Mein leidenschaftlicher Lord

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Was ist bloß mit Drake los? Entsetzt beobachtet Emily, wie ihr tollkühner Lord sich ohne Rücksicht auf Ruf oder Leben in eine finstere Verschwörung einschleicht. Sie fürchtet um den Mann, den sie schon lange liebt - heimlich und hoffnungslos, denn sie ist nur die Tochter seines Wildhüters. Mögen die eigenen Freunde Drake nun auch für einen Verräter halten, Emily glaubt an seine lauteren Motive und folgt ihm in die Höhle des Löwen. Als sie in Todesgefahr gerät, sind alle Standesunterschiede vergessen: Drake lässt sie spüren, wie leidenschaftlich er sich nach ihr verzehrt. Aber ist ihre Liebe stark genug, um den Hass seiner Feinde zu besiegen?


  • Erscheinungstag 01.12.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738594
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Bayerischen Alpen, 1816

Als eine weitere Kugel an ihrer Schulter vorbeizischte, sprang sie eilig hinter den nächstbesten Baum.

Du bist genauso verrückt wie er, dachte sie. Aber hatte sie eine Wahl? Sie war die letzte Freundin, die ihm auf dieser Welt noch geblieben war. Wenn sie ihm nicht half, würde es niemand mehr tun.

Der Wald um sie herum war erfüllt vom Lärm peitschender Schüsse. Schwarz gekleidete Wachen brüllten zornig ihre Befehle ins düstere Gestrüpp. Sie waren sofort aus Schloss Waldfort geeilt, als sie Emily Harper erblickt hatten. Emily lehnte sich schwer atmend an einen Baumstamm und wartete auf die nächste Gelegenheit zur Flucht.

Sie hatte das Schloss seit Wochen aus der Ferne beobachtet, doch als er ankam und in der geheimnisvollen Festung auf der Bergspitze verschwand, hatte sie nichts anderes tun können, als abzuwarten. Sie war durch die Wälder geschlichen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen und sich zu überlegen, wie sie ihn herauslocken könnte.

Aber dann war sie einer der Wachen aufgefallen und all ihre Bemühungen, Drake zu retten, waren gescheitert.

Jetzt! Wieder lief Emily den Wildpfad entlang. Ihr brauner Wollumhang flatterte hinter ihr her und ihr Bogen und der Köcher mit den Pfeilen schlugen ihr bei jedem Schritt hart gegen den Rücken.

Goldene Sonnenstrahlen fielen durch die Baumwipfel und zeigten ihr den Weg. Mit geübtem Blick maß sie die Umgebung ab. Der Abhang war steil und beinahe wäre sie ausgerutscht. Doch dann entdeckte Emily eine leichte Biegung. Sie sprang über eine dicke, gekrümmte Baumwurzel, die wie eine knochige Hand einen Felsen umrankte, und lief weiter.

Ihre Verfolger waren ihr dicht auf den Fersen.

Das Blut rauschte in ihren Ohren, dennoch trafen ihre Füße bei jedem Schritt lautlos auf den weichen Waldboden, der von Moos und Tannennadeln bedeckt war.

Sie war nicht stehen geblieben, um ihre Verfolger zu zählen. Es waren ausländische Söldner und die meisten von ihnen waren zu Fuß hinter ihr her. Andere verfolgten sie zu Pferde.

Einige hatten Hunde bei sich.

Sollte jemals irgendwer an den intriganten Machenschaften der Prometheusianer gezweifelt haben, so deuteten ihre Sicherheitsmaßnahmen genau darauf hin.

Sobald die Wachen Emily bemerkt hatten, waren sie hinter den Mauern des abgelegenen Schlosses hervorgeströmt, wo ein geheimes Treffen der reichsten und mächtigsten Männer des Kontinents stattfand.

Warum um alles in der Welt benötigten diese Herren so viele bewaffnete Wachen, wenn sie nichts zu verbergen hatten?

Emily interessierte sich nicht im Geringsten dafür, welchen okkulten Plänen diese vornehmen Verschwörer in ihrem endlosen Streben nach Macht nachgingen. Sie war nur aus einem einzigen Grund hierhergekommen: Sie wollte Drake nach Hause bringen.

Er gehörte nicht hierher, ganz gleich, was er auch immer sagen mochte. Sollten sie diese verdammten Söldner doch den ganzen Berg hinuntertreiben, Emily schwor sich, dann einfach wieder hinaufzusteigen. Sie weigerte sich aufzugeben. Sie weigerte sich, ihn aufzugeben. Ihr geliebter Wahnsinniger brauchte sie, ob ihm das nun bewusst war oder nicht. Was immer auch geschah, sie würde diesen Berg nicht ohne Drake verlassen. In ihrer dunkelsten Stunde hatte er sie nicht im Stich gelassen, jetzt war die Zeit gekommen, ihm den gleichen Gefallen zu erweisen.

Drake steckte in viel größeren Schwierigkeiten, als er annahm. Dabei ging es nicht einmal um seine Feinde, es waren seine Freunde, die ihn töten wollten.

„Da! Da ist er!“

„Là-bas!“

Verdammt. Sie runzelte die Stirn, als eine weitere Kugel über ihren Kopf hinwegsauste und sich in die Rinde des nächsten Baumes bohrte.

Ihre Verfolger hatten sie gesehen.

Zornig blickte Emily über ihre Schulter zurück. Sie sprang hinter eine alte Ulme, die neben dem Weg stand, und nahm den Bogen in die Hand. Geschickt legte sie den Pfeil an, ihre Hände bewegten sich wie von selbst.

Während sie auf den richtigen Moment wartete, drifteten ihre Gedanken in ihre Kindheit zurück. Sie erinnerte sich, wie sie mit Drake stundenlang auf dem Anwesen ihrer Familie Verstecken gespielt hatte.

Wie junge Wilde waren sie beide durch den bewaldeten Park von Westwood Manor gelaufen. Er, der Erbe des Earls, und sie, die ungestüme Tochter des Wildhüters.

Voller Übermut hatten sie sich miteinander gemessen und versucht, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Sie waren auf Bäume geklettert, hatten sich von Ast zu Ast geschwungen und umgestürzte Baumstämme als Brücken über die Schlucht genutzt, die das weitläufige Anwesen des Earls durchkreuzte. Wer konnte einen Stein häufiger über die Wasseroberfläche springen lassen, wer einen Stock so weit werfen wie einen Speer? Sie hatten Kaninchenfallen aufgestellt und ihre Beute wieder freigelassen, weil sie dann doch nicht übers Herz gebracht hatten, das Tier der Köchin zu bringen.

Doch dann war der Sucher gekommen, der hochgewachsene, schweigsame Schotte namens Virgil, der Drake für den Orden des Erzengels Michael auswählte. Seine Eltern waren einverstanden mit dieser geheimen Pflicht, die seinen Ahnen vor vielen Jahrhunderten von den Kreuzfahrern auferlegt worden war. Mit ihrem Segen ging Drake zu der geheimnisvollen, militärisch straff organisierten Schule in Schottland. Er hatte damit geprahlt, dass er eines Tages der größte Krieger des Ordens sein würde.

Für diese Überheblichkeit hatte ihm Emily wütend gegen das Schienbein getreten. Als er fort war, hatte sie sich die Seele aus dem Leib geweint, weil niemand mehr da war zum Spielen außer ihren wilden Tieren, die sie in der Vergangenheit verletzt im Wald gefunden und gesund gepflegt hatte.

Im Laufe der Zeit hatte Emily sich daran gewöhnt, allein zu sein, während Drake sicher auf sein Ziel hinarbeitete. Bald schon war aus dem unbändigen schwarzhaarigen Jungen ein blendend aussehender junger Mann geworden, dem es nicht länger gestattet war, ihr zu erzählen, wohin er ging, wenn der Orden ihn auf eine seiner langen, gefährlichen Missionen schickte.

Und dann hatte sie im letzten Jahr die Nachricht vom Orden vernommen, dass Drake verschwunden war.

Emily presste den Rücken an den breiten Baumstamm. Sie lauschte auf ihre herannahenden Verfolger.

Vielleicht sollte ich mich von ihnen gefangen nehmen lassen.

Sie würden sie ins Schloss bringen, wo sie Drake näher sein konnte. Doch gleich darauf verwarf Emily diesen Gedanken wieder.

Es war zu gefährlich. Sie war keine Dame und zornige Männer wie diese waren dafür bekannt, dass sie mit Frauen niederer Herkunft nicht gerade zimperlich umgingen.

Emily würde für Drake zwar ihr Leben geben, aber den Prometheusianern niemals ihre Unschuld opfern.

Während die Verfolger immer näher kamen, schoss Emily ihren Pfeil bewusst an ihnen vorbei in den Wald. Sie wollte die Männer irreleiten.

