Hochzeit auf Baincroft Castle

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Freudig vernimmt der tapfere Edouard Gillet, dass Anne of Baincroft endlich zur Ehe mit ihm bereit ist. Seit sein Blick auf die schottische Schönheit gefallen ist, brennt er vor Begehren nach ihr! Er ahnt nicht, dass seine bezaubernde Braut ein Geheimnis hat, das sie auch nach der Hochzeit um jeden Preis vor ihm bewahren will …


  • Erscheinungstag 01.08.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765132
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Frankreich, Sommer 1318

Ihr braucht wieder eine Frau. Und diesmal habe ich die richtige für Euch!“

Edouard Gillet, Comte de Trouville, warf dem unverschämten Baron einen missmutig-nachsichtigen Blick zu. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, um einem verheerenden Tag die Krone aufzusetzen.

„Ich bin mir sicher, dass wir uns eines solchen Gesprächs bereits vor vier Jahren erfreuten, Hume. Ohne Ergebnis, möchte ich hinzufügen.“ Er gab Bayard leicht die Sporen und ritt voraus.

Die mörderische Hitze hatte etwas nachgelassen, als sie weiter nach Norden kamen, aber der angestaute Schweiß juckte ihn in seinem gefütterten Lederwams unter dem Kettenhemd. Zum Glück hatte er den schweren Helm abgesetzt. Seine beunruhigenden Gedanken bereiteten ihm schon genug Kopfschmerzen. Und zudem hatte er Humes lästige Gegenwart zu ertragen.

Eine Frau, in der Tat. Der Mann musste verrückt sein, so etwas vorzuschlagen.

Dairmid Hume trieb sein Pferd an, sodass er wieder aufholte, und fuhr fort, völlig unbeeindruckt von Edouards Verachtung: „Euer feiner Junge könnte wohl eine Mutter gebrauchen, die ihm etwas Anstand beibringt, oder?“ Er nickte in Richtung des jungen Henri, der einige Längen vor ihnen ritt. „Und wenn ich mich recht erinnere, Mylord, so seid Ihr nun jenseits der dreißig. Und Ihr werdet nicht jünger!“

Edouard verbarg seine Verärgerung hinter einem Lachen. „Ihr seid überaus geschickt in der Wahl Eurer Worte, Hume. Ich frage mich wirklich, wie Ihr es geschafft habt, Euren Kopf zu behalten.“

Er konnte diesen Mann nicht ausstehen. Da er mit einer französischen Edelfrau verheiratet war, hatte der schottische Baron lange als Vermittler für die Könige von Frankreich und Robert Bruce von Schottland gedient. Hume nutzte und pflegte jeden Umgang mit Angehörigen des Königshauses, um sein Ansehen bei Hofe zu verbessern. So wie schon vier Jahre zuvor hatte der Baron offenbar Edouards Verwandtschaft mit König Philipp im Sinn und wie ihm dies einen Vorteil verschaffen könnte.

Wie würde dieser Mann sich verhalten, wenn er wüsste, dass er, Edouard, soeben vom Hof seines königlichen Vetters verbannt worden war? fragte er sich.

Philipps Befehl war zwar nicht offiziell, aber wenn dem König die Zornesröte ins Gesicht stieg und er dann rief: „Schert Euch aus unseren Augen!“ ließ er keinen Widerspruch zu. Edouard wollte sich wegen dieser Angelegenheit keinesfalls streiten. Obwohl er fast sein ganzes Leben in königlicher Gesellschaft verbracht hatte, hieß er die neue Situation zwar willkommen, nicht jedoch die Umstände, die dazu geführt hatten.

Als Comte de Trouville war er Berater des Königs und entwarf seine Strategien. Er war bereit, für Frankreich zu kämpfen und zu sterben, aber sich am englischen Hof anzubiedern und geheime Nachrichten auf ungebührliche Weise zu erlangen, wie man ihm vorgeschlagen hatte, entsprach wirklich nicht seinen Gepflogenheiten. Philipp tat falsch daran, so etwas von ihm zu verlangen, und Edouard hatte ihn dies wissen lassen.

Der König würde eine Art von Bestrafung für seine Rebellion ersinnen, daran bestand kein Zweifel. Wie ein weiser Mann hatte er sich auf das Schlimmste vorbereitet. Er hatte nicht nur den Hof, sondern sogar Frankreich verlassen.

So kam es, dass Edouard, sein Sohn und ein getreuer Ritter sich auf einer Straße Richtung Norden befanden. Das zufällige Zusammentreffen mit Hume und seinen Leuten konnte Edouards Stimmung nicht aufheitern. Immerhin, ihr kleiner Trupp aus nunmehr insgesamt sieben Mann bot ihnen größeren Schutz vor Wegelagerern. Um Sicherheitsvorkehrungen hatte er sich in seiner Eile nicht kümmern können.

Sein Ziel waren die Niederlande. Von dort aus würde er Nachricht über die Absichten des Königs erwarten. Vielleicht würde sein Verhalten nichts weiter nach sich ziehen, als dass er seine Rolle als Berater einbüßen müsste. Oder er könnte seinen Landbesitz verlieren, sicherlich eine schwerwiegendere Folge. Im schlimmsten Fall erwartete ihn eine Anklage wegen Hochverrats.

Würde Hume sich nicht augenblicklich zurückziehen, wenn er davon wüsste? Edouard war beinahe versucht, ihm von der Meinungsverschiedenheit mit dem König zu berichten, nur um zu sehen, wie er sich verhalten würde. Aber bis jetzt hatte er niemandem davon erzählt, nicht einmal seinem Sohn und dem Ritter, die ihn begleiteten. Ihre Pflicht war es, ihm ohne Fragen dahin zu folgen, wohin er sie führte.

Hume fuhr erneut fort: „Ich denke nur an Euer Wohl, Mylord.“ Er hob die Hand, um Edouards Einwände abzuwehren. „Ihr bleibt unverheiratet, ohne Zweifel angewidert von der Torheit meiner Tochter. Aber das alles ist längst vorbei und sollte vergessen werden, oder?“

„Glaubt mir, ich verspüre kein Verlangen, mich daran zu erinnern“, sagte Edouard, wobei er den Mund verzog. „Und Ihr solltet es auch nicht, wenn Ihr gescheit seid.“

Der Baron seufzte. Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf, als wäre er arg bestürzt. „Ihr wisst, dass ich Euch als Schwiegersohn vor diesem Hochlandsöldner, den sie auswählte, den Vorzug gegeben hätte. Ich bedauere zutiefst das Verhalten meiner Tochter und dass sie Euer Werben abgelehnt hat.“

Sein Werben abgelehnt? Edouard musste beinahe laut auflachen, wie nett Hume dies ausgedrückt hatte. Sie war vor vier Jahren um ihr Leben gerannt, so hatte sie jedenfalls geglaubt. Das arme Geschöpf war entsetzt gewesen bei dem Gedanken, gerade ihn zu heiraten, den gefürchteten Comte de Trouville, einen Mann, der zwei Frauen zu Grabe getragen hatte und in einem Ruf stand, der dem des Teufels gleichkam. Sogar als Edouard nach Schottland gereist war, um sie für sich zu beanspruchen, hatte der kleine Hitzkopf allen getrotzt.

Sein Werben abgelehnt, in der Tat. Kein Wunder, dass Hume den Titel eines Gesandten trug.

Edouard konnte wegen seines düsteren Rufs nur sich selbst Vorwürfe machen. Er hätte Lady Honors Meinung von ihm vielleicht ändern können, wenn er sich der Mühe unterzogen hätte, die Gerüchte zu zerstreuen, die ihn so gefürchtet erscheinen ließen.

Weil er das nicht getan hatte, hatte die junge Frau ihr Schicksal in ihre eigenen Hände genommen, war nach Schottland geflohen und hatte einen anderen geheiratet. Insgeheim bewunderte er noch heute ihren Geist und ihren Mut, mehr noch als ihre unglaubliche Schönheit. In einem ungewöhnlichen Anflug von Sentimentalität hatte er eine Zeit lang geglaubt, sich in sie verliebt zu haben.

Er war ihr gefolgt, um den Schotten zu erschlagen, den sie geheiratet hatte, mit der Absicht, Lady Honor zur Witwe zu machen. Vielleicht hätte er sie beide getötet, wenn er die Gelegenheit gehabt hätte. Stattdessen hatte er dem Schotten ein Schwert gegeben und ihm angeboten, um die Frau zu kämpfen.

