Der Duke, der mich betörte

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Einst ist seine Braut Georgianna mit einem Franzosen durchgebrannt - jetzt steht sie vor ihm! Zachary Black, Duke of Hawksmere sinnt auf Rache und entführt sie. Er müsste Georgianna hassen, doch stattdessen wächst sein Verlangen ins Unermessliche. Der Duke zweifelt: Kann er es wagen, ihr noch einmal sein Herz anzuvertrauen?


  • Erscheinungstag 31.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734718
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ende Februar 1815, vor dem White’s Club in London

Was zum …?“ Zachary Black, der Duke of Hawksmere, stand vor dem offenen Schlag seiner Kutsche und sah eine Person in der schattigen Ecke des Wagens. Die Laterne im Inneren schien so schwach, dass er nicht erkennen konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. „Lamb?“ Er drehte sich um und bedachte seinen Kutscher mit einem vorwurfsvollen Blick. Im flackernden Licht der Lampe funkelten seine grauen Augen.

Der Mann mittleren Alters richtete sich auf. „Sie hat mir gesagt, dass Sie sie erwarten würden, Euer Gnaden“, antwortete er unsicher.

Also ist eine Frau in meine Kutsche eingedrungen, dachte Zachary missmutig. Aber mit Sicherheit keine Frau, die ich erwartet hätte.

Es sei denn …

Er hatte soeben den Abend und die halbe Nacht mit seinen vier besten Freunden in seinem Klub verbracht, um die anstehende Hochzeit von Marcus Wilding zu feiern. Die Hochzeit zwischen dem Duke of Worthing und seiner Herzensdame Lady Julianna Armitage würde später am Tag stattfinden.

Letztes Jahr hatte Zachary für kurze Zeit selbst mit dem Gedanken gespielt, zu heiraten. Das Testament seines Vaters hatte ihn gezwungen, sich mit dem Thema Ehe auseinanderzusetzen. Aber sein Versuch, eine Frau zu finden, war auf so drastische Art und Weise gescheitert, dass es ihm widerstrebte, diese Erfahrung zu wiederholen. Trotz seiner eigenen eher zynischen Haltung wünschte er Worthing jedoch nur das Beste für die Zukunft. Im Grunde hatte er genau das die ganze Nacht lang getan. Der Morgen würde nun bald heraufdämmern.

Daher überlegte Zachary jetzt, ob die Frau in seiner Kutsche vielleicht Teil der Hochzeitsfeierlichkeiten war. Womöglich ein Geschenk von Worthing? Vielleicht erlebten Zacharys andere drei Freunde gerade eine ähnliche Überraschung in ihren Kutschen?

Das konnte sein, aber Zachary wollte lieber Vorsicht walten lassen, bis er vom Gegenteil überzeugt wäre. Auch wenn der Krieg gegen Napoleon beendet war und der Korse derzeit auf Elba festsaß, lebten sie immer noch in gefährlichen Zeiten. Dass eine Unbekannte in seiner Kutsche saß, war Grund genug, um auf der Hut zu sein.

„Nach Hawksmere House, Lamb“, wies er seinen Fahrer an und stieg in die Kutsche ein, bevor der Schlag hinter ihm geschlossen wurde. Er setzte sich auf den Platz gegenüber der geheimnisvollen Frau und legte seinen Hut auf den Platz neben sich, während die Kutsche losfuhr.

Zachary hatte sich mittlerweile genug an die Dunkelheit gewöhnt, um ausmachen zu können, dass die Fremde von Kopf bis Fuß mit einem schwarzen Umhang bekleidet war. Außerdem trug sie einen Schleier. Er konnte nicht sagen, ob sie alt oder jung, dünn oder dick war.

Ob eine Absicht dahintersteckte, dass die Frau sich derart verhüllt hatte?

Mit Sicherheit.

Zachary blieb still. Da diese Frau ihn aufgesucht hatte, war es an ihr, das Gespräch zu eröffnen.

Ihm zu erklären, ob sie Freund oder Feind war.

Georgiannas Herz schlug wie wild in ihrer Brust, als sie den stummen, aufmerksamen Zachary Black, den Duke of Hawksmere, betrachtete. Wenn dieser Mann ihre Identität aufdecken würde, hätte er allen Grund, sie zutiefst zu verachten. Es hieß, dass der unnahbare, zynische Zachary Black überaus gefährlich sei, wenn er jemanden nicht leiden konnte.

Ein Schaudern unterdrückend, richtete sich Georgianna kerzengerade auf und begrüßte ihn mit heiserer Stimme: „Euer Gnaden.“

„Madam.“ Er nickte ihr kurz zu. Sein modisch geschnittenes, längeres Haar sah in dem schwachen Licht rabenschwarz aus. Die grauen Augen hatte er zu schmalen Schlitzen in seinem adlerähnlichen Gesicht verengt. Er hatte dunkle Brauen über den hellen, glänzenden Augen. Seine markanten Wangenknochen betonten die fein geschwungenen Lippen, die er jetzt zu einer schmalen Linie verzog.

Unwillkürlich blickte Georgianna auf die Stelle unterhalb seines überheblichen Gesichtsausdrucks, wo eine Narbe über dem Hemdkragen zu sehen war. Sie war so lang und geradlinig, dass es den Anschein machte, als hätte ihm jemand die Kehle durchschneiden wollen. Gewiss war das auch die Absicht des Franzosen gewesen, der ihn – Gerüchten zufolge – mit einem Säbel verletzt hatte.