Sofort wandten sich die Wachen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Emily schoss zur Sicherheit noch einen zweiten Pfeil ab und bemerkte zufrieden, dass sich die Soldaten von ihr entfernten. Als sie weg waren, streifte sie den Bogen wieder über die Schulter und lief in die andere Richtung davon.

Vor ihr plätscherte das kalte Wasser eines Gebirgsbaches. Sonnenstrahlen glitzerten darin, als Emily ihre Flasche auffüllte. Sie schloss die Flasche wieder und sprang von Felsen zu Felsen, um auf die andere Seite zu gelangen. Plötzlich hörte sie wieder die Stimmen mehrerer Männer, die ihr offenbar dicht auf den Fersen waren. Es war an der Zeit, sich zu verstecken.

Ihr Blick fiel auf eine winzige Höhle. Es war ein schmaler Spalt zwischen mehreren Gesteinsschichten, fast so eng wie ein Fuchsbau. Emily schätzte die Öffnung ab. Mit etwas Glück würde sie dort hindurchpassen und sie war verzweifelt genug, es zu versuchen.

Flink wie eine Katze lief sie auf ihr Ziel zu.

Emily kletterte. Ihr Herz pochte vor Angst, dennoch gelang es ihr, die Furcht unter Kontrolle zu halten. Das Risiko war größer, als ihr lieb war. Sie fürchtete sich davor, in diesen Wäldern so weit weg von zu Hause zu sterben oder gefangen genommen und für grausame Spiele benutzt zu werden.

Sie zog sich zum Rand der kleinen Höhle hoch und spähte hinein. Zum Glück war niemand zu Hause, aber die Spuren in der Erde zeigten, dass hier einmal ein Tier gehaust hatte.

Emily nahm Schwung und rollte sich in die Höhle. Die Dunkelheit dort schien sie zu verschlucken. Sie zog ihren Umhang fester um sich.

„Er ist hier vorbeigekommen, Capitaine!“

Emily lächelte in ihrem Versteck. Natürlich nahmen die Söldner an, dass sie einen Mann verfolgten. Das bedeutete, dass sie Emilys Gesicht nicht klar erkannt hatten.

„Geht weiter!“, befahl ein englisch sprechender Mann streng.

Emily riss die Augen weit auf. Ihr Atem stockte. Sie kannte diese tiefe, ein wenig heisere Stimme so gut wie den Klang ihres Herzens.

„Hier entlang“, rief Drake und wiederholte den Befehl für die anderen auf Deutsch und Französisch. „Ich sehe hier nach.“

Er wusste es! Natürlich wusste er, dass sie es war, die seine Männer verfolgten. Er hatte es zweifellos tief in seinem Herzen gespürt. Er musste es einfach spüren durch dieses magische Band, das sie beide seit ihrer Kindheit verband.

Ihr Herz klopfte wild. Emily biss sich auf die Lippen, um nicht zu lächeln, weil er ihr so nahe war. Endlich! Wie lange hatte sie auf die Gelegenheit gewartet, mit ihm sprechen zu können?

Sie wollte ihn wieder zur Besinnung bringen, ihn nach Hause locken wie ein verwundetes wildes Tier. Er wusste nicht, was er tat, als er hierherkam.

Emily wartete, bis die anderen Männer verschwunden waren. Sie war froh und erleichtert, obwohl Drake sie bei ihrer letzten Begegnung als Geisel benutzt und ihr ein Messer an ihre Kehle gepresst hatte, um fliehen zu können.

Er hätte mir niemals weh tun können, beruhigte sie sich selbst.

Wie sehr die Prometheusianer auch seinen Körper geschunden und seinen Geist gebrochen haben mochten, wie sehr sie vielleicht sogar seine Erinnerungen durch die monatelange Folter im Gefängnis verschüttet haben mochten, er war immer noch Drake. Und er blieb es, selbst wenn das Böse in ihnen auch ihn verändert hatte.

Und tief in ihrem Herzen war er noch immer ihr bester Freund, obwohl dieser Gedanke albern war, denn immerhin war er ein Earl und sie niemand Besonderes.

Sie konnte hören, wie die anderen sich in die Wälder zurückzogen, um die Jagd nach dem Eindringling fortzusetzen. Bald hörte sie nichts mehr als das Plätschern des Wassers. Nicht einmal die Vögel zwitscherten. Gewiss hatten die Gewehrsalven sie verscheucht.

Einen Moment lang rührte sie sich nicht, bis sie seine Stimme hörte. Er sprach ganz ruhig, aber finster. „Sag mir bitte, dass nicht du das bist, die dort drinnen sitzt.“

Langsam zog Emily den Umhang von ihrem Gesicht. Anfangs konnte sie von ihrem Platz aus nur den unteren Teil seines muskulösen Körpers sehen.

Drake trug einen langen und weiten schwarzen Mantel, schwarze Lederhosen, die vom vielen Tragen weich geworden waren sowie hohe schwarze Stiefel.

In der Hoffnung, dass er ihr nicht böse war, zog sie den Umhang zurück und rollte sich aus ihrem Versteck. Sie vergewisserte sich, dass seine Männer fort waren, dann sprang sie aus dem Bau heraus auf das schmale Ufer.

Sie lächelte ihn an und warf ihr langes Haar zurück. „Überraschung!“

Drake stand auf der anderen Seite des Baches und sah sie lange und kühl an.

Ihre übermütige Haltung verschwand, als sie sah, wie sein kantiges Gesicht blass vor Zorn wurde.

Ungläubig schüttelte er den Kopf. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verletzt war.

Sie tat dasselbe mit ihm, während sie vorsichtig auf ihn zukam. Erleichtert bemerkte sie an seinem starken, herrlichen Körper keine weiteren Verletzungen, doch seine dunklen Augen beobachteten sie prüfend und aufmerksam.

In diesem Augenblick wusste Emily, dass sie richtig daran getan hatte, hierherzukommen, egal wie wütend Drake auch war.

Es ging ihm nicht einmal annähernd gut.

Wie sehr sie der verlorene Schimmer in seinen ausdrucksstarken Augen schmerzte! In ihnen spiegelte sich wider, was er in den vergangenen Monaten durchgemacht hatte. Offensichtlich verstand er nicht, welche Folgen sein Handeln hatte. Was glaubte er, was er hier tat? Die Prometheusianer konnten ihm unmöglich trauen. Sie würden ihn töten, und wenn sie es nicht taten, dann würde der Orden das tun.

Seine Mitbrüder sahen in ihm einen Verräter.

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

„Wie geht es dir?“, fragte sie leise.

Er lächelte nur kühl, antwortete aber nicht.

Aber Emily störte sich nicht daran. Drake brauchte Hilfe. Deswegen war sie hier.

Ohne den Blick von ihm abzuwenden, trat sie näher. In seinen Augen lag all der Schmerz über das, was diese Unmenschen ihm angetan hatten. Die Zeit, in der er ihr Gefangener gewesen war, hatte aus ihm einen verschlossenen Fremden gemacht, der vor Hass und Zorn glühte. Nichts an ihm erinnerte mehr an den frohen, unbeschwerten Mann von damals.

Als junger Mann war Drake ein wahrer Schürzenjäger gewesen, der sich gern amüsierte und aus Leibeskräften wüste Lieder sang, sobald er betrunken war. Er lachte über all die schrecklich geschminkten Frauen, die ihn umschwärmten. Mit dreißig war er noch immer ein schöner Mann. Er war immer ein schöner Mann gewesen, doch Emily wusste, dass seine Peiniger ihn im Inneren zerstört hatten. Sie hatten seinen einst so überwältigenden Charme ebenso vernichtet wie seine unerschöpfliche Lebenslust. Emily schien die Einzige zu sein, die noch an ihn herankommen konnte.

Er vertraute ihr.

Nach Monaten der Folter hatte der Orden die Fäden gezogen, die nötig waren, um ihren Agenten zurückzubekommen. Drake war in so schlechter Verfassung zu ihnen zurückgebracht worden, dass sie alle beunruhigt waren. Er hatte seine früheren Partner nicht mehr erkannt und war wie ein Wilder auf sie losgegangen, weil er fürchtete, sie alle wollten ihn töten. Wenn er nicht wütete, flehte er sie an, nicht wieder eingesperrt zu werden. Immer wieder murmelte er, er müsse zu James zurückkehren, da sich der alte Mann in großer Gefahr befände. Statt darauf einzugehen, hatten seine betrübten Freunde ihn nach Hause gebracht, damit er gesund werden könnte.

Noch immer erfüllte es Emily mit Zorn, wenn sie daran dachte, wie dürr er gewesen war, als sie ihn zum ersten Mal wiedergesehen hatte.

Es musste schrecklich gewesen sein, was sie ihm angetan hatten, denn Drake erkannte weder seine Mutter noch den Landsitz, auf dem er aufgewachsen war.