Sein plötzliches Niesen mitten in dieser Begegnung hatte die Angelegenheit entschieden. Flach am Boden zu liegen, mit der Klinge am Hals, trug beträchtlich dazu bei, den Feuereifer eines Mannes abzukühlen.

Nun war er hier und ritt die Straße entlang neben dem Vater der Frau, diesem Elenden, und der Narr war eifrig bemüht, eine neue Verbindung vorzuschlagen. Da hätte er es vorgezogen, einen Angriff von Wegelagerern zu riskieren.

Er hielt in seiner gedanklichen Hetzrede inne, weil ihm plötzlich ein Gedanke kam. Hume könnte ihm dennoch von Nutzen sein. Edouard brauchte jetzt Ländereien außerhalb Frankreichs. Ein Leben in den Niederlanden, auch wenn er dort die meisten seiner Handelsbeziehungen unterhielt, gefiel ihm nicht im Mindesten. Aber Schottland könnte ihm gefallen. Das, was er von dem wilden, freien Land gesehen hatte, hatte ihn beeindruckt.

Edouard drehte sich im Sattel und erkundigte sich: „Wie ergeht es Eurer Tochter denn so?“

Hume streckte die Brust raus. „Ah! Sie schenkte mir dieses Jahr einen Enkel. Und genau deshalb werde ich nun hinreisen. Geschäft und Vergnügen.“

„Einige Ländereien aus ihrer Mitgift befinden sich in Schottland, oder?“

„Ja, sie bewohnt eine kleine Burg im Norden.“ Hume nahm einen reuigen Ausdruck an. „Ich bin immer noch der Ansicht, dass Ihr zumindest Anspruch auf ihre Mitgift gehabt hättet – als Abfindung für ihre Treulosigkeit. Honor selbst schlug dies als Entschädigung vor, wenn Ihr Euch erinnert.“

„Nein, die Ländereien gehören ihr.“ Edouard hielt nur einen Moment inne, bevor er hinzufügte: „Und dennoch, ich bin gewillt, genau diesen Besitz zu erwerben, wenn sie und ihr Gatte sich davon trennen wollen. Und natürlich nur, wenn die Güter meinen Bedürfnissen entgegenkommen.“

„Ich habe einen viel besseren Vorschlag, Mylord, wenn Ihr ihn bedenken mögt. Ihr könntet Ländereien haben, frei und ohne Mühen! Und dazu Einnahmen aus einer anderen Quelle!“ Hume richtete sich im Sattel auf, wobei ein berechnendes Lächeln den Heiratsvorschlag in Erinnerung rief.

„Ich zögere zu fragen, wie das vonstatten gehen soll“, murmelte Edouard. Hume überhörte den spöttischen Unterton.

„Wisst Ihr, ich habe eine Nichte, das einzige Kind meiner Schwester, die vor kurzem Witwe wurde. Anne war ein hübsches Mädchen, als ich sie zuletzt sah, und nun ist sie die Mutter eines vaterlosen Jungen von zehn Jahren. Euch beiden – und ebenso Euren Söhnen – wäre diese Verbindung von Vorteil. Und es würde mein Gewissen beruhigen im Hinblick auf die Treulosigkeit meiner Tochter“, sagte Hume. „Ich werde meine Nichte mit jemandem verheiraten müssen, während ich in Schottland bin, und wer wäre geeigneter als Ihr? Ihr seht, wie das Schicksal hier mitgespielt hat?“

Schicksal. Auch wenn er diesen Mann nicht mochte, so fragte Edouard sich doch, ob Hume nicht Recht haben könnte.

Seltsam, wie die Vorsehung den Baron und ihn zu diesem Zeitpunkt zusammengebracht hatte. Einem Zeitpunkt, da Edouard tatsächlich ein neues Zuhause brauchte, eine Frau und eine Mutter für seinen Sohn.

Wenn diese Nichte von Hume irgendetwas von Lady Honor an sich hätte … nun, dann würde es ihm nichts ausmachen zuzuhören, was dieser alte Teufel zu sagen hatte.

„Ihr könnt über sie verfügen? Was ist mit ihren Eltern?“

„Sie starben vor einigen Jahren, Mylord. Ihr Sohn wird den Grundbesitz und die Lehen der Baincrofts erben, aber Anne stehen eigene Güter zu, die daran angrenzen. Ihr müsstet ein angemessenes Einkommen aus beiden Besitztümern erhalten. Darüber hinaus hättet Ihr wenigstens acht Jahre Zeit, um Eure Einkünfte zu vermehren, während Ihr die Ländereien ihres Sohnes an seiner Stelle verwaltet. Krieg hat weder den Grundbesitz der Baincrofts noch Annes Güter heimgesucht, und die Erträge sind hervorragend. Glaubt mir, diese Ländereien haben eine bessere Lage als die, die Ihr von meiner Honor und Alan von Strode erwerben wollt.“

Edouard verwarf den Gedanken nicht sofort. Keine Frau seit Lady Honor hatte ihm mehr als Gemahlin zugesagt. Diejenigen, die zur Auswahl standen, waren so ungeeignet, dass er seit geraumer Zeit gar nicht ans Heiraten gedacht hatte. Der französische Hof neigte dazu, Frauen wie seine Mutter anzulocken, verlebt, häufig den Bettgenossen wechselnd und machthungrig. Humes Vorschlag verlangte, näher begutachtet zu werden.

„Ein zehnjähriger Junge, sagt Ihr, und sonst keine Kinder? Sie muss jenseits des Alters sein, um Nachkommen zu haben“, erwiderte Edouard. Kein Mann wollte eine unfruchtbare Frau.

Hume schien besorgt, als er sich mit den Fingern durch den Bart strich.

„Anne ist siebenundzwanzig, glaube ich. Ja, das müsste stimmen, denn sie heiratete mit sechzehn.“ Sein Gesicht klärte sich auf. „Es war die Schuld ihres Mannes, dass sie keine Kinder mehr gebar. Dessen bin ich mir sicher. Er ging schließlich auf die sechzig zu.“

„Mag sein“, erwiderte Edouard beiläufig, aber Humes Annahme machte Sinn. Sie hatte bereits einen gesunden Jungen zur Welt gebracht und könnte wahrscheinlich noch mehr Kinder mit einem jüngeren Mann haben. Der Gedanke, wieder Vater zu werden, gefiel Edouard.

Die Aussicht, außerhalb Frankreichs Besitztümer zu haben, sagte ihm in diesem Augenblick noch mehr zu. Humes Angebot hatte etwas Verlockendes, wenn sich die Frau tatsächlich als geeignet erwies.

Und der Baron hatte Recht, dass Henri eine Mutter brauchte. Das Leben auf seinem Gut unter unverheirateten Männern und am verdorbenen Hof hatte den Jungen zu einem richtigen Bengel werden lassen. Wenn er etwas feine Lebensart von einer weiblichen Hand erlernen könnte, würde das seine rauen Manieren glätten.

Je mehr er darüber nachdachte, desto größer wurde sein Interesse. Er mochte Hume als Mensch nicht, aber dieser Mann hatte eine wunderbare Tochter gezeugt, die Edouard einst nicht hatte verlieren wollen. Sollte seine Schwester ein ebensolches Geschöpf hervorgebracht haben?

„Beschreibt sie mir, ihre Warzen und alles“, befahl er.

Hume lachte. „Keine Warzen, Mylord. Anne ähnelt Honor äußerlich sehr. Ihre Haut ist zart wie die eines Pfirsichs. Ihr Haar wallt in feiner dunkler Fülle herab. Ihre Augen sind wie die tiefen, geheimnisvollen Wasser eines Hochland-Sees.“

Hume wird also poetisch, dachte Edouard bei sich. Er hörte belustigt zu, als der stolze Oheim fortfuhr: „Ich erinnere mich, dass ihre glänzende, wallende Haarpracht an ihrem Hochzeitstag ihr bis zu den Hüften fiel. Und an ihre außergewöhnlichen, leicht schräg gestellten Augen. Beide Mädchen haben das Gesicht meiner Mutter, die sich in ihrem Alter gut gehalten hat. Vom Temperament her ist Anne aber viel besser zu handhaben als meine Honor. Sie hat ihre Pflicht getan, so wie man es ihr auftrug, und sie wird es wieder tun.“

Edouard überlegte, welche Art von Überredung vonnöten gewesen sein mochte, um ein sechzehnjähriges Mädchen zu zwingen, einen Mann zu heiraten, der drei Mal so alt war wie es selbst. Aber Hume schien sich der Einwilligung der Frau gewiss, falls er, Edouard, sich für sie entscheiden sollte.