Einen weiteren Schauder unterdrückend, beeilte sich Georgianna wieder in das schattige, finstere Gesicht zu schauen. „Ich weiß, dass mein Erscheinen in Ihrer Kutsche eine … eine eher unkonventionelle Art und Weise ist, mit Ihnen in Kontakt zu treten.“

„Ich würde sagen, das hängt von Ihren Beweggründen ab“, erwiderte er sanft.

Georgianna verschränkte ihre behandschuhten Hände unter dem schwarzen Umhang fest ineinander. „Es gibt … Ich habe wichtige Informationen, die ich einem … einem Bekannten von Ihnen mitteilen muss.“

Der Mann, der vor ihr in der Kutsche saß, verharrte reglos. Seine Miene blieb genauso arrogant wie zuvor, aber hinter jener gleichgültigen Fassade spürte Georgianna plötzlich eine wachsame Anspannung.

„Tatsächlich?“, murmelte er herablassend.

„Ja.“

Er hob die dunklen Brauen. „Dann vermute ich, dass Sie nicht in meine Kutsche eingedrungen sind, um für den Rest der Nacht das Bett mit mir zu teilen?“

„Natürlich nicht!“ Empört lehnte sich Georgianna in dem weich gepolsterten Sitz zurück.

Ein paar Sekunden lang musterte er sie mit erbarmungslosem Blick aus zusammengekniffenen grauen Augen. „Schade“, sagte er schließlich achselzuckend. „So hätte ich diese überaus erfreuliche Nacht gebührend ausklingen lassen können. Nun, sagen Sie, was das für wichtige Informationen sind, die Sie jenem Bekannten von mir so dringend mitzuteilen haben. Sind die Informationen denn so bedeutsam, dass Sie sich solch einer List bedienen müssen, anstatt mich tagsüber bei mir zu Hause aufzusuchen?“, fragte er spöttisch.

Jetzt, da sie Zachary Black von Angesicht zu Angesicht gegenübersaß, stellte sich Georgianna dieselbe Frage.

Nur wenige Menschen würden wohl überhaupt jemals freiwillig an den hochmütigen und scharfzüngigen Duke of Hawksmere von zweiunddreißig Jahren herantreten.

Zwar war sein Können auf dem Schlachtfeld mit dem Schwert und der Pistole legendär – ebenso wie seine Fähigkeiten im Schlafgemach. Aber es hieß, dass dieser Mann in beiden Bereichen dieselbe Kühle und Unbarmherzigkeit walten ließ.

Eine Kühle und Unbarmherzigkeit, die er gerade mit aller Entschiedenheit zum Ausdruck brachte – wie man ihm nachsagte.

Daher hätte er sicherlich auch nicht gezögert, die Kutsche anzuhalten und Georgianna kurzerhand hinauszuwerfen, falls sie ihm lästig fiele.

Das könnte natürlich immer noch passieren.

Sie holte tief Luft. „Ich habe gehört – oder besser gesagt –, ich habe guten Grund zu der Annahme, dass Sie über gewisse … Verbindungen zur Regierung verfügen.“

Zachary blieb träge auf dem weich gepolsterten Sitz seiner herrschaftlichen Kutsche sitzen. In seinem Gesicht trug er weiterhin Spott und Langeweile zur Schau. Doch innerlich war er in Aufruhr geraten, denn es gefiel ihm ganz und gar nicht, wie sich diese Frau so zögerlich nach seinen Kontakten erkundigte.

Er konnte nur hoffen, dass sie lediglich vermutete, dass er als Agent für die britische Krone arbeitete. Außer seinen Auftraggebern wusste nämlich niemand etwas von seiner Tätigkeit. Geheimhaltung galt bei seinen Aktivitäten als oberste Priorität.

Er machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. „Ich habe viele Bekannte im Parlament, falls Sie darauf anspielen.“

„Wir wissen beide, dass ich das nicht meinte.“

„Ach, tatsächlich?“ Verdammt, wer war diese Frau?

Der hellen und atemlosen Stimme nach zu urteilen, handelte es sich um eine jüngere Frau. Womöglich war sie nicht verheiratet, wenn ihre Reaktion auf seinen Vorschlag, das Bett mit ihm zu teilen, als Hinweis darauf zu werten war. Aufgrund ihres Akzents und ihrer Art zu reden war sie sicherlich gebildet, doch wegen des Schleiers konnte er nicht sagen, ob sie helles oder dunkles Haar hatte, geschweige denn, ob sie dick oder dünn war.

„Ja“, bestätigte sie resolut.

„Ich befürchte, dass ich Ihnen gegenüber im Nachteil bin, Madam. Sie behaupten, so viel über mich zu wissen, wohingegen ich nicht einmal Ihren Namen kenne“, sagte Zachary abweisend.

Georgianna konnte sich nicht vorstellen, dass der selbstgerechte Zachary Black in seinem privilegierten Leben jemals im Nachteil gewesen wäre – genauso wenig wie er es jetzt war. Schließlich fuhren sie in seiner Kutsche, und letztlich hatte er alle Macht darüber, wie ihr Gespräch verlaufen würde – so wie er über alles und jeden, der in seiner exklusiven Welt verkehren durfte – oder es sich traute –, Macht ausübte.

Seine Stärke, seine Nähe drohten sie schlichtweg zu überwältigen.

Die direkte Art und die einnehmende Persönlichkeit des Dukes hatte sie vergessen – vielleicht auch vergessen wollen. Er roch nach guten Zigarren und Brandy – zweifellos von der Nacht mit seinen Freunden im Klub. Zudem nahm Georgianna eine leichte Note nach Zitronen und einen erdigen Duft wahr, der vermutlich von ihm selbst stammte.

Sich jetzt nach allem, was sie durchgemacht hatte, von der eigenen Aufregung und der Abneigung gegen diesen Mann aus dem Konzept bringen zu lassen, wäre ihrem Vorhaben alles andere als dienlich.