Nur Emily hatte er erkannt.

Während Lord Rotherstone, einer seiner engsten Freunde im Orden, ihn auf Westwood Manor bewachte, hatte Emily ihren geliebten Freund aus Kindertagen aufopferungsvoll gesund gepflegt.

Nach einigen Wochen hatten sie gute Fortschritte erzielt. Behutsam hatte sie ihn aus der Dunkelheit geführt, in der er lebte, und ihn von ärgsten Albträumen befreit.

Alles schien sich so gut zu entwickeln, bis Drake sein Schicksal wieder selbst in die Hände nahm. Er nahm Emily als Geisel, um von seinem Landsitz zu fliehen und zu seinem kostbaren James zurückzukehren.

Trotz der vielen Beweise, die gegen ihn sprachen, konnte Emily noch immer nicht glauben, dass Drake ein Verräter geworden war. Es war unmöglich.

Sie hatte das schreckliche Gefühl, dass er tatsächlich nur zurückgekommen war, um sich zu rächen.

Es zeigte ihr, wie verunsichert er noch immer war.

Der Orden kämpfte bereits seit Jahrhunderten gegen die Prometheusianer. Wie sollte da ein Mann allein die ganze Organisation vernichten können? Ob verrückt oder nicht, dachte sie, Drake wollte es auf jeden Fall versuchen.

Aber was immer er auch im Schilde führen mochte, er hatte nicht mit Emily gerechnet.

„Was zum Teufel tust du hier?“, raunte er leise, als sie einen weiteren Schritt auf ihn zukam.

„Freust du dich nicht, mich zu sehen?“, fragte sie.

Er sah sie unverwandt an. „Nein, nicht im Geringsten.“

„Du weißt, warum ich hier bin, Drake. Ich bin gekommen, um dich nach Hause zurückzuholen.“

Er schloss die Augen und senkte nachdenklich den Kopf.

Dann reckte er plötzlich das Kinn, zog zornig die Augenbrauen zusammen und funkelte Emily aus seinen schwarzen Augen an. „Verschwinde von hier. Jetzt sofort!“, zischte er.

„Nein.“

„Ich weiß deine Geste zu schätzen, Emily, aber du hast diese Reise vergeblich unternommen. Ich bleibe hier und du gehst nach Hause. Los jetzt. Steig zurück in die Höhle und versteck dich, bis wir wieder alle im Schloss sind. Ich werde dich decken.“

„Nein! Ohne dich gehe ich nirgendwo hin! Glaubst du, ich wäre sechshundert Meilen umsonst gereist?“ Sie warf einen Blick zurück in den Wald, um sich zu überzeugen, dass die anderen noch nicht zurückkamen.

Emily erinnerte sich daran, dass sie mit einem gefährlichen Mann sprach, der sich nicht mehr richtig im Griff hatte. Niemand wusste, was geschehen würde, wenn sie ihn zu sehr bedrängte. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus. „Komm mit mir, Drake. Fliehe jetzt mit mir, ehe sie zurückkommen. Ich kümmere mich um dich.“

„Oh Emily“, flüsterte er und verzog ein wenig das Gesicht.

„Ich habe dich schon einmal verloren, ich kann es nicht noch ein weiteres Mal ertragen.“

„Sie würden dich töten“, flüsterte er, „sie würden uns beide töten.“

„Nicht, wenn wir jetzt gleich fliehen. Wir können noch immer entkommen. Du weißt, dass wir das können, du und ich, wir beide, zusammen. In Wäldern wie diesen kennen wir uns seit jeher aus. Lass es zu, dass ich mich um dich kümmere. Du bist verwirrt. Ich weiß, dass du nicht hier sein willst.“

Drake schüttelte den Kopf und wandte sich aufgeregt von ihr ab. „Warum hörst du mir nie zu? Ich kann es nicht fassen, dass du hier bist. Ich habe dir gesagt, dass ich das hier tun muss.“

„Aber das musst du nicht. Was immer du glaubst, hier tun zu müssen, es wird dich umbringen. Das kann ich nicht zulassen, Drake. Diesmal hast du dich übernommen. Was immer James dir auch gesagt haben mag, du gehörst nicht hierher.“

„Du bist es, die nicht hierher gehört“, erwiderte er leise. Er trat auf sie zu. „Wie kannst du dich nur so in Gefahr begeben? Und du sagst, ich wäre verrückt!“

„Es wird dir nicht besser gehen, wenn du leugnest, was dir zugestoßen ist. Sieh dich doch an. Es geht dir nicht gut! Du brauchst Zeit, um gesund zu werden. Habe Geduld mit dir, dann wirst du mit der Zeit wieder vollständig zu Kräften kommen.“

„Ich bin wieder vollständig bei Kräften“, murmelte er.

„Körperlich vielleicht, aber wir wissen beide, dass du innerlich noch nicht bereit bist für eine neue Mission. Komm mit mir nach Hause, lass mich dir helfen, du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Bitte, Drake, lass uns jetzt fliehen, bevor sie wieder zurückkommen.“

„Nein.“

Emily stockte. So kam sie nicht weiter. Sie brauchte eine neue Strategie. „Du willst also, dass ich ganz allein die sechshundert Meilen zurückreise?“, fragte sie. Wenn nötig, konnte sie ebenso kühn vorgehen wie er. „Du weißt, wie gefährlich es in diesen Wäldern hier ist. Es gibt Wölfe, Bären, gefährliche Männer.“

Drake kniff die Augen zusammen und sah Emily prüfend an. Er wusste, worauf sie hinauswollte.

Den letzten Mann, der sie bedroht hatte, hatte er getötet.

„Du willst mich allein durch drei Länder zurückreisen lassen, die sich im Krieg befinden? Ich habe kein Geld mehr. Ich spreche die Landessprache nicht.“

„Es ist ein Wunder, dass du es überhaupt lebend bis hierher geschafft hast“, erwiderte er. „Du warst doch noch nie weg aus dem Shire.“

„Ich bin dir gefolgt“, sagte sie und zuckte mit den Schultern, „dir und James. Ich dachte ein paarmal, ihr hättet mich gesehen.“

Er senkte den Blick. „Und ich dachte, ich bilde mir das alles nur ein.“ Dann sah er sie kopfschüttelnd an. „Warum tust du mir das an?“

„Ich tue es dir nicht an. Ich tue es für dich. Weil du mich brauchst.“ Sie ergriff seine Handgelenke und zog daran. „Komm schon, wir reden später. Jetzt müssen wir gehen.“

Drake blieb stehen und umfasste locker ihre Hand. „Es tut mir leid, Emily.“

„Du bist kein Agent mehr, Drake“, flüsterte sie mahnend. „Der Orden fürchtet, du hättest ihn verraten.“

„Vielleicht habe ich das ja auch getan. Hast du schon einmal daran gedacht?“

„Sei nicht albern. Wenn du zurückkommst, wird sich alles aufklären, das weiß ich. Ich werde für dich sprechen. Wir werden zusammen zu ihnen gehen und erklären, dass du einen Fehler gemacht hast. Du hättest dich geirrt, als du glaubtest, du könntest hierher kommen und sie allein besiegen.“

„Ich habe keinen Fehler gemacht“, erwiderte Drake ernst.

In diesem Moment hörte Emily wieder Männerstimmen, die näher kamen. Sie atmete tief ein.

„Komm schon, Drake. Bitte.“

„Nein, ich gehe nicht mit dir. Jetzt geh wieder zurück in diese verdammte Höhle und versteck dich.“

„Genug!“, unterbrach sie ihn und griff nach ihrer Pistole.

Er zog eine Braue hoch, als sie die Waffe zog und auf ihn zielte.

„Gehen wir.“

„Wie bitte? Du nimmst mich gefangen?“

„Komm schon, Idiot“, flehte sie.

Er lachte spöttisch. „Drück den Abzug, bitte.“ Er zog den Ausschnitt seines Hemdes hinunter und präsentierte ihr die nackte Brust. „Mach schon. Ich sterbe lieber durch deine Hand als durch die eines anderen.“

Emily sah ihn finster an. Drake hatte ihren Bluff durchschaut. Dennoch griff sie mit der freien Hand nach seinem Hemd, um ihn, wenn nötig, mit eigener Kraft nach England zu zerren. „Ich habe genug von dir. Jetzt komm mit“, befahl sie ihm und hielt ihre Waffe weiterhin auf ihn gerichtet. „Mach keine Schwierigkeiten.“

Er lachte sie aus.

