UNGEZÄHMT UND WUNDERSCHÖN

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Niemand könnte schlechter vorbereitet sein auf die strenge Etikette der Londoner Society als die blutjunge, ungestüme Lady Cressida Mortimer, die nach dem Tod ihres Vaters als Mündel in die Obhut von James Chavasse, Earl of Lydale, kommt. Aufgewachsen in Italien, hat sie an den Archäologiestudien und Ausgrabungen des Vaters Teilgenommen und weder ihren Wissendrang noch ihr Temperament je zügeln müssen. Doch so sehr der Earl die Freizügigkeit seines Müdels schockiert, so fasziniert ist er von ihrem sprühenden Charme. Auch James‘ Neffe Frank und dessen Freund Barrett können sich Cressys‘ Ausstrahlung nicht entziehen. Und der Earl, der doch selbst Frank als Gatten für Cressy auserwählt hat, spürt plötzlich, wie der Stachel der Eifersucht in ihm bohrt. Nach einem hitzigen Streit mit Cressy bricht sich die Leidenschaft Bahn. Aber so sehr sie einander auch begehren - der Altersunterschied und Cressys Stellung im Haus verbieten diese Liebe…


  • Erscheinungstag 16.12.2013
  • ISBN / Artikelnummer 9783954467846
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Paula Marshall

Ungezähmt und wunderschön

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Claudia Wuttke (v.l.S.d.P.)

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Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

©

1994 by Paula Marshall
Originaltitel: „Reasons Of The Heart“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
Deutsche Erstausgabe 1995 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe: MYLADY, Band 176
Übersetzung: Dr. Eva Malsch

CORA Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

ROMANA, BIANCA, BACCARA, TIFFANY, MYSTERY, MYLADY, HISTORICAL

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1. KAPITEL

„Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“

Pascal

„Niemand, ich wiederhole, niemand würde es für möglich halten“, behauptete Lady Louisa Bampton in tragischem Ton, „dass mein verstorbener Schwager so furchtbar nachlässig sein konnte. Oh, ich weiß“, fuhr sie fort und fächelte sich mit einem kostbaren Spitzentaschentuch Kühlung zu, „er war ein Exzentriker. Wie anders sollte man einen anglikanischen Bischof und Earl bezeichnen, der nicht an Gott glaubte?“ Gequält verdrehte sie die Augen. „In Italien grub er die Ruinen einer Stadt aus, die fast zweitausend Jahre lang unter der Erde gelegen hatte, heiratete meine bedauernswerte junge Schwester, zeugte eine Tochter, die er zu seiner Sekretärin ernannte, als sie vierzehn Jahre alt war … Und dann segnet er rücksichtsloserweise das Zeitliche, wenn sie erst achtzehn ist, nachdem er ausgerechnet James Lyndale zu ihrem Vormund bestimmt hat!“

„Sei doch fair!“, bat ihr Bruder, Gervase Markham. „Zweifellos wollte Silchester sie seinem alten Freund überantworten, Lyndales Vater, der weiß Gott sehr seriös war. Ich glaube, seine Ausgrabungen in Herculaneum nahmen ihn so in Anspruch, dass er nichts vom Tod seines Freundes erfuhr. Und ebenso wenig konnte er wissen, welch ein Einsiedler und Sonderling dessen Sohn geworden ist.“

„Wie soll er denn für das Mädchen sorgen?“, jammerte Lady Bampton. „Wahrscheinlich will er das auch gar nicht.“

Geduldig erklärte Gervase seiner Schwester, wie es zu der beklagenswerten Situation gekommen war. „Im Testament wird James Chavasse, Earl of Lyndale, zum Vormund ernannt. Welcher Earl gemeint ist, bleibt unerwähnt. Als Silchesters Testamentsvollstrecker fragte ich die Anwälte, ob man Lyndale irgendwie daran hindern könnte, die Vormundschaft zu übernehmen. Aber da gibt es keine Möglichkeit. Lyndale ist eindeutig James Chavasse und unsere Nichte leider sein Mündel.“

„Ein weiteres Beispiel für die Unvernunft unseres Schwagers! Welch ein Durcheinander! Und du sagst, das Kind habe Italien verlassen, um nach England zu reisen? Wann wird es eintreffen?“