„Sie müssen nicht wissen, wer ich bin, um ein Treffen mit einem jener Herren für mich zu arrangieren“, erklärte sie, nachdem sie sich gesammelt hatte.

„Diese Entscheidung liegt bei mir, meinen Sie nicht?“ Gemächlich schnippte der Duke einen Fussel vom Ärmel seines schwarzen Frackrocks, bevor er aufsah und sie mit einem Blick aus seinen kühl glänzenden Augen zu durchbohren schien. „Warum wenden Sie sich in dieser Angelegenheit überhaupt an mich? Warum haben Sie nicht einfach einen Termin vereinbart und Ihr Wissen mit dem betreffenden Herrn direkt geteilt?“

Georgianna senkte den Blick. „Weil ich es stark bezweifle, dass dieser Mann sich ohne Weiteres mit einer Frau treffen würde. Dazu benötige ich die Empfehlung von jemandem wie Ihnen.“

„Sie unterschätzen den Einfluss Ihres Geschlechts, Madam“, erwiderte Hawksmere lapidar.

„Glauben Sie?“ Georgianna hatte ihre Zweifel.

Vor zehn Monaten war sie gerade einmal Ende neunzehn Jahre alt gewesen, als ihr Vater in ihrem Namen den Heiratsantrag eines einflussreichen Adligen angenommen hatte, ohne auch nur darüber nachgedacht zu haben, ob Georgianna in solch einer Ehe glücklich werden könnte.

Mein verstorbener Vater, erinnerte sie sich und spürte ein dumpfes Gefühl im Magen. Erst gestern hatte sie bei ihrer Rückkehr nach England erfahren, dass ihr Vater vor neun Monaten gestorben war. Der Groll, den sie wegen jenes Verrats gegen ihn gehegt hatte, war wie verflogen.

„Ja, das glaube ich“, antwortete Hawksmere schroff. „Wie dem auch sei – ich verspüre keinerlei Neigung, meine Zeit mit einer Frau zu verschwenden, die mir noch nicht einmal ihren Namen verrät – die gelogen hat, um sich mir zu nähern. Aber wahrscheinlich ist solch ein ungebührliches Benehmen für Sie ganz normal.“

Georgianna hatte mit seinem Misstrauen und Zynismus gerechnet, denn sie wusste, dass der Duke nur sehr wenige Leute in den Kreis seiner engsten Vertrauten ließ – abgesehen von den vier Freunden aus seiner Schulzeit, die ebenfalls Dukes waren. Sie wusste auch, dass er mit jenen vier Freunden die halbe Nacht gefeiert hatte.

„Wer ich bin, ist vollkommen nebensächlich. Entscheidend ist, dass meine Informationen äußerst wertvoll sind – und wahr“, erwiderte sie standhaft.

„Das ist Ihre Meinung.“

„Das wäre die Meinung eines jeden Patrioten.“

Angesichts ihrer Heftigkeit zog Zachary Black süffisant eine Augenbraue hoch. „Ein Patriot von welchem Land, Madam?“

„Selbstverständlich von England.“ Georgianna sah ihn mit stechendem Blick unter dem Schleier an.

„Ach so, von England“, entgegnete er trocken. „Bitte verzeihen Sie meine Unwissenheit, aber ich dachte, England befinde sich derzeit gar nicht im Krieg. Haben wir nicht erst letzten Sommer den Friedensabschluss gefeiert?“

„Genau aus diesem Grund …“ Georgianna nahm einen tiefen, beruhigenden Atemzug. Es wäre unklug gewesen, in der Gegenwart dieses Mannes die Beherrschung zu verlieren, denn er würde eine solche Schwäche mit großer Wahrscheinlichkeit ausnutzen. „Kann ich auf Ihre Verschwiegenheit vertrauen?“

Wieder zog er die Brauen hoch. „Hätten Sie das nicht herausfinden sollen, bevor Sie planten, in die Privatsphäre meiner Kutsche einzudringen?“

Aber das hatte sie doch! Georgianna hatte alles gewissenhaft durchdacht. Nie hätte sie sich an den Duke of Hawksmere gewandt, wenn sie nicht überzeugt davon gewesen wäre, dass er genau die Sorte Mann war, mit der sie reden musste.

Aber jetzt, da sie allein mit ihm in seiner Privatkutsche saß und sich ihr die perfekte Gelegenheit bot, ihm ihr Anliegen vorzutragen, kamen ihr Zweifel.

Das ganze Land sah im Duke of Hawksmere einen wahren Kriegshelden. Er hatte lange und tapfer in Wellingtons Armee gekämpft und war schwer verletzt worden. Dass er auch als Agent für die Krone arbeitete, war zwar weithin ein Geheimnis, aber nicht weniger heldenhaft. Es war Georgiannas persönliche Abneigung gegen ihn, die sie jetzt zögern ließ.

So allein mit Hawksmere in seiner Kutsche und so unglaublich überwältigt von seiner Gegenwart konnte Georgianna nur daran denken, dass diesem Mann der Ruf vorauseilte, rücksichtslos zu sein.

Sie straffte die Schultern, als würde sie in einen Kampf ziehen. „Sie können mir so viel vorspielen, wie Sie wollen, Euer Gnaden, aber ich bin mir sicher, dass Sie mein Anliegen weiterleiten werden, wenn wir uns erst etwas länger unterhalten haben.“

Zachary musste zugeben, dass er neugierig geworden war – und zwar nicht nur auf die Informationen, die diese junge Frau so dringend überbracht wissen wollte. Auch die Person dahinter interessierte ihn. Sie erschien zwar jung und gebildet, war ihm aber auch ein bisschen naiv vorgekommen, als sie ihre unbedingte Loyalität zu England verkündet hatte. Ob sie nur ein wenig blauäugig tat, um ihn zu täuschen?