„Du kommst mit mir. Verdammt, Drake, ich versuche, dich zu retten!“

„Wie kommst du nur auf den Gedanken, dass ich gerettet werden möchte?“ Er umfasste ihr Handgelenk dort, wo sie sein Hemd gepackt hielt. „Lass mich los, Emily.“ Er sah ihr tief in die Augen und wiederholte drohend: „Lass mich los.“

„Nein“, stieß sie hervor und sah ihm in die Augen. Sie schüttelte den Kopf. „Niemals.“

„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es für mich zu spät ist. Ich weiß, was ich tue, Emily. Geh jetzt. Du musst es für mich tun. Nichts ist es wert, dass du dein Leben dafür hergeben solltest.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Weine nicht.“ Sehnsüchtig berührte er ihr Gesicht. „Gib keinen Laut von dir. Geh einfach zurück in die Höhle und zeige dich nicht. Geh jetzt, los. Ich bringe sie von hier fort. Wenn wir weg sind, läufst du den Berg hinunter, so schnell du kannst, und fährst nach Hause. Du musst mir vertrauen. Sag Max dasselbe.“

Emily rührte sich nicht. „Es wird nie mehr mein Zuhause sein“, stieß sie hervor. „Ich kann dich hier nicht sterben lassen.“

Er warf einen Blick über die Schulter. „Wenn du jetzt nicht losläufst, dann stirbst du mit mir zusammen. Ist es das, was du willst?“

„Vielleicht. Vielleicht ist es besser, als allein zurückzugehen.“

Ihre Antwort schien ihm nicht zu gefallen, aber sie hielt seinem Blick stand. Wusste der Dummkopf denn immer noch nicht, was sie für ihn empfand?

„Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich hier einlässt“, zischte er.

„Es ist mir egal. Ich kann nicht zulassen, dass sie dir weiterhin wehtun.“

„Verdammt. Dafür drehe ich dir noch den Hals um“, murmelte Drake. Dann packte er Emily plötzlich beim Handgelenk und zog sie an sich heran. Dabei riss er ihr die Pistole aus der Hand und steckte sie in seinen Hosenbund. Einen Augenblick, bevor die Wachen auf die Lichtung am Bach traten, tat Drake etwas, das er nie zuvor getan hatte.

Etwas, das sie zutiefst schockierte.

Er zog Emily in seine Arme und küsste sie gierig und voller Lust.

Zuerst war sie zu erschrocken, um überhaupt nur zu reagieren. Schließlich hatte seine Mutter ihr schon vor Jahren unmissverständlich klargemacht, dass dies niemals geschehen dürfe, sonst würde ihr Vater seine Arbeit verlieren.

Seither hatte sie ihr Möglichstes getan, ihre Mädchenträume zu unterdrücken.

Doch ihre Bemühungen waren nicht immer von Erfolg gekrönt.

Jetzt war sie alt genug, um zu wissen, dass sie ihn begehrte, und sie spürte, dass er sich oft genug von ihr ferngehalten hatte, weil auch er genau daran dachte.

Aber in keinem ihrer Tagträume hatte sie sich je vorgestellt, dass sie bei ihrem ersten Kuss von einem Dutzend Prometheusianer beobachtet werden würden, die auf die Lichtung eilten und sie umstellten.

Ihre Angst mischte sich mit Verzauberung. Emilys Knie wurden weich. Sie umklammerte Drakes breite Schultern, um nicht vornüber zu fallen.

Drake beachtete die Männer nicht. Er küsste Emily und drängte mit seiner Zunge in ihren Mund. Seine Hände umgriffen derb Emilys Hüften, während seine Männer johlten und schrien.

Als er endlich den recht groben Kuss unterbrach, glaubte Emily Sterne zu sehen.

„Falscher Alarm!“, rief Drake endlich. Er schien etwas außer Atem zu sein. Er leckte sich die Lippen und sah Emily voller Verlangen an. Dabei entging ihr nicht die Verärgerung, die noch immer in seinen dunklen Augen glomm.

Emily konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Sie war wie gefangen vor Furcht und Verlangen und das Blut in ihren Adern pulsierte.

„Was ist das hier?“, fragte eine der Wachen zornig auf Englisch.

„Das?“, Drake lächelte den Mann so teuflisch an, wie er es früher so oft getan hatte. „Das ist mein Mädchen.“

„Ihr Mädchen?“, riefen die Männer erstaunt aus.

„Ja. Ihr hättet beinahe meine liebste Magd erschossen. Ich wäre sehr verärgert gewesen, wenn einer von euch ihrem hübschen Hintern auch nur einen Kratzer versetzt hätte.“ Er schlug Emily auf die Schenkel. Empört schrie sie auf.

Die Männer sahen einander belustigt an.

„Ihre Dienstmagd, Capitaine?“, fragte ein sehniger Franzose, als würde er die Geschichte nicht ganz glauben.

„Oh ja. Sie ist mir sehr zu Diensten“, sagte Drake so süffisant, dass die Männer lachten. „Nicht wahr, Liebes?“

Emily brachte keinen Ton heraus. Sie war hochrot im Gesicht und ihre Zunge war wie gelähmt. Emily wusste, dass sie am besten mitspielen sollte, aber sie war vollkommen verwirrt und verlegen.

Vor allem aber verletzte sie die Tätigkeit, mit der Drake sie bedacht hatte. Sie sollte seine Dienstmagd sein?

Der Unterschied im Rang zwischen ihnen hatte sie schon immer gekränkt. Drake wusste das, denn offensichtlich kam sie in den Augen seiner Eltern deswegen nicht infrage für ihren kostbaren Sohn. Dass er sie jetzt so direkt darauf stieß, zeigte nur, wie wütend er auf sie war. Beinahe glaubte sie, dass Seine Lordschaft ihr soeben ihren Platz zugewiesen hatte.

Undankbarer Kerl.

„Ich hatte es geahnt, dass sie mir vielleicht wieder folgen könnte. Wir machen das schon seit Jahren so, nicht wahr, Liebes? Seitdem sie alt genug ist zu wissen, was sie mit einem Mann alles anstellen kann, ist sie süchtig danach“, fügte er hinzu und zwinkerte Emily zu. „Jedes Mal, wenn ich versuche, sie loszuwerden, taucht sie wieder auf.“

Emily hob den Kopf halb belustigt, halb empört über seine Worte. Sie wusste, dass ein Fünkchen Wahrheit in ihnen lag.

Die Empörung half ihr, die Fassung wiederzugewinnen. Nun, sie konnte ebenso kühn sein wie er, wenn es um Leben und Tod ging.

„Wenn nur ich süchtig danach bin, warum schicken Sie dann immer wieder nach mir, Mylord?“, gab sie schnippisch zurück.

„Das ist eine berechtigte Frage“, murmelte er und sah sie verlangend an. „Du bist mein schmutziges kleines Geheimnis, nicht wahr?“

Und genau davor hat deine Mutter Angst. Sie packte seine schwarzen Rockaufschläge und trat näher zu ihm. „Wir wissen beide, dass Sie jemanden brauchen, der auf Sie aufpasst.“

„Und was du brauchst, wissen wir beide auch“, erwiderte er. Er lächelte Emily sündhaft an. Als Drake seine Hände über ihre Taille bis hinab zu ihren Hüften gleiten ließ, seufzte sie leicht. Ihr Blick verschleierte sich.

Sie verfluchte das Verlangen, das Drake in ihr weckte. Denn ihr geliebter Spion spielte seine Rolle nur, um die anderen zu täuschen. Du darfst dich nicht so aufregen, sagte sie sich, das ist alles nur Teil eines Spiels.

Schließlich war es schon lange bekannt, dass der angesehene Lord Westwood, Mitglied des Inferno Clubs, ein wilder Schürzenjäger war, der jede Frau in England verführte.

Jede, nur nicht sie.

Emily atmete tief ein und wandte sich ab. Ihre Wangen waren vor Scham gerötet. Ein Teil von ihr hätte ihn am liebsten geschüttelt, weil er ihren beinahe perfekten Plan zunichtemachte, ihn hier herauszuholen. Die andere Hälfte aber wünschte sich, die Zuschauer würden endlich verschwinden, damit sie zu Ende bringen konnten, was sie gerade begonnen hatten, gleich hier auf dem weichen Waldboden.

Ihr Herz schlug schneller, als er sie an seinen muskulösen Körper presste. Kein Wunder, dass die Männer die Scharade zu glauben schienen.

Sie fühlte, wie Drakes Herz ebenfalls viel zu schnell schlug. Sie spürte seine Erregung hart an ihrem Bauch.

„Und ich hatte schon geglaubt, dass er Frauen nicht mag“, murmelte einer der Soldaten.

„Nein, er mag nur die falschen Frauen“, erwiderte Emily und sah ihn herausfordernd an. „Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten. Ich bin nicht deinetwegen gekommen.“

„Oho! Das sagt sie zu dir!“ Die Männer sahen Emily staunend an. „Ich wünschte, es wäre anders“, murmelte ein anderer.