Gervase hüstelte nervös. „Nun, Cressida ist schon hier. Gestern Abend wurde sie meiner Obhut übergeben. Ich möchte dich bitten, sie vorerst aufzunehmen, mitsamt ihrer Gesellschaftsdame, bis wir sie nach Haven’s End schicken können.“

„Haven’s End“, seufzte Lady Bampton bedrückt. „Dieses arme, verwaiste kleine Ding! Warum hast du sie nicht sofort zu mir gebracht, Gervase?“

„Sie sitzt mit ihrer Gesellschafterin im Damenzimmer, und Brunton serviert heiße Schokolade. Eigentlich wollte ich vor ihrer Ankunft in England mit dir sprechen. Ich hatte sie erst in einer Woche erwartet, aber wegen des günstigen Winds kam das Schiff schneller voran. Bitte, sag ihr nichts von unserer Sorge. Wir sollten uns von Vorurteilen befreien und erst einmal abwarten, wie Lyndale sie behandeln wird. Seien wir vorsichtig, Louisa. Wir dürfen auch nicht erwähnen, wie sehr wir den Leichtsinn ihres Vaters missbilligen. Vermutlich standen sich die beiden sehr nahe.“

„Der Butler serviert ihr Schokolade!“, stöhnte Lady Bampton, die sich über die unwichtigsten Dinge aufzuregen pflegte. „Und wie konnte sie ihrem Vater nahe stehen? Immerhin war er über siebzig. Armes Kind! Wenn Cressida Trost suchte, vermochte sie sich immer nur an Silchester zu wenden. Sie braucht die Liebe einer Frau. Welch ein Jammer, dass sie ihre Mutter nie gekannt hat! Hier, im Kreis fremder Menschen, wird sie sich ganz verloren fühlen.“

„Nun ja …“ Gervase Markham hüstelte etwas unbehaglich. „Das sollte man erwarten. Aber vielleicht müsste ich dich warnen …“

„Warnen?“ Lady Bampton hob die Brauen. „Wovor, Gervase? Sie ist doch präsentabel?“

„Gewiss. Am besten bringe ich sie jetzt zu dir.“

„Ja, natürlich. Ich bedaure nur, dass wir das arme kleine Ding bald zu Lyndale schicken müssen. Er hat die Vormundschaft doch angenommen?“

An der Tür drehte sich Gervase noch einmal um und nickte. „Wann immer ich mir vorstelle, was auf sie zukommt, wird mir das Herz schwer. Seine Antwort lautete: ‚Wenn es sein muss …‘ Das war alles.“

Bis zur Rückkehr ihres Bruders schwelgte Lady Bampton in ihrem Zorn und wusste nicht, wem sie heftiger grollte – ihrem toten Schwager oder James Lyndale. Da sich beide außerhalb ihrer Reichweite befanden, konnte sie nur untätig dasitzen, bis Gervase mit zwei Frauen zurückkehrte.

„Meine Liebe“, begann er in sanftem Ton, denn er war immer sanft, „erlaube mir, dich deiner Tante Louisa vorzustellen, Lady Bampton, der älteren Schwester deiner verstorbenen Mutter. Louisa, das sind unsere Nichte Lady Cressida Mortimer und ihre Gesellschafterin Miss Sykes, die engagiert wurde, um sie von Italien hierher zu begleiten.“

Verwirrt starrte Lady Bampton die beiden an. Die Gesellschaftsdame war eine unscheinbare, dürre, hochgewachsene Frau von Mitte vierzig, diskret gekleidet. Um so ungewöhnlicher sah die junge Nichte aus. „Cressida?“ Etwas anderes wusste die Hausherrin nicht zu sagen.

Cressida schüttelte lebhaft den Kopf. Alles an ihr wirkte lebhaft. Sie war nicht sehr groß, hatte einen elfenbeinfarbenen Teint und trug das dichte kastanienrote Haar zu einem unmodischen griechischen Knoten festgesteckt. Sie besaß graue Augen, das Profil einer klassischen Statue und volle Lippen. Weder schön noch hässlich, dachte Lady Bampton. Das Wort „hübsch“ konnte man wohl kaum anwenden.

