Magische Stunden in Westerly House

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Erschreckend, wie dreist die jungen Damen dem begehrten Lord Garrick nachstellen! Theodora beobachtet erschüttert, wie der Adelige auf der weihnachtlichen Hausgesellschaft ein ums andere Mal nur knapp der Ehefalle entgeht. Kurzerhand bietet Theodora ihm ihren Schutz an: Wenn sie immer in seiner Nähe bleibt, haben die übereifrigen Debütantinnen keine Chance! Daran, ihr eigenes Herz vor dem charmanten Lord zu schützen, hat Theodora jedoch leider nicht gedacht…


  • Erscheinungstag 01.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778408
  • Seitenanzahl 50
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

Hampshire, Januar 1816

Gott sei Dank, kein Mistelzweig!

Theodora Southern trat beiseite, um einem der schamlosen Gäste der Silvesterfeier in Westerly House aus dem Weg zu gehen. Sie hatte noch immer genug von der schlimmsten Weihnachtsfeier aller Zeiten, die ebenfalls in diesem Haus stattgefunden hatte.

Sie sah sich um, doch Maynard Buxton, der Fluch ihres Daseins, gab sich gerade alle Mühe, eines der Dienstmädchen in eine Ecke zu drängen, um einen Kuss von ihr zu erlangen – freilich ohne die Gunst des Mistelzweigs. Garrick, Lord Westerly, den sie seit ihrer Kindheit kannte, jedoch während der Kriegsjahre selten zu Gesicht bekommen hatte, hatte es dieses Weihnachten untersagt, Mistelzweige aufzuhängen. Nur in den Unterkünften der Dienerschaft waren sie erlaubt. Theodora war zunächst entsetzt gewesen – sie hatte auf einen Kuss von Garrick gehofft. Andererseits bedeutete dies, dass sie sich weniger vorsehen musste.

Theoretisch zumindest. An dieser Feier aber war etwas ganz und gar Merkwürdiges. Sicher, auf Hausfesten gab es stets das ein oder andere ungebührliche Verhalten, und dieses dauerte zwei Wochen – das machte ein paar amouröse Abenteuer unvermeidlich. Doch in diesem Jahr schien Westerly House vor sinnlichem Begehren nur so zu flirren.

Gott sei Dank war das erste Ritual der Weihnachtssänger, bei dem die Dorfbewohner einen Haufen Lärm und Geschrei veranstalteten, um das riesige Haus von bösen Geistern zu befreien, schon vorüber. Die Gäste, hohe und niedere Gesellschaft zugleich, vermischten sich in der großen Halle. Theodoras Aufgabe war es, den Weihnachtspunsch – heißes, duftendes Gewürzbier – in die Tassen zu schöpfen, die die durstige Menge ihr hinhielt. Doch da ihre Freundin Lucille sie ein Weilchen abgelöst hatte, hatte Theodora die Gelegenheit ergriffen und sich davongemacht.

Sie eilte die Treppe hinauf und anschließend den Gang hinunter, der zu ihrem Schlafgemach führte. Dem Seufzen und Stöhnen nach zu urteilen, das aus einer der Kammern drang, hatten einige Gäste die Halle bereits verlassen, um ihre sinnliche Begierde zu stillen. „Man könnte glatt auf die Idee kommen, sich in einem Freudenhaus zu befinden“, murmelte sie. Unverheiratet und daher jungfräulich, konnte sie es nicht riskieren, sich einem Abenteuer hinzugeben. Normalerweise trug sie sich nicht einmal mit dem Wunsch nach einem. Ihre geheimen Tagträume von einem begehrenswerten Mann, der ihr auf vielfache Weise Vergnügen bereitete, reichten vollkommen aus. Sie hatte vor langer Zeit entschieden, dass sie keinen echten Mann aus Fleisch und Blut brauchte.

Etwas an diesem Weihnachtsfest in Westerly House jedoch gab ihr das Gefühl, es doch zu tun.

Allerdings nicht Maynard Buxton.

Im Moment hatte Theodora ohnehin Besseres zu tun, als über Lust nachzudenken. In ihrem Schlafgemach griff sie sich ihren Mantel vom Haken, huschte die Treppe hinunter durch einen Winkel der großen Halle und eilte schnellen Schrittes einen leeren Korridor hinunter. In der Waffenkammer fand sie eine Laterne und zündete sie an. Nachdem sie die Kapuze ihres Mantels über den Kopf gezogen hatte, trat sie durch eine Seitentür auf den Weg hinaus in die kühle Nachtluft.