Mit einer majestätischen Geste entließ sie die anderen, während Drake sie mit ernstem Lächeln beobachtete. Dann wandte sie ihm wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit zu und streichelte sanft über seine Brust. „Und was Sie betrifft, Sir, wenn Sie nicht wollten, dass ich Ihnen folge, müssen sie überzeugender sein. Soweit ich mich erinnere, war ihr letzter Abschied recht halbherzig.“

Drake lachte leise. Er umfasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht leicht zu sich hoch. „Nun, da du schon einmal hier bist, du freches kleines Ding, kannst du genauso gut auch hereinkommen. Ich bin sicher, dass du mir irgendwie von Nutzen sein kannst, sobald ich frei habe.“

„Was haben Sie denn mit ihr vor, Capitaine?“, fragte der wettergegerbte Mann beiläufig.

„Gütiger Himmel, Jacques, lass deine Fantasie spielen“, erwiderte Drake stirnrunzelnd. „Ich dachte, du bist Franzose!“

Die anderen lachten.

„Das habe ich nicht gemeint und das wissen Sie genau“, antwortete Jacques ungeduldig. „Ich frage mich nur, was Falkirk dazu sagen wird.“

Drake zuckte mit den Schultern und legte den Arm noch enger um Emilys Taille, während er ihre Kurven aus der Nähe betrachtete. „Vermutlich gar nichts. Welche bescheidenen Annehmlichkeiten ich für meine privaten Zwecke nutze, geht den Rat wohl nichts an.“

„Nun, Sie sollten ihn besser fragen. Schließlich zahlen nicht Sie uns, sondern er.“

„Das stimmt. Aber ich bin es, der euch armselige Kreaturen engagiert hat. Und vergesst nicht, dass ich euch genauso mühelos wieder entlassen könnte. Falkirk hätte mich wohl kaum zum Anführer seiner Sicherheitsleute gemacht, wenn er nicht auf meine Diskretion vertraute. Abgesehen davon, wird die Kleine hier keine Schwierigkeiten machen, nicht wahr, Süße?“ Er stupste sie auf die Nase. „Versprichst du, ein braves Mädchen zu sein?“

Emily lächelte gehorsam, doch sie sah Drake finster an dabei. Treib es nicht zu weit. „Jawohl, Mylord.“

„Seht ihr?“ Jetzt forderte er sie absichtlich heraus.

Warte nur ab.

„Sie wird nicht im Weg stehen, also stört euch nicht an ihr. Sie wird mit mir das Zimmer teilen“, fügte Drake hinzu. „So wird sie in der Nähe sein, wenn ich sie brauche.“

Bei dem Versprechen, das sie in seinen Augen las, schlug ihr Herz schneller.

Aber dann beging einer der jüngeren Soldaten den Fehler, einen schlechten Scherz zu machen. „Nun, mir würde einiges einfallen, was das Mädchen für mich tun könnte, wenn Sie mit ihr fertig sind, Capitaine.“

„Ja, warum reichen Sie sie nicht weiter, wenn Sie fertig sind?“, fragte ein hochgewachsener Deutscher mit schwerem Akzent.

Die heitere Stimmung verschwand, als Drake sich langsam zu den Söldnern umdrehte. Sein Blick war eiskalt. „Was haben Sie gesagt?“

Der junge Franzose wollte schon seinen Satz wiederholen, aber Jacques hob beschwichtigend den Arm. „Halt den Mund, Gustave.“

Gustave schien verwirrt. „Was? Ach kommen Sie, sie ist nur eine Dienstmagd.“

„Sie ist meine Dienstmagd. Sie gehört mir.“ Drake sprach einige Sätze auf Französisch mit ihnen, worauf das lüsterne Grinsen in den Gesichtern der Männer verschwand. Die Söldner verstummten.

Emily verstand seine Worte nicht, aber Drakes Tonfall war unmissverständlich klar und kalt. Seine Stimme entsprach seiner Haltung. Drake ließ seine Hand zu der Waffe an seiner Seite gleiten, als wäre er bereit, die verbale Zurechtweisung notfalls auch mit Gewalt zu unterstützen.

Emily war ebenfalls angespannt. Sie hatte Angst.„Comprenez?“, brüllte Drake.

Die Männer murmelten ihre Zustimmung und wichen zurück.

„Gut.“ Jetzt sprach er auf Englisch weiter, damit auch Emily ihn verstehen konnte. Er legte seinen Arm um ihre Schultern, um sie zu schützen und um zu zeigen, zu wem sie gehörte. „Dann lasst uns zum Schloss zurückgehen. Nehmt eure Posten wieder ein und bleibt in Bereitschaft. Beim nächsten Mal ist es vielleicht kein falscher Alarm.“

Die Männer folgten Jacques als Ranghöherem leise murmelten aus dem Waldstück.

Emily sah Drake ängstlich an. Er wirkte noch immer sehr angespannt, während er den anderen nachsah. Tatsächlich beobachtete er jede ihrer Bewegungen, während die Männer davongingen.

Als er sich ein wenig entspannte, betrachtete Drake sie prüfend. Alles in Ordnung, schien sein Blick zu sagen.

Sie nickte, aber dann wandte sie sich mit zweifelndem Gesicht der Festung zu, die vor ihnen lag. Zum Schloss, ja? Müssen wir?

Das hast du nur dir allein zuzuschreiben, schien er mit einem grimmigen Blick zu sagen. „Komm mit.“ Noch immer hielt er Emily im Arm. So demonstrierte er seinen Anspruch auf sie, als sie die anderen Soldaten auf der staubigen Bergstraße erreichten.

Emily betrachtete all die bewaffneten Söldner, die vor Drake die Köpfe einzogen. Sie sah keinen anderen Weg, als diese Scharade mitzuspielen. Es war offenbar ihre einzige Möglichkeit, einem wirklich schrecklichen Schicksal zu entgehen.

Vielleicht hättest du das früher bedenken sollen, schalt sie sich selbst. Sie war durch die plötzliche Wendung ganz durcheinander. Sie war wütend auf Drake, weil er ihren Rettungsplan zerstört hatte. Er hatte ihren Stolz verletzt, als er so grob auf ihre niedrigere Stellung hinwies.

Vielleicht war sie eine Bedienstete, aber sie war auf gar keinen Fall eine Dienstmagd. Es erschütterte sie, dass der Mann ihrer Träume sie nur aus einer List heraus so leidenschaftlich geküsst hatte.

Ihre Enttäuschung stieg mit jedem Schritt, den sie auf der gewundenen Straße zur Festung der Prometheusianer zurücklegte. Sie hatte sich das alles ganz anders vorgestellt! Sie war ihm nicht über hunderte von Meilen nachgereist, um seinen Plan zu unterstützen, wie immer der auch aussehen mochte.

Falls es überhaupt einen Plan gab.

Bei dem Gedanken an die schlimmste aller Möglichkeiten lief ihr ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Das war diejenige Möglichkeit, an die sie nicht hatte denken wollen.

Vielleicht war er ja wirklich nicht hier, um sich zu rächen.

Bei dem Gedanken daran schüttelte sie sich. War es wirklich möglich, dass der alte James Falkirk es tatsächlich geschafft hatte, ihn umzudrehen, wie Drakes Mitagenten befürchteten?

Nach all den Jahren, in denen Drake hingebungsvoll für den Orden gearbeitet hatte, schien ihr dieser Gedanke vollkommen unmöglich. Aber der Verstand war ein seltsames Ding. Als Drake damals so schwer verwundet war, hatte er alles vergessen. Sogar, wer er selbst war.

Wenn die Prometheusianer das erreicht hatten, warum sollten sie ihn dann nicht auch dazu überreden können, sein altes Leben wieder aufzunehmen und sich ihrem dunklen Kult zuzuwenden?

Vielleicht hatten die Monate der Folter ihn so tief in seinem Inneren gebrochen, dass der Drake, den sie kannte und liebte, tatsächlich verschwunden war. Vielleicht war er ein ganz anderer geworden, wie er ihr warnend in England zu sagen versucht hatte. Vielleicht war er ja wirklich ein gedankenloser Sklave mit den tödlichen Fähigkeiten eines Topagenten des Ordens. Jemand, der bereit war, ohne Zögern die Bitten des Feindes zu erfüllen.

Jemand, der böse war.

Emily sah Drake nachdenklich an und überlegte.

2. KAPITEL

Emily nahm sich vor, sehr wachsam zu sein. Sie wollte die Augen offen und den Mund geschlossen halten, bis sie einschätzen konnte, was auf Schloss Waldfort geschah und wem Drakes Loyalität wirklich gehörte.

Das Schloss erhob sich vor ihnen über den Bäumen. Seine gewaltigen Umrisse formten in dem bergigen Gelände ein ungleichmäßiges Rechteck mit vier Turmspitzen an den Ecken.