Zudem fragte sich Zachary immer noch, wie sie wohl unter dem Umhang aussah, der sie verhüllte.

War sie blond oder dunkelhaarig? Schön oder unansehnlich? Schlank oder fülliger?

Zachary war jetzt sehr gespannt darauf, die Antwort auf all diese Fragen zu bekommen. Er wollte diese junge Frau ansehen – und sei es nur, um ihr ins Gesicht schauen und selbst abschätzen zu können, ob sie die Wahrheit sprach oder nicht. Wenn er in den letzten vier Jahren bei seiner Arbeit für die Krone eines gelernt hatte, dann dass er niemandem außer seinen besten Freunden trauen durfte. Das hier könnte eine ausgeklügelte Falle sein, um sein Interesse zu erregen und dieser mysteriösen Frau zu ermöglichen, falsche Informationen an die englische Regierung weiterzugeben.

Und sein Interesse war definitiv geweckt.

So sehr, dass er den Wein und den Brandy, den er zuvor mit seinen Freunden genossen hatte, gar nicht mehr spürte.

Er würde diese junge Frau nicht aus seiner Kutsche lassen, bevor er nicht herausgefunden hätte, wer sie war und woher sie Dinge über ihn wusste, die sie nicht hätte wissen dürfen.

Flüchtig schaute er aus dem Fenster und stellte fest, dass die Morgendämmerung gerade über den Dächern Londons eingesetzt hatte.

„Dürfte ich in diesem Fall vorschlagen …“, er wandte sich wieder der jungen Frau zu und konnte jetzt ansatzweise ein blasses, ovales Gesicht unter dem Schleier erkennen, „… dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, um mir zumindest einen Teil dieser Informationen anzuvertrauen? In wenigen Minuten werden wir vor meinem Haus vorfahren.“

Unter dem Umhang knetete sie aufgeregt die Hände. „Ich … Es betrifft das Vorhaben einer … einer gewichtigen Person, die sich derzeit auf einer Insel im Mittelmeer aufhält.“

Zachary musste all seine Willenskraft zusammennehmen, um keine Reaktion auf diese Aussage zu zeigen. Wenn er jetzt auch nur mit der Wimper zuckte, würde er ihr verraten, dass es ihn äußerst reizte, mehr zu erfahren.

Wer zum Henker war diese Frau?

Was wusste sie genau?

Wieder schaute er aus dem Fenster, so als würde ihn das Gespräch langweilen. „Soweit ich weiß, hält sich derzeit keiner meiner Bekannten auf einer Mittelmeerinsel auf.“

„Ich habe nicht gesagt, dass er ein persönlicher Bekannter von Ihnen sei …“

„Dann verstehe ich nicht, warum das Ganze für mich von Belang sein sollte“, unterbrach Zachary sie. Allein zu erwähnen, dass es sich bei der vermeintlichen Person um einen Mann handelte, könnte brisant sein.

Zachary hatte seinen Kutscher zwar selbst ausgesucht und vertraute ihm bedingungslos. Doch er wollte dieses Vertrauen nicht auf die Probe stellen, indem Lamb sein Gespräch mit dieser Frau beziehungsweise ihre Anspielung, dass er als Geheimagent für die Krone arbeitete, mithörte.

Die Fremde, die ihm am anderen Ende der großen Kutsche gegenübersaß, sah ihn jetzt unter ihrem Schleier aus glänzenden dunklen Augen an. Vielleicht waren sie braun oder dunkelblau – er konnte es nicht ausmachen.

„Ich versichere Ihnen, dass das, was ich mitzuteilen habe, durchaus für Sie von Belang ist …“

„Ich befürchte, es bleibt keine Zeit mehr.“ Kühl erwiderte Zachary ihren Blick, während die Kutsche vor Hawksmere House anhielt. „Möchten Sie vielleicht mit hineinkommen, um unser Gespräch drinnen weiterzuführen?“

Sagte der Fuchs zum Hasen, fügte Georgianna im Stillen hinzu, während ihr vor banger Vorahnung schauderte. Mit diesem Mann allein in seiner Kutsche zu sein, war schon eine große Herausforderung gewesen. Zachary Blacks Haus zu betreten, war eine Grenze, die sie nicht überschreiten würde.

Das traue ich mich nicht, auch wenn viele etwas anderes von mir denken würden, dachte sie schwermütig, denn sie wusste, dass ihr gesellschaftlicher Ruf ruiniert war. Aber unter Hawksmeres eisigem, verurteilendem Blick würde sie es bestimmt nicht wagen, ihm in sein Privathaus zu folgen.

Was würde er sagen oder tun, wenn er herausfände, wer sie war? Würde er sie genauso meiden wie der Rest der Gesellschaft? Oder würde er sich an ihr rächen, womit sie im Grunde schon lange gerechnet hatte? Seit Monaten lebte sie mit dem Gefühl, das Damoklesschwert würde über ihr schweben.

Niemand, der noch ganz bei Trost war, wollte sich Zachary Black zum Feind machen.

Aber genau das hatte Georgianna getan.

Hinzu kam, dass sie es damals auch noch aus freien Stücken getan hatte – in dem Glauben, dass ihr keine andere Wahl bleibe. Erst in den darauffolgenden Monaten hatte sie Zeit gehabt, um nachzudenken und ihre Taten bitter zu bereuen. Zu spät hatte sie erkannt, welche Sorte Mann sie sich zum Gegner gemacht hatte.