Jedenfalls war Cressida grauenhaft gekleidet. Sie trug eine schäbige dunkelblaue Pelisse und darunter ein altmodisches Wollkleid mit hoher Taille. Lady Bamptons Verwunderung wurde von Entsetzen verdrängt. Aber noch schlimmer als die äußere Erscheinung ihrer Nichte fand sie deren Manieren.

„Oh nein, Tante Bampton!“ Eine Hand ausgestreckt, eilte Cressida zu ihr, wie ein übermütiger Junge und keineswegs wie eine Dame von Stand. „Nicht Cressida. Cressy! So wurde ich immer von Robert genannt. Die arme Mama suchte meinen Namen aus, bevor sie starb, aber er hasste Formalitäten. Oh nein, ich möchte keine Cressida sein.“

„Robert?“, fragte die Tante mit schwacher Stimme. Entgeistert beobachtete sie, wie ungeniert sich dieses unmögliche Mädchen im Salon umschaute, die reizvollen Aquarelle und die hellblaue Tapete musterte, die eleganten Vorhänge vor den hohen Fenstern. Wahrscheinlich hatte Cressida nie zuvor einen so zivilisierten Raum gesehen. Zu Lady Bamptons Bestürzung wurde nun ihre Hand geschüttelt, die sie hastig zurückzog. Zitternd fragte sie: „Bitte, wer ist Robert?“

Cressy schenkte ihr ein freundliches Lächeln. „Mein Vater“, erklärte sie geduldig und wandte sich zu Gervase. „Ich weiß, es mag seltsam klingen, aber Robert wünschte keine Formalitäten zwischen uns. Er sagte, wir alle seien Kinder des Ewigen Geistes und in Seinen Augen gleich.“

Als Gervase die verdutzte Miene seiner Schwester sah, konnte er seine Belustigung kaum verbergen. „Ich dachte, dein Vater hätte nicht an Gott geglaubt“, entgegnete sie. „Zumindest wies er mich darauf hin, ehe er deine Mutter nach Italien mitnahm.“

„Er glaubte tatsächlich nicht an Gott, sondern an den Ewigen Geist, der das Universum beherrscht und sich in keinerlei Gestalt zeigt. Der Begriff ‚Augen‘ war nur symbolisch gemeint.“

„Ach …“, hauchte Lady Bampton völlig verständnislos, und ihr Bruder vermochte, sie nicht mehr anzuschauen, sonst wäre er in Gelächter ausgebrochen. Eins stand jedenfalls fest – trotz ihrer Jugend war Lady Cressida Mortimer kein „armes Kind“, das man beschützen musste.

Energisch wandte sie sich zu ihm, und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie es gewöhnt war, ihren Willen durchzusetzen. „Übrigens, Onkel Gervase, es ist wohl höchste Zeit, etwas gegen diese elende Vormundschaft zu unternehmen. Ich redete mit den Anwälten, die mich offenkundig für ein törichtes, der englischen Sprache nicht mächtiges Mädchen hielten. Wie ich dabei erfuhr, hat Robert sein Testament gemacht, als ich achtzehn Monate alt war. Sicher glaubte er nicht, ich würde mit achtzehn Jahren noch einen Vormund brauchen. Während der letzten drei Jahre kümmerte ich mich um alle seine Angelegenheiten. Außerdem will ich möglichst bald nach Italien zurückkehren, um seine Arbeit fortzusetzen.“

„Italien! Um seine Arbeit fortzusetzen! Ich fasse es nicht!“ Einen so aufregenden Vormittag hatte Lady Bampton nur selten erlebt.

„Herculaneum, um genau zu sein.“ Was das ganze Getue sollte, war Cressy rätselhaft. „Vor Kurzem haben Robert und ich eine interessante kleine Anlage freigelegt, einen Tempel mit schönen Statuen. Eigentlich hätte ich gar nicht wegfahren dürfen. Aber Mr Hargrove, euer Anwalt, und Miss Sykes bestanden auf meiner Anwesenheit in England, wo dieser juristische Unsinn geklärt werden soll. Schätzungsweise hat Lord Lyndale ohnehin keine Lust, die Verantwortung für mich zu übernehmen, ich möchte auch nichts mit ihm zu tun haben, also wird es da keine Probleme geben. Er ist schon ein älterer Mann, nicht war?“

Sowohl der Onkel als auch die Tante dachten, mit seinen siebenunddreißig Jahren müsste James Lyndale einer Achtzehnjährigen ziemlich alt erscheinen. Sie wussten nicht, dass man versäumt hatte, Lady Cressy über den Irrtum ihres Vaters aufzuklären.