Sie überquerte die Wiese in Richtung der Klosterruine, froh über den kalten Wind, der gewiss dafür sorgte, dass sonst niemand hier draußen umherstreifte. Seit ihr zu Ohren gekommen war, dass Garrick unter der Ruine die Überbleibsel eines römischen Palastes entdeckt hatte, brannte sie darauf, einen Blick zu riskieren. Einen richtigen Blick, keinen flüchtigen zusammen mit einer Schar junger Mädchen, deren wahres und einziges Interesse darin bestand, seiner Lordschaft schöne Augen zu machen. Sie hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, Garrick um eine kurze Besichtigung zu bitten. Doch seit ihrer Ankunft vor einer Woche war er in einer schweigsamen, unfreundlichen Stimmung. Die meiste Zeit hatte er sich allein bei der Ruine aufgehalten und nicht einmal versucht, seinen Ärger zu verbergen, als Lady Westerly die jungen Ladies heraufgeführt hatte, damit sie ihn begaffen konnten. Na schön! Da er als vollendeter Griesgram aus dem Krieg heimgekehrt war, würde Theodora die Ausgrabungen eben auf eigene Faust besichtigen.

Sie bahnte sich ihren Weg durch den völlig überwucherten Altarraum und über einen Pfad aus Steinplatten zu der Stelle, wo früher der Speisesaal gewesen war. Eine Vertiefung von den Ausmaßen einer kleinen Schlafkammer, höchstens einen halben Meter tief, öffnete sich nahe den verfallenden Grundmauern. Ein behelfsmäßiger Baldachin war darüber gebreitet, um vor Regen zu schützen. Theodora sprang in die Grube und ging vorsichtig um die Spitzhacken, Schaufeln und Handspatel herum, vorbei an der Feuerschale und einigen Stühlen, dorthin, wo mehrere Säulen freigelegt worden waren. Sie hockte sich hin und leuchtete mit der Laterne. Sie wusste, was es mit diesen Säulen auf sich hatte. In einem von Vaters Büchern hatte sie eine Zeichnung davon gesehen. Es handelte sich um die Überreste eines römischen Heizofens, mit dem …

„Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?“, schmetterte eine Stimme voll purem Zorn.

Theodora fuhr heftig auf. Die Laterne fiel ihr aus der Hand und landete scheppernd auf dem Boden. Das Glas zerbrach, und die Kerze erlosch, sodass um sie her Dunkelheit herrschte. Vor Schreck schrie sie auf.

„Das geschieht Ihnen Recht.“ Es war Lord Westerly, begriff sie. „Ich werde weder Sie heiraten noch eine der anderen. Das habe ich, glaube ich, mittlerweile klargemacht.“

Sie stand auf und starrte ungläubig in die Finsternis. Er dachte, sie war hierhergekommen, um ihn in die Falle zu locken?

„Selbst wenn ich das vorhätte“, erklärte er, „wird dieser Trick nicht funktionieren. Ich lasse mich nicht zur Heirat zwingen.“

Der Vorwurf kränkte sie tief. Als würde sie das versuchen! So gern sie Garrick auch hatte – sie war keines dieser Mondkälber, die ihre Tante in der Hoffnung eingeladen hatte, dass er sich in eine von ihnen verliebte. Sie war wie jedes Jahr hergekommen, um als stellvertretende Gastgeberin auszuhelfen. Garrick Westerly kannte sie seit vielen Jahren. Als Zehnjährige war sie dem vier Jahre älteren Jungen überallhin gefolgt. Mit fünfzehn schließlich war sie rettungslos in ihn verliebt gewesen. Als er im Krieg gewesen war, hatte sie für ihn gebetet und sich danach gesehnt, ihn wiederzusehen.

Er war nicht mehr derselbe. Heimgekehrt war er als harter, verbitterter, oftmals sogar unhöflicher Mann.

„Lassen Sie sich das eine Lehre sein, ehe Sie völlig ruiniert sind“, schimpfte Lord Westerly lahm. „Unter ehrenwehrten Männern gibt es einige eher unschöne Bezeichnungen für die Art von Frau, die einem Mann nachstellt. Ich versichere Ihnen, so eine möchte keiner als Ehefrau haben.“

Vor Wut zitternd, bewegte Theodora sich langsam von seiner Stimme fort an den Rand der Grube. Das Mindeste, was sie tun konnte, war, ihn nicht anzuschreien.