Nach nur wenigen Minuten in seiner Gegenwart war sie sich bewusst geworden, dass trotz der vordergründigen, weltgewandten Höflichkeit etwas Gefährliches von ihm ausging. Mit Sicherheit war er niemand, der eine Kränkung oder Beleidigung jemals vergessen würde.

Und Georgianna hatte ihn auf die schlimmste Art und Weise beleidigt.

„Nein, danke“, antwortete sie reserviert.

„Ich hoffte, dass Sie etwas anderes erwidern würden.“

Keine Sekunde glaubte Georgianna, Hawksmeres Bedauern sei immer noch auf das Missverständnis zurückzuführen, dass sie ein leichtes Mädchen wäre und er gerne das Bett mit ihr geteilt hätte. Dazu war sein Ton zu emotionslos und ruhig gewesen.

Sie lehnte sich in die schattige Ecke der Kutsche zurück, als der Kutscher den Schlag öffnete. Der Duke stand auf, kletterte aus der Kutsche und setzte sich den Hut auf, bevor er Georgianna den Arm entgegenstreckte, um ihr behilflich zu sein.

„Unser Gespräch ist noch lange nicht beendet“, murmelte er eindringlich, als sie keine Anstalten unternahm, seine Hand zu ergreifen.

„Bitte sprechen Sie einfach mit …“ Sie unterbrach sich, als er sie streng ansah. „Bitte sprechen Sie über mein Anliegen. Dann werde ich morgen wiederkommen, um Ihre Antwort zu erfahren. Jetzt möchte ich erst einmal ein paar Minuten in der Kutsche warten, bevor ich den Rückweg antrete. Es ist wohl besser, wenn wir nicht dabei gesehen werden, wie wir gemeinsam aus Ihrer Kutsche steigen.“

Höhnisch zog er eine dunkle Braue hoch, während er sich zum Kutscher umdrehte und ihn fortschickte. „Gehen Sie etwa davon aus, dass Ihre Wünsche aus irgendeinem Grund für mich von Bedeutung sein könnten?“

„Im Gegenteil – ich bin mir sicher, dass dem nicht so ist.“ Georgianna zog sich tiefer in die schattige Ecke der Kutsche zurück. „Ich dachte dabei mehr an Ihren als an meinen Ruf.“

Freudlos lächelte Hawksmere sie an. „Meine engsten Freunde haben mich darüber unterrichtet, dass mein Ruf der eines Spielers und unverbesserlichen Lebemannes ist.“

Mittlerweile glaubte Georgianna, dass er sich diesen Ruf absichtlich zugelegt hatte, um von dem Umstand abzulenken, dass er als Agent für die Regierung arbeitete.

Oh, er war zweifellos auch ein Spieler und ein Frauenheld. Es fehlte ihm weder an Mitteln, um dem Glücksspiel zu frönen, noch an Arroganz und gefährlicher Anziehungskraft, um Frauen zu verführen. Gewiss konnte er jede Frau haben, die in das Visier seiner stechenden grauen Augen geriet.

Nun, fast jede Frau – erinnerte sich Georgianna. Schließlich hatte es zumindest eine gegeben, die sowohl diesen grauen Augen als auch dem Mann selbst widerstanden hatte.

„Ich bin davon überzeugt, dass Sie diesem Ruf alle Ehre machen“, entgegnete sie. „Dennoch möchte ich lieber in der Kutsche bleiben, bis Sie das Haus betreten haben.“

Weder war Zachary für seine Geduld noch für seine Nachsichtigkeit bekannt. Er verfügte auch nicht über jene Eigenschaften, die bestimmte Herren des ton so reizvoll für junge Debütantinnen und deren Mütter machten. Im Gegenteil – in den vergangenen zehn Jahren hatten er und seine vier besten Freunde sich im ton den Spitznamen „Die Durchtriebenen Dukes“ erworben, und das hing sicherlich auch damit zusammen, dass sie weder freundlich noch zuvorkommend waren. Außerdem war ihnen in keiner Weise daran gelegen, eine dieser überspannten jungen Frauen zu heiraten, die unentwegt plapperten und in der Saison ganz London zu bevölkern schienen.

Gezwungenermaßen hatte er selbst kurz mit dem Gedanken gespielt, zu heiraten, denn laut Testament seines Vaters musste Zachary im Alter von fünfunddreißig Jahren verheiratet sein und einen Erben gezeugt haben. Andernfalls würde er den Großteil des Hawksmere-Vermögens verlieren. Aufgrund des skandalösen Verrats der jungen Dame im vergangenen Jahr hatte sich Zachary jedoch noch nicht wieder dazu durchringen können, sich erneut auf die Suche zu begeben. Allerdings war er mittlerweile zweiunddreißig und es blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Schon bald wäre er gezwungen, unter den Schönheiten dieser Saison seine Zukünftige auszuwählen.

Zwar würde Worthing im Laufe des Tages heiraten, doch das war etwas anderes, da er mit der kleinen Schwester von einem der Durchtriebenen Dukes vor den Traualtar trat. Weder redete die schöne Julianna Armitage unentwegt, noch war sie sonst irgendwie lästig.

Bisher konnte Zachary allerdings auch keine dieser Charakterzüge an der ernsten jungen Dame unter dem schwarzen Umhang feststellen.

„Glauben Sie denn, dass mir Gefahr droht?“, fragte er sanft. „Geht von Ihnen etwa eine Gefahr für mich aus?“

„Ganz bestimmt nicht“, sagte sie und holte tief Luft. „Ich versichere Ihnen, ich bin nicht gekommen, um Ihnen weiteren Schaden zuzufügen …“ Sie verstummte abrupt.

