Irische Hochzeit

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Irland im Jahre 1170: Niemals darf sich irisches Blut mit dem der normannischen Feinde vermischen! Und so schwört der unterlegene König Patrick, dass er die Ehe mit Isabel de Godred, Tochter seines Gegners, nicht vollziehen wird - ein Schwur, der dem stolzen Kelten zum Verhängnis wird. Denn mit ihrer Schönheit, ihrem weichem Herzen und scharfen Verstand entfacht seine junge Gattin in ihm das Feuer des Verlangens. Unter dem irischen Mond will Patrick sie wahrhaftig zu seiner Frau und der Königin seines Herzens machen! Aber kaum hat er diesen Entschluss gefasst, gerät Isabel durch eine Intrige aus Patricks eigenen Reihen in Lebensgefahr …


  • Erscheinungstag 04.02.2009
  • Bandnummer 253
  • ISBN / Artikelnummer 9783862951567
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

England, 1170

Jede Frau denkt doch an ihrem Hochzeitstag daran, ein Pferd zu stehlen und auf und davon zu gehen, oder nicht?

Isabel de Godred kämpfte gegen die aufsteigende Unruhe an. Es war ihre Pflicht, ihrem Vater zu gehorchen. Das begriff sie, obwohl sie ihre rote seidene Tunika umklammerte und zu den Ställen hinübersah.

Im Herzen wusste sie, dass eine Flucht zwecklos war. Selbst wenn es ihr gelänge, das Anwesen zu verlassen, würde ihr Vater ihr doch eine ganze Armee hinterherschicken. Edwin de Godred war nicht gerade für seinen Großmut bekannt. Alles hatte zu geschehen wie er es befahl, und wehe jedem, der seine Anordnungen nicht befolgte.

Vielleicht ist diese Heirat gar nicht so schlecht, meldete sich in Isabel die Stimme der Vernunft. Vielleicht war ihr Verlobter ein liebenswürdiger, gut aussehender Mann, der ihr die Freiheit ließe, seinen Haushalt nach ihrem Gutdünken zu führen.

Isabel schloss die Augen. Nein, das war höchst unwahrscheinlich. Wenn dem so wäre, hätte ihr Vater diesen Freier vor ihr aufmarschieren lassen und mit dieser Heirat geprahlt. Sie wusste vom irischen Erbe ihres Bräutigams und kannte seinen Rang. Sonst wusste sie kaum etwas über ihn.

„Seid Ihr fertig, Mylady?“, fragte ihre Zofe Clair. Mit verschwörerischem Lächeln fügte sie hinzu: „Glaubt Ihr, dass er hübsch ist?“

„Nein, hübsch wird er bestimmt nicht sein.“ Alt und zahnlos, so würde der Mann aussehen. Furcht stieg in Isabel auf. Ihre Schritte wurden bleischwer. Ihr überstürzter Fluchtplan erschien immer verlockender.

„Aber sicher …“

Isabel schüttelte den Kopf. „Clair, noch nicht einmal bei der Verlobung ließ Vater mich den Mann sehen. Wahrscheinlich ist er ein halber Teufel.“

Ihre Zofe bekreuzigte sich stirnrunzelnd. „Ich hörte, er sei einer der irischen Könige. Da muss er unvorstellbar reich sein.“

„Er ist nicht der Hochkönig.“ Gott sei Dank. Vielleicht würde sie über einen Stamm zu herrschen haben. Aber es erwartete sie wenigstens nicht die Bürde, ein ganzes Land zu regieren. Während sie über die Holztreppe an der Außenmauer des Burgturms hinunterschritten, fragte sich Isabel, wie es ihrem Vater nur gelungen war, in so kurzer Zeit eine Verlobung zu arrangieren. Erst seit letztem Sommer unterstützte er den Feldzug des Earl of Pembroke.

„Wie gerne wäre ich an Eurer Stelle“, meinte Clair mit träumerischem Lächeln.

„Und wie gerne würde ich dir den Mann schenken.“ Leider war das nicht möglich.

In Isabels Vorstellung wurde ihr Bräutigam zu einem Monster. Der Mensch musste unerträglich sein, wenn er solch ein Geheimnis aus sich machte. Eigentlich wusste sie, dass es ungerecht war, ein Urteil zu fällen, bevor sie ihren Zukünftigen getroffen hatte. Doch sie konnte nicht anders, als sich das Schlimmste vorzustellen.

„Ihr werdet Herrin Eures eigenen Königreiches sein“, seufzte Clair. „Stellt Euch das nur vor! Ihr werdet Königin.“

„Vermutlich.“ Das vergrößerte nur noch ihre Angst vor der bevorstehenden Hochzeit. Was wusste sie schon darüber, wie sich eine Königin zu benehmen hatte? Sie wusste lediglich, wie man einen Besitz umsichtig verwaltete. Das war aber auch schon alles.

Vor der Kapelle erwartete ihr Vater Edwin de Godred, Lord Thornwyck, sie inmitten einer kleinen Schar von Gästen und Dienern. Er war groß und schlank mit sorgfältig gepflegtem, bereits ergrautem Bart und Schnurrbart. Prüfend musterte er sie, und Isabel kam sich vor wie eine Stute, die verkauft werden sollte. Sie widerstand dem Bedürfnis, die Zähne zu blecken, damit die auch geprüft werden konnten.

Nein, es fiel ihr nicht schwer, diesen Ort zu verlassen. Doch was konnte sie von einem irischen König erwarten? War er freundlich? Grausam? Sie wurde immer unruhiger.

„Ist er hier?“,fragte sie ihren Vater und betrachtete die Männer, welche vor der Kirche warteten.

Edwin nahm ihre kalten Finger und hielt sie mit festem Griff, während er sie in die Kirche geleitete. „Du wirst ihn früh genug treffen. Vor wenigen Stunden haben meine Männer seinen Tross erspäht.“

„Ich hätte ihn lieber bei unserer Verlobung kennengelernt“, murmelte Isabel. Statt einer Antwort brummte ihr Vater nur unwillig.

Isabel erschauerte. Bevor sie den Mann nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, würde sie ihre Fluchtpläne jedenfalls nicht aufgeben. Mit jedem Schritt fühlte sie sich verlorener. Ihre Schwestern waren nicht hier, um ihr eine Stütze zu sein. Edwin hatte es nicht erlaubt, und es schmerzte Isabel mehr, als sie geglaubt hatte.

Sie erreichten den Burghof, wo gerade der Priester mit einem gut gekleideten Mann sprach. Außer einem schmalen, schneeweißen Haarkranz besaß Letzterer kaum noch Haare.

„Ist er das?“, fragte Isabel. Ihr Vater gab keine Antwort. Geistesabwesend blickte er in die Ferne.

Der ältere Mann schluckte schwer und wischte sich die Hände am Saum seiner Tunika. Er blickte umher, als suchte er jemanden.

Mit glühenden Wangen schickte Isabel ein stummes Stoßgebet zum Himmel. Gott, bitte rette mich vor dieser Heirat, dachte sie, als ihr Vater ihr Handgelenk fester packte.

Einen Moment später vernahm sie den Hufschlag eines sich nähernden Pferdes. Erschrocken blickten sie zum Himmel empor. „Das ging aber schnell.“

„Was ist?“, fragte Edwin.

„Nichts.“ Isabel zwang sich, ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen. Das Hämmern der Hufe kam näher. Ihr Vater lächelte genugtuend und bedeutete dem Priester zu warten. Der ältere Mann gesellte sich zu den Gästen. Er war also nicht der Bräutigam.

Das Geräusch wurde lauter, und Isabels Vater machte eine Bewegung, als wollte er die Hand auf den Schwertknauf legen. Einige der Gäste sahen zu Edwin hinüber, und die Frauen blickten sich unsicher an. Der Priester drehte sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht zu Isabel.

Sie erstarrte. Ein Mann tauchte auf und ritt auf die Gäste zu. Seine Kleider waren bessere Lumpen, getrockneter Schlamm bedeckte den Saum seines Mantels. Und doch ritt er ein wendiges Pferd, einen Hengst, der eines Ritters würdig gewesen wäre.