Gesetzt den Fall, dass er dies tun würde, beschloss er, Sir Armand mit einem Schreiben zu seinem Verwalter in Paris zu schicken. Er würde dem Mann auftragen, sämtliche beweglichen Güter von den französischen Besitztümern nach Schottland zu verschicken.

Sein bares Vermögen und seine Juwelen hatte er bei sich, für den Fall, dass sein königlicher Vetter sich entschließen sollte, seine Güter einzuziehen. Der Gewinn aus seinen Geldanlagen in den Niederlanden könnte leicht nach Schottland gebracht werden.

Sogar wenn sich nichts aus einem Treffen mit Humes Nichte ergeben sollte, könnte er einen Wohnsitz bauen lassen oder erwerben und in recht angenehmer Weise in der Nähe Edinburghs leben.

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr hieß er die Abkehr von seinem früheren Leben willkommen. Ja, warum nicht neu in Schottland beginnen, befreit von den Intrigen und Machenschaften, die wohl notwendig waren, um eine Nische in den königlichen Zirkeln Frankreichs zu ergattern? Ein neuer Anfang würde ihm wirklich gefallen, ob er diese Schottin nun heiratete oder nicht.

Bis jetzt hatte er nie ernsthaft darüber nachgedacht, wie leid er sein bisheriges Dasein war und wie nachteilig sich das Leben am Hof auf Henris Charakter auswirken könnte.

Ja, die Vorsehung spielte hier sehr wohl eine Rolle.

Hume rückte ungeduldig auf seinem Sattel hin und her. „Und, was sagt Ihr, Mylord?“

„Nun gut, ich werde Eure Nichte treffen. Dann werden wir weitersehen. Aber ich warne Euch, ich möchte keine Frau, die nicht gewillt ist, meine Gemahlin zu werden. Falls ich mich entschließen sollte, um Lady Anne anzuhalten, so verbitte ich mir jeglichen Zwang Eurerseits, so wie Ihr es mit Eurer Tochter gemacht habt, Hume. Ist das klar?“ Er warf dem Mann einen warnenden Blick zu. „Keinen Zwang.“

Der Baron antwortete mit einem Lächeln. „Es wird keiner nötig sein, Mylord. Ihr werdet meiner Nichte gefallen, da bin ich mir sicher.“

Zwei Wochen später stand Lady Anne in der Halle von Baincroft Castle, entsetzt über den fürchterlichen Vorschlag ihres Oheims.

Erneut heiraten? Nein, das konnte sie nicht hinnehmen, sie wollte es nicht.

Sie verfluchte den Unseligen, der dem Oheim die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbracht hatte. Obwohl ihr klar war, dass Neuigkeiten aus Schottland regelmäßig den französischen Hof erreichten, hatte Anne doch gehofft, der Tod eines unbedeutenden schottischen Edelmannes würde sich als zu unwichtig erweisen, um darüber zu berichten. Offenbar war das nicht so gewesen.

„Der Comte de Trouville wird später eintreffen, da er die Ländereien Eurer Mitgift in Augenschein nimmt. Ich bin vorausgeeilt, um Euch vorzubereiten und Euch zu versichern, dass er vortrefflich ist! So überlegt doch nur, meine Liebe, sein Titel entspricht dem eines Earl, und Ihr werdet eine Comtesse, eine Gräfin!“

Der Baron wollte ihre Hand nehmen, doch sie zog sie zurück. Dann wurde ihr klar, dass sie ihm ausgeliefert war, und sie überspielte ihre vorschnelle Geste mit einem gezwungenen Lächeln. Durch Widerstand konnte sie nichts erreichen.

Zwar hatte sie ihren Oheim nur zwei Mal zuvor in ihrem Leben getroffen, aber es bestand kein Zweifel daran, dass er die Verwandtschaft allzu ernst nahm.

„Ich weiß, was sein Titel bedeutet, Oheim. Aber ich versichere Euch, Robert und ich können Baincroft sehr wohl selbst verwalten. Er ist kein kleiner Junge mehr. Seine Leute lieben ihn und sind bereit, ihm zu dienen, trotz seiner Jugend. Ich habe wahrlich nicht die Absicht, wieder zu heiraten. Tragt es bitte mit Fassung, ich bitte Euch.“

Anne sah, wie augenblicklich der Zorn in ihm aufstieg. Sie konnte nicht vernünftig mit ihm reden, auch wenn sie noch so sanft sprach.

„Mit Fassung?“ Der Baron spuckte zornig auf den Boden und warf ihr einen wütenden Blick zu. Wild fuchtelte er mit dem Finger vor ihrem Gesicht herum. „Hört mir zu, Anne, denn ich habe keine Zeit, Euch im Guten zu überreden oder Euch mit der Peitsche gefügig zu machen. Trouville ist der Vetter des französischen Königs. Ich brauche diese Verbindung, und ich dulde keinen Widerspruch Eurerseits. Wenn Ihr nur mit einem Wort, nur mit einem einzigen Blick den Antrag dieses Mannes ablehnt, so wird sich Euer Sohn mit mir auf dem nächsten Schiff in Richtung Frankreich wieder finden.“

Anne konnte einen entsetzten Aufschrei nicht unterdrücken.

Er nickte und lächelte böse. „Ja, Ihr kamt mir wirklich wie eine Glucke vor, als Ihr von Eurem einzigen Küken spracht. Ihr werdet Euren kostbaren Robert nicht wieder sehen, wenn Ihr Euch widersetzt. Ich habe das Recht, den Knaben aufzuziehen, das wisst Ihr! Acht lange Jahre, bis er sein Erbe antreten kann, meine Liebe, bedenkt dies!“

Sie schloss die Augen und kämpfte gegen ihre Wut an. Erst hatte ihr Vater sie gezwungen, MacBain zu heiraten, einen sehr viel älteren Mann, wohlhabender und verhasster als ihr eigener Vater. Elf Jahre lang hatte sie hier in der Hölle zugebracht. Elf Jahre, in denen sie dauernde Erniedrigung, manchmal Gewalttätigkeit ertragen musste. Und die fast neun Jahre, in denen sie ihren Sohn vor MacBains Augen verborgen gehalten hatte, hatten in ihr blanken Hass ausgelöst.

Jetzt würde ihr Oheim sie geradewegs wieder in die Verzweiflung stürzen, der sie dank MacBains Tod vor kurzem entkommen war.

Obwohl es sie ärgerte, dass sie sich erneut in eine Heirat fügen musste, war ihre größte Sorge, Robert bei sich zu behalten. Selbst wenn er es möglicherweise durchstehen würde, in der Fremde aufzuwachsen, so könnte sie ihn niemals in die Obhut ihres Oheims geben. Robert würde diese Zeit nicht überstehen.

Sie könnte dem Oheim natürlich die Wahrheit sagen, und dann würde er ihn nicht mehr großziehen wollen. Aber wenn Dairmid Hume jemals Roberts Schwäche entdecken sollte, würde er ihrem Sohn niemals gestatten, Baincroft zu behalten. Ihr Oheim würde sich an den König wenden, damit die Ländereien ihm selbst als nächstem Verwandten Roberts zukämen.

Er würde infrage stellen, ob ein tauber Junge, der kaum sprechen konnte, überhaupt sein Erbe verwalten könnte. Niemand, der etwas zu sagen hatte, würde sich für Roberts Rechte einsetzen. Jedes Gericht würde Lord Hume beipflichten.

All dies wusste sie, denn es war kaum ein Jahr her, seit Gile MacGuinns Burg und Titel auf seinen jüngeren Sohn übergingen, weil der ältere, der noch keine achtzehn Jahre alt war, bei einem Unglück das Augenlicht verloren hatte. Der eigentliche Erbe war nun auf die Wohltätigkeit seines Bruders angewiesen. An diesen Vorfall musste Anne immerfort denken.

Nur sie allein konnte das Geburtsrecht ihres Sohnes retten.