„Mein liebes Kind“, erwiderte Gervase Markham sanft. „Nach dem Tod deines Vater geziemt es sich nicht mehr für dich, in Italien zu leben. Das haben Mr Hargrove und Miss Sykes gewiss schon erwähnt.“

Cressy verdrehte die Augen. Gab es denn in England überhaupt keine vernünftigen Leute. „Ich bin keineswegs allein in Italien. Dort betreut mich Gräfin Caterina Franceschini, Roberts Geliebte, und ihre Familie ist noch viel älter und vornehmer als unsere. Zudem habe ich die Dienerschaft, und der britische Gesandte in Neapel ist mein guter Freund. Vor drei Jahren wurde der Krieg beendet. Jetzt, 1818, ist es dort viel sicherer als 1815. Aber Robert und ich hatten nicht einmal während der französischen Besatzung irgendwelche Schwierigkeiten. Mit General Murat verstanden wir uns ausgezeichnet. Er interessierte sich sehr für Roberts Arbeit.“

„Einfach unglaublich!“, seufzte Lady Bampton. „Mit einem französischen Eindringling befreundet, von der Geliebten deines Vaters betreut … Solche Leute dürftest du nun wirklich nicht kennen. Bitte, setz dich, mein Kind, und zieh diesen grässlichen Mantel aus. Gervase, lass Madeira servieren. Den könnte ich jetzt vertragen, und dich wird er beruhigen, liebe Nichte. Danach muss ich dir erklären, was eine junge Dame in der Gesellschaft tun kann und was nicht. Deine Rückkehr nach Italien musst du dir jedenfalls aus dem Kopf schlagen. Und bevor du nach Wiltshire fährst, werden wir eine angemessene Garderobe für dich kaufen.“

„Diese Mühe will ich mir nicht machen und auch kein Geld dafür ausgeben. Meine Kleider genügen vollauf für die Aktivitäten, die ich plane. Vielleicht finden sich in der Umgebung von Lord Lyndales Haus ein paar kleine Ausgrabungsstätten.“

„Du scheust die Kosten für eine neue Garderobe? Weißt du denn nicht, welch ein Vermögen du von deinem Vater geerbt hast? Als letzter Spross der Mortimers kannst du nicht wie eine Dienerin herumlaufen. Miss Sykes!“ Allmählich gewann Lady Bampton ihre Fassung wieder, und ihre Stimme nahm den üblichen gebieterischen Klang an. „Bitte, machen Sie Ihrem Schützling klar, die Tochter eines Earl und Eigentümerin eines der größten Herrschaftssitze in diesem Land sei verpflichtet, sich standesgemäß zu kleiden!“

Unterwürfig neigte Miss Sykes den Kopf. „Das habe ich schon versucht, Mylady. Aber in der Umgebung, wo sie aufwuchs, sah man solche Dinge bedauerlicherweise in anderem Licht. Sicher wird Lady Cressy die Notwendigkeit gewisser – Veränderungen einsehen, wenn sie in die Gesellschaft eingeführt wird.“

„Dazu wird es vorerst nicht kommen“, entgegnete Louisa ärgerlich. „Sie muss in Lyndales Haus leben, am anderen Ende von Nirgendwo, und so, wie ich ihn kenne, wird er dort auch bleiben.“

Interessiert hörte Cressy zu. „Dann können wir uns die neuen Kleider wirklich sparen.“

Seiner Schwester zuliebe mischte sich der sanftmütige Gervase ein. „Liebe Cressy, du solltest den Rat deiner Tante befolgen. Immerhin wirst du im Haus eines Aristokraten wohnen, und man erwartet auch auf dem Land einen gewissen Standard, insbesondere von einer reichen Erbin.“

„Solche Überlegungen konnten Robert niemals daran hindern, seinen Neigungen zu folgen. Und da ich seine Erbin bin, werde ich mich ebenso verhalten.“