„Weiteren Schaden?“ Zachary kniff die Augen zusammen und beugte sich in die Kutsche hinein. Prüfend musterte er die verschleierte Frau. „Wer sind Sie?“, fragte er auffordernd.

„Ich bin niemand, Euer Gnaden.“

„Im Gegenteil – Sie sind definitiv jemand.“

Er beugte sich weiter in das Innere der immer heller werdenden Kutsche vor und ergriff Georgianna am Arm, um sie von ihrem Sitz zu ziehen. Ihr Arm war dünn, womit zumindest eine seiner vorherigen Fragen beantwortet war: Die junge Frau unter dem Schleier war schlank – sehr schlank sogar.

„Lassen Sie mich los.“ Sie wand sich unter seinem Griff und versuchte mit einer behandschuhten Hand seine Finger von ihrem Arm zu lösen. „Sie müssen mich loslassen, Euer Gnaden.“ In ihrer Stimme lag jetzt ein aufgebrachtes Zittern, da sie es nicht schaffte, sich freizumachen.

„Das werde ich nicht tun“, erwiderte Zachary langsam.

Zu keiner Zeit hatte er die Absicht gehegt, die Frau einfach gehen zu lassen. Zumindest seitdem sie zwar nicht ausdrücklich, aber indirekt erwähnt hatte, über Informationen über Bonaparte zu verfügen.

Durch ihre Bemerkung, ihm keinen weiteren Schaden zufügen zu wollen, war seine Neugierde noch größer geworden.

Damit hatte sie doch sicherlich sagen wollen, dass sie ihm in der Vergangenheit bereits einmal geschadet hatte.

Wenn das der Fall sein sollte, dann wollte Zachary ganz genau wissen, mit wem er es zu tun hatte.

Daher zog er sie zu sich und warf sie sich trotz ihrer Abwehrversuche mühelos über die Schulter.

„Was tun Sie da?“

„Ich dachte, das sei offensichtlich.“ Zachary wich aus der Kutsche zurück, bevor er sich aufrichtete, um sich die federleichte Last bequemer über die Schulter zu legen. Die Arme hatte er fest um die Oberschenkel der Frau geschlossen. Zufrieden grinste er Lamb an, der die Pferde an den Leinen festhielt und das Geschehen neugierig beobachtete. „Die Dame möchte gerne so tun, als würde ein ungehobelter Pirat sie entführen und in seine Kajüte schleppen.“

Georgianna schrie angesichts dieser erfundenen, hanebüchenen Geschichte empört auf, bevor sie sich bittend an den Pferdeknecht wandte. „Glauben Sie ihm kein Wort“, bat sie ihn verzweifelt. Das Blut schoss ihr in den Kopf, weshalb ihr leicht schwindelig wurde. „Ich werde gerade tatsächlich entführt, aber nicht von einem ungehobelten Piraten.“

„Ganz ruhig, Mädchen.“ Der Duke of Hawksmere gab ihr einen festen Klaps auf den Allerwertesten. „Wünschen Sie mir Glück mit meiner Beute, Lamb“, fügte er trocken hinzu. „Ich werde es sicherlich gebrauchen können.“

„Sie doch nicht, Euer Gnaden“, entgegnete der Kutscher nun ebenfalls grinsend und erfreute sich offensichtlich an der Darbietung. „Frauen sind wie temperamentvolle Stuten, und bisher konnten Sie noch jede von ihnen zähmen.“

Georgiannas Wangen glühten, und aufgrund des Schwindelgefühls kam ihr die Situation wie ein Traum vor. Sie fühlte sich wie die Zuschauerin eines Possenspiels.

Welche Erklärung hätte es sonst dafür geben können, dass sie über der breiten und muskulösen Schulter von Zachary Black, dem durchtriebenen Duke of Hawksmere, hing?

Dass sie jetzt durchgeschüttelt wurde, während er die Treppe zu seinem Stadthaus erklomm und durch die geöffnete Tür schritt, bevor er sich von dem überrascht und hochmütig wirkenden Butler den Leuchter mit drei brennenden Kerzen reichen ließ?

Der Duke lief in die Eingangshalle, bevor er Georgianna zwei Stufen auf einmal nehmend die breite Treppe zum Schlafgemach hochtrug.

2. KAPITEL

Nehmen Sie den Schleier ab.“ Finster schaute Zachary auf die junge Frau herab, die er vor wenigen Sekunden nicht gerade sachte auf sein Himmelbett gelegt hatte. Im Schein des Kerzenleuchters, den er auf den Nachttisch gestellt hatte, konnte er ihre entblößten, schlanken Knöchel sehen. Ihr Unterrock und der Rock ihres schwarzen Kleides waren hochgerutscht. Als sie merkte, wohin er starrte, schob sie die Röcke hastig nach unten. Ihr Schleier war leider überhaupt nicht verrutscht. „Auf der Stelle“, wies er sie in kompromisslosem Ton an.

Misstrauisch beäugte Georgianna ihren Gegner durch ihre langen Wimpern hindurch, während sie zum Kopfende des Bettes robbte – so weit weg wie möglich vom unheilvollen, bedrohlichen Duke of Hawksmere. „Ich habe nicht vor, den Schleier abzulegen.“

„Sind Sie in Trauer?“

War sie das? Zwar war ihr Vater im vergangenen Jahr verstorben, doch das war nicht der Grund, weshalb sie den Schleier trug.

„Wenn Sie erst darüber nachdenken müssen, sind Sie es offenkundig nicht“, sagte der Duke abschätzig. „Nehmen Sie den Schleier ab. Jetzt. Bevor ich die Geduld verliere“, meinte er warnend.