Zum Glück erwies sich Roberts Behinderung als nicht sichtbar. Dennoch war es nicht einfach, Taubheit geheim zu halten. Anne hatte damit gerechnet, dass MacBain niemals öffentlich zugeben wollte, ein mit einem Makel behaftetes Kind gezeugt zu haben. Und sie hatte seine Hoffnung auf einen weiteren gesunden Sohn genährt. Nun, da der alte MacBain tot war, verließ sie sich auf ihre treuen Bediensteten, die ihr halfen, die Beeinträchtigung zu verbergen.

Wenn das Geheimnis gewahrt blieb, konnte sie Baincroft für ihren Sohn behalten, bis dieser volljährig wäre. Bis dahin würde sie ihn mit so vielen Getreuen umgeben, dass niemand ihm sein rechtmäßiges Erbe streitig machen könnte. Und sie könnte Robert Bruce, seinem Lehnsherren, beweisen, dass sich der freie Grundbesitz ihres Sohnes über Jahre hinweg ertragreich unter dessen Sorgfalt entwickelt hatte, trotz seiner Taubheit.

Zwar würde sie mit einer Heirat die Bedrohung durch ihren Oheim aus dem Weg räumen, diese indes nur durch eine neue ersetzen. Dieser Comte könnte genauso gut über Roberts Ländereien herfallen, indem er seinen Einfluss beim französischen König geltend machte. Obendrein würde er für diesen Diebstahl womöglich auch noch den Segen von Robert Bruce erhalten.

Im günstigsten Fall hoffte sie, dass der französische Edle nur ihren angrenzenden Besitz und ihre Einkünfte daraus haben wollte. Sie musste herausfinden, wie die Dinge für sie standen.

„Ihr erwähntet seine Nähe zum Königshaus. Wird der Comte bald nach Frankreich zurückkehren?“

Hume sprach ruhiger, da er sich offenbar ihres Gehorsams sicher war. „Oh, natürlich wird er das. Trouville ist ein sehr bedeutender Mann, und Philipp wird ihn brauchen. Er ist der Ratgeber seines Herrschers, und außerdem nimmt Trouville stets als erster Kämpfer des Königs an Turnieren teil. Ich bin mir sicher, dass er bald zurückkehren muss.“

Anne nickte. „Ich verstehe und vermute, er hat lediglich vor, hier einen Besitz zu gründen, der ihm zusätzliche Einnahmen verschafft. Sehe ich das richtig?“

„In der Tat. Was für einen Grund sollte er sonst haben? Es ist nicht so, dass er sich nach Euch als Frau sehnt!“

Nun lächelte er sie an, so als hätte er ihr die ganze Zeit nicht gedroht. „Aber er wird Euch haben wollen, sobald er Euch sieht, meine Liebe. Wenn Ihr ihm eine gute Gemahlin seid, könnte er Euch sogar fragen, ob Ihr ihn an den Hof begleiten wollt. Mit Sicherheit der größte Traum einer jeden Frau. Es würde Euch dort gewiss gefallen.“

Sie wollte dafür sorgen, dass er sie hier ließe. Genau hier, damit sie und ihr Sohn so leben könnten wie bisher nach MacBains Tod. Sie würde Roberts Geheimnis um jeden Preis vor beiden Männern wahren, selbst wenn sie in die Heirat einwilligen musste.

Dieser Comte konnte kaum schlimmer sein als MacBain, und sie könnte während seines Aufenthaltes hier alles ertragen. Alles, um die Unabhängigkeit und Sicherheit für ihren Sohn aufrechtzuerhalten. Wenn sie diesen Mann abwies, würde ihr Oheim ihr einen anderen suchen, einen, der für immer auf Baincroft bliebe. Und in der Zwischenzeit würde er Robert mitnehmen. Möge Gott verhindern, dass es dazu käme!

Anne nickte kurz. „Nun gut, wenn Ihr versprecht, mir meinen Robert zu lassen, so werde ich es Euch zuliebe tun.“

„Das Versprechen gebe ich gern.“ Hume nickte zufrieden. „Ich wusste, Ihr würdet die Bedeutsamkeit der Lage erkennen.“

Schnell befahl Anne einer der Mägde, nach oben zu gehen, um das beste Gemach vorzubereiten und einen zusätzlichen Raum für den Oheim zu richten.

Die Tür zur Halle wurde schwungvoll geöffnet. Ein robuster junger Bursche, der recht kostbare Kleidung trug, kam stolzen Schrittes herein, als ob die Burg ihm gehörte.

Zwei Ritter folgten ihm, und ihre Sporen kratzten den Boden auf unter der dünnen Binsenschicht. Glänzende Helme mit metallisch-klirrenden Visieren ruhten jeweils in der Beuge ihres linken Armes. Mächtige Schwerter hingen in Scheiden an ihren Hüften. Die beiden boten einen Furcht erregenden Anblick. Anne widerstand dem Verlangen, einen Schritt zurückzuweichen.

Der Junge blieb kurz vor ihnen stehen, verbeugte sich förmlich vor ihr und ihrem Oheim und verkündete: „Der Comte de Trouville, Mylady, Lord Hume.“

Anne erkannte sofort, welcher Ritter den Titel trug. Es musste der Dunkelhaarige sein. Wenn es nicht schon seine überlegene Haltung verraten hätte, so genügte doch seine außergewöhnliche Kleidung. Er trug einen knielangen Wappenrock, der tiefrot gefärbt und mit einem auffallenden Muster aus Schwarz und Silber verziert war. Sein Schwert hatte mehrere herrliche Juwelen am Knauf, und Anne konnte keinen einzigen Rostfleck an den Gliedern des Kettenhemdes erkennen. Nicht ein Körnchen Staub fand sich darauf.

Sein Begleiter wirkte im Vergleich zu ihm geradezu blass. Er war blond, hellblau gewandet mit weißen Verzierungen, einen halben Kopf kleiner und nicht so stattlich gebaut. Selbst wenn er reich ausgestattet gewesen wäre, hätte Anne ihn niemals mit seinem Herrn verwechseln können. Er besaß nicht dessen gebieterische Ausstrahlung und Selbstsicherheit.

Und dennoch, beide erschienen ihr so großartig und beeindruckend gekleidet, dass sie beinahe geneigt war zu fragen, wo das Turnier stattfinde.

Ihr Oheim gab ihr einen kleinen Schubs. „Mylord, darf ich Euch meine Nichte Lady Anne vorstellen.“

Der Comte hielt dem Jungen die Rechte hin, damit dieser ihm den Handschuh abstreifte. Dann verneigte er sich galant, und Anne reichte ihm unwillkürlich die Hand. Er führte sie an die Lippen und ließ sie fast unmerklich über ihren Handrücken gleiten.

„Willkommen auf Baincroft, Mylord“, sagte sie, bemüht, nicht so atemlos zu klingen, wie sie sich fühlte. Viele Edle hatten ihren Vater und ihren Gemahl besucht, aber niemals zuvor hatte sie einen solchen Mann gesehen.

Er war dunkel wie die Sünde. Pechschwarzes Haar fiel hinab auf den gebogenen stählernen Kragen, der seinen Hals schützte. Glänzende haselnussfarbene Augen mit langen Wimpern sahen sie neugierig und mit großer Bewunderung an.

Anne fühlte, wie sie unter seinem forschenden Blick errötete. Sie trug eines ihrer älteren Gewänder aus grobem Tuch und keine Kopfbedeckung. MacBain hatte von ihr verlangt, diese aus der Mode gekommenen Schleier zu tragen, die sie nun abgelegt hatte. Sie besaß keine anderen Kopfbedeckungen, aber das machte nichts. Umso besser, wenn Trouville sie für unmodisch gekleidet hielt. Er würde sie in Schottland lassen, wo sie hingehörte.

Für einen Mann, der gerade eine ermüdende Reise hinter sich hatte, wirkte er erstaunlich gepflegt. Er war glatt rasiert, gekämmt und verströmte keinen unangenehmen Geruch. Ob er gar nicht schwitzte?

Seine Gesichtszüge waren nicht uneben, sie hatten indes nichts von der weichen Schönheit, die sie sich bei einem Höfling vorstellte. So verhielt es sich mit seiner ganzen Gestalt. Er wirkte kampferprobt und kraftvoll durch ständige Übung, was seine Haltung, seine breiten Schultern und seine schmalen Hüften verrieten. Man musste ihn als unglaublich gut aussehend und selbstsicher beschreiben. Aber Furcht einflößend passte noch besser zu ihm. Niemand würde leicht mit ihm fertig werden.