„Oh, oh, oh …“ Einige Sekunden lang versteckte Lady Bampton ihre unglückliche Miene hinter dem Spitzentaschentuch. „Miss Sykes, wie mein Bruder mir berichtet hat, sollen Sie als Lady Cressidas Gesellschafterin und Anstandsdame fungieren, zumindest bis zu ihrer Ankunft in Haven’s End. Also obliegt es Ihnen, ihr die Manieren beizubringen, die man von einem Mädchen aus guter Familie erwartet. Von ihrem Vater wurde sie allem Anschein nach zu einem Lausejungen erzogen. Cressida, hör mir zu. Es ist meine Pflicht, für dein anständiges Benehmen zu sorgen, Miss Sykes’ Pflicht, meine Wünsche zu erfüllen – und du bist verpflichtet, genau das zu tun, was dir ältere und klügere Menschen dringend empfehlen.“

Der sichtliche Kummer ihrer Tante bewog Cressy, zu ihr zu laufen und beide Arme um ihren Hals zu werfen. „Oh, bitte, liebste Tante, sei nicht traurig! Meinetwegen musst du dir wirklich keine Sorgen machen. Wie viel einfacher wäre es doch für alle Beteiligten, wenn ich sofort nach Herculaneum zurückkehren würde. Das schlug mir auch Robert kurz vor seinem Tod vor.“

Wieder einmal beschloss ihr Onkel einzugreifen. „Meine Liebe, du stehst nicht mehr unter der Obhut deines Vaters. Bis zu deiner Hochzeit wird dein Vormund über dein weiteres Leben bestimmen. Deine Rückkehr nach Italien kommt leider nicht infrage. Wenn du älter bist und das Einverständnis deines künftigen Ehemanns besitzt, kannst du Herculaneum vielleicht wieder sehen.“

Cressy erkannte, dass sie sich vorerst ins Unvermeidliche fügen musste. Doch sie würde sicher Mittel und Wege finden, um den Ort aufzusuchen, wo sie so glücklich gewesen war. „Also gut.“ Unwissentlich wiederholte sie, was James Lyndale ihren Anwälten geschrieben hatte. „Wenn es sein muss …“

„Nein“, sagte James Chavasse, der vierte Earl of Lyndale, zu seiner Schwester Verena Davenport, die ihm einen Höflichkeitsbesuch abstattete. Sie lebte im nahen Comyns in Wiltshire, mit ihrem Mann Fred, der sich gerade von einem Gichtanfall erholte und es vorgezogen hatte, daheim in seinem komfortablen Salon zu bleiben. „Nein, Verena, es gefällt mir ganz und gar nicht, den Vormund eines ungebärdigen Mädchens zu mimen, nur weil mich ein achtloser alter Narr für meinen Vater gehalten hat. Was soll ich mit einer Achtzehnjährigen anfangen?“ Als seine Schwester zu lachen begann, rief er: „Nein, antworte nicht! Ich weiß, ich habe mich zur Zielscheibe deines Spotts gemacht, aber tu mir wenigstens den Gefallen und gib zu, dass ich niemals für Unschuldslämmer geschwärmt habe, nicht einmal in meiner frühen Jugend.“

„Sicher, das gestehe ich dir zu. Paradiesvögel, erfahrene Liebeskünstlerinnen, aber niemals Backfische. Und wie ist es jetzt, James?“, fragte sie boshaft. „Spielst du immer noch den Mönch?“

„Großer Gott, Verena, solche Dinge sollten wir nicht erörtern.“ Rastlos trat er ans Fenster und betrachtete die Frühlingslandschaft, die ersten zartgrünen Blätter. „Am besten verheirate ich die Kleine so schnell wie möglich, dann bin ich die Verantwortung los.“

Plötzlich wurde sie ernst. „Also willst du weiterhin ein Einsiedlerleben führen?“

Er antwortete nicht sofort, und sie musterte nachdenklich seine hochgewachsene, breitschultrige Gestalt, das markante Profil. Am bemerkenswertesten waren die bernsteinfarbenen Augen und die schwarzen Naturlocken. Solche kleidsamen Wellen brachten die Kammerdiener anderer Männer nur mir einiger Mühe zustande. Wie eh und je strahlte James Arroganz und Willensstärke aus, was die meisten Menschen veranlasste, ihm mit äußerster Vorsicht zu begegnen. Er spürte ihren prüfenden Blick und ärgerte sich. Immerhin war er sein eigener Herr, und so sehr er Verena auch liebte – er ließ sich nichts von ihr vorschreiben. „Und wenn schon?“, entgegnete er in gefährlich leisem Ton und wandte sich vollends von ihr ab.