Er hatte sein Schwert gezogen, als wollte er jeden niedermähen, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Gäste drängelten zurück, um sich vor dem Pferd in Sicherheit zu bringen, Frauen schrien.

Isabel schlug das Herz bis zum Hals. Doch sie richtete sich kerzengerade auf und weigerte sich zu schreien. Stattdessen eilte sie hinter einen der Männer ihres Vaters. Es war ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter Kämpfer.

Was war nur los mit den Männern? Weder hatte sich einer von ihnen gerührt, noch hatte einer einen einzigen Pfeil verschossen. Das hier war ein einzelner Reiter. Der Eindringling bot ein leichtes Ziel. Wollte ihn denn niemand aufhalten?

„Tu doch was!“, schrie sie. Doch der Kämpfer beachtete sie nicht.

Der Mann zügelte sein Pferd und steckte das Schwert ein. Isabel stockte der Atem. Eine seltsame Vorahnung überkam sie. Nein. Das konnte nicht er sein.

Schwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Seine harten Augen sahen Isabel durchdringend an. Er wirkte stolz, furchtlos – und wild. Seine Kleidung war seltsam. Er trug eine knielange, blaue Tunika und graubraune Beinlinge. Um seine Schultern hing ein zerlumpter roter Mantel, der von einer schmalen Eisenbrosche, so lang wie Isabels Unterarm, zusammengehalten wurde. Goldbänder umschlossen seine Oberarme und wiesen auf seine Königswürde hin.

Dass ihr Vater diese Unterbrechung schweigend duldete, konnte nur eines bedeuten. Dieser Barbar war ihr zukünftiger Gatte. Isabel biss sich auf die Lippen und bekämpfte die Furcht und das Verlangen, von hier zu fliehen.

Edward bestätigte ihre Vorahnung mit den Worten: „Isabel, das ist Patrick Mac Egan, König von Laochre.“

Sie wollte es nicht glauben. Während das Pferd und das Schwert dieses Wilden auf einen hohen Rang schließen ließen, sah der Mann eher aus, als käme er frisch vom Schlachtfeld und nicht von einem Thron. Und wo waren seine Eskorte und seine Diener? Könige reisten nicht allein. Ihr Misstrauen wuchs.

Der König stieg aus dem Sattel, und Isabel hatte ein wachsames Auge auf sein Pferd. Mehr denn je wollte sie fliehen. Vielleicht würde sie in der Abtei Zuflucht finden? Es gab eine winzige Chance, dass ihr Vorhaben gelingen könnte.

„Ihr seid Lady Isabel de Godred?“, fragte der Reiter. Sein singender Akzent verlieh der normannischen Sprache einen seltsamen Klang.

„Die bin ich.“ Sie starrte den Mann wütend an. „Ist das Eure übliche Art, bei einer Hochzeit zu erscheinen? Indem Ihr versucht, die Gäste umzubringen?“

„Isabel“, ermahnte ihr Vater sie. Isabel sagte nichts mehr und unterdrückte ihre Furcht. Die stahlharten Augen des Mannes musterten sie kühl. Isabels Blick fiel auf seine Hände. Zweifellos konnten sie sie in Stücke reißen.

Einen Moment lang blinzelte der barbarische König. Dann erschien wieder dieser wilde Ausdruck auf seinem Gesicht. „Bringen wir es hinter uns.“

Oh nein, nicht, wenn Isabel es verhindern konnte. Er war beileibe kein halber Teufel, eher ein ganzer. Wenn sie die Flucht ergreifen wollte, dann bot sich jetzt die einzige Gelegenheit dazu.

Isabel rannte zu Mac Egans Pferd. Sie griff an den Sattel und versuchte, sich hinaufzuziehen, als auch schon starke Arme sie packten. Kräftige Muskeln hielten sie gefangen.

Obwohl sie sich mit aller Kraft wehrte, zog der König sie vom Pferd, als wöge sie nicht mehr als eine Fliege, und presste sie an seine Brust. Isabel fühlte seinen warmen Körper. Mit dem Kopf reichte sie ihm gerade einmal bis an die Schultern. An seiner Haltung konnte sie die unterdrückte Wut ablesen.

„Ich kann Euch nicht heiraten“, beharrte sie. Das hier war nicht der liebenswürdige Gatte, der auf seinem Thron sitzen und ihr den Haushalt überlassen würde. Das war die Art Mann, der sie in Ketten legen und ihren Körper den Krähen vorwerfen würde.

Keiner achtete auf ihren Protest. Vater Thomas begann, die zeremoniellen Trauungsworte zu sprechen. Der König ergriff ihre Hand, und Isabel rauschte das Blut in den Ohren.

Das alles konnte nicht wahr sein. Dieser Mann würde sie ihrem Heimatland entreißen, sie zu der Insel Erin bringen, wo sie keine Familie hatte. Nie würde sie ihre Schwestern wiedersehen. Isabel wurde vom Schmerz überwältigt und kämpfte gegen die Tränen an.

Seine Hand drückte die ihre noch fester, und sie fing einen warnenden Blick auf. Wilde Wut stieg in Isabel auf. Was hatte sie verbrochen, dass sie mit einem solchen Gemahl gestraft wurde?

Der Priester wartete jetzt auf ihr Ehegelübde. Isabel schüttelte den Kopf. „Ich will Euch nicht heiraten“, stieß sie mit gepresster Stimme hervor.

„Ihr könnt genau so wenig wählen wie ich.“

Isabel versuchte, sich von ihm loszureißen, aber der irische König war stärker als sie. „Ihr möchtet Eure Freiheit haben, nicht wahr?“

Sie gab keine Antwort. Was meinte er?

„Willigt in diese Heirat ein, und Ihr werdet sie bekommen.“

Sie glaubte ihm nicht. Jeder Zoll an diesem Mann war unzivilisiert. Ihr Vater warf ihr einen eisigen Blick zu. „Schau dich um, Isabel. Hier ist keiner, der dich haben will, solltest du den König von Laochre nicht heiraten. Welcher Mann wünscht sich schon eine ungehorsame Frau? Du bringst Schande über dich.“

Ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen, doch sie gab nicht nach. Die Hochzeitsgäste schienen sich unbehaglich zu fühlen.

Der König lockerte seinen Griff um ihr Handgelenk. Er brachte seinen Mund nahe an ihr Ohr und flüsterte ganz leise: „Euer Vater hat das Leben meines Volkes in der Hand, das Leben von Männern, Frauen und Kindern. Der einzige Weg, sie zu retten, ist die Ehe mit Euch. Und ich werde Euch heiraten, da könnt Ihr sicher sein.“

Eine einzige Träne löste sich und nässte ihre Wange. Ungewollt kam die Wahrheit ans Licht. Die Eroberung, die ihr Vater auf Erin gemacht hatte, hatte sie zu einem bloßen Unterpfand in diesem Handel werden lassen. Ihre eigenen Wünsche waren bedeutungslos. Das hier war eine politische Allianz, und das harte Gesicht des Königs machte deutlich, dass er eine Weigerung nicht dulden würde.

Sagte er die Wahrheit? Würden Kinder und Frauen sterben, wenn sie Nein sagte? Isabel drehte sich um und studierte das Gesicht ihres Vaters. In seinen Augen sah sie kein Erbarmen.

Sie sah sich Patrick Mac Egan genauer an. Neben dem Zorn entdeckte sie Erschöpfung und Zeichen von großer Trauer. Wenn er nun recht hatte, wenn wirklich Unschuldige sterben mussten, weil sie nicht zustimmte … Sie schloss die Augen und wusste, dass sie ihrem Schicksal nicht entkommen konnte. In diesem Augenblick schlossen sich die Ketten der Pflicht um sie.

Als der Priester erneut ihr Ehegelübde forderte, zwang sie sich zu einem zustimmenden Nicken. Augenblicklich war die Zeremonie beendet. Ihr Gatte drückte ihr einen Friedenskuss auf die Wange, und Isabel biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien.