Dunkelgraue Dächer thronten über goldbraunen Mauern, die vom Alter gezeichnet waren. In der Mitte ragte ein Turm hervor, dessen untere Hälfte quadratisch war, während sich die obere rund zum Himmel reckte. Die vielen schmalen Fenster glitzerten in der Sonne.

Unterhalb des Schlosses wurden die Mauern von grünen Wäldern umfasst, dahinter erhoben sich weiß die Berge vor einem strahlend blauen Himmel. Es sah ganz und gar nicht aus wie ein Ort, an dem düstere Dinge geschahen.

Doch das Äußere konnte täuschen.

Während sie sich dem Torgebäude näherten, bemerkte Emily das Wappen, das über dem Eingang zur Festung eingemeißelt war. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sie das Fackelzeichen in der Mitte des Wappens sah. Es war eines der beliebtesten Zeichen der Prometheusianer, wie Drake ihr vor langer Zeit einmal gesagt hatte.

Emilys Herz schlug schneller, als sie neben ihm durch den Torbogen schritt und dann durch die Öffnung in der äußeren Schutzmauer des Schlosses.

Dann gingen sie durch ein weiteres, kleineres Tor in einen weiteren Verteidigungsring.

Emily ging mit erhobenem Haupt, doch ihr Magen war angespannt. Drakes Gegenwart half ihr, selbstsicher aufzutreten, doch in diesem Moment erschien selbst er ihr wie ein Fremder. Vielleicht war all dies hier wirklich keine gute Idee gewesen. Aber jetzt war es zu spät, um umzukehren. Sie war in dem von Arkaden gesäumten Innenhof im Herzen der mächtigen Festung angelangt.

Um sie zu beruhigen, hatte Drake seine Hand auf ihren Rücken gelegt. Doch weil sie von Wachposten umgeben waren, vermied er es, ihr in die Augen zu sehen. Er blickte starr geradeaus. Etwas an seiner Haltung verriet ihr, dass er kämpfen würde, sollte es dazu kommen. Gütiger Himmel. Das Letzte, was er brauchte, um wieder gesund zu werden, war noch mehr Gewalt.

Im Herzen der Festung jedoch spürte Emily sofort, wie wahr Drakes Worte waren. Schon eine falsche Bewegung genügte und sie waren beide tot. Um sie herum standen überall Wachen.

Was um alles in der Welt mochte ihn dazu gebracht haben, sich so in die Höhle des Löwen zu begeben? Wie weit war er gegangen, um ihr Vertrauen zu gewinnen?

„Hier entlang“, drängte Drake und begleitete Emily über den Innenhof, eine Hand noch immer an ihrem Rücken.

Die meisten Wachen wichen zurück, als sie in den Innenhof traten, und kehrten auf ihre Posten zurück. Nur Jacques und zwei weitere Söldner begleiteten sie weiter in die Festung hinein.

Als sie dort eintraten, wankte Emily für einen Moment. Sie fühlte sich gefangen in einem ganz unbeschreiblichen, bedrohlichen Gefühl. Ihr war, als hätte sie die Schwelle zum Bösen überschritten.

Im Inneren des Schlosses herrschte eine beinahe gespenstische Atmosphäre. Der seltsame Geruch hier und die Bedrohung, die schwer durch die Luft flirrte, ließen Emily erschauern.

Es roch nach Tod und Zerstörung.

„Komm mit“, murmelte Drake.

Er ließ sich nicht anmerken, ob er ihr instinktives Zögern spürte oder nicht.

Die freundlichen Bauern unten im Tal hatten sie davor gewarnt, hierher zu kommen. Emily hatte zwar kaum ein Wort verstanden, aber ihre Gesten waren unmissverständlich. Hastig hatten sie sich mit den Händen bekreuzigt oder grimmig mit dem Kopf geschüttelt, sobald Emily sie auf das Schloss ansprach. Es schien, als sei das Schloss verflucht. „Gehen Sie dort nicht hin. Es ist gefährlich.“

Sehr gefährlich.

Doch Emily war aus Treue zu Drake hierhergekommen. Sie holte tief Luft, straffte die Schultern und trat in das Schloss ein.

Gleich am Eingang im Erdgeschoss befand sich ein weitläufiger langer wie schmaler Speisesaal, der von zwei riesigen Kaminen rechts und links flankiert wurde. Der Boden war aus Stein und die Wände weiß verputzt und von riesigen Säulen verziert, über die sich gotische Bögen zogen. Dieser Salon hier war nur spärlich möbliert. In seiner Mitte stand ein langer, dunkler Tisch und mehrere einfache Holzstühle.

Sie gingen durch den Speisesaal hindurch auf einen prächtigen Flur, als sich vor ihnen plötzlich eine weiße Tür öffnete.

Emily blickte zwischen den beiden Wachsoldaten hindurch, die vor ihr gingen, und erblickte einen hageren, eleganten Gentleman, der um die sechzig Jahre alt zu sein schien. Er trat würdig aus der Tür heraus. Leise schloss er die Tür hinter sich und kam auf sie zu. Alles an ihm zeugte von vornehmer Herkunft. Er war schmal, edel gekleidet und sein dichtes graues Haar umrahmte sein feingliedriges Gesicht. Doch als er sich näherte, bemerkte Emily erschrocken, dass seine Mimik und seine eiskalten Augen sie eher an eine Eidechse erinnerten.

„Haben Sie den Eindringling gefasst?“, fragte er Drake und Emily erkannte in ihm sogleich einen englischen Landsmann. Aufgrund seines Akzents vermutete sie, dass er aus Yorkshire stammen musste. „War es jemand aus dem Orden?“, fragte er.

„Nun, eigentlich nicht, Sir.“ Mit einer Kopfbewegung bedeutete Drake den Wachen, beiseitezutreten.

Sie wichen zurück, um den Blick auf Emily freizugeben.

„Soso.“ Der alte Mann runzelte aufmerksam die Stirn und betrachtete Emily mit zusammengekniffenen Augen. Plötzlich begriff Emily, dass sie dem berüchtigten James Falkirk gegenüberstand.

Dem Mann, der angeblich Drakes Retter war.

Der Magnat der Prometheusianer, der schließlich befohlen hatte, Drake aus dem Verlies zu befreien. Nicht etwa aus Sorge um Drakes Wohlergehen, sondern weil die Folter nicht die gewünschten Erfolge gebracht hatte.

Als es den anderen nicht gelungen war, den feindlichen Agenten mit Grausamkeit zu brechen, hatte James Falkirk darauf gesetzt, ihn mit Freundlichkeit zu manipulieren. Indem er ihm versprach, ihn vor den Folterern zu beschützen, gewann er Drakes Vertrauen. Nur so konnte es ihm gelingen, ihn langsam auf die dunkle Seite zu ziehen.

Emily war sich nicht sicher, ob sie dem alten Mann dankbar sein oder ihn eher hassen sollte. Es stimmte, dass James Falkirk Drakes Leben gerettet hatte, doch es waren James Ränkespielchen, die Drake verwirrt und ihn auf die Seite des Bösen gezogen hatten. Drake wusste nicht mehr, auf welcher Seite er stand.

James Falkirk musterte Emily kühl. „Und wer ist das?“

Drake räusperte sich. „Das ist das Mädchen, von dem ich Ihnen erzählte, Sir.“

Falkirk zog eine Braue hoch. „Tatsächlich?“ Mit einem Blick bedeutete er Jacques und den anderen zu gehen.

Die Wachen verneigten sich kurz und zogen sich zurück. Emily war mit Drake und James Falkirk allein. Emily wartete angespannt, bereit.

„Erinnern Sie sich an London, Sir, als wir vor dem Pulteney Hotel angesprochen wurden? Diese Frau hier war es, die den Stein gegen den Agenten des Ordens geworfen hatte, der unsere Flucht mit Waffengewalt verhindern wollte.“

„Ah, ja, Ihre kleine Dienstmagd.“ Falkirk drehte sich um und sah Emily erstaunt an. „Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen dieses kleine Mädchen von London bis hierher gefolgt ist?“

Emily biss sich erbost auf die Lippen. Es gefiel ihr nicht, wenn man so abfällig über sie sprach.

„Sie hatte schon als Kind einen beeindruckenden Instinkt, Sir. Ihr Vater war Wildhüter auf unserem Anwesen. Er hat ihr gezeigt, wie man Tierspuren liest und wie man in der Natur überlebt. So konnte sie mich finden.“

„Den ganzen Weg von England hierher, nur aus Liebe zu Ihnen?“ Falkirk lachte leise, während er Emily musterte. „Das ist ein weiter Weg für einen Mann, den Sie nicht haben können, meine Liebe.“

Seine Worte klangen so beiläufig grausam, als wolle er sie langsam sezieren. Emily zuckte zusammen und blickte beschämt zu Boden. „Ich kenne meinen Platz, Sir. An meinen Gefühlen aber kann ich nichts ändern. Außerdem braucht er mich.“

Drake räusperte sich leise. „Ich war noch nicht ganz zwanzig Jahre alt, als der Eigentümer eines benachbarten Anwesens versuchte, Emily Gewalt anzutun. Ich habe ihn umgebracht, um sie zu beschützen. Seither ist sie mir sehr ergeben.“

„Hm.“ Falkirk nickte langsam.