Er richtete sich auf und ließ ihre Hand los. „Mylady, darf ich Euch bekannt machen mit Sir Guillaume Perrer, der als Ritter in meinen Diensten steht.“ Er wartete, bis der Mann sich verbeugt hatte. „Und mit unserem heutigen Herold, meinem Sohn und Erben, Henri Charles Gillet.“

Anne betrachtete das ernsthafte junge Gesicht, das dem des Vaters glich. Jung für einen Herrn, dachte sie. Er sah kaum älter als dreizehn aus. Seine Manieren schienen so vollendet wie die seines Vaters.

„Henri? Seht Ihr den Mann dort an der Treppe? Er wird Euch zu dem Gemach führen, in dem Ihr mit Eurem Vater wohnen werdet.“

Da sie genau die Bedürfnisse heranwachsender Knaben kannte, fügte sie mit einem Lächeln hinzu: „Wir werden uns in einer Stunde zu Tisch begeben. Ich denke doch, dass Ihr etwas Süßes mögt?“ Er lohnte es ihr mit einem plötzlichen Lächeln, das seine ernste Erscheinung auflöste.

Als sie den Blick wieder seinem Vater zuwandte, bemerkte sie einen Ausdruck von Erleichterung.

„Wollt Ihr Euch nicht setzen und etwas Wein trinken, Mylord? Ihr und Sir Guillaume müsst müde sein.“ Sie deutete auf die Empore in der Halle.

„Habt Dank, aber ich möchte mich mit meinem Sohn nach oben begeben und die Waffen ablegen.“ Er wandte sich an seinen Ritter. „Sucht Eure Unterkunft, und leistet uns dann bei dem Mahl Gesellschaft.“

Anne eilte selbst zu den Küchenräumen und bestellte mehr Speisen und Getränke. Dann trug sie Simm, dem Haushofmeister, auf, schnell ihren Sohn ausfindig zu machen und ihn in ihr Gemach zu schicken.

Während des Mahls nahm der Comte den Ehrenplatz bei Tisch ein, Dairmid Hume saß zu seiner Linken und sie selbst zu seiner Rechten. Der junge Henri trug seinem Vater auf und stand hinter seinem Stuhl. Edouards Gefolgsmänner und die Begleiter des Oheims hatten weiter unten mit dem Burgkaplan an einem Tisch Platz genommen. An einem weiteren Tisch aßen der Verwalter und andere höherrangige Bedienstete des Haushaltes.

Nicht ein einziges Mal nahm der edle Lord Bezug auf die spärliche Kost, die dem unerwarteten Besuch aufgetragen wurde. Genauso wenig machte er Bemerkungen über den Zustand der Burganlage. Obwohl es sehr sauber war, wies Baincroft gewiss nicht all die Annehmlichkeiten auf, an die er zu Hause gewohnt sein musste. Er wird mit Sicherheit nicht lange bleiben wollen, dachte Anne zufrieden.

Das Beste war, dass er die Abwesenheit ihres Sohnes nicht erwähnte. Robert hätte der Etikette halber mit am Tisch sitzen oder als Page bedienen müssen.

Anne bemerkte, dass Trouville im Gegensatz zu Sir Guillaume keine geringschätzigen Blicke auf die Halle oder ihre Bewohner warf. Wenn er sich auch wie in einer Stallung vorkommen mochte, voll von rückständigen Bauern, so verbarg er es gut und schien damit zufrieden zu sein. Das ist recht höflich von ihm, dachte sie.

Sie nahm das Dargebotene an, das der Comte ihr auf dem Tranchierbrett reichte. Er redete mit unerwartet trockenem Humor über das Wetter während der Überfahrt und über die wechselhafte Reise über Land. Anne achtete darauf, dass ihr zurückhaltendes Lächeln genau in den passenden Momenten seinen Worten beipflichtete.

Wenn man alles in Betracht zog, abgesehen von seiner Furcht einflößenden Erscheinung, schien der Comte eher ein angenehmer Mensch zu sein. Aber Anne wollte sich nicht täuschen lassen. Sein Witz überraschte, sie rechnete jedoch mit Verstellung. Schließlich wollte er ihre Hand und ihren Besitz haben. Warum also sollte er zu Beginn nicht galant auftreten? MacBain hatte sich bei ihrem ersten Treffen ebenso verhalten. Die Höflichkeit war indes nicht von Dauer gewesen.

Nach dem Mahl bat der Comte sie, mit ihr alleine sprechen zu dürfen. Sie war auf den unmittelbar bevorstehenden und unvermeidbaren Heiratsantrag vorbereitet und lud ihn gelassen zu einem Krug Wein in die Kemenate neben der Halle ein.

„Es ziemt sich, Mylord, dass ich unter vier Augen mit Euch spreche, da ich eine Witwe bin“, versicherte sie ihm, als sie eintraten. „Ich finde es bequem, mein Tagewerk hier abzuwickeln, wegen des besseren Lichts. Wir nähen und spinnen hier, denn es ist wärmer und heller als in der Halle. Ich habe mein Gemach im oberen Stockwerk.“

Er bot ihr seinen Arm an. „Niemals würde ich die Schicklichkeit unseres Gesprächs infrage stellen, Lady Anne, denn ich sehe, dass Ihr ein Vorbild an Anstand seid.“

Ihr wurde warm bei seinem prompten Kompliment. „Ihr seid sehr galant, Mylord, wenn ich bedenke, dass Ihr mich kaum kennt.“

Er berührte ihre Hand, welche auf seinem Ärmel ruhte. „Ein Zustand, dem ich hoffentlich in Kürze Abhilfe schaffen kann.“ Als sie sich auf den hohen Lehnstühlen am Feuer niederließen, sagte er: „Ich weiß, dass Euer Oheim von mir sprach, bevor ich eintraf. Stimmt Ihr einer Verbindung zwischen uns zu, Mylady?“

Diesem Mann lag offenbar nicht daran, Zeit zu vergeuden, wenn er einmal einen Entschluss gefasst hatte.

„Ja“, sagte sie nach einem kurzen Zögern. Sie blickte ihn an und hoffte, sich in keiner Weise zu verraten. „Ich bin einverstanden.“ Verflucht, wenn sie ihm auch noch für die Ehre danken sollte.

Sie schenkte ihm Wein ein, den er aus einem einfachen Kelch trank. Nun stellte er das Gefäß ab, nahm ihre Hände und zog sie hoch, bis sie vor ihm stand.

Ohne es anzudeuten, beugte er sich zu ihr hinab und drückte seine Lippen auf ihren Mund, um ihre Übereinkunft zu besiegeln.

Anne blieb bewegungslos und war wie gebannt von der Wärme seines Mundes. Sein Kuss rief eine prickelnde Freude in ihr hervor. Er ließ sie los und trat etwas zurück. Nun berührten sie sich nicht mehr, aber sie glaubte, ihn immer noch zu spüren.

Sein unwiderstehlicher Blick verriet ein gewisses Maß an Befriedigung. Trouville musste wissen, wie leicht und wie tief er ihre Gefühle aufgewühlt hatte, obwohl der Kuss nur eine formale Geste sein sollte.

So kann es nicht gehen, dachte sie. Sie blinzelte, um den Bann zu brechen, und schüttelte den Kopf. Wenn dieser Mann ihre Gedanken nur mit einer Berührung und einem Kuss vernebeln konnte, welchen Schaden könnte er noch anrichten, sobald sie sich erst körperlich näher kommen würden?

Nein, so durfte es wirklich nicht weitergehen. Jetzt musste sie sich in Acht nehmen und sich vor ihm hüten. Zum Glück würde er nicht lange bleiben.

2. KAPITEL

Kein Zweifel, Euer Oheim hat bereits die Verträge vorbereitet“, sagte Trouville. Er senkte den Kopf und verzog verschwörerisch lächelnd den Mund. „Ich habe in den letzten Tagen bemerkt, dass er des Nachts unaufhörlich wie ein Besessener schreibt.“

„Er ist in der Tat eifrig darum bemüht, unsere Verbindung zu fördern“, erwiderte Anne und fragte sich, ob der Comte wusste, warum. Wenn ja, störte es ihn nicht, für die Machenschaften des Oheims benutzt zu werden? Trouville schien ihr kein Mann zu sein, den man für seine Zwecke einspannen konnte, ohne dass er dabei von seinem Vorteil überzeugt war. Er würde gewiss mehr für sich gewinnen, wenn sie mit ihm verheiratet wäre.