Während der ganzen heiligen Messe hielt Patrick ihre Hand in der seinen gefangen. Isabel hörte kaum die Worte des Priesters. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie konnte es immer noch nicht glauben. So schnell war sie mit einem Mann vermählt worden, den sie nicht kannte, einem König, der Welten von ihrer Heimat entfernt lebte.

Später gingen sie in den inneren Burghof. Isabels Magen rebellierte beim Duft des zubereiteten Hochzeitsessens. Pfauen, ein gebratenes Schwein und jede Menge exotischer Kost erwarteten sie. Isabel konnte sich nicht vorstellen, auch nur einen Bissen davon anzurühren. Zu feiern war das Letzte, wozu ihr zumute war.

Patrick blieb vor seinem Pferd stehen. „Wir brechen jetzt auf. Sagt Eurem Vater Lebewohl, denn Ihr werdet ihn lange nicht sehen.“

Sein Befehl traf sie unerwartet. „Aber all mein Habe und meine Mitgift“, protestierte sie. „Die Wagen …“

„Wir lassen alles später holen.“

Isabel warf Edwin de Godred einen Blick zu. Sie konnte ihn nicht länger als ihren Vater sehen, um dessen Gunst und Liebe sie sich so verzweifelt bemüht hatte. Jetzt sah sie nur noch den Mann, der bereit war, sie dem Teufel als Gattin zu verkaufen, wenn es nur seinen Zwecken diente.

Ihr Vater trat auf sie zu. „Bevor die Heirat nicht vollzogen ist, könnt Ihr nicht abreisen.“

„Ich habe unsere Abmachung erfüllt.“ Patricks Gesicht verschloss sich, und er strich mit der Hand über Isabels Rücken. Isabel erstarrte bei dieser besitzergreifenden Geste. „Den Rest müsst Ihr nicht anzweifeln. Doch es geschieht zu meinen Bedingungen, nicht zu den Euren.“

Lord Thornwyck dachte nach, bevor er ihm schließlich eine versiegelte Pergamentrolle aushändigte. „Wenn ich nach Laochre zurückkehre und Isabel trägt in der Zwischenzeit keinen Erben, werde ich einen Beweis dafür verlangen, dass sie nicht länger Jungfrau ist.“

Isabels Gesicht brannte vor Zorn. Wie es schien, sahen sie in ihr eine Zuchtstute. Entsetzen durchfuhr sie bei dem Gedanken, sich diesem irischen König hinzugeben. Obwohl er sie gerade vor dem zeremoniellen Hochzeitsbett bewahrt hatte, zweifelte sie nicht daran, dass er des Nachts das Bett mit ihr würde teilen wollen. Ihre Haut kribbelte bei seiner Berührung. Doch das steigerte nur ihre Angst.

„Wir erwarten Euch an Lughnasa“, erwiderte Patrick. Er wartete die Antwort nicht ab, sondern hob Isabel auf sein Pferd. Dann sprang er hinter ihr in den Sattel und trieb den Hengst zum Galopp an.

Während das Pferd losstürmte, umfingen starke Arme Isabel mit eisernem Griff. Weder ihr Vater noch dessen Männer rührten sich, um den König aufzuhalten. Gott, das habe ich nicht gemeint, als ich dich bat, mich vor dieser Heirat zu retten, war Isabels letzter Gedanke.

Patrick hielt die Frau mit festem Griff, während sie über die Felder ritten. Er musste Abstand zwischen sich und Thornwycks Festung bringen. Auch wenn der Baron ihn hatte ziehen lassen, so traute er dem Wort der Normannen nicht.

Isabel de Godred hatte ihn überrascht. Er wusste selbst nicht so recht, was er erwartet hatte, aber sicher keine Ehefrau, die ihn des Mordversuchs an ihren Gästen beschuldigte. Er hatte sich ein unscheinbares, gehorsames Mädchen erhofft, das seine Befehle befolgen würde. Stattdessen beschenkte ihn das Schicksal mit einer schönen Frau, die aussah, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch keinem Befehl gehorcht. Selbst jetzt war ihr Körper angespannt, vermutlich wartete sie nur auf eine Gelegenheit zur Flucht.

Als stumme Antwort darauf, verstärkte er noch seinen Griff. Ohne Isabel konnte er sein Volk nicht befreien. Die von Thornwyck unterschriebenen Anordnungen genügten nicht. Der normannische Kommandant musste Isabel mit eigenen Augen sehen.

Patrick suchte den Horizont ab und fragte sich, ob er vielleicht einen Blick auf seine Brüder erhaschen konnte. Er hatte ihnen zwar befohlen, jenseits der walisischen Grenze zu bleiben, befürchtete aber, dass sie seinem Befehl nicht gefolgt waren. Während der Hochzeitsmesse hatte er eine leichte Bewegung zu seiner Linken wahrgenommen. Aber als er sich umdrehte, hatte er nichts Auffälliges gesehen.

Allerdings waren seine Brüder sehr geschickt. Wenn sie nicht gesehen werden wollten, glichen sie Schatten. Keiner würde sie entdecken. Die Angst, seiner Familie könnte etwas zustoßen, verstärkte das beklemmende Gefühl in seiner Brust; Anspannung und Sorge raubten ihm schier die Luft zum Atmen.

Grausame Erinnerungen ließen sein Herz bluten, Erinnerungen an Kinder, die im Feuer umgekommen waren. Die Frau seines Bruders – verschleppt und getötet von den normannischen Eindringlingen. Solch große Verluste. Und an alledem waren Thornwyck und die Streitmacht des Earl of Pembroke schuld. Er durfte gar nicht über die Frau nachdenken, die er da in seinen Armen hielt, denn sie war eine von ihnen.

Nach einigen Stunden hielt er sein Pferd Bel nahe einem Fluss an. Für die Rast wählte er einen Platz auf offenem Feld aus, wo Isabel nicht weglaufen konnte. Er hob sie herunter. „Ruht Euch einen Moment aus, und stillt Euren Durst. Füllt das hier am Fluss. Dann reiten wir weiter.“

Sie nahm den Wasserschlauch. „Warum habt Ihr mich geheiratet?“ Augen von der Farbe polierten Walnussholzes schauten ihn fest an. „Ihr sagtet, das Leben Eures Volkes hinge von dieser Heirat ab?“

Sie vergoss weder Tränen, noch schrie sie. Ruhig und nachdenklich begegnete sie seinem Blick.

„Als Euer Vater unsere Burg eroberte, wart Ihr Teil der Kapitulationsbedingungen. Er schwor, alle Überlebenden zu töten, wenn ich Euch nicht heirate.“

Isabel erbleichte. „Ich glaube nicht, dass er das wirklich getan hätte.“

Patrick wusste nicht, welche schützenden Mauern ihr den Blick auf die Wahrheit verstellt hatten, doch er weigerte sich, Edwin de Godreds Handlungen zu beschönigen. „Ihr könnt es ruhig glauben.“

Unsicher ging sie eine paar Schritte auf den Fluss zu. Patrick bezweifelte, dass sie an lange Ritte gewöhnt war. Wäre sie irgendeine andere Frau gewesen, hätte er für die Nacht einen Halt eingelegt.

Aber sie war nicht irgendeine Frau. Sie war eine von seinen Feinden und man durfte ihr nicht trauen. So lange er sich auf englischem Boden befand, konnte er nicht wissen, ob Thornwyck sich an ihre Abmachung hielt. Vielleicht litt sein Volk in diesem Augenblick. Vierzig normannische Kämpfer hielten es gefangen.

Er hatte keine Lust, seine Zeit mit Hochzeitsfesten oder der Hochzeitsnacht zu verbringen. Je eher sie Eíreann erreichten, desto besser.

Patrick kniete sich am Fluss nieder und schöpfte das kalte Wasser an seine Lippen. Nicht weit von ihm saß Isabel, die Hände im Schoß gefaltet. Der Wind spielte mit ihrem Schleier, ab und zu zeigten sich goldblonde Locken. Die braunen Augen leuchteten in dem Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den vollen Lippen. Einen Augenblick lang empfand Patrick fast Mitleid mit ihr. Keine Frau sollte eine Heirat wie diese ertragen müssen.

Sie gab ihm den Wasserschlauch. „Wie soll ich Euch nennen? Mein König? Mein Hoher Herr?“

„Patrick reicht.“ Es war erst ein Jahr her, dass er den Rang eines Kleinkönigs besaß und über seinen eigenen Stamm regierte. Immer noch hatte er sich nicht daran gewöhnt, der Anführer zu sein. Er wusste nicht, wie sein Vater diese Verantwortung so mühelos hatte schultern können. Er selbst hinterfragte jede Entscheidung, die er traf, besonders das Abkommen mit Lord Thornwyck.

„Ihr verspracht mir meine Freiheit. Habt Ihr vor, sie mir jetzt zu geben?“

Er schüttelte den Kopf. „Erst wenn wir Eíreann erreichen. Ich gebe Euch mein Wort.“

„Und ist Euer Wort überhaupt etwas wert?“

Er verschränkte die Arme. Langsam verstand er, warum Thornwyck ihm seine Tochter als Teil des Abkommens angeboten hatte. „Seid Ihr immer so schwierig?“

„Immer.“

Ihre Unverblümtheit ließ ihn beinahe lächeln. „Gut. Eine Frau ohne Rückgrat kann ich nicht brauchen.“ Wieder hob er sie auf den Rücken des Hengstes. In Isabels Gesicht blitzte kurz Verärgerung auf, doch sie beklagte sich nicht.

Sie besaß Mut, das musste er zugeben. Auch wenn er nie vergessen würde, was ihre Leute den Seinen angetan hatten. Schlimmer noch, die Heirat war nur ein Teil des Friedensabkommens. Der Rest des Vertrags ließ Sklaverei verlockend erscheinen. Der Preis, den er für das Leben seines Volkes bezahlt hatte, war viel zu hoch.

Während er sein Pferd vorwärtstrieb, konnte er nur beten, dass sein Stamm ertragen würde, was ihm bevorstand.

Isabel klammerte sich an die Hoffnung, dass diese unschickliche Heirat irgendwie nicht wirklich bindend war. Sie war zu klug, um eine Flucht zu versuchen. Ohne eigenes Pferd und Proviant würde sie nicht überleben. Außer, sie fand jemanden, der ihr half.

Doch wer? Edwin de Godred hatte klar zu verstehen gegeben, dass er diese Verbindung wünschte. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass seine jüngste Tochter jetzt an einen Fremden gebunden war und dazu noch an einen unkultivierten.

Warum hatte sie nur je zugestimmt? Sie hätte auf ihr Gefühl hören sollen und nicht auf Patricks Märchen von gefangenen Frauen und Kindern.

Mittlerweile ritten sie durch einen Wald. Der Weg schlängelte sich durch welkes Laub. Prächtige Eichen und Ebereschen säumten den Pfad, und ihre Zweige verwoben sich hoch über ihnen zu einem Dach. Die Landschaft ihrer Heimat lag hinter ihnen, ging über in ein Meer aus grüner, fruchtbarer Erde.

Nahe der walisischen Grenze zauberte die Nachmittagsonne einen hellen Glanz auf die Spitzen der grau-grünen Berge, die schön und mächtig aus der Landschaft aufragten. Hie und da grasten Schafherden an den Hügeln, weiße Flecke in diesem Meer aus Grün. Die Frühlingsluft kühlte Isabels Haut und mahnte die kommende Nacht an.

Vielleicht sah Isabel England zum letzten Mal. Sie versuchte ihrer Panik Herr zu werden. Du musst keine Angst haben, sagte sie sich. Verliere jetzt nicht den Kopf. So schlecht kann Erin nicht sein.

Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zur Hochzeitsnacht. Sie betrachtete Mac Egans Hände, die von der Arbeit rau waren und nicht so glatt wie die Hände eines Edelmannes. Seine Arme, die die Zügel führten, zeigten eine verhaltene Kraft.

„Die Nacht bricht an“, wagte Isabel zu sagen. „Habt Ihr vor, in der Dunkelheit weiterzureiten?“

Keine Antwort. Sie versuchte es noch einmal, diesmal lauter.

„Wenn es zu dunkel ist, um den Weg zu erkennen, wird Euch ein Ast vielleicht bewusstlos schlagen. Dann könnte ich fliehen.“

Wieder Stille. Seinem stoischen Verhalten nach hätte der Mann auch eine Statue sein können.

„Wenn ich Glück habe, fressen uns vielleicht auch die Wölfe.“ Sie dachte darüber nach und versuchte, sich vorzustellen, was diesen Tag noch schlimmer machen könnte.

„Ihr redet viel zu viel. In ein paar Stunden schlagen wir unser Nachtlager auf.“

Isabel presste die Lippen zusammen. Der Gedanke, die Nacht allein mit diesem Mann zu verbringen, beunruhigte sie. Und während sie an ihn geschmiegt mit ihm ritt, steigerte die Wärme seines Körpers noch ihre Unruhe. Er schützte sie, hielt sie fest mit der Kraft eines Kriegers.

Sollte es wirklich so schwer zu ertragen sein, wenn sich sein Körper mit dem ihren vereinigte? Ihre Zofe hat von den Freuden geschwärmt, die man in den Armen eines Mannes genoss. Doch Isabel war nicht überzeugt. Ihr kriegerischer Gatte zeigte so gar keine Spur von Sanftheit. Der Gedanke, das Bett mit ihm zu teilen, ließ sie erschauern.

Nach einiger Zeit hielt Patrick sein Pferd an. Dicke, dunkle Wolken zeigten sich an dem lavendelblauen Himmel. Isabel konnte spüren, wie die Luft feuchter wurde. Vor sich sah sie keine Unterkunft, nur noch mehr Bäume.

Mit einer eleganten Bewegung sprang ihr Ehemann aus dem Sattel und hob sie dann vom Pferd. „Versucht nicht fortzulaufen.“

Sie musste fast lachen. „Und wohin sollte ich laufen?“

„Dorthin, wohin Ihr hattet flüchten wollen, als Ihr mir mein Pferd stehlen wolltet.“ Er nahm sie bei der Hand und führte sie in den Wald. Aus seinem Gepäck zog er einen dicken Packen schweren Stoffs, der sich als ein kleines Zelt herausstellte. Es war kaum groß genug für eine einzelne Person, geschweige denn für sie beide. Er baute das Zelt auf und deutete darauf. „Warte hier. Ich gehe auf die Jagd nach etwas Essbarem.“

Isabel sah zu den dicken Wolken hinauf und hoffte, dass er vorhatte, sie in dem Zelt allein schlafen zu lassen. Sie wollte zu dem Unterschlupf gehen, als Patrick sie aufhielt. Er sah ihr fest in die Augen, ein beutegieriger Mann, der keine Gnade kannte. „Ihr solltet Euch bis zu meiner Rückkehr ausruhen. Wir müssen noch eine Strecke reiten, bevor wir uns ein Lager für die Nacht bereiten.“

Isabel rang um Fassung. „Habt Ihr denn keine Vorräte bei Euch? Es ist nicht nötig, auf die Jagd zu gehen.“ Mehr als nur ein wenig ängstlich sah sie zu dem langsam dunkel werdenden Himmel hinauf. Was, wenn er sie an diesem Ort einfach zurückließ?

Patricks Gesicht war ihr so nahe, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange fühlen konnte. „Ich werde bald zu Euch zurückkommen.“

Gegen ihren Willen wurde es Isabel ganz warm. Sie zwang sich, zur Seite zu schauen.

Er brachte sie ins Zelt und warf ihr ein Stück Wollstoff zu. „Deckt Euch mit dem brat zu, damit Ihr es warm habt.“

Während er zum Pferd ging, wuchs Isabels Angst. Was, wenn ein Dieb oder ein Mörder sie überfallen würde? Sie wäre allein und hilflos. „Ich hätte gerne eine Waffe“, bat sie hastig. „Bitte.“

Er drehte sich um und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. „Wozu?“

„Falls ich überfallen werde. Oder um mich gegen ein Tier zu wehren.“ Isabel schlüpfte aus dem Zelt und deutete auf seinen Köcher. „Ich weiß mit Bogen und Pfeilen umzugehen.“

„Keine Waffen. Ich habe nicht vor, weit zu gehen, und ich möchte lieber nicht, dass Ihr mich bei meiner Rückkehr erschießt.“ Er zog seine Kapuze über, stieg aufs Pferd und verschwand im Wald.

In diesem Augenblick begann es zu regnen. Es war ein schwerer, prasselnder Regen, der Isabels seidenes Gewand durchnässte. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, und sie verkroch sich ins Zelt. In Strömen klatschte der Regen gegen das schwere Tuch, und Isabel verwünschte Patrick dafür, dass er sie hierhergebracht hatte. Sie verfluchte ihren Vater für diese Heirat und sie verfluchte sich, weil sie sich nicht vom Pferd gestürzt hatte, als Patrick sie mit sich nahm.

In der Ferne vernahm sie ein geisterhaftes Heulen. Rasch schickte sie noch ein stummes Gebet zum Himmel.

Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war, dass ihr frischgebackener Ehemann tatsächlich von Wölfen gefressen wurde.

2. KAPITEL

Vom Regen durchnässt, preschte Patrick auf seinem Hengst über die walisische Ebene. Das schlechte Wetter half ihm dabei, einen klaren Kopf zu bekommen.

Als er das Königtum annahm, hatte das geheißen, dass er Opfer würde bringen müssen. Wenn es um die Belange seines Stammes ging, zählten seine persönlichen Gefühle nicht. Er hatte diese normannische Frau geheiratet. Jetzt wollte er seine Leute befreien.

Am Horizont zeichnete sich schattenhaft das Lager seiner Brüder ab. Das Feuer flackerte heftig in der Dämmerung. Patrick erreichte das Lager und stieg vom Pferd.

„Hübsches Wetter“, bemerkte sein Bruder Trahern. Er stand neben dem Feuer, das sie mit einem Fell vor dem Regen schützten. Traherns braune Haare und sein lockiger Bart troffen vom Regen. Er überragte seine beiden Brüder. Seine Größe machte einem Riesen aus den alten Geschichten Konkurrenz.

„Es scheint meinem Hochzeitstag angemessen.“ Patrick band Bel an und tätschelte den Hengst.

Bevan, der dritte Bruder, stand auf und ging auf und ab. „Ich fragte mich schon, wie lange du brauchen würdest. Ich würde es deiner normannischen Braut zutrauen, dich im Schlaf zu erdolchen.“

Patrick zuckte die Achseln. „Sie ist harmlos.“

„Wir waren dort, hinter der Kirchenmauer“, gestand Trahern. „Sie hat sich dir nicht gerade in die Arme geworfen.“

„Das hättet ihr nicht riskieren sollen. Ich wollte nicht, dass ihr kommt.“

„Und sollten die Hochzeit unseres ältesten Bruders verpassen?“ Trahern grinste. Er hob den Kopf und ließ sich den Regen über das Gesicht laufen. „Die normannischen Wachen sahen uns nie. Es war gar nicht schwer, im Verborgenen zu bleiben, solange wir uns nur von den Gästen fernhielten.“

„Ich traue Thornwyck nicht.“ Bevan setzte sich ans Feuer. Die Flammen beleuchteten eine Narbe auf seiner Wange. Anders als sein Bruder, zog er sich als Schutz vor dem Regen seine Kapuze über den Kopf. „Und wir hätten dich nie allein gehen lassen sollen. Die Normannen hätten dich gefangen nehmen können.“

Patrick trat an das Funken sprühende Feuer und streckte die Hände aus, um sich zu wärmen. „Sind Thornwycks Männer uns gefolgt?“

„Nein“, antwortete Bevan. „Doch ich bezweifle, dass er bis Lughnasa damit warten wird. Er wird noch mehr Streitkräfte heranschaffen und versuchen, Laochre zu nehmen.“

Patrick nahm einen Trinkschlauch mit Met, den ihm die Brüder anboten und trank. Wie ein dunkler Schatten senkte sich eine bittere Niedergeschlagenheit über ihn. „Ich wollte nicht, dass unsere Männer Sklaven der Normannen werden.“

„Und wie willst du ihn aufhalten?“

„Ich habe meine Pläne“, log er. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Die Befehle, die er bei sich trug, würden sein Volk befreien. Doch die weiteren Bedingungen des Abkommens lauteten, dass die Normannen bei ihnen untergebracht wurden. Der Gedanke an ein Zusammenleben der beiden Gruppen bereitete Patrick Kopfschmerzen.

„Und was ist mit deiner Braut?“, fragte Bevan. „Du kannst ihr nicht erlauben, als deine Königin zu regieren.“

„Ich weiß.“

Dass er sie geheiratet hatte, erschien ihm bereits wie ein verblassender Traum. Er fühlte sich nicht verheiratet, am wenigsten mit einer Normannin. Sein Stamm würde sie nie akzeptieren. Zu ihrem eigenen Schutz musste er sie von seinen Leuten fernhalten. „Ich werde sie nach Ennisleigh bringen. Sie soll keiner Gefahr ausgesetzt sein.“

Bevan entspannte sich und ließ die Hände auf den Knien ruhen. „Gut. Wir haben schon genug Probleme.“ Er deutete in die Ferne. „Ich nehme an, du hast sie an einen Baum gebunden? Sonst musst du sehen, wie du sie wieder aufspürst.“

„Einen Moment lang dachte ich daran.“ Patrick erinnerte sich an den Fluchtversuch seiner Braut vor der Hochzeit. „Aber nein, ich ließ sie im Zelt zurück.“

„Wieso hast du sie nicht hierher gebracht?“

„Weil er mit ihr allein sein will, Dummkopf.“ Trahern stieß Bevan mit dem Ellbogen in die Rippen. „Ein Mann sollte seine Hochzeitsnacht genießen.“

Patrick sagte nichts, ließ die Brüder denken, was sie wollten und bezwang den aufsteigenden Zorn. Er hatte nicht die Absicht, seine Braut anzurühren und sie wirklich zu seiner Frau zu machen. Er konnte sich nicht vorstellen, mit ihr ein Kind zu zeugen.

Die Ehe würde nicht von Dauer sein. Nach Lughnasa, sobald sein Stamm die Nordmänner verjagt hatte, konnten Isabel und er getrennte Wege gehen. Er beabsichtigte, dem Erzbischof eine Bittschrift um Annullierung der Ehe zu schicken. Schade, dass er sie nicht in Eíreann hatte heiraten können. Die Gesetze seines Landes machten es einem viel leichter, eine ungewollte Ehe wieder zu lösen.

„Ich sollte zurückreiten“, sagte er ruhig. „Ich muss uns noch ein Abendessen erjagen.“

Trahern brachte zwei Hasen zum Vorschein. „Nimm die und bereite deiner Braut ein anständiges Hochzeitsessen.“

„Die wollte ich essen“, brummte Bevan. Doch dann zuckte er die Achseln und fügte hinzu: „Guten Ritt.“

„Wir werden euch demnächst an der Küste treffen.“ Patrick umarmte seine Brüder und sagte ihnen Lebwohl. „Slán.“

Er warf die Hasen vor sich übers Pferd und machte sich auf den Rückweg zu Isabel. Er erlaubte Bel die Führung zu übernehmen, denn das letzte Sonnenlicht war dabei, hinter den Bergen zu verschwinden.

Während er querfeldein galoppierte, schwor er sich, dass Isabel de Godreds Gegenwart sein Leben nicht verändern würde. Noch würde sie auf irgendeine Weise zu einer Gefahr für den Stamm der Mac Egans werden.

Als er zum durchweichten Zelt zurückkam, saß Isabel mit gebeugten Schultern da. Ihr nasses Haar klebte an ihrem Gewand. In den dunkelbraunen Augen loderte die Empörung über die schändliche Behandlung.

„Ich habe Essen mitgebracht“, sagte Patrick und hielt die zwei Hasen hoch. „Und wenn Ihr den Weg noch schaffen könnt, so gibt es nicht weit von hier eine verlassene Hütte.“

Sie nickte zitternd. „Ich bin mit allem einverstanden, wo ein Feuer brennt.“

Er half ihr, das provisorische Zelt zusammenzupacken und hob sie aufs Pferd. Sie zuckte zusammen, erwähnte aber die Schmerzen mit keinem Wort. Als er sich hinter ihr in den Sattel schwang, zitterte sie heftig am ganzen Körper.

Kälte ließ sein Herz zu Eis erstarren. Sie verdiente kein Mitleid. Sie war ein Mittel zum Zweck, sonst nichts. Trotz seiner Entschlossenheit fühlte er Gewissensbisse, weil er eine Frau so behandelte.

Sie ist eine Normannin, ermahnte ihn sein Verstand. Das durfte er nicht vergessen.

Vornübergebeugt trieb er sein Pferd an. Isabels Haltung blieb steif und starr, sie wies jede Wärme ab, die sein Körper ihr hätte geben können. Er sollte dankbar dafür sein, dass sie nicht weinte oder sich an ihn klammerte. Und doch war es das erste Mal für ihn, dass eine Frau vor ihm zurückwich.

Das Schweigen hielt an, während sie Meile um Meile zurücklegten. Endlich erreichten sie einen Waldrand. Nahe dabei stand eine verlassene Hütte, die er zuvor auf seiner Reise entdeckt hatte. Patrick ritt langsamer, gab die Zügel nach und ließ den Hengst auf den Unterstand zugehen.

Sobald sie ihn erreicht hatten, stieg er vom Pferd und half Isabel hinunter. Stirnrunzelnd starrte sie die mit Stroh gedeckte Hütte an.

„Jetzt verstehe ich, warum man sie verlassen hat.“

Das Dach musste neu gedeckt werden, und ein Teil der Mauer war abgesackt, sodass die Hütte zusammenzubrechen drohte. Patrick führte Bel zu einem kleinen, mit Wasser gefüllten Graben. Dann öffnete er Isabel die Tür.

„Geht hinein, während ich noch mein Pferd versorge“, befahl er. Er nahm den Sattel ab und rieb den Hengst trocken. Als er fertig war, kam er in die Hütte und war dankbar, dort einen kleinen Stapel trockenes Feuerholz vorzufinden. Mit Flintstein und Stahl schlug er Feuer. Isabel beobachtete ihn dabei.

„Ich glaubte, Ihr hättet mich verlassen“, murmelte sie.

„Ist es nicht das, was Ihr wolltet?“

„Mitten im Nirgendwo verlassen zu werden?“, fragte sie. „Nein.“ Sie zitterte wieder und trat näher an das kleine Feuer heran, das Patrick in der Feuerstelle entfacht hatte. „Ich hatte Angst“, gestand sie.

„Vor Wölfen?“

Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. „Vor Dieben. Wenn jemand gekommen wäre, hätte ich mich nicht verteidigen können.“

In ihren Worten steckte ein Funken Wahrheit. Sie hatte recht. Er hatte ihren Schutz vernachlässigt. Aber er entschuldigte sich nicht dafür.

„Seid Ihr hungrig?“

Als sie nickte, fuhr er fort: „Ich werde das Essen zubereiten. In der Zwischenzeit holt den Trinkschlauch mit dem Met, der am Sattel festgebunden ist.“

Isabel ging hinaus, und Patrick kümmerte sich ums Feuer, bis es mit starker Flamme hell aufloderte. Er sorgte sich nicht darum, dass Isabel eine Flucht wagen könnte. Sie waren meilenweit von jeder Behausung entfernt, und die Dunkelheit würde sie schon davon abhalten zu fliehen.

Er zog den Hasen das Fell ab und steckte sie auf einen Spieß, bevor er sie übers Feuer hängte. Isabel kehrte mit dem Met zurück. Plötzlich schrie sie auf und ließ den Trinkschlauch fallen. Patrick zog sein Schwert, doch niemand stand an der Tür. Eine große Ratte lief an Isabel vorbei und schoss in der Hütte umher.

Isabel riss einen dicken Ast vom Holzstoß. Sie ließ ihn herumwirbeln und schlug kreischend damit auf den Boden, wenn sich das Tier ihren Röcken näherte.

Die Ratte sprang vom Feuer fort, und Patrick musste sich ducken, weil der Prügel beinahe seinen Kopf getroffen hätte.

„Was, bei Lugh, ist denn los?“, fragte er.

„Jagt sie hinaus“, schrie Isabel. Ihr entsetztes Gesicht und der wild wirbelnde Ast zwangen Patrick zu handeln. Er öffnete die Tür und beförderte die Ratte mit einem Fußtritt nach draußen.

Immer noch den Ast umklammert, sprang Isabel auf eine Holzbank. Sie hatte die Hand aufs Herz gelegt und presste angstvoll die Lippen zusammen. Es war mehr als der bloße Ekel, wie ihn Patrick oft in den Gesichtern von Frauen hatte sehen können. Sie war völlig außer sich vor Furcht.

„Ihr habt sicher schon früher Ratten gesehen“, bemerkte er.

Obwohl Isabel nickte, schien ihre Furcht nicht nachzulassen. „Ich hasse sie. Mäuse auch. Und alles, das nagt.“

Er konnte dem Bedürfnis, sie zu necken, nicht widerstehen. „Wahrscheinlich leben sie im Strohdach.“

Ein Wimmern kam über ihre Lippen. „Oh Gott, bitte nein.“

Er trat näher, nahm ihr die Waffe ab und warf den Ast ins Feuer. Während er vor ihr stand, bemerkte er, wie sehr sie zitterte. Ihr Schleier hatte sich von dem dünnen Goldreif gelöst, und sie umklammerte ihr rotes Gewand. Als sie die Augen zu ihm hob, lag so große Furcht darin, dass Patrick ein schlechtes Gewissen bekam, weil er sie geneckt hatte.

Er betrachtete sie, ihre warmen, braunen Augen und die blassen Wangen. Sie duftete wie eine Mischung aus Geißblatt und Rose und war jeder Zoll eine Dame. Auch wenn sie all ihren Mut zusammenraffte und nicht vor ihm zurückwich, war ihre Furcht vor ihm doch größer. Es war die Furcht einer Frau, die noch nie bei einem Mann gelegen hatte. Nass wie sie war, zeichnete sich jede Linie ihres Körpers durch die Seide ab, ein Anblick, der sündige Bilder in ihm heraufbeschwor. Er dachte daran, wie es wäre, ihr den seidigen Stoff von den Schultern zu streifen und die Lippen auf ihren warmen Körper zu pressen.

Er durfte nicht schwach werden und sie anfassen – auch wenn es schon viele Monde her war, seit er die Freuden eines Frauenkörpers genossen hatte.

Also wechselte er das Thema. „Die Bank bricht gleich zusammen.“ Isabel verzog das Gesicht und betrachtete den Boden, als ob sie eine Invasion von Ratten in der Hütte erwartete.

Weil sie zögerte, nahm er sie in die Arme und trug sie zur gegenüberliegenden Seite. Sie fühlte sich kalt an. Er setzte sie auf einen Tisch. Zitternd zog Isabel die Knie an. Patrick kehrte zur Feuerstelle zurück und drehte die Hasen um. „Wieso jagen sie Euch solche Angst ein?“

Sie verbarg das Gesicht auf den Knien. „Meine Schwestern Patrice und Melisande spielten mir einen Streich als ich klein war. Sie setzten mir Mäuse ins Haar, während ich schlief.“

„Sind es Eure jüngeren Schwestern?“

„Ältere.“ Sie hob den Blick. „Ich bin keine reiche Erbin, falls Ihr daran denken solltet, Land zu fordern.“

„Ich brauche kein Land. Euer Vater und ich haben eine andere Abmachung getroffen.“

In dieser Abmachung hatte Thornwyck seine Enkel zu den künftigen Königen von Eíreann bestimmt. Patrick warf noch ein Stück Holz ins Feuer. Es würde keine Kinder geben. Das war seine Art von Rache. Selbst wenn Thornwyck Patricks Stamm gefangen nehmen, Laochre erobern und eine Allianz erzwingen konnte, dies hier war wenigstens etwas, das der Baron nicht unter seiner Kontrolle hatte.

Endlich hatte seine Gemahlin aufgehört zu zittern. Sie nahm den Schleier ab und kämmte mit den Fingern ihre langen, blonden Haare, damit sie trockneten. Sie schimmerten im Schein des Feuers und hoben sich lebhaft von ihrem roten Kleid ab. Isabel drehte sich, um sich an anderer Stelle zu wärmen. Als sie merkte, dass er sie beobachtete, runzelte sie die Stirn. Patrick wandte sich ab und sah wieder nach den Hasen. Nach einiger Zeit erfüllte der verlockende Duft von gebratenem Fleisch die Luft. Der Saft troff vom Fleisch, und Patrick schnitt ein Stück herunter und bot es Isabel zusammen mit einem harten Stück Brot an. Sie brach sich ein Stück ab und reichte ihm den Rest des Brotes. „Danke.“

„Ich hatte nicht vor, Euch verhungern zu lassen“, meinte er. „Es braucht keinen Dank.“

„Er ist nicht nur für das Essen …“ Sie errötete. „Auch dafür, dass Ihr mich nach der Zeremonie nicht in Euer Bett genommen habt.“ Sie senkte den Blick und starrte auf das bratende Fleisch.

Patrick durchquerte den Raum und stellte sich vor sie. Sie musste wissen, welche Rolle sie in dieser Verbindung spielte. Er legte die Hände auf den Tisch, sodass sie ihm nicht ausweichen konnte. Er krallte die Finger in das Holz und verbarg weder die Wut noch die Empörung, die ihn erfüllte.

„Ihr müsst nicht fürchten, dass ich Euch jetzt noch sonst irgendwann in mein Bett nehme.“

Isabel erbleichte, doch er ließ sich nicht beirren. Diese Heirat war Teil der Kapitulationsbedingungen, keine wahre Ehe. Sie würde nie Königin sein oder seine Söhne tragen.

Am Besten, sie gewöhnte sich schon jetzt daran.

Isabel stöhnte auf, als Sonnenstrahlen sie blendeten. Sie versuchte, sich auf dem Tisch aufzurichten, auf dem sie geschlafen hatte. Ihr Gemahl hatte nicht gegen die Wahl ihres Schlafplatzes protestiert, und sie hatte ihre Haare mit dem Schleier bedeckt. Trotzdem war sie aus Angst vor Ratten nur mit Mühe eingeschlafen.

Was für eine seltsame Hochzeitsnacht. Sie wusste nicht, was sie über Patrick Mac Egan, noch über ihre gemeinsame Zukunft denken sollte. Ihr Gatte stand mit dem Rücken ihr zugewandt im Türbogen. Isabel bemühte sich, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Seine Tunika hing neben dem fast erloschenen Feuer, und er war bis zur Hüfte nackt. Seine bronzefarbene Haut schimmerte im Sonnenlicht und ausgeprägte Muskeln bewiesen, wie stark er war.

Als er sich reckte, hielt Isabel den Atem an. Nein, zahnlos und alt war er wirklich nicht. Letzte Nacht hatte er ihr die Angst genommen, als er ihr sagte, dass er sie nicht in sein Bett nehmen würde. Eigentlich hätte sie jetzt eine übergroße Erleichterung verspüren müssen.

Stattdessen machte sein Verhalten sie eher misstrauisch. Und sie fühlte sich nicht wohl bei dieser Abmachung. Wieso wollte er, dass sie Jungfrau blieb? Und wie lange wollte er sie allein lassen? Ihr Vater hatte ihnen beiden gedroht, sollte sie bei seiner Ankunft in Erin nicht schwanger sein. Edwin de Godred würde nicht zögern, sie zu demütigen.

Isabel schwang sich vom Tisch und suchte ängstlich den Boden nach irgendwelchen Nagern ab. Sie fühlte sich steif, und ihre Glieder schmerzten. Und, du lieber Himmel, heute stand ihr ja ein weiterer Ritt bevor. Ihr Po war bereits von der gestrigen Reise ganz wund.

Patrick drehte sich um. „Schön. Ihr seid wach. Frühstückt, dann brechen wir auf.“

Isabel sah das heruntergefallene Stück Stoff auf dem Boden und legte es sich um die Schultern. Einen brat hatte er es genannt. Wenigstens wärmte es sie in der morgendlichen Kühle. Sie aß das Stück Brot, das er ihr übrig gelassen hatte und wagte sich dann hinaus.

Die aufgehende Sonne schimmerte durch den Wald, und das nasse Gras glänzte. „Erwartet man von Königinnen nicht, dass sie in einer Sänfte reisen?“, murrte sie.

„Ihr seid keine Königin.“

„Aber ich glaubte …“

„Ihr seid eine Braut, keine Königin. Ihr werdet nicht über meinen Stamm herrschen.“

Zorn lag in seiner Stimme, eine dunkle Drohung, die Isabel erzittern ließ.Was erwartete er von ihr? Als seine Frau hatte sie Verantwortung zu tragen. Sie runzelte die Stirn, während er sie auf den Hengst hob. „Warum macht Ihr Euch dann die Mühe, mich nach Erin zu bringen?“

„Weil die Normannen einen Beweis dafür brauchen, dass ich Wort halte. Nur dann werden sie dem Befehl Eures Vaters gehorchen und mein Volk freilassen.“

Während der restlichen Reise plagte sie sich nicht mehr damit ab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Insgeheim ärgerte sie sich. Er wollte nicht, dass sie eine Rolle in seinem Leben spielte. Was erwartete er dann von ihr? Dass sie in der Ecke saß und spann, bis sie verfaulte?

In ihr kochte eine stille Wut. Oh ja, sie war Normannin, aber sie hatte nichts Böses getan. Bei dieser Heirat hatte sie keine Wahl gehabt, doch sie weigerte sich, sich wie eine Feindin behandeln zu lassen.

Letzte Nacht hatte sie stundenlang wach gelegen und versucht zu entscheiden, was sie jetzt tun sollte. Sie konnte sich wie ein Kind benehmen und zu fliehen versuchen, aber das war keine Lösung. Patrick oder ihr Vater würde sie zurückholen.

Sie konnte nicht länger nach Hause oder zu ihren Leuten zurückkehren. Ob sie wollte oder nicht, als verheiratete Frau hatte sie keine andere Wahl, als bei Patrick Mac Egan zu bleiben.

Ihr Gatte behauptete, Edwin würde seine Stammesmitglieder hinrichten lassen, wenn Isabel ihm nicht nach Irland folgte. Er sagte, Kinder wären in Gefahr.

Allein dieser Gedanke nagte an ihrem Herzen. In Schlachten geschahen grausame Dinge. Sie selbst hatte es einmal gesehen, und noch jetzt schauderte sie bei der Erinnerung an ein brennendes Dorf.

Auch wenn ihre Eskorte dafür gesorgt hatte, dass sie weit weg von dem Gemetzel blieb, hatte sie die Schreie der Opfer nie vergessen können. Ein kleiner Junge, kaum älter als drei Jahre, hatte neben einer toten Frau gestanden und um seine Mutter geschluchzt. Keiner war ihm zu Hilfe gekommen.

Sie wünschte, sie hätte damals ihrer Eskorte befohlen anzuhalten. Sie hätte den Jungen mitnehmen müssen, auch wenn sie selbst erst sechzehn Jahre alt gewesen war. Ohne jemanden, der sich um ihn kümmerte, war er wahrscheinlich gestorben.

Möglich, dass Patricks Volk das gleiche Schicksal erlitten hatte wie die Dorfbewohner. Sie wollte es nicht glauben. Aber was, wenn es stimmte? Wie konnte sie mit sich selbst in Einklang leben, wenn sie aus selbstsüchtiger Angst andere sterben ließ?

Nein, bevor sie nicht genau wusste, was seinem Volk zugestoßen war, konnte sie ihn nicht verlassen. Sie würde ihren Gemahl nach Erin begleiten und die Wahrheit erfahren.

Isabel atmete tief durch und bemühte sich, einen klaren Kopf zu behalten. Wenn Patrick erst einmal sah, wie gut sie einen Haushalt zu führen verstand, würde er ihr schon erlauben, sich nützlich zu machen. Irgendwie würde sie schließlich doch noch einen Weg finden, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken und sich selbst einen Platz in seinem Königreich zu verschaffen.

Ihre Zukunft hing davon ab.

Im Licht des Sonnenuntergangs tauchte die Küste vor ihnen auf. Die letzten Spuren des Tageslichts verschwanden am bewölkten Horizont, und Patrick sah in einiger Entfernung die Pferde seiner Brüder grasen. Erleichterung erfüllte ihn, da er jetzt wusste, dass sie in Sicherheit waren.

Er zügelte seinen Hengst und ließ ihn langsamer gehen. Die Wellen schlugen auf den Sand und sprühten Schaum in die salzige Luft. Am Strand wartete ihr Schiff auf die morgendliche Flut. Es war groß genug, sie selbst und ihre Pferde aufzunehmen. Ohne die Hilfe seiner Brüder konnte Patrick es nicht segeln.

Nahe den Höhlen hielt Patrick an und stieg vom Pferd. Isabel fielen bald die Augen zu. Nur noch mit Mühe hielt sie sich aufrecht. Patrick hob sie herunter, und sie taumelte ein paar Schritte, bevor sie wieder sicher auf ihren Füßen stand.

„Ich glaube nicht, dass ich je wieder reiten möchte“, murmelte sie. Er ließ es zu, dass sie sich an ihn lehnte, während sie auf die Höhlen zugingen. Schließlich entdeckte Patrick nahe den Höhlen den goldenen Widerschein eines Feuers. Wie er sich auf eine geruhsame Nacht freute! Nur zwischen seinen Brüdern konnte er in Ruhe schlafen. Jeder von ihnen würde sein Leben für den anderen geben.

„Kommt.“ Er führte sie zum Eingang der Höhle. Isabel stolperte über einige Felsbrocken, und er konnte sie im letzten Moment halten. Sie richtete sich auf und ging weiter. Auch wenn sie von zierlicher Gestalt war, ihre Willenskraft konnte es mit der seinen aufnehmen.

Nahe dem Eingang stand in gebückter Haltung sein Bruder Trahern. Sein Kopf streifte beinahe die steinerne Decke. „Dann ist diese hübsche cailín also deine neue Frau?“

Isabel riss sich zusammen. „Das bin ich.“

„Ich bin Trahern Mac Egan“, stellte er sich vor. „Und ich bin neugierig – warum seid Ihr meinem Bruder nicht davongelaufen? Ich hätte alles getan, um zu flüchten.“

Sie steckte eine Locke, die sich hervorgestohlen hatte, wieder unter ihren Schleier zurück und lächelte ihn verlegen an. „Woher wisst Ihr, dass ich es nicht versucht habe?“

„Umso schlimmer, dass es dir nicht gelungen ist.“ Trahern brach in Gelächter aus. „Komm und iss mit uns, Schwester. Bevan hier ist schlecht gelaunt, weil er die Wette verlor. Er glaubte, du würdest davonlaufen.“

Die Narbe auf Bevans Wange färbte sich weiß. Er bot ihr keinen Willkommenskuss an, und Patrick bestand nicht auf diese Geste der Höflichkeit. Ihm war lieber, wenn sein Bruder Schweigen bewahrte.

Er führte Isabel zum Feuer. Zitternd kauerte sie sich dicht an die Flammen, um sich zu wärmen. Sie strich sich über den Po und schloss die Augen, als müsste sie einen Schmerz unterdrücken.

„Es wird nicht mehr geritten“, versicherte ihr Patrick. In Wahrheit war er selbst erleichtert darüber, auch wenn er sich nicht gerade auf die bevorstehende Reise in der Morgendämmerung freute. Er hasste es, machtlos den Winden ausgeliefert zu sein.

„Darüber bin ich froh.“ Isabel ließ den brat von den Schultern gleiten. Ein Wust feuchter Locken fiel ihr über die Schultern bis zur schlanken Taille hinab. Sie erwiderte unbefangen seinen Blick. Patrick sah zur Seite. Sie mochte eine schöne Frau sein, doch er hatte kein Recht, sie so anzuschauen. Sein Schwur, sie nicht anzurühren, ließ ihn alle Wünsche seines verräterischen Körpers unterdrücken.

Trahern hustete. Patrick verstand die versteckte Botschaft und trat ein paar Schritte zurück. Sein Bruder öffnete einen Beutel und bot ein Stück Brot an. Dann reichte er einen Schlauch mit Bier herum. Isabel nahm von dem Brot und stillte ihren Durst. Patrick sah, dass ihr Gesicht von Erschöpfung gezeichnet war. Ihre braunen Augen blickten angespannt, und ihre Haut schien viel zu blass.

Während er seinen eigenen Hunger stillte, beobachtete er sie verstohlen. Sie hatte den Schleier abgelegt und sich etwas von ihnen abgewendet. Dann begann sie die wirren goldenen Locken wieder zu Zöpfen zu flechten. Weil Patrick keine Schwestern besaß, hatte er das noch nie bei einer Frau gesehen. Ihr dabei zuzuschauen, wie sie mit schlanken Fingern die Strähnen ineinanderflocht, erschien ihm beinah schon wie ein vertrautes Beisammensein. Mit hochgezogenen Knien saß sie an der Höhlenwand, fast wie ein Kind.

Doch ihre Silhouette konnte ihre Weiblichkeit nicht verleugnen. Der Regen hatte ihr das Gewand an den Körper geklebt, und die harten Knospen ihrer Brüste drückten sich durch den Stoff. Patrick fragte sich, wie es wohl wäre, sie zu berühren.

Er ging zum Eingang der Höhle und holte tief Luft. Die Nachtluft schmeckte nach Salz.

„Was wird aus mir, wenn wir Erin erreichen?“, fragte Isabel schließlich.

„Ich werde Euch die Freiheit schenken, wie ich es versprochen habe.“ Wenn er sie nach Ennisleigh ins Exil schickte, konnte sie sich nach Belieben auf der Insel bewegen und schadete niemandem. Er würde sie nicht jeden Tag sehen müssen, und sie konnte ihn auch nicht in Versuchung führen.

„Ich möchte meine Aufgaben kennen.“

„Darüber müsst Ihr Euch nicht den Kopf zerbrechen.“

„Weil ich nie Königin sein werde, nicht wahr?“ Blanke Erschöpfung trat in ihre Augen, und Isabel wandte sich ab.

Noch nie hatte sie sich so allein gefühlt. Man hatte ihr weder erlaubt, eine Zofe mitzunehmen, noch irgendetwas von ihrem Besitz. Verzweiflung stieg in ihr auf und umhüllte sie mit dem eisigen Mantel der Einsamkeit.

Im Feuer knackte ein Stück Holz und schickte Funken in die Luft. Zuckende Flammen zauberten Schatten auf Patricks Gesicht. Seine Brüder saßen an der gegenüberliegenden Wand und steckten in halblautem Gespräch die Köpfe zusammen.

„Was ist mit dem Besitz? Ich kenne mich mit den Gepflogenheiten auf einer Burg aus, ich kann mich um den Haushalt kümmern. Oder soll ich die Rechnungsbücher führen? Ich bin mit Euren Ländereien nicht vertraut, aber vielleicht …“

Als Patrick auf sie zutrat, unterbrach sie ihren Redefluss.

Autor

Michelle Willingham

Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde.
Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...

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