„Nun, ich glaube, du solltest in die Gesellschaft zurückkehren und deinen rechtmäßigen Platz einnehmen.“

„Und welcher Platz ist das?“, stieß er hervor.

„Alle Welt weiß, was für ein guter Soldat du warst, ehe du im Krieg auf der Pyrenäenhalbinsel verwundet wurdest. Danach gehörtest du zu den viel versprechendsten jungen Politikern Englands. Es gibt keinen Grund, warum du deine Karriere nicht weiterverfolgen solltest. Ich verstehe, dass du dich damals von der Welt zurückgezogen hast, aber das alles ist jetzt fast fünf Jahre her. Natürlich musstest du dich gedemütigt fühlen. Nur wenige Männer werden vor dem Traualtar stehen gelassen. Normalerweise bleibt dieses Schicksal den Frauen vorbehalten. Doch mittlerweile haben die meisten Leute jenen alten Skandal vergessen. Und man hatte schon damals Mitleid mit dir.“

„Mitleid! Gerade davor lief ich davon. Knapp sechs Monate später starb William und Vater kurz danach. Ich war der Erbe, nicht länger ein mittelloser jüngerer Sohn. Und dann traf ich sie zufällig in Bath wieder. Weißt du, was sie sagte? Wie dumm sie gewesen sei! Hätte sie doch die weise Voraussicht besessen, bei mir zu bleiben, statt mit Gaunt durchzubrennen! Dann wäre sie jetzt Lady Lyndale. Der alte Gaunt schien sie ziemlich grausam zu behandeln. Schließlich bot sie mir ihren schönen Körper an und fügte im selben Atemzug hinzu, wie schade es sei, dass William nicht sechs Monate früher den Tod gefunden habe.“

„Du gabst ihr doch sicher einen Korb, oder?“

„Nein, wenn du’s unbedingt wissen musst! Und das war am allerschlimmsten. Als ich sie wieder sah und mit ihr sprach, konnte ich nicht fassen, dass ich ein so hirnloses Geschöpf jemals geliebt hatte. Und sobald ich mit ihr im Bett lag, bestätigte sich mein Urteil …“ Nach einer kleinen Pause fuhr er mit müder Stimme fort: „Reden wir nicht mehr darüber. Nachdem ich Margaret auf so tragische Weise verloren hatte, gelobte ich mir, nie wieder ernsthaft an eine Frau zu denken. Und jetzt genügt mir das hier.“ Er zeigte auf die schöne Aussicht, die das Fenster bot. „Ich möchte ein anständiger Gutsherr sein, meine Pflicht den Pächtern gegenüber erfüllen, statt sie auszubeuten, und Haven’s End zu altem Glanz und Wohlstand zurückführen, nachdem Vater die Ländereien in seinen letzten Lebensjahren so vernachlässigt hat. Beantwortet das deine Frage?“

Verena stand auf. „Ja, James. Ich erinnere mich nur zu gut an alles, was dein Vater dir angetan hat, und ich bedaure, dass du dir deshalb kein Glück gönnen willst. Jetzt fällt dir auch noch dieses Kind zur Last. Ich hoffe, du bist trotzdem freundlich zu deinem Mündel. Lady Cressida ist nun ganz allein in einem fremden Land. Wie ich von Gervase erfuhr, war sie die ständige Gefährtin ihres Vaters.“

„Was für ein Vater!“ James lachte verächtlich. „Mein eigener schüttelte immer den Kopf, wenn Mortimer erwähnt wurde. Ein Bischof und Landbesitzer, der sich nicht um seine Pflichten kümmert und stattdessen in altrömischen Ruinen wühlt … Wie mag sich das arme Kind entwickelt haben? Nun, das werde ich ja bald herausfinden.“

Seine Schwester blieb in der Tür stehen. „Weißt du schon, mit wem du sie verheiraten könntest?“