Beim Klang von Hawksmeres gefährlich sanfter Stimme richtete sich Georgianna auf den weichen schneeweißen Kissen am Kopfende des Bettes kerzengerade auf. „So dürfen Sie nicht mit mir umspringen.“

„Nein?“ Sein Tonfall war tief und grollend. „Ich sehe niemanden, der zu Ihrer Rettung herbeieilen würde.“

Vor Hitze glühten ihre Wangen, während sie ihn weiterhin durch gesenkte Wimpern hindurch anschaute. „Weil Sie Ihrem Pferdeknecht erzählt haben … Weil Ihre Diener jetzt glauben …“

„Dass ich Ihnen Ihre erotischen Fantasien erfüllen und in diesem Moment über Sie herfallen würde?“, vervollständigte Hawksmere den Satz gelassen.

„Ja.“

Der Duke grinste sie höhnisch an. „Können Sie mir denn ehrlich versichern, dass Sie noch nie solch eine Fantasie gehabt haben? Dass Sie nie davon geträumt haben“, fügte er mit sinnlicher, weicher Stimme hinzu, „wie ein verwegener Pirat Sie auf sein Schiff verschleppt und sich dort mit Ihnen auf verruchte Art und Weise amüsiert?“

Natürlich hatte Georgianna früher einmal solche Fantasien gehabt. Welches Mädchen mit einem Sinn für Romantik träumte nicht davon, von einem abenteuerlichen Piraten oder einem stürmischen Ritter entführt und seiner Unschuld beraubt zu werden? In ihren Träumen hatte sich der Held natürlich immer augenblicklich in sie verliebt und sie nie mehr verlassen.

Aber jetzt war sie zwanzig Jahre alt und im Herzen fühlte sie sich viel älter. Außerdem glaubte sie nicht mehr an Romantik und Liebe. Sie wusste nur zu gut, dass die Wirklichkeit nicht mit solchen Träumereien übereinstimmte und dass der verwegene Pirat und der ungestüme Ritter alles andere als eine weiße Weste hatten.

„Das sind die Tagträumereien von dummen jungen Mädchen, die es nicht besser wissen“, erklärte sie ausdruckslos.

„Wissen Sie es denn besser?“

„Oh, ja“, versicherte sie ihm mit Nachdruck.

Hawksmere sah sie spöttisch an. „Dürfte ich Sie in diesem Fall bitten, sich nicht weiterhin wie die lächerliche Heldin eines Schauermärchens aufzuführen und Ihren Schleier abzulegen?“

Georgianna wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, da der Duke viel stärker war als sie und sie offenkundig dazu zwingen könnte, wenn ihm danach war. Wenn sie daran dachte, mit welchen haarsträubenden Erklärungen sich seine Diener zufriedengegeben hatten, war von dieser Seite auch mit keinerlei Hilfe zu rechnen.

Ich habe mich ihm vollkommen ausgeliefert, dachte Georgianna entsetzt.

Seine kühlen grauen Augen und das vorgereckte Kinn bestätigten ihr, dass der Duke keine Gnade – weder bei Männern noch bei Frauen – walten ließ.

Langsam hob sie die zitternden Hände zu den Nadeln an ihrem Schleier. „Der Anblick wird Ihnen nicht gefallen“, warnte sie ihn, während sie die Nadeln nach und nach löste.

Hawksmere zog die dunklen Brauen hoch. „Sind Sie etwa entstellt? Vielleicht durch die Pocken?“

„Nein.“ Sie seufzte, während sie die Nadeln auf den Nachttisch neben die flackernden Kerzen des Leuchters fallen ließ.

„Dann also hässlich?“, fragte er ungerührt. „Das wäre eine Premiere in meinem Schlafgemach.“

Sein Schlafgemach war ungemein prachtvoll verziert, wie es einem so wohlhabenden und mächtigen Mann wie Hawksmere wohl gebührte. Die Vorhänge an den Fenstern und der Überzug seines Himmelbettes waren aus dunkelblauem Samt, und die dunklen massiven Möbel waren gerade in Mode gekommen. Ein dicker, vornehmlich blauer Aubusson-Teppich bedeckte fast den gesamten Boden, und ein warmes Feuer züngelte in dem großen, verzierten Kamin.

Das Gemach war beinahe genauso prachtvoll wie der Duke selbst in seiner maßgeschneiderten Abendgarderobe. Er trug einen schwarzen Frackrock, schwarze Pantalons und eine Weste aus edlem Silberbrokat über dem schneeweißen Hemd. An seinem Halstuch glitzerte ein Diamantenanstecker.

Es hieß, dass die Geliebten dieses glorreichen Dukes zu den schönsten Frauen des Landes zählten.

„Ich bin weder hässlich noch schön. Ich bin einfach eine Frau.“ Georgiannas Hände zitterten heftig, während sie den schwarzen Schleier abnahm.

„Dann ist mir nicht ersichtlich, warum Sie glauben, dass ich den Anblick nicht mö…“ Zachary hörte auf zu sprechen, als sie den Schleier komplett entfernte und er zum ersten Mal in das Gesicht dieser Frau blicken konnte.

Sie hatte ihn angelogen, denn hübsch war sie ohne jeden Zweifel – sogar sehr hübsch. Ihr Haar war rabenschwarz – genauso wie die Haube, die sie tief in die Stirn gezogen hatte. Ihre Augen waren verdeckt von ihren Wimpern, die so lang und dunkel waren, wie er es noch nie gesehen hatte. Ihre Nase war kurz und gerade. Am schönsten war ihr herrlicher Mund: die Lippen voll und sinnlich, sodass sich ihm die Vorstellung, sie zu küssen, förmlich aufdrängte. Ihm kamen da noch ganz andere sinnliche Vergnügungen in den Kopf.