Emily blickte weiterhin zu Boden. Sie war zutiefst entsetzt, dass Drake Falkirk von dieser furchtbaren Episode erzählte.

Aber wie es schien, würde sich der alte Mann nicht mit weniger als der Wahrheit zufriedengeben. „Ich verstehe. Sie lieben ihn also, ja?“

Emily hob den Kopf und sah ihn erschrocken an.

Falkirk wartete.

Sie wagte es nicht, Drake anzusehen. „Ja, Sir.“

„Und liebt er Sie?“

„Nein, Sir. Das wäre unpassend“, sagte sie kaum hörbar.

„Aber Sie teilen das Bett mit ihm?“, fragte er weiter und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

Emily quälten diese Fragen. Sie brachte keinen Ton heraus, denn bis zu jenem Augenblick eben im Wald hatte Drake sie niemals angerührt. Aber dies war die Geschichte, die sie erzählen mussten. Emily fühlte Drakes Anspannung, daher hielt sie sich daran.

„Ich nehme an, reiche Mädchen können es sich leisten, ihre Tugend zu bewahren.“

Endlich lächelte Falkirk spöttisch. „Das stimmt“, sagte er und wirkte sichtbar belustigt. „Wie ist Ihr Name?“

„Emily Harper, Sir.“

„Nun, Sie haben sich mir gegenüber bereits bewiesen, soweit ich mich erinnere. In London haben Sie unser Entkommen ermöglicht, als dieser Agent des Ordens seine Waffe auf uns richtete.“

„Er wollte meinen Herrn töten“, sagte Emily leise.

„Sie haben ihn gerettet und ihm auf diese Weise ermöglicht, auch mich zu retten“, sagte Falkirk. „Ich stehe in Ihrer Schuld.“

Emily neigte den Kopf.

Der alte Mann schien die Erklärung für ihre Anwesenheit hier zu akzeptieren. Drake sah ihn an. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, Sir. Ich habe nicht geahnt, dass sie mir folgen würde, aber es ist nicht sicher genug, sie jetzt allein zurückzuschicken.“

„Nein, natürlich nicht.“ Falkirk zuckte mit den Schultern. „Sie haben ein Anrecht auf einen Dienstboten, wenn Sie das wünschen, Lord Westwood. Ich bin nur ein wenig verwirrt, das ist alles.“ Falkirk sah ihn aufmerksam an. „Wir haben Ihnen auch vorher schon eine Frau angeboten, eine echte Schönheit, aber Sie wollten von ihr und ihren Verführungskünsten nichts wissen.“

Drake senkte den Blick. „Nein, Sir.“

„Jetzt sehe ich auch, warum. Eine üppige Hure ist nicht nach Ihrem Geschmack. Sie bevorzugen eher die Unschuld. Wirklich, Lord Westwood, dass Sie mit den Dienstboten spielen, hätte ich nicht gedacht.“ Der alte Mann klang belustigt. „Für diese Sorte Mann hätte ich Sie nicht gehalten.“

Drake lächelte ihn an. „Wir alle haben unsere Schwächen, Sir. Außerdem ist sie nicht so unschuldig, wie sie aussieht.“

Falkirk verzog das Gesicht. „Wie dem auch sein. Wenn Sie sicher sind, dass Sie ihr vertrauen können, kann sie bleiben. Es steht sehr viel auf dem Spiel, wie Sie wissen.“

„Absolut.“

„Nun, dann machen Sie schon, was Sie wollen. Sie ist recht hübsch, das kann ich Ihnen sagen. Ein bezauberndes Geschöpf unter all dem Schmutz. Waschen Sie sich und dann passen Sie gut auf den Anführer meiner Sicherheitsmannschaft auf. Sie können genau das sein, was er braucht.“

„Es wird mir ein Vergnügen sein, Sir.“ Emily stellte sich näher an Drake.

Falkirk musterte sie beide, dann entließ er sie mit einem Nicken und kehrte in den Raum zurück, aus dem er gekommen war. Als die Tür geöffnet wurde, konnte sie einen Blick erhaschen auf einen üppig eingerichteten Speisesaal, in dem einige ältere Gentlemen um einen großen Tisch herum saßen. Es schien irgendein Treffen stattzufinden.

Dann wurde die Tür wieder geschlossen. Drake berührte Emily am Ellenbogen und deutete ihr mit einem Nicken an, ihm zu folgen.

Emily dachte über die Begegnung mit Falkirk nach. Nachdem sie Drake und Falkirk zusammen erlebt hatte, war sie noch verwirrter über das, was hier vor sich ging. Offenbar hatte Falkirk Drake das Leben gerettet, indem er ihn aus dem Verlies holen ließ, aber der Orden wusste auch, dass Drake seinerseits Falkirk das Leben gerettet hatte.

Als zweitmächtigster Mann der Prometheusianer hatte James Falkirk viele Feinde, aber er war ein Gelehrter, kein Krieger, und mit zunehmendem Alter musste er sich auf immer mehr jüngere Männer stützen, die ihn beschützten.

So kam Drake ins Spiel.

Er war so dankbar, dass Falkirk ihn aus dem Verlies gerettet hatte, dass er ihm kaum noch von der Seite wich. Drake hatte dem alten Mann sogar schon mehrfach das Leben gerettet.

Während des vergangenen Jahres schien sich ein seltsames Band zwischen diesen beiden Männern gebildet zu haben.

Tatsächlich staunte Emily, welchen Einfluss Drake jetzt offenbar auf den alten Ränkeschmied zu haben schien. Falkirk schien ihm tatsächlich zu vertrauen. Vielleicht standen sie einander tatsächlich nahe.

Oder vielleicht spielte Drake jetzt selbst seine Spielchen mit seinem Herrn.

Sie konnte es kaum erwarten, mit ihm allein zu sein, um ihn all das zu fragen.

Während sie weiter in das Schloss hineingingen, sah sie, dass zwar die Halle für die Wachen im Wesentlichen in dem groben, mittelalterlichen Stil belassen, das Hauptgeschoss und die Quartiere der Bewohner und Eigentümer aber sehr luxuriös im blumigen Rokoko-Stil des vergangenen Jahrhunderts eingerichtet worden war.

Sie gingen an prunkvollen Salons vorüber, deren Wände und Decken mit vergoldetem Stuck verziert und pastellfarbenen angestrichen waren. Die Möbel waren ebenfalls vergoldet und trugen Löwenfüße und weiche Samtpolster. Kristallene Lüster hingen von den Decken und an den Wänden reich verzierte Leuchter. Doch diese überbordende Pracht verstärkte nur Emilys Gefühl, dass hier etwas Böses geschah.

Am Ende des Hauptkorridors führte Drake sie eine große Treppe hinauf. Sie kamen am zweiten und dritten Stock vorüber, aber am vierten verließen sie die Treppen und gingen den Gang hinunter, der eher schlicht und ländlich einfach gehalten war.

Drake führte sie den Korridor hinunter und an vielen runden Holztüren vorbei, bevor er an einer von ihnen stehen blieb. Unsicher sah sie ihn an, aber er mied ihren Blick, während er aus der Tasche seiner schwarzen Weste einen Schlüssel holte.

Er schloss die Tür auf und öffnete sie. Dahinter erstreckte sich ein einfaches, quadratisches Zimmer. Drake bedeutete ihr mit einem Nicken, voranzugehen.

Emily betrat den spartanisch eingerichteten Raum und sah sich um. Das Zimmer hatte eine niedrige Decke mit einigen wenigen dunklen Balken und cremefarbenen Wänden.

Rechts von der Tür gab es einen kleinen Kamin und links einen Waschtisch mit einem alten, verrosteten Spiegel darüber. Die Kammer hatte zwar keine Fenster, aber an der gegenüberliegenden Wand einen kleinen Balkon. Drake hatte die kleinen Türen weit offen gelassen, um Licht und die frische Bergluft hereinzulassen. Der Blick auf die Alpen war einfach spektakulär. Emily wollte dorthin gehen, doch dann blieb sie wie angewurzelt stehen, als sie das sorgfältig gemachte Bett in der Ecke sah.

Ein einziges Bett.

Sie schluckte, drehte sich um und sah Drake an.

Er lehnte an der offenen Tür und beobachtete sie in seinem Zimmer. Seine Arme hatte er vor der Brust verschränkt.