„Müssen wir ein Aufgebot bestellen?“ fragte der Comte. „Habt Ihr einen Priester, der uns glaubt, dass niemand unserer Verbindung widerspricht? Hume könnte in dieser Hinsicht für uns bürgen.“

Anne wünschte, sie könnten das Ganze sofort hinter sich bringen, wusste es indes besser. „Mein Oheim wird wahrscheinlich so viele Zeugen wie möglich für diese Heirat versammeln wollen.“

Der Comte zog die dunklen Augenbrauen finster zusammen. „Ich muss in drei Tagen wieder an der Küste sein, um auf ein Schiff zu warten, und ich hoffte, es wäre alles erledigt, bevor ich aufbreche. Wir brauchen kein großes Fest zu veranstalten. Immerhin ist es Eure zweite Hochzeit und meine dritte.“

Nach dieser vorschnellen Äußerung besann er sich eines Besseren. „Natürlich nur, falls Ihr nicht wünscht, ein großes Ereignis daraus zu machen.“

Anne schüttelte den Kopf und versuchte, sich ihre Erleichterung über seine baldige Abreise nicht anmerken zu lassen. „O nein, das habe ich nicht vor.“

Für ihr rasches Entgegenkommen erntete sie ein Lächeln, das ihr Herz höher schlagen ließ. „Glaubt Ihr, dass Ihr etwas mehr Zeit braucht, um Euren Sohn auf alles vorzubereiten? An ihn habe ich bisher nicht gedacht. Hat er unsere Gegenwart bewusst gemieden?“

„O nein, Mylord. Er weiß von den Ereignissen noch nichts. Wie sollte er auch, solange zwischen uns nicht alles geklärt ist? Robert wird keine Probleme bereiten, das verspreche ich Euch.“

„Sehr gut, dann brauchen wir ja nicht länger zu warten“, sagte er entschlossen.

„Wie Ihr wünscht“, stimmte sie zu. „Ich werde morgen früh mit Pater Michael sprechen. Er kann, falls es Euch zusagt, die Zeremonie übermorgen abhalten.“

Er zog eine Braue hoch, verschränkte die Arme vor der Brust und verlagerte sein Gewicht dabei auf einen Fuß. Anne kam es so vor, als ob diese Haltung wohl bedacht wäre, indes beachtete sie seine Eitelkeiten nicht weiter. Er sah in der Tat gut aus und schien sich dessen durchaus bewusst zu sein. „Ihr habt keine Vorbehalte, Mylady, einen Fremden zu ehelichen, dessen Vermögen Ihr nicht kennt? Interessiert es Euch nicht, was ich in diesen Handel mit einbringe?“

Anne wusste nur zu gut, was eine Schmeichelei vermochte, auch wenn sich ihr in den letzten Jahren dazu nur selten Gelegenheit geboten hatte. Schüchtern senkte sie den Kopf. Trouvilles Gunst konnte ihrer Sache nur dienlich sein. „Euer Verhalten ist ausgesprochen wohlwollend und höflich. Offenbar seid Ihr nicht mittellos und von weit her gereist, um mich mit Eurem Heiratsantrag zu ehren. Ich habe zuvor einen Fremden geheiratet, nur weil mein Vater die Verbindung verlangt hatte. Warum sollte ich mich jetzt gänzlich anders verhalten, da ich doch mehr gute Gründe habe, als ich mir je zuvor erträumte?“

„Wie nett Ihr das sagt!“ bemerkte er und fügte hinzu: „Ich glaube, unsere Vermählung ist ein Geschenk des Himmels.“ Oder der Hölle, dachte Anne. „In der Tat“, erwiderte sie und nickte kaum merklich.

Anne hätte schwören können, dass dem Comte bei ihrer Schmeichelei die Brust schwoll.

„Ah, Mylady, wie klein und unbedeutend ich mir bei Euren Worten vorkomme“, sagte er. Er klang ehrlich, aber sie bezweifelte, dass er vor irgendjemandem Demut zeigte. Seine Überheblichkeit stand ihm indes nicht schlecht an.

Da er sich von ihren Komplimenten geschmeichelt fühlte, verlegte er sich nun ebenfalls auf schöne Worte. „Ich hoffe nur, dass Euer Sohn unserer Verbindung in gleicher Weise zustimmt wie seine reizende Mutter. Wenn ja, so erachte ich dieses Ereignis als sehr bedeutend in meinem Leben, und nichts wird mich davon abbringen.“

Anne suchte nach einer Begründung, warum Robert nicht mit ihnen gemeinsam am Tisch gesessen hatte. Der Comte musste darüber verwundert sein, immerhin erwähnte er ihren Sohn erneut. „Robert wollte heute Abend Euch gegenüber gewiss nicht unhöflich sein, Mylord. Nur ist er sehr schüchtern Fremden gegenüber. Auch fühlt er sich nicht wohl. Ich werde mit ihm reden, sobald ich mich in mein Gemach zurückziehe.“

„Er schläft bei Euch und Euren Frauen, Mylady? Ein zehnjähriger Knabe?“

Anne schüttelte den Kopf. „So ist es nicht! Er wohnte bisher in der Herrenkammer, wie es ihm zusteht. Aber nun, da Ihr gekommen seid, habe ich angeordnet, seine Dinge in mein Gemach bringen zu lassen.“ Sie senkte die Stimme, als ob sie ein Geheimnis preisgeben wollte. „Robert glaubt, er soll dort schlafen, um mich zu beschützen, während wir fremde Gäste bei uns beherbergen.“ Sie lachte unbekümmert, um sicherzustellen, dass der Comte den kleinen Scherz gutheißen und keinen Anstoß daran nehmen würde.

„Wie sehr Ihr doch den Stolz eines jungen Mannes einzuschätzen wisst“, sagte er. Seine Miene hellte sich auf, und Anne musste ein Seufzen unterdrücken. Sein Blick ließ eine Frau schwach werden. Sie musste Acht geben. Zum ersten Mal war sie auf einen Mann getroffen, der sie in seinen Bann zog. Niemals zuvor war ihr jemand wie er begegnet.

Anne wusste, sie durfte ihm seine Rechte nicht verwehren, sobald sie verheiratet waren. Gleichzeitig stellte sie sich vor, dass die Verbindung vielleicht doch erträglich werden würde. Erträglich oder nicht, sie musste ihm gefallen und ihn zufrieden fortziehen lassen. Der Gedanke daran bereitete ihr nicht halb so viel Kopfzerbrechen, wie er es eigentlich sollte.

Ihr oblag es, dafür zu sorgen, dass sich während seiner Anwesenheit kein Anlass bot, der seine Laune verdarb: ein halb gares Stück Fleisch, ein Becher essigsauren Weins, eine Küchenmagd, die bei seinen derben Späßen verschreckt wirkte. Der Comte würde in diesen Fällen nicht anders reagieren als ihr Vater oder MacBain. Aber da sie Trouville nur für weniger als drei Tage zufrieden zu stellen brauchte, war sie zuversichtlich, dass es ihr gelingen würde.

Anne räusperte sich und hob den Kopf. „Übermorgen dann also heiraten wir, sodass Ihr Euch am darauf folgenden Tag zur Küste aufmachen könnt. Aber es wäre mir lieb, wenn Ihr selbst meinen Oheim davon in Kenntnis setzen würdet, Mylord. Er könnte sonst glauben, ich wäre für die Eile bei der Hochzeit verantwortlich.“

Der Comte lachte laut auf, und Anne errötete. Er könnte nun meinen, ich hätte mich von Begierde hinreißen lassen, dachte sie.

„Ich werde ihm versichern, dass ich selbst unser Abkommen unverzüglich und würdig vollenden will! Ich danke Euch sehr, dass Ihr die Notwendigkeit meiner raschen Abreise nach der Hochzeit erkennt, Anne. Ich darf Euch doch bei Eurem Vornamen anreden, oder?“

Er lächelte galant und wollte sie mit der Fingerspitze im Gesicht berühren. Anne wich zurück bei dieser Vertraulichkeit, besann sich aber sogleich wieder. Immerhin war er ihr Verlobter. Sie musste Berührungen zulassen, die alles in allem doch eher angenehm waren.

„Ihr dürft mich nennen, wie es Euch beliebt, Mylord.“

„Der Name dieser Heiligen scheint Eurer würdig zu sein. Mein Vorname ist Edouard, falls Ihr davon Gebrauch machen möchtet. Ich wünschte, Ihr würdet es tun.“ Er sprach in zärtlichem Tonfall. Oh, vor ihr stand ein erfahrener und galanter Edler, aber die süßeste Frucht konnte den faulsten Kern verbergen. Sie kannte sich aus.

„Edouard.“ Sie verlieh ihrer Stimme einen Hauch von Wohlgefallen. „Ihr habt einen bedeutungsvollen Namen. Edouard heißt Beschützer, nicht wahr?“

Er nickte. Dann verschränkte er die Arme vor der breiten Brust und betrachtete sie nachdenklich. „Ich habe beschlossen, dass wir aus Liebe heiraten werden“, sagte er mit Nachdruck.

„So, habt Ihr das?“ erwiderte Anne und lachte ungewollt fröhlich auf. Diese unerwartete Neckerei gefiel ihr. Dem Comte schien das Leben zu gefallen, und sie mochte diese Einstellung, obwohl er sehr ernst dreinblicken konnte, so wie in diesem Moment.

„Ja, ich denke, Ihr macht einen guten Vorschlag“, fügte sie hinzu. „Das würde unsere rasche Verlobung und die überstürzte Hochzeit erklären, falls irgendjemand sich darüber wundern sollte.“

Er nickte und erklärte mit erhobenem Zeigefinger: „Dafür wäre es gut, aber ich denke wirklich, dass Ihr mich lieben solltet.“

Anne biss sich auf die Lippe, um nicht wieder lachen zu müssen. Sie räusperte sich, atmete tief durch und sagte dann: „Euch lieben, ich verstehe. Ein ungewöhnlicher Vorschlag. Ich frage mich nur, warum, um alles in der Welt, ich dies tun sollte?“

Der Comte zuckte die Schultern und streckte ihr die Hände entgegen. „Ich denke, es würde viel Gutes für unser Glück verheißen. Wollt Ihr mich lieber hassen?“

Sie wandte sich von ihm ab und schritt durch den Raum. Was sollte sie ihm darauf antworten? „Natürlich möchte ich Euch nicht hassen! Aber bedenkt, Edouard, ich kenne Euch doch kaum! Und was ist mit mir? Werdet Ihr auch mich lieben? Wie könnt Ihr sicher sein, dass ich nicht das schwärzeste Herz auf dieser Welt habe?“

Lächelnd zog er die Brauen hoch. „Weil ich Euer Herz kenne, meine Liebe! Und um Eure Frage zu beantworten, ja, ich werde Euch lieben.“

„Liebe hin oder her, wir werden schon unser Vergnügen haben, oder? Was für eine Vorstellung, aus Liebe zu heiraten! Ihr kommt mir nicht besonders empfindsam vor. Sagt mir, wann habt Ihr beschlossen zu lieben und geliebt zu werden? Noch dazu von Eurer Gemahlin?“

Er ging zum Fenster und blickte hinaus. „In dem Moment, als ich Eure wunderschöne Gestalt erblickte. Aber ich denke tatsächlich schon Jahre darüber nach. Wäre eine Liebesheirat nicht einzigartig?“

„Ihr seid also ein Mann, der wahrhaftig an die Liebe glaubt?“ Obwohl sie diese Frage eher im Scherz gestellt hatte, wollte sie dennoch seine Meinung dazu hören, denn sie war der Auffassung, dass es zwischen Mann und Frau nicht die Gefühle gab, die in Liedern und Gedichten besungen wurden. Derartige Empfindungen hatten jedenfalls bis jetzt nicht zu ihren Erfahrungen gehört.

„Ohne Zweifel“, antwortete er prompt, als er sich ihr wieder zuwandte. „Ich weiß, dass viele davor warnen, die Liebe mit einer Heirat zu verbinden, aber ich habe zwei Ehen ohne Liebe hinter mir, und …“

„Und ich eine“, unterbrach sie ihn. „Wenn Ihr die Liebe jedoch nie erfahren habt, wann habt Ihr festgestellt, dass Ihr der Liebe fähig seid?“

„Als ich das Gesicht meines Sohnes nach seiner Geburt sah. Ging es Euch nicht ebenso beim Anblick Eures Sohnes?“

„O doch, gewiss, und mehr als das! Aber die Liebe zu einem Kind ist etwas anderes als die zu einem Gemahl.“

„Das ist es wahrlich“, gab er zu, „aber es beweist, dass ein tieferes Gefühl für und die Sorge um einen Menschen, der einem wichtiger ist als man sich selbst, möglich sind. Ich möchte diese Liebe einer Frau entgegenbringen. Euch. Wenn Ihr mich doch nur genauso lieben könntet.“ Sanft streichelte er ihre Wange, und Anne ließ sich die Zärtlichkeit gefallen.

Dann blickte sie ihn an. „Ich glaube nicht, dass Liebe unter solchen Bedingungen entsteht, Mylord. Entweder man liebt, oder man tut es nicht.“

Er strich ihr über die Nasenspitze. „Wir beide werden unsere eigenen Regeln aufstellen. Zwischen uns soll es keine unerwiderte Liebe geben. Ihr werdet mich lieben, und ich werde Euch lieben, bedingungslos. Das ist mein fester Entschluss.“

Dieser Mann musste entweder verrückt sein, oder er ließ sich zu so einer Narretei hinreißen, um sie zum Lachen zu bringen und seinen oberflächlichen Vorschlag ins Heitere zu ziehen.

Wenn er während seines zweitätigen Aufenthalts galanten Zeitvertreib wollte, dann würde sie mitspielen. „Die Liebe sei es!“ sagte sie und vollführte einen eleganten Knicks.

„Sollen wir gehen und die anderen an unserem Glück teilhaben lassen?“ fragte Edouard.

„Mit aller gebotenen Eile“, stimmte Anne zu.

Er legte ihre Hand auf seinen Arm, als sie in die Halle zurückkehrten. Und sie setzte ihr schönstes Lächeln auf. Nicht für einen Moment sollte ihr Oheim auf den Gedanken verfallen, sie hätte sich aus Angst seinen Drohungen gefügt. Das ist meine Entscheidung, sprach es aus ihrem Blick, wie es Worte nicht besser hätten ausdrücken können.

Bedauerlich war nur, dass Dairmid Hume in seinem hehren Anflug von Freude und überhäuft von überschwänglichen Glückwünschen sich offenbar nicht darum scherte, wessen Entscheidung es letztlich gewesen war.

Anne tröstete sich damit, dass sie bei dieser Verbindung viel mehr gewonnen hatte als ihr Oheim. Sie würde einen ständig abwesenden Gemahl haben, hätte nichts mehr mit Dairmid Hume zu tun, und ihr Sohn könnte bei ihr bleiben. Im Moment kam ihr das alles sehr gelegen.

Jetzt war für sie nur noch wichtig, Robert von ihrem Oheim und von dem Comte fern zu halten, bis beide Baincroft verließen und nach Frankreich zurückkehrten. Vorausgesetzt, ihr Sohn würde mitspielen.

Allein diese Sorge bedrohte ihre hart erkämpfte und wohl erprobte Fassung. Robert hatte seinen eigenen Kopf und mehr Stolz, als jetzt von Nutzen war.

Am nächsten Morgen wachte Edouard besser gelaunt auf als sonst. Die Sonne schien durch die Bogenfenster, und ihre Wärme milderte den Luftzug. Sogar das Wetter hieß ihn an diesem Ort willkommen. Wäre er abergläubisch, bedeutete dies ein gutes Omen. Aber seine zynische Haltung warnte ihn, dass das schottische Wetter sprichwörtlich wechselhaft war, und so könnte es auch um die Dame bestellt sein, die zu ehelichen er beabsichtigte. Jetzt jedenfalls wollte er zu ihren Gunsten entscheiden. Wenn wir verheiratet sind, werde ich ihr Grund genug geben, fröhlich zu bleiben, dachte Edouard mit einem dünnen Lächeln.

Anne of Baincroft kam ihm nicht wie eine schuldbeladene junge Lady vor, besessen von der Vorstellung der Erbsünde, wie es bei Henris Mutter der Fall gewesen war. Außerdem zögerte sie nicht mit der Hochzeit wie seine zweite Gemahlin. Falls Anne einen anderen Mann liebte, wie es bei Helvise der Fall gewesen war, dann konnte sie dies gut verbergen. Ihre Worte und ihre ganze Haltung ließen darauf schließen, dass sie so war, wie sie ihm erschien, eine kluge und schöne Witwe, die eine vorteilhafte Verbindung willkommen hieß.

Ihre natürliche Schönheit und Anmut übertrafen seine anfänglichen Erwartungen. Ihr Lachen klang wie liebliche Musik. Und ihre Begeisterung für eine rasche Verlobung war gewiss ein zusätzlicher Segen.

Er hatte sie am Abend zuvor geneckt, um ihr die Anspannung zu nehmen, und sie war ihm in gleicher Weise entgegengekommen. Obwohl sie schüchtern sein konnte, hatte er gleich bemerkt, dass sie nicht die Verhaltensweise der hochmütigen Frauenzimmer an den Tag legte, die ihn sonst umgaben. Er hatte es mit seinem Gerede von gegenseitiger Liebe beinahe ernst gemeint. Wäre es nicht erstaunlich, wenn sie wirklich …

„Die Burg ist eine Ruine, aber Lady Anne nicht, oder?“ unterbrach Henri seine Gedanken mit einem schalkhaften Lächeln. „Sie ist richtig hübsch für ihr Alter.“

„Unverschämter Balg“, mahnte Edouard, als er sein Gesicht über der Waschschüssel wusch. „Schlag meinen blauen Mantel aus, und bring mir den silbernen Gürtel.“

Baincroft muss Henri ziemlich verarmt vorkommen, dachte Edouard. Lady Anne führte einen sparsamen Haushalt, obwohl es zur Genüge wollene Decken gab und dazu ausreichend Lebensmittel, damit niemand hungern musste. Sie ließ einfaches Essen zubereiten, dem außer Salz die ihm vertrauten Gewürze fehlten und das ohne viel Tafelgeschirr auf grobem Tuch aufgetragen wurde.

Wirtschaftlichkeit stand einer Frau gut, aber Anne würde dieser Maßnahmen bald nicht mehr bedürfen. Der altertümliche rechteckige Wohnturm erhob sich nur drei Stockwerke hoch, und alle Kammern konnten über die gewundene Treppe erreicht werden. Irgendein kluger Vorfahre hatte zusätzlich einen hohen Schutzwall aufwerfen lassen, wodurch genügend Raum zwischen der Außenmauer und dem Hauptgebäude entstanden war, um weitere Häuser zu errichten. Alle Steinmauern, innen wie außen, waren unbehauen und nicht verputzt. Dank seines Reichtums könnte sich alles ändern. Er würde noch in dieser Woche auf das Schiff treffen und all das erhalten, was sein Verwalter von den Gütern in Frankreich hatte zusammentragen und verschicken können. Sein Hab und Gut würde Baincroft für die nächsten Jahre in einen recht wohnlichen Ort verwandeln, einer Edelfrau angemessen. Für den Zeitpunkt, an dem ihr Sohn die Burg für sich beanspruchen würde, hatte Edouard bereits ein geradezu königliches Gebäude für Anne im Sinn, das auf ihrem Land ganz in der Nähe von Baincroft erbaut werden sollte.

Würde sie den Reichtum willkommen heißen, oder bliebe sie eine anspruchslose und dennoch würdevolle Frau? Im Stillen hoffte er, sie würde so bleiben, wie sie war. Sie hatte etwas Heiteres an sich, eine Wesensart, die ihm viel bedeutete. Edouard fühlte, wie eine innere Ruhe ihn durchströmte und die ständige Wachsamkeit verdrängte.

Er zog seinen Gürtel enger und wartete auf Henri, der ihm weiter beim Ankleiden helfen sollte. „Die Dame gefällt dir also?“ fragte er seinen Sohn.

„Dürfte ich denn widersprechen?“ erwiderte der Junge und hielt ihm ein samtenes Kleidungsstück hin. „Was würde es ausmachen? Letztes Mal hat es auch nichts geändert.“

„Das stimmt“, räumte Edouard ein. Eigentlich hätte er Henri für seinen Sarkasmus rügen müssen, aber er sagte ja nur die Wahrheit. Voller Zuneigung lächelte er seinen Sohn an. „Trotzdem würde ich es gerne sehen, wenn du mich unterstütztest.“

Er seufzte und legte die Hände auf Henris schmale Schultern. „Mein Sohn, du bist jetzt fast ein Mann. Es war nicht richtig von mir, so lange ungebunden zu leben. Wer soll dir beibringen, wie man sich benimmt und wie man sich vor den Damen verhält, solange ich nicht heirate? Ich könnte dich bei einem Edelmann aufwachsen lassen, der vermählt ist, aber ich vertraue keinem anderen deine Erziehung an.“

Henri nickte. „Ich wachse bei dem besten Erzieher auf, den es gibt, Vater.“

„Du weißt genau, wie du deinen Vater stolz machst, oder?“ Edouard war wirklich sehr erfreut, dass Henri so dachte. Er strich über dessen Schultern, als wollte er Staub entfernen. „So! Sollen wir nach unten gehen, unser Frühmahl einnehmen und meine zukünftige Braut bezaubern?“

„Warum nicht?“ sagte Henri. „Zumindest bietet sie uns keine Eingeweide vom Schaf an, wie man es hier wohl zu tun pflegt. Dafür muss man sie mögen, meine ich.“

Edouard gab ihm einen Klaps, und sie lachten.

Als sie die Treppe hinabstiegen, fragte Edouard sich, ob Lady Anne ihren Sohn von der Hochzeit überzeugt hatte. Ein halb erwachsener Bursche konnte Eifersucht wegen der Mutter hegen, den Mann hassen, der seinen toten Vater ersetzte, und darüber hinaus jeden ablehnen, der in den kommenden Jahren seine Ländereien verwaltete.

Lady Anne begrüßte sie mit freundlichen Worten, als sie die Halle betraten. „Mylord, Henri, ich bitte Euch, kommt und esst. Mein Onkel hat Baincroft vor über zwei Stunden verlassen.“ Sie zog die Brauen hoch und begegnete Edouard mit einem verschwörerischen Lächeln. „Er ist auf der Suche nach Spielleuten für das Hochzeitsfest und nach besserem Wein.“ „Nun, das überrascht mich nicht.“ Edouard lachte und nahm ihre Hand. Er drückte ihre Finger und fühlte, wie sie den Druck erwiderte.

In der Zwischenzeit beglückwünschte er sich erneut dafür, dass er sich entschlossen hatte, diese Frau zu heiraten. Schon beim ersten Anblick tags zuvor war ihm klar geworden, dass er sie haben wollte. Sie brachte sein Blut in Wallung, und ihre Reize beschränkten sich keineswegs auf ihre äußere Erscheinung. Er entdeckte an ihr eine erstaunliche Kraft, eine innere Ruhe und eine kühne Entschlossenheit, die alles übertrafen, was er bisher bei einer Frau bemerkt hatte. Sie besaß diese Eigenschaften ohne auffallende Streitsucht, und er fragte sich, wie sie das zustande brachte.

In gewisser Weise ähnelte sie Humes Tochter Honor.

„Wann werden wir Euren Sohn kennen lernen, Mylady?“ wagte Henri zu fragen. Edouard hätte seinen Jungen tadeln sollen, dass er ohne Erlaubnis sprach, wollte indes selbst auch die Antwort hören. Er blickte ebenso erwartungsvoll wie Henri.

Lady Anne presste für einen Moment ihre rosenfarbenen Lippen zusammen, bevor sie antwortete: „Später am Tag. Robert ist mit meinem Verwalter auf die Jagd gegangen. Wir hatten Euer Kommen für gestern Abend nicht erwartet und stellten heute Morgen fest, dass wir nicht genügend Fleisch für die Mahlzeiten haben. Ihr werdet es ihm nachsehen, nicht wahr? Robert fühlt sich so verantwortlich für die Gastfreundschaft auf Baincroft.“

„Er hat sich demnach von seiner Krankheit erholt?“

Autor

Lyn Stone
Lyns Ausflug in die Romanliteratur begann in den 90-ern. Am Valentinstag des Jahres 1996 unterschrieb sie ihren ersten Vertrag mit dem kanadischen Verlag Harlequin. “Blumen, Süßigkeiten, Küsse und auch noch ein Buchverkauf! Es wird nie wieder so einen Tag wie diesen geben!“sagt sie begeistert
Lyn studierte Kunst und arbeitete in Europa,...
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