Das war sein erster Gedanke. Sein zweiter war ein vollkommen anderer, als er das blasse Gesicht, diesen unglaublichen Mund stirnrunzelnd musterte. „Kenne ich Sie?“

Beinahe hätte Georgianna laut aufgelacht, als Zachary – ausgerechnet Zachary – ihr diese Frage stellte.

War das sein Ernst?

Es war nicht nur höchst beleidigend, dass er sie anscheinend gar nicht wiedererkannte, sondern auch demütigend, denn die Mühe mit dem Schleier hätte sie sich unter diesen Umständen durchaus sparen können. Sie war sich sicher gewesen, dass dieser Mann sie nur einmal kurz ansehen musste, um sich zu erinnern, dass – und woher – er sie kannte.

„Wenn Sie sich den vergangenen April ins Gedächtnis rufen würden, Euer Gnaden, würde das Ihrer Erinnerung vielleicht auf die Sprünge helfen“, entgegnete sie sarkastisch und straffte die Schultern.

„Vergangenen April?“ Zachary kniff die Augen zusammen, während er sie näher betrachtete. „Nehmen Sie Ihre Haube ab“, wies er sie schroff an.

Sie ließ die Schultern wieder sinken, während sie zum ersten Mal ohne den verhüllenden Schleier zu ihm aufsah und die Farbe ihrer Augen offenbarte: so dunkelblau wie blühende Veilchen im Frühjahr.

Unvergesslich schöne Augen, auch wenn das restliche Erscheinungsbild dieser Frau sich – abgesehen von dem verführerischen Mund – so sehr verändert hatte, dass sie nicht wiederzuerkennen war.

Wenn die junge Frau tatsächlich die Person war, für die Zachary sie hielt, war sie bei ihrem letzten Zusammentreffen eine gut beleibte Dame von gut ein Meter fünfzig gewesen. Damals hatte sie rosige, runde Wangen und üppige Brüste gehabt. Bei ihrem Anblick hatte er sich unvermittelt vorgestellt, wie es wäre, ihre kurvenreichen Hüften zu umfassen, während er ihre weichen Oberschenkel auseinanderdrückte und tief in sie eindrang.

Jetzt wirkte sie so zart, dass ein Windhauch sie hätte umwehen können. Da Zachary sie die Treppe hochgetragen hatte, wusste er, dass sie tatsächlich nicht schwerer war als ein zehnjähriges Kind. Ihre Haut sah über dem schwarzen Kleid, das bis zum Hals zugeknöpft war, ungemein blass aus. Ihre Brüste waren klein, Taille und Hüfte schlank – genauso wie die wohlgeformten Waden und Knöchel, auf die er zuvor einen flüchtigen Blick geworfen hatte.

Sie seufzte. „Langsam werde ich Ihrer Anweisungen etwas überdrüssig, Hawksmere.“

„Langsam, aber sicher werde ich Ihres Zögerns überdrüssig“, gab er verärgert zurück.

„Wenn Sie vielleicht ab und zu einmal das Wort ‚bitte‘ benutzen würden – insbesondere im Umgang mit einer Frau –, würden Sie vielleicht mehr Erfolg mit Ihren Aufforderungen haben.“ Sie begann, die Bänder unter ihrem hervorgereckten Kinn zu lösen.

Zachary hielt die Hände mittlerweile so verkrampft zu Fäusten geballt, dass sich die kurzen Fingernägel in seine Haut zu bohren drohten. „So höflich bin ich nur zu Frauen, die sich nicht mithilfe von falschen Angaben und Lügen Zugang zu meiner Kutsche verschaffen. Jetzt legen Sie endlich die verdammte Haube ab.“

An der unbeherrschten Art, wie er sprach, erkannte Georgianna, dass er nun am Ende seiner Geduld angekommen war. Sie hatte ihn an seine Grenze oder vielleicht auch darüber hinaus getrieben, denn in den grauen Augen in seinem rauen, ansehnlichen Gesicht funkelte es gefährlich. Die Hände an seinen Seiten ballte er immer wieder zu Fäusten, als müsste er dem Drang widerstehen, ihr an die Gurgel zu springen.

Wenn er sie mittlerweile erkannt haben sollte, würde er zweifellos nicht wenig Lust dazu verspüren.

Herausfordernd sah Georgianna ihn an, als sie sich schließlich die Haube vom Kopf zog. Das dichte lockige Haar, das so schwarz wie Ebenholz war, trug sie hochgesteckt. Ein paar kürzere Lockensträhnen zierten ihre Schläfen und ihren eleganten Hals.

„Da sieh mal einer an.“ Hawksmere bedachte sie mit einem raubtierhaften Lächeln und hielt den Blick fest auf Georgiannas Gesicht gerichtet, während er langsam am Fußende des Bettes auf und ab schritt. Den sehnigen, muskulösen Körper bewegte er dabei so würdevoll wie ein gefährliches, sich an seine Beute heranschleichendes Raubtier. „Wenn das nicht Lady Georgianna Lancaster höchstpersönlich ist. Oder vielleicht sollte ich nun besser Madame Rousseau sagen?“, fügte er verächtlich hinzu.

Dieser Mann, Zachary Black, der arrogante Duke of Hawksmere, wusste spätestens jetzt ganz genau, wer sie war.

Sie spürte, wie ihr alles Blut aus den Wangen wich und ihr Herz wieder wie wild in ihrer Brust schlug, während in den grauen Augen des Dukes ein kalter, unbarmherziger und unversöhnlicher Groll stand.

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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