„Du kannst deine Sachen hier drüben hinlegen“, sagte er und deutete auf mehrere Haken an der Wand, wo sein Mantel und ein paar Hemden hingen.

Sie nickte und spürte seine stumme Kritik, während sie über einen kleinen Webteppich ging und ihre Tasche, Bogen und den Köcher an die Wand lehnte.

„Nun, dann mach es dir bequem“, schloss er mit einer Spur von Sarkasmus in der Stimme. „Du hast gehört, was James gesagt hat. Bleib in diesem Zimmer und halte dich von jedem Ärger fern, falls dir das möglich ist. Ich muss zurück auf meinen Posten.“

Während sie ihren Umhang ablegte, drehte sie sich zu ihm um. „Du gehst schon?“

„Ich habe einen Auftrag, Miss Harper.“

„Miss Harper?“ Sie legte sich den Umhang über den Arm und starrte ihn verwirrt an. „Was ist mit dir?“

Drake sah sie eisig an.

Emily begriff, dass sie beide wütend aufeinander waren. Er war verärgert, dass sie hierhergekommen und sie, dass er nicht mit ihr fortgelaufen war.

Sie befanden sich in einer Pattsituation.

Ärgerlich warf sie ihren Umhang auf sein Bett. „Nun, warum sprichst du es nicht einfach aus?“

Er schloss die Tür. „Was zum Teufel willst du von mir hören?“, raunte er ärgerlich. „Du hattest kein Recht, hierher zu kommen.“

„Glaubst du etwa, ich wollte es?“, zischte sie zurück. „Ich habe mein Leben dafür riskiert, und wie dankst du es mir?“

„Ich hatte dir verboten, mir nachzureisen. Verdammt, ich habe gewusst, dass du das tun würdest.“

„Oh, tut mir leid. Warum drückst du mir nicht einfach wieder ein Messer an die Kehle, du Wahnsinniger?“

Er kniff die Augen zusammen. „Dafür entschuldige ich mich.“

„Es tut mir leid, dass du so unglücklich bist, mich zu sehen. Aber jetzt bin ich hier, was also werden wir tun?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Emily musterte ihn prüfend. „Sag mir wenigstens, ob du dein Gedächtnis zurückerlangt hast. Erinnerst du dich an den Trank, den ich auf deinem Landsitz für dich gebraut habe? Als wir durch den Wald zu deinem Anwesen gingen, kamen erste Bilder wieder zu dir zurück.“

Drake funkelte sie zornig an.

Emily hätte ihn nur zu gern geschüttelt. „Ich verstehe schon, dass du wütend bist, Drake, aber glaube mir, ich hatte keine andere Wahl. Ich musste kommen, um dich zu warnen. Der Orden hat die Anweisung herausgegeben, dich zu töten! Der Agent in London hätte dich erschossen, wenn ich nicht eingegriffen hätte.“

Sie hatte damals aus ihrem Proviant, den sie für die Reise gepackt hatte, eine Kartoffel genommen und sie nach dem Agenten geworfen. Ein Stein wäre effektvoller gewesen, aber immerhin handelte es sich um einen Agenten des Ordens. Sie hatte ihm nicht wehtun wollen. Drake sollte nur eine Chance haben, zu entkommen.

Drake sah sie kopfschüttelnd an. „Das war Jordan, Emily. Ich kenne ihn schon seit ewigen Zeiten. Er hätte mich nicht erschossen.“

„Er hat mit der Pistole genau zwischen deine Augen gezielt.“

„Kümmere dich nicht darum. Hör mir zu.“ Er packte ihre Schultern und beugte sich ein wenig vor, um ihr in die Augen zu sehen. „Du musst sofort vergessen, dass du ihn, Rotherstone oder einen der anderen je in deinem Leben gesehen hast. Vergiss ihre Namen. Ich meine es ernst. Du musst sie aus deinem Gedächtnis streichen. Alles, was ich dir je über den Orden oder die Prometheusianer erzählt habe, musst du aus deiner Erinnerung löschen. Du weißt nichts. Verstehst du?“

„Ich weiß nichts“, wiederholte sie und nickte.

„Ich war ein Narr, dass ich dir jemals etwas darüber erzählt habe.“

„Du warst ein Junge“, sagte sie leise und sah ihn an. „Du warst aufgeregt, weil du zu etwas so Großem bestimmt warst.“

Die Erinnerung daran schien ihn zu schmerzen.

„Du musst dir keine Sorgen machen“, fügte sie hinzu. „Ich habe keiner Menschenseele etwas darüber gesagt.“

„Gut. Denn wenn irgendjemand hier den Eindruck gewinnt, dass du etwas von all dem weißt“, Drake verstummte erschrocken und wandte sich ab, „ich würde dich mit eigenen Händen töten, bevor ich zulasse, dass sie dich hinunterbringen“, flüsterte er.

Emily erstarrte und sah ihn an. „Wohin?“

„Denk nicht weiter darüber nach. Bleib einfach hier in diesem Zimmer und sprich mit niemandem. Bald wird das alles vorbei sein.“

„Was meinst du damit?“

„Mach dir keine Gedanken“, murmelte er, „ich muss jetzt gehen.“

Verängstigt folgte sie ihm zur Tür. „Drake, warte.“

Er blieb stehen und sah sie aus dem Augenwinkel an. „Was?“

Sie trat vor ihn, sodass er ihr nicht ausweichen konnte, und sah ihm in die Augen. „Sag mir den wahren Grund, warum du hierhergekommen bist.“

Beinahe hätte er gelächelt, doch so weit ließ er es nicht kommen. „Das geht dich nichts an.“

„Warum bist du vor Lord Rotherstone geflohen und zu James zurückgekehrt? Bitte.“

Er sah sie schweigend an. Emily las in seinen schwarzen Augen, dass er Geheimnisse verbarg.

„Du kannst unmöglich die Prometheusianer dem Orden vorgezogen haben“, flüsterte sie.

„Kann ich das nicht?“

Langsam schüttelte sie den Kopf und hielt seinem Blick stand. „Nein. Das werde ich niemals glauben. Der Orden war dein Leben. Du kannst dich nicht gegen deine Freunde gewendet haben und gegen Virgil. Du bist hierhergekommen, um Rache zu nehmen, nicht wahr?“, wisperte sie kaum hörbar.

Eine ganze Weile sah er sie schweigend an. „Das Leben besteht aus Schmerz, Emily. Die Prometheusianer wissen das.“

„Nein.“ Sie schüttelte abwehrend den Kopf. „Das Leben ist schön und hell, Drake. Sieh dort hinaus. Die Bäume, die Berge, der Himmel.“ Zärtlich berührte sie seine Wange. „Du darfst nicht aufgeben. Du weißt mehr über Hass und Leid als die meisten Menschen, aber es gibt auch Liebe und Güte.“

Er blickte zum Balkon und wieder zu ihr zurück. Er lächelte spöttisch und kühl, als er ihre Wangen mit beiden Händen umfasste.

Einen Moment lang starrte er auf ihre Lippen, als erinnere er sich, wie er sie geküsst hatte.

Emily wollte noch einen Kuss.

„Mögen dir deine Illusionen noch lange erhalten bleiben, meine Liebe“, raunte er. „Wahrscheinlich hätten sie sogar überlebt, wenn du nicht hierhergekommen wärest.“

Er wollte an ihr vorübergehen, doch sie hielt ihn auf, indem sie eine Hand an seine Brust legte.

Sie versuchte, ihm die Wahrheit mit einem Bluff zu entlocken. „Ich kenne den wahren Grund, aus dem du hier bist. Du kannst sagen was du willst, Drake, aber es ist Wahnsinn. Es sind viel zu viele, selbst für dich.“

„Glaubst du, mich interessiert, was aus mir wird?“, zischte er.

„Nein, aber mir ist es wichtig. Ich werde dich nicht sterben lassen.“

„Du hast keine andere Wahl.“ Er stieß sie zur Seite und griff nach der Türklinke, als könne er nicht schnell genug aus dem Zimmer kommen.

Emily drehte sich ganz ruhig zu ihm um. „Dann bist du nur hierhergekommen, um zu sterben“, ihre Stimme zitterte, „und um möglichst viele von ihnen mitzunehmen.“

Er lachte zynisch. „Du denkst an einen Selbstmordüberfall?“

Sie nickte.

„Und du glaubst wirklich, ich wäre so eine Art Held?“

„Ich weiß, dass du das bist“, erwiderte sie sofort.

„Was für eine Närrin du doch bist“, sagte er leise und sah sie an. „Meine blinde, schöne kleine Närrin.“

Sie erstarrte, doch er sah sie nur über die Schulter hinweg an. „Bleib mir aus dem Weg“, befahl er. Dann zog er die Tür hinter sich zu.

Autor

Gaelen Foley
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