„Allerdings. Ich dachte an unseren Neffen Frank Belsize, Emilys Sohn. Er ist reich genug, um sie nicht nur ihres Geldes wegen zu schätzen, und ein guter, anständiger Junge. Vielleicht ein bisschen naiv. Umso besser passt er zu einem unschuldigen Mädchen. Und auf den Silchester-Ländereien wäre er ein guter Herr. Du wirst mir doch helfen, Verena?“

Lächelnd kehrte sie zu ihm zurück und küsste seine Wange. „Oh James, ich helfe dir immer, das weißt du. Und ich wünsche mir, dein Mündel wird ein bisschen frisches Leben in dieses triste Haus bringen.“

„Ich fürchte eher, Lady Cressida wird mich mit albernem Geschwätz über Kleider und Frisuren oder sentimentale Romanheldinnen langweilen.“

„Oh, du bist unverbesserlich! Trotzdem werde ich dir helfen, sie in die hiesige und die Londoner Gesellschaft einzuführen.“

„So eine wundervolle Schwester verdiene ich gar nicht.“

„Du verdienst was viel Besseres als mich, aber das wirst du nicht finden, wenn du hier in Wiltshire wie ein Säulenheiliger herumsitzt und dir dauernd vorsagst, wie übel dir das Leben mitgespielt hat.“

Darüber musste er lachen. „Ein Säulenheiliger, also wirklich! Nun, hoffentlich finden die beiden jungen Leute Gefallen aneinander. Das würde zwei Probleme auf einmal lösen. Nach Emilys Wunsch soll ihr Sohn ein passendes Mädchen heiraten, und zwar möglichst bald. Zu viele seiner Freunde haben sich auf unglückselige eheliche oder anderweitige Bindungen eingelassen, und er befindet sich in einem Alter, wo ihn so etwas leicht beeinflussen kann.“

„Männer sind in jedem Alter leicht zu beeinflussen, das müsstest du wissen. Bring dein Mündel bald hierher, James“, bat Verena. „Ich bin sehr neugierig auf die Tochter des alten Silchester – insbesondere, wo er bei ihrer Geburt schon fast sechzig war.“

Versonnen schaute James kurze Zeit später dem Landauer seiner Schwester nach, der die Zufahrt hinabrollte, zur Straße nach Salisbury. Hätte er doch nur eine Frau wie Verena gefunden … Dazu würde es nun zu spät sein. Doch diesen Gedanken verdrängte er hastig. Lady Cressidas Ankunft musste vorbereitet werden. Wie unangenehm! Hoffentlich würde sie Frank Belsize als ihren Märchenprinzen anerkennen, je eher, desto besser!

2. KAPITEL

Sind in England alle Leute verrückt, fragte sich Cressy immer wieder. Das Londoner Gesellschaftsleben erschien ihr, nach Tante Louisas und Miss Sykes’ Erklärungen zu schließen, äußerst kompliziert. Zum Beispiel konnte man in den Kleidern, die einem adeligen jungen Mädchen geziemten, überhaupt nichts unternehmen, außer elegante Salons zu zieren, Tee zu trinken oder gemächlich spazieren zu gehen, stets in Begleitung der Anstandsdame. Sie konnte nur hoffen, es würde ihr gelingen, Roberts alten Freund, Lord Lyndale, von ihrer Selbstständigkeit zu überzeugen. Sie war durchaus fähig, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Beinahe hatten sie das Ziel ihrer Reise erreicht. „Wir sind bald da“, erklärte Miss Sykes, die neben ihr im Wagen saß, um dann erschrocken auszurufen: „Um Himmels willen, Lady Cressy, was treiben Sie denn?“ Ihr Schützling hatte nämlich das Kutschenfenster geöffnet, streckte den Kopf hindurch und hielt nach Haven’s End Ausschau. Ehe Cressy die grandiose Fassade des Herrschaftshauses bewundern konnte, wurde sie von der Gesellschafterin an den Röcken gepackt und auf den Sitz zurückgezerrt. „Oh, was werden Sie noch alles anstellen? Sie sind eine Lady, meine Liebe, und Damen benehmen sich nicht wie mutwillige Jungs!“

„Schade“, erwiderte Cressy und bemerkte, wie der Anwalt, der ihr gegenübersaß, ein Grinsen unterdrückte. „Welch ein langweiliges Leben müssen vornehme junge Damen doch führen!“

Die Kutsche fuhr durch ein schmiedeeisernes Tor, und nun konnte Cressy das Haus eingehend betrachten. Erstaunlicherweise fühlte sie sich an Italien erinnert, an die Villen des italienischen Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio. Dieser Gedanke beschwor neue Trauer in ihr herauf – um den geliebten Vater, den Verlust einer glücklichen Vergangenheit. Mühsam bekämpfte sie ihre Tränen.

