Fragen zu stellen, doch Ull war nun einmal entschlossen, herauszufinden, weshalb sie sich so weit auf das Territorium der Sachsen vorgewagt hatten.

„Es ist nun einmal so. Mehr brauchst du nicht zu wissen.“

Einar drehte sich um und kehrte zum Bug zurück. Er versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken und nur noch an den Raubzug zu denken.

Er war nicht besonders glücklich damit, sich hier so tief im Land der Sachsen zu befinden. Das war eine gefährliche Angelegenheit, doch sein Häuptling hatte es so befohlen. Diesem den Gehorsam zu verweigern würde als Versuch ausgelegt werden, Svend die Führerschaft über die Siedlungsgemeinde abzunehmen, und danach stand Einar keineswegs der Sinn.

Es gefiel ihm nicht, dass er sich auf die Wegweisung eines sächsischen Verräters verlassen musste. Der Mann hatte ein vom Fluss her sichtbares Leuchtfeuer versprochen, das sie zu ihrem Bestimmungsort führen würde; ferner hatte er versichert, dass alle sächsischen Krieger abwesend sein würden und das Dorf somit verwundbar sei. Die Wikinger sollten sich alles nehmen, was sie begehrten, vorausgesetzt, sie führten ihren Auftrag aus.

Ebendieser Auftrag war es, der Einar erzürnte. Eine Frau umzubringen war weder ehrenvoll noch ruhmreich.

Auch Svend hatte zunächst gezögert, nachdem ihm mitgeteilt worden war, was die Wikinger tun mussten, um sich die Schätze zu verdienen. Dann jedoch war er einverstanden gewesen. Er hatte ursprünglich vorgehabt, diese unehrenhafte Aufgabe selbst zu übernehmen, doch dass ihn sein Pferd abgeworfen hatte, war ein zu unheilschwangeres Omen, als dass man es übersehen durfte. Also hatte er Einar diese Arbeit übertragen.

Einar blickte finster übers Wasser. Svend hatte sich bestimmt vorgestellt, dass ein Vermögen an Münzen, Vieh und Sklaven seine Männer erwartete. Dagegen hatte er, Einar, eher den Eindruck, als handelte es sich um eine Falle. Wer traute schon einem Mann, der sein eigenes Volk verriet?

Der alte Wikingerhäuptling war ein kluger und weiser Mann, doch möglicherweise hatte diesmal die Habgier sein Urteilsvermögen getrübt.

Einar warf einen Blick zum Nachthimmel hinauf. Glücklicherweise war das Schiff nicht in die Stürme geraten, welche die nördlichen Gewässer so kurz vor dem Winter zu überziehen pflegten, und er flüsterte ein kurzes Dankgebet zu Ägir, dem Gott des Meeres.

Bald würde von Norden her der Regen einsetzen. Der Sachse hatte ihnen eine Zeitspanne von drei Tagen gegeben, um den Überfall auszuführen, und sie hatten diese Zeit auch gut eingehalten. Eine Woche weiter, und es hätte zu gefährlich werden können, auf die offene See hinauszusegeln. Nichtsdestoweniger wünschte Einar, der Raubzug wäre bereits abgeschlossen und sie befänden sich schon wieder auf dem Heimweg.

Die Mannschaft wurde immer unruhiger; Einar hörte die Leute hinter sich leise, doch aufgeregt reden. Dieses Dorf auszurauben würde für sie eine so einfache Übung sein wie das Rupfen eines geschlachteten Huhns … falls das Ganze sich nicht doch noch als eine Falle herausstellte.

Er entdeckte ein schwaches Feuer, das auf dem zum Fluss hin abfallenden Hügel brannte. Sofort eilte er zum Heck, wo Lars stand und das Steuerruder führte. Stumm deutete Einar auf das Leuchtzeichen. Lars nickte und lenkte dann das Langschiff nahe ans Ufer heran. Auf Einars Signal hin sprangen die Männer über Bord in das flache Wasser und kletterten so geräuschlos wie möglich die Uferböschung hinauf.

Plötzlich zerriss ein lauter Warnruf die Stille der Nacht. Einar entdeckte in einiger Entfernung eine hastig flüchtende Gestalt. Er gab seinen Leuten ein Zeichen, und jetzt setzte sich jedermann eilig in Trab.

Die sächsische Ansiedlung befand sich auf einer kleinen Anhöhe und war eine der größten, die Einar je gesehen hatte. Ein Ringwall aus hohen, dicken Baumstämmen umgab sie. Dahinter sah man einen Wald und in der Ferne weitere Hügel.

Als Einar und seine Männer dichter herankamen, erkannten sie, dass der Warnruf den Dorfbewohnern genug Zeit verschafft hatte, um das massive Tor in dem Ringwall zu schließen. Allerdings waren auf den Wallgängen keine Männer zu sehen, die etwa Pfeile auf die Angreifer abschossen oder Steine auf sie schleuderten.

Was beabsichtigte der Verräter? Oder war die Warnung etwas gewesen, womit er nicht gerechnet hatte?

Wie dem auch sein mochte, jetzt musste erst einmal das Tor niedergerissen werden. Dieses war nicht das erste sächsische Dorf, welches Einars Leute entlang der Küste überfallen hatten; er brauchte nur den entsprechenden Befehl zu geben, und schon fällten sie den nächststehenden Baum, um ihn als Rammbock zu verwenden. Im Handumdrehen lag das Tor in Trümmern, und die Männer strömten in die Siedlung.

Sie schien verlassen zu sein. Einar fluchte vor sich hin, während seine Männer damit begannen, die Häuser aufzubrechen und nach Beute oder Dorfbewohnern zu suchen, die sie als Sklaven nehmen konnten.

Einar winkte seinen Halbbruder Hamar sowie Lars heran. Rasch durchquerte er mit ihnen die Siedlung und führte die beiden an den kleineren Häusern vorbei zu einem größeren Gebäude, der Halle, die der Verräter beschrieben hatte. Sie war nicht zu übersehen. Einar trat sofort die Tür ein.

Im schwachen Schein der Herdglut begannen Lars und Hamar nach Wertvollem zu suchen. Sie fanden ein Fass Wein und öffneten es lachend mit ihren Streitäxten. Einar beachtete sie nicht weiter, denn er suchte die Frau.

Der Verräter hatte gesagt, sie würde sich wahrscheinlich hier aufhalten, und zwar in einem der Vorratsräume, in dem es ein in den Boden eingegrabenes Geheimversteck gebe. Jetzt fiel Einars Blick auf einen Vorhang. Diesen riss er fort und trat dann durch den Durchgang. Er schob eine Truhe zur Seite und suchte nach einer Falltür.

Die fand er nicht. Dafür bemerkte er jedoch zwei schmutzige Füße hinter einer zweiten Truhe. Er trat hinzu, bückte sich und förderte einen Knaben zutage.

„Mein Vater ist der Than!“, schrie der Bursche und schlug mit den Fäusten auf Einar ein.

Der Junge mochte ungefähr zwölf Jahre alt sein, fast schon erwachsen also, doch seinem Gesicht nach mehr Kind als Mann. Einar sah ihm die Verzweiflung an und konnte nachfühlen, was in dem Burschen jetzt vorging: Es war die Wut eines waffenlosen Kriegers, der kämpfen wollte, jedoch nicht die Mittel dazu besaß.