Das habe ich bereits, nicht wahr? Hiernach werde ich dir nicht mehr nachstellen, und wenn du der letzte Mann auf Erden wärst. Theodoras Schnürstiefel verhakte sich unter einem Spaten. Einen Fluch murmelnd, bückte sie sich, um das Werkzeug aufzuheben. Und ganz sicher werde ich dich nicht mehr als Geliebter in meinen Tagträumen auftreten lassen.

Sie schleuderte den Spaten in die Richtung, aus der seine Stimme gekommen war. Scheppernd schlug das Werkzeug irgendwo auf – glücklicherweise nicht auf Garricks Kopf, der freilich nicht aus Metall war, auch wenn er aus dem Krieg offenbar mit dem Verstand eines Bleiklumpens zurückgekehrt war.

„Sie sind beschämend“, rief sie, hob ihre Rockschöße und schritt ohne ein weiteres Wort davon.

Garrick Westerly blickte erstaunt in die Dunkelheit.

Theodora? Verdammt, was hatte er da soeben getan?

Ihre Schritte verklangen. Der Baldachin über ihm flatterte in der kühlen Brise, und in der Ferne hörte er das Jaulen eines Fuchses. Er sollte ihr nachgehen, sich erklären. Schon machte er sich auf, ihr zu folgen, doch als er die andere Seite der Ruine erreicht hatte, ließ ihn der Klang einer Unterhaltung jäh innehalten.

„Miss Southern?“, schnitt eine Frauenstimme in missbilligendem Ton durch die Nacht. „Aber, was machen Sie denn zu dieser Zeit hier draußen?“

„Wie ich es dir gesagt habe, Mutter.“ Das war dieser eitle Rotschopf, Miss Concord, der hartnäckigste aller weiblichen Gäste auf jenem Trauerspiel von einer Hausfeier. Bislang hatte sie ihm Tag und Nacht in den Korridoren aufgelauert und sich sogar in seinem Bett versteckt, in der Hoffnung, dass er ihr ins Netz gehen würde. Er wiederum hatte es jedes Mal geschafft, sie loszuwerden, aber es war ein knappes Unterfangen gewesen. „Sie ist Lord Westerly hierher gefolgt. Sie will ihn mir wegnehmen.“

„Mach dich nicht lächerlich“, entgegnete Theodora. „Ich bin nicht im Geringsten an Lord Westerly interessiert.“

Das saß. Theodora war keine von den viel zu jungen Ladies, die Schlange standen, um Garrick zur Ehe zu verführen. Er kannte sie seit Ewigkeiten. Er hatte sie gern, und vor langer Zeit hatte sie ihm gegenüber zärtliche Gefühle gehegt. Die einzige Frau in der gesamten Hausgemeinschaft, für die Garrick wirklich etwas übrighatte, und was tat er? Das hätte er nicht gründlicher verderben können, wenn er es bis ins Kleinste geplant, in dreifacher Ausfertigung abgeschrieben und dann seinen unfähigsten Führungsoffizieren zur Absegnung vorgelegt hätte.

„Zu welchem Zweck sind Sie dann hier draußen?“, forderte Mrs. Concord.

„Ich wollte mir die Überreste des römischen Palasts ansehen“, gab Theodora zu verstehen.

Die Luft wich aus seinen Lungen. Das war genau das, was Theodora Southern tun würde. Wenn er sich jetzt offenbarte, würde das nur die lächerlichen Verdächtigungen untermauern. Besser, er tat, als wäre er überhaupt nie draußen gewesen. Wäre er schließlich auch gar nicht – wenn sein Freund Lord Valiant nicht das einsame Laternenlicht entdeckt hätte, das im Dunkeln schwankend hinauf zur Ruine gewandert war. Garrick wollte nicht, dass jemand hier oben herumschnüffelte, also war er der Sache sofort nachgegangen.

„Unsinn“, beschied Mrs. Concord. „Keine Dame, die etwas auf sich hält, würde nachts hinausgehen, nur um sich ein paar schäbige Steine anzuschauen.“

„Es sind keine Steine, sondern Ziegelsäulen, die zu einem Heizofen unter dem Fußboden gehörten“, erklärte Theodora. Garrick hatte ganz vergessen, dass sie dank ihres gelehrigen Vaters über die alten Römer Bescheid wusste.