Der Wagen hielt vor einer langen steinernen Treppenflucht, die zu einem Doppeltor hinaufführte. Dienstboten eilten herbei, ein Butler verneigte sich und geleitete die Neuankömmlinge die Stufen hinauf. An Miss Sykes’ Seite, dicht gefolgt von Mr Hargrove, betrat Cressy eine Eingangshalle mit hoher Glaskuppel und Mosaikboden. Eine Apollo-Statue stand neben einer Diana, Cupido küsste Psyche.

Sofort erkannte Cressy diese Skulpturen wieder, und sie betrachtete entzückt eine Löwenfigur. Eine ähnliche hatte Robert in Herculaneum ausgegraben. Wenn der Besitzer von Haven’s End sich mit solchen Kunstgegenständen umgab, würde sie sich in seinem Haus vielleicht sogar wohlfühlen. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, ihn kennenzulernen.

Doch der Butler, ein gewisser March, verkündete mit ernster Miene: „Bedauerlicherweise ist Mylord nicht zugegen, um sie zu begrüßen. Er verbringt den Nachmittag mit einer Inspektion des Gutes. Wir dachten, sie würden erst morgen früh eintreffen. Nun werde ich die Haushälterin holen. Sie wird Ihnen Ihre Suite zeigen.“ Zu Mr Hargrove gewandt, fügte er hinzu: „Und ich begleite Sie zu Ihrer, Sir.“

Mrs Waters, eine rundliche Frau mit rosigem Gesicht, eskortierte Cressy und Miss Sykes zu einer Suite mit Blick auf Rasenflächen und einen Teich, in dessen Mitte ein Brunnen plätscherte, geschmückt mit Statuen von Meeresgöttern.

Wie in Italien, dachte Cressy wieder. Wenn nur das Wetter schöner wäre … Begeistert pries Miss Sykes die luxuriöse Einrichtung der Räume, auch ihres Zimmers, das neben dem Schlafgemach Ihrer Ladyschaft lag.

Während Cressy das riesige Bett mit den blausilbernen Vorhängen begutachtete, zu dem drei Stufen hinaufführten, fragte die Haushälterin freundlich: „Möchten Sie eine Tasse Tee trinken, Mylady? Hier oben oder vielleicht im Großen Salon?“

„Ja, bitte, im Großen Salon!“, erwiderte Cressy eifrig, dann kleidete sie sich rasch um. Zusammen mit Miss Sykes folgte sie einem Lakaien, den Mrs Waters gerufen hatte, ins Erdgeschoss hinunter.

Im Salon wurde der Tee an einem kleinen Tisch vor hohen Fenstern serviert. Cressy schaute in den gepflegten Garten hinaus. Zwischen Zypressen und Kiefern erhoben sich Götterstatuen. Auch dieser Raum war prachtvoll ausgestattet. Ein Gemälde zeigte die Bucht von Neapel und trieb erneut alberne Tränen in ihre Augen, beschwor Erinnerungen an die glücklichen Tage mit Robert und Caterina herauf.

Mrs Waters brachte eine Platte mit kleinen Kuchen. „Soeben ist Seine Lordschaft zurückgekommen, früher als erwartet. Er lässt Sie ins Arbeitszimmer bitten, wenn Sie Ihren Tee getrunken haben, Mylady – in etwa einer halben Stunde.“ Anerkennend betrachtete sie Cressys Kleid, das nach der neuesten Mode gefertigt war.

„Oh Miss Sykes, Sie begleiten mich doch?“, fragte Cressy in plötzlicher Scheu, die sie sich selber nicht erklären konnte.

Bedauernd schüttelte die Haushälterin den Kopf. „Seine Lordschaft hat ausdrücklich betont, er wünsche Sie allein zu sehen, Mylady. Später wird er mit dem Anwalt und Miss Sykes sprechen. Mr Hargrove nimmt gerade den Tee in seiner Suite.“

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