Einar lächelte, doch bevor er den Jungen befragen konnte, nahm er eine Bewegung wahr, und er hörte eine zornige Frauenstimme: „Lass ihn gehen!“

Rasch drehte er sich um und sah eine Frau aus einem Versteck treten. Sie hatte langes, offenes dunkles Haar, und ein mit drei Edelsteinen besetztes Kreuz hing ihr an einer Kette um den Hals. In der Hand hielt sie ein so schweres Schwert, dass Einar sich fragte, ob sie es überhaupt würde anheben können. Erst jetzt sah er das zweite Kind, das sich hinter ihrem Rücken verbarg.

Er hatte die Frau gefunden, die er töten sollte, die Frau des Verräters.

Einar trat einen Schritt vorwärts, und in diesem Moment hob die Frau zu seiner größten Verblüffung das Schwert. Sie stieß eine Drohung aus, doch er lächelte nur und ging noch einen Schritt voran. Jetzt war ihm auch klar, von wem der Knabe seine Tapferkeit hatte.

Die Frau stieß das andere Kind hinter eine Truhe und richtete den Blick dann wieder auf den Eindringling. Den Griff des Schwerts hielt sie mit beiden Händen gepackt.

Einar lächelte. Die Frau besaß fraglos Mut; er bezweifelte keinen Moment, dass sie versuchen würde, die Waffe gegen ihn einzusetzen. Er machte noch einen Schritt auf sie zu. Ihr dunkles Haar verbarg zur Hälfte ihr Gesicht, das er gern ganz gesehen hätte.

In diesem Augenblick sprang sie mit erhobenem Schwert auf ihn zu. Er wich ihr mit Leichtigkeit aus. Die Frau stolperte ein wenig, drehte sich jedoch sofort wieder zu ihm um. Inzwischen waren Hamar und Lars zum Durchgang gekommen und betrachteten interessiert das Geschehen.

„Ich glaube nicht, dass sie dich besonders mag“, rief Lars herüber.

„Und ich glaube, du hast recht“, erwiderte Einar gelassen.

„Das ist auch besser so“, meinte Hamar leise lachend. „Ingemar wäre nicht sehr glücklich, wenn sie hören müsste, dass du ein neues Weib hast.“

Die Frau griff Einar erneut an. Er sprang rückwärts, und diesmal verfehlte die Klinge nur knapp seine Hand.

„Hinaus!“, rief die Frau den Kindern zu. Der Junge zauderte einen Moment, packte dann das andere Kind bei der Hand und rannte zur Tür – ein vergeblicher Fluchtversuch, denn Lars und Hamar fingen die beiden ein, ehe sie den Ausgang erreichten. Der Junge wehrte sich wild gegen Lars’ Griff, doch ein Schlag von der großen Hand des Wikingers gebot ihm Einhalt. Unterdessen hob Hamar das andere Kind, ein Mädchen, hoch.

Die Frau ging jetzt in eine tief gebückte Angriffsstellung. Das Schwert hielt sie hoch erhoben, und sie fletschte buchstäblich die Zähne wie ein gefangenes Raubtier. „Wenn sie die Kinder nicht loslassen, bringe ich dich um!“, schrie sie.

Einar fand, jetzt sei es genug. Mit einem Satz stürzte er sich auf sie und ging mit ihr zu Boden. Sie verlor das Schwert aus der Hand, und es rutschte über den Fußboden.

Da Einar jetzt über ihr lag, konnte er zum ersten Mal ihr Gesicht richtig betrachten. Sie war schön, so schön, wie er noch keine Frau je gesehen hatte. Ihr langes Haar schimmerte rabenschwarz, ihre Augen hatten die blaue Farbe der See im Frühling, und ihre Lippen … Ihre Lippen waren rosig und voll und luden zum Küssen ein.

„Bitte, tut den Kindern nichts an!“, flehte sie.

„Ihnen wird nichts geschehen“, antwortete er und beobachtete, wie sich das Erstaunen auf ihrem Gesicht malte, als er in ihrer Sprache redete. „Es wird ihnen nichts geschehen“, wiederholte er, als könnte er sie so zwingen, ihm zu glauben.

Die Frau nickte und schloss dann fest die Augen. Sie erschauderte, als er seine Hand über ihren Körper gleiten ließ.

Er stellte fest, dass die Formen der Frau der Schönheit ihres Gesichts entsprachen.

Sie schlug die Lider wieder auf, und Tränen standen in ihren seeblauen Augen. „Bitte“, flüsterte sie. „Die Kinder sollen meine Schande nicht mitansehen.“

Einar betrachtete sie. Um den Jungen und das Mädchen zu beschützen, hatte sie wie eine von Odins Gehilfinnen gefochten, und jetzt, da die Schlacht verloren war, bat sie nur darum, dass die Kinder nicht Zeugen ihrer Demütigung werden mussten.

Plötzlich bedauerte er, dass er diese tapfere Frau zu einer flehentlich Bittenden gemacht hatte. Er erhob sich und zog sie mit sich hoch. Sofort versuchte sie, ihn mit ihrer freien Hand zu schlagen, doch er fing ihren Arm ein. „Lass das.“

Sie stand ganz still und hielt ihren Blick auf die schweigenden Kinder gerichtet.

Es wäre eine Schande, diese Frau zu töten, dachte Einar. Wir sollten sie vielmehr mit uns nehmen. Svend wäre sicherlich einverstanden.

Er zog sie zur Tür. „Bringt ihre Kinder mit“, befahl er Lars und Hamar im Vorübergehen. Der Verräter hatte die Zusage verlangt, dass seinen Kindern nichts geschehen würde; zweifellos würde er ein treffliches Lösegeld für sie zahlen. Was seine Frau betraf, so brauchte er nur zu wissen, dass sie ihn jetzt nicht länger etwas anging.

Draußen war den Angreifern inzwischen klar geworden, dass sich die Siedlungsbewohner in Sicherheit gebracht hatten. Die Wikinger hatten daraufhin gründlich geplündert und alles zusammengerafft, was sie tragen konnten. Jetzt machten sie sich daran, die verlassenen Häuser in Brand zu stecken.

Der riesenhafte, hellhaarige Wikinger schleppte Meradyce zum Schiff. Verzweifelt und erschöpft von dem vergeblichen Kampf, vermochte sie kaum noch ihre Beine zu bewegen. Nur die Tatsache, dass sie an die Kinder zu denken hatte, hielt sie noch aufrecht.

Der jüngere der anderen beiden Männer trug Betha auf dem Arm. Die Kleine war so verängstigt, dass sie nicht einmal weinen konnte. Sie starrte nur auf die geschwungene Schneide der Streitaxt, die der Krieger um den Hals hängen hatte.

Der ältere der beiden Wikinger, der mit dem dunklen Haar und dem dichten Bart, hielt Adelar fest am Arm gepackt, während der Junge scheinbar gleichgültig neben ihm hermarschierte. Wäre Adelar doch nur nicht zurückgekommen, um es mit den Kriegern aufzunehmen, die es gewagt hatten, sein Dorf anzugreifen! Dann hätten sie sich vielleicht alle noch in Sicherheit bringen können, ging es Meradyce durch den Kopf.

Jetzt blickte er immer wieder verstohlen auf das Schwert des Mannes, und sie sah ihm an, dass er überlegte, wie er es an sich bringen konnte. Sie hoffte nur, der Knabe würde erkennen, wie aussichtslos ein solches Vorhaben war. Sie bezweifelte nicht, dass die Wikinger ihn auf der Stelle töten würden, falls er eine ihrer Waffen auch nur berührte.

Der große blonde Krieger verstärkte seinen eisernen Griff um ihr Handgelenk, und sie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.

Im Schein der Flammen von den brennenden Gebäuden sah er wie ein Dämon aus. Sein mit einem Nasenschutz versehener Helm bedeckte seinen ganzen Kopf einschließlich der Ohren, sodass nur sein bartloses Kinn sowie die vollen Lippen frei blieben; die Augen waren kaum zu erkennen. Das lange, ungebundene Haar reichte ihm fast bis auf die breiten Schultern.

In seiner freien Hand trug er eine gewaltige Streitaxt, die er beim Gehen hin und her schwingen ließ. Sein Mund wirkte grimmig, während er seine Gefangene abführte und sie zwang, sich seinen unerbittlich langen Schritten anzupassen.

Meradyce ließ den Blick über das Dorf schweifen; glücklicherweise konnte sie keine Leichen entdecken. Anscheinend hatten sich die anderen nach dem Warnruf zu den Höhlen flüchten können. Wie konnten die Wikinger nur erfahren haben, dass alle wehrhaften Männer zurzeit abwesend waren? Oder handelte es sich nur um einen reinen Zufall? Und wie kam es, dass der große Blonde der sächsischen Sprache mächtig war?

Unterdessen näherten sie sich dem Schiff der Wikinger.

Plötzlich befreite Adelar seinen Arm. Mit einem wilden Schrei zerrte auch Meradyce an ihrem Handgelenk. „Lauf, Adelar!“, rief sie, wodurch sie die Aufmerksamkeit ihres Häschers für einen Augenblick auf sich selbst lenkte. Adelar verschwand im Wald.

„Gott sei Dank!“, flüsterte sie aufatmend. Erst dann merkte sie, dass der blonde Krieger sie nicht mehr festhielt. Sie konnte jetzt auch fortlaufen …

„Adelar!“, jammerte Betha laut.

Meradyce rührte sich nicht. Sie konnte die kleine Betha unmöglich der Gnade dieser Männer überlassen.

Ein lauter Ausruf war zu hören, und dann kam Adelar wieder aus dem Wald herausgelaufen. Bevor Meradyce etwas sagen oder tun konnte, stürzte er sich auf den großen Wikinger.

„Gib sie frei!“, kreischte der Junge. „Du Feigling! Du Barbar!“

Der Krieger hielt den Knaben an den Schultern fest.

Meradyce eilte hinzu und packte den großen blonden Mann am Arm. „Nein!“, schrie sie. „Töte ihn nicht!“

Der Krieger blickte zu ihren Händen hinunter und hob dann wieder den Kopf. Seine Augen blitzten. „Der Than kann stolz auf dich und seine Kinder sein“, bemerkte er lächelnd und ließ dann Adelar los. „Und jetzt geht an Bord.“

Bevor er sie noch einmal berühren konnte, fasste Meradyce Adelar bei der Hand, trat auf den jüngeren Krieger zu und nahm ihm Betha ab. „Wir müssen gehen“, sagte sie leise und führte die Kinder zum Langschiff.

Der Anführer der Wikinger blieb am Ufer stehen, nahm seinen Helm ab und betrachtete Meradyce, die daraufhin den Blick rasch zu dem brennenden Dorf wandte.

Sie hatte davon gehört, dass sich bei den Wikingern sowohl die Männer als auch die Frauen das Gesicht bemalten, und nun sah sie, dass die Augen des blonden Kriegers von schwarzen Ringen umgeben waren. Das ließ das Gesicht mit den kantigen Wangenknochen und dem jetzt lächelnden Mund unheimlich dämonisch erscheinen.

Die anderen Wikinger begannen damit, das Schiff zu beladen. Meradyce trat zur Seite, setzte sich und zog die Kinder dicht zu sich heran. Der Anführer hatte zwar versichert, man würde ihnen nichts antun, was jedoch möglicherweise hieß, dass man sie in die Sklaverei verkaufen würde. Meradyce wusste, was mit Sklavinnen geschah; falls sie an einen Menschenhändler verkauft wurde, bekam der sie erst, nachdem sich jeder Wikinger an ihr vergnügt hatte.

Sie schluchzte auf, woraufhin die kleine Betha sie erschrocken und ängstlich anschaute. Meradyce rang um Beherrschung. Sie musste ganz stark sein.

„Es wird alles wieder gut werden“, versicherte sie tröstend und umarmte das Kind liebevoll. „Dein Vater ist ein großer Than. Man wird euch beiden nichts antun.“

Adelar warf ihr einen finsteren Blick zu. „Das will ich auch hoffen! Und dir dürfen sie auch nichts antun. Wenn ich mein Schwert hätte, dann …“

„Nein, Adelar!“, rief Betha und hielt ihren Bruder am Arm fest, als hätte er das erwähnte Schwert bereits gezückt. „Man wird dich umbringen!“

Meradyce zog den Jungen neben sich auf die Bank. „Betha hat recht, Adelar. Gegen so viele Krieger können wir nichts ausrichten.“

„Wir können …“

„Nichts können wir.“

Betha begann zu weinen, und Meradyce nahm beide Kinder in die Arme.

Unterdessen befanden sich alle Wikinger im Schiff, saßen auf ihren Bänken und warteten. Mit einer kleinen Truhe unter dem Arm sprang der große blonde Krieger jetzt ebenfalls an Bord. Auf seinen Befehl hin setzte sich das Schiff zur Flussmitte hin in Bewegung. Er selbst stellte sich im Bug neben den riesigen Drachenkopf, und sein muskulöser Körper folgte den Bewegungen des Schiffs, als wäre er ein Teil von ihm.

Meradyce wandte sich ab. Die Kinder dicht an sich gepresst, schaute sie zu den Flammen am Ufer hinüber, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

„Heilige Mutter! Seht nur!“

Kendrics Blick folgte der Richtung, in die der Mann wies. Am Horizont, dort, wo die Ansiedlung lag, stiegen schwarze Rauchfahnen in den morgengrauen Himmel. Mit einem lauten Schrei hob der Sachsenthan den Arm und bedeutete seinen Mannen, ihm nachzufolgen. Er selbst trieb sein Pferd zum Galopp an und hatte große Mühe, sich das Lächeln zu versagen.

Als er seinen Leuten befohlen hatte, ihn zu den Rinderherden zu begleiten, um sie vom Dorf wegzulocken, hatten alle geglaubt, so kurz vor Wintereinbruch würden sich die Wikinger nicht mehr so weit in das Land der Sachsen hineinwagen. Und normalerweise wäre das auch der Fall gewesen. Es hatte ihn nämlich mehr Geld gekostet, als ihm lieb war, um den Wikingerhäuptling zur Durchführung dieses Raubzuges zu bewegen. Allerdings hätte Kendric noch viel mehr bezahlt, wenn er nur Ludella los wurde.

Bei niemandem würde der Verdacht aufkommen, er selbst könnte etwas mit dieser Sache zu tun haben, und ganz bestimmt würde niemand ahnen, dass er diesen Überfall schon seit Monaten vorausgeplant hatte, genauer gesagt, seit jenem Tag, an dem er dahintergekommen war, dass sich seine Gattin einen Liebhaber zugelegt hatte.

Als er den Ehebruch mit Orwin, einem seiner Krieger, entdeckte, hatte er zunächst die Absicht gehabt, Ludella zu ihrem Vater zurückzuschicken. Ihr Vater war jedoch ein mächtiger Eldermann und Mitglied der königlichen Ratsversammlung. Ludella ging ihrerseits sehr vorsichtig vor, und andererseits war es im Dorf ein offenes Geheimnis, dass ihr Gatte ein Auge für hübsche Mädchen hatte. Sicherlich würde sie ihren Vater nicht nur von ihrer Unschuld, sondern auch davon überzeugen, dass Kendric der Ungetreue war und den Eheschwur nicht respektierte.

Nicht zum ersten Mal fragte er sich jetzt, ob seine Gattin gesehen hatte, wie er nach der Geburt seiner Tochter Meradyce umarmte. Hatte seine Frau erraten, dass er der jungen Hebamme mehr als nur Dankbarkeit für ihre Dienste entgegenbrachte? War das der Grund dafür gewesen, dass sich Ludella einen Liebhaber genommen hatte?

Sicherlich nicht. Und Meradyce war es auch gar nicht bewusst, dass sich hinter seinem Verhalten mehr als nur reine Zuneigung verbarg. Außerdem wusste jedermann, dass sie ihre Keuschheit wie eine Rüstung trug. Man konnte sich kaum vorstellen, wie es einem Mann jemals gelingen sollte, die junge Frau in sein Bett zu locken.

Auf jeden Fall war er, Kendric, jetzt frei und konnte mit einem Eheversprechen um Meradyce werben. Er war davon überzeugt, dass das ihre Schranken niederreißen würde.

Nicht dass er sie tatsächlich zu ehelichen gedachte. Sie war schließlich nichts als eine Hebamme, wenn auch eine sehr geschickte. Nein, er würde sich eine reiche Frau aus einer mächtigen Familie suchen, bevor er wieder heiratete. Er war immerhin ein gut aussehender, wohlhabender Than, der eines Tages ganz gewiss zum Eldermann aufsteigen würde.

Jetzt musste er erst einmal einen Grund und eine Gelegenheit finden, Orwin zu töten. Ludella hatte sich natürlich ausgerechnet so einen ganz gewöhnlichen Kerl aussuchen müssen, was andererseits jedoch auch den Vorteil hatte, dass man sich seiner recht einfach entledigen konnte.

Die sächsischen Krieger hatten unterdessen den Hügel erreicht, von dem aus man die zerstörte Ansiedlung überblicken konnte. Kendric sah die sich darin umherbewegenden Menschen. Er hatte die Wikinger nicht dafür bezahlt, dass sie auch noch die Häuser zerstörten, doch dass sie es getan hatten, gereichte ihm zu größter Freude.

Schon seit Langem hatte er den ganzen Ort erneuern, widerstandsfähigere Gebäude und eine prächtigere Halle für sich selbst errichten lassen wollen. Die geizigen Kaufleute hatten dagegen immer protestiert; jetzt indessen blieb ihnen keine andere Wahl, als seinem Vorhaben zuzustimmen.

Kendric konnte keine Leichen entdecken. Sehr gut. Wenn er eines bei dem Abkommen mit dem Wikingerhäuptling gefürchtet hatte, dann war es die Möglichkeit, dass dessen Krieger die Vereinbarungen nicht einhalten würden. Schließlich pflegten Wikinger ihr Wort fast genauso oft zu brechen, wie sie es gaben.

Was der Raubtrupp der Wikinger nicht hatte wissen können, war die Tatsache, dass Kendric ein weiteres Abkommen geschlossen hatte, und zwar mit Selwyn, dem sächsischen Kaufmann, der als Mittler diente. Dieser sollte nämlich nicht nur das Leuchtfeuer anzünden, sondern gleichzeitig auch Alarm schlagen, sobald die Wikinger eintrafen. Auf diese Weise würde seinem Volk genügend Zeit verbleiben, sich in den nahe gelegenen Höhlen zu verbergen.

Ludella war die Ausnahme. Sie würde sicherlich die Abwesenheit ihres Gemahls dazu benutzt haben, sich mit Orwin zu treffen. Kendric wusste, dass sie bei solchen Gelegenheiten immer fast die ganze Nacht ausblieb, doch stets vor Tagesanbruch wieder heimkehrte, damit die Dorfbewohner sie nicht sahen und keine Gerüchte über sie verbreiteten.

Es würde sie also außerhalb des Siedlungswalls erwischen, oder sie würde sich im Vorratsraum verstecken müssen. Auf keinen Fall jedoch würde sie sich in den Höhlen in Sicherheit bringen können. Die Wikinger würden ihr Opfer mit Leichtigkeit finden und Ludella an dem Kruzifix erkennen, das sie stets um den Hals trug. Und dann würden sie sie umbringen.

Kendric ritt seinen Mannen voran in die Ansiedlung ein. Dort stieg er vom Pferd und besichtigte den Schaden. Die Leute sammelten sich um ihn, und alles sprach nur von dem furchtbaren nächtlichen Überfall.

„Kendric!“

Er fuhr zusammen und drehte sich um. Ludella kam auf ihn zu.

Vom Qualm und vom Weinen waren ihre Augen gerötet, und ihr breiter, wenn auch dünnlippiger Mund wirkte wie eine böse Schnittwunde in ihrem Gesicht. „Du Bastard! Das alles ist allein deine Schuld!“

Er stützte die Hände auf die Hüften und wünschte im Stillen jeden einzelnen Wikinger in das immerwährende Höllenfeuer. „Was willst du damit sagen? Wer hätte ahnen sollen, dass sie so kurz vor Wintereinbruch angreifen?“

„Verfolge sie!“

„Was? Die befinden sich doch inzwischen wahrscheinlich längst auf hoher See.“

Ludella trat auf ihn zu, und zum ersten Mal bemerkte er die Verzweiflung in ihren Augen. „Du musst sie finden! Sie haben die Kinder!“

„Um Himmels willen!“ Kendric hasste zwar seine Gemahlin, doch seine Kinder liebte er – zumindest seinen Sohn.

Ludella nickte, und die Tränen rollten ihr über die rußigen Wangen. „Ja. Und Meradyce haben sie auch mitgenommen.“

Kendric blieb der Mund offen stehen. Schließlich klappte er ihn wieder zu. „Warum warst du nicht bei den Kindern?“

Selbst unter der Rußschicht konnte man deutlich sehen, wie Ludella erblasste. Zum ersten Mal in ihrem Leben fürchtete sie sich ernsthaft vor ihrem Gemahl. Sie wusste genau, dass er sie umbringen würde, falls sie ihm gestand, wie es sich verhielt: Bei dem Eintreffen der Wikinger war sie nämlich bereits in den Höhlen gewesen, wo sie sich mit ihrem Geliebten getroffen hatte.

„Meradyce hatte versprochen, die Kinder zu den Höhlen zu bringen“, log sie.

Kendric ließ den Blick langsam über ihren Körper gleiten, und sie fragte sich zum hundertsten Male, ob ihr Gatte sie verdächtigte, ihm untreu zu sein. „Wo ist dein Kruzifix, Frau?“, wollte er wissen.

Sie griff danach, doch dann fiel ihr ein, dass sie es ja Meradyce zur Aufbewahrung übergeben hatte. „Das habe ich in der Eile der Flucht verloren.“

Im Augenblick jedoch kümmerte sie weder ihr Gemahl noch ihr Liebhaber oder das nicht vorhandene Kruzifix. Sosehr Ludella Kendric verabscheute, so innig liebte sie ihre Kinder. „Kendric, du musst sie zurückholen!“

Er schüttelte bekümmert den Kopf. „Das ist unmöglich. Wir wüssten ja nicht einmal, wo wir zu suchen hätten.“

Und das stimmte. Nur Selwyn hätte Auskunft geben können, doch der war inzwischen sicherlich längst über alle Berge. Nachdem er den Alarm ausgelöst hatte, würde er sich bestimmt keinen Moment länger hier aufgehalten haben.

„Außerdem können wir es auch nicht riskieren, jetzt noch aufzubrechen und die Wikinger zu verfolgen“, schloss Kendric. Wenn es nämlich schon für die Wikinger mit ihren guten Schiffen und ihrem seemännischen Geschick gefährlich war, so spät im Jahr noch hinauszusegeln, dann war es doppelt so riskant für die Sachsen.

Kendric merkte, dass sich sein schöner Plan in eine Katastrophe verwandelt hatte: Seine Gemahlin lebte noch, fort war dagegen die Frau, die er liebte, und mit ihr waren auch seine Kinder verschwunden.

„Man wird sie alle töten!“, jammerte Ludella.

Da war Kendric anderer Meinung. Er wusste, dass sich Meradyce bei Betha und Adelar befand. Sie würde den Wikingern sagen, wessen Kinder sie entführt hatten, und dann würden die Barbaren wissen, was für eine kostbare Ware sie in Händen hatten, vorausgesetzt, die Kinder blieben unversehrt.

Welches Schicksal Meradyce beschieden war, konnte sich Kendric nur zu gut ausmalen. So schlimm es jedoch auch sein mochte, so trug es vielleicht dazu bei, dass seine Kinder unberührt blieben.

„Ich glaube nicht, dass man ihnen etwas antun wird“, erklärte er und strich sich den Bart. „Man wird sicherlich ein Lösegeld für sie verlangen. Wir werden zweifellos bald erfahren, wie viel man für ihre Herausgabe fordert.“

„Wie sollen wir das erfahren?“, fragte Ludella argwöhnisch. Kendric schalt sich im Stillen einen schwatzhaften Narren. Er durfte doch niemandem etwas von Selwyn verraten! Andererseits erwartete er, dass die Wikinger ihre Lösegeldforderung durch diesen überbringen lassen würden.

„Die Wikinger werden eine große Summe verlangen wollen, und für so viel Geld werden sie sich schon etwas einfallen lassen.“ Damit drehte er sich um und gab vor, aufmerksam einem seiner Soldaten zuzuhören. In Wirklichkeit wollte er nur nicht weiter mit seiner Frau reden müssen.

In seinem Kopf formte sich bereits ein Racheplan. Er wollte sich das beste Schiff bauen lassen, das je sächsische Gewässer befahren hatte, und dafür wäre er bereit, jeden Preis zu zahlen. Ferner wollte er Selwyn zwingen, ihm den genauen Standort der Wikingersiedlung zu verraten. Er wollte seine Mannen auf die Reise vorbereiten, und im Frühling würde er seine Kinder zurückholen. Und dann würde er Svend, diesen Wilden, für dessen Wortbruch zahlen lassen!

2. KAPITEL

Hätten sie sich nicht auf Björns bestem und von Lars gesteuertem Schiff befunden, würden sie sich wahrscheinlich alle schon in Ägirs Halle tief unten im Meer wiedergetroffen haben.

Die See ging hoch, und der aus Nord blasende Sturm war so frostig wie der Atem eines Eisriesen. Niemand war glücklicher als Einar, als sie in den Sund zwischen den vorgelagerten Inseln und der heimatlichen Küste einsegelten. Hier war das Wasser ruhiger, denn die Inseln verhielten sich wie eine Mole, die gegen die raue See schützte.

Noch glücklicher war er, als sie ihren heimatlichen Fjord kurz vor Nachteinbruch erreicht hatten. Einar atmete erleichtert auf und lächelte zu Lars hinüber.

Sein Freund, ebenfalls erschöpft von der Überfahrt, lächelte zurück. „Beim großen Thor, wie freue ich mich auf eine warme Mahlzeit und ein gutes Bier!“

Einar nickte und warf dann einen Blick auf die sächsische Frau. Sie hatte sich in einen Ledersack gewickelt, der tagsüber zur Aufbewahrung von Waren sowie Waffen und nachts als Schlafstatt diente. Einar glaubte nicht, dass die Frau schlief.

Wahrscheinlich hatte sie während der ganzen rauen Seereise überhaupt kein Auge zugetan, denn erstens fürchtete sie sich ganz offensichtlich vor ihm und seinen Männern, und zweitens waren die Kinder unterwegs fürchterlich seekrank geworden. Jetzt kuschelten sie sich unter seinem pelzgefütterten Umhang zusammen, den er ihnen während des Sturms überlassen hatte.

Auch nach dieser seiner Geste hatte die Frau immer das schöne Gesicht abgewandt, sobald er zu ihr schaute. Falls ihr alle diese Geschichten über Wikinger zu Ohren gekommen waren, fürchtete sie sich jetzt sicherlich davor, von ihm vergewaltigt zu werden.

Die anderen Krieger fragten sich inzwischen wahrscheinlich schon, weshalb er das bisher nicht getan hatte. Sie hielten nämlich die Vergewaltigung einer gefangenen Frau für einen amüsanten Sport und brüsteten sich immer mit ihren Kratzern und Bisswunden. Außerdem wurde behauptet, eine vergewaltigte Frau sei eine gehorsame Frau.

Einar dagegen zog Frauen vor, die ebenso wollüstig waren wie er selbst, doch diesmal war er versucht gewesen, die Gefangene zu nehmen, ob sie wollte oder nicht. Als der Sturm abgeklungen war, hatte er sich sogar gestattet, sich vorzustellen, die Sächsin würde ihn begehren und ihre Augen würden das deutlich verraten.

Solchen Träumereien hatte er sich jedoch nur ein einziges Mal hingegeben, denn sein Entschluss stand fest: Die Frau sollte ein Geschenk für Svend sein zum Dank dafür, dass dieser ihm das Kommando über sein Schiff übertragen hatte.

Einar hatte den Befehl seines Vaters missachtet, die Frau zu töten, und damit war er ein großes Risiko eingegangen. Mit diesem eigenmächtigen Handeln würde er in jedem Wikingerhäuptling den Verdacht erregen, selbst die Herrschaft übernehmen zu wollen, und wahrscheinlich vermuteten das auch einige seiner Männer bereits.

Er seufzte leise. Er konnte schon gar nicht mehr zählen, wie oft Ull angedeutet hatte, dass Svend langsam zu alt für einen Häuptling wurde und dass sein Sohn seinen Platz einnehmen sollte. Anscheinend begriff Ull nicht, dass Einar sich lieber selbst umbringen würde, als seinen Vater zu verraten.

Er hoffte sehr, dass das Geschenk nun alle Zweifel und Befürchtungen zerstreuen würde, die sein Vater vielleicht hegen mochte. Außerdem war dies auch die beste Möglichkeit, wenn man die anderen Männer davon abhalten wollte, sich um diese Frau zu schlagen.

Einar konnte allerdings nicht bestreiten, dass sie es durchaus wert war, dass man sich um sie schlug. Selbst ihre missliche Lage vermochte ihrer erstaunlichen Schönheit nichts anzuhaben, und zudem wusste er, dass sie – zumindest in gewisser Weise – sehr leidenschaftlich war. Das hatte er an ihrem Gesicht erkannt, als sie wild kämpfte, um die Kinder zu beschützen.

Es verblüffte ihn, wie sie diese Leidenschaft zu unterdrücken vermochte, nachdem die Schlacht geschlagen und für sie verloren war. Offensichtlich spürte sie, dass jeder weitere Widerstand zwecklos sein würde. Wenn sich meine Krieger nur ebenso schnell beruhigen könnten, dachte er. Die jedoch zankten sich immer ohne Sinn und Verstand wie die Kinder, wenn es um Sklaven oder Beutestücke ging.

Einar schaute die Frau wieder an, und er fühlte, wie sich sein Blut erhitzte. Nichts hielt ihn davon ab, sie gleich hier und jetzt zu nehmen. Svend würde das nicht kümmern. Im Gegenteil, er würde sich höchstens fragen, weshalb sein Sohn das nicht schon längst getan hatte.

Und trotzdem … Einar wollte nicht das Entsetzen in ihren Augen sehen, sondern das Begehren. Er wollte nicht gewaltsam zwischen ihre Beine dringen; die Frau sollte sich freiwillig für ihn öffnen.

Was wäre, wenn er sie doch für sich selbst behielte? Hamar, der im Bug saß, sprang plötzlich auf. „Gunnhild!“, rief er und winkte einer Frau am Ufer zu.

„Setz dich hin!“, fuhr Einar seinen Bruder an.

Hamar bedachte ihn mit einem finsteren Blick, sagte jedoch nichts. Er war sehr stolz auf seine hübsche junge Frau, die ihm in den nächsten Tagen ein Kind schenken würde. Als er glaubte, sein Bruder schaute jetzt woandershin, winkte er noch einmal zum Ufer hinüber.

Das entging Einar nicht. Sogleich trat er auf Hamar zu und versetzte ihm eine Ohrfeige. „Du magst mein älterer Bruder sein, doch ich bin der Befehlshaber dieses Schiffs. Vergiss das nicht!“

Hamar sah ihn grimmig an. „Dann wirst du mich an Land mit dem mir zukommenden Respekt behandeln!“

„Selbstverständlich, älterer Bruder.“ Einar grinste breit.

Lars sowie die meisten anderen Männer verbargen ihre Erheiterung. Dass Einar und Hamar aneinandergerieten, war nichts Neues, und jedermann wusste, dass die beiden es durchaus ernst meinten. Die beiden ältesten Söhne des Häuptlings verlangten den angemessenen Respekt nicht nur von allen Dorfbewohnern, sondern auch voneinander.

„Dort ist Ingemar“, rief Lars.

„Hm“, murmelte Einar, der die blonde Frau schon gesehen hatte, die neben Gunnhild stand.

Ingemar wurde in der letzten Zeit ein wenig zu fordernd und sprach immer davon, dass sie einmal seine Gemahlin werden würde.

Einar jedoch stand nicht der Sinn nach einem neuen Eheweib.

Eines hatte ihm vollauf gereicht.

Andererseits war Ingemar eine interessante Liebhaberin. Sie würde sicherlich sehr dankbar sein für die Geschenke, die er ihr möglicherweise von seinem Beutezug mitgebracht hatte.

Das Langschiff glitt jetzt zu seinem Anlegeplatz und machte fest. Die Männer begannen es zu entladen. Einar versuchte, die Sachsenfrau einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen und seinen immer stärker werdenden Wunsch zu unterdrücken, sie für sich zu behalten.

Meradyce befreite sich aus ihrem Ledersack und nahm die Kinder an die Hand, um sicher zu sein, dass sie sich stets dicht an ihrer Seite befanden.

Unterdessen gingen die Wikinger an Land. Meradyce schaute jedoch nicht nach ihnen, sondern nach den Schiffen, die hier festgemacht hatten. Sie sah fünf Landungsbrücken, und an jeder lag ein Schiff. Keines davon war jedoch so lang und so flach wie das, auf dem sie sich befand; die meisten wirkten wesentlich schwerer und robuster, und Meradyce überlegte, ob die Überfahrt in so einem stabilen Wasserfahrzeug nicht vielleicht angenehmer gewesen wäre.

Das unausgesetzte Schwanken ihres Schiffs hatte die Kinder sehr seekrank gemacht, sodass sie seit Beginn der Reise vor vier Tagen nichts hatten essen können. Meradyce hatte die meiste Zeit damit verbracht, sich um Betha und Adelar zu kümmern, die sich jämmerlich quälen mussten. Jetzt waren sie alle drei schwach und erschöpft.

Zumindest hatten sie die Schrecken des Unwetters überstanden. Der Schiffsrumpf schien sich im rauen Seegang regelrecht verwunden zu haben, eiskalte Stürme hatten sie gepeitscht, und die Wellen waren fast so hoch gegangen wie der Drachenkopf am Bug des Schiffs. Das Seewasser hatte Meradyce und die Kinder völlig durchweicht; sie zitterten vor Kälte, Furcht und Übelkeit und fühlten sich hundeelend.

Einmal, als der Sturm besonders heftig gewesen war und Meradyce schon meinte, dem Tod begegnet zu sein, hatte sich der Anführer der Wikinger zu ihr umgedreht. Sie hatte seinem Gesicht die Anstrengung und die Erschöpfung, jedoch keinerlei Furcht angesehen.

Seit diesem Moment war die Angst auch von ihr abgefallen.

Vielleicht weil sie wusste, dass die Wikinger vorzügliche Seeleute waren, oder vielleicht auch weil der Anführer ihr bisher nichts angetan hatte, fürchtete sie sich jetzt nicht mehr – weder vor ihm noch vor der rauen See.

Nachdem das Schiff dann ruhigere Gewässer erreicht hatte, war ihr bewusst geworden, dass die Mannschaft sie immer wieder anstarrte. Das galt besonders für zwei Rothaarige, die sich so ähnlich sahen, dass es sich um Brüder handeln musste. Die Art, wie die beiden Männer sie anglotzten, war es, was sie mit neuem Schrecken erfüllte.

Meradyce bezweifelte nicht, dass die Kerle sich weder um die Kinder noch um ihr, Meradyce’, Flehen gekümmert, sondern sie gleich im Vorratsraum vergewaltigt hätten, wären sie diejenigen gewesen, welche die drei in Kendrics Halle gefunden hätten.

Jetzt kam der Anführer zu der Bank, auf der Meradyce und die Kinder zusammengekauert saßen. „Steh auf“, befahl er. Sie gehorchte, ohne die Hände der Kinder loszulassen.

„Können sie allein laufen?“, wollte er wissen.

„Ich glaube, ja“, antwortete Meradyce, doch bevor sie sich mit den beiden in Bewegung setzen konnte, bückte sich der Wikinger hinunter und hob sich die kleine Betha auf den Arm. Er wollte Adelar bei der Hand nehmen, doch der Junge wich ihm aus und ging ohne Hilfe voran.

Der blonde Krieger lächelte ein wenig. „Folgt mir“, befahl er und führte sie an die Stelle des Schiffs, wo eine breite Planke den Zwischenraum bis zum Anleger überbrückte.

Während Meradyce über die Bordwand kletterte, blickte sie zu den Felsen hinauf, welche die enge Bucht umgaben. Sie hatte einmal gehört, dass das Land der Wikinger so kalt und leer sei wie ihre Herzen.

Als sie von der Planke auf den Anleger treten wollte, stolperte sie und wäre beinahe hingefallen, hätte sie sich nicht an einem großen Wasserfass festhalten können. Jemand kicherte, und sie schaute hoch. Ein paar Schritte entfernt stand eine hochgewachsene hellhaarige Frau und lachte sie aus.

Der Anführer der Wikinger war schon mit den Kindern vorausgegangen. Adelar hatte mit dem Laufen offenbar Schwierigkeiten, doch darauf nahm der Krieger keine Rücksicht.

„Warte!“, rief Meradyce.

Der Wikinger drehte sich langsam zu ihr um, und das Lächeln auf seinem Gesicht empfand sie als ebenso beleidigend wie das Lachen der Frau. Meradyce mochte seine Gefangene sein, doch noch war ihr nicht der ganze Stolz abhandengekommen. Sie hob das Kinn und machte einen Schritt vorwärts. Ihr war es, als schwankte der Boden, doch sie merkte gleich, dass das natürlich nicht stimmte; sie hatte sich nur an die ewige Bewegung des Schiffs gewöhnt.

Der Wikinger beobachtete sie. Die Kinder beobachteten sie.

Diese Frau beobachtete sie ebenfalls. Meradyce presste die Lippen zusammen und machte noch einen Schritt, und dann noch einen. Wenn sie sich sehr konzentrierte, gelang es ihr, fast normal zu laufen.

Die Frau lachte wieder und rief etwas. Der Mann nickte zu Meradyce hinüber und antwortete. Dann senkte er die Stimme und sprach mit der Frau weiter.

Meradyce beachtete das nicht, sondern betrachtete besorgt die beiden Kinder, die totenblass waren. Sie hoffte, dass gesunder Schlaf und kleine Essensportionen die Sache wieder ins Lot bringen würden.

Die Blonde warf lächelnd ihr langes Haar zurück, drehte sich um, blickte noch einmal über die Schulter zurück und ging dann fort.

„Bitte“, sagte Meradyce, als die Frau verschwunden war, „gibt es hier irgendwo einen Platz, wo sie schlafen können?“ Sie wies auf die Kinder.

Der Wikinger nickte und setzte seinen Weg fort, wobei er es Meradyce überließ, ihm zu folgen, so gut sie es konnte. Er führte sie den steilen Hügel hinauf zu einem Dorf, das von einem niedrigen Erdwall umgeben war. Innerhalb dieser Einfriedung standen mehrere aus Holz errichtete Langhäuser. Aus dem Loch in ihren Dächern stieg langsam Rauch auf.

Dies war eine recht kleine Siedlung, und Meradyce fragte sich im Stillen, wie ein scheinbar so unbedeutender Ort eine Streitmacht hervorbringen konnte, welche ein ganzes Schiff zu füllen, übers Meer zu segeln und das große Sachsendorf zu vernichten vermochte.

Wahrscheinlich stimmte es, was sie gehört hatte – dass nämlich viele Wikingerkrieger eigentlich Bauern waren, die während der Sommermonate zur See fuhren. Das hörte sich natürlich unglaubwürdig an, doch falls es tatsächlich so war, und wenn Bauern sich wirklich so aufs Kämpfen verstanden, dann verwunderte es nicht, dass die Sachsen immer danach trachteten, sie mit Geschenken zu besänftigen.

Unterdessen waren sie bei einem mächtigen Langhaus angekommen. Von draußen hörte Meradyce schon wilde Stimmen, die wie das Geheul eines Wolfsrudels klangen.

Einar stieß die Tür auf und wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das verräucherte Dämmerlicht gewöhnt hatten. Die meisten seiner Männer waren bereits halb betrunken, und einige von ihnen hatten zu singen begonnen.

Er trat ein und setzte das Mädchen auf die nächste Bank. Der Junge nahm neben der Kleinen Platz. Einar drehte sich um und vergewisserte sich, dass ihm die Sachsenfrau gefolgt war. Er wusste inzwischen, dass sie ihre Empfindungen zu verbergen verstand; jetzt wirkte sie in keiner Weise verängstigt, obwohl er nicht bezweifelte, dass sie sich fürchtete. Als sie ihn anblickte, meinte er sogar, so etwas wie Vertrauen in ihren blauen Augen zu erkennen.

Doch sie gehörte ja Svend …

Nein, noch nicht!

Er ging zu dem großen Wasserkessel, der vom Deckenbalken über einem der beiden Herde in Svends riesigem Langhaus herunterhing. Einar wusch sich rasch und hielt sich dabei immer wieder vor, dass er diese Frau seinem Vater übergeben musste. Es ging wirklich nicht anders.

„Einar!“, rief Svend und hob sein Trinkhorn zum Gruß. Einar fasste die Sachsenfrau beim Arm und zog sie in die Mitte der Halle.

„Nun, mein Sohn – ein erfolgreicher Raubzug, doch keine Sklaven, he?“ Svend schaute genauer hin, als er die Frau mit dem Kruzifix um den Hals sah. „Was soll das?“

Einar ließ die Frau los, die jetzt eigentlich tot sein sollte. Wie jedermann hier, so wusste auch er, dass der Häuptling zwar zu alt und zu fett für den Kampf zu sein schien, dass er jedoch noch immer jeden jungen Kerl zu schlagen vermochte, der dumm genug war, es darauf ankommen zu lassen.

Einar schritt so weit voran, bis er ganz dicht vor Svend stand, sodass nur diejenigen seine Worte hören konnten, die sich in unmittelbarer Nähe befanden und mithin die Vertrautesten seines Vaters waren. „Dies ist die Frau, die der Sachse getötet haben wollte, doch wie du selbst sehen kannst, wäre das eine unüberlegte Verschwendung gewesen.“

Er trat hinter sie und fasste ihr Gewand im Rücken so fest zusammen, dass jedermann ihre erregenden Formen bewundern konnte. „Sie ist mein Geschenk für dich, Svend“, fuhr er mit erhobener Stimme fort. „Und für ihre Kinder werden wir Lösegeld fordern.“

In Svends Augen – und in den Augen aller anderen Männer in dieser Halle – glühte die Wollust. Einar ließ das Gewand los. Svend erhob sich aus seinem Sessel und kam heran. „Bei Odin sie ist tatsächlich ein prächtiges Weib, Einar!“

Die Sachsenfrau zitterte, doch kein Laut entwich ihren Lippen.

Svend schlug Einar auf die Schulter und warf ihn dabei fast um. „Ich danke dir für dein Geschenk, mein Sohn, doch ich glaube, meine Ehefrauen werden das nicht tun.“

Alle Männer lachten – bis auf Einar und Svend.

Der Häuptling betrachtete die Kinder. „Das sind ihre, ja?“

„Jawohl. Dies sind die Kinder des sächsischen Thans.“

„Bei Odin, er wird wütend sein! Doch er wird sicherlich hübsch dafür bezahlen, um sie zurückzubekommen. Sehr schlau von dir, mein Sohn, daran zu denken.“

Einar blickte seinem Vater in die Augen und erkannte, dass dieser keineswegs so zufrieden war, wie er sich gab. Svend kehrte zu seinem massiven Eichenholzsessel zurück.

„Nimm du sie. Es ist mein Geschenk an dich als Dank dafür, dass du das Schiff heil heimgebracht hast.“

Einar blickte seinen Vater an und nickte dann. Er fasste die Frau beim Arm, führte sie zu der Bank, auf der die Kinder saßen, und ließ sich neben ihr nieder. Zum ersten Mal kamen ihm jetzt Zweifel. Vielleicht hätte er die Sächsin doch lieber umbringen sollen. Sein Vater war mit ihm unzufrieden, und einigen Männern, ganz besonders Ull, war die Eifersucht anzusehen.

Doch das kümmerte ihn weniger als die Reaktion seines Vaters. Einar hatte dessen Befehle missachtet und die Vereinbarung mit dem sächsischen Verräter gebrochen. Es war nicht Svends Gewohnheit, Ungehorsam zu belohnen, so gerechtfertigt dieser auch sein mochte.

Dennoch war der verhohlene Zorn seines Vaters und dessen verwirrendes Verhalten nicht der Hauptgrund für Einars Unbehagen. Ihn beschlich nämlich langsam das Gefühl, dass diese Frau irgendeine Macht über ihn ausübte. Er vertrieb diesen Gedanken wieder und sagte sich, dass es nur ihr Körper war, den er begehrte. Welchem Mann würde es anders gehen?

Ingemar schlenderte mit einem Trinkhorn zu ihm heran. Er lächelte ihr entgegen. Sie betrachtete die Sachsenfrau langsam von Kopf bis Fuß. „Nun, Einar?“, fragte sie dann. „Möchtest du etwas?“

„Ja. Fürs Erste etwas zu trinken“, antwortete er. Sie beugte sich tief zu ihm hinunter und überreichte ihm das Trinkhorn. Einar lächelte, schob die Hand in ihr loses Gewand und liebkoste ihre Brüste. Er war zu lange ohne Frau gewesen.

Ingemars Atem ging schneller, und Einar wusste, dass er ihr nur zuzublinzeln brauchte, wenn er wollte, dass sie ihn draußen erwartete.

Das kleine Mädchen neben ihm hustete, und er zog seine Hand aus Ingemars Ausschnitt. „Könntest du bitte Brot und etwas zu trinken für die Kinder holen?“, fragte er sie.

Ingemar befeuchtete sich die Lippen und nickte. Mit einem triumphierenden Blick auf die Sachsenfrau drehte sie sich um und ging davon.

Meradyce beobachtete den blonden Wikinger neben sich verstohlen. Sie hatte genug verstanden, um zu wissen, dass sie dem alten Mann angeboten worden war, der hier der Häuptling zu sein schien. Offenkundig hatte dieser sie abgelehnt. Warum, wusste sie nicht, und sie konnte es sich auch nicht denken. Sie war einfach nur ungeheuer erleichtert, dass der Mann sie nicht angenommen hatte.

Wenn sie überhaupt irgendeinem Mann hier gehören sollte, dann würde sie sich den großen Blonden neben sich aussuchen. Auf der Überfahrt hatte sie gemerkt, dass er anders war als die Wikingerkrieger, von denen sie gehört hatte. Er hatte sie weder vergewaltigt noch sonst irgendwie verletzt. Den Kindern hatte er seinen Umhang gegeben, obwohl er ihn doch bestimmt selbst gebraucht hätte. Er hatte Adelar Verständnis entgegengebracht und vielleicht sogar den Stolz des Jungen respektiert.

Hier unter seinem eigenen Volk schien er so zu sein, wie man sich die Wikinger vorstellte, nämlich ein saufender, geiler Kerl mit hartem, kaltem Gesicht und rauen Manieren. Dennoch war Meradyce noch immer davon überzeugt, dass er ihr nichts antun würde. Natürlich war sie entsetzt gewesen, als er dem hellhaarigen Mädchen die Hand in den Ausschnitt geschoben hatte; dem Blick der jungen Frau nach zu urteilen, war dies indessen offensichtlich gar kein so ungewöhnliches Benehmen, jedenfalls dieser Frau gegenüber nicht.

Meradyce merkte, dass der Wikinger sie anschaute. Sie fühlte seinen Blick fast körperlich, und ein Kribbeln lief ihr über den Rücken. Sie versuchte, es nicht zur Kenntnis zu nehmen, und den Mann auch nicht.

Die hellhaarige Frau kehrte mit Brot zurück und gab es ihr mit einem feindseligen Blick. Meradyce war schon oft der Eifersucht begegnet und erkannte sie auch hier sofort wieder.

Vielleicht war diese Frau ja die Gemahlin des Wikingers. Das vermochte Meradyce jedoch auch nicht sonderlich zu trösten, denn obwohl es bedeutete, dass er sie auch weiterhin nicht anrühren würde, so blieb sie doch nichts als eine Gefangene, die wie jede andere Ware auch verkauft und gekauft werden konnte.

Sie ließ sich indessen ihre kleinen Hoffnungen und ihre großen Befürchtungen nicht anmerken, sondern brach scheinbar gelassen das Brot. Mit freundlichen Worten und sanftem Drängen überredete sie die Kinder zum Essen.

„Ich will nach Hause“, jammerte Betha leise, und in ihren dunklen Augen standen Tränen.

„Das will ich auch. Trotzdem müssen wir hier noch eine Weile bleiben, bis dein Vater uns holen kommen kann.“ Meradyce nahm das kleine Mädchen fest in den Arm und schaute sich dabei in dem großen Raum um. Zum ersten Mal fielen ihr jetzt die herrlichen Wandbehänge auf. Sie waren vermutlich geraubt und wurden jetzt ausschließlich dazu benutzt, um die Kälte der Außenwände abzuwehren. Dass sie von ausgesuchter Schönheit und mit großer Kunstfertigkeit hergestellt waren, wurde hier wohl kaum bewundert.

„Komm!“, befahl der Wikinger unvermittelt. Er stand auf und zog Meradyce ebenfalls hoch. Sofort schauten sämtliche Männer in der Halle zu ihnen her, brüllten schlüpfrige Bemerkungen und grinsten so schwachsinnig wie alle Narren, die nur das eine im Kopf hatten.

Meradyce rührte sich nicht. Sie wollte nicht mit ihm gehen, und sie hatte auch Angst davor, die Kinder hier allein zurückzulassen. Betha klammerte sich an ihrem Gewand fest. Adelar sprang auf und ballte die Hände zu Fäusten.

„Nimm sie mit“, befahl der Wikinger rau.

Meradyce erwiderte nichts und blickte ihn auch nicht an. Sie nahm die Kinder an die Hand und folgte ihm mit unsicheren Schritten, die nichts mit den Auswirkungen der tagelangen Seefahrt zu tun hatten.

Der Wikinger führte sie aus dem Langhaus. Es war inzwischen Nacht und noch kälter als zuvor geworden. Meradyce fröstelte. Sie nahm Betha auf den Arm, die so fror, dass ihre Zähne klapperten.

Der Mann führte sie zu einem Haus, das nicht weit von der Halle des Häuptlings entfernt stand. Er schlug die Tierhaut zurück, welche den Eingang bedeckte, und bedeutete Meradyce, sie möge eintreten. Sie zögerte einen Moment, leistete dann jedoch der Aufforderung Folge. Bisher hatte er sie vor den Kindern nicht gedemütigt; sie hoffte, dass er auch jetzt nicht beabsichtigte, dies zu tun.

Im Haus befand sich eine ältere Frau. „Einar!“, rief sie aus und trat herzu.

„Das ist meine Mutter“, erklärte der Wikinger. „Sie stammt aus dem Sachsenland wie du.“

Meradyce stellte die kleine Betha auf den Boden und schaute dann die ältere Frau an. Jetzt wusste sie auch, weshalb der Mann ihrer eigenen Sprache mächtig war.

Von der Rückseite des Gebäudes kam ein junges Mädchen mit dichtem rotgoldenem Haar herbei und schaute die Ankömmlinge aus großen grünen Augen an. Zwar schwieg das Mädchen, doch Meradyce gewann den Eindruck, als verberge sich hinter dem nichtssagenden Gesicht ein sehr wacher Geist.

„Das ist meine Tochter“, sagte der Wikinger.

Autor

Margaret Moore

Ihre ersten Schreibversuche als Autorin machte Margaret Moore mit acht Jahren, als der verwegene Errol Flynn sie zu einer Geschichte inspirierte. Wenig später verfiel sie dem kühlen Charme von Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise. Er ließ bei sich keine Emotionen zu – ganz anders als die Helden in ihren Romances!...

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