Mrs. Concord schnaubte verächtlich. „Sie gehen doch wohl nicht davon aus, dass wir Ihnen das glauben. Es ist klar, weshalb Sie hier waren.“

„Jeder weiß, dass ich vor langer Zeit entschieden habe, nur aus einem Grund zu heiraten: aus Liebe. Ihre Annahmen sind deshalb unsinnig. Aber wie auch immer, glauben Sie, was Sie mögen. Es kümmert mich ganz bestimmt nicht, was Sie über mich denken.“

Die junge Miss Concord murmelte etwas, doch Garrick verstand es nicht.

Theodoras Stimme hingegen erscholl klar und deutlich in der nächtlichen Brise. „Es ist Ihr gutes Recht, sich eine Meinung zu bilden, Miss Concord. Aber dann sollten Sie sich auch meine anhören. Hören Sie auf, Lord Westerly hinterherzujagen. Er ist ein ungehobelter, unangenehmer Mensch, der deutlich gemacht hat, dass er weder Sie noch eine der anderen zur Frau nehmen wird. Wenn Sie Ihr Ansehen ruinieren bei dem Versuch, ihn einzufangen, wird das Folgen für Sie haben. Ihm ist das schlicht gleichgültig.“

Dass dies der Wahrheit entsprach, machte es nicht angenehmer, es aus dem Mund von Theodora Southern hören zu müssen, die früher einmal seine Freundin gewesen war.

Die Auswirkungen ihrer unbedachten Bemerkung bekam Theodora fast augenblicklich nach ihrer Rückkehr in die große Halle zu spüren. Mrs. und Miss Concord waren etwas früher dort eingetroffen und hatten den Tratsch in Gang gebracht. Mehrere Köpfe drehten sich nach ihr um, sie wurde angestarrt. Jemand wies mit dem Finger auf ihr Kleid. Als Theodora an sich hinabsah, fiel ihr zu ihrer Bestürzung die deutliche Spur aus Schlamm auf, die zweifellos daher rührte, dass sie sich im Dunkeln aus der Grube hatte heraustasten müssen. Eine junge Frau, sorgsam hinter ihrem Fächer verborgen, kicherte. Maynard Buxton grinste anzüglich – da er das immer tat, war das keine Überraschung.

Das Herz dröhnte ihr elendig in der Brust, als sie schließlich wieder vor der Schüssel mit Weihnachtsbowle stand. Lucille Beaulieu schöpfte Gewürzbier und verteilte es an die Schlange der vor Leidenschaft entbrannten Männer des Dorfes. Etwas an Lucille weckte männliches Verlangen, und es lag nicht nur an ihrem exotischen Aussehen und ihren veilchenblauen Augen. Lucille erwehrte sich der Annäherungsversuche mit Selbstbewusstsein. Ihr schien es nichts auszumachen, dass man sie in zweideutiger Weise anlächelte.

Theodora machte das sehr wohl etwas aus, und zu ihrer Beunruhigung erkannte sie, dass Maynard Buxton nicht der einzige Übeltäter war. Der berüchtigte Lord Valiant Oakenhurst, im Krieg als Spion und Attentäter unterwegs gewesen, war der einzige Mann, dessen Augen nicht Neugier, sondern Freundlichkeit auszudrücken schienen. Kein Wunder, dass er mit ihr fühlte, denn während die Frauen sich über seine sinnlich-körperliche Schönheit entzückten, gingen die meisten der Gentlemen ihm aus dem Weg.

„Was sagen Sie über mich?“, flüsterte Theodora auf Französisch.

Lucille hob in ihrer typisch lässigen Art die Schultern, und die Reihe der Weihnachtssänger, die für den Punsch anstanden, ließ ein vereintes Seufzen hören. „Es gibt zwei verschiedene Versionen. Welche willst du hören? Die gute oder die schlechte?“

„Mach mich nicht verrückt, Lucille. Was sagen sie?“

„Dass du in der Klosterruine Lord Westerly besprungen hast. Das ist Miss Concords Version.“

Theodora fühlte, wie sie so rot anlief wie die Beeren der Stechpalmenzweige, die als Dekoration auf den Tischen lagen.

„Sowohl im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne bist du von nun an eine sündige Frau“, fügte Lucille mit leisem Kichern hinzu.

„Das ist nicht lustig“, wehrte sich Theodora, als ein Gast, der zuvor stets der Inbegriff an Höflichkeit und Zurückhaltung gewesen war, seinen Blick am Mieder ihres Kleides verweilen ließ und wissend lächelte.

Lucille schenkte dem Mann ihrerseits ein Lächeln, und sein Interesse wandte sich sofort ihr zu. „Miss Concord ist eine Närrin. Begreift sie nicht, dass sich Lord Westerly, wenn er dich tatsächlich verführt hätte, verpflichtet fühlen würde, dich zu heiraten? Jedenfalls hat ihre Mutter ihr den Mund verboten und gesagt, dein einziger Fehler sei es gewesen, dass du ein Auge auf einen Mann geworfen hättest, der dich nicht will. Sobald du die Klosterruine betreten hattest, habe er dich kalt zurückgewiesen.“

Theodora entfuhr ein verzweifeltes Stöhnen. Egal, welche Geschichte sich durchsetzte, die Folgen würden gleichermaßen unerfreulich sein. Im Zweifel wollte sie aber doch eher als schamlose Verführerin gelten denn als verschmähte Jungfer. Ihre Patentante hatte ihr ein kleines Vermögen vermacht, sie war also nicht darauf angewiesen zu heiraten. Nach einer Verlobung, die ihr von der Familie aufgezwungen und durch einen tödlichen Jagdunfall ihres Verlobten jäh beendet worden war, hatte sie entschieden, nur aus Liebe zu heiraten. Ihre Familie hatte diesen Entschluss hingenommen, die meisten anderen jedoch, Mrs. Concord etwa, weigerten sich, Theodora ernst zu nehmen. Eine Heirat allein aus Liebe ergab für sie keinen Sinn.

„Was kümmert es dich, was diese unerträglichen Concords von dir denken?“, redete Lucille ihr zu.

„Gar nichts, aber als sie mich bezichtigten, ein Auge auf Lord Westerly geworfen zu haben – da hätte ich mir meine Worte sparen sollen. Ein Fehler. Aber ich war bereits durcheinander und habe das Herz auf der Zunge getragen, anstatt meinen Verstand zu benutzen.“

„Durcheinander? Aber warum?“

„Als mich Lord Westerly bei der Ruine fand, hat er mich beschuldigt, ihn in die Ehefalle locken zu wollen.“

„Wenn so viele Frauen sich wünschen, ihn zu heiraten, was soll er anderes denken?“

„Mich sollte er besser kennen! Er ist einmal mein Freund gewesen, aber es kam ihm nicht einmal in den Sinn, dass ich aus wissenschaftlichen Gründen dorthin gegangen sein könnte. Das ist so demütigend.

Lucille vollführte ein sehr französisches Schulterzucken. „Was er über dich denkt, ist sein Problem, nicht deines. Weshalb sollte dich das stören?“

Theodora spürte, wie es ihr Gesicht erneut heiß überlief. „Weil es früher einmal wahr gewesen ist.“ Als sie Lucilles fragenden Blick auffing, fuhr sie fort: „Mit fünfzehn – fast sechzehn – war ich wie wahnsinnig in ihn verliebt. Er war damals zwanzig und kurz davor, in den Krieg zu ziehen. Ich habe ihn gefragt, ob er mich zur Frau nehmen würde, bevor er geht und …“

Du hast um seine Hand angehalten?“

Theodora nickte beschämt. Sie schluckte ihre Verlegenheit herunter. Lächerlich, dass es ihr nach mehr als zehn Jahren noch so viel ausmachte.

„Wie wunderbar fortschrittlich von dir“, befand Lucille.

Garrick drängte sich durch die Menge von Dorfbewohnern, ein paar Scherze hierhin und dorthin werfend, um auf diese Weise einem nach dem anderen eine gute Nacht zu wünschen. Von nun an würde er herzlicher sein, auch wenn es ihn umbrachte.

Falls ihn darüber hinaus die Wut umbringen konnte – sollte sie doch. Seit seiner Rückkehr aus dem Krieg ertappte er sich dabei, wie er wütend auf alles und jeden war – auf diese selbstgefällige Gleichgültigkeit, die die Leute gegen alles an den Tag legten, was nicht ihre belanglosen kleinen Probleme betraf. Auf den vollkommenen Mangel an Dankbarkeit den Tausenden von Opfern der Soldaten gegenüber. Auf den Widerwillen, auch nur den kleinen Finger zu heben, um denen zu helfen, die überlebt hatten.

Theodora war nicht wie all diese anderen. Er musste sich bei ihr entschuldigen, und das würde er auch, sobald sich die Gelegenheit ergab. Doch vorerst hallte ihre Anklage gegen ihn in seinem Kopf wider wie eine Totenglocke. Ungehobelt, unangenehm, gleichgültig.

Autor

Barbara